POSITION | EUROPAPOLITIK | HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Konferenz zur Zukunft Europas Prioritäten und Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie
Januar 2022 Vorwort Im 21. Jahrhundert stellt uns die Globalisierung vor immer neue politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen. Nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern können wir Mitgestalter der Weltpolitik und Weltwirtschaft sein. Die deutsche Industrie unterstützt das Ziel der Konferenz zur Zukunft Europas, die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (EU) zu stärken und sie zukunftsfähig zu machen. Das vorliegende Papier präsentiert die Kernforderungen der deutschen Industrie für die Bereiche, in denen die Konferenz Impulse für die Weiterentwicklung der Europäischen Union geben sollte.
Heiko Willems | BDI/BDA The German Business Representation | T: +32 2 7921002 | h.willems@bdi.eu | www.bdi.eu
Konferenz zur Zukunft Europas
Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................................................................. 3 Eine stärkere Rolle der EU in der Welt ....................................................................................... 4 Europas Einfluss gezielt nutzen .................................................................................................... 4 Europas Stimme in der Welt stärken ............................................................................................. 4 Voraussetzungen für eine starke EU ......................................................................................... 5 Industriepolitik ............................................................................................................................. 5 Binnenmarkt ................................................................................................................................ 7 Klimapolitik.................................................................................................................................. 7 Gesundheitspolitik ....................................................................................................................... 8 Wirtschafts- und Währungsunion / Banken- und Kapitalmarktunion ................................................. 8 Transparente Gesetzgebung ........................................................................................................ 8 Impressum............................................................................................................................... 10
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Konferenz zur Zukunft Europas
Einleitung Im 21. Jahrhundert stellt uns die Globalisierung vor immer neue politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen. Nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern können wir Mitgestalter der Weltwirtschaft und Weltpolitik sein. Die deutsche Industrie unterstützt das Ziel der Konferenz zur Zukunft Europas, die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (EU) zu stärken und sie zukunftsfähig zu machen. Es ist gut, dass die europäischen Institutionen sich dieser Herausforderung gemeinsam stellen und gesellschaftlichen Akteuren die Möglichkeit geben, sich hier aktiv einzubringen. Angesichts der zahlreichen aktuellen Herausforderungen im Inneren und Äußeren wie der globalen Covid-19-Pandemie und ihrer massiven sozioökonomischen Auswirkungen, zunehmenden internationalen Spannungen, dem Klimawandel sowie steigendem Populismus und Nationalismus dürfen wir keine Zeit verlieren. Entscheidend für die europäische Souveränität und die zukünftige Rolle der EU in der Welt ist ihre innere Stärke auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft und des europäischen Modells, die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, und eine wachsende außenpolitische Handlungsfähigkeit. Während es in den vergangenen Jahrzehnten vor allem um die Schaffung eines politisch und wirtschaftlich geeinten Europas ging (Binnenperspektive), wird es angesichts der skizzierten Herausforderungen zukünftig stärker darauf ankommen, die EU im globalen Kontext zu einem handlungsfähigen Akteur zu machen („Weltpolitikfähigkeit“). Hierfür kommt es auf eine Beschleunigung der Entscheidungsfindung und ein einheitliches Auftreten in außenpolitischen Fragen sowie eine kluge, liberale Handelspolitik an, die die Einflussmöglichkeiten Europas auch zur Verteidigung seiner Werte und Interessen einsetzt. Zugleich bleibt die innere Stärke der EU die entscheidende Voraussetzung, um überhaupt eine Rolle auf der Weltbühne spielen zu können. Eine Stärkung der Europäischen Union im Inneren sowie für den zunehmenden internationalen Wettbewerb setzt eine intelligente EU-Industriepolitik und eine vorausschauende Klimapolitik voraus. Eine zentrale Rolle für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union spielt auch die Gesundheitspolitik, um auf zukünftige Pandemien besser vorbereitet zu sein. Für die Widerstandsfähigkeit bei künftigen Finanzkrisen sind Fortschritte bei Wirtschafts- und Währungsunion und in der Integration im Finanzbinnenmarkt dringend erforderlich. In diesen Bereichen sollte die Konferenz zur Zukunft Europas Impulse geben, um die Europäische Union voranzubringen.
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Konferenz zur Zukunft Europas
Eine stärkere Rolle der EU in der Welt Europas Einfluss gezielt nutzen Europas Markenzeichen auf der politischen Weltbühne ist seine demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit, seine politische Orientierung an einer nachhaltigen sozialen Marktwirtschaft und seine Offenheit für den grenzüberschreitenden Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Größter Trumpf Europas ist der Binnenmarkt, der sowohl Voraussetzung für die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen, allen voran seiner KMU, als auch Anziehungspunkt für Im- und Exporte aller anderen Weltregionen darstellt. Diese Stärke gilt es, auszubauen und gezielt einzusetzen, denn nur ein wirtschaftlich starkes Europa ist ein politisch starkes Europa, das Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt gewährleistet und seine Interessen, Standards und Werte in der Welt einbringen und verteidigen kann. Europas Stimme in der Welt stärken ▪ Außen- und Sicherheitspolitik Europa muss international mit einer Stimme sprechen und gegenüber Partnern wie Wettbewerbern geschlossen auftreten. Ein erster wichtiger Schritt wäre, das Prinzip der Einstimmigkeit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch Mehrheitsentscheidungen zu ersetzen. Dies würde die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU deutlich stärken. Notwendige Bedingung für die Stärkung der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit sind aber - neben dem politischen Willen und angemessenen institutionellen Strukturen - entsprechende eigene technologische Fähigkeiten - sowohl militärisch als auch zivil. Diese bilden die unabdingbare Grundlage dafür, kritische Abhängigkeiten zu reduzieren und stattdessen globales Gestaltungspotenzial zu schaffen. Die EU wird künftig zahlreiche sicherheitspolitische Herausforderungen nur unter Rückgriff auf eigene ökonomische, militärische und politische Fähigkeiten bewältigen können. Zwar bleiben die USA weiterhin der engste Verbündete der EU; ihre Rolle als Ordnungsmacht und verlässlicher Partner nehmen sie aber immer weniger wahr und erwarten einen stärkeren europäischen Beitrag. Die globalen Marktgewichte und traditionellen politischen Machtpole verschieben sich zunehmend, die Systemkonkurrenz zwischen den Rivalen USA und China verschärft sich. Inner- und zwischenstaatliche Konflikte destabilisieren die direkte Nachbarschaft Europas, während das Vereinigte Königreich aus der Union ausgetreten ist. Die für die EU fundamentale regelbasierte multilaterale Ordnung wird somit von vielen Seiten herausgefordert. Die Union muss ihre politische Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts aufrechterhalten bzw. hinreichend Geltung verschaffen. Neben dem politischen Willen bedarf es dafür entsprechender Fähigkeiten, Prozesse, Instrumente und Mechanismen. Europa muss sich der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Handlungskraft seiner Nationalstaaten stärker bewusstwerden und aus seiner Rolle des "global payer" zum „global player“ werden. Wichtige Vorhaben sind in diesem Kontext die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, der anlaufende Europäische Verteidigungsfonds/EDF, die Space Strategy und der Strategische Kompass, der im Frühjahr 2022 vorgestellt werden wird. Diese Komponenten bauen aufeinander auf und müssen voll funktionsfähig gemacht werden, um der EU einen außen- und sicherheitspolitischen Schub hin zu mehr Autonomie und Souveränität zu geben.
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▪ Handelspolitik Ein weiteres wichtiges Feld zur Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit ist die Handelspolitik. Die Europäische Kommission hat hierzu eine Strategie mit der richtigen Stoßrichtung verabschiedet. Eine offene, nachhaltige und durchsetzungsfähige Handelspolitik auf europäischer Ebene ist auch das Ziel der deutschen Industrie. Europa muss auf offene Märkte und multilaterale Zusammenarbeit setzen und internationale Führungsstärke und werteorientiertes Engagement zeigen, um die eigenen Interessen durchzusetzen und sich wettbewerbsfähig und robust zu positionieren. Allerdings droht die europäische Handelspolitik an zu hohen politischen Ansprüchen und einer Überfrachtung an Erwartungen aus Bereichen wie Umweltschutz, Soziales und Menschenrechte zu scheitern. Auch die Hürden für das Auslandsengagement europäischer Unternehmen, zum Beispiel durch immer neue Sorgfalts- und Berichtspflichten, könnten in den nächsten Jahren gewaltig steigen. Die EU darf die Öffnung von Schlüsselmärkten sowie die Schaffung wettbewerbsfähiger Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen zuhause und auf Drittmärkten nicht hinter anderen Politikzielen zurückstellen. Wir benötigen einen ausgewogenen Ansatz bei der Verhandlung und Ratifizierung von Handels- und Investitionsabkommen, der unsere Wirtschaftspartner respektiert, Anreize und Kooperation fördert und nicht abschreckt. Transparenz, Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft und klare Verfahren sind elementar. Allerdings ist genauso elementar für die Handlungsfähigkeit und Legitimität der europäischen Handelspolitik, dass dieser Politikbereich entsprechend den Verträgen und einschlägiger Urteile des Europäischen Gerichtshofes in ausschließlicher Kompetenz der EU bleibt. Die Ratifizierung von Handels- und Investitionsabkommen, für die die Kommission von den Mitgliedstaaten mandatiert wird, kann und muss ausschließlich durch die europäischen Gesetzgeber erfolgen und darf nicht nachträglich durch einzelne Mitgliedstaaten verzögert oder blockiert werden. Andernfalls leidet die Glaubwürdigkeit Europas als Verhandlungs- und Vertragspartner auf internationaler Ebene.
Voraussetzungen für eine starke EU Europas Gewicht in der Welt beruht weder auf der Bevölkerungszahl, seiner Größe noch auf militärischer Macht, sondern – ungeachtet der historischen und kulturellen Rolle – vor allem auf seiner Wirtschaftskraft. Um international relevant zu bleiben und Weltpolitikfähigkeit zu erlangen, muss die EU daher auf ihrer wirtschaftlichen Stärke aufbauen und diese gekonnt als tragende Säule der eigenen globalen Handlungsfähigkeit einsetzen und nutzen. Industriepolitik Die EU benötigt zunächst eine Industrie- und Wirtschaftspolitik, die den Standort Europa stärkt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sichert und die Voraussetzungen für den Erfolg des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells schafft. ▪
Alle Politikfelder auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichten
Die EU-Institutionen sollten alle Politikfelder auf die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ausrichten („Industrie-Mainstreaming“) und die Perspektive industrieller Wettbewerbsfähigkeit frühzeitig in umwelt-, klima- und verbraucherpolitische Diskussionen einbringen.
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Industrieziel 2030 und konkreten industriepolitischen Maßnahmenplan entwickeln und umsetzen
Die EU sollte sich neben dem Klimaziel auch ein ambitioniertes Industrieziel für 2030 setzen und dieses durch ein Indikatoren-Set ergänzen, das ein quantitatives Monitoring der industriellen Entwicklung Europas im globalen Vergleich ermöglicht. Die EU-Industriestrategie muss zudem von einem konkreten Maßnahmenplan begleitet werden, über dessen Umsetzung die EU-Kommission den Mitgliedstaaten regelmäßig im EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat Bericht erstattet. ▪
Klima- und Industriepolitik in Einklang bringen
Die erhöhten klimapolitischen Ambitionen der EU müssen mit Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze in Einklang gebracht werden. Die „grüne Transformation“ kann nur mit einer starken Wirtschaft gelingen. Nur dann wird sie auch Nachahmer in anderen Teilen der Welt finden. ▪
Digitale Transformation als Innovationstreiber verstehen
Eine erfolgreiche Industriestrategie muss von einer starken Innovations- und Digitalpolitik flankiert werden. Europas digitale Souveränität sollte entschieden vorangetrieben werden. Dabei muss Europa seine Kräfte bei der Förderung von Schlüsseltechnologien bündeln, um auf internationaler Ebene konkurrenzfähig zu bleiben. Digitale Technologien sind auch als Katalysator zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu nutzen. ▪
Schlüsseltechnologien fördern, Industriepolitik mit europäischen Sicherheitsinteressen verzahnen
Die Förderung und der Ausbau von Schlüsseltechnologien im europäischen Verbund durch Forschung und Entwicklung sind für den Ausbau der europäischen Handlungsfähigkeit von elementarer Bedeutung. Es bedarf daher der gemeinsamen Abstimmung eines strategischen, gesamtindustriellen Ansatzes, an dem die europäischen Industriepartner gemeinsam mitwirken. Zivile und militärische Forschung und Förderung bedürfen einer besseren Abstimmung, um Synergieeffekte zu schaffen und umzusetzen. Auch der Ausbau gemeinsamer Rüstungsprojekte wie der Eurodrohne, des „Future Combat Air System“ (FCAS) und des „Main Ground Combat System“ (MGCS) sind von großer strategischer Relevanz und brauchen starke politische Unterstützung. ▪
Rohstoffversorgung sicherstellen
Der sichere Zugang zu Rohstoffen ist von enormer Bedeutung für den Erhalt der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Europas, für Klimaschutztechnologien und für die Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen wie Energiewende, Elektromobilität und Digitalisierung. Es braucht eine Stärkung der gemeinsamen Anstrengungen auf europäischer Ebene für eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung. Die EU muss hierfür verlässliche Rahmenbedingungen schaffen und sich stärker für internationale Handelsabkommen, die Einhaltung internationaler Vereinbarungen und den freien Zugang zu Rohstoffen einsetzen. ▪
Raumfahrt als strategischen Schlüsselsektor stärken
Im digitalen Zeitalter ist Raumfahrt Schlüssel für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0 und Big Data-Anwendungen. Eine zunehmend datenbasierte und vernetzte Industrie- und
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Informationsgesellschaft ist darauf angewiesen, über die kritischen Infrastrukturen und Dienste jederzeit selbstbestimmt zu verfügen. Auch für die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Handlungsfähigkeit und die strategische Souveränität der EU ist Raumfahrt unabdingbar. Zudem ist sie Teil der Lösungen für den globalen Umwelt- und Klimaschutz und für mehr Nachhaltigkeit. Europa braucht in der Raumfahrt eine stärkere Ausrichtung an marktwirtschaftlichen Prinzipien, wettbewerbsorientierte Projektvergaben, staatliche Ankerkundenaufträge für Unternehmen und eine Stärkung des New Space-Ökosystems. Binnenmarkt Neben dem jahrzehntelangen Frieden in Europa ist der Binnenmarkt die größte Errungenschaft der Europäischen Union. Er ist aber nach wie vor unvollendet. Eine Wiederherstellung des Binnenmarkts nach Ende der Corona-Pandemie allein reicht nicht. Die Vertiefung des Binnenmarkts in allen Bereichen – insbesondere für Energie, Dienstleistungen und Digitales – muss zu einem zentralen Zukunftsprojekt der EU ausgebaut werden. Abgesehen vom finanziellen und bürokratischen Aufwand, den unnötige Barrieren im Binnenmarkt für europäische Bürger und Unternehmen mit sich bringen, ist ein möglichst schrankenloser Binnenmarkt auch Voraussetzung dafür, dass europäische Unternehmen sich zu global wettbewerbsfähigen Akteuren entwickeln können. Klimapolitik Der Green Deal muss mit einem klugen Ordnungsrahmen hinterlegt werden. Die Umsetzung der neuen Klimaziele gelingt nur mit einem ganzheitlichen, in sich konsistenten EU-Instrumentenmix. Entsprechend mutige Weichenstellungen hat die EU-Kommission mit der Vorlage ihres Fit for 55-Pakets im Sommer 2021 für zentrale Fragen wie die Reform des Emissionshandels, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwertschöpfungsketten sowie die Modernisierung des EU-Beihilferechts vorgenommen. Europas Zukunftsfähigkeit steht und fällt mit einer verlässlichen CO2-Bepreisung auf EU- und globaler Ebene. Es ist richtig, in der Ausweitung des EU-Emissionshandels auf Gebäude und Straßenverkehr auf getrennte Systeme zu setzen. Wichtig ist, dass die Energiesteuerrichtlinie Anreize für CO2-neutrale Energieträger und Erleichterungen für Wasserstoff vorsieht. Die Industrie erwartet von Brüssel tatkräftige Rückendeckung im globalen Rennen um beste Klimaschutzlösungen, damit aus dem EU-Green-Deal eine echte Wachstumsstrategie werden kann. Ein verbesserter Carbon Leakage-Schutz ist unerlässlich, um europäische Unternehmen nicht zu benachteiligen. Es bedarf daher konsequenter Verhandlungen zum vorgeschlagenen Fit for 55-Maßnahmenpaket, damit in sich stimmige Rahmenbedingungen und eine faire Wettbewerbssituation für die Unternehmen gewährleistet werden können. Die EU kann den Klimawandel nicht allein aufhalten. Deshalb braucht es internationale Nachahmer. Die werden nur zu ähnlich ambitioniertem Vorgehen bereit sein, wenn unsere Industrie trotz Dekarbonisierung global wettbewerbsfähig bleibt. Europäische Klimaschutzlösungen können und müssen zum Exportschlager werden. Die Politik muss Unternehmen einen verlässlichen Rahmen geben, der die immensen notwendigen Investitionen in klimafreundliche Prozesse und Technologien betriebswirtschaftlich attraktiv macht. Es kommt darauf an, dass nicht nur Industrie und Bürger zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden, sondern auch die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben bei der Schaffung der dafür notwendigen Infrastrukturen ambitioniert angehen. Denn Investitionen ungekannten Ausmaßes – von privater und öffentlicher Hand – sind in den nächsten Jahren erforderlich. Beispiel Markthochlauf der Elektromobilität:
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Voraussetzung dafür sind u. a. der Auf- und Ausbau von Lade- und Tankinfrastrukturen und die Versorgung mit erneuerbarem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen. Gesundheitspolitik Die Corona-Pandemie hat das Thema Gesundheit weltweit in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Es wurden und werden große Anstrengungen unternommen, um die Infektionszahlen einzudämmen und den Erkrankten zu helfen. Gleichzeitig müssen bereits jetzt die langfristigen Lehren aus der akuten Situation gezogen werden, um die Vorsorgeund Reaktionsfähigkeit heute und für die Zukunft zu verbessern. Eine intensivere Bekämpfung sowohl der COVID-19-Pandemie als auch künftiger Gesundheitskrisen bedarf einer engeren Koordinierung auf EU-Ebene. Die Europäische Kommission hat daher bereits im Herbst 2020 die ersten Schritte zur Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion eingeleitet. Mit dem Ausbau des EU-Rahmens für Gesundheitssicherheit und einer Stärkung der Rolle wichtiger EU-Agenturen soll gegen schwerwiegende, grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren vorgebeugt werden. Diese Schritte sind richtig und sollten fortgesetzt werden. Auf vielen Ebenen fehlt allerdings eine aktive Einbindung der Industrie im Gesundheitsbereich, die sich gerade in der Corona-Krise als starker Partner erwiesen hat. Dank herausragender Kooperationen zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik konnte in einem nie zuvor dagewesenen Tempo geforscht und produziert werden. Es ist notwendig, diese Kooperationen auch über die Pandemiezeit fortzuführen. Wirtschafts- und Währungsunion / Banken- und Kapitalmarktunion Die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Vollendung der Banken- und der Kapitalmarktunion mit dem Ziel der institutionellen Stärkung, der Verbesserung der Regelwerke und der Krisenfestigkeit des Euroraums bleiben Kernaufgaben der Union, in denen noch viel zu tun bleibt. Neben der Anpassung der Regeln und der Entwicklung des Euroraums selbst kommt es auch auf die Stellung des Euros im internationalen Anlage- und Finanzierungsgeschäft an. Europas monetäre und finanzielle Unabhängigkeit gilt es weiter zu festigen. Dazu muss auch die Vollendung des Finanzbinnenmarkts durch die Schaffung einer Bankenunion und die Vertiefung der Kapitalmarktunion beitragen. Zudem sind auch im Feld der nachhaltigen Finanzierung noch Herkulesaufgaben zu meistern. Gerade in diesem Bereich kommt es auf eine gelungene weltweite Abstimmung der Regelwerke an. Transparente Gesetzgebung Über alle Politikfelder hinweg sind effiziente Entscheidungsprozesse notwendig, die die Qualität des europäischen Regulierungssystems sicherstellen und auch in Zukunft gewährleisten, dass die EU weltweit als Standardsetzer agiert. ▪
Evidenzbasierte Rechtsetzung sicherstellen und Bürokratie abbauen
Faktenbasierte und transparente Rechtsetzung durch die EU-Institutionen ist Voraussetzung für die Akzeptanz von neuen Regulierungsvorhaben durch Unternehmen und Bürger. Die Europäische Kommission muss sicherstellen, dass Gesetzesvorschläge durch evidenzbasierte Folgenabschätzungen unterstützt sind und der Umsetzungsaufwand verhältnismäßig ist. Die betroffenen Interessenträger müssen stets aktiv an der Ausgestaltung neuer Maßnahmen beteiligt werden. Zudem ist ein überzeugendes Konzept zum Bürokratieabbau auf EU-Ebene notwendig. Das „One-in-One-out“ Prinzip muss neben administrativen Kosten den gesamten Erfüllungsaufwand für Unternehmen berücksichtigen. Die Ende April 2021 seitens der Kommission vorgelegte Mitteilung zur Besseren Rechtssetzung bleibt weit hinter den Erwartungen der Wirtschaft zurück.
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Trilogverhandlungen reformieren
Interinstitutionelle Trilogverhandlungen sind heute die Norm im europäischen Gesetzgebungsprozess, obwohl ihnen dafür eine klare rechtliche Basis fehlt. Die europäischen Institutionen müssen einen neuen „Modus Operandi“ finden, um die vertraglich verankerten Prinzipien der Transparenz und der Teilhabe von Interessenträgern und die Anforderung eines schnellen und effizienten Gesetzgebungsprozesses in Einklang zu bringen. Grundsätzlich sollten Gesetzgebungsvorschläge das vertraglich verankerte ordentliche Rechtssetzungsverfahren durchlaufen. Im Falle von Trilogverhandlungen sind neben den Daten ebenfalls die Verhandlungspositionen von Rat und Europäischem Parlament sowie die Tagesordnungen und Protokolle der einzelnen Verhandlungsrunden öffentlich zu machen.
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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Heiko Willems Geschäftsführer BDI/BDA The German Business Representation T: +32 2 7921002 h.willems@bdi.eu
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