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Strategie für Wirtschaftssicherheit Europa braucht mehr als Handelskontrollen.
11. Oktober 2023 Wenig strategisch und eine verpasste Chance Ende Juni 2023 haben die Europäische Kommission (KOM) und der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ihre Kommunikation für eine Strategie für Wirtschaftssicherheit veröffentlicht. Hauptmerkmal der Strategie ist die Betonung von Handelskontrollinstrumenten zur Erhöhung der wirtschaftlichen Sicherheit. Unstreitig ist die Notwendigkeit einer solchen Strategie, weil Interdependenz in einer Welt globalisierter Handelsströme Verwundbarkeiten geschaffen hat, die zweifellos adressiert werden müssen. Insofern sind diese Bemühungen zu begrüßen. Es fehlt eine positive Agenda Gleichzeitig fehlt der Strategie eine positive Handelsagenda, weshalb sie statisch und unflexibel erscheint. Es muss um den politischen Anspruch gehen, eine vollumfängliche Strategie zu entwickeln, die Handelskontrollen, deren Kosten und eine zur Diversifizierung europäischer Interdependenz dringend notwendige Marktöffnung integriert zusammendenkt. Die Strategie für Wirtschaftssicherheit in ihrer derzeitigen Form formuliert Ansprüche besonders an die Handelskontrolle. Ihr fehlt jedoch eine positive Agenda, um Europa die wirtschaftliche Flexibilit ät zu geben, um einer „weaponized interdependence“ sinnvoll zu begegnen. Schlimmer noch: Einer Analyse der Denkfabrik ECIPE zufolge wird im Jahr 2035 der wirtschaftlich messbare zwischen der EU und den USA dem Unterschied zwischen Ecuador und Japan entsprechen. Der Strategie fehlt damit grundsätzlich die Erkenntnis, dass auch in den internationalen (Wirtschafts-)Beziehungen Masse immer auch Klasse ist. Der BDI wird vor dem Hintergrund der genannten Defizite die Entwicklung sinnvoller Schutzinstrumente konstruktiv begleiten. Wir werden aber auch und mit Nachdruck auf eine positive Wirtschaftsagenda als integralem Bestandteil von Europas Wirtschaftssicherheitsstrategie bestehen.
Matthias Krämer | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1562 | m.kraemer@bdi.eu | www.bdi.eu Dr. Nikolas Keßels | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1518 | n.kessels@bdi.eu | www.bdi.eu
Strategie für Wirtschaftssicherheit
Inhaltsverzeichnis Wenig strategisch und eine verpasste Chance ............................................................................ 1 Wirtschaftssicherheit ..................................................................................................................... 3 Prioritäten der Strategie................................................................................................................. 3 Detailbewertung der EU-Wirtschaftssicherheitstrategie .............................................................. 3 „Partnering on Economic Security“ ....................................................................................................3 Digitale Aspekte der Economic Security ............................................................................................4 Schutz kritischer Infrastruktur ............................................................................................................4 Rohstoffpolitische Vorhaben ..............................................................................................................5 Global Gateway ................................................................................................................................5 Ausfuhrkontrolle und doppelverwendungsfähige Güter ......................................................................6 Outbound Investment Screening .......................................................................................................6 Fazit ................................................................................................................................................ 7 Impressum...................................................................................................................................... 8
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Wirtschaftssicherheit Die Strategie bedient sich intensiv des Vokabulars von Schutz und Abwehr und wird damit einem integrierten und vollumfänglichen Sicherheitsverständnis, wie ihn die Bundesregierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie verwendet, aufgrund fehlender wirtschaftlicher Perspektiven kaum gerecht. Aus Sicht der Industrie ist dies eine verpasste Chance, da gerade die KOM zu Fragen der Standort-, Industrie- und Handelspolitik ein explizites politisches Mandat besitzt. Es ist daher unklar, warum der Strategie die richtige Balance aus „keeping your foes at a distance while running faster” fehlt. Stattdessen stellt die KOM am Beginn der Strategie fest: „[…] only by completing traditional approaches to national security with new measures to safeguard our economic security can we ensure our prosperity, sovereignty and safety in the current age.” Die Verbindung von nationalen Sicherheitszielen und Wohlstand wird – jenseits eines abstrakten Schutzgedankens – im Rahmen der Strategie nie sinnvoll geklärt. Wohlstand ist damit für die KOM keine bedrohte Variable, sondern eine Konstante derer man sich in politischen Konflikten bedienen kann. Offensichtlich versucht die KOM wirtschaftspolitische Fragen zu „versicherheitlichen“ – also nahezu exklusiv mit den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik zu verbinden. Das ist bedauerlich, denn besonders die KOM sollte in einem strategischen Ansatz auf klassische wirtschaftspolitische Instrumente zur Förderung von Standort und Industrie zurückgreifen.
Prioritäten der Strategie Die obige Kritik ermöglicht eine eigenständige Evaluation der Prioritäten der KOM im Rahmen der vorgelegten Strategie. Diese Prioritäten sind „Promoting“, „Protecting“ und „Partnering“. Dieser konzeptionelle Dreiklang hat das Potenzial, im Angesicht von Herausforderungen und Möglichkeiten globaler wirtschaftlicher Interdependenz neue Antworten für Europas Platz in der Welt zu formulieren. Leider legt die KOM den Fokus eindeutig auf Wirtschaftssicherheit und Gefahrenabwehr. Selbstverständlich sind die Identifikation und Analyse von Risiken wichtig. Doch fehlt der Strategie durch diese einseitige Gewichtung ein Konzept für wirtschaftliches Wachstum und für eine Diversifikation von Bezugs- und Absatzmärkten. Es muss darum gehen, positive Anreize für kooperatives Verhalten mit möglichen Handelspartnern zu setzen, Ausweichmöglichkeiten in geopolitischen Stresssituationen zu bieten und damit Maßnahmen zur Sicherstellung wirtschaftlicher Stabilität und Resilienz auch als Marktöffnungspolitik zu verstehen. Im Folgenden bewertet der BDI die einzelnen substanziellen Vorhaben der KOM.
Detailbewertung der EU-Wirtschaftssicherheitstrategie „Partnering on Economic Security“ Wie schon erwähnt, wirken die Ausführungen zur Priorität „partnering“ wenig ausgewogen, da diese auf Sicherheitsfragen rekurriert und weniger eine handelspolitische Stärkung zum Ziel hat. Einzig den U.S.-EU Trade and Technology Council, der von wirtschaftsbeteiligten Stakeholdern aufgrund lediglich zaghafter Fortschritte kritisch gesehen wird, führt die KOM als positives Beispiel handelspolitischen Austauschs an. Freihandelsabkommen (FTA) werden im gesamten Dokument dreimal erwähnt und nur im Zusammenhang mit einem sogenannten „geoökonomischen Werkzeugkasten.“ Das ist zumindest missverständlich formuliert, weil FTA regelbasierten Handel sicherstellen sollen. Ganz ausdrücklich handelt es sich
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dabei nicht um ein Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Auch verpasst die KOM die Chance, auf die Schwierigkeiten bei der Verhandlung und Ratifikation neuer Abkommen einzugehen. Die politische Komplexität von Marktöffnungsprozessen werden weder adressiert, noch werden politisch neue oder gar kreative Lösungsansätze vorgeschlagen. Digitale Aspekte der Economic Security Cybersecurity (Technology Security) Der BDI begrüßt, dass die KOM darauf besteht, die EU müsse für internationale Kooperationen im Bereich von Research and Innovation offenbleiben. Die EU kann bereits in begründeten Einzelfällen Drittstaaten von der Teilnahme an R&I-Programmen oder Programmen zum Aufbau von „[…] digital capacities deployment projects […]“ ausschließen, sobald strategische Interessen betroffen sind. Hier ist es wichtig, den schwierigen Balanceakt zwischen notwendiger Innovation durch internationale Forschungskooperation einerseits und Sicherheitsinteressen andererseits zu halten. Der Ausschluss von Drittstaaten sollte daher nur in begründeten Einzelfällen erfolgen. Standardisierung ist ein weiterer wichtiger Hebel, um Europas wirtschaftliche Sicherheit zu schützen. Ziel sollte es sein, die Rolle der EU bei der Schaffung internationaler Standards zu stärken. Auch den von der KOM vorgeschlagenen EU Cyber Resilience Act, der Anforderungen an die Cybersicherheit für alle Produktkategorien einführen wird, begrüßt die deutsche Industrie. 5G-Toolbox Digitale Infrastrukturen sind das Rückgrat der digitalen Transformation. Ihre Belastbarkeit und Integrität muss vor dem Einfluss von Drittstaaten geschützt werden. Wenn ein Hersteller die technischen, politischen und rechtlichen Kriterien der EU und der Bundesregierung nicht erfüllt, muss er von der Beteiligung am Aufbau des 5G-Netzes ausgeschlossen werden. Die deutsche Industrie begrüßt daher grundsätzlich den Rahmen der 5G-Toolbox. Den Telekommunikationsanbietern fehlen allerdings oft die notwendigen nachrichtendienstlichen Informationen, um die Angaben der Anbieter und deren Vertrauenswürdigkeit zu verifizieren. Sollte die Bundesregierung beschließen, einen bestimmten Anbieter zu verbieten, wäre eine ausreichend lange Übergangsfrist erforderlich. Außerdem würde der Austausch von Komponenten eines Anbieters knappe Ressourcen binden, die dann nicht mehr für den Bau neuer Infrastrukturprojekte zur Verfügung stünden. Schutz kritischer Infrastruktur Der BDI begrüßt, dass die KOM die Definition von kritischen Infrastrukturen sehr weit gesetzt hat und hierin auch die sichere und zuverlässige Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen in der EU berücksichtigt. Notwendig erscheint ein ganzheitlicher Ansatz: Weder kriminelle Angriffe noch staatlich gesteuerte Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage unterscheiden physisch und digital. Diese Angriffsvektoren werden systematisch und synergetisch miteinander verknüpft. Angesichts der gerade im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zunehmenden Gefahr von hybriden Bedrohungen, bedarf es einer engen Verschränkung der Maßnahmen zum Schutz vor analogen und digitalen Gefahren im europäischen und nationalen Rechtsrahmen. Ein klarer Fokus muss dabei auf der Verhinderung von Doppelregulierung liegen. Die Einheitlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Transparenz der Verpflichtungen für die Wirtschaft muss auf europäischer und nationaler Ebene zwingend sichergestellt werden. Eine konvergente, abgestimmte Regelungslage
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national (ITSiG / Nationale Cybersicherheitsstrategie einerseits, KRITIS-Dachgesetz / Nationale Sicherheitsstrategie andererseits) wie europäisch (NIS / CRA einerseits, Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen (CER) andererseits) ist erforderlich, um den optimalen Schutz der Infrastruktur zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund zahlreicher nationaler und europäischer Regulierungsinstrumente, die sich teilweise überlappen oder widersprechen, braucht es hier dringend eine bessere Abstimmung zwischen nationaler (deutscher) und europäischer Politik. Rohstoffpolitische Vorhaben Die Strategie verweist allgemein auf das Risiko, dass hoch konzentrierte Lieferketten sowie einseitige Abhängigkeiten die strategischen Handlungsoptionen Europas beschneiden. In diesem Zusammenhang wird explizit Bezug genommen auf den Chips Act, den Net Zero Industry Act sowie den Critical Raw Materials Act. Mit diesen Initiativen will die EU-Kommission einerseits die Resilienz der Lieferketten erhöhen und andererseits wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen unterbinden. Als zentrale Instrumente werden in diesem Zusammenhang der Critical Raw Materials Act, Rohstoff-Partnerschaften sowie der Raw Materials Club definiert. Die angekündigten Lieferketten-Stresstests sind mit Vorsicht zu genießen. Sie bergen verschiedenste Herausforderungen (höhere Komplexität in der Industrie als im Finanzsektor, Lieferketten-Intransparenz durch Betriebsgeheimnisse oder konfligierende Gesetzgebung, Vertraulichkeit von Daten, unverhältnismäßiger bürokratischer Aufwand etc.). Obwohl das Strategiepapier nur einen strukturierten Dialog mit dem Privatsektor vorsieht, welcher neben einem gemeinsamen Verständnis über wirtschaftliche Sicherheit die Unternehmen zur Sorgfalt und zum Risikomanagement ermutigen soll, sind weitergehende Pflichten für Unternehmen nicht auszuschließen. Solche möglicherweise neu hinzukommenden Sorgfalts-, Risikomanagement- und Berichtspflichten für Unternehmen, die detailliert Lieferketten analysieren, um gegebenenfalls daraus verpflichtend ein Derisking bestimmter Handelsbeziehungen abzuleiten, würden einen weitreichenden Eingriff in die unternehmerischen Freiheiten darstellen – ohne notwendigerweise einen risikomindernden Effekt zu haben. Daher muss die Entwicklung eines Instrumentariums zur Erhöhung der wirtschaftlichen Sicherheit in enger Absprache zwischen Politik und Industrie erfolgen. Global Gateway Aus Sicht der deutschen Industrie ist die Global Gateway-Initiative der EU ein zentraler Baustein für neue strategische Partnerschaften und eine wirtschaftliche Diversifizierung. Es liegt im wirtschaftlichen und politischen Eigeninteresse der EU, den Entwicklungsländern attraktive Angebote für den Ausbau der Infrastruktur und die Bewältigung des Klimawandels zu machen, die an ihre Bedürfnisse angepasst sind und die europäischen Standards und Werte berücksichtigen. Deshalb ist es wichtig, dass Global Gateway Teil der wirtschaftlichen Sicherheitsstrategie der EU ist. Es reicht jedoch nicht aus, Global Gateway auf ein Garantieinstrument zu beschränken. Erforderlich ist die Bereitschaft der EU und der Mitgliedstaaten, sich an der Finanzierung von Infrastrukturprojekten zu beteiligen, und zwar im Wettbewerb mit den Finanzierungs- und Garantieinstrumenten anderer Länder. Die Global Gateway Initiative muss konkrete Projekte mit Vorteilen für beide Seiten realisieren. Die deutsche Industrie steht bereit, solche Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Die EU-Kommission arbeitet derzeit daran, die Privatwirtschaft stärker in die Steuerung und Umsetzung von Global Gateway einzubinden. Es ist jedoch nur bedingt hilfreich, wenn neue Strukturen geschaffen werden, wir aber nicht vom „Reden zum Handeln“ kommen.
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Ausfuhrkontrolle und doppelverwendungsfähige Güter Im Kapitel „Better EU coordination on export controls of dual-use items” fällt zunächst auf, dass eine Definition dessen fehlt, wie genau doppelter Verwendungszweck außerhalb der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen aussehen soll. Die implizite Übernahme des eklektisch angewandten US-amerikanischen Ansatzes zur Identifikation von Zukunfts- und Basistechnologien wird in der Strategie gleichgesetzt mit dem rechtsnormativen Konzept doppelverwendungsfähiger Güter. Eine Erklärung hierzu erfolgt nicht. Dual-Use Güter können bisher entweder einen zivilen oder einen militärischen Zweck erfüllen. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn sie ist Grundlage für die nachgeordneten betrieblichen und behördlichen Ausfuhrgenehmigungsverfahren und damit für das Funktionieren von Ausfuhrkontrollen. Einen doppelten Verwendungszweck haben solche Güter, bei denen die konkreten Spezifikationen einer Bestellung entweder auf eine kontrollierte oder auf eine nicht kontrollierte Verwendung schließen lassen. Die Spezifikation einer Bestellung lässt daher – in Kombination mit dem Endverwender – plausibel auf eine kontrollierte oder nicht kontrollierte Endverwendung schließen. Es stellt sich daher bei der nun vorliegenden Verwendung des Begriffs „dual-use“ die Frage nach dem Anwendungsbereich. Nach bisherigem Stand wäre eine Liste solcher Güter wohl denkbar. Allerdings bleibt unklar, aus welchem Regime sich diese Liste speisen würde und welche weiteren Märkte und Jurisdiktionen in die Listungsprozesse eingebunden wären. Aus Sicht der Industrie droht bei EU-autonomen Kontrollen ein hohes Arbitrage-Risiko. Outbound Investment Screening Die Einführung von staatlichen Kontrollen für Auslandsinvestitionen wäre ein erheblicher Eingriff in unternehmerische Entscheidungen und internationale Investitionsströme. Deutsche Unternehmen erschließen mit ihren ausländischen Direktinvestitionen weltweit neue Absatzmärkte. Auch dies stärkt die deutsche Wirtschaft, sichert Arbeitsplätze und fördert den Wohlstand. Der BDI lehnt die Einführung von staatlichen Kontrollen für Auslandsinvestitionen daher grundsätzlich ab. Ein etwaiger Technologieabfluss in sicherheitskritischen Bereichen sollte effektiv durch das Instrument der Ausfuhrkontrolle verhindert werden, da schon bisherige Güterkontrollen auch Technologietransfers berücksichtigen können. Im Vergleich zur Kontrolle ganzer Investitionen wäre dies zudem ein weniger invasiver Eingriff in den Markt. Der BDI regt daher an, zunächst die bestehenden Mechanismen auf EU- und nationaler Ebene zu bewerten, bevor die Einführung strengerer Bedingungen zur Überprüfung von europäischen Investitionen im Ausland in Betracht gezogen wird. Grundsätzlich sollten die bestehenden Instrumente Zeit bekommen, um gründlich angewendet und evaluiert zu werden. Wo bestehende Instrumente möglicherweise nicht ausreichen, sollte zunächst herausgearbeitet werden, warum diese nicht greifen. Nur in Ausnahmefällen, wenn ernsthafte Sicherheitsbedenken tatsächlich nachgewiesen werden, könnte ein staatlicher Kontrolleingriff ein letztes Mittel sein. Der Privatsektor sollte jedenfalls konsultiert werden, um sicherzustellen, dass die beschlossenen Maßnahmen wirksam sind und die Wettbewerbsfähigkeit so wenig wie möglich beeinträchtigen.
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Fazit Die Strategie für Wirtschaftssicherheit in ihrer derzeitigen Form formuliert Ansprüche besonders an die Handelskontrolle. Ihr fehlt jedoch eine positive Agenda, um Europa die wirtschaftliche Flexibilität zu geben, um einer „weaponized interdependence“1 sinnvoll zu begegnen. Darüber hinaus fehlt der Anspruch, die Auswirkungen (a) von Handelskontrollen und (b) vom Umbau ganzer Lieferketten zu bemessen und diese Erkenntnisse mit einer strategischen Handelspolitik zu verbinden, welche relevante Märkte öffnet, Diversifizierung ermöglicht und Resilienz erhöht. Letztens fehlt ebenfalls ein Konzept, wie durch attraktive Standortbedingungen und eine zukunftsgewandte Industriepolitik Anreize für wirtschaftliche Kooperation gesetzt werden. Kurzum: Abwehrinstrumente werden geplant, weitere angekündigt, doch die entstehenden Kosten werden weder benannt noch Ausweichmöglichkeiten für kontrollierte Wirtschaftsströme identifiziert. Diese Feststellung ist auch vor dem Hintergrund der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen fatal. So bemerkten Frederik Erixon, Oscar Guinea und Oscar du Roy im July 2023: „Das Pro-Kopf-BIP der EU und der USA verhielt sich bis zum Jahr 2000 ähnlich, als sich der Abstand zwischen den beiden Linien deutlich zu vergrößern begann. Diese Entwicklung setzte sich fort und wurde ab 2010 besonders akut, als das Pro-Kopf-BIP in den USA um durchschnittlich 3,4 Prozent wuchs, während das Pro-Kopf-BIP in der EU um durchschnittlich 1,6 Prozent zunahm. Ein solcher anhaltender Unterschied ist von großer Bedeutung: 2010 war das Pro-Kopf-BIP der USA um 47 Prozent höher als das der EU, während sich dieser Unterschied bis 2021 auf 82 Prozent vergrößerte.“2 Wie sollen Märkte geöffnet werden – und diese Märkte unternehmerisches Handeln ermöglichen – wenn Europa in diesen Umbruchszeiten keine guten Gründe für vertiefte Wirtschaftsbeziehungen mit alten und neuen Partnern liefert? Auf diese zentrale strategische Frage hat die Kommunikation der KOM keine sinnvolle Antwort. Das Dokument endet lediglich mit der generischen Feststellung: „The key to success will be to act in unity.” Zu solcher Einigkeit wird auch der ernsthafte Dialog mit der europäischen Wirtschaft gehören müssen. Der BDI möchte vor dem Hintergrund der genannten Defizite die Entwicklung sinnvoller Schutzinstrumente konstruktiv begleiten. Wir werden aber auch und mit Nachdruck auf eine positive Wirtschaftsagenda als integralem Bestandteil von Europas Wirtschaftssicherheitsstrategie bestehen.
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Drezner, Daniel W.; Henry Farrell, Abraham L. Newman (Hg.) (2021): The Uses and Abuses of Weaponized Interdependence. Brookings Institution Press. 2 Ferner heißt es dort: Sollte sich der derzeitige Trend des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf fortsetzen, wird das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP in den USA im Jahr 2035 96.000 US-Dollar betragen, während das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP in der EU bei 60.000 US-Dollar läge. Dies ist derselbe Unterschied im Pro-Kopf-BIP wie zwischen Japan und Ecuador heute. Und auch wenn der Unterschied zwischen den USA und der [kleineren und wirtschaftlich stärkeren Gruppe; Anm. d. Aut.] der EU-15 geringer ist, sind der Trend und die wachsende Diskrepanz sehr ähnlich.“ Siehe: Erixon, Frederik; Oscar Guinea, Oscar du Roy (2023): If the EU was a State in the United States: Comparing Economy Growth between EU and US States, European Centre for International Political Economy (ECIPE) Policy Brief No. 07/2023, pp. 14-15; URL: https://ecipe.org/wp-content/uploads/2023/07/ECI_23_PolicyBrief_07-2023_LY04.pdf (eingesehen am 24.08.2023).
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