WINGbusiness Heft 02 2024

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businessWING

ISSN 0256-7830; 57. Jahrgang, Österreichische Post AG, MZ 02Z033720 M Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure, Kopernikusgasse 24, 8010 Graz 2/24
Produktion
der Energiewende 24 Unser
für die Zukunft 19
im Zeichen
Antrieb
Kongressheft: Industrie im WandelAuswirkungen der nachhaltigen Energie- und Mobilitätswende
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Energiewende –machbar oder Irrweg

Welt und Umwelt #zusammenbringen

Mit nachhaltigen Lösungen und praktischen Services für alle.

Mit über 3.000 E-Fahrzeugen betreibt die Post die größte E-Flotte des Landes und ist am besten Wege, bis 2030 österreichweit in der Zustellung gänzlich CO₂ frei zu sein.

Um das Kerngeschäft der Post noch nachhaltiger zu gestalten, gibt’s jetzt: Post Loop. Eine neue Lösung für wiederverwendbare Verpackungen aus Holzfaserstoff und recyceltem PET. Die Post Loop-Pakete und

-Taschen können bis zu 30-mal wiederverwendet werden und verursachen schon ab der zweiten Verwendung weniger Emissionen als vergleichbare Einwegkartons. Jeder weitere Versand spart somit noch mehr CO2 Emissionen sowie Rohstoffe. Ein wundervoll einfacher Weg für Online Shops, umweltfreundlichen Versand anbieten zu können. Der Telekom anbieter Drei Österreich macht es vor und bietet Post Loop bereits in seinem Online Shop an.

VON A NACH B OHNE CO2

Aber nicht nur Verpackungen lassen sich nachhaltiger denken, sondern auch der Transport. Die Post setzt darum nach Graz nun auch in Innsbruck und Salzburg den Startschuss für emissionsfreie Zustellung. Noch heuer wird die Innsbrucker Zustellflotte vollständig auf E-Mobilität umgestellt und Anfang 2024 auch jene in Salzburg. Dort werden insgesamt 6,6 Millionen Euro investiert, um alle Pakete, Briefe, Werbesendungen und Printmedien völlig emissionsfrei zuzustellen.

Außerdem wird mit smarten Lösungen wie dem Abstellen von Paketen ebenfalls eine Menge CO2 eingespart – 2022 rund 1.347 Tonnen. Das tut sowohl der Umwelt als auch unseren Nerven gut und spart Zeit.

Mehr auf post.at

Advertorial ist CO ₂ neutral.
Dieses

60 Jahre WING-Verband und WING-Kongress 2024

Liebe Leserinnen und Leser,

Dipl.-Ing. Dr. techn. Hans-jörg Gress

WING-Präsident von 2006 bis 2024

Nachdem im Jahr 1947 das Wirtschaftsingenieurstudium an der Fakultät für Bauwesen und Architektur der Technischen Hochschule Graz eingeführt worden war, erfolgte 1963/64 die Trennung in die Studienrichtungen Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen-Bauwesen.

Am 19. März 1964 stellten fünf Proponenten in Graz den formalen Antrag zur Gründung des Österreichischen Verbands der Wirtschaftsingenieure, der heuer sein 60-jähriges Gründungsjubiläum feiert.

Seine Ziele waren stets

„ der Aufbau und die Weiterentwicklung des Berufsbildes „Wirtschaftsingenieur“ in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, und „ seinen Mitgliedern eine Plattform zu geben, die einerseits die wissenschaftliche Weiterbildung ermöglicht und andererseits die Netzwerkbildung unter den Absolventinnen und Absolventen sowie den Studierenden fördert.

Der Wirtschaftsingenieurkongress verbindet seit jeher diese beiden Ziele in vortrefflicher Weise und widmet sich vor allem den techno-ökonomischen Fragestellungen der Wirtschaft.

In diesem Jahr fand er am 24. Mai an der TU Wien statt und war ein großer Erfolg. Über 170 Teilnehmer:innen widmeten sich dem anspruchsvollen Thema „Industrie im Wandel - Auswirkungen der nachhaltigen Energie- und Mobilitätswende“. Wir stehen vor der großen Herausforderung unser Wirtschaftssystem zu defossilieren, um den Ausstoß von CO2 zu reduzieren. Die Industrie muss einen Wandel vollziehen und wir Wirtschaftsingenieure sind angehalten diesen mitzugestalten, nüchtern, faktenbasiert, ganzheitlich in der Analyse und Umsetzung.

Die Auswirkungen dieses Veränderungsprozesses werden technisch, betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich

gravierend sein. Zwei Aspekte greife ich heraus, um die Dimension sichtbar zu machen.

Erstens: Gemäß dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz sollen in Österreich bis 2030 zusätzlich 27 TWh Strom pro Jahr aus alternativen Quellen erzeugt werden, wobei 11 TWh von Photovoltaik, 10 TWh aus Windenergie, 5 TWh aus Wasserkraft und 1 TWh aus Bioenergie stammen sollen. Die Jahreserzeugung des Donaukraftwerks von Ybbs-Persenbeug beträgt 1,34 TWh. Es braucht also die Dimension von 4 mal Ybbs-Persenbeug um das Wasserkraft-Ziel bis 2030 zu erreichen. Für die Realisierung des Windkraftziels benötigt es zusätzlich ca. 1.400 3 MW-Windturbinen, für das Photovoltaikziel eine Fläche von mehr als 90 km2 bzw. 1 Million Dächer.

Wie kann das alles bis 2030 realisiert werden? Die Politik postuliert die Ziele, die Umsetzung mit den dafür notwendigen Rahmenbedingungen, Maßnahmenplanungen und Investitionen wird im Detail jedoch nicht ausgearbeitet. Wurden die Dinge zu Ende gedacht?

Ein zweiter Aspekt: Die Voestalpine wird ihre Hochöfen auf Elektrolichtbogenöfen umstellen. Der dafür notwendige Energiebedarf beträgt etwa die Hälfte der derzeitigen Stromerzeugung in Österreich. Welche Energieversorgungsstrategie ist hiefür geplant?

Wir haben für die Energiewende in Österreich und Deutschland einen Weg mit Doppelstrukturen gewählt, denn alternative Stromerzeugung benötigt flexible Backup Kraftwerke, welche den Bedarf in der Dunkelflaute decken können. Jeder Wirtschaftsingenieur weiß, dass Doppelstrukturen zusätzliche Fixkosten generieren, die in den Strompreis einfließen werden.

Wird damit die europäische Industrie gegenüber Nordamerika und China wettbewerbsfähig bleiben? Werden energieintensive Branchen aus Österreich und Deutschland abwandern? Und welche Konsequenzen wird die Energiewende dann auf den Arbeitsmarkt und auf den Wohlstand der Region haben? Fragen, die bisher nicht ausführlich beantwortet sind. Aber nachhaltige Energie- und Wirtschaftspolitik hat jedenfalls auch die Sicherung der Wertschöpfung und der Beschäftigung zu gewährleisten.

Wir Wirtschaftsingenieure werden in unserer technoökonomischen Ausbildung zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise angeleitet und wollen die Dinge auch umfassend analysieren und verstehen. Deshalb waren beim WING-Kongress 2024 namhafte Experten aus verschiedenen Bereichen der Industrie eingeladen, ihre Sicht über die möglichen Wege zur Energie- und Mobilitätswende und die dabei bestehenden Herausforderungen zu präsentieren. Ihre Beiträge werden in diesem WINGbusiness veröffentlicht. Sie sollen unseren Leserinnen und Lesern die komplexe Thematik näherbringen und Erkenntnisgewinn bei den bestehenden Fragen geben.

Ihr Hans-Jörg Gress

3 WINGbusiness 2/2024 EDITORIAL
4 WINGbusiness 2/2024 TOP-THEMA: Industrie im Wandel - Auswirkungen der nachhaltigen Energie- und Mobilitätswende Florian Haslauer Energiewende – machbar oder Irrweg 8 Peter Schwab CO2-neutrale Stahlproduktion: Vision und Realität 12 voestalpine gewährt Einblicke in den laufenden Transformationsprozess der Stahlindustrie Leonhard Schitter Nachhaltiger Wandel: Österreichs Weg zu einer fossilfreien Energiezukunft 16 Christoph Fagschlunger Unser Antrieb für die Zukunft 19 Harald Hagenauer Transformation der Branchen: Innovationen für eine nachhaltige Zukunft 22 Wie Wienerberger, Stadler Rail und Jungbunzlauer auf den Wandel reagieren Solveig Menard-Galli, COO East Wienerberger AG Produktion im Zeichen der Energiewende 24 Mit Innovationskraft in eine grüne Zukunft Reinhard Florey Innovationen für eine nachhaltige Zukunft: Die Transformation der OMV 26 Gerhard Krassnig Culture und Leadership–Voraussetzung bei Change-Prozessen 30
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EDITORIAL 60 Jahre WING-Verband und WING-Kongress 2024 3 UNINACHRICHTEN Environmental Social Governance (ESG): Distraction or 29 Revolution? SMI Online-Forum 2024 Manuel Woschank, Nadine Olipp Status quo des Erasmus+ CoVE-Pojekts „EE4M 35 Michal Kaiser, Bettina Neunteufl Rektor, Tempomacher und Schöngeist 36 Interview mit Prof. Dr.-Ing Jens Schneider Rektor der TU Wien An der TU Wien wird die Zukunft der Produktion und Instandhaltung gestaltet: Intelligente Planung für mehr Nachhaltigkeit 38 Neues WING-Master-Curriculum International Industrial Management in Kapfenberg 40 David Brunlechner, Johannes Dirnberger-Wild Automobilindustrie in Südafrika – „We build more than just cars 41 IMPRESSUM Impressum 42
Inhaltsverzeichnis

Das war der 25. Kongress der Wirtschaftsingenieure

Über 170 Teilnehmer_innen folgten am Freitag, den 24.05.2024, der Einladung und besuchten den im Festsaal der TU Wien stattfindenden 25. Kongress der Wirtschaftsingenieure.

Das diesjährige Generalthema „Industrie im Wandel: Auswirkungen der nachhaltigen Energie- und Mobilitätswende“ hätte aktueller nicht sein können.

In ihren Key-Notes zeichneten Florian Haslauer (GF e-venture), Leon-

hard Schitter (CEO Energie AG Oberösterreich), Reinhard Florey (CFO OMV Group), Christoph Fagschlunger (BMW Group), Peter Schwab (ehem. Vorstand voestalpine) und Gerhard Krassnig (Partner Spencer Stuart) ein realistisches und gleichermaßen ambitioniertes Bild wie die Transformation erfolgreich von statten gehen kann.

Weitere Impressionen finden Sie in der Bildergalerie: https://new.express.adobe.com/webpage/jtcGo1XnkbgHp

Einmal mehr zeigte sich, wie lebendig und vielfältig das Netzwerk der Wirtschaftsingenieure in Österreich ist. Wir danken unseren Sponsoren und Partnern!

Eine launige Panel-Diskussion mit Christian Diewald (CEO Stadler Rail Austria), Josef Gaß (CTO Jungbunzlauer) und Solveig Menard-Galli (COO CEE Wienerberger), moderiert von Ina Sabitzer rundeten das Programm ab.

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Alle Fotos: © WING/Matthias Heisler
7 WINGbusiness 2/2024 WING-KONGRESS 2024

Energiewende – machbar oder Irrweg

„Die Energiewende ist nicht auf Kurs. Die Bundesregierung muss dringend umsteuern.“ Der Bundesrechnungshof geht im März 2024 mit der deutschen Energiewende und der Regierung hart ins Gericht. Die „Welt“ spricht sogar von einem vernichtenden Sonderbericht zur Energiewende. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen den Bau von Wind- und Photovoltaik- Anlagen sowie Stromnetzen steigt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich an. Die EU sah sich veranlasst das Strommarktdesign in Europa einer Überprüfung zu unterziehen, weil es ja nicht sein kann, dass trotz Ausbau der Erneuerbaren Stromerzeugung die Strompreise in 2021 und 2022 regelrecht explodiert sind. Reicht es aus, Adaptierungen durchzuführen oder offenbaren sich jetzt grundsätzliche „Webfehler“ des Energiewende-Ansatzes?

Energiewende als Beitrag zur Dekarbonisierung

Unter Energiewende im engeren Sinne wird gemeinhin verstanden, die Strombereitstellung vollständig auf CO2-freie Erzeugung umzustellen. Wärmewende und Mobilitätswende bedeutet die Elektrifizierung durch z.B. Wärmepumpen und Elektroautos, des heute in diesen Segmenten stark fossil geprägten Energieverbrauchs. Mit damit einhergehenden Effizienzsteigerungen von Stromanwendungen wird der Gesamtenergieverbrauch sinken, wohingegen der Stromverbrauch, der derzeit ca. 20 % des Gesamtenergieverbrauchs in Europa ausmacht, steigen wird. In Europa sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen in der Energiewende zu beobachten. Während Länder, wie Frankreich, Großbritannien, Schweden, Tschechien, Ungarn oder die Slowakei auf Kernkraft als Rückgrat einer sicheren, CO2-freien Stromversorgung setzen, die durch Wind und PV ergänzt wird, setzen Deutschland, Dänemark oder Österreich auf Erneuerbare Erzeugung aus Wind, PV und Wasser ohne Kernkraft. Vorreiter dieses Weges ist Deutschland, als größter Strommarkt

Europas, mit einer stark industriell geprägten Wirtschaft. Es ist für ganz Europa relevant, ob die „Energiewende nach deutschem Muster“ funktioniert, weil Probleme in der Versorgung des deutschen Marktes sich in ganz Europa auswirken können. In der Folge wird auf diese Form der Energiewende fokussiert.

Volatile Stromerzeugung verändert das Stromversorgungssystem grundsätzlich

In der Vergangenheit hat die Stromerzeugung mit Grundlastkraftwerken (Kernkraft, Laufwasserkraft und Braunkohle) Mittellastkraftwerken (Steinkohle) und Spitzenlastkraftwerken (Pumpspeicher, Öl und Gas) über den Tag und die Jahreszeiten den schwankenden Strombedarf ab -

gedeckt. Zukünftig sollen wetter-, tageszeit- und jahreszeitabhängige Erzeugungsquellen (Photovoltaik, Wind und Wasser) die Stromversorgung sicherstellen. Deutschland strebt bis 2035 an, dass die Erneuerbare Stromerzeugung „bilanziell“ 100 % des Jahresstrombedarfes deckt. In Österreich soll das 2030 der Fall sein. Um zu verstehen, welche technischwirtschaftliche Herausforderung das bedeutet, muss man sich für jede einzelne Stunde des Jahres anschauen, wie sich Strombedarf und -erzeugung darstellen.

In Abbildung 1 ist für jede Stunde des Jahres 2040 dargestellt, mit welcher Leistung Wind und PV Strom produzieren (grüne Linien) und wie die Last des Strombedarfs in jeder Stunde aussieht (schwarze Linie). Diese Analyse basiert auf einem Modell mit Annahmen zum Strombedarf und installierte Stromerzeugungskapazitäten in 2040 sowie einer Stromproduktion daraus nach dem Wetterjahr 2021. Das Jahr 2040 ist deshalb gewählt, weil davon ausgegangen wird, dass bis 2040 die bilanzielle Deckung des Strombedarfs aus EE-Erzeugung in Deutschland tatsächlich erreicht werden kann. Es ist klar erkennbar, dass praktisch in keiner Stunde des Jahres der Bedarf genau gedeckt wird. Es gibt entweder Unter- oder Überde-

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Abbildung 2: Residuallastkurve Abbildung 1: Last und Erzeugung in Deutschland 2040

ckung. Wenn man die Stunden des Jahres von links nach rechts von der Stunde der höchsten Unterdeckung bis zur Stunde der höchsten Überdeckung aufträgt, dann ergibt sich die Residuallastkurve wie in Abbildung 2 dargestellt.

Die Residuallastkurve veranschaulicht eindrücklich die Herausforderung der Energiewende nach deutschem Muster. Das abzudeckende Defizit beträgt bei den getroffenen Annahmen mit 215 TWh ca. 25 % und der Überschuss mit 123 TWh ca. 14 % des Jahresbedarfes. In über 5500 Stunden des Jahres besteht ein Defizit. Eine gesicherte Stromversorgung in jeder Minute erfordert technisch und wirtschaftlich machbare Lösungen. Ein bloßer weiterer Ausbau der volatilen Erneuerbaren Erzeugung gehört nicht zur Lösung. Das ist schon aus der Residuallastkurve erkennbar und Sensitivitätsanalysen zeigen das auch. Die Lösungen liegen in Speichern, der Nutzung von Flexibilitäten im Verbrauch, dem Anreiz für Änderung im Verbrauchsverhalten, der Nutzung von Elektrolyseuren zur Erzeugung von Wasserstoff aus Überschussstrom für die saisonale Speicherung und insbesondere den Gaskraftwerken. Zudem ist ein Marktdesign erforderlich, das kurzfristige Preissignale für das systemdienliche Agieren der Markteilnehmer, und langfristige Preissignale für Investoren liefert.

Unter der Annahme, dass durch Anreize die Verschiebung des Wärmepumpeneinsatzes und der Ladung von E-Fahrzeugen für 50 % der Kapazität um einige Stunden möglich ist, Speicher im Ausmaß von 120 GWh verfügbar sind (80 GWh Batterie und 40 GWh Pumpspeicher) sowie gesicherte bzw. flexible Erneuerbare Stromerzeugung (Biomasse, Abfall und Laufwasser) mit einer Leistung von 15 GW verfügbar ist, dann lässt sich eine deutliche Verbesserung der Situation erreichen. In Abbildung 3 zeigt sich die Auswirkung dieser Annahmen auf die Residuallastkurve.

Nach Berücksichtigung der Flexibilitäten reduziert sich das Defizit von 215 auf 181 TWh und die Überschussproduktion von 123 auf 85 TWh. Die maximale Defizitlast von knapp 100 GW und die Überschusslast von fast 150 GW reduziert sich allerdings

kaum. An der Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass durch Importe und Exporte die Situation für Deutschland nicht zu lösen ist. Die derzeitige technische Kapazität liegt bei etwa 15 GW die bis 2040 auf 25 GW ansteigen wird.

Zur Abdeckung der Defizitmenge sind Gaskraftwerke mit einer installierten Leistung von 75 GW erforderlich. 2023 waren 33 GW Gaskraftwerke und 36 GW Kohlekraftwerke am Netz. Es braucht also zusätzlich 42 GW zu den bestehenden Kraftwerken und den Umbau von 33 GW auf Wasserstoff. Die von Wirtschaftsminister Habeck in der deutschen Kraftwerksstrategie geplanten 10 GW bis 2030 reichen jedoch nicht einmal aus, die vom Netz gehenden Kohlekraftwerke bis dahin zu ersetzen. Die notwendigen Gaskraftwerke würden auch nicht, wie immer behauptet, nur wenige Stunden im Jahr gebraucht, sondern kämen im Durchschnitt auf über 2000 Betriebsstunden pro Jahr und wären in 4500 Stunden preissetzend. D.h. die Energiewende nach deutschem Muster funktioniert nur mit einem massiven Ausbau der Gaskraftwerkskapazität, wenn man gesicherte Stromversorgung zu jeder Stunde gewährleisten muss.

Abbildung 3: Residuallastkurve nach Berücksichtigung von Flexilitäten

Österreich steht vor ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland

Die österreichische Regierung hat sich auch der Energiewende nach deutschem Muster verschrieben und will bis 2030 100 % des Jahresbedarfes bilanziell aus Erneuerbaren Stromquellen decken. Österreich hat dazu zwei wesentliche Vorteile gegenüber Deutschland: Erstens liefert die Wasserkraft einen sehr hohen Beitrag zur Stromerzeugung und zweitens kann sich Österreich aufgrund der Kleinheit des Marktes viel stärker auf die Nachbarn verlassen, die uns in Zeiten von geringer eigener Stromerzeugung aus den Kernkraftwerken in Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien versorgen können. Deutschland wird wenig beitragen können, weil das Erzeugungsprofil aus Wind und PV sehr ähnlich zu Österreich ist. Die Wasserkrafterzeugung ist zwar nicht so volatil wie Wind und PV, allerdings

Abbildung 4: Stromerzeugung Österreich 2023

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TOP-THEMA

schwankt die Erzeugung saisonal stark. Wie in Abbildung 4 erkennbar, hat die Wasserkraft im Januar 2023 nur ein Drittel des Bedarfes gedeckt, während im Mai 100 % des Bedarfes gedeckt werden konnten.

Um bis 2030 die bilanzielle Deckung des Jahresbedarfes aus Erneuerbaren Stromquellen sicherzustellen, will die Regierung 27 TWh zusätzliche erneuerbare Stromerzeugung erreichen. Davon entfallen auf Photovoltaik 11 TWh, auf Wind 10 TWh und auf Wasser 6 TWh. Die entsprechenden Produktionszahlen lagen 2023 bei 3 TWh für PV, 8 TWh für Wind und 40 TWh für Wasserkraft. Es ist nicht davon auszugehen, dass 27 TWh bis 2030 erreichbar sind. Lange Genehmigungsdauern insbesondere für Wind und Wasserkraftwerke, Engpässe auf den Lieferanten- und Dienstleistermärkten und sinkende Erlöse für der Photovoltaik sind Hürden für den Ausbau, die auch Gesetze zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nicht vollständig lösen können. D.h. bis 2030 ist die bilanzielle Deckung des Bedarfes aus Erneuerbaren Stromquellen nicht zu erreichen, es ist allerdings einige Jahre später damit zu rechnen. Um die erforderlichen Kapazitäten aufzubauen, sind Investitionen in der Höhe von ca. 43 Mrd. EUR bis 2040 erforderlich. Neben den Investitionen in die Erzeugungskapazitäten ist ein massiver Ausbau der Stromnetze auf allen Ebenen erforderlich. Die Windund PV- Erzeugung liegt vor allem in Ostösterreich, während die Pumpspeicherkraftwerke in Westösterreich liegen. Das erfordert einen Zubau an Leitungskapazität im Transportnetz. Das Verteilnetz in den Regionen muss

für die Aufnahme des PV-Stroms und für den steigenden Stromverbrauch ausgebaut werden. Für den Netzausbau ist mit Investitionen in der Höhe von 39 Mrd. EUR zu rechnen. Es wird schon an dieser Stelle klar, dass ein Stromsystem, das auf Erneuerbaren Quellen aufbaut, nicht kostengünstiger sein kann als das bisherige System.

Der Ausbau der Erneuerbaren Stromerzeugung senkt die Strompreise nicht, sondern erhöht diese

Seit 2020 sehen wir einen Strompreisanstieg an den Märkten, der im August 2022 seinen Höhepunkt erreicht hat. Wie in Abbildung 5 dargestellt, hat sich der Preis auf 500 EUR/ MWh gegenüber 2020 verzehnfacht. Nach einem raschen Preisrückgang ist der Preis derzeit doppelt so hochals vor der „Krise“ und wir werden längerfristig mit diesem Niveau rechnen müssen.

gemäß zumindest bei 25 % in Europa bis 2040 liegen wird. Beispielsweise werden große Teile der Roheisenerzeugung zukünftig in den USA oder im Mittleren Osten stattfinden. Die Stahlerzeugung und -weiterverarbeitung wird dann mit importiertem Eisenschwamm erfolgen.

Der Energy Only Markt stellt den notwendige stabile Rahmen dar

Abbildung 5: Strompreisentwicklung am Spotmarkt

Der Grund für den Anstieg des Strompreises an den Großhandelsmärkten in Europa war ein deutlicher Rückgang des Stromangebots durch den technisch bedingten Ausfall der Hälfte der französischen Kernkraftwerksflotte, dem Abschalten deutscher Kernkraftwerke, ein trockner Sommer mit weniger Wasserkrafterzeugung und ein Gaspreisanstieg bei gleichzeitigem Anstieg der Gasverstromung. Die Angebotsreduktion ist auf eine ansteigende Nachfrage nach Corona getroffen. Derartige Verwerfungen an den Märkten sind in der Zukunft eher unwahrscheinlich, allerdings wird das Preisniveau in Europa langfristig deutlich höher liegen als in den USA, China und dem Mittleren Osten. Das wird vor allem die energieintensive Industrie unter Druck bringen. In Deutschland ist in den letzten beiden Jahren die Produktion der energieintensiven Industrie um 20 % und in Österreich um 15 % gesunken. Es ist davon auszugehen, dass die dauerhaft höheren Energiepreise zu einer weiteren Reduktion führen werden, die erwartungs-

Um die Investitionen von über 80 Mrd. EUR bis 2040 in das österreichische Stromsystem sicherzustellen, ist ein langfristig stabiler Rahmen erforderlich. Diesen langfristig stabilen Rahmen kann nur der Energy Only Markt auf Basis der Merit Order bilden. D.h. die Preisbildung erfolgt, wie in jedem funktionierenden Markt dort, wo sich Angebots- und Nachfragekurve schneiden. Die Merit Order Kurve stellt im Strommarkt die Angebotskurve dar. Die Merit Order bildet sich aus den Grenzkosten der Stromerzeugungstechnologien in aufsteigender Reihenfolge. D.h. Wasser, PV und Wind haben niedrige Grenzkosten und kommen zuerst zum Einsatz. Wenn die Stromnachfrage höher ist als das Angebot aus den Erneuerbaren, kommen Gaskraftwerke und Pumpspeicher zum Einsatz, die hohe Grenzkosten haben. An den Strombörsen erfolgt stündlich bzw. viertelstündlich die Preisbildung. Je nach Strombedarf und Stromangebot aus volatiler erneuerbarer Erzeugung sind Kraftwerke mit niedrigen oder mit hohen Grenzkosten preissetzend. Das schwankt über den ganzen Tag und am Spotmarkt wird dann der für die Endkunden relevante „Base“-Preis gebildet. Das ist der Durchschnitt der stündlichen Preise. Die Preisbildung am Energy Only Markt erfolgt „Day Ahead“, „Intraday“ und am Terminmarkt bis 5 Jahre in die Zukunft. Im Zuge der Energiekrise mit den stark ansteigenden Preisen im Jahr 2022 kam der Energy Only Markt stark in die Kritik. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen verstieg sich sogar zur Aussage, dass das Strommarktdesign geändert werden müsse, weil es nicht mehr in die Welt der Erneuerbaren Stromerzeugung passe und es nicht sein könne, dass der Gaspreis den Strompreis bestimmt. Der zweite Sündenbock,

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neben dem der im Kreml sitzt, war damit schnell ausgemacht. In ganz Europa und auch in Österreich wurde Kritik von Politik und Interessensverbänden geäußert. Was alle diese Äußerungen gemein hatten, war wenig Wissen dazu, wie der Strommarkt funktioniert.

Am 21. Mai diesen Jahres hat das EU-Parlament die „Strommarktreform“ beschlossen, über die vorher schon die EU-Energieminister abgestimmt hatten. Im Ergebnis wurde der Energy Only Markt auf Basis der Merit Order voll bestätigt. Es hat sich also die Einsicht durchgesetzt, dass der Energy Only Markt auch für die Zukunft die richtige Grundlage für die Preisbildung darstellt und der einzig langfristig stabile Rahmen für die notwendigen Investitionen ist. Die nun verstärkt diskutierten Kapazitätsmärkte, die den Energy Only Markt schon in einigen EU-Ländern ergänzen, wurde als das definiert, was sie im Kern sind – nämlich ein Subventionsmechanismus. Die EU wird zukünftig verstärkt darauf schauen, dass die Subventionen im Rahmen von sogenannten Kapazitätsmärkten keine Wettbewerbsverzerrung darstellen. Zudem wird es einen einheitlichen Förderrahmen für Erneuerbare Stromerzeugung geben, der stärker am Markt orientiert ist. Großkunden sollen verstärkt die Möglichkeit haben, langfristige Lieferverträge einzugehen, um sich gegen Preisschwankungen besser abzusichern.

Eine erfolgreiche Energiewende braucht neue Anreizmechanismen

Um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, hat die EU eine wichtige Voraussetzung mit der Bestätigung des Energy Only Marktes schon geschaffen. Ganz wesentlich ist auch,

das bisherige Förderwesen, das fast ausschließlich auf den Ausbau von Wind und Photovoltaik ausgerichtet ist, in ein Anreizsystem umzubauen, dass die Optimierung und Weiterentwicklung des Gesamtsystems als Ziel hat. D.h. konkret den Verzicht auf alle Förderungen für Wind und Photovoltaik, stattdessen Förderungen für „smarte Kundenlösungen“, d.h. Energieeffizienz, Eigenverbrauchsnutzung und Speichereinsatz bei Unternehmen und Privaten. Beispielsweise sollten im privaten Bereich nur mehr die Stromspeicher gefördert werden und nicht mehr die PV-Anlage. Im gewerblichen Bereich sollten Förderungen nur ab einem bestimmten Eigenverbrauchsanteil gegeben werden. Damit würde es zu einem Anreiz kommen, beim Kunden die besten Lösungen zu finden – für den Kunden und auch für das Gesamtsystem. Dasselbe kann für Energiegemeinschaften angedacht werden. Anstatt Teilnehmern von Energiegemeinschaften vergünstigte Netztarife zu gewähren, die andere Netznutzer zahlen müssen, sollten Anreize geschaffen werden, den in einer Energiegemeinschaft erzeugten Strom auch dort zu verbrauchen. Ganz wichtig ist es, Anreize für eine Verbrauchsverhaltensänderung zu schaffen. Das kann auch ohne Förderungen erzielt werden, wenn zukünftig alle Stromanbieter verpflichtet werden auch flexible, stundenabhängige Tarife anzubieten. Der Kunde bekommt einen Anreiz, sein Verbrauchsverhalten zu verändern und Strom eher dann zu verbrauchen, wenn die Preise niedrig sind und Strom zu sparen, wenn die Preise hoch sind. Der Energy Only Markt liefert die notwendigen Preissignale dafür. Die Preise sind dann niedrig, wenn zu viel Strom produziert wird und dann hoch, wenn die

Erneuerbaren den Bedarf nicht decken können.

Was den Netzbereich betrifft, ist es sicherlich ein guter Ansatz, Genehmigungsverfahren gesetzlich zu beschleunigen. Allerdings ist das nicht der einzige Engpass. Fehlende Kapazitäten bei Lieferanten und Dienstleistern sowie Preissteigerungen aufgrund der hohen Nachfrage verzögern heute Netzbaumaßnahmen. Außerdem muss das Gesamtsystem in den Fokus genommen werden. Es macht keinen Sinn das Verteilnetz nach der maximalen PV-Einspeiseleistung auszulegen, die an wenigen Tagen im Jahr auftritt. Die Förderung der Photovoltaik in der jetzigen Form erhöht unnötigerweise den Netzinvestitionsbedarf. Kapital für Infrastrukturinvestitionen steht bereit, es muss allerdings für die Netzbetreiber möglich sein, ausreichend Renditen zu erzielen, was eine Anpassung des Netzregulierung erfordert.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Energiewende nach deutschem Muster funktionieren kann, wenn man die Marktkräfte richtig einsetzt und die derzeitigen Fehlsteuerungen und Fehlanreize eliminiert. Die Entscheidung auf EUEbene für das Beibehalten und das Stärken des Energy Only Marktes ist eine wichtige Richtungsentscheidung. Wichtig ist nun, dass nationale Energiepolitik diese Entscheidung nicht konterkariert. Zudem müssen die Fördersysteme in sinnvolle Anreizsysteme weiterentwickelt werden. In der österreichischen Politik und bei manchen Interessensvertretern ist dafür noch Erkenntnisgewinn und ideologiebefreite Betrachtung der Fakten notwendig. Dafür bleibt nicht mehr allzu viel Zeit. Allerdings werden die äußeren Zwänge Entscheidungen – und wir hoffen alle die richtigen – einfordern.

Geschäftsführer

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e.venture

Peter Schwab

CO2-neutrale Stahlproduktion: Vision und Realität

voestalpine gewährt Einblicke in den laufenden Transformationsprozess

der Stahlindustrie

Die Stahlindustrie steht vor einer epochalen Veränderung. Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel und der damit verbundenen Notwendigkeit, CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, stellt sich die Frage, wie diese zentrale Branche zukunftsfähig gestaltet werden kann. Dipl. Ing. Dr. Peter Schwab, MBA gab beim WING-Kongress 2024 in der TU Wien in seiner Präsentation „Stahlindustrie der Zukunft“ Einblicke in die wissenschaftlichen Grundlagen, die notwendigen Transformationsprozesse und die konkreten Maßnahmen, die die voestalpine AG bereits ergreift, um diesen Wandel zu vollziehen.

Wissenschaftliche Fakten bilden die Basis der Transformation

„Wir dürfen uns nicht vor Fakten verstecken“, betont Dr. Schwab zu Beginn seiner Präsentation. Der Zusammenhang zwischen CO2 in der Atmosphäre und dem Klimawandel wird seit über 50 Jahren wissenschaftlich untersucht und immer präziser nachgewiesen. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die aktuell stattfindende nachhaltige Transformation.

Die Fakten zwingen die Industrie zum Handeln, um die drohenden ökologischen und ökonomischen Risiken zu minimieren. Die Geschichte lehrte uns, dass man Wohlstand nur dann erhalten kann, wenn man sich an die sich verändernden Gegebenheiten anpasst, und zwar rechtzeitig.

Rückblick auf die Entstehung der Industrie und ihre verschiedenen Transformationsstufen

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die großen Reiche der Welt – die Dynastie in China, das Mogulreich in Indien, das Osmanische Reich und die vorkolonialen Reiche in Afrika –in ihrer Bedeutung und Macht mit Europa vergleichbar. Doch dann begann in Europa eine Zeit des Umbruchs und der Veränderung, die als Aufklärung bekannt wurde. Wissenschaftler wie Isaac Newton und Philosophen wie Voltaire trugen dazu bei, dass sich Europa zu einer führenden Macht entwickelte.

Mit der Aufklärung und der Einführung neuer Technologien begann die erste industrielle Revolution, die die Grundlage für die moderne Industrie legte. Diese Phase der Industrialisierung, die etwa 1784 begann,

ist als Industrie 1.0 bekannt. Sie war geprägt durch die Mechanisierung, den Einsatz von Dampfkraft und den Webstuhl. Diese Entwicklungen führten zu einer massiven Steigerung der Produktion und legten den Grundstein für die moderne Wirtschaft. Die zweite industrielle Revolution brachte die Elektrizität und die Einführung von Fließbändern.

Dies ermöglichte eine noch größere Massenproduktion und erhöhte die Effizienz der Fertigungsprozesse erheblich. Ab 1969 wurde die Industrie 3.0 durch die Automatisierung und den Einsatz von Computern und Elektronik geprägt. Produktionsprozesse wurden weiter optimiert und viele manuelle Tätigkeiten durch Maschinen ersetzt. Die vierte industrielle Revolution, die wir heute erleben, ist gekennzeichnet durch die Vernetzung von Maschinen und die Nutzung von künstlicher Intelligenz.

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Foto: © voestalpine AG; Quelle: voestalpine.com

Cyberphysikalische Systeme und das Internet der Dinge ermöglichen eine intelligente und flexible Produktion.

Durch die technologische und wirtschaftliche Entwicklung im Zuge der Industrialisierung konnte Europa eine Vormachtstellung erlangen, die bis ins 20. Jahrhundert anhielt, jedoch durch die beiden Weltkriege erheblich erschüttert wurde. Um den heutigen Wohlstand zu erhalten, ist es unerlässlich, dass wir uns weiterhin an die sich verändernden technologischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen. Die aktuelle Transformation begleitet von der nachhaltigen Transformation hin zu Industrie 4.0, die durch Vernetzung und künstliche Intelligenz geprägt ist, stellt neue Herausforderungen und Chancen dar.

Die Rolle der Stahlindustrie im Klimawandel

Die Stahlindustrie ist eine der größten Quellen für CO2-Emissionen. Bei der voestalpine AG entfallen auf die Stahlerzeugung jährlich rund 12 Millionen Tonnen CO2, das sind etwa 15 % des gesamten CO2-Ausstosses in Österreich und damit ist der Stahlkonzern der größte Treibhausgas-Emittent Österreichs. Der Hauptverursacher dieser Emissionen ist der traditionelle Hochofenprozess, der seit Jahrhunderten zur Roheisenproduktion genutzt wird. In einem Hochofen wird Eisenerz zusammen mit Koks, einem nahezu reinen Kohlenstoff, und heißer Luft in einem komplexen, mehrstufigen Verfahren verarbeitet. Der Prozess beginnt damit, dass der Kohlenstoff im Koks mit dem Sauerstoff im Erz zu Kohlenstoffdioxid (CO2) und Kohlenmonoxid (CO) reagiert. Das Kohlenmonoxid wirkt dann als Reduktionsmittel, das das Eisenoxid im Erz zu metallischem Eisen reduziert. Dies geschieht in der sogenannten Reduktionszone des Hochofens, wo Temperaturen von etwa 900 bis 1.500 Grad Celsius herrschen.

Schließlich gelangt das Eisen in die Schmelzzone, wo Temperaturen von bis zu 2.000 Grad Celsius herrschen. Diese enorme Hitze wird durch die fortgesetzte Verbrennung von Koks und Sauerstoff erzeugt, wobei nochmals CO2 und viel Wärme freigesetzt werden. Das Eisen schmilzt vollständig und sammelt sich als flüssiges

Roheisen am Boden des Hochofens. Der Hochofenprozess ist über die Jahre hinweg stark optimiert worden und nähert sich den physikalischen Grenzen der Energieeffizienz an. Trotz dieser Optimierungen bleibt die Menge an freigesetztem CO2 enorm, da der Prozess grundlegend auf der Verbrennung von Kohlenstoff basiert. Kohle war schon immer teuer, was dazu geführt hat, dass die Hochöfen sehr effizient arbeiten. Dennoch bleibt der CO2 -Fußabdruck dieser Technologie immens.

Die Herausforderung, vor der die Stahlindustrie steht, ist die signifikante Reduktion der CO2-Emissionen. Während kleine Effizienzsteigerungen immer möglich sind, reicht dies nicht aus, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Wie Dr. Schwab in seinem Vortrag betonte: "Wenn wir den CO2-Ausstoß signifikant reduzieren wollen, dann müssen wir den gesamten Prozess neu denken und auf andere Reduktionsmittel, idealerweise erneuerbare, umstellen."

Die CO2-freie Stahlerzeugung: voestalpine geht voran

Eine komplette Neuausrichtung bedeutet, alternative Technologien zu erforschen und zu implementieren. Eine vielversprechende Alternative ist die Nutzung von Wasserstoff als Reduktionsmittel anstelle von Koks. Wasserstoff reagiert mit dem Sauerstoff im Eisenerz und bildet Wasser (H2O) anstelle von CO2. Dies könnte theoretisch den CO2-Ausstoß der Stahlproduktion auf nahezu null reduzieren, vorausgesetzt, der benötigte Wasserstoff wird selbst emissionsfrei produziert.

Bereits gut erforscht und im Einsatz ist die Technologie der Direktreduktionsanlage, eine moderne Methode zur Eisenherstellung, bei der Eisenerz ohne die herkömmliche Hochofentechnologie unter Einsatz von Erdgas reduziert werden kann. Hierbei wird das Erz in einem speziellen Schacht von oben zugeführt. Von unten wird ein Gasgemisch eingeblasen, das hauptsächlich aus Erdgas besteht, welches zu Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) reformiert wird. In diesem Prozess reagieren das Kohlenmonoxid und der Wasserstoff mit dem Eisenerz und wandeln es in Ei-

senschwamm, welches zu über 90 % aus metallischem Eisen besteht, um. Das Kohlenmonoxid verwandelt sich dabei in Kohlendioxid (CO2), und der Wasserstoff wird zu Wasserdampf (H2O). So können im Reduktionsprozess die CO2-Emissionen bereits um fast 50 % vermindert werden. „Unser nächstes Projekt ist die Investition in Elektroöfen in Linz und Donawitz, die mit grünem Strom betrieben werde und die zum Aufschmelzen des festen Eisenschwamms dienen. In einem weiteren Schritt wird die Direktreduktion statt mit Erdgas nur noch mit erneuerbarem Wasserstoff betrieben. Dadurch können wir über 90 % der CO2-Emissionen im Reduktionsprozess einsparen,“ so Schwab.

Wir haben die Technologie zwar erfunden und patentiert, aber auch für unsere Mitbewerber freigegeben. Wir wollen, dass die Industrie gemeinsam transformiert wird, denn nur gemeinsam können wir den Kampf gegen die Klimakrise überwinden. Auch unsere Mitbewerber investieren: ThyssenKrupp, SSAB, ArcelorMittal und Salzgitter investieren und es gibt auch einige Startups, die neue Stahlwerke auf der grünen Wiese errichten und auf diese neue Technologie setzen.

Erste Elektroöfen in Bau

Bis 2027 sollen die ersten Elektroöfen in Linz und Donawitz in Betrieb genommen werden, was den CO2Ausstoß der voestalpine um vier Millionen Tonnen bzw. 30% reduziert. Dr. Schwab betonte jedoch, dass dieser Übergang schrittweise erfolgen muss. Und die Hochöfen dann langsam bis 2050 ersetzt werden. Bis 2050 sollte dann die voestalpine klimaneutral sein. „Warum geht das nicht schneller? Die Investitionen sind massiv. Allein die ersten beiden Elektroöfen kosten etwa 1,5 Milliarden Euro. Wir müssen Projekte Schritt für Schritt umsetzen, weil es sowohl projekttechnisch als auch finanziell nicht anders machbar ist. Und vor allem ist auch noch nicht ausreichend und wettbewerbsfähige erneuerbare Energie vorhanden.“

Technologien der Zukunft

Aber es wird auch noch weiter geforscht. Hyfor und Susteel sind innovative Verfahren, die beide mit

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herkömmlichem Erz arbeiten, ohne auf hochqualitatives Erz angewiesen zu sein. Beide Projekte haben bereits große Fortschritte gemacht. Dennoch steht die Entwicklung des Unternehmens noch am Anfang einer langen Reise. Es braucht noch viele Schritte, viel Forschung und erhebliche Investitionen, um diese Technologien zur Marktreife zu bringen. Dieser Prozess ist zeitaufwändig und erfordert umfangreiche Erfahrung. Es ist riskant, aber notwendig. Die voestalpine arbeitet kontinuierlich an neuen Technologien, und es kann sein, dass die zukünftige Stahlerzeugung nicht mehr mit der innovativen Direktreduktion erfolgt, sondern bereits eine dieser neuen, bahnbrechenden Technologien nutzen. Wann dies der Fall sein wird, lässt sich derzeit noch nicht sicher vorhersagen.

Die Rolle der Politik

Dr. Schwab betont in seinem Vortrag, dass die Politik für die Transformation der Stahlindustrie eine entscheidende Rolle spielt. „Wir brauchen neue Lösungen, damit die Transformation finanziert und gerecht verteilt werden kann.“ Er hebt den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) hervor, der sicherstellen soll, dass Importeure von CO2-intensiven Produkten eine Steuer zahlen, während Exporteure diese Steuer zurückerstattet bekommen. Dr. Schwab erläuterte, dass diese Maßnahme verhindern soll, dass Produktionsstätten aufgrund strengerer Umweltauflagen in der EU ins Ausland verlagert werden.

Dennoch kritisiert er, dass politische Maßnahmen oft nicht bis zum Ende durchdacht sind. Die EU-Taxonomie und andere bürokratische Hürden erschweren die Umsetzung nachhaltiger Projekte. Diese Regelungen

schaffen zwar Rahmenbedingungen für nachhaltige Investitionen, sind jedoch oft mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden, der die Effizienz und Geschwindigkeit der Transformation beeinträchtigt.

Dr. Schwab appellierte an die Politik, technologieoffen zu bleiben und flexible Lösungen zu fördern. Er betonte die Notwendigkeit von Investitionen in CO2-neutrale Technologien, die jedoch nur sinnvoll sind, wenn ein klarer Break-even-Punkt in Sicht ist. Die Kostenunterschiede zwischen herkömmlichen Hochöfen und CO2neutralen Technologien sind erheblich, und die Industrie kann es sich nicht leisten, dauerhaft Verluste zu machen. Es ist daher entscheidend, dass politische Maßnahmen und finanzielle Anreize so gestaltet werden, dass sie die wirtschaftliche Tragfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie sichern, während sie gleichzeitig die Umweltziele vorantreiben.

Gemeinsam die Zukunft gestalten

„Seien Sie innovativ und gestalten Sie die Zukunft“, schließt Dr. Schwab seine Präsentation. Er betont in seinem Vortrag eindringlich die Notwendigkeit, dass jeder Einzelne Verantwortung übernehmen soll und bewusst handelt, um die dringend erforderliche Transformation zur Nachhaltigkeit zu unterstützen. Er fordert dazu auf, dass wir alle unseren Beitrag leisten, indem wir unser tägliches Verhalten überdenken und anpassen. Beispielsweise können wir unser Mobilitätsverhalten ändern, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Auch das Dämmen von Häusern spielt eine wichtige Rolle, da dadurch die Energieeffizienz verbessert und der Energieverbrauch gesenkt wird. Weiters appelliert Dr. Schwab, mehr pflanzliche und loka-

le Lebensmittel zu konsumieren und beim Einkaufen bewusst auf Produkte und Dienstleistungen zu achten, die umweltfreundlich und nachhaltig sind. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Umstellung auf erneuerbare Energien, sei es im Haushalt oder für das Auto. Die Installation von Photovoltaik-Anlagen auf unseren Dächern und die Nutzung von Stromspeichern im Keller tragen ebenfalls dazu bei, die Nutzung erneuerbarer Energien zu maximieren.

Die voestalpine ist bereit, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine nachhaltige und CO2-neutrale Stahlproduktion zu erreichen. Die Zeit drängt, und nur durch gemeinsames und entschlossenes Handeln aller Beteiligten - sowohl der Industrie als auch der Konsumenten und der Politik – können die die Herausforderungen des Klimawandels bewältigt werden. Jeder von uns hat die Möglichkeit und die Verantwortung, einen Beitrag zu leisten. Gemeinsam gestalten wir die Zukunft.

Dipl. Ing. Dr. Peter Schwab, MBA

Peter Schwab war von 1993 bis 2024 im voestalpine-Konzern tätig und stieg vom Forschungsingenieur zum Forschungschef auf, bevor er schließlich Konzern-Vorstand wurde. In seiner zwölfjährigen Amtszeit als Forschungschef war er für bahnbrechende Innovationen verantwortlich, darunter „phs-ultraform“, und baute die internationale Konzernforschung maßgeblich aus. Ab 2014 leitete er die Metal Forming Division, die unter seiner Führung weltweite Schlüsseltechnologien ausrollte und zu einem global führenden Produktionsstandort für die Automobilindustrie wurde. Von 2014 bis 2024 war Dr. Schwab im Vorstand der voestalpine AG aktiv.

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Dipl.-Ing. Dr. Peter Schwab, MBA ehemaliger Vorstand voestalpine AG

Mehr Mut zu Weitsicht und agilem Handeln!

So schlagen Sie dem sich wandelnden Risiko ein Schnippchen

Die Transformation, in der wir uns befinden, führt zu einer Vielzahl neuer und sich wandelnder Risiken. Diese verändern die Risikolandschaft von Unternehmen permanent, und das immer schneller. Operationelle Risiken können dadurch auch immer weniger abgesichert werden. Ein Lösungsansatz lautet: Agiles Risikomanagement.

Georg Winter, CEO der GrECo Gruppe, ist überzeugt: „Die Schere der fehlenden Versicherbarkeit von Unternehmensrisiken wird sich in Zukunft noch weiter öffnen, was die Implementierung neuer Ansätze im Risikomanagement umso dringender erforderlich macht.“

Der Wandel wird oft ignoriert In der Praxis steht bei vielen implementierten Risikomanagementsystemen die Bewältigung von vorhandenen Risiken im Zentrum. Aufgrund mangelnder Frühwarnindikatoren und einer fehlenden Outside-in-Perspektive auf den systemischen Wandel und der damit verbundenen globalen Ereignisse, liegt der Fokus auf bekannten, zum Zeitpunkt der Risikoanalyse konkret bewertbaren Risiken. Die Risikolandschaft wird im Ist-Zustand betrachtet.

Noch nicht eingetretene, durch den zukünftigen Wandel des Unternehmensumfelds heranwachsende Risiken, oder neue, durch strategische Änderungen des Geschäftsmodells entstehende – aus heutiger Sicht noch abstrakte –Risiken werden dabei kaum berücksichtigt. Die dadurch resultierende Transformation der Risikolandschaft wird in der Praxis selten vorweggenommen, sondern erst behandelt, wenn sich die Risiken bereits beginnen zu manifestieren und entsprechend bewertbar werden.

Wie kann nun das Risikomanagement helfen, steigende Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit zu managen und damit die Resilienz zu steigern?

„Es gilt, einen effizienten Ansatz zu implementieren, der einen agilen Umgang mit abstrakten Transformationsrisiken ermöglicht. Vorhandene Risikomanagementprozesse müssen um eine Art Risikoprognose erweitert werden, um Risiken frühzeitig einzuplanen und sich rechtzeitig darauf vorzubereiten.“ so Georg Winter.

Transformation vorwegnehmen Nicht selten ist das Risikomanagement in Unternehmen in abgeschlossenen, administrativen Einheiten organisiert. Es agiert praktisch in Silos und wurde lediglich zur Erfüllung ge-

Dipl. Ing. Georg Winter CEO GrECo Gruppe

Fotocredit: GrECo

setzlicher Erfordernisse eingerichtet. Das Risikomanagement wird dabei auf einer Einzelrisikoebene betrieben, wodurch dessen Nutzen als unternehmensweites Instrument zur effektiven Risikosteuerung nur selten zum Tragen kommt.

So geht agiles Risikomanagement Agiles Chancen- und Risikomanagement baut auf eine Unternehmenskultur, die offen mit Chancen und Risiken umgeht und eine Organisation, die auf Transparenz, Dialog und Vertrauen sowie stetigen Feedbackzyklen basiert. Das Risikomanagement agiert in interdisziplinären Teams, die bedarfsorientiert und mit größtmöglicher Flexibilität handeln. Es ist sowohl in strategische als auch operative Entscheidungsprozesse eingebunden.

Durch diese frühzeitige Einbindung können Transformationsrisiken vorweggenommen werden und es kann aktiv darauf reagiert werden. Das steigert nicht nur die Resilienz, sondern führt auch dazu, dass ein Unternehmen seine Zukunftschancen optimal nutzen kann.

Frühzeitiges Antizipieren von Transformationsrisiken bedeutet, die Welt aus einer in der Zukunft liegenden Perspektive zu betrachten und die dann vorherrschende Risikosituation bestmöglich zu interpretieren. Die aktive Beachtung von leisen Signalen, zum Beispiel bei sich abzeichnenden Trends, sowie der offene Umgang mit strategischen Erwägungen ermöglichen es, effektive Frühwarnindikatoren zur Risikosteuerung zu etablieren.

GrECo International Holding AG

1190 Wien | Elmargasse 2-4

Telefon: +43 5 04 04 -0 www.greco.services

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Nachhaltiger Wandel: Österreichs Weg zu einer fossilfreien Energiezukunft

Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschäftigen nicht nur die Politik und die Bevölkerung stark, sondern uns als Energie AG und uns als Branche enorm. Der fortschreitende Klimawandel hat mittlerweile Auswirkungen auf alle Lebensbereiche – und verändert Städte, Industrien und das tägliche Leben aller. Deshalb musste sich auch die E-Wirtschaft neu aufstellen. Themen wie Klimaneutralität, Erneuerbare Energien und der langfristige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen stehen im Fokus der Energieunternehmen in Österreich. Auch die Anforderungen und Erwartungen der Kund:innen haben sich in den letzten Jahren geändert.

Dazu wurden regulatorische Rahmenbedingungen festgelegt, welche die E-Wirtschaft vor Herausforderungen stellen, aber auch viele Chancen bietet. Die Europäische Union und Österreich haben ehrgeizige Ziele zur Bewältigung der Klimakrise und zur Sicherstellung einer nachhaltigen Energieversorgung festgelegt. Im Rahmen des europäischen Green Deals und des „Fitfor-55“-Pakets strebt die EU beispielsweise bis 2030 eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber dem Jahr 1990 an. Langfristig soll Europa bis 2050 klimaneutral sein. Österreich geht einen Schritt weiter, mit dem Ziel, bis

2040 klimaneutral zu sein. Zudem soll die Stromversorgung bis 2030 zu 100 % (national bilanziell) aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Dafür müssen zusätzlich 27 TWh ans Netz gehen, das entspricht

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anderen europäischen Ländern setzt dieEnergie AG ein klares Zeichen in Richtung mehr Nachhaltig-
Mit dem Ausbau von Windkraftanlagen und neuen PV-Projekten in Österreich und
in
keit; Foto: Windpark Munderfing © EWS Consulting GmbH

einer Verdoppelung der bisherigen erneuerbaren Energiequellen. Angesichts geopolitischer Spannungen und der Bedrohung durch Energiekrisen ist die Umsetzung dieser Ziele von entscheidender Bedeutung. Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit sind die treibenden Kräfte hinter diesen Bemühungen.

Primärenergieerzeugung, Bruttoendenergieverbrauch und Bruttostromverbrauch im Vergleich

Die inländische Primärenergieerzeugung ist durch einen (mit mehr als 85 %) hohen Anteil und eine starke Zunahme bei den erneuerbaren Energien gekennzeichnet. Die Struktur der heimischen Energieerzeugung zeigt eine deutliche Reduktion von fossilen Energien und ein starkes Wachstum bei erneuerbaren Energien. EU-weit

betrachtet liegt der Anteil Österreichs an der gesamten EU-Primärenergieerzeugung bei 2,1 %, an der Erzeugung erneuerbarer Energien bei 4,4 %. Österreich ist damit im europaweiten Vergleich bereits Vorreiter.

Österreich hat den Anteil an erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch in den letzten Jahren sukzessive auf nunmehr 36,4 % ausbauen können. Beim Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch nimmt Österreich im EU-Vergleich die Spitzenposition ein.

Österreichs Weg zur Netto-Null

Damit Österreichs Weg zu einer fossilfreien Energiezukunft gelingt, besteht die Notwendigkeit von massiven Anstrengungen. Trotz einer leichten positiven Entwicklung seit 2005 stagnieren die Emissionswerte des Landes. Eine besonders herausfordernde

Aufgabe besteht darin, jährlich mehr Treibhausgase einzusparen als im Jahr 2020, einem Zeitraum, der durch drastische Veränderungen im Alltag infolge der COVID-19-Pandemie geprägt war. Schlüsselstrategien für die Energiewende umfassen Innovation, die Substitution fossiler Brennstoffe sowie die Steigerung der Energieeffizienz. Dazu braucht es einen Klimapakt zwischen Politik, Wirtschaft und Bevölkerung. Denn die Energiewende kann uns nur gemeinsam gelingen.

Woher der zusätzliche Strom kommen kann

Um die Dekarbonisierung voranzutreiben, ist der massive Ausbau von erneuerbaren Energiequellen wie Wasser, Wind und Sonne in ganz Österreich notwendig. Die Energie AG nimmt als Landesenergieversorger

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eine zentrale Rolle ein. Im Bereich der Wasserkraft ist ein zusätzlicher Bedarf von 5 TWh, wobei der aktuelle technische Ausbaugrad in Oberösterreich bereits bei 90 % liegt. Die Windenergie erfordert eine fast dreifache Steigerung der bestehenden Leistung, während die PhotovoltaikKapazität verzehnfacht werden muss. Zur Veranschaulichung des Ausbaubedarfs: Bei der Wasserkraft müsste alle zwei Monate ein neues Kraftwerk gebaut werden, im Bereich Windkraft alle drei Tage ein neues Windrad und im Bereich Photovoltaik alle zwei Minuten eine neue Anlage.

Energie AG: Klimaneutral und unabhängig bis 2035

Die Energie AG Oberösterreich setzt alles daran, den Kreislauf aus Erzeugung, Verteilung und Verwertung zu dekarbonisieren – also den CO2-Ausstoß des gesamten Unternehmens nachhaltig zu reduzieren. Oberstes Gebot dabei ist natürlich die Gewährleistung der Ver- und Entsorgungssicherheit. „Wir sehen es als unsere gesellschaftliche Verantwortung an, für unsere Kinder eine fossilfreie Zukunft zu erschaffen und unsere Erde so lebenswert wie möglich zu erhalten“, so Energie AG-CEO Leonhard Schitter und fügt hinzu: „Wenn wir eines aus der Krise der vergangenen Jahre gelernt haben, dann ist es, dass wir als Unternehmen klimaneutral und unabhängig werden müssen. Unser Ziel ist es, dies bis 2035 zu erreichen.“

Der massive Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft in Österreich und in anderen europäischen Ländern sowie Investitionen in innovative Technologien sollen die Menschen beim Ausstieg aus fossiler Energie unterstützen. Bis zum

Jahr 2035 sollen insgesamt 1,2 Terawattstunden aus erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Das entspricht dem durchschnittlichen Stromverbrauch von rund 330.000 Haushalten und damit rund 700.000 Menschen. Das heißt, dass ab 2035 jährlich rund die Hälfte aller Oberösterreicher:innen zusätzlich mit erneuerbarer Energie aus Wasser, Sonne und Wind versorgt werden soll.

Um die nachhaltig erzeugte Energie auch dann verfügbar zu machen, wenn sie am meisten gebraucht wird – wie etwa in den Abendstunden – braucht es großtechnische Speicherkapazitäten und Flexibilitäten in Form von Pumpspeicherkraftwerken. Mit der Errichtung des Pumpspeicherkraftwerks Ebensee im Salzkammergut setzt die Energie AG einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Klimaneutralität. Es ist mit einem Investitionsvolumen von rund 450 Millionen Euro die größte Einzelinvestition in der Geschichte der Energie AG.

Kund:innen stehen im Mittelpunkt

Die massiven Investitionen in eine fossilfreie Zukunft sind die technische Seite der neuen Strategie. Auf der anderen Seite liegt ein ganz besonderes Augenmerk auf den Kund:innen und darauf, wie diese die Energie AG wahrnehmen. Die Ausrichtung erfolgt nach den Kundenbedürfnissen und hat mehrere Schwerpunkte:

„ zukunftsweisende Angebote, unter anderem im Bereich Wärmepumpe und PV-Contracting für alle Kundensegmente – vom Haushalt bis zu Gewerbe- und Industriebetrieben

„ deutlicher Ausbau der digitalen Kundenservices (Plattformlösungen, digitalisierte Prozesse)

„ verstärktes Engagement rund um das Thema E-Mobilität

Im Bereich E-Mobilität will die Energie AG bis 2035 bis zu 50.000 Ladepunkte für das Heimladen, das Laden am Arbeitsplatz, im Fuhrpark und für öffentliches Laden zur Verfügung stellen.

Im Bereich Wärmepumpen wird bis 2035 ein Anstieg auf über 200.000 Anlagen in Oberösterreich erwartet. Die Energie AG plant, etwa die Hälfte davon mit Stromlieferungen, Contracting oder Finanzierungen zu unterstützen.

Eine weitere Schiene auf Seite der Kund:innen ist eine Forcierung des Fernwärme-Ausbaus dort, wo er ökonomisch sinnvoll ist.

Grüner Wasserstoff als neuer Energieträger

Als sinnvolle Alternative zu dem fossilen Energieträger Gas etabliert sich derzeit grüner Wasserstoff. Die Energie AG wird sich aktiv am Wasserstoffmarkt positionieren, um ihren Kund:innen künftig Grüngas-Lösungen anbieten zu können. Die Basis dafür bieten Beteiligungen an Wasserstoffprojekten bis 2028.

Leistungsfähige Stromnetze machen die Energiezukunft erst möglich

Um die Versorgungssicherheit für die Kund:innen bei steigendem Volumen aus volatiler Stromerzeugung zu gewährleisten, sind massive Investitionen in das Stromnetz notwendig. Bis zum Jahr 2035 sollen daher mehr als zwei Milliarden Euro in die Stromnetze investiert werden.

„Ziel der Energie AG ist es, sich noch nachhaltiger zu positionieren“, so Energie AGCEO Leonhard Schitter.

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Christoph Fagschlunger

Unser Antrieb für die Zukunft

Beim WING-Kongress, dem Forum für die Vordenker der Industrie, hielt Dr. Christoph Fagschlunger einen inspirierenden Vortrag. Dr. Fagschlunger, ein langjähriger BMW-Veteran, der 2003 als Doktorand bei BMW München begann und seit 2022 die Mechanikentwicklung sowie das Wärmemanagement im Entwicklungszentrum in Steyr leitet, gab tiefe Einblicke in die zukunftsweisenden Schritte der BMW Group in Bezug auf Antriebstechnologien und Nachhaltigkeit

BMW Group - Weltweites Produktionsnetzwerk

Das BMW Group Produktionsnetzwerk umfasst über 30 weltweite Standorte, die zusammen jährlich mehr als 2,5 Millionen Fahrzeuge produzieren. Das Werk in Steyr, Österreich, ist der größte Produktionsstandort für BMW Antriebe und gleichzeitig ein bedeutender Forschungsstandort. Dr. Fagschlunger hob hervor, dass Steyr nicht nur eine zentrale Rolle in der Produktion spielt, sondern auch in der Entwicklung innovativer Technologien, die die Zukunft der Mobilität prägen.

Ein Rückblick auf die Geschichte des Werks Steyr

Die Geschichte des BMW Group Werk Steyr ist durch eine Reihe bedeutender Meilensteine geprägt. 1979 erfolgte der Spatenstich durch den damaligen Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky. 1980 wurde das Dieselmo -

toren-Entwicklungszentrum eröffnet, und 1982 startete die Produktion. In den folgenden Jahren verzeichnete das Werk zahlreiche Erfolge, darunter die Produktion des millionsten Motors im Jahr 1989 und die Einführung der in Steyr entwickelten DirekteinspritzDieselfamilie im Jahr 1998. Bis 2019 wurden insgesamt 7,5 Milliarden Euro in das Werk investiert. Ab 2025 wird das BMW Group Werk Steyr auch die neuesten E-Antriebe der 6ten Generation produzieren.

Wirtschaftliche Bedeutung und Investitionen

Das BMW Group Werk Steyr spielt eine zentrale Rolle in der wirtschaftlichen Landschaft Österreichs. Im Jahr 2023 erzielte das Werk einen Umsatz von 4,2 Milliarden Euro und produzierte 1,2 Millionen Motoren. Seit Werksgründung wurden insgesamt 8,9 Milliarden Euro in Österreich investiert, davon allein im Jahr 2023 356 Millionen Euro. Die geplanten

Investitionen bis 2030 belaufen sich auf 1 Milliarde Euro, was die langfristige Bedeutung des Standorts für die BMW Group unterstreicht. Mit 4.700 Beschäftigten, darunter 700 in der Entwicklung, ist das Werk ein bedeutender Arbeitgeber und Innovationsmotor in Österreich

Entwicklung und Innovation in Steyr

Das Entwicklungszentrum in Steyr ist ein Hotspot für Innovationen im Bereich der Antriebstechnologien. Hier werden exklusiv die effizienten Dieselmotoren der BMW Group entwickelt. Seit einigen Jahren liegt der Fokus in der Entwicklung auch auf fortschrittlichen elektrischen Antriebssystemen.

„Aktuell arbeitet bereits 60 % unseres Teams an ElektromobilitätsThemen, wie zum Beispiel an Hochleistungs-E-Antrieben für die künftigen Fahrzeuge der BMW Group. Daneben verantworten wir auch das Wärmemanagement für alle neuen Elektrofahrzeuge der BMW Group,

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Foto: © BMW Group, Rafael Bittermann

die Entwicklung von Invertern für unsere E-Antriebe oder Applikationen für das Fahrverhalten,“ so Christoph Fagschlunger. Auch die Forschung und Entwicklung zur Aufrechterhaltung der Innovationskraft im Bereich der Dieselantriebe bleibt nach wie vor eine der Kernaufgaben des Entwicklungszentrums. Das Know-how aus Österreich treibt Fahrzeuge auf der ganzen Welt an:

In 2023 hat die BMW Group 24 neue Fahrzeuge auf den Markt gebracht. An über 60 % dieser Anläufe war die Mannschaft des Entwicklungszentrums beteiligt.

Nachhaltigkeit als Unternehmensphilosophie

„ Die BMW Group setzt sich klare Ziele zur CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 – über den gesamten Lebenszyklus von der Lieferkette über die Produktion bis zum Ende der Nutzungsphase. Über die gesamte Bandbreite sollen die CO2-Emissionen je Fahrzeug um 40 % gesenkt werden.

„ Die BMW Group hat sich dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Als erster deutscher Automobilhersteller ist die BMW Group der „Business Ambition

for 1,5 °C“ der Science-BasedTargets Initiative beigetreten. Das Unternehmen verpflichtet sich auf einen Kurs, der dem 1,5 Grad Ziel zur Begrenzung der globalen Erwärmung entspricht.

„ Die BMW Group beabsichtigt, bis spätestens 2050 „Net Zero“ (Netto-Null) bezüglich ihrer CO2e¬Emissionen über die gesamte Wertschöpfungskette zu erreichen.

Mit gutem Beispiel voran geht das BMW Group Werk Steyr, welches bereits im Jahr 2025 CO2-Neutralität anstrebt.

Elektromobilität bei BMW - die „Neue Klasse“

Die BMW Group hat eine lange Tradition in der Elektromobilität und gilt als Pionier in diesem Bereich2013 hat die BMW mit dem BMW i3 ein bahnbrechendes Elektrofahrzeug auf den Markt gebracht. Heute umfasst das Angebot 15 vollelektrische Modelle und viele Hybrid-Modelle über alle Baureihen und mit der „Neuen Klasse“ wird BMW ab 2025 eine neue Generation von Elektrofahrzeugen auf Basis einer völlig neuen Fahrzeugarchitektur einführen, die durch eine erhöhte Effizienz und fortschrittliche Digitalisierung gekennzeichnet sind.

Die Fahrzeuge der „Neuen Klasse“ werden nicht nur durch ihre Effizienz, sondern auch durch fortschrittliche Digitalisierung und ein neues Nutzererlebnis überzeugen. Die „Neue Klasse“ wird mit einem hocheffizienten 800V-System sowie Antriebseinheiten der neuesten Generation ausgestattet sein, was in Summe die Ladezeiten drastisch reduziert und die Reichweite erhöht. Die Kombination aus intelligenter Technologie und innovativem Design wird die Elektromobilität auf ein neues Niveau heben.

Herausforderungen und Effizienzfaktoren

Ein wesentlicher Faktor für die Effizienz von Elektrofahrzeugen ist das Ladeverhalten der Nutzer. In Deutschland zeigt sich, dass E-Fahrzeuge häufig zu Zeiten geladen werden, in denen die Stromerzeugung nicht durch erneuerbare Energien gedeckt ist. Dies führt zu einer Nutzung von fossilen Energieträgern und unterstreicht die Notwendigkeit einer besseren Integration erneuerbarer Energien in die Ladeinfrastruktur.(Verweis auf Studie/Quelle)

Die Effizienz von Elektrofahrzeugen wird auch durch externe Faktoren wie hohe Temperaturen, lange Distanzen und Anhängerfahrten be-

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Zutaten für eine hocheffiziente Antriebseinheit

einflusst. Die BMW Group arbeitet kontinuierlich daran, diese Herausforderungen zu meistern und die Effizienz der Fahrzeuge unter realen Bedingungen zu optimieren.

Wasserstofftechnologie als Innovation

Neben der Elektromobilität und der Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren setzt die BMW Group auch auf Wasserstofftechnologie als wichtigen Bestandteil der zukünftigen Mobilität. Wasserstofffahrzeuge bieten eine hohe Flexibilität und sind besonders in Bereichen sinnvoll, in denen batterieelektrische Fahrzeuge an ihre Grenzen stoßen, wie z.B. im Schwerlastverkehr oder in Regionen ohne ausreichende Ladeinfrastruktur. BMW entwickelt mit dem iX5 Hydrogen eine Pilotflotte von Brennstoffzellenfahrzeugen, die alle Vorteile des elektrischen Fahrens mit schnellem Tanken kombinieren.

Marktstrategie und Kundenorientierung

Die BMW Group verfolgt eine Strategie der Technologieoffenheit, um unterschiedliche Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Ob batterieelektrische Fahrzeuge, Plug-in-Hybride oder Fahrzeuge mit Verbrennungsantrieb– BMW bietet eine breite Palette an Antriebstechnologien an, die maximale Flexibilität und Nachhaltigkeit gewährleisten. Diese Diversifizierung erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Marktveränderungen und verringert das Risiko von Rohstoffengpässen. Es ist auch klar, dass die BMW Group auch nach 2035 weiterhin Verbrennungsmotoren produzieren wird, um die Nachfrage in Märkten zu bedienen, in denen alternative Antriebe noch nicht vollständig etabliert sind. Gleichzeitig wird die BMW Group intensiv daran arbeiten, die Effizienz und Nachhaltigkeit ihrer Fahrzeuge weiter zu ver-

bessern und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren.

Die BMW Group ist gut aufgestellt um die Zukunft der Mobilität aktiv zu gestalten und dabei innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl den Umweltanforderungen als auch den Kundenbedürfnissen gerecht werden.

Autor:

Dr. Christoph Fagschlunger

Leiter Mechanikentwicklung Antriebsmaschine & Wärmemanagement

Persönliches

- 45 Jahre

- Verheiratet, 2 Kinder

- Studiert & Promoviert an der Montanuniversität Leoben

Berufliches- Seit 20 Jahren bei BMW

- Bisher in 3 unterschiedlichen Führungspositionen in München

- Letzte Tätigkeit -> Chief-ENgineer

BMW 7er (G70)

Leitung Mechanikentwicklung Antriebsmaschine & Funktion Wärmemanagement, BMW Group

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Harald Hagenauer

Transformation der Branchen: Innovationen für eine nachhaltige Zukunft

Wie Wienerberger, Stadler Rail und Jungbunzlauer auf den Wandel reagieren

Im Rahmen einer aufschlussreichen Paneldiskussion diskutierten beim WING-Kongress 2024 führende Vertreter:innen der österreichischen Industrie die Herausforderungen und Chancen des Wandels in ihren Branchen. Christian Diewald, Geschäftsführer von Stadler Rail Austria, Josef Gaß, Executive Vice President Manufacturing & Technology von Jungbunzlauer, und Solveig Menard-Galli, COO CEE von Wienerberger, gaben Einblicke in die Transformationen, denen ihre Unternehmen gegenüberstehen, und die Maßnahmen, die sie ergreifen, um zukunftsfähig zu bleiben.

Wandel in der Bauindustrie

Solveig Menard-Galli von Wienerberger beschrieb den Wandel in der Bauindustrie als "wahnsinnig spannend". Mit über 200 Standorten und einem breiten Produktspektrum im Bereich der Gebäudelösungen steht Wienerberger vor der Herausforderung, traditionelle Produktionsprozesse wie das Brennen von Ziegeln mit Gas zu transformieren. Diese Umstellung erfordert erhebliche Innovationen und Investitionen. Menard-Galli betonte die Bedeutung von Forschung und Entwicklung sowie die Notwendigkeit, wettbewerbsfähig zu bleiben. "Die Kosten können nicht einfach weitergegeben werden. Das wird so nicht funktionieren," erklärte sie.

Ein bedeutendes Pilotprojekt in diesem Zusammenhang ist die Umstellung eines großen Ziegelwerks in Österreich von Gas auf elektrische

Energie. „Das bedeutet jedoch - man muss entweder dreimal so viel zahlen oder dreimal so effizient sein.," erklärte Menard-Galli. Diese neue Ofentechnologie soll nicht nur wirkungsvoller sein, sondern auch zur CO2-Reduktion beitragen. Menard-Galli zeigte sich optimistisch, dass die ersten elektrisch gebrannten Ziegel noch im Dezember dieses Jahres produziert werden könnten. "Die Infrastruktur ist für die Transformation noch nicht optimal vorbereitet. Für unser erstes Elektrizitäts-Werk haben wir die Leitungen selbst gegraben und verlegt, obwohl das eigentlich nicht unser Kerngeschäft ist," fügte sie hinzu.

Mobilitätswende als Chance und Herausforderung

Christian Diewald von Stadler Rail Austria sieht in der Mobilitätswende eine große Chance für sein Unterneh-

men. In diesem Zusammenhang erzählte er, dass Stadler Rail bereits vor über 80 Jahren das umgesetzt hat, was heute als modern gilt – die Herstellung von Hybridlokomotiven für den Bergbau. Heute liefert kein anderer Lokomotivhersteller so viele Batteriezüge und Wasserstofffahrzeuge wie Stadler. Die steigende Nachfrage nach klimafreundlichen Schienenfahrzeugen stellt jedoch erhebliche Herausforderungen dar, insbesondere in Bezug auf Lieferketten und Marktgröße. Österreich ist für Stadler Rail der drittwichtigste Markt. Diewald betonte die Notwendigkeit, dass die Politik klare Ziele setzen soll und muss, aber die Methoden den Unternehmen überlässt, um Innovationen nicht zu behindern. Er sprach zudem die Schwierigkeiten an, die durch nicht abgestimmte politische Maßnahmen entstehen können, wie beispielsweise beim Klimaticket. Obwohl dies eine

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Hochkarätige Branchenvertreter:innen sprechen über den aktuellen industriellen Wandel; Fotos © WING/Matthias Heisler

großartige Idee war, hätten die dahinterliegenden Strukturen besser vorbereitet sein müssen, um eine reibungslosere Umsetzung zu gewährleisten.

Energieintensive Industrien im globalen Wettbewerb

Josef Gaß von Jungbunzlauer fokussierte sich auf die Herausforderungen, die die Energie- und Mobilitätswende für energieintensive Industrien mit sich bringt. Er betonte die Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen gegenüber Konkurrenten aus den USA und China, die oft von günstigeren Energiepreisen profitieren. Die Defossilisierung der Industrie sei unvermeidlich, aber auch mit erheblichen Kosten verbunden, die letztlich von den Konsument:innen getragen werden müssen. Gaß hob die Bedeutung von technologischen Innovationen zur CO2-Reduktion hervor, wie beispielsweise Carbon Capture and Storage (CCS). Ohne solche Technologien seien die Klimaziele nicht erreichbar. Er plädierte für einen Schulterschluss zwischen Industrie und Politik, um gemeinsam an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten.

Nachhaltigkeitsziele und langfristige Strategien

Wienerberger verfolgt ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele, darunter CO2Neutralität bis 2050. Kurzfristig sollen bis 2026 bereits 20-25 % der Emissionen reduziert werden. Menard-Gal-

li betonte die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft und der Langlebigkeit von Gebäuden, um den Energieverbrauch zu minimieren. Sie hob auch die Biodiversität als wichtigen Aspekt der Nachhaltigkeitsstrategie hervor. Stadler Rail Austria fokussiert auf die lange Produktlebensdauer von mindestens 32 Jahren im Bereich der Schienenfahrzeuge und optimiert die CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge. Diewald betonte die Bedeutung von Technologien zur Überwachung und Wartung der Züge, um deren Effizienz und Leistungsfähigkeit zu maximieren.

Herausforderungen der Dekarbonisierung

Gaß schilderte die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Dekarbonisierung in der Industrie. Jungbunzlauer beschäftigt sich intensiv mit der Dekarbonisierung. Während die ersten 30 % der CO2Reduzierung mit Hilfe von technische Maßnahmen wie Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen, etc. erreicht werden können, sind die nächsten 30 % bereits kostenintensiver und die Vermeidungskosten pro Tonne CO2 liegen dann bereits bei 1000-1500 Euro an Investitionskosten. Die letzten 3040 % sind nur durch die Implementierung von Carbon-Capturing-Technologien zu erreichen.

Zusammenarbeit zwischen Politik und Industrie

Abschließend betonten alle Teilnehmer:innen die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Politik und Industrie. Menard-Galli forderte klare Fördermaßnahmen auf europäischer Ebene und ein starkes Bekenntnis zur Unterstützung neuer Energieformen. Diewald plädierte für Kostentransparenz und eine gleichberechtigte Behandlung von Straße und Schiene, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu sichern. Gaß hob hervor, dass industrielle Wertschöpfung in Europa gehalten werden müsse, da die Emissionen hier vergleichsweise geringer seien.

Er betonte die Bedeutung von Förderungen und Investitionen in Innovationen, um die Vorreiterrolle Europas im Bereich der nachhaltigen Industrie zu sichern.

Fazit

Der Wandel ist unvermeidlich und erfordert erhebliche Investitionen, Innovationen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft. Die Unternehmen sind bereit, ihren Beitrag zu leisten, um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, benötigen jedoch klare politische Rahmenbedingungen und Unterstützung, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die Klimaziele zu erreichen.

COO CEE Wiener-

23 WINGbusiness 2/2024 UNINACHRICHTEN
Solveig

Produktion im Zeichen der Energiewende

Mit Innovationskraft in eine grüne Zukunft

Wir stehen vor der größten wirtschaftlichen Transformation seit der industriellen Revolution. Sie bringt massive Herausforderungen mit sich. Doch bei wienerberger erlebe ich täglich, dass Nachhaltigkeit, Produktivität und Wachstum zusammenpassen. Der Schlüssel: Innovationskraft.

Die

ökologische Transformation ist die entscheidende Herausforderung unserer Zeit. Schon heute werden Extremwetterereignisse immer häufiger, von Überschwemmungen bis Hitzewellen. Um kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen, müssen wir die Ziele des European Green Deal erreichen, allen voran die Klimaneutralität bis 2050. Der Gebäudesektor ist einer der größten Hebel für die Dekarbonisierung. In Summe entfallen laut Angaben der Europäischen Union rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen auf den Gebäudesektor. Das umfasst vor allem die Phasen Bau, Nutzung, Renovierung und Abriss. Mit unseren ökologischen und innovativen Lösungen für Wohnbau, energieeffiziente Renovierung sowie Wasser- und Energiemanagement verbessern wir nicht nur kontinuierlich die Lebensqualität der Menschen, sondern sind selbst Teil der Lösung,

indem wir proaktiv die Herausforderungen des Klimawandels und seiner Auswirkungen angehen.

Aber auch die Industrie hat erheblichen Einfluss, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Laut Daten des Europäischen Parlaments entfallen in der EU über neun Prozent der Emissionen auf industrielle Prozesse sowie Produktnutzung. Um klimaneutral wirtschaften zu können, müssen wir einerseits effizienter produzieren –laut Berechnungen der Vereinten Nationen muss sich die Energieeffizienz bis 2030 verdoppeln – und andererseits den Anteil erneuerbarer Energie im Energiemix deutlich erhöhen.

Natürlich geschieht das nicht von heute auf morgen. Doch wir sehen bereits heute, dass große Teile der Wirtschaftswelt diese Transformation anpacken. Natürlich entstehen dabei Kosten, gerade für die Umstellung der Energieversorgung müssen Unternehmen oft große Summen bereitstellen. Nachvollziehbarerweise haben viele Betriebe in der Vergan-

genheit auf günstig verfügbare Energiequellen gesetzt, das waren bislang oft fossile Energien. Doch der Wandel hin zu nachhaltigem Wirtschaften ist – ganz objektiv und wissenschaftlich gesehen – alternativlos. Und ich bin überzeugt, dass es gelingen wird.

Nachhaltigkeit ist seit jeher ein integraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie und dass Nachhaltigkeit, Produktivität und Wachstum zusammenpassen können, erlebe ich selbst täglich in meiner Arbeit als COO von wienerberger. Auch bei herausfordernden Marktbedingungen, wie zuletzt durch die Teuerung und die Zinserhöhung, bleiben wir bei unserem klaren Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2050. Wir tun das nicht nur aus persönlicher Überzeugung, sondern auch, um wienerberger zukunftssicher zu machen: Die regulatorischen Rahmenbedingungen entwickeln sich klar hin zu mehr Nachhaltigkeit, und die Kunden fordern es immer stärker ein.

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Fotos © wienerberger Solveig

Diese konsequente Transformation gelingt uns, weil wir auf Innovationskraft setzen. Dafür möchte ich im Folgenden einige Beispiele aus mehreren Bereichen nennen. Sie alle zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften möglich ist, wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen.

Um unsere CO2-neutrale Baumaterialien zu produzieren, haben wir die ersten Produktionsanlagen von Gas auf Ökostrom umgestellt, was die Energiekosten pro KWH verdreifacht. Dieser Herausforderung konnten wir mit einer neu entwickelten Ofentechnologie begegnen, die dreimal so effizient funktioniert wie herkömmliche Produktionsprozesse. Ein weiteres Beispiel sind unsere Innovationen beim Trocknen und Brennen von Ziegel, zwei besonders energieintensive Prozesse. Die Ziegel werden in Großanlagen mit Heißluft getrocknet. Dabei geht Energie durch die mit Wasserdampf beladene Abluft verloren. Wir haben eine Lösung gefunden, indem wir den Trockner mit neuartigen, besonders effizienten Kompressionswärmepumpen ausgestattet haben, die mit Ökostrom betrieben werden. Dabei nutzen wir die in der Abluft enthaltene Energie zur Erzeugung von Heißwasser, welches wiederum zur Beheizung der Trocknungsanlage eingesetzt wird. Dadurch haben wir den Energieverbrauch für die Trocknung um bis zu 80 Prozent gesenkt. Außerdem entwickeln wir unsere Produkte in allen Segmenten laufend weiter, um die definierten Produkteigenschaften mit geringerem Ressourceneinsatz und mit niedrigerem Energieeinsatz zu erreichen.

Diese Beispiele zeigen: Produzieren in Zeiten der Energiewende bedeutet vor allem, agil zu sein und beherzt in Forschung und Entwicklung zu investieren. Ein besonders spannender Trend, der zur Erreichung der Klimaneutralität eine entscheidende Rolle spielen wird, ist die Eigenproduktion von Energie. Neben Großunternehmen produzieren auch immer mehr kleine und mittlere Unternehmen ihren Strom mit eigenen Photovoltaik- und Windkraftanlagen selbst.

Auch wienerberger baut die eigene Stromproduktion laufend aus, etwa mit einer Windkraftanlage am Standort Beerse in Belgien, die zur Ziegelproduktion eingesetzt wird. Im Bereich der Photovoltaik haben wir ebenfalls ein Programm gestartet, bei dem wir Ziegelwerke mit Anlagen auf den Dächern ausstatten und damit die Nutzung fossiler Energien in der Produktion weiter reduzieren.

Hohes Einsparpotenzial gibt es auch beim Transport. Viel wird schon gewonnen durch möglichst kurze Fahrtwege. Wir haben dafür ein eigenes Transportmanagementsystem entwickelt. Genaue Berechnungen helfen dabei, Routen zu optimieren und möglichst viele Produkte pro Lkw zu befördern – das spart Wegstrecken und Emissionen. Zusätzlich erstellt die Software eine visuelle Darstellung, um Waren optimal im Laderaum zu platzieren. Das Potenzial ist groß: Bisher konnten im Piping Bereich dadurch die CO2-Emissionen im Transport um rund fünf Prozent gesenkt werden.

Ein weiterer Baustein ist die Kreislaufwirtschaft. Dabei werden Materialien so oft wiederverwendet wie möglich. Ein konkretes Beispiel dafür ist Urban Mining. Abgerissene Gebäude dienen dabei als Baustoffquelle. In den Niederlanden entwickelte wienerberger einen speziellen Ziegel, den „CicloBrick“, der zu 20 Prozent aus diesen Urban Mining-Rohstoffen besteht. Um die Kreislaufwirtschaft insgesamt zu fördern, sind bei wienerberger >90 % aller hergestellten Produkte wiederverwendbar oder recycelbar.

All diese Beispiele zeigen deutlich, was wir durch Innovationskraft erreichen können. Das bedeutet nicht, dass dieser Wandel einfach wäre. Jede große Transformation bringt Herausforderungen mit sich, und die Erreichung der Klimaneutralität ist eine der größten wirtschaftlichen Transformationen seit der industriellen Revolution.

Ich bin stolz darauf, bei wienerberger Teil der Lösung zu sein und an einer nachhaltigen Zukunft für kommende Generationen mitzuarbeiten. Denn das ist die größte und wichtigste Aufgabe, vor der wir heute stehen.

Zur Autorin:

Solveig Menard-Galli ist seit 2019 Teil des wienerberger Vorstands und seit 2023 als Chief Operating Officer für alle wienerberger Aktivitäten in Osteuropa zuständig. Zuvor war sie als Chief Performance Officer (CPO) für die Performancesteigerungs- und Digitalisierungsagenden bei wienerberger verantwortlich.

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Galli Vorstand COO East Wienerberger AG
Solveig Menard-

Reinhard Florey

Innovationen für eine nachhaltige Zukunft: Die Transformation der OMV

Die OMV stellt die Weichen für eine dekarbonisierte Zukunft. Es ist die größte Transformation in unser über 60-jährigen Unternehmensgeschichte. Wir stellen die OMV als ein integriertes Unternehmen für nachhaltige Chemikalien, Kraftstoffe und Energie auf. Dabei haben wir ein klar definiertes Ziel: Bis spätestens 2050 soll die OMV in den drei Scopes 1, 2 und 3 klimaneutral zu sein.

Der Kompass dafür ist unsere Strategie 2030, Nachhaltigkeit ihr Ausgangspunkt und Kernelement. Bei der Umsetzung sind wir auf einem guten Weg. Bis Ende 2023 konnten wir unsere Emissionen im Scope 1 und 2 um jeweils 25 Prozent, im Scope 3 um zehn Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2019 senken. Dabei spielen Innovationen und neue Technologien eine zentrale Rolle. Wir wollen die Grundlagen für ein nachhaltiges Leben neu erfinden. Gleichzeitig reduzieren wir Schritt für Schritt unsere Produktion sowie den Verbrauch an fossiler Energie. Unsere Strategie 2030 basiert auf dem Prinzip der verantwortungsvollen Transformation. Die erfolgreichen Geschäfte von heute ermöglichen es uns, in kohlenstoffarme Geschäfte der Zukunft zu investieren und zu diversifizieren.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Joint Venture „deeep“, das die OMV mit Wien Energie im November 2023 gegründet hat. In Wien soll schon in

wenigen Jahren geothermische Fernwärme für bis zu 200.000 Haushalte Realität sein. Die Energie-Leistung soll bei bis zu 200 Megawatt liegen –und das zu 100 Prozent klimaneutral.

Warme unterirdische Quellen werden dann für die Fernwärmeversorgung genutzt. Die OMV bringt dafür hervorragende Kompetenz in Geologie, der Förderung und Exploration in das

Unter der Marke „OMV eMotion“ baut OMV ein flächendeckendes Netz von Hochleistungs-Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Bis 2030 entstehen rund 5.000 neue Ladepunkte im europäischen Vertriebsnetz.

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Sustainable Aviation Fuel (SAF) ist nachhaltiger Flugkraftstoff, der im Flugverkehr zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin beiträgt. In der OMV-Raffinerie in Schwechat wird SAF aus Altspeiseöl hergestellt – das alte Schnitzelfett geht so in den Flugzeugtank. Alle Fotos © OMV

Gemeinschaftsunternehmen. Wien Energie hat langjährige Erfahrung im Betrieb eines der größten Fernwärmenetze Europas.

Klar ist: Die langfristige Umstellung auf erneuerbare Energien erfordert Investitionen, Zeit und Geduld. Es gilt kurz- und mittelfristige Ziele verantwortungsvoll auszubalancieren. Wir müssen realistisch sein und sowohl auf erneuerbare Energien als auch auf fossile Brennstoffe setzen, um eine stabile Energieversorgung zu gewährleisten. Gas wird als Brückentechnologie in absehbarer Zukunft unverzichtbar sein.

Eine eigene Energie-Gewinnung in Europa ist dabei ein Beitrag zur Versorgungssicherheit auf unserem Kontinent. Daran arbeitet OMV Petrom mit dem Projekt Neptun Deep im Schwarzen Meer in Rumänien. Dort investieren OMV Petrom und Romgaz in die Erschließung von förderbaren Erdgasreserven. Nachdem im Juni 2023 die finale Investitionsentscheidung getroffen wurde, schreitet das Projekt gut voran. Die erste Produktion erwarten wir für 2027. Dann wird Rumänien durch Neptun Deep zum größten Erdgasproduzenten in der EU. Gleichzeitig bauen wir in Rumänien eine signifikante erneuerbare Stromerzeugung aus Fotovoltaik- und Windparks auf, die unser Ziel unterstützt, bis 2050 ein ausgeglichenes Energieportfolio zu erreichen.

Ein ebenso innovatives Projekt ist Sustainable Aviation Fuel (SAF). Diese nachhaltigen Flugkraftstoffe tragen im Flugverkehr zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin bei. In unserer Raffinerie in Schwechat stellen wir SAF aus Altspeiseöl her – das alte Schnitzelfett geht so in den Flugzeugtank. Im Moment produzieren wir rund 4.000 Tonnen SAF jährlich. Das entspricht – abhängig vom Flugzeugtyp – 800 bis 1.000 Flügen von Wien nach London. In der Industrie besteht großes Interesse. So konnte die OMV in den vergangenen zwei Jahren Abnahmevereinbarungen zu SAF mit großen Fluggesellschaften wie Ryanair, Air France-KLM, Lufthansa und Wizz Air abschließen. Und das Wachstumspotenzial ist hoch: Denn der Gesetzgeber schreibt einen schrittweisen Ausbau der SAF-

Das Joint Venture „deeep“, das die OMV mit Wien Energie im November 2023 gegründet hat, soll schon in wenigen Jahren geothermische Fernwärme für bis zu 200.000 Haushalte in Wien erzeugen.

Nutzung im Flugverkehr vor. Mit den sogenannten SAF-Mandaten der EU wird im nächsten Jahr eine Beimischung von zwei Prozent SAF zum herkömmlichen Flugbenzin verbindlich. Bis zum Jahr 2030 steigt dieser Anteil auf sechs Prozent, um dann 2035 schon bei 20 Prozent zu liegen.

Mit unseren SAF-Zertifikaten –den „OMV SAF Business Solutions“ – gehen wir einen weiteren Schritt bei der Dekarbonisierung des Flugverkehrs. Mit diesem neuen Geschäftsfeld unterstützen wir Unternehmen dabei, ihre Klimaziele zu erreichen. Dabei überträgt die OMV die Umweltvorteile von SAF zuverlässig und nachweisbar auf ein Zertifikat. Unsere Kunden, wie zum Beispiel Microsoft, können dann mit den Zertifikaten zur Dekarbonisierung des eigenen Geschäftsflugverkehrs oder des Lufttransports von Gütern beitragen.

Die OMV setzt sich ebenso für einen nachhaltigeren Personenverkehr ein: Im vergangenen Jahr haben wir „OMV eMotion“ gestartet. Diese Marke steht für ein flächendeckendes Netz von HochleistungsLadestationen für Elektrofahrzeuge, das wir aufbauen. Bis 2030 planen wir mit rund 5.000 neuen Ladepunkten im europäischen Vertriebsnetz der OMV. Auch an der Dekarbonisierung des Schwerlastverkehr sind wir mit OMV eMotion beteiligt und haben im Februar 2024 den ersten Ladepunkt für E-LKWs in Österreich in Völkermarkt eröffnet.

Gleichzeitig entwickeln wir Lösungen für die Kreislaufwirtschaft. Das sind wichtige Treiber auf dem Weg zur Klimaneutralität. Der Grundgedanke dahinter: Abfälle in wertvolle Rohstoffe umwandeln. Ein solches Projekt haben wir im November 2023 im Bereich Chemicals & Materials Jahr initiiert. Zusammen mit unserem Partner Interzero bauen wir die größte Sortieranlage für Misch-Kunststoffabfälle in Europa. Die Inbetriebnahme in Walldürn in Deutschland ist für 2026 geplant. Diese Anlage wird Altkunststoffe verarbeiten, die sonst auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen landen würden. Die Kunststoffabfälle aus der Sortieranlage in Walldürn wollen wir mit unserer patentierten ReOil-Technologie für chemisches Recycling in wertvolle Sekundärrohstoffe umwandeln. Dafür entsteht in unserer Raffinerie in Schwechat die bislang leistungsstärkste ReOil-Anlage der OMV. Sie soll noch heuer in Betrieb genommen werden. Eine echte WinWin-Lösung für Unternehmen und Umwelt.

Auch beim grünen Wasserstoff engagiert sich die OMV: Diese nachhaltige Technologie wird eine wesentliche Rolle bei der Reduzierung von CO2-Emissionen in unseren Raffinerien in Österreich, Rumänien, und Deutschland sowie im Kraftstoffgeschäft spielen. Die OMV gehört zu Europas Vorreitern in der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Im Laufe

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Sustainable Aviation Fuel (SAF): Die momentane SAF-Jahresproduktion der OMV liegt bei rund 4.000 Tonnen SAF. Tendenz steigend.

des Jahres 2024 werden wir unsere erste Elektrolyseanlage in Schwechat in Betrieb nehmen. Mit einer Produktionskapazität von bis zu 10 MW wird es dann die größte Elektrolyseanlage in Österreich sein. Momentan prüfen wir das Potenzial für zusätzliche Elektrolyseure in Österreich, sowie die Entwicklung von Importoptionen für Wasserstoff und Wasserstoffderivate. OMV Petrom investiert rund 140 Millionen Euro in den Bau von zwei Elektrolyseanlagen mit einer Gesamtkapazität von 55 MW. Wir sind vom Potential der Wasserstofftechnologie überzeugt. Dafür suchen wir auch branchenübergreifende Allianzen. Etwa als Anteilseigner des "Hydrogen Technology Research Centre" – einer der größten interdisziplinären Verbände Europas, der sich der Entwicklung von grünen Wasserstofftechnologien widmet.

Die Beispiele aus unserem umfangreichen Projektportfolio zeigen die Geschwindigkeit der grünen Transformation – dafür nehmen wir auch erhebliche Investitionsmittel in die

Hand. Neue Technologien sind wichtige Beschleuniger. Wir werden sie mit Hochdruck vorantreiben und profitable neue Geschäftsfelder aufbauen. Bis 2025 werden ca. 25 Prozent unserer organischen Investitionen in emissionsarme Aktivitäten fließen. In den Jahren nach 2025 werden wir diesen Anteil weiter steigern. Er soll bis 2030 bis zu 50 Prozent betragen. Heuer haben wir insgesamt 3,8 Milliarden Euro für Wachstum und Transformation des Unternehmens vorgesehen. Davon entfallen bereits mehr als 20 Prozent auf nachhaltige Projekte.

Der Klimawandel ist und bleibt eine große Herausforderung für uns alle. Darin liegen aber auch Chancen. Wir sind überzeugt, dass der Erfolg eines Unternehmens von seiner Fähigkeit abhängen wird, Nachhaltigkeit als Wachstums- und Innovationsmotor zu nutzen. Dafür ist die OMV gut gerüstet. In allen strategisch relevanten Bereichen konnten wir 2023 Meilensteine erreichen. Und auch 2024 planen wir weitere Innovati-

onen auf den Weg zu bringen. Damit ist die OMV sehr gut im internationalen Wettbewerb positioniert.

Autor:

Reinhard Florey, Vorstandsdirektor OMV Aktiengesellschaft, Chief Financial Officer (CFO):

Reinhard Florey schloss sein Studium des Maschinenbaus und der Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Graz ab und absolvierte gleichzeitig ein Musikstudium an der Universität Graz. Er begann seine Karriere in der Unternehmens- und Strategieberatung. Von 2002 bis 2012 war er in verschiedenen Positionen weltweit für Thyssenkrupp tätig und ist seit rund 15 Jahren als Finanzvorstand tätig. Zuletzt war er CFO und stellvertretender CEO von Outukumpu. Seit 1. Juli 2016 ist Reinhard Florey CFO der OMV Aktiengesellschaft.

Über OMV Aktiengesellschaft:

Es ist unser Unternehmenszweck, die Grundlagen für ein nachhaltiges Leben neu zu erfinden. Die OMV wandelt sich zu einem integrierten Unternehmen für nachhaltige Chemikalien, Kraftstoffe und Energie, mit einer Schlüsselrolle in der Kreislaufwirtschaft. Durch die schrittweise Umstellung auf ein kohlenstoffarmes Geschäft strebt die OMV an, bis spätestens 2050 NettoNull-Emissionen zu erreichen. Das Unternehmen erzielte im Jahr 2023 einen Umsatz von EUR 39 Milliarden und beschäftigt rund 21.000 Mitarbeiter:innen weltweit. OMV Aktien werden an der Wiener Börse (OMV) sowie als American Depository Receipts (OMVKY) in den USA gehandelt. Weitere Informationen auf www.omv.com.

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Environmental Social Governance (ESG):

Distraction or Revolution?

SMI Online-Forum 2024

Sustainability Management for Industries (SMI) fördert als interdisziplinäre Diskussions- und Themenplattform den Wissensaustausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie zu interessanten und zukunftsorientierten Fragestellungen im Umfeld der „Grünen Transformation“ von europäischen Industriebetrieben. Bereits seit 2005 veranstaltet der Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften (WBW) alle zwei Jahre an der Montanuniversität Leoben sehr erfolgreich die zugehörige Kongressreihe SMI.

Das „SMI Online Forum“ ist eine am 5. November 2024 vom WBW in Kooperation mit der European University on Responsible Consumption and Production (EURECA-PRO) erstmals geplante internationale Online-Veranstaltung, in der aktuelle Fragen und Themen zur „Grünen Transformation“ europäischer Industrieunternehmen diskutiert werden. In Anlehnung an die SMI-Diskussionsplattform werden in diesem neuen Online-Format diese Themen von internationalen Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft vorgestellt und mit den Teilnehmenden diskutiert.

Zielgruppe: Diese Online-Forum richtet sich an verschiedene StakeholderGruppen wie führende Forscher*innen, Manager*innen, Mitarbeiter*innen, Expert*innen sowie PhD-Studierende aus den Bereichen unternehmerisches Energie- und Nachhaltigkeitsmanagement, nachhaltiges Finanzwesen und allen an der „Nachhaltigen Transfor-

mation“ von Industrieunternehmen beteiligten Branchen.

Geplante Themenschwerpunkte

„ ESG-Ökosystem: Konzepte, Bewertungsmetriken, Portfoliooptimierung, Schwellenwerte

„ Strategische Entwicklungsstrategien: UN SDG, Pariser Ziele, Klimaneutralität, Net Zero

„ Rohstoffmanagement: kritische Rohstoffe, Konfliktmineralien, Kreislaufwirtschaft

„ EU-Regulierungsschwerpunkt: EU-Taxonomie, CSRD, CSDDD, SFDR

„ Finanzielle Bewertungsmetriken in der Nachhaltigkeitsberichterstattung

„ Ansätze und Modelle der betrieblichen Wertschöpfung

„ Kapital-, Kredit- und Risikokapitalmärkte als Treiber der betrieblichen Energiewende

Ansprechpartner

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont. Wolfgang Posch Leitung, Department Wirtschafts- und Betriebswissenschaften (WBW), Montanuniversität Leoben

Univ. Prof. Dipl.Ing. Dr. Wolfgang Posch leitet das Department Wirtschafts- und

Betriebswissenschaften an der Montanuniversität Leoben mit dem Forschungsschwerpunkt Wertsteigerung durch Energiemanagement, Ressourcenmanagement und Datenanalyse. Zuvor war er 15 Jahre in der Energieindustrie und 6 Jahre in der Managementberatung tätig.

Dipl.-Ing. Dr.mont. Volkmar Kircher Senior Scientist & Projektmanagement Research, EURECA-PRO, Montanuniversität Leoben

Dr. Volkmar Kircher ist Senior Scientist an der Montanuniversität Leoben und seit 2021 als Projektmanager für Forschung und Lehre für EURECA-PRO tätig. Er beschäftigt sich mit Projekteinreichungen, Innovation Living Labs, der Koordination von Veranstaltungen sowie mit der Implementierung von englischsprachigen Studienprogrammen.

Mag. et Dr.rer.soc.oec. Gerald Feichtinger

Senior Scientist, WBW, Montanuniversität Leoben

Dr. Gerald Feichtinger ist als Senior Scientist am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften an der Montanuniversität Leoben tätig.

Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Umfeld der Ressourcenökonomie sowie des Nachhaltigkeitsmanagements mit Fokus auf die nachhaltige Transformation von Unternehmen.

Infos & Anmeldung

Datum: 5. November 2024 (online) https://wbw.unileoben.ac.at/weiterbildung/smi-plattform/smi-forum https://www.eurecapro.eu/

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Gerhard Krassnig

Culture und Leadership–Voraussetzung bei ChangeProzessen

Aktuelle Herausforderungen wie Energiewende, Transformation von Energiesystemen, Kreislaufwirtschaft und neue Mobilität erfordern im Management neue Ansätze. Neben Technologien, Wertschöpfungsketten und Abläufen sind insbesondere Denkweisen zu verändern.

Change ist also das große Thema. Organisationen müssen sich verändern. Neue Qualifikationen sind erforderlich und müssen erworben werden. Abläufe werden einer kritischen Prüfung unterzogen und Teamzusammensetzungen und die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und den betrieblichen Wertschöpfungsprozess gestalten, werden neu gedacht. Über all dem steht das Thema Führung und Leadership und die Frage: „Wie schaffen es Führungskräfte, die notwendigen Veränderungsprozesse umzusetzen? Welche Voraussetzungen sind für erfolgreiche Veränderungsprozesse notwendig, wo sind Hürden zu überwinden und wo liegen ganz spezifische Chancen?

Spencer Stuart, ein globales Beratungsunternehmen im Segment Executive Search und Leadership Advisory, beschäftigt sich intensiv mit diesen Themenstellungen.

Das Beratungsspektrum umfasst unter anderem:

Executive Search, d.h. Suche und Platzierung von Top-Führungskräften:

Die Anforderungen an Führungskräfte entwickeln sich rasant weiter, und der Bedarf an leistungsstarken Führungskräften bleibt konstant hoch. Board Services:

Diese umfassen Effizienzüberprüfungen von Aufsichtsrats Gremien

sowie die Suche und Platzierung von Aufsichtsräten.

Executive Assessments:

Dabei geht es um die Beurteilung von einzelnen Führungskräften.

Im Fokus stehen nicht nur die Analyse des Lebenslaufs und die Einschätzung der Fähigkeiten. Wesentliche Elemente sind eher verborgen

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Foto: © Spencer Stuart

und beziehen sich auf Potentia l und Wertehaltungen.

Leadership Consulting:

Hier geht es um die Evaluierung von Teams und Organisationen im weiteren Sinn.

Insgesamt geht es also um die Frage: Was sind die spezifischen Voraussetzungen für Erfolg?

Das dargestellte integrierte Leadership Model verbindet die wesentlichen Elemente erfolgreicher Führung:

„ 1) Clarity: Zweck, Vision, Strategie und Zielkultur im Kontext mit dem wirtschaftlichen Umfeld.

„ 2) Alignment: Ausrichtung der Ressourcen auf gemeinsame Ziele und Sicherstellung, dass die besten Mitarbeiter an den richtigen Aufgaben arbeiten.

„ 3) Vitality: Ausmaß der intellektuellen und emotionalen Übereinstimmung mit den Zielsetzungen und das Engagement in der Verfolgung derselben.

„ 4) Coherence: Ständige iterative Anpassung dieser Elemente an sich verändernde Bedingungen.

Welche sind nun die primären Hebel, die Führungskräften zur Verfügung stehen, um Organisationen erfolgreich durch herausfordernde Phasen zu führen?

Strategie und Kultur:

Die Strategie bietet eine formale Logik für die Ziele des Unternehmens und orientiert Mitarbeiter an diesen. Kultur hingegen drückt Ziele durch Werte und Überzeugungen aus und leitet Aktivitäten durch gemeinsame Annahmen und Gruppennormen.

Strategie sorgt für Klarheit und Fokus bei kollektivem Handeln und in Entscheidungsfindungsprozessen. Sie stützt sich auf Pläne und Handlungsalternativen. Strategie ermöglicht es, Menschen zu mobilisieren. Sie kann oft sowohl durch konkrete Belohnungen für das Erreichen von Zielen als auch durch Konsequenzen bei Nichterreichung durchgesetzt werden. Die vielgestaltigen Bonussysteme und Long-Term-Incentive Pläne bilden diesen Zusammenhang ab. Idealerweise beinhaltet Strategie auch adaptive Elemente, welche

die externe Umgebung scannen und analysieren und rechtzeitig erfassen, zu welchem Zeitpunkt Änderungen erforderlich sind, um Kontinuität und Wachstum zu erhalten.

Kultur hingegen ist ein schwerer fassbarer Hebel. Vieles, was Kultur ausmacht, ist in unausgesprochenen Verhaltensweisen, Denkweisen und sozialen Mustern verankert. Zum Guten wie zum Schlechten sind Kultur und Führung untrennbar miteinander verbunden. Unternehmensgründer prägen beispielsweise nicht nur das Unternehmen, sie prägen vielfach auch spezifische Kulturen. Sie prägen Werte, Haltungen und Einstellungen, die Jahrzehnte lang bestehen bleiben.

Was ist also Unternehmenskultur und was ist nicht Unternehmenskultur?

Kultur ist die stillschweigende soziale Ordnung einer Organisation: Sie formt Einstellungen und Verhaltensweisen auf weitreichende und dauerhafte Weise. Kulturelle Normen definieren, was innerhalb einer Gruppe ermutigt, entmutigt, akzeptiert oder abgelehnt wird. Wenn sie richtig mit den individuellen Werten, Antrieben und Bedürfnissen korreliert, kann Kultur eine große Menge an Energie freisetzen, auf ein gemeinsames Ziel lenken und damit die Effektivität und Leistungsfähigkeit einer Organisation steigern.

Kultur kann sich auch flexibel und autonom als Reaktion auf wechselnde Anforderungen entwickeln. Sie kann auch abdriften. Während Strategie

typischerweise von der Geschäftsleitung bestimmt wird, kann Kultur die Intentionen und Ziele der obersten Führungskräfte mit dem Wissen und den Erfahrungen der Mitarbeiter an der Basis fließend verbinden.

Vier Attribute kennzeichnen Unternehmenskultur:

Kultur ist:

1) Geteilt. Sie ist ein Gruppenphänomen. Sie kann nicht allein in einer einzigen Person existieren. Noch ist sie einfach der Durchschnitt individueller Eigenschaften. Sie lebt in geteilten Verhaltensweisen, Werten und Annahmen und wird am häufigsten durch die Normen und Erwartungen einer Gruppe erfahren – das heißt, durch die ungeschriebenen Regeln.

2) Allgegenwärtig. Sie durchdringt mehrere Ebenen und findet sehr breite Anwendung in einer Organisation. Manchmal wird sie sogar mit der Organisation selbst gleichgesetzt. Sie zeigt sich in kollektiven Verhaltensweisen, physischen Umgebungen, Gruppenritualen, sichtbaren Symbolen, Geschichten und Legenden. Andere Aspekte der Kultur sind unsichtbar, wie Denkweisen, Motivationen und unausgesprochene Annahmen.

3) Dauerhaft. Kultur kann das Denken und Handeln von Gruppenmitgliedern langfristig lenken. Sie entwickelt sich durch kritische Ereignisse im kollektiven Leben und Lernen einer Gruppe. Ihre Beständigkeit wird teilweise durch das sogenannte „Attraction - Selection - Attrition Model" erklärt: Dieses beschreibt, warum die Varianz der Persönlichkeitsmerk-

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male innerhalb von Organisationen geringer ist als zwischen Organisationen. Demnach werden bestimmte Menschen durch bestimmte Organisationen angezogen. Die von der Organisation als passend Eingestuften werden ausgewählt, und wer sich nicht einfügt, verlässt von selbst die Organisation oder wird dazu aufgefordert. So wird Kultur zu einem sich selbst verstärkenden sozialen Muster, das zunehmend widerstandsfähig gegen Veränderungen und äußere Einflüsse wird.

4) Implizit. Ein wichtiger und oft übersehener Aspekt der Kultur ist, dass trotz ihrer unterschwelligen Natur die Menschen effektiv darauf programmiert sind, sie instinktiv zu erkennen und darauf zu reagieren. Sie wirkt wie eine Art stille Sprache.

Unternehmenskultur ist jedenfalls nicht , was oft in Schlagworten im Empfangsbereich von Konzernen und Großunternehmen eingerahmt an der Wand hängt und sich so liest wie: „Wir sind alle kundenorientiert, und wir handeln immer im Interesse der Firma, und wir gehen respektvoll miteinander um“, und so weiter und so fort.

Eine von Spencer Stuart durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass 60 % der befragten Führungskräfte Kultur für wichtiger als Strategie halten. Für 84 % ist Unternehmenskultur sogar erfolgsentscheidend.

Leider ist es weitaus üblicher, dass die Bearbeitung kulturspezifischer Aspekte unterschätzt wird. Tatsächlich lassen viele Führungskräfte diese ungesteuert laufen oder übertragen die Themenstellung auf die Human Resources-Funktion. Dort wird sie oft als eine sekundäre Angelegenheit, mehr oder weniger ernsthaft betrachtet und bearbeitet.

Führungskräfte können detaillierte, durchdachte Pläne für Strategie und deren Umsetzung erstellen. Wenn sie jedoch die Bedeutung, die Macht und Dynamik der Kultur nicht verstehen, entgleisen ihre Pläne. Wie jemand einmal sagte: Culture eats Strategy for Breakfast

Das muss jedoch nicht so sein. Kultur kann tatsächlich gemanagt werden. Der erste und wichtigste Schritt, den Führungskräfte unternehmen

können, besteht darin, sich vollständig darüber im Klaren zu sein, wie kulturspezifische Aspekte und Stile interagieren und wirken.

Das Culture Alignement Framework zeigt zwei primäre Dimensionen, die unabhängig von Organisationstyp, Unternehmensgröße, Branche oder Geografie gelten. Um ein Verständnis für eine gegebene Unternehmenskultur zu erhalten, gilt es festzustellen, wo sich diese entlang dieser beiden Dimensionen verorten lässt.

Zur ersten Dimension - Interaktionen zwischen Menschen: Die Ausrichtung einer Organisation in Bezug auf Interaktionen zwischen Menschen bewegt sich auf einem Spektrum von sehr unabhängig bis sehr interdependent. Kulturen, die zur ersteren neigen, legen größeren Wert auf Autonomie, individuelles Handeln und Wettbewerb. Diejenigen, die zur letzteren neigen, betonen Integration, das Management von Beziehungen und die Koordination gemeinsamer Anstrengungen. Erfolg wird durch die die Linse der Gruppe zu betrachtet.

Zur zweiten Dimension - Reaktion auf Veränderung: Während einige Kulturen Stabilität betonen – mit einer Priorisierung von Konsistenz, Vorhersehbarkeit und dem Erhalt des Status quos –, betonen

andere Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Offenheit für Veränderung. In Anwendung dieses Modells wurden acht Stile identifiziert, die sowohl auf organisatorische Kulturen als auch – und das ist das Besondere - auf individuelle, d.h. einzelne Führungskräfte zutreffen.

Caring: konzentriert sich auf Beziehungen und gegenseitiges Vertrauen.

Purpose: wird durch Idealismus und ggf. Altruismus verkörpert. Arbeitsumgebungen sind tolerante, zweckorientierte Orte, an denen Menschen versuchen, Gutes für die langfristige Zukunft zu tun.

Learning: zeichnet sich durch Erkundung, Weitläufigkeit und Kreativität aus.

Enjoyment: drückt sich durch Freude und positive Erregung aus.

Results: wird durch Leistung und Gewinnen charakterisiert. Menschen streben nach Spitzenleistungen

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Authority: wird durch Stärke, Entschlossenheit und Mut definiert. Arbeitsumgebungen sind wettbewerbsorientierte Orte.

Safety: wird durch Planung, Vorsicht und Vorbereitung definiert. Arbeitsumfelder sind kalkulierbar.

Order: konzentriert sich auf Respekt, Struktur und gemeinsame Normen Diese acht Stile passen in den integrierte Kulturraster entsprechend dem Grad, zu dem sie Unabhängigkeit oder Interdependenz (Interaktionen zwischen Menschen) und Flexibilität oder Stabilität (Reaktion auf Veränderung) widerspiegeln.

Stile, die in diesem Rahmenwerk nebeneinander liegen, wie Safety und Order, sind in der Realität häufig zu finden. Im Gegensatz dazu sind Stile, die einander gegenüberliegen, wie Safety und Learning, weniger wahrscheinlich gemeinsam anzutreffen und erfordern mehr organisatorische Energie, um gleichzeitig aufrecht erhalten zu werden.

Wie lässt sich nun in dem Kulturmodell die vorherrschende Unternehmenskultur abbilden?

Mit einem Diagnosetool und damit durchgeführten anonymen Onlinebefragungen sowie persönlichen Interviews ist es möglich, eine Rangordnung und damit Gewichtung der 8 kulturbestimmenden Stile zu ermitteln. Das Ergebnis lässt sich wie dargestellt in das Kulturmodell übertragen.

Wie unterschiedlich Unternehmenskulturen sein können, zeigt das nächste Bild. Hier wird die Kultur traditioneller Industrieunternehmen mit jener von Tech-Unternehmen verglichen.

Eine besondere Eigenschaft dieses Modells ist, und das unterscheidet es von anderen Ansätzen, dass es auch

dazu verwendet werden kann, in einem nächsten Schritt individuelle Stile

d.h. die Werte von Führungskräften und Mitarbeitern zu erfassen und darzustellen.

Dargestellt sind beispielhaft:

„ die vorherrschende Unternehmenskultur

„ die kulturelle Positionierung des Managementteams und des Aufsichtsratsgremiums

„ sowie die individuellen Stile einzelner Schlüsselmitarbeiter oder Mitglieder von Abteilungen

Durch die Nutzung dieses Modells und des mehrstufigen Ansatzes können Manager also:

„ Die Kultur ihrer Organisation verstehen und ihre beabsichtigten sowie unbeabsichtigten Auswirkungen bewerten.

„ Das Konsistenzniveau in den Ansichten der Mitarbeiter über die Kultur evaluieren.

„ Subkulturen identifizieren, die für eine höhere oder niedrigere Gruppenleistung verantwortlich sein können.

„ Unterschiede zwischen bestehenden Kulturen während Fusionen und Übernahmen analysieren.

„ Das Ausmaß der Übereinstimmung zwischen individuellen Führungsstilen und der Organisationskultur messen und transparent machen.

„ Eine Zielkultur definieren und die notwendigen Veränderungen

kommunizieren, um sie zu erreichen.

Nach der Analyse der IST-Kultur und der Definition der Zielkultur stellt sich die entscheidende Frage:

Wie kann ein Kulturwandel eingeleitet und umgesetzt werden?

Eine Unternehmenskultur lässt sich schwer bis kaum durch direkte Maßnahmen verändern. Vielmehr reagiert sie indirekt auf Maßnahmen, vor allem wenn:

„ eine kritische Anzahl von Führungskräften die Zielsetzung artikulieren und selbst ihr Verhalten verändert haben und

„ Veränderungen durch die Implementierung von Praktiken, Programmen und Strukturen verfestigt werden.

Es geht somit in erster Linie um Verhaltensänderung auf Führungskräfteebene und nachfolgend um Prozesse und Strukturen.

Dazu ist es sinnvoll, Führungskräfte zu entwickeln, die mit der Zielkultur übereinstimmen. Führungskräfte dienen als wichtige Katalysatoren für den Wandel, indem sie ihn auf allen Ebenen fördern.

Um die geteilten Normen, Überzeugungen und implizites Verständnis innerhalb einer Organisation zu verschieben, sind Kommunikationsplattformen zu gestalten. Verschiedene Arten von Organisationsgesprächen wie Roadshows, Zuhörtouren und strukturierte Gruppendiskussionen können den Wandel unterstützen. Soziale Medienplattformen können den Austausch zwischen leitenden Managern und Mitarbeitern an der Front fördern.

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Wenn Mitarbeiter erkennen, dass sich ihre Führungskräfte anders verhalten, werden sie beginnen, sich selbst im Sinne einer positiven Rückkopplungsschleife anders zu verhalten.

Gewünschte Veränderung können weiters durch organisatorisches Design gefestigt werden. Wenn die Strukturen, Systeme und Prozesse eines Unternehmens die angestrebte Kultur und Strategie unterstützen,

Der Grad der Zentralisierung und die Anzahl der hierarchischen Ebenen in der Organisationsstruktur können angepasst werden, um Verhaltensweisen zu verstärken, die der angestrebten Kultur innewohnen.

Zusammengefasst kann also gesagt werden:

ES IST MÖGLICH — tatsächlich sogar entscheidend — die organisatorische Leistung durch Kulturwan-

wird es viel einfacher, neue Kulturstile und Verhaltensweisen zu initiieren. Zum Beispiel kann das Performancemanagement und das Vergütungsmodell genutzt werden, um Mitarbeiter zu ermutigen, die angestrebten kulturellen Merkmale zu verkörpern.

del zu verbessern. Zuerst müssen Führungskräfte sich der Kultur bewusstwerden, die in ihrer Organisation wirkt. Als Nächstes können sie eine anzustrebende Zielkultur definieren. Schließlich

können sie die angestrebten Veränderungen erzielen durch

„ die Artikulierung des Zielbildes, „ die Ausrichtung der Führung, „ die Schaffung von Kommunikationsplattformen und durch Maßnahmen im Bereich des organisatorischen Designs. Erfolgreiche Führungskräfte haben aufhört, Kultur mit Frustration zu betrachten, und stattdessen begonnen, sie als grundlegendes Managementinstrument zu nutzen.

Autor:

Gerhard Krassnig trat im September 2005 in das Wiener Büro von Spencer Stuart ein. Er hat die Industrial Practice in EMEA geleitet und ist Mitglied der Digital & Technology, Media & Telecommunication Practice. Seit Beginn seiner über 30-jährigen Beratertätigkeit hat er für diverse Branchen (Industrie, Technologie/Kommunikation & Medien, Energiesektor, Semiconductor etc.) gearbeitet und dabei erfolgreich Positionen im oberen und im Top-Managementbereich besetzt. Seine Expertise erstreckt sich darüber hinaus auf die Suche und Platzierung von Aufsichtsräten sowie auf die Durchführung von Executive Assessments.

Bevor Gerhard Krassnig seine Karriere bei Spencer Stuart begann, war er bei einem anderen internationalen Executive Search-Unternehmen tätig. Als Geschäftsführer verantwortete er dessen Aktivitäten in Österreich.

Er begann seine Karriere in einem internationalen Elektronikkonzern, wo er umfassende Industrieerfahrung sammelte.

Gerhard Krassnig hat ein DiplomStudium in Wirtschaftsingenieurwesen / Maschinenbau.

Dipl.-Ing.

34 WINGbusiness 2/2024 TOP-THEMA

Status

quo des

Erasmus+

CoVE-Pojekts „EE4M”

Das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt „Engineering Excellence for the Mobility Value Chain - EE4M“ fokussiert sich auf den steigenden Bedarf an Aus- und Weiterbildung von Ingenieur:innen in produzierenden Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Mobilität, von der Rohmaterialgewinnung bis zum Recycling und zurück in den Kreislauf.

Ein Fokus liegt auf dem Operations Management, dem zentralen Tätigkeitsbereich von Ingenieur:innen in der gesamten Wertschöpfungskette des Mobilitätssektors. Aufgrund der „Twin Transition” (Digitalisierung und Nachhaltigkeit) sind hier zukünftig signifikante Veränderungen zu erwarten. Das Projekt „EE4M” befindet sich seit einem Jahr in Durchführung und liegt sehr gut im Zeitplan. Regelmäßige Meetings

unter der Leitung der Montanuniversität Leoben dienen der Überwachung des Projektfortschritts. Die Erhebung der zukünftigen Anforderungen durch Literatur, Umfragen und Fokusgruppen befindet sich aktuell in der Endphase und wird von der National Technical University of Athens (NTUA) geleitet. Im Rahmen dieses Arbeitspakets erfolgt eine systematische Untersuchung der kompetenzbasierten Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung im Operations Management.

Ein besonderes Augenmerk gilt den Data-Science-Skills für die Nachhaltigkeit, wobei ein Schwerpunkt auf der ökologischen Nachhaltigkeit liegt. Im Rahmen der Untersuchung wird ein Mixed-Methods-Ansatz angewendet, der primär- und sekundärdatenbasierte Forschungsmethoden umfasst. Des Weiteren wurden die Arbeitspakete 2 (Plattformentwicklung), 4 (Analyse von spezifischen Anforderungen) und 5 (Neue Lehr- und Lernmethoden) in diesem Jahr initiiert und befinden sich bereits in der aktiven Umsetzung. Die Montanuniversität Leoben übernimmt die Leitung des Arbeitspakets 2, die Libera Università di Bolzano die Leitung des Arbeitspakets 4 und die Mondragon Goi Eskola Politeknika Jose Maria Arizmendiarrieta S Coop die Leitung des Arbeitspakets 5. Im Rahmen des Arbeitspakets 2 erfolgt die Entwicklung nationaler und internationaler Berufsbildungsplattformen mit der Bezeichnung „Centres of Vocational Excellence (CoVE)”. Die Projektpartner werden vier regionale CoVEs sowie eine europäische/internationale Plattform einrichten, deren Ziel es ist, die Zusammenarbeit und die laufende Qualitätssicherung zu fördern. Auf Basis der in Arbeitspaket 3 erzielten Zwischenergebnisse erfolgt in Arbeitspaket 4 eine Untersuchung der spezifischen Anforderungen in den Bereichen Logistik und Supply Management, Produktentwicklung und Produktionsmanagement, Entrepreneurship und Industrial Marketing Management mittels eines deduktiven Ansatzes.

Das Ziel besteht in der Ausrichtung der zukünftigen Kompetenzen innerhalb der Ingenieur:innenausbildung. Arbeitspaket 5 umfasst eine Stateof-the-Art-Analyse von Lehr- und Lernformaten sowie die Entwicklung von pädagogischen Konzepten für die Berufsbildung auf verschiedenen Bildungsebenen. Die Konzepte basieren auf aktuellen pädagogischen Grundsätzen und beinhalten FeedbackMechanismen, um eine erstklassige Ausbildung zu gewährleisten. Das Projekt wird regelmäßig auf Veranstaltungen in den vier Partnerländern präsentiert. Beispielsweise findet auf der EPIEM/EurOMA Konferenz in Trento (02.-04.10.2024) eine Präsentation statt, bei der gerne noch Einreichungen willkommen sind. Aktuelle Informationen, Veranstaltungen, Publikationen und Ergebnisse sind auf der Website www.ee4m.eu abrufbar.

35 WINGbusiness 2/2024 UNINACHRICHTEN
Manuel Woschank, Nadine Olipp

Interview mit Prof. Dr.-Ing

Jens Schneider

Rektor der TU Wien

Rektor, Tempomacher und Schöngeist

Jens Schneider trat am 1. Oktober 2023 sein Amt des Rektors der Technischen Universität Wien an. Der Glasbauingenieur und Statikprofessor, begeisterte Sportler und Literaturkenner gewährt im Interview Einblicke und Ausblicke.

WB: Herr Rektor Schneider, in Ihrer Inaugurationsrede nach Amtsantritt sprachen Sie davon „… dass die Zukunft unserer Gesellschaften nicht mehr eine bloße Fortsetzung der Gegenwart unter leicht geänderten Vorzeichen ist.“ Was meinen Sie damit?

JS: Wir sehen uns mit fundamentalen Herausforderungen in unterschiedlichen Feldern konfrontiert, die die Sprengkraft haben, die Grundlagen unseres Zusammenlebens - auch hier in Europa - in Frage zu stellen. Dazu gehören neben anderen der Klimawandel, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, weltweite Migrationsströme, undemokratische, autoritäre Regime. Doch ich bin überzeugt: wir können diese Herausforderungen bewältigen, wenn wir die Kraft und den Mut für Veränderungen haben.

WB: Wie mutig muss ein Rektor sein, um die TU Wien zu verändern?

JS: Neben einer guten Portion Mut brauche ich vor allem ein starkes Team an meiner Seite. Ich bin dankbar und stolz, dass ich Jasmin Gründling-Riener (Lehre), Ute Koch

(Personal), Peter Ertl (Forschung, Innovation, Internationales) und Wolfgang Kastner (Infrastruktur und Digitalisierung) als Vizerektorinnen/rektoren gewinnen konnte. Diese vier hervorragenden Persönlichkeiten waren bereit, mit mir das neue Rektoratsteam zu bilden und dass wir dafür das Vertrauen von Senat und Universitätsrat bekamen war eine unglaublich tolle Bestätigung. Mit unseren unterschiedlichen Hintergründen ergänzen wir uns außergewöhnlich gut und ziehen täglich für die gesamte TU Wien Community an einem Strang. Das Reizvolle an meiner Arbeit ist nämlich, dass es besonders die erneuernde Kraft unserer Universitäten ist, die bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen wird. Und unsere junge Generation, unsere Studentinnen und Studenten von heute und von morgen, sind dafür ganz entscheidend. Sie sind das Alleinstellungsmerkmal der Universitäten in der Wissenschaft, sie sind der Grund, warum es Universitäten überhaupt gibt. Die Aufgabe derer, die die Universitäten leiten, ist es, diese erneuernde Kraft zu schützen und zu fördern, indem wir unser Au-

genmerk gezielt auf unsere Mission lenken und auf die richtigen Schwerpunkte fokussieren.

WB: Stichwort Mission: Wohin bricht die TU Wien auf?

JS: In unendliche Weiten. „On mission“ zu sein, schafft ein Rektoratsteam jedoch nicht alleine. Das Credo unseres Teams lautet „Gemeinsam sind wir TU Wien“. Wir haben daher im April 2024 unseren breit aufgesetzten, stark partizipativ akzentuierten Strategieentwicklungsprozess „fuTUre fit“ lanciert für den wir uns und der Universitätsgemeinschaft ein Jahr lang Zeit nehmen. Das ist ein sportlich ambitionierter Zeitplan, aber machbar. Einzelne Mitarbeiter_innen, Studierendengruppen oder Kolleg_innen, die in neuen Konstellationen über Fakultäts- oder Bereichsgrenzen hinweg zueinander finden, können sich auf unterschiedliche Art, in diversen Formaten und in unterschiedlicher Intensität einbringen. Was wollen wir damit erreichen? Beiträge und Visionen möglichst vieler TU-Angehöriger zu sammeln, ihnen zuhören und in Arbeitsgruppen dis-

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Foto: © TU Wien, Matthias Heisler
seit 01.10.2023

kutieren. Wir wollen die TU Wien gemeinsam zukunftsfit machen. Bei Erreichen der Zielflagge ungefähr am Jahresende soll ein kompaktes Konzentrat als Strategiedokument stehen, das den roten Faden enthält, von dem wir konkrete Maßnahmen ableiten werden, die nur von den Menschen an der TU Wien umgesetzt werden können, also nicht beliebig und austauschbar sind.

WB: Wie fit sind Sie selbst?

JS: Bei all unseren Vorhaben für die TU Wien muss ich fit sein und bleiben. Früher habe ich intensiv Tri-

athlon gemacht und Radfahren und Laufen machen mir sehr viel Spaß. Radfahren deswegen, weil es faszinierend ist, wie weit man damit aus eigener Kraft kommt. Und ich habe mich der Laufgruppe an der TU Wien angeschlossen, was ein toller Ausgleich nach einem Bürotag voller Termine ist. Aktuell laufe ich ca. 20 bis 40 km pro Woche und fahre ca. 100 km Rad pro Woche.

WB: Sind Sie mittlerweile ein „Echter Wiener“?

JS: Zu Wien habe ich schon lange eine starke Bindung. Als Schüler und

in der Bundeswehr habe ich viel Literatur der Jahrhundertwende und des frühen 20. Jahrhunderts gelesen, z.B. Robert Musil oder Heimito von Doderers „Die Strudlhofstiege“. Dann bin ich einfach einmal ins Auto gestiegen und nach Wien gefahren, um mir die Strudlhofstiege anzuschauen. Und ich finde, diese Atmosphäre aus dem Buch ist immer noch spürbar sowohl im baulichen als auch im gesellschaftlichen Umfeld. Meinen Wohnsitz habe ich jetzt de facto knapp außerhalb von Wien, in Niederösterreich. Die Nähe zum Wienerwald ist wohltuend, weil ich auf das Rad steige und sofort im Grünen bin.

Jens Schneider (*1969) ist seit Oktober 2023 Rektor der TU Wien. Er studierte Bauingenieurwesen an der TU Darmstadt, wo er erste Erfahrungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter sammelte, bevor er 2001 promovierte und in die Industrie wechselte. Der Glasbauexperte kehrte 2007 in die Wissenschaft zurück und arbeitete als Dozent und Professor an verschiedenen Hochschulen in Deutschland (HfT Stuttgart, Fachhochschule Frankfurt a. M., TU Darmstadt). 2009 bis 2023 war Schneider Professor an der TU Darmstadt. Im Jahr 2011 gründete er ein Ingenieurbüro. 2020 wurde Jens Schneider Vizepräsident für Transfer und Internationalisierung an der TU Darmstadt, koordinierte dort die europäische Hochschulallianz Unite und entwickelte eine Strategie für Transfer und Internationalisierung. An der TU Wien tragen Rektor Schneiders internationale Erfahrung und sein globales Netzwerk maßgeblich zur Entwicklung der Europäischen Universitätsallianz EULiST - Linking Society, Science and Technology und zur strategischen Weiterentwicklung der TU Wien bei.

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Mehr Infos unter: www.tuwien.at/mba Your journey to more success. Management MBAs Strategic Management & Technology General Management Innovation, Digitalization & Entrepreneurship Digital Transformation & Change Management Tech MBAs Automotive Management Mobility Transformation Advanced Technologies & Global Leadership in Kooperation mit Caltech Space Architecture 24-JUN-17-MBA-Umbrella-180x115-02.indd 1 17.06.24 15:05
Executive MBAs an der TU Wien

An der TU Wien wird die Zukunft der Produktion und Instandhaltung gestaltet: Intelligente Planung für mehr Nachhaltigkeit

Die Forschungsgruppe Produktions- und Instandhaltungsmanagement (PIM) am Institut für Managementwissenschaften mit den beiden neuen Professuren „Datengetriebenes Instandhaltungsmanagement" (Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil Fazel Ansari) und „Engineering Management” (Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Kurt Matyas) stellt sich vor.

Die Forschungsgruppe für Produktions- und Instandhaltungsmanagement (PIM) an der TU Wien ist bestrebt, ein kosteneffektives, ressourceneffizientes, resilientes und nachhaltiges Produktions- und Instandhaltungsmanagement entlang der industriellen, zirkulären Wertschöpfungskette zu ermöglichen, zu verbessern und zu erhalten. Dies erfolgt im Einklang mit dem Leitbild der TU Wien „Technik für Menschen“, das sich auf Exzellenz in der Forschung, zukunftsorientierte Bildung, Chancengleichheit und Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit konzentriert.

Die Forschungsstrategie ist auf die Schwerpunkte „Digitale Transformation in der Produktion“ und „Nachhaltige Produktion und Technologien“ der TU Wien sowie auf die Forschungsschwerpunkte der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften, insbesondere „Werkstoffe, Produktion und Management“ und „Digital Engineering Innovation“ ausgerichtet. Speziell die Erforschung und Etablierung zukunftsorientierter Konzepte für datengetriebenes Produktions- und Instandhaltungsmanagement entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist ein übergeordnetes Ziel.

tive Agents“, z.B. Chatbots, in der Instandhaltung.

II Grundlagenforschung zur Integrativen Produktions- und Logistikplanung inkl. Qualitäts- und Instandhaltungsmanagement, mit Schwerpunkten auf Analyse von Ansätzen zum Monitoring und in weiterer Folge zur Optimierung des Ressourceneinsatzes in logistischen Prozessen und der Produktion, sowie Untersuchung von Methoden zur Reduzierung von Verschwendung, Energieverbrauch und CO2-Emissionen

IV Praxisorientierte Forschung zu Produktions- und Instandhaltungsberufen, insbesondere des arbeitsbasierten Lernens in Lernfabriken für produzierende Unternehmen. Ein aktuelles Forschungsprojekt in diesem Bereich befasst sich mit der Weiterführung des bestehenden Lernfabrik-Netzwerks in Südosteuropa, gemeinsam mit Partnern aus Bulgarien, Nord-Mazedonien, Kroatien und Bosnien und Herzegowina.

mit Unterstützung des Qualitäts- und Instandhaltungsmanagements. Ein aktuelles Dissertationsprojekt in diesem Bereich beschäftigt sich mit integrativer Planung in der Produktion unter Einbeziehung flexibler Energieversorgungsquellen.

Die Forschungsaktivitäten lassen sich in vier Hauptbereiche unterteilen:

I Grundlagenforschung zur integrativen Produktions- und Instandhaltungsplanung und -optimierung sowie zum Asset Management, mit Schwerpunkten auf cyber-physischen Produktionssystemen (CPPS), Künstlicher Intelligenz (KI), semantischer Technologie und natürlicher Sprachverarbeitung (NLP). Ein aktuelles Forschungsprojekt in diesem Bereich beschäftigt sich mit der Integration von „Cogni-

III Anwendungsorientierte Forschung zum datengetriebenen Produktionsund Instandhaltungsmanagement (prädiktive/präskriptive/wissensbasierte Instandhaltung) und zur Nachhaltigkeit, inspiriert durch industrielle Trends wie „Zwillingstransformation“, „Industrie 4.0“ und „biologische Transformation in der Produktion“. Ein aktuelles, industriegefördertes Forschungsprojekt in diesem Themenbereich befasst sich mit der wissensbasierten Instandhaltung im Eisenbahnsektor.

Die Forschungsgruppe PIM pflegt eine enge Zusammenarbeit mit akademischen und industriellen Partnern durch Partnerschaften in Forschungsund Drittmittelprojekten (nationale, europäische und internationale Förderungen), wissenschaftliche Betreuung und Unterstützung von Diplom-/Masterarbeiten bzw. Dissertationen, von der Industrie finanzierte Projekte usw. Durch diese Zusammenarbeit ermöglicht die Forschungsgruppe innovative Lösungen und praxisnahe Forschung, die einen direkten Nutzen für die Industrie und die Gesellschaft bieten. Sie fördert die Integration von fortschrittlichen, datengetriebenen Technologien und Methoden in die industrielle Praxis und trägt so zur Entwicklung eines resilienten und nachhaltigen industriellen Ökosystems bei.

Forschungs- und Lehrthemen der Professur „Datengetriebenes Instandhaltungsmanagement"

Die digitale Transformation in der Instandhaltung entwickelt sich rasant durch generative künstliche Intelligenz (GKI) weiter. GKI lernt von bestehenden Daten und generiert daraus neue, realistische Artefakte, die die Eigenschaften der Trainingsdaten wider-

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spiegeln, aber diese nicht wiederholen. Die Grundlage für die Anwendung von GKI in der Instandhaltung sind daher Daten, welche zur Verarbeitung analysiert und ausgewertet werden. Hierfür werden Algorithmen eingesetzt, die Muster und Zusammenhänge in den Daten erkennen können und die Ergebnisse dieser Analyse dann nutzen, um Instandhaltungsmaßnahmen zu planen oder vorherzusagen. Die GKI mit ihrer Fähigkeit, aus gelernten Mustern neue Inhalte zu erstellen, birgt ein erhebliches Potenzial für Anwendungen in diesem Bereich und kann eine gute Integration in der prädikativen Instandhaltung (PdM) finden, bei der GKI-Modelle in Kombination mit klassischen Modellen des überwachten, maschinellen Lernens auf historische und augmentierte Maschinendaten trainiert werden können, um künftige Ausfälle vorherzusagen und so eine proaktive Instandhaltung zu ermöglichen. Dadurch lassen sich Ausfallzeiten und die damit verbundenen Kosten erheblich reduzieren.

Weiters wird an datengetriebenem Produktions- und Instandhaltungsmanagement und zur Instandhaltung im Hinblick auf die Nachhaltigkeit geforscht, angeregt durch die sich abzeichnenden industriellen Trends „Zwillingstransformation", „Industrie 4.0" und „biologische Transformation in der Produktion".

Das Ziel ist die Entwicklung von Modellen und Algorithmen zur Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung von digitalen Datenquellen und der Nachhaltigkeitsbewertung von technischen Lösungen durch die Untersuchung von Kriterien und Indikatoren, um die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Engineering-Projekten zu bewerten und zu optimieren. Dadurch kommt es auch zu vielen industriegeförderten Dissertationsprojekten und Kooperationen aus der Pharma-, Verkehrs- und Anlagenbranche. Somit leistet der Lehrstuhl einen bedeutenden Beitrag zu den Sustainable Development Goals (SDG) „Hochwertige Bildung (SDG 4)“, „Industrie, Innovation und Infrastruktur (SDG 9)“, „Nachhaltige/r Konsum und Produktion (12)“ und „Maßnahmen zum Klimaschutz (SDG 13)“.

Die TU Wien Lernfabrik, die von der Forschungsgruppe PIM etabliert wurde und kontinuierlich weiterentwickelt wird, bietet einerseits die Möglichkeit der praxisorientierten Forschung und andererseits des arbeitsbasierten Lernens für Studierende und Weiterbildungsmöglichkeiten für Partnerunternehmen.

Forschungs- und Lehrthemen der der Professur „Engineering Management"

Alleinstellungsmerkmal der Professur ist die Integrative Betrachtung von Produktionsmanagement und Logistik sowohl mit dem Instandhaltungsmanagement als auch mit dem Qualitätsmanagement.

Sowohl die Optimierung der Lieferkettenleistung unter Berücksichtigung von Instandhaltungs- und Nachhaltigkeitsaspekten als auch die Erforschung von Ansätzen zur Integration von Instandhaltungsmanagement in die Planung und Steuerung der logistischen Aktivitäten entlang der Lieferkette sind ebenso Forschungsthemen wie die effizienten Qualitätskontrollmechanismen entlang der Lieferkette, um Fehler und Engpässe frühzeitig zu erkennen und zu beheben.

Ein weiterer Aspekt ist die Entwicklung und der Einsatz von Planspielen in der Lehre. In praxisorientierten Lehrveranstaltungen, wie dem Planspiel PROST - Simulation der Produktionssteuerung, haben Studierende die Möglichkeit, sich in eine Führungsposition im Produktionsmanagement zu versetzen. Dabei müssen sie in einer Wettbewerbssituation in Echtzeit auf unerwartete Ereignisse reagieren und auftretende Probleme lösen. So wird der Übergang von der Theorie zur Praxis geschaffen, und die Teilnehmenden erlangen ein umfassendes Verständnis für die Abläufe in einem Unternehmen.

Die Professur leistet einen wesentlichen Beitrag zum Schwerpunkt Engineering Management in der Weiterbildung im Rahmen der TUW Academy for Continuing Education (ACE). Der Executive MBA “Advanced Technologies & Global Leadership” wird in Kooperation mit dem California Institute of Technology (CalTech) angeboten und bietet Teilnehmer_innen einen Einblick in die Themen Deep Tech, Systemtechnik und Supply Chain Management und ermöglicht ihnen, Füh-

rungsqualitäten zu entwickeln, die in der heutigen dynamischen Geschäftswelt unerlässlich sind.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Fazel Ansari ist Professor für datengetriebenes Instandhaltungsmanagement und Leiter der Forschungsgruppe „Produktions- und Instandhaltungsmanagement“.

Er ist Mitglied des Board of Management sowie Leitung Leuchtturmthemen bei Fraunhofer Austria Research GmbH. Zuvor absolvierte Prof. Ansari sein Studium in Mechatronik an der Universität Siegen, promovierte zum Doktor der Informatik an der Universität Siegen und habilitierte im Fachgebiet Industrial Engineering an der TU Wien. E-Mail: fazel.ansari@tuwien.ac.at

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Kurt Matyas ist Professor für Engineering Management und forscht im Bereich Industrial Engineering in der Forschungsgruppe „Produktions- und Instandhaltungsmanagement“. Er ist Academic Director des Executive MBA “Advanced Technologies & Global Leadership” an der TU Wien Academy for Continuing Education. Seit 2023 ist er auch Ombudsperson für Studium und Lehre. Zuvor absolvierte Prof. Matyas sein Studium in Maschinenbau/Betriebswissenschaften an der TU Wien, promovierte zum Doktor der technischen Wissenschaften und habilitierte im Fachgebiet Industrial Engineering. E-Mail: kurt.matyas@tuwien.ac.at

39 WINGbusiness 2/2024 TOP-THEMA

Neues WING-Master-Curriculum International Industrial Management in Kapfenberg

Seit 1995 positioniert sich das Institut Industrial Management am Campus Kapfenberg der FH JOANNEUM als Wirtschaftsingenieur-Schmiede für angehende industrielle Manager:innen und Berater:innen mit österreichischem Bezug und internationalem Profil.

Die industrierelevante Kombination aus Technik, Wirtschaft, IT/ERP sowie Leadership & Social Skills wird zukünftig um mehr Artifical Intelligence (AI), Nachhaltigkeit und um neue Wahlmöglichkeiten ergänzt. AI, weil Wirtschaftsingenieur:innen in Zukunft noch mehr als heute mit Daten und deren Analysen umgehen können müssen. Nachhaltigkeit, weil Wirtschaftsingenieur:innen als Führungskräfte in der Industrie an der richtigen Stelle für eine nachhaltige Entwicklung unserer Unternehmen sitzen. Und mehr Wahlmöglichkeiten, weil es sich die Studierenden wünschen.

Ab Herbst 2024 warten daher auf die Studierenden – jetzt neu – drei Vertiefungsrichtungen im Masterprogramm des Instituts, die in enger Abstimmung mit Industrie und Universitäten entwickelt wurden und so weiterhin eine hohe Employability der AbsolventInnen garantieren sollen. Internationale Austauschsemester und 50 % Lehre in Englisch bleiben wie bisher erhalten.

Das Lehrangebot in den ersten beiden Semestern reicht von Leader -

ship Skills, International & Strategic Management, Tools for Data Analytics & KI, Operations Management und Process Technology. Im 3.Semester können die Studierenden aus drei Vertiefungsrichtungen wählen:

Smart Production & Services: Vorsprung und Effektivität in der digitalen Zukunft

Die Studierenden lernen, wie sie die Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung für die Weiterentwicklung der Fertigungsprozesse anwenden können. Darüber hinaus wird die analytische Fähigkeit trainiert, große Datenmengen zu verstehen, mittels KI zu analysieren und so Entscheidungen bestmöglich vorzubereiten und schließlich zu treffen.

Supply Chain Engineering: Effizienz und Führung in der globalen Logistik Eine optimal gestaltete Supply Chain ist entscheidend für den Unternehmenserfolg. Studierende vertiefen sich in Logistikmanagement, Digital Supply Chain, strategische Beschaffung sowie Lieferantenmanagement. Parallel dazu erwerben sie Kompetenzen im Bereich Distributionslogistik,

Sales und entwickeln Marketing- und Vertriebsstrategien.

Business Transformation: Twin Transition & Change

In einer sich ständig verändernden Geschäftswelt bietet die neue Vertiefungsrichtung Business Transformation eine Ergänzung zu den bisherigen Schwerpunkten Digitalisierung und Supply Chain Management. Sie befähigt Studierende, traditionelle Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen und innovative Ansätze zu entwickeln. Praxisnahe Projekte und Kooperationen mit führenden Unternehmen bereiten auf die Herausforderungen der Business Transformation vor, und machen die AbsolventInnen zu optimalen Change Agents für die Industrie und Beratung.

Die Vertiefungen können mit dem Industrieprojekt, der Diplomarbeit und den Wahlpflichtfächern zu einer Spezialisierung ergänzt werden, die dann über 60 % des Studiums ausmacht. Oder die Studierenden mischen diese vier Möglichkeiten zu einem General-Management-Wirtschaftsingenieurstudium, ganz nach persönlichen Interessen.

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UNINACHRICHTEN
Foto: © FH JOANNEUM Kanizaj

Automobilindustrie in Südafrika – „We build more than just cars”

Unter diesem Motto war Dr. Jörg Kemminer, CFO von BMW South Africa, am 30.04.2024 im Rahmen der Vortragsreihe „Unternehmensführung in der Praxis“ zu Gast im Audimax der FH JOANNEUM in Kapfenberg und ging unter anderem der Frage nach, wie es um die Wettbewerbsfähigkeit in einem wirtschaftlich herausfordernden Umfeld wie in Südafrika bestellt ist.

Im Jahr 2023 feierte die BMW Group South Africa ihr 50-jähriges Jubiläum. Das Fahrzeugwerk in Rosslyn, in der Nähe von Pretoria, wurde 1973 als erstes Werk der BMW Group außerhalb Deutschlands eröffnet. Bis heute werden dort Fahrzeuge sowohl für den Export als auch für den lokalen Markt produziert. CFO Dr. Kemminer, der auf eine 25-jährige Karriere bei BMW – zuletzt als Geschäftsführer der BMW Österreich Holding und als Finanzgeschäftsführer der BMW Motoren GmbH in Steyr – zurückblickt, ist jetzt seit drei Jahren in Südafrika.

Das Land ist eine große Herausforderung, wenn man die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation vor Ort bedenkt. Die „Golden Years“, in denen Südafrika sich wirtschaftlich geöffnet und profitiert hat, sind seit ca. 14 Jahren vorüber. Gewinne der staatlichen Infrastruktur-Unternehmen wurden an den Staat ausgeschüttet und nicht mehr reinvestiert, was unter anderem zu einem immensen infrastrukturellen Aufholbedarf führte. Seit 2010 wird etwa nicht mehr genügend Energie produziert, um das Land zu versorgen. Die Folge: regelmäßige, geplante Energie-Abschaltungen in fast allen Bereichen. Die Industrie reagierte zwar und forcierte fortan die Energieerzeugung in eigenen Kraftwerken – eine vollständige Kompensation konnte nicht erreicht werden. Auch mit der Wasserversorgung verhält es sich ähnlich, und die Arbeitslosigkeit liegt gesamt bei ca. 30 %, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 60 %.

Dem gegenüber steht eine starke Automobilindustrie mit sieben OEMs, geplanten Neuansiedelungen und einem staatlichen Automotive Masterplan. Neben BMW operieren Izuzu, Nissan, Mercedes, VW, Ford und Toyota in Südafrika. Jedoch ge-

lingt es nur BMW die vorhandenen Kapazitäten mit über 90 % (~68.000 Fahrzeuge bei einer Kapazität von 75.000) auszulasten.

Aber weshalb siedelten sich so viele Hersteller in Südafrika an, wo doch die Prämisse „Production follows the Market“ auf Südafrika nicht zutrifft?

Der Markt ist begrenzt und die Logistikinfrastruktur unzureichend, auch lange Transportwege erschweren die Situation. Dennoch begünstigten vor allem staatliche Förderungen die Ansiedelung der für Südafrika so wichtigen Automobilindustrie. Dazu kam der geschickte industriepolitische Schachzug die Volkswirtschaft über „Production Rebate Certificate“ zu stärken. Der Automotive Masterplan sieht bis 2035 darüber hinaus vor, 1 % der globalen Automobilproduktion in Südafrika zu halten, was eine Verdoppelung der gegenwärtigen Produktion bedeuten würde. Was die E-Mobilität anbelangt, ist die aktuelle Situation zwar noch schwierig, jedoch wären die Voraussetzungen für erneuerbare Energien durch ausreichend Sonne sowie Wind an den Küsten gegeben. Diese eignen sich insbesondere auch für grünen Wasserstoff, wie er von BMW vorangetrieben wird, welcher zukünftig insbesondere bei Nutzfahrzeugen und Bussen an Relevanz gewinnen wird. Was hier noch fehlt ist wieder einmal die Infrastruktur.

Auf die Frage, welche Tipps österreichische Unternehmen beachten sollten, die in Zukunft in Südafrika aktiv werden wollen, hat Dr. Kemminer vier Hinweise: Erstens, ein Produkt wählen, das in Südafrika Sinn macht. Zweitens, eine Region wählen, die auch aus Gründen der Sicherheit empfehlenswert ist. Drittens, Südafrika hat ausgezeichnete Bildungs- bzw. Hochschulsysteme, aber trotzdem ein Fachkräfteproblem, daher auch hier

die Region entsprechend wählen. Und schließlich, viertens, das ScorecardModell der südafrikanischen Regierung/Politik strikt beachten und in der Unternehmenspolitik berücksichtigen.

Nicht nur die wirtschaftlichen Aussichten treiben BMW in Südafrika an: das „We build more than just Cars” Motto begründet sich laut Dr. Kemminer durch strategische CSRSäulen, die mit lokalen ESG-Projekten abgestimmt sind. Sie reichen von Chancen-Gleichheits- und zukunftsweisenden Bildungsinitiativen, bis hin zur Förderung von Kultur und Sport. Eine erweiterte Perspektive einzunehmen sei in Südafrika speziell aber auch ganz allgemein von entscheidender Bedeutung, um als Unternehmen einen positiven gesellschaftlichen Impact zu erzielen. Daher auch der Appell an die Zuhörer:innen, unter ihnen wieder viele Studierende und Absolvent:innen des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management, die im Anschluss an den Vortrag angeregt mitdiskutierten: Das Mitbringen und die Beibehaltung einer kulturellen Offenheit sowie die Bereitschaft für neue Erfahrungen, sind entscheidend für eine internationale Karriere.

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© Lena Leitenbauer; Prof. Dr. Martin Tschandl, Institutsleiter von Industrial Management, bedankt sich im vollen Audimax bei Dr. Jörg Kemminer für die wertvollen Impulse

WING to your success

…wir sind für Sie garantiert von Nutzen … Gerade in Zeiten wie diesen stellen ein reizvoller Workshop, das Verteilen von lukrativen Flyern oder eine interessante Firmenpräsentation effiziente und kostengünstige Möglichkeiten zur Werbung für Unternehmen in Fachkreisen dar. Hervorzuheben ist der Zugang zur Technischen Universität als Innovations- und Forschungsstandort der besonderen Art, denn im Zuge von Bachelor- und/oder Masterarbeiten können Sie Studenten in Ideen für Ihre Firma miteinbeziehen und mit ihnen innovative Lösungen ausarbeiten. Nicht zuletzt wird auf diesem Weg auch für die Zukunft vorgesorgt.

WINGbusiness Impressum

Medieninhaber (Verleger):

Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure

Kopernikusgasse 24, 8010 Graz

ZVR-Zahl: 026865239

Editor:

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Kurt Matyas E-Mail: kurt.matyas@tuwien.ac.at

Denn schließlich sind es die heutigen Studenten der Technischen Universität, die morgen als Ihre Kunden, Händler oder Lieferanten fungieren. Mit WINGnet-Werbemöglichkeiten kann man diese nun schon vor dem Eintritt in das Berufsleben von sich und seiner Firma überzeugen und somit eine gute Basis für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit schaffen. WINGnet Wien veranstaltet mit Ihrer Unterstützung Firmenpräsentationen, Workshops, Exkursionen sowie individuelle Events passend zu Ihrem Unternehmen. WINGnet Wien bieten den Studierenden die Möglichkeit- zur Orientierung, zum Kennenlernen interessanter Unternehmen und Arbeitsplätze sowie zur Verbesserung und Erweiterungdes universitären Ausbildungsweges. Organisiert für Studenten von Studenten.Darüber hinaus bietet WINGnet Wien als aktives Mitglied von ESTIEM (European Students of Industrial Engineering and Management) internationale Veranstaltungen und Netzwerke. In 24 verschiedenen Ländern arbeiten 66 Hochschulgruppen bei verschiedenen Aktivitäten zusammen und treten so sowohl untereinander als auch zu Unternehmen in intensiven Kontakt. Um unser Ziel - die Förderung von Studenten - zu erreichen, benötigen wir Semester für Semester engagierte Unternehmen, die uns auf verschiedene Arten unterstützen und denen wir im Gegenzug eine Möglichkeit der Firmenpräsenz bieten. Die Events können sowohl in den Räumlichkeiten der TU Wien als auch an dem von Ihnen gewünschten Veranstaltungsort stattfinden. Weiters können Sie die Zielgruppe individuell bestimmen. Sowohl alle Studienrichtungen als auch z.B. eine Festlegung auf Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ist möglich. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Vorauswahl der Teilnehmer, mittels Ihnen vorab zugesandten Lebensläufen, zu treffen.

Auf unserer Webseite http://www.wing-online.at/de/ wingnet-wien/ finden Sie eine Auswahl an vorangegangenen Events sowie detaillierte Informationen zu unserem Leistungsumfang

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Kopernikusgasse 24, 8010 Graz, Tel. (0316) 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at WING-Homepage: www.wing-online.at

Erscheinungsweise: 4 mal jährlich, jeweils März, Juli, Oktober sowie Dezember. Nachdruck oder Textauszug nach Rücksprache mit dem Editor des „WINGbusiness“. Erscheint in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit den einschlägigen Instituten an den Universitäten und Fachhochschulen Österreichs. Der Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Wirtschaftsingenieur): Wirtschaftsingenieure sind wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Ingenieure mit akademischem Studienabschluss, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre technische und ökonomische Kompetenz ganzheitlich verknüpfen. WING - Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure ist die Netzwerkplattform der Wirtschaftsingenieure. ISSN 0256-7830

42 WINGbusiness 2/2024
IMPRESSUM

Wir sorgen für eine bessere Zukunft.

Innovative Lösungen für ein besseres Morgen

Für eine bessere Zukunft: Wir bei wienerberger leben Vertrauen, Respekt, Leidenschaft und Kreativität. Es ist uns ein Anliegen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und eine bessere Welt für kommende Generationen zu scha en, indem wir innovative und ökologische Lösungen für die Bereiche Neubau und Renovierung sowie für Infrastruktur im Wasser- und Energiemanagement anbieten.

© Uwe Strasser

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