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Geleitwort
Frieden, Sicherheit, Nachhaltigkeit – Beiträge zu einer gesellschaftspolitischen Debatte
Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel
Uwe Proll
Foto: Behörden Spiegel
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
der BDSV und der Behörden Spiegel greifen das Thema „Frieden, Sicherheit und Nachhaltigkeit“ mit diesem Sonderheft auf. Dies schien uns dringend notwendig. Die bisher geführte Diskussion zur Nachhaltigkeit drohte besonders in Deutschland in eine Schieflage mit schwerwiegenden Auswirkungen für unsere Sicherheit zu geraten. Diese Diskussion gilt es zu versachlichen. Das Sonderheft soll dazu einen Beitrag leisten. Wie konnte es zu einer Schieflage kommen?
Der Hintergrund: Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren national und international große Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen mit ihrer „Agenda 2030“ insgesamt 17 Ziele (englisch Sustainable Development Goals) festgelegt, die der weltweiten Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Die EU hat im Rahmen ihres „Green Deal“ die UN-Agenda 2030 zum Mittelpunkt ihrer Politik gemacht. Mit der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021“ hat die frühere Bundesregierung sehr umfassend dargestellt, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Auch der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP („Mehr Fortschritt wagen“) setzt Ziele für die Kernthemen „Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“.
In Deutschland ist mit den berechtigten Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit – nicht zum ersten Mal – wieder eine Diskussion um die Legitimität von Waffen und deren Einsatz und damit verbunden auch die Rolle der wehrtechnischen Industrie entstanden. Dabei wurde übersehen, dass die Ziele „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ zu den 17 Zielen der VN gehören und Generalsekretär António Guterres am 1. Januar 2017 sogar forderte, den Frieden an den Anfang der Ziele zu stellen. Bei den zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen in der Welt wusste er, warum er diese Forderung gestellt hat.
In Deutschland war diese Botschaft nicht – oder nur unvollständig – angekommen. Hier wurde der moralische Zeigefinger erhoben. Ein Beispiel dafür ist der Finanzsektor. Geldanlagen sollten ab sofort nur noch sozial, ethisch und ökologisch sein (Environmental, Social, Governance – ESG). Die wehrtechnische Industrie gehörte nicht in diese Kategorie. Die Produktion von Waffen wurde bestenfalls für „Verteidigungswaffen“ geduldet. Exporte sollten nach Möglichkeit ganz ausgeschlossen werden. Eine kritische Differenzierung fand nicht statt. Die Bundeswehr sollte nach Jahren der Verkleinerung das erhalten, was sie braucht – aber auch nicht mehr. Für eine Landes- und Bündnisverteidigung war sie nicht mehr ausgerüstet. Das deutsche Wunschdenken wurde mit großem moralischem Anspruch auch in die EU getragen. Die Diskussion um die Nutzung der Atomenergie ist nach der Rüstungsindustrie ein weiteres Beispiel für den deutschen Missionsaktivismus. Deutschland ist jedoch mit seinem moralischen Kompass in Europa weitestgehend isoliert.
Was hat sich geändert? Seit dem 24. Februar 2022 herrscht wieder Krieg in Europa. Die Ukraine wird seitdem „nachhaltig“ zerstört. Die vorausgegangenen militärischen Einsätze u. a. in Georgien, in Syrien und die Annexion der Krim haben uns nicht daran gehindert zu glauben, dass Diplomatie und Handel kriegerische Auseinandersetzungen in der Zukunft ausschließen. Diese Realitätsferne hatte am 27. Februar 2022 ein Ende, als Bundeskanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ im Deutschen Bundestag verkündete, die Aufrüstung der Bundeswehr mit einem 100 Mrd Sondervermögen und die künftige Einhaltung der NATO 2%-Forderung in Aussicht stellte. Seitdem unterstützt Deutschland die Ukraine mit Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen. Da die Bundeswehr über keine ausreichenden Reserven verfügt, können Käufe sogar unmittelbar bei den wehrtechnischen Firmen erfolgen.
Was haben wir gelernt? Der moralische Zeigefinger verhindert keine Kriege. Wenn eine Atommacht einen Nachbarn überfällt, ist eine Unterstützung des Überfallenen nur sehr begrenzt möglich. Deutschland ist daher aus gutem Grund seit 1955 Mitglied der NATO. Der nukleare Schutzschirm der NATO wirkt bis heute. Eine Vorbereitung auf eine nachhaltige Landes- und Bündnisverteidigung kann aber dadurch nicht entfallen. Sie ist für Deutschland so schnell wie möglich nachzuholen. Dies ist keine Aufrüstung, sondern ein Nachrüsten für verlorene oder nicht vorhandene Fähigkeiten. Ein Land alleine kann sich gegen eine Atommacht nicht verteidigen. Die NATO bleibt der Garant der Freiheit. Die EU als europäischer Pfeiler der Landes- und Bündnisverteidigung muss sich aber nach Jahrzehnten der Absichtserklärungen nun endlich von einer „Softpower“ auch zu einer „Hardpower“ entwickeln.
Mein Fazit: Wir sind spät – hoffentlich nicht zu spät – aus unseren pazifistischen Träumen aufgewacht. Wir werden mit mehr Realismus in die Zukunft blicken müssen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass man im Frieden gerüstet sein muss, um den Krieg zu verhindern. Ohne wehrtechnische Industrie in Deutschland und in Europa ist dies nicht möglich. Frieden, Sicherheit und Nachhaltigkeit gehören zusammen. Nachhaltigkeit bedeutet auch, alle Vorkehrungen für die eigene Sicherheit und die seiner Verbündeten zu treffen.
Bei Herrn Dr. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV, möchte ich mich herzlich für die guten Gespräche und Anregungen zum Thema dieses Heftes persönlich bedanken. Ich freue mich, wenn diese gemeinsame Publikation von BDSV und Behörden Spiegel zu einer Bereicherung der gesellschaftspolitischen Debatte über Frieden, Sicherheit und Nachhaltigkeit beitragen kann.
Die UN-Nachhaltigkeitsziele – Gemeinsam den Wandel gestalten
Unter dem Dach der Vereinten Nationen hat sich im Jahr 2015 die Weltgemeinschaft zu 17 globalen Zielen für eine bessere Zukunft verpflichtet. Leitbild der Agenda 2030 ist es, weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren. Dies umfasst ökonomische, ökologische und soziale Aspekte. Dabei unterstreicht die Agenda 2030 die gemeinsame Verantwortung aller Akteure: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft – und jedes einzelnen Menschen.
Die UN-Nachhaltigkeitsziele finden Sie hier:
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie finden Sie hier: