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Wirtschaft in EU und Europa noch resilient, aber vereinzelte Rezession kaum vermeidbar

Wirtschaft in EU und Europa noch resilient, aber vereinzelte Rezession kaum vermeidbar

Die wirtschaftliche Lage in der EU und im Euroraum ist durch eine große Kluft zwischen ein bis zum aktuellen Rand noch ziemlich resilienten Situation einerseits und starken Erwartungen einer baldigen kräftigen Eintrübung andererseits geprägt. So dürften der Euroraum und die EU in diesem Jahr mit rund drei Prozent realem Wachstum noch kräftig zulegen, jedoch im nächsten Jahr kaum noch Wachstum verzeichnen.

Die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum legte in den ersten beiden Quartalen noch kräftig zu (plus 0,6 Prozent bzw. plus 0,8 Prozent gegenüber Vorjahr.) und hielt sich sogar trotz des Energiepreis- und Inflationsschocks auch im dritten Quartal über der Nulllinie (plus 0,2 Prozent gegenüber Vorjahr.). Italien zog mit einem halben Prozent Wachstum unter den großen Ländern am stärksten an, gefolgt von Deutschland (plus 0,3 Prozent), Frankreich und Spanien (je plus 0,2 Prozent). Die Nachholeffekte in Bezug auf die Pandemie hatten den Südeuropäern eine gute Sommersaison im Tourismus beschert, und die Impulse der Aufbau- und Resilienzfazilitäten des NextGeneration EU-Programms stützen offenbar die Investitionen.

Wachstum fällt 2023 auf sehr niedriges Niveau

Es sind sich jedoch auch alle Prognostiker einig, dass die Aussichten für das vierte Quartal und das nächste Jahr für den Euroraum weniger rosig sind. Während die Europäische Kommission im Juli noch reale Wachstumsraten von mehr als einem Prozent erwartete und die EZB im September noch fast ein Prozent für möglich hielt (0,9 Prozent), sind die OECD, der IWF, unser Dachverband BusinessEurope (BusinessEurope 2022) und wir bereits bei Werten von ¼ - ½ Prozent angekommen. Wir rechnen für den Euroraum mit einer Stagnation der realen Privaten Konsumausgaben und des öffentlichen Verbrauchs und noch einem leichten Plus bei den Bruttoanlageinvestitionen.

Investitionstätigkeit wird leiden und nur schwach zulegen

Der Kosten- und Inflationsschock, die getrübten Nachfrageperspektiven in Nordamerika und die weiterhin hohe Unsicherheit in Bezug auf den Ukraine-Krieg wird unseres Erachtens die Investitionstätigkeit der Unternehmen deutlich abschwächen. So rechnet die OECD noch mit einem leichten Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen von knapp einem Prozent. Auch werden die geldpolitischen Maßnahmen zum Ende des Jahres 2023 auf die Unternehmensfinanzierung vollständig durchschlagen. Zudem kämpfen viele Unternehmen noch mit der Weitergabe erhöhter Einkaufspreise (v.a. für Energie) in die Produktpreise. Diese sind zwar schon erheblich angestiegen (um gut 40 Prozent), aber in vielen Branchen erlaubten die vertraglichen Klauseln und der internationale Wettbewerb keine weit reichende Weitergabe des Kostendrucks in die Produkt- und Endkonsumentenpreise. Diese Preisüberwälzung wird noch einige Zeit andauern, da die Absorption in der Gewinnmarge an Grenzen stößt und in vielen energieintensiven Branchen Insolvenzrisiken drastisch angestiegen sind. All dies hemmt auch die Investitionstätigkeit. In der Bauwirtschaft sind zudem die Effekte der schärferen Finanzierungsbedingungen bereits eingetreten, und der Wirtschaftseinbruch von sehr solidem Niveau aus ist heftig. Dies wird die Bauinvestitionen deutlich ausbremsen. Die öffentlichen Investitionen sollten dagegen in vielen Ländern durch die EU Aufbau- und Resilienzpläne noch fortgeführt werden und insofern die öffentliche Investitionstätigkeit stützen.

Private Haushalte müssen Kostenschock abpuffern und schränken Ausgaben ein

Zudem werden die realen Konsumausgaben von dem Kostenschock und dem realen Kaufkraftverlust ausgebremst. Das Verbrauchervertrauen ist im Euroraum seit dem Sommer 2021 kräftig zurückgegangen. Eine weitere deutliche Abfederung durch niedrigere Sparquoten halten wir nicht für sehr wahrscheinlich, weil diese schon stark gesunken sind und die Haushalte zunehmend ihre Ausgaben einschränken. Insofern werden die realen Konsumausgaben seitwärts tendieren.

Heterogene Entwicklung bei den Mitgliedstaaten

Auch bei den meisten großen Volkswirtschaften des Euroraums sieht es mau aus: Deutschland dürfte einen spürbaren Einbruch der Wirtschaftsaktivität erleben. Frankreich und Italien werden wohl wirtschaftlich stagnieren, oder noch mäßiges Wachstum erleben (OECD 2022, BusinessEurope 2022, Confindustria 2022). An der Peripherie Europas sieht es etwas besser aus: Spaniens Wirtschaft ist etwas geringer von der Energiekrise betroffen und dürfte noch mit 1½ Prozent wachsen. Die meisten Länder Ost- und Mitteleuropas dürften noch leichtes Wachstum aufweisen, allein für Ungarn wird eine kräftige Rezession weithin erwartet.

Frankreich durchläuft schwaches Jahr 2023

Frankreichs Wirtschaft ist aufgrund der Wirtschaftsstruktur und des Energiemixes nicht ganz so hart getroffen wie Deutschland und Italien und hat schon frühzeitig preisbasierte Stützungsmaßnahmen eingeführt und dies jüngst mit gezielteren Maßnahmen für Haushalte und Unternehmen ergänzt. Dies hat die Inflationsentwicklung unter dem Schnitt gehalten und für ein noch solides Wachstum von 2½ Prozent in diesem Jahr gesorgt. Die Kaufkraftverluste der privaten Haushalte und die Kostenbelastung der Unternehmen werden jedoch zu sehr niedrigen Zuwächsen bei realen Konsumausgaben und Investitionen im nächsten Jahr sorgen. Vom Außenhandel werden kaum Impulse ausgehen.

Italien muss in die Stagnation

Italien ist aufgrund der Deutschland sehr ähnelnden Wirtschafts- und Energiestruktur hart von dem Energieschock getroffen worden. Die Regierung von Mario Draghi hat rasch Stützungsmaßnahmen im Volumen von drei Prozent des BIP auf den Weg gebracht und rasch alternative Energielieferungen vereinbaren können. Aufgrund des großen Aufbau- und Resilienzplans im Land sind die öffentlichen Investitionen stark angelaufen (um gut einen Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung zusätzlich), wenn auch Verzögerungen gegenüber Plan festzustellen sind. Der Inflationsdruck im Land ist jedoch hoch, und die üblichen Effekte auf Konsum- und private Investitionsausgaben, insbesondere der energieintensiven Unternehmen, sind breit festzustellen. Zudem haben sich die Energiekosten für Unternehmen in diesem Jahr mehr als verdoppelt (Confindustria 2022). So schwächten sich die Industrieproduktion und die Einzelhandelsumsätze schon kräftig seit dem Sommer ab. Immerhin boomte der Sommertourismus. Aufgrund der hohen Staatsverschuldung und des stark angestiegenen Spreads zu Deutschland verteuern sich die Kredite für italienische Unternehmen und Haushalte kräftig, auch wenn die EZB mit dem Transmissionsschutzinstrument über Möglichkeiten verfügt, spekulative Attacken einzuhegen. Dieser Anstieg ist nicht in einer Verschlechterung der fiskalischen Kennziffern begründet. Vielmehr wurden die Stützungsmaßnahmen vorwiegend aus inflationsbedingten Mehreinnahmen finanziert, und die Schuldenquote dürfte inflationsbedingt um fast fünf Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung fallen und auch 2023 nicht steigen. Ob und inwiefern die Regierung Meloni eine etwas expansivere Finanz-

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