Rosie Garthwaite, Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt LESEPROBE

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/ Handbuch   für die   gefährlichsten Orte der Welt / Rosie Garthwaite

Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt

BLOOMSBURY PUBLISHING • LONDON • NEW YORK • BERLIN

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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel How To Avoid Being Killed in a Warzone bei Bloomsbury Publishing Plc, London © 2011 Rosie Garthwaite Für die deutsche Ausgabe © 2011 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten Illustrationen: Oxford Designers and Illustrators Ltd Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg Typografie: Leslie Driesener, Berlin, unter Verwendung des Designs der Originalausgabe von Will Webb Satz: psb, Berlin Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-8270-1036-0 www.bloomsbury-verlag.de

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Dieses Buch ist für alle Eltern – m e i n e u n d e u re – u n d f ü r d i e P a r t n e r i n n e n u n d P a r t n e r, die zu Hause geblieben sind. Für Mum und Dad – f ü r i h re s c h l a f l o s e n N ä c h t e u n d i h re U n t e r s t ü t z u n g für meine manchmal etwas überstürzten Abenteuer

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/Inhalt Danksagung Beiträger Vorwort von Rageh Omaar Einleitung

8 9 13 15

19 49 63 90

1/ 2/ 3/ 4/ 5/

6/ 7/ 8/ 9/ 10/ 11/ 12/ 13/ 14/ 15/

Planung, Vorbereitung und Ankunft Missverständnisse vermeiden Fortbewegung an gefährlichen Orten Vom Umgang mit Beschuss und Bomben Verhalten bei Massenansammlungen, Protestzügen und Krawallen Erste Hilfe und Notfallmedizin Ernährung ohne Speisekarte Liebe und Sex in kritischen Situationen Extremsituationen überstehen Fit bleiben und den Stress besiegen Überleben mit und ohne Waffen Landminen, USBV und chemische Gefahren überleben Eine Entführung überleben In potentiell gefährlichen Ländern überleben Traumatische Erfahrungen und wie man sie verarbeitet

Nachwort von Wadah Khanfar Register

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5/Verhalten bei Massen­ ansammlungen, Protest­zügen und Krawallen

In einem Kriegsgebiet muss man sich ständig die Frage stellen: »Was wäre, wenn …?« Dort und in einer Menschen­ menge darf man nicht in Isolation geraten – weder physisch noch ­emotional. Dr. Carl Hallam

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

Die Menschen, an denen ich hänge, folgen meist den am wenigsten ausgetretenen Pfaden. Sie sind das Gegenteil von mir; ich werde von Menschenansammlungen schon immer geradezu magisch angezogen. Wenn ich höre, dass irgendwo eine Party stattfindet, klopfe ich an die Tür. Wenn ich Leute Schlange stehen sehe, überlege ich, mich hinten anzustellen. Wenn ich mich am Rand von etwas befinde, möchte ich in der Mitte sein. Das ist eine Schwäche, die mich im Irak mehrmals fast umgebracht hat. Meine Neugier hat mich in allerhand gefährliche Situationen getrieben. Ich bin oft mehr daran interessiert, was ich herausbekommen oder woran ich teilnehmen kann, als daran, ob ich dabei eventuell in Gefahr gerate. Erst als mir auffiel, dass ich das Leben anderer Menschen aufs Spiel setzte, habe ich darüber nachgedacht. Zwischen Basra und dem Flughafen der Stadt, wo die britischen Truppen stationiert waren, befindet sich eine große Kreuzung. Da dies damals die einzige sichere Route war, auf der man die Stadt in dieser Richtung verlassen konnte, wurde die ­Kreuzung im Sommer 2003 zu einem beliebten Ort für Proteste. Dort konnten die Demonstranten sich darauf verlassen, die Aufmerksamkeit der vorbeifahrenden Sol­ daten zu wecken. Als freie Journalistin hatte ich das Recht, meine Nase in alle Angelegenheiten zu stecken, die mich eigentlich nichts angingen. Einige meiner besten Storys waren entstanden, indem ich bei kleinen Demonstrationen auf die Beteiligten zugegangen war und sie gefragt hatte, wogegen sie protestierten. In der Gesetzlosigkeit, die nach der Invasion herrschte, waren solche Aktionen eine Möglichkeit für die Bevölkerung, ihrem Zorn Ausdruck zu verschaffen und auf ihre Bedürfnisse hinzuweisen. Es gab keine irakische Polizei, keine Armee, keine Politiker, an die man sich hätte wenden können. Man konnte also nur demonstrieren oder nach einer Waffe greifen. Die kleinen, ge­ ordneten Versammlungen konnten leicht in Krawalle umschlagen, was ich durchaus faszinierend fand. Als meine Fahrt zum Flughafen also eines Tages von einer Gruppe zorniger ­junger Männer behindert wurde, die die Kreuzung blockierten, war ich überrascht, als der ira­kische Bekannte, der am Steuer saß, etwa einen halben Kilometer vor dem Auflauf stoppte und meinte, wir sollten umkehren. Ich ärgerte mich sogar ein wenig. Schließlich hatte ich ein wichtiges Interview mit einem britischen General und würde zu spät kommen. Aus der Entfernung sahen wir etwa 250 Menschen, die Flaggen schwenkten und Reifen in Brand gesetzt hatten. Das kam mir nicht besonders verdächtig vor, und ­außerdem hatte ich gesehen, wie ein Auto mitten durch die tobende Menge gefahren war. Ich wollte hinterher. Nicht aufgefallen war mir jedoch, dass alle anderen Fahr­ zeuge anhielten und umdrehten. Mit im Wagen saß noch ein britischer Journalist, der 96

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle

HINGEHEN ODER FERNBLEIBEN? / Habe ich einen schlüssigen Grund,

/ Kann ich zum Flughafen oder

mir die Sache näher anzusehen?

zur Botschaft meines Landes ge­

/ Weiß jemand, dass ich hier bin?

langen, wenn es kritisch werden

­Wartet jemand darauf, dass ich mich

sollte?

melde?

/ Habe ich mir einen Fluchtweg

/ Kenne ich die Risiken?

­zurechtgelegt, der offen bleiben

/ Habe ich einen solchen Auflauf

wird?

schon einmal gesehen? Finde ich in

/ Wenn Sie diese Fragen mit ja be­

der Menge Verbündete?

antworten können, dann ist es akzep-

/ Weiß ich, welche Personen ver­

tabel, zu der Menschenmenge zu

antwortlich sind? Vertraue ich ihnen?

­gehen.

aus Bagdad zu Besuch gekommen war. Ich wollte ihn mit dem erwähnten General zusammenbringen, bevor er wieder abreiste. »Los, weiter!«, sagte ich, und der Wagen kroch langsam auf die Menge zu. Wir kamen an einem Mann vorbei, der sich von der Kreuzung entfernte, und meine Freunde bestanden darauf, anzuhalten und ihn zu fragen, ob wir ungefährdet weiterfahren könnten. Der Mann sah uns mit glasigen Augen an und krallte eine Hand um die Kante meines offenen Fensters, als wollte er die Tür aufreißen. Wir versuchten, ruhig zu bleiben, als er fragend »Engländer? Engländer?« brüllte. »Iraker, Franzose, Schwedin«, erwiderten wir im Chor, wie wir es zuvor gründlich geübt hatten. Er schüttelte den Kopf, wiederholte sein »Engländer! Engländer!« und wandte sich wieder der Kreuzung zu. In diesem Augenblick sahen wir, dass er in seiner anderen Hand, die nun nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war, zwei Handgranaten hielt. Während er uns wieder den Kopf zudrehte, griff mein britischer Kollege über mich hinweg, öffnete meine Tür und versetzte ihr einen Tritt, um den Mann mit den Granaten wegzustoßen. Der Fahrer legte den Rückwärtsgang ein, um zu wenden, und wir rasten davon, während der Mann hinter uns herrannte. Das war keine Demonstration und kein Krawall gewesen, sondern eine Gruppe relativ gut organisierter Männer, gefährlich, bewaffnet und zornig, die nach einem ­Opfer suchten. Während wir zum Haus meines irakischen Bekannten zurückfuhren, wo seine Frau und seine vier Kinder auf ihn warteten, sagte kaum jemand von uns ein Wort. Bis auf mich, die ab und zu ein »Tut mir leid!« hervorstieß. Hoda Abdel-Hamid, Korrespondentin bei Al Jazeera, ist der Meinung: »Menschen97

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

MASSNAHMEN BEI KRAWALLEN Wenn Sie wissen, dass Sie auf eine

Menge zusammengedrückt wird, zum

aufrührerische Menge stoßen werden,

Beispiel Tunnels, Säulen, Mauern.

sollten Sie sich auf das Schlimmste

/ Gehen Sie im Schritttempo, statt zu

vorbereiten. Die folgenden Tipps

rennen, damit Sie keine Aufmerksam-

­stammen von Subina Shrestha.

keit auf sich ziehen. / Tragen Sie keine Kleidung im Mili­

/ Verwenden Sie Zahnpasta zum

tary-Stil und nichts, was wie eine

Schutz gegen Tränengas, wenn Sie

­Uniform aussieht.

nichts anderes parat haben. Schmie-

/ Wenn Sie in einem Gebäude sind,

ren Sie sich die Paste unter die Augen,

müssen Sie die Ausgänge kennen,

nicht darüber, sonst läuft sie hinein.

aber bleiben Sie möglichst drin, statt

/ Tragen Sie einen Motorradhelm.

sich der Menge draußen anzuschlie-

Wenn Pflastersteine fliegen, werden

ßen.

Sie sich damit wesentlich sicherer

/ Bleiben Sie in Ihrem Wagen, sofern

­fühlen.

der nicht zum Ziel des Protests gewor-

/ Überlegen Sie, welche Fluchtmög-

den ist. Wenn Sie irgendwohin fahren

lichkeiten sich bieten, bevor Sie sich

müssen, meiden Sie die Hauptstraßen.

in eine heikle Lage bringen. An einer Kreuzung ist man immer besser auf­

Persönlicher Schutz und Erste ­Hilfe

gehoben, wenn die Demonstranten

Versuchen Sie, die folgenden Dinge

oder die Polizei zum Angriff über­

dabeizuhaben:

gehen.

/ So viel Wasser, wie Sie problemlos

/ Sehen Sie sich nach Häusern um,

tragen können, sowohl zum Trinken als

in denen Sie notfalls Zuflucht suchen

auch für die Erste Hilfe.

können. Sprechen Sie vorab mit den

/ Vinyl- oder Latexhandschuhe, um

Bewohnern.

Wunden zu versorgen und als Schutz vor Pfefferspray, das die Nervenenden

Allgemeine Verhaltensregeln

an den Händen extrem reizt, wenn es

Halten Sie sich an die folgenden

auf die Haut gelangt.

­Regeln, dann sind Sie wesentlich

/ Medizinische Grundausstattung

­sicherer:

samt persönlichen Medikamenten

/ Halten Sie den Kopf gesenkt und

(Inha­lator bei Asthma usw.) und ärzt­

­vermeiden Sie jede Konfrontation.

liche Bescheinigung, falls Sie fest­

/ Meiden Sie Engpässe, in denen die

genommen werden.

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle

/ Traubenzucker oder Ähnliches, um

/ Geld, sowohl am Körper als auch in

rasch Energie zuzuführen.

der Umhängetasche versteckt.

/ Schutzweste, falls Sie das Risiko so

/ Lieber Binden als Tampons, wenn

einschätzen, dass Sie eine für nötig

Sie die Periode haben. Inmitten eines

halten.

Krawalls oder in Polizeigewahrsam

/ Ausweis und Notfallkontakte – an

­besteht womöglich keine Gelegenheit,

­einem rasch zugänglichen Ort

­einen Tampon zu wechseln, und wenn

/ Möglichst zwei Mobiltelefone, eins

ein Tampon länger als acht Stunden

in einer Hosen- oder Jackentasche,

im Körper bleibt, steigt das Risiko für

das andere in der Umhängetasche

­Toxisches Schocksyndrom.

oder dem Rucksack.

ansammlungen sind ganz allgemein keine gute Sache. Wenn sie in einem Kriegsgebiet auftreten, sind sie noch gefährlicher. In Iskandariya ist einmal eine riesige Autobombe hochgegangen, die 55 Menschen umgebracht hat. Das war zu einer Zeit, als wir uns noch frei bewegen konnten, also hatten wir eine geeignete Stelle für die Satellitenschüssel gefunden. Wir fuhren zu der Polizeistation, wo die Bombe explodiert war. Ich weiß noch, dass uns da ein junger Bursche mit einer abgetrennten Hand vor dem Gesicht herumgewedelt hat. Während wir dort waren, fuhr ein Wagen vorbei, aus dem heraus wild geschossen wurde. Ich rannte mit den anderen davon. Inmitten des Getümmels schob mir ein Mann seine Hand in die Hose. Am Ende der Straße war ein Stacheldrahtverhau, in den mich der Mann dann so gestoßen hat, dass ich festhing. Unser Bodyguard hat mich herausgezogen, aber auf so etwas kann man sich nicht verlassen. Man sollte immer wissen, welchen Fluchtweg man benutzen kann.« Am besten ist es, Demonstrationen und Krawallen auf der Straße grundsätzlich auszuweichen. Natürlich ist das nicht immer möglich; manchmal kommen sie direkt auf dich zu. Und manchmal gesellst du dich zu einer kleinen, friedlichen Protestveranstaltung, die sich zu einem Krawall entwickelt. Vielleicht wartest du in der Nähe in ­einem Krankenwagen, um dich um mögliche Verletzte zu kümmern. Oder du beteiligst dich an dem Protest, wenn plötzlich alles schiefläuft. Am allerwichtigsten ist der folgende Ratschlag: »Stopp! Erst mal nachdenken!« Selbst wenn Sie gerade allein sind, begeben nicht nur Sie sich in Gefahr. Irgendwo wartet jemand darauf, dass Sie zurückkommen – Ihre Familie, Ihr Hund, Ihre Kol­ legen –, und der verlässt sich darauf, dass Sie auf sich aufpassen. Bei gewalttätigen Ausschreitungen bietet die Menge keinen Schutz, auch wenn man sich in ihr unsichtbar fühlen mag. Eine Menschenmasse besitzt eine gewaltige Kraft, die sich rasch gegen ein bestimmtes Ziel wenden kann, vor allem gegen einen 99

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

Fremden. Wie eine Menge sich im Einzelfall verhält, kann man nicht vorhersagen, aber wenn sie sich bewegt, dann tut sie das als Ganzes. Der Journalist Tim Albone ist in Afghanistan eines Tages nur knapp davongekommen: »Mein Dolmetscher und mein Fahrer haben mir in Kabul einmal das Leben gerettet. Wir waren zum Schauplatz eines Unfalls unterwegs, bei dem ein amerikanischer Lastwagen beteiligt gewesen war. Seine Bremsen hatten versagt, worauf er mehrere Afghanen überfahren hatte. Inzwischen hatte sich ein wütender Mob versammelt. Als wir uns näherten, hörten wir Schüsse, und mir wurde mulmig. Tahir, der Dolmetscher, sagte, wir sollten die Türen verriegeln. Wenige Augenblicke später war der Wagen von brüllenden Männern umringt, die versuchten, die Türen zu öffnen, um uns heraus­ zuzerren. Tahir befahl Azad, dem Fahrer, aufs Gas zu treten, was dieser tat. Sobald wir davongekommen waren, brach Tahir in Lachen aus. Als ich ihn fragte, was so lustig sei, antwortete er: ›Du hättest hören sollen, was die gebrüllt haben. Sie wollten dir lebendig die Haut vom Leib ziehen.‹ Obwohl mir seine Geistesgegenwart das Leben gerettet hatte, konnte ich seinen Sinn für Humor in diesem Moment nicht besonders schätzen.«

/WASSERWERFER & CO. Bei der Beurteilung der Risiken muss man auch an die bei Demonstrationen verwendeten Einsatzmittel von Polizei oder Armee und an die Möglichkeit denken, davon in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Wenn man weiß, womit zu rechnen ist, kann man ruhig und überlegt bleiben, selbst wenn man direkt vor einer Kette bewaffneter Bereitschaftspolizisten steht. Wasserwerfer: Wird man direkt vom Strahl eines Wasserwerfers getroffen, so wird man von den Beinen gerissen. So etwas kann schwere Verletzungen verursachen. Entfernen Sie sich, sobald Sie einen Wasserwerfer sehen, aber langsam und ohne unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, getroffen zu werden – wenden Sie dem Strahl den Rücken zu, ducken Sie sich und rollen Sie sich zusammen. Gummigeschosse gibt es in vielen Größen und Formen. Einige kleinere Typen können schwere Verletzungen verursachen oder gar tödlich sein, wenn sie aus der Nähe (weniger als 40 Meter Entfernung) abgefeuert werden. Ein gut ausgebildeter Polizist sollte auf die Beine zielen, aber wenn er danebenschießt und ein Auge trifft, kann man erblinden. Wenn Sie schon einmal Paintball gespielt haben, wissen Sie, wie weh es tun 100

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/WASSERWERFER & CO.

kann, von einer nicht tödlichen Waffe getroffen zu werden, und hier handelt es sich um etwas ganz anderes – in vielen Fällen sogar um mit Gummi ummantelte Stahl­ geschosse. Dass Gummigeschosse abgefeuert werden und keine andere Munition, sieht man an dem kleinen, eimerähnlichen Behälter, der statt des normalen Magazins an der Waffe befestigt ist. Eventuell handelt es sich auch um einen größeren Aufsatz am Ende der Waffe. Warten Sie aber erst gar nicht ab, ob echte Kugeln abgefeuert werden oder nicht. Womit Sie beschossen werden, ist nicht vorhersehbar. Entfernen Sie sich so rasch und so ruhig wie möglich vom Ort des Geschehens. Chemische Waffen wie Tränengas werden oft eingesetzt, um eine Menge auseinanderzutreiben. Bei der Grundausbildung der britischen Armee wird man einem Tränengasangriff ausgesetzt, um zu üben, innerhalb von zehn Sekunden eine Gasmaske aufzusetzen. Außerdem soll man mit der Wirkung dieses Gases vertraut gemacht

BEI TRÄNENGAS UND PFEFFERSPRAY / Meiden Sie Feuchtigkeitscreme und

/ Nehmen sie Ersatzkleidung in einem

Sonnenschutzmittel auf Ölbasis, da

Plastikbeutel mit, falls Sie kontaminierte

sich die Reizstoffe daran binden.

Sachen ausziehen müssen oder an

­Waschen Sie gegebenenfalls vorher

­einem kalten Tag von einem Wasser-

Hände und Gesicht mit einem seifen-

werfer getroffen werden.

freien Mittel, um solche Cremes zu

/ Tragen Sie eine Schwimmbrille oder

entfernen. Verwenden Sie, falls nötig,

Gasmaske, um die Augen zu schützen.

ein Sonnenschutzmittel auf Wasser-

/ Tränken Sie mehrere Halstücher mit

oder Alkoholbasis.

Wasser und stecken Sie sie in sepa­

/ Tragen Sie eine Brille statt Kontakt-

rate Plastikbeutel, um sich jeweils

linsen. Tränengas, das unter eine

­eines um den Mund zu wickeln. Die

­Kontaktlinse gekrochen ist, tut höllisch

­Tücher müssen immer wieder aus­

weh.

gewechselt werden, da sie das Tränen-

/ Mixen Sie Ihr eigenes Dekontamina­

gas aufsaugen.

tionsspray. Lösen Sie ein Antazidum

/ Berühren Sie einen Tränengasbehäl-

(so was nimmt man gegen Sodbren-

ter nicht mit bloßen Händen; so ein

nen ein) in Wasser auf, um damit

Ding ist sehr heiß.

­Augen, Mund und Haut zu besprühen.

/ Reiben Sie die Reizstoffe nicht ver­

Sie können auch Natriumhydrogen­

sehentlich in Ihre Augen oder Ihre Haut.

carbonat mit Wasser mischen.

Versuchen Sie, Ruhe zu bewahren. 101

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

­werden und lernen, damit umzugehen. Das läuft so ab: Du stehst in einer dunklen ­Hütte, hörst die kurzen, nervösen Atemzüge des Kameraden neben dir, und plötzlich ist das Gas da. Ein Sergeant mit Gasmaske brüllt uns zu, wir müssten erst das Kinderlied »Mary had a Little Lamb« singen, bevor wir unsere Maske aufsetzen dürften. Dann ist es allerdings zu spät. Das Gas ist in die tränenden Augen eingedrungen, du hast einen sauren Geschmack im Mund, die Haut juckt und das Atmen fällt dir schwer. Glücklicherweise ist es bald vorbei, und wir stehen draußen und atmen frische Luft. Wenig später werden wir allerdings für die nächste Runde hineingetrieben, bis niemand in dem winzigen Raum auch nur das leiseste Anzeichen von Panik mehr er­ kennen lässt. Anders gesagt, haben wir uns mit unserem schmerzhaften Schicksal abgefunden. Das Training war erfolgreich. Vor allem habe ich dabei gelernt, dass Kontaktlinsen und Tränengas sich gar nicht gut vertragen. Schlimmer noch, man muss den kontaminierten Finger ans Auge führen, um ein Stück Kunststoff herauszunehmen, das sich nun wie eine Glasscherbe anfühlt. Die Nase läuft, der Mund wird wässrig. Man hustet und hat möglicherweise Schwindelgefühle. Während meines restlichen Jahres bei der Armee spürte ich jedes Mal, wenn ich meine Gasmaske aufsetzte, ein Brennen in den Augen. Tränengas und Pfefferspray haften an allem, worauf sie geraten, und werden auf alles übertragen, was Sie an­ fassen, bis es Ihnen gelungen ist, das Zeug gründlich abzuwaschen. Wenn Sie sich nicht dekontaminieren, bevor Sie Ihre Wohnung betreten, spüren Sie die Wirkung womöglich noch mehrere Tage lang. Immerhin – Tränengas ist zwar giftig, aber seine Wirkung lässt nach einer halben Stunde an der frischen Luft deutlich nach. Die durch Pfefferspray verursachten Schmerzen treten rascher auf und sind ­intensiver. Außerdem ist man womöglich sehr wütend. Pfefferspray ist wesentlich schwerer von der Haut zu entfernen als Tränengas. In hoher Konzentration kann es Verbrennungen ersten Grades hervorrufen, wenn man es auf der Haut lässt. Bei einer normalen Konzentration sollte die schmerzende Wirkung innerhalb von zwei Stunden weitgehend nachlassen.

/MENSCHENMENGEN Man sollte sich klarmachen, dass eine Menschenmenge nicht immer feindselig ist. Oft ist sie friedlich. Falls Sie eine Autoritätsperson sind, haben Tausende von Menschen oft mehr Angst vor Ihnen als umgekehrt. Samantha Bolton erinnert sich: »Eine führerlose Flüchtlingsmenge kann sich durchaus organisiert verhalten, besonders wenn sie unter Schock steht. Wir haben 1994 als Erste gesehen, wie nach den Massakern in Ruanda über eine Million Flücht102

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/SCHUTZWESTEN

linge die Grenze überquerten. Innerhalb von ganzen zwei Stunden strömten sie schweigend herüber. Wie eine verdutzte Herde sind sie genau dahin gegangen, wohin ich sie gewiesen habe, weil ich die einzige Autoritätsperson war. Bei so etwas geht es darum, keine Angst zu haben und sich eine geeignete Führungspersönlichkeit aus­ zusuchen, wenn man jemanden braucht, mit dem man verhandeln kann.

/SCHUTZWESTEN Zuerst zieht man die Unterwäsche an, dann die Hose und ein Hemd, und schließlich kommt die Schutzweste. Je länger man sie trägt, desto schwerer wird sie. Wenn man laufen muss, wird sie schwitzig und schmutzig. Wenn sie nicht genau passt, fängt sie an zu reiben, und dann tut sie wirklich weh. In meiner Armeezeit habe ich zur Übung 21 Tage am Stück eine Schutzweste getragen. Man sagte uns, wir müssten darin schlafen, also taten wir das auch. Ich hatte noch drei Wochen später an Armen und Beinen blaue Flecken. Als ich schließlich aus meinem gepanzerten Kokon schlüpfte, brauchte ich keinen BH mehr und hatte einen Waschbrettbauch. Es ist äußerst umstritten, ob Zivilisten überhaupt Körperpanzerung tragen sollten. NGO-Mitarbeiter sagen oft, die Kennzeichen auf ihren Fahrzeugen und Hemden würden ihnen schon genügend Schutz bieten. Manche, wie meine Kollegin Zeina Khodr, sind fatalistisch: »Ich glaube nicht an Schutzwesten. Wenn der Tag, an dem du sterben sollst, gekommen ist, dann ist das eben so. Außerdem ist es wichtig, sich nicht von den Menschen um dich herum zu unterscheiden.« Andere sind zumindest teilweise derselben Meinung. So sagt Qais Azimy: »Ich trage keine teure Schutzkleidung mehr, die zieht nur die Aufmerksamkeit auf sich. Stattdessen versuche ich, mehr wie die Einheimischen auszusehen. Körper­ panzerung bringt dich nur in größere Gefahr.« Viele bezweifeln sogar, von einer Weste tatsächlich vor Schüssen geschützt zu sein. So ein Ding ist zwar höllisch unbequem, wirkt aber dennoch ziemlich mickrig, wenn man bedenkt, dass es den Körper vor Kugeln und Bombensplittern bewahren soll. Hauptmann Sayed Hashim von der afghanischen Armee hat mir gesagt: »Früher hatten wir bei der Armee weder Helme noch Schutzwesten, aber inzwischen hat sich das geändert. Fast alle von uns sind jetzt damit ausgerüstet. Wir tragen die Sachen, wissen jedoch nur zu gut, dass sie nichts damit zu tun haben, ob wir überleben oder nicht. Das liegt in Allahs Macht.« Andere – wie Nick Toksvig – sind hingegen der Ansicht, die Vorteile einer Schutzweste würden deren negative Aspekte bei weitem überwiegen: »So eine Weste ist 103

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

WIE MAN EINE SCHUTZWESTE TRÄGT / Die Weste passt, wenn sie gerade bis zu den Hüften reicht und nicht über die Schultern hochrutscht. Sie sollte Halsschutz –––––––––––––

den Bauch bedecken. / Schnallen Sie die Weste richtig fest, aber noch so locker, dass Sie die Arme heben und sich bücken können. / Entfernen Sie keinerlei Bestandteile.

Schwere Platten –––––

Lassen Sie die schweren zusätzlichen Platten in der Weste, statt sie »für den Notfall bereitzuhalten«, wie es gerne heißt. Lassen Sie auch den zusätz­

Unterleibsschutz ––––––

lichen Hals- und Unterleibsschutz dran; auch wenn der Sie ärgert, er ist da nicht ohne Grund. / Die meisten Schutzwesten haben eine abnehmbare Hülle. Wenn die zu stinken anfängt, was unvermeidlich ist, kann man sie abends waschen und über Nacht zum Trocknen aufhängen.

nicht schwierig zu tragen. Ich habe gesehen, wie sie jemandem, dem man direkt auf die Brust geschossen hat, das Leben gerettet hat. Zumindest hält sie den Körper zusammen, wenn man getroffen wird. Ein Kameramann, den ich kenne, hat einmal in seiner Weste gefilmt. Während er in die Kamera schaute, schlich sich von hinten ­jemand an, um ihn zu erstechen. Das Messer traf auf die Panzerung, worauf der Angreifer mit der Hand an die Klinge rutschte und sich selbst verletzte. Der Kameramann ist derweil um sein Leben gerannt.« Laith Mushtaq meint: »Auch wenn es sinnlos scheint, eine Schutzweste zu tragen, solltest du es trotzdem tun. Falls du verletzt wirst, kann dir niemand vorwerfen, du hättest nicht auf dich aufgepasst. Trag jedoch keine, wenn man dich dadurch erst recht aufs Korn nimmt.« Wenn die Weste gut passt, ist sie wie ein ganz normales Kleidungsstück, das man anzieht, wenn man aus dem Haus geht. Allerdings trägt man es womöglich tageund wochenlang. 104

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/SCHUTZWESTEN

»Ich hatte schon große Probleme mit Schutzwesten«, erzählt Sherine Tadros. »Ich habe verschiedene Größen mit unterschiedlicher Panzerung ausprobiert, aber eines trifft auf alle zu – sie sind verflucht schwer. Wenn ich lediglich ein oder zwei Tage eine anziehen musste wie im Libanon, war das gerade noch erträglich, aber als ich in Gaza 23 Tage lang darin steckte, hatte ich das Gefühl, einen Kartoffelsack auf dem Rücken zu tragen.« Um die durch eine Schutzweste entstehenden Rückenschmerzen zu reduzieren, rät Sherine: • Legen

Sie die Jacke beim An- und Ausziehen irgendwo hin und schlüpfen Sie

hinein, statt zu versuchen, sie über den Kopf zu heben. • Im

Sitzen ist eine Schutzweste angenehmer als im Stehen, drückt aber trotzdem

gewaltig auf den Rücken und die Schultern. Um das zu vermeiden, sollte man eine Sitzposition einnehmen, durch die das Gewicht vermindert wird. Zum Beispiel kann man es auf eine Tischplatte oder Stuhllehne verlagern. • Wenn

niemand zu einer Massage bereitsteht, nachdem man die Weste aus-

gezogen hat, kann man sich selbst die Schultern und den Rücken massieren und anschließend die Muskeln dehnen. Schutzwesten sind keine modischen Accessoires, worauf Laura Tyson hinweist: »Frauen sehen in solchen Westen selten gut aus. Wenn du als Frau eine tragen musst, solltest du darunter dunkle, ziemlich eng anliegende Sachen tragen, sonst siehst du aus, als wärst du auf dem Weg zu einem Kostümfest.« Dann wäre da noch der Helm, der zwangsläufig die Frisur ruiniert, aber durchaus notwendig sein kann. Marc Laban rät: »Bei städtischen Krawallen sollte man unbedingt einen Helm tragen. Ein Fotograf, den ich kenne, hat in Thailand einmal improvisiert, indem er sich einen Kochtopf auf den Kopf gesetzt hat. Heutzutage ist es üblich, dass die Fernsehsender ihre Teams mit Helmen und Schutzwesten ausstatten, aber viele freiberufliche Kollegen können sich eine an­ ständige Ausrüstung einfach nicht leisten. Wem es so geht, der kann sich einen ­Motorradhelm kaufen – oder einen Kochtopf. Dem Beschuss mit einem M-16 wird so etwas zwar nicht standhalten, aber vor einer schweren Verletzung schützt es eventuell doch.« Wenn Sie sich entscheiden, eine Schutzweste zu tragen, müssen Sie unbedingt ein geeignetes Modell wählen. Auf dem innen angebrachten Etikett steht die jeweilige Schutzklasse. Nehmen Sie Klasse 4 (SK4 oder Level IV), die auch Schutz vor Langwaffenmunition bietet. Lassen Sie Ihre Weste regelmäßig überprüfen; sie ist nicht ewig haltbar, und die eingenähten Platten können brechen, wenn man die Weste fallen lässt oder sie falsch 105

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Massenansammlungen, Protestzüge und Krawalle/

behandelt. Dasselbe gilt für Helm und Schutzbrille, die ebenfalls einem bestimmten Standard entsprechen sollten.

Wenn man irgendwo durch selbst gebastelte Sprengsätze, Autobomben, unberechenbare Schießereien und Mörser­ angriffe gefährdet ist, sollte man meiner Meinung nach jede mögliche Vorsichtsmaßnahme treffen, selbst wenn das bedeutet, monatelang zu Hause zu bleiben oder schleunigst das Land zu verlassen, wie ich es getan habe. Wenn ich schon keines natürlichen Todes sterben sollte, dann will ich wenigstens aus einem guten Grund sterben. Imad Shihab

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9/Extrem足 situationen 端berstehen

Den Stress und den Geruch nach der Tsunamikatastrophe in 足Indonesien habe ich mit einer Kombination aus Tranquilizern und Tigerbalsam 端berstanden. Marc Laban

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Extrem­ situationen überstehen/

Dieses Buch ist nicht für Leute gedacht, die, nur mit einem Taschenmesser und zwei Stöcken zum Feuermachen ausgerüstet, in den Dschungel ziehen. Da wir uns jedoch alle schon irgendwann an Orten befunden haben, an denen es nicht besonders gemütlich war, finden sich in diesem Kapitel Hinweise, wie man im Kampf gegen die Wildnis siegen kann. Es ist erstaunlich, was man auf lange Sicht lernt, wenn man sich nur ein wenig anstrengt. Bei der Armee hat man uns eingetrichtert, dass man sich »rasch ungemütlich fühlt«. Anders gesagt, man hat uns beigebracht, es uns so gemütlich wie möglich zu machen, wenn wir bei eisiger Kälte kampieren und bei brütender Hitze Wasser sparen mussten. Beim Militär habe ich auch gelernt, wie man in der Wüste einen tragbaren Kühlschrank bastelt. Man macht einfach eine Socke nass, steckt eine warme Dose Cola oder eine Flasche Wasser hinein und lässt den Wind dagegenblasen. Durch die Verdunstung wird die Flüssigkeit ein paar Grad kühler. Wiederholt man das einige Male, ist die Temperatur des Getränks so weit unter die Körpertemperatur gesunken, dass es in der Tat erfrischend schmeckt. Genial!

/ALLGEMEINE ÜBERLEBENSTIPPS Nehmen wir an, Sie sind praktisch ohne Ausrüstung mitten im Nirgendwo gelandet. Dann werden Ihre ersten vier Prioritäten so aussehen:

1 . E i n e Wa s s e rq u e l l e s u c h e n Ist kein Wasserlauf oder See in der Nähe, müssen Sie in tieferes Gelände gelangen, etwa in ein Tal. • Suchen

Sie in felsigem Gelände nach Pfützen und Tümpeln. Wenn das Wasser zu

seicht ist, um mit den Händen geschöpft zu werden, tränken Sie ein Kleidungsstück im Wasser und wringen Sie es in den Mund oder einen Becher aus. Sie ­können auch daran saugen. • Wenn

Sie das richtige Werkzeug dabeihaben, buddeln Sie ein Loch, bis Sie auf

Wasser stoßen. • Beobachten

Sie, wohin die Tiere ringsum unterwegs sind – dort wird es Wasser

­geben. Und vergessen Sie nicht, Regenwasser zu sammeln. 182

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/ALLGEMEINE ÜBERLEBENSTIPPS • Versuchen

Sie, aus Pflanzen Wasser zu gewinnen. Milchigen Saft sollten Sie aller-

dings meiden, da er giftig sein kann. Selbst in der trockensten Wüste findet man Wasser in Kakteen und Sukkulenten. Achtung: Rationieren Sie alles Wasser, das Sie haben. Trinken Sie weder Urin noch Salzwasser, und kochen Sie alles gesammelte Wasser ab, denn Durchfall würde Sie noch mehr dehydrieren (siehe Seite 200 zur Wasserreinigung).

2. Nahrung suchen Sammeln Sie Früchte und Kräuter, die Sie kennen, zum Beispiel Löwenzahn, wilde Bananen und Feigen, Palmherzen, Bambusschösslinge und Kaktusfeigen. Gehen Sie angeln oder auf die Jagd.

3. Einen Unterschlupf bauen Vielleicht haben Sie Glück und finden einen Ort, an dem Sie perfekt vor den Elementen geschützt sind, zum Beispiel eine Höhle. Falls nicht, ist es eventuell notwendig, einen provisorischen Unterschlupf zu bauen. • Legen

Sie lange Äste mit einem Ende auf einen umgestürzten Baumstamm und

mit dem anderen auf den mit Laub gepolsterten Boden, so dass ein Zelt entsteht. Das Dach wird mit Gras oder Moos gedeckt. • Bauen

Sie einen Wigwam, indem Sie Äste oder Schösslinge oben zusammen-

binden und das Ganze mit einer Plastikplane umhüllen, wenn Sie eine haben. Sonst nehmen Sie Zweige.

Zum Abdecken Gras oder Moos verwenden

• Graben

Sie ein Loch im Boden und bedecken Sie es mit einer Plastikplane, die an

den Ecken mit Steinen beschwert wird. • Bei

winterlichen Bedingungen graben Sie sich dort, wo der Schnee kompakt ge183

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Extrem­ situationen überstehen/

worden ist, ein Loch. Halten Sie Abstand von Hängen (Lawinengefahr!). Verwenden Sie eine Schneewehe, wenn Sie eine finden, die groß genug ist (siehe Illustration). Belüftungsöffnung

Kuppeldach

Schlafplattform

Hangabwärts

Eingang (unterhalb des Schlafbereichs)

Nutzen Sie alles Material, das Ihnen zur Verfügung steht, außerdem ein wenig Kraft und Fantasie. Achtung: Wenn Sie in Ihrem Unterschlupf ein Feuer machen, was selbst in einem Schneeloch möglich ist, müssen Sie unbedingt für Belüftung sorgen, damit der Rauch entweichen kann. Sonst bekommen Sie eine Kohlenmonoxidvergiftung oder zumindest Atemprobleme.

4. Auf Hilfe warten oder aus der Wildnis finden • Wenn

jemand weiß, wo Sie sind, rühren Sie sich nicht vom Fleck. Bei einem Auto­

unfall oder Flugzeugabsturz müssen Sie immer beim Wrack bleiben – dann haben die Retter es leichter, Sie zu finden. • Falls

niemand eine Ahnung hat, wo Sie hinwollten, oder falls man Sie nicht einmal

vermisst, müssen Sie selbst einen Weg aus der Wildnis finden. Zumindest müssen Sie eine Stelle suchen, an der Sie mit dem Rauch eines Feuers oder mit spiegelnden Gegenständen auf sich aufmerksam machen können (wenn Sie das Glück ­haben, einen Spiegel, Glas oder eine Rettungsdecke dabeizuhaben). • Wenn

Sie sich auf den Weg machen, achten Sie darauf, nicht im Kreis zu gehen.

Suchen Sie sich in der Ferne einen Orientierungspunkt und gehen Sie konsequent darauf zu. Sind keinerlei solche Punkte zu sehen, sind Sie wahrscheinlich besser dran, wenn Sie an Ort und Stelle bleiben und Ihr Wasser rationieren – außer es ­besteht überhaupt keine Hoffnung auf Rettung. • Ein

guter Tipp ist, einem Wasserlauf flussabwärts zu folgen, da man so wahr-

scheinlich irgendwann in die Zivilisation gelangt. Außerdem hat man so immer ­Trinkwasser. 184

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/MIT KÄLTE ZURECHTKOMMEN

/MIT KÄLTE ZURECHTKOMMEN Es hat gewisse Vorzüge, in der Wüste zu leben, so wie ich es in Doha tue. Einer ist die Wärme, denn ich friere ausgesprochen ungern. In kühlem Klima verwenden mich meine Freunde als wandelndes Thermometer. Wenn ich anfange, in meinen diversen Schichten von Thermoklamotten zu frösteln, ziehen sie ihre Jacken an. Es macht mir nichts aus, unter einer Daunendecke vor dem offenen Kamin zu liegen, wenn draußen ein Sturm tobt, oder durch den Schnee zu einem warmen Gasthaus zu wandern. Aber wenn mir kalt ist und sich daran voraussichtlich so bald nichts ändern wird, werde ich brummig und unleidlich. Mit der Zeit habe ich mir allerdings ein paar Tricks angeeignet, um besser mit Kälte zurechtzukommen, und beim Recherchieren für dieses Buch habe ich noch ­wesentlich mehr entdeckt. Mit am wichtigsten ist es, anständig zu essen. Der Ansicht ist auch Dr. Carl Hallam: »In meiner Zeit bei den Royal Marines waren wir jeden Winter drei Monate lang im Norden Norwegens, um zu lernen, wie man mit richtig kaltem Wetter umgeht. Dort wurden wir von Unteroffizieren herumkommandiert, deren Lieblingsspruch lautete:

KLEIDUNG ZUM SCHUTZ GEGEN KÄLTE Die innerste Schicht sollte aus Wolle

wenn man sich anstrengt. Wenn

und Kunstfasern bestehen, das heißt

Schweiß gefriert, wirkt er innerhalb

aus Stoffen, die keinen Schweiß auf-

der Kleidung wie ein Kühlschrank.

nehmen und selbst in feuchtem Zustand warm bleiben. Baumwolle ist

Wenn Ärmel und Hosenbeine nicht

­ungeeignet, weil sie Schweiß aufsaugt.

mit einem Gummizug verschließbar sind, kann man dazu eine Kordel

Die mittlere Schicht muss dick wie

­nehmen, damit die warme Luft nicht

eine Steppdecke sein, aber atmungs-

entweicht.

aktiv und schnell trocknend, falls sie nass wird.

Tragen Sie mehrere Socken übereinander, und zwar in Schuhen oder

Die äußere Schicht sollte winddicht,

Stiefeln, die Ihnen wirklich passen.

aber atmungsaktiv sein, damit der

Falls Socken und Stiefel nass werden,

Schweiß entweichen kann. Zu diesem

wechseln Sie die Socken so lange,

Zweck sollte sie außerdem Reißver-

bis das Schuhwerk wieder trocken

schlüsse haben, die man öffnen kann,

ist. 185

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Extrem­ situationen überstehen/

›Frieren kann jeder Idiot.‹ In einer solchen Umgebung kühlt man wie jeder andere Gegen­stand aus, wenn man sich nicht entsprechend vorbereitet. Wir haben täglich etwa 5000 Kalorien zu uns genommen, aufgeteilt in eine große Mahlzeit am Morgen und eine am Abend. Nach beiden haben wir uns hingelegt, weil das Blut nach dem Essen in den Magen wandert. Man muss ihm Zeit lassen, wieder für Arme und Beine verfügbar zu sein.«

/UNTERKÜHLUNG Sie sind ein kleines, warmes Wesen mitten in der großen, kalten Natur. Wenn Sie keine Präventivmaßnahmen treffen, kühlen Sie ständig aus.

Unterkühlung vermeiden • Halten

Sie Ihre Kleidung trocken, indem Sie eine geeignete Außenhaut tragen –

­einen Anorak, der wasserdicht und doch atmungsaktiv ist. • Tragen • Wenn

Sie immer eine Kopfbedeckung.

Sie ins Wasser steigen müssen, ziehen Sie vorher so viele Kleidungsstücke

wie möglich aus und halten Sie diese über den Kopf oder wickeln Sie sie in wasserdichtes Material ein, während Sie den Fluss oder Bach überqueren. • Wenn

einer Ihrer Begleiter eine Verletzung hat und nicht mehr gehen kann, bringen

Sie ihn dazu, regelmäßig wenigstens Arme oder Beine zu bewegen. Gut geeignet dazu sind Reaktionsspiele; zum Beispiel versucht der Verletzte, Sie abzuklatschen, bevor Sie die Hand wegziehen. • Achten

Sie bei sich und Ihrem Team auf Anzeichen von Unterkühlung (siehe unten).

Anzeichen von Unterkühlung • Verlangsamte

Reaktionen, abwechselnd unnatürliche Energieschübe und Passivität.

• Unbeherrschbares • Erhöhte

Neigung, Fehler zu machen.

• Verminderte • Vor

Zittern und vermindertes Sehvermögen.

Geschicklichkeit, Stolpern beim Gehen.

einem völligen Kollaps und eventueller Bewusstlosigkeit treten Kopf- und

Bauchschmerzen auf. • Verlangsamter

Puls; im Extremfall Herzstillstand.

Maßnahmen bei Unterkühlung • Schützen

Sie den Patienten vor Wind und Wetter; bringen Sie ihn am besten in

­einen warmen Raum. 186

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20.07.11 17:31


/ERFRIERUNGEN • Wechseln • Ist

Sie nasse Kleidung gegen trockene aus.

der Patient bei Bewusstsein, verabreichen Sie ihm warme, gezuckerte Getränke

oder Suppe. Weniger geeignet sind Kaffee und Schwarztee, keinesfalls Alkohol, der letztendlich kühlend wirkt. • Wärmen

Sie den Patienten. Schützen Sie ihn mit Kleidung oder einer Matte vor

dem kalten Boden. Wärmen Sie ihn mit Ihrem eigenen Körper, zum Beispiel indem Sie sich mit ihm in einen Schlafsack legen. Legen Sie Wärmequellen wie warme Steine oder Wärmflaschen auf Stellen des Körpers, an denen die Arterien nahe der Oberfläche verlaufen (siehe die Druckpunkte auf Seite 125). Bei starker Unter­ kühlung dauert es womöglich mehrere Stunden, bis der Körper sich wieder erwärmt, da er die Fähigkeit verloren hat, dies selbst zu tun. Er muss die von außen kommende Wärme durch den Blutkreislauf erst in seine Mitte transportieren. Achtung: Legen Sie keine sehr heißen Gegenstände direkt auf den Körper; das könnte Verbrennungen verursachen, die der Patient nicht bemerkt, weil sein Körper nicht zu den üblichen Schutzreaktionen fähig ist. Außerdem sollte man nicht versuchen, den Körper zu rasch zu erwärmen, da das kühle Blut sonst zum Schutz in die Körpermitte fließt und den Zustand dadurch verschlimmert.

/ERFRIERUNGEN In extremer Kälte kann es leicht zu Erfrierungen kommen, wobei die Haut tatsächlich gefriert. Dabei dehnt sich das Wasser in den Zellen aus und die Zellwände platzen, wodurch der betroffene Bereich geschädigt wird. Je weiter ein Körperteil vom Herzen entfernt ist, desto größer ist das Risiko, sich dort Erfrierungen zuzuziehen. Besonders empfindlich sind Nase, Ohren, Füße und Hände. In Nepal steht ein Hotel mit dem schönen Namen »Yak & Yeti«. Beliebt ist es unter anderem bei Bergsteigern, die vom Mount Everest zurückkehren. Nachdem ich eines Nachts durchgearbeitet hatte, um eine Reportage fertigzustellen, ging ich morgens zum Frühstück ins Restaurant. Ich war ausgehungert. Hinter mir stellte sich eine Gruppe japanischer Bergsteiger an, um sich Spiegeleier braten zu lassen. Ich drehte mich um, sah sie an, stellte meinen noch leeren Teller weg und ging in mein Zimmer zurück. Die Gesichter der Japaner hatten große schwarze Flecken, wo die Haut ab­ gestorben war. Sie erinnerten mich an eine Mumie, die ich einmal in den peruanischen Anden gesehen hatte. Einer der Alpinisten hatte seine Nase verloren, zwei trugen Bandagen um den Stumpf, der von ihrem Arm übrig war; an der Hand des anderen Arms, die ebenfalls bandagiert war, fehlten eindeutig einige Finger. 187

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Extrem­ situationen überstehen/

Gruselige Abbildungen von Erfrierungen werde ich Ihnen hier ersparen. Ich hoffe, Sie haben so etwas schon im Fernsehen oder in einer Zeitschrift gesehen. Bitte lesen Sie die folgende Passage aufmerksam durch, damit Sie im Ernstfall beurteilen können, wie schwer eine Erfrierung ist.

Erfrierungen vermeiden • Überprüfen

Sie regelmäßig den Zustand aller empfindlichen Körperteile. Wird ein

Bereich taub, ist es schwerer zu spüren, was dort geschieht. • Halten

Sie die Problemzonen in Bewegung. Wackeln Sie mit Fingern und Zehen,

massieren Sie Ihr Gesicht oder ziehen Sie Grimassen. • Wenn

jemand verletzt ist und sich kaum mehr bewegen kann, massieren Sie ihm

Füße, Hände und Gesicht. Bewegen Sie regelmäßig alle Extremitäten.

Anzeichen für eine Erfrierung • Taubheit

oder Prickeln der Haut.

• Der

betroffene Körperteil wird erst weiß und dann hart.

• Der

betroffene Körperteil schwillt an und bekommt Blasen, bevor er schwarz wird

und abfällt.

Maßnahmen bei Erfrierungen Werden Erfrierungen rechtzeitig behandelt, so sind sie glücklicherweise vollständig reversibel. Allerdings ist die Behandlung – das Auftauen – ausgesprochen schmerzhaft. Nehmen Sie gegebenenfalls Schmerzmittel ein, um weniger zu leiden. • Bei

einer Erfrierung 1. Grades (Taubheit oder Kribbeln) muss der betroffene

­Bereich mit etwas Warmem in Kontakt gebracht werden, um ihn langsam auf­ zuwärmen. Die Hände können unter die Achselhöhlen oder zwischen die Oberschenkel gesteckt werden; wenn man dasselbe mit den Füßen machen will, muss sich freilich jemand anders zur Verfügung stellen. Halten Sie die Erfrierung nicht in die Nähe eines Feuers, das würde extrem wehtun. • Wenn

die Erfrierung tief geht und nicht mit Körperwärme behandelt werden kann,

erwärmt man Wasser bis knapp unterhalb der Körpertemperatur auf etwa 30 °C (mit dem Ellbogen testen) und taucht den betroffenen Bereich darin ein. Ist das ­unerträglich, lässt man das Wasser abkühlen, bevor man den Körperteil wieder ­eintaucht und das Wasser dann allmählich immer stärker erwärmt, bis die Er­ frierung aufgetaut ist. • Wenn

die Haut Blasen gebildet hat beziehungsweise grau oder schwarz geworden

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/IMMERSIONSFUSS

ist, muss man den betroffenen Bereich schützen, um weiteren Schaden zu ver­ meiden. Versuchen Sie nicht, ihn durch Reiben zu erwärmen, ihn starker Hitze ­auszusetzen oder die Blasen aufzustechen. Setzen Sie ihn der Körperwärme aus, selbst wenn es Stunden dauert. Schwarze, abgestorbene Körperteile, die sich nicht mehr erholen können, fallen später einfach ab. Achtung: Wenn Sie in einer Höhle oder Hütte versuchen, sich am Kamin oder am ­offenen Feuer zu wärmen, müssen Sie unbedingt für Belüftung sorgen. Sonst kann es zu einer Kohlenmonoxidvergiftung kommen.

/IMMERSIONSFUSS Diese Erscheinung tritt auf, wenn die Füße zu lange ununterbrochen nass gewesen sind. Dann schwellen sie an und bekommen Blasen; schließlich platzt die Haut auf. Das Gehen wird dadurch sehr schmerzhaft, wenn nicht gar unmöglich. Zu den wichtigsten Gegenständen im Marschgepäck von Soldaten zählt ein Paar frische Socken. Laut dem Handbuch der britischen Armee soll man sich an folgende Prioritäten in der angegebenen Reihenfolge halten: Trinkwasser, Füße, Proviant, ­Waffe – und noch mal Füße.

Immersionsfuß vermeiden • Wechseln

Sie täglich die Socken, egal, wie müde, durchnässt und durchgefroren

Sie sind. Dadurch haben Sie eine Chance, Ihre Füße zu inspizieren. • Socken

müssen so oft wie möglich gewaschen und getrocknet werden. Wenn Sie

im Schlafsack liegen, können Sie Socken trocknen, indem Sie sie über die Hände streifen. Es ist erstaunlich, was in einem warmen Schlafsack über Nacht alles trocknet. • Nehmen • Ziehen

Sie viele Socken mit, wenn Sie nicht ständig waschen möchten.

Sie so oft wie möglich Schuhe und Socken aus, um die Füße zu lüften.

Anzeichen für Immersionsfuß • Die

Füße fühlen sich allmählich taub an.

• Kribbeln

in den Füßen.

• Ein

scharfer Schmerz schießt in die Füße.

• Die

Haut wird blaurot, bekommt Blasen und platzt auf.

189

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Extrem­ situationen überstehen/

Maßnahmen bei Immersionsfuß • Die

Füße trocknen und trocken halten.

• Die

Blasen verbinden. Nicht aufstechen!

• Den • Die

betroffenen Bereich nicht reiben oder massieren.

Füße in ein trockenes Handtuch wickeln und hochlegen.

• Ausruhen.

Der Immersionsfuß heilt nicht so rasch.

/MIT HITZE ZURECHTKOMMEN In sehr heißem Klima wird es Ihre größte Sorge sein, genügend Trinkwasser zu beschaffen. Wenn Sie sich in der Wüste befinden und keines mehr haben, lohnt es sich nur an zwei Orten, danach zu suchen: in einem trockenen Flussbett und in der tiefsten Senke zwischen Sanddünen. Graben Sie dort nachts, aber achten Sie darauf, nicht mehr Wasser (in Form von Schweiß) zu verlieren, als Sie dabei auftreiben. Wenn es nicht gerade geregnet hat, sind Wadis und Oasen trocken und die gebohrten Brunnenlöcher sind oft zugedeckt, aber wenn Sie darauf stoßen, lohnt es sich ebenfalls, dort zu graben. Sämtliche Wunden und Abschürfungen sollten sofort gereinigt und bandagiert werden, da sie sich in heißem Klima rasch entzünden. Suchen Sie sich unbedingt einen geeigneten Unterschlupf, sonst nützt Ihr mühsam gewonnenes Wasser nichts. Wenn Sie ungeschützt der Hitze des Tages aus­ gesetzt sind, bekommen Sie rasch gesundheitliche Probleme und trocknen noch ­rascher aus. Nachts, wenn die Temperatur fällt, können Sie sich in Ihrem Unterschlupf warm halten.

/DEHYDRATION Es ist kaum zu glauben, wie viel Trinkwasser man unter bestimmten Bedingungen verbraucht. Als ich 2003 in Basra war, stieg die Temperatur an einem Tag, an dem in der Stadt überall Krawalle stattfanden, auf 63 °C. Ich hatte Angst, und außerdem schmolz ich nur so vor mich hin. An diesem Tag trank ich acht große Flaschen Wasser und fühlte mich abends trotzdem völlig ausgetrocknet. Meine Kleidung war durch­ geschwitzt, abgesehen von dem gut sichtbaren Umriss meines BHs, der als Extraschicht den Schweiß teilweise aufgesogen hatte, so dass auf meinem T-Shirt ein ­trockener Fleck in BH-Form zu sehen war. Die blaue Hose, die mein Freund Seb trug, war nach wenigen Tagen in Basra weiß vom ausgeschwitzten Salz. Meine Hose wie­ 190

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/DEHYDRATION

derum löste sich auf, weil sie ständig derart klamm war, und riss schließlich auseinander, als ich an jenem Tag zum zehnten Mal aus einem Taxi stieg. Zäh sind sie, die Einwohner von Basra, das muss man ihnen lassen. In meiner Zeit im Irak war Caroline Hawley die wichtigste BBC-Korrespondentin vor Ort. Als ich sie kennenlernte, wurde mir klar, wie solche scheinbar über allem schwebenden TV-Reporter wirklich ticken. Sind sie live auf Sendung, wirken sie völlig ruhig und souverän, aber vorher haben sie wie verrückt gearbeitet, um die Über­ tragung rechtzeitig hinzubekommen und die passenden Informationen parat zu haben. Und wenn sie gerade nicht arbeiten, sind sie auf dem Weg zur nächsten Story. Wie Caroline weiß, ist es in der Hektik leicht, die einfachen Dinge des Lebens zu ver­ gessen: »Im Sommer 2004 bekam ich einen Hitzschlag. Ich glaube, das lag an einer Verkettung verschiedener Umstände. Nachdem ich mehrere Tage bei 45 Grad Hitze unterwegs gewesen war, wurde mir übel und schwindlig. Ich fantasierte und sagte ständig zu meinen Kollegen: ›Wenn mein Gehirn versagt, gebt mir den Gnadenschuss!‹ Obwohl ich sah, wie sehr sie das erschreckte, habe ich denselben Satz ständig wiederholt. Ich erinnere mich nicht, dass mir je derart übel gewesen wäre, und landete kurzzeitig sogar im amerikanischen Militärkrankenhaus. Nachdem ich mich im kühlen England ein wenig erholt hatte, fuhren wir eines Tages zu einem amerikanischen Stützpunkt, um ein Luftrettungsteam bei einem Einsatz zu begleiten. Ausnahmsweise passierte an diesem Morgen gar nichts. Wir saßen in einer glutheißen Baracke, in der die Klimaanlage ausgefallen war, und drehten Däumchen. Dann kippte ich um, unter großem Gelächter, weil ich selbst nun den ersten Einsatz des Tages darstellte. Nachdem man mir drei Infusionsbeutel verabreicht hatte, flog man mich im Hubschrauber nach Bagdad zurück. Solche Infusionen kann ich unbedingt empfehlen; sie haben meine Erholungszeit damals erheblich verkürzt.« An jenem Tag in Basra legten Seb und ich uns abends draußen auf dem Betonboden schlafen, doch der war von der Sonne auf etwa 40 °C aufgewärmt worden, weshalb wir weiter schwitzten und kaum ein Auge zutaten. In dieser Woche lernten wir ein ganzes Spektrum an Hitzeschäden kennen: Hitzepickel samt einem Juckreiz, den nur eine – nicht verfügbare – Dusche und trockene Kleidung hätten lindern können, Krämpfe durch Salzmangel, Hitzeerschöpfung und Hitzschlag. Dehydration kann auch bei kaltem Wetter auftreten. Dann führen die trockene Luft und die Anstrengung, die der Körper aufwendet, um warm zu bleiben, dazu, dass man mehr trinken muss als sonst. Denken Sie daran, dass auch Durchfall, Fieber und Erbrechen (übrigens alles Symptome von Cholera) zu Dehydration führen können. Sportliche Betätigung ebenfalls. 191

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Extrem­ situationen überstehen/

Anzeichen für Dehydration • Schwindelgefühle • Exzessives

Schwitzen

• Verwirrtheit • Zunehmende • Schwacher

Lethargie

Puls

• Übelkeit • Bewusstlosigkeit

Alle diese Symptome können tödlich sein kann, wenn man nicht sofort etwas dagegen unternimmt.

Maßnahmen bei Dehydration Fast alle genannten Symptome kann man beseitigen, wenn man aus der Sonne geht und schluckweise Wasser trinkt, in dem Zucker und eine Prise Salz aufgelöst sind. Manche Leute sind wie Kamele und brauchen scheinbar nur sehr wenig Wasser, andere greifen alle fünf Minuten zur Wasserflasche. Wenn Sie für ein Team verantwortlich sind, sollten Sie darauf achten, wie viel und wie oft Ihre Mitarbeiter trinken. Sollte jemand das nicht ausreichend tun, ignorieren Sie seinen Protest und zwingen Sie ihn dazu. In gefährlichen Situationen müssen Sie überdies darauf achten, Ihren Wasservorrat bei jeder Gelegenheit aufzufüllen und oft davon zu trinken, weil Sie nicht wissen, wann sich die nächste Gelegenheit dazu bietet. Denken Sie dran – wenn ein Mitglied des Teams vor Dehydration kollabiert, bringt das womöglich alle in Gefahr. Achtung: Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, dass Alkohol in solchen Fällen ­alles nur noch schlimmer macht. Wenn Sie sich in einer heißen Gegend aufhalten und wissen, dass Sie in den nächsten Tagen der Sonne ausgesetzt sein werden, sollten Sie Alkohol unbedingt meiden. Eventuell sollten Sie das auch bei den anderen Mitgliedern Ihres Teams durchsetzen. Bei einer Party mitten in der Wüste gewisse Substanzen zu schlucken ist ebenfalls keine gute Idee. Die Einnahme von Ecstasy kann zu Dehydration führen.

/HITZSCHLAG Dieser Zustand und Dehydration gehen zwar oft Hand in Hand, aber Hitzschlag ist ­etwas anderes. Er tritt auf, wenn der »Thermostat« im Gehirn, der die Körpertemperatur regu­liert, außer Funktion gerät. 192

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20.07.11 17:31


/SONNENBRAND

Anzeichen für Hitzschlag • Kopfschmerzen • Schwindelgefühle • Schwitzen • Heiße,

lässt nach

rote Haut

• Beschleunigter, • Temperatur • Man

sehr starker Puls

steigt über die normalen 37 °C

kann rasch bewusstlos werden

Maßnahmen bei Hitzschlag • Bringen

Sie den Patienten in den Schatten und ziehen Sie ihn bis auf die Unter­

wäsche aus. • Legen

Sie Kopf und Schultern hoch.

• Wickeln

Sie ihn in ein feuchtes Laken oder feuchte Kleidung und übergießen Sie

ihn mit kühlem, aber nicht kaltem Wasser, bis seine Temperatur sich normalisiert hat. • Falls

diese Methode nicht funktioniert, müssen Sie den Patienten eventuell in kühles

Wasser legen und ihm behutsam Arme und Beine massieren, damit das Blut in die Körpermitte zurückströmt. • Flößen

Sie dem Patienten langsam kühles, aber nicht kaltes Wasser ein, wenn er

dazu bereit ist. • Sobald

sich die Temperatur des Patienten normalisiert hat, decken Sie ihn mit

trocke­nen Kleidungsstücken, einem Handtuch oder einem Laken zu und halten Sie ihn warm.

/SONNENBRAND Es ist möglich, Sonnenbrand zu vermeiden, wenn man mittags nicht in die Sonne geht, sich auch sonst möglichst im Schatten hält, sich mit entsprechender Kleidung schützt und, falls nötig, ein Sonnenschutzmittel aufträgt. In den extremsten Situationen, zum Beispiel in der Wüste und im Schnee, braucht man bis zu Faktor 50. Mit geringfügigem Sonnenbrand haben wir wohl alle schon einmal zu tun gehabt. Ein schwerer Sonnenbrand auf über 50 Prozent der Körperfläche kann jedoch sehr gefährlich sein, besonders für Kinder.

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20.07.11 17:31


Extrem­ situationen überstehen/

Maßnahmen bei Sonnenbrand • Bleiben

Sie im Schatten und ruhen Sie sich an einem kühlen Ort aus.

• Trinken

Sie viel kühles Wasser.

• Legen

Sie sich mit dem ganzen Körper in kühles Wasser, wann immer sich die

Möglichkeit dazu ergibt. • Falls

Blasen entstanden sind, diese nicht aufstechen, sondern, falls nötig, mit ­einem

Pflaster oder Verband versehen. Reibung durch Kleidung möglichst ver­hindern.

/IN GEBIRGIGEM TERRAIN ÜBERLEBEN In den Bergen gibt es meistens wenig Schutz, Nahrung und Wasser. Falls Sie nicht in Begleitung einer Person sind, die sich in dieser Gegend bestens auskennt, müssen Sie so rasch wie möglich ins Tal gelangen. Wenn Sie sich einen Unterschlupf bauen, meiden Sie im Winter steile Hänge oder Stellen, an denen Lawinengefahr droht. Am sichersten sind möglichst flache Hänge. Vor Lawinen schützen auch Bäume, weshalb man sich vor ihnen niederlassen kann. Wenn Sie zu einem schneebedeckten Hang kommen und meinen, dort könnte eine Lawine abgehen, stoßen Sie laute Rufe aus und klatschen Sie in die Hände, um festzustellen, was geschieht. 90 Prozent aller Personen, die durch Lawinen ums Leben kommen, haben diese selbst ausgelöst, indem Sie zu Fuß oder auf Skiern den betreffenden Hang gequert oder ein lautes Geräusch verursacht haben. Wenn Sie in einer Gruppe über eine große, verschneite Fläche gehen, sollten Sie sich aneinanderbinden, falls jemand in eine unsichtbare Spalte fällt. Werden Sie von einer Lawine erfasst, machen Sie Schwimmbewegungen, um oben zu bleiben – egal welche, bloß der Schmetterlingsschlag ist nicht geeignet. Und wenn Sie wissen, wo oben ist, richten Sie die Füße nach unten.

/IN ÜBERFLUTUNGS­ GEFÄHRDETEN GEBIETEN ÜBERLEBEN Wenn Sie am Meer sind, dürfen Sie nie unterschätzen, wie weit das Wasser bei Flut vordringen kann. Bei Vollmond ist der maximale Wasserstand oft wesentlich höher. Auf 194

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/IM DSCHUNGEL ÜBERLEBEN

einen Tsunami kann man sich nicht vorbereiten, aber man kann sich umsehen, bis auf welcher Höhe Häuser stehen, und nicht tiefer kampieren. Allerdings sind auch die Einheimischen nicht immer vorsichtig genug. Befinden Sie sich nach starkem Regen oder zur Zeit der Schneeschmelze in der Nähe eines Flusses oder Sees, müssen Sie sich ebenfalls erkundigen, wie hoch das Wasser steigen kann. Schlagen Sie Ihr Zelt nicht nur deshalb neben einem Fluss auf, weil es da so hübsch ist. Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn fluss­ aufwärts ein Damm geöffnet wird. Errichten Sie Ihr Lager also in gebührendem Abstand vom Wasser und marschieren Sie zum Ufer, wenn Sie welches zum Kochen und Trinken brauchen, statt unvermutet von einer Flutwelle erfasst zu werden. Und wenn Sie sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen plötzlich doch unter Wasser befinden und desorientiert sind? Dann können Sie ein wenig Luft ausstoßen und be­ obachten, wohin sich die Bläschen bewegen. Da lang geht es an die Oberfläche.

/IM DSCHUNGEL ÜBERLEBEN In tropischen Regionen wird man wahrscheinlich nicht verhungern oder verdursten, sobald man herausbekommen hat, was man essen und trinken kann. Hingegen gibt es vielfältige andere Gefahren – von den Insekten, Blutegeln und anderen widerwärtigen Biestern, die uns anzapfen wollen, bis hin zu der Tatsache, dass man sich leicht ver­ irren oder zumindest schwer die Orientierung finden kann, wenn man von dichter Vege­tation umgeben ist. Feuer machen ist im üppigen, feuchten Dschungel nicht ganz einfach. Sammeln Sie totes Holz und schälen Sie die feuchten äußeren Schichten ab. Dass Innere sollte sich dazu eignen, zu Zunder zerbröselt oder als Ganzes verfeuert zu werden. Marc Laban ist einer der Gründer von AsiaWorks, einer unabhängigen Produk­ tionsgesellschaft, die darauf spezialisiert ist, Journalistenteams in ungastliche Gebiete zu schicken. Nahe Kathmandu spielte ich mit ihm in herrlich warmem Regen gerade eine Runde Golf, als er einen Anruf von seiner Zentrale erhielt. Auf den Philippinen hatte ein Taifun Überflutungen und Schlammlawinen verursacht. Bevor wir am nächsten Tee abschlugen, hatte er bereits mehrere Teams zusammengestellt und Flugzeuge ins Katastrophengebiet gechartert. Ich war beeindruckt. Die Runde Golf hat er natürlich auch gewonnen. Große Teile Asiens sind von Dschungel in seinen mannigfachen Formen über­ zogen, und Marc hat sein Handwerk gelernt, indem er durch viele davon marschiert ist. Er sagt: »Was der eine für Dschungel hält, ist für den anderen nur ein überwucherter Gar195

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20.07.11 17:31


Extrem­ situationen überstehen/

ten. Als ich einmal im Haus eines Freundes auf den Seychellen zu Besuch war, sah ich in seinem üppigen Garten Ameisen in Feldmausgröße über tellergroße Blütenblätter wandern. Der Hausbesitzer fand das nicht weiter bemerkenswert. Jedenfalls gibt es viele unterschiedliche Arten von Dschungel, die jeweils ihre eigenen Herausforde­ rungen stellen. Selbst innerhalb eines bestimmten Typs – äquatorialer Regenwald, Sekundärdschungel, subtropischer Regenwald, Bergwald, Salzwasser-Marschland, Süßwassersumpf – verändert sich das Terrain von Kilometer zu Kilometer. Die beste Ausrüstung, um sich im Dschungel zurechtzufinden, sind die Kenntnisse und Rat­ schläge der einheimischen Bevölkerung.

Dschungeltaugliche Bekleidung Im Dschungel müssen Sie sich einhüllen, und zwar von Kopf bis Fuß. Im Idealfall tragen Sie Hut oder Mütze und darunter ein Kopftuch, das die Ohren bedeckt und in ­Ihrem langärmeligen Hemd steckt, das Sie an den Handgelenken zugeschnürt haben. Das Hemd steckt in einer strapazierfähigen Hose, deren Beine wiederum in Ihren ­Socken stecken. Bei Tag und Nacht müssen Sie ständig auf der Hut sein. Achten Sie penibel auf den Schutz vor Stechmücken, indem Sie nachts dafür sorgen, dass Ihr Moskitonetz keine Löcher hat, dicht abschließt und Sie nirgendwo berührt. Schließen Sie das Netz jedes Mal, wenn Sie das Bett verlassen. Sie müssen ein Netz aussuchen, das genau die richtige Form und die richtige Größe für Ihre Bedürfnisse hat. Im Dschungel brauchen Sie wahrscheinlich ein baldachinförmiges Netz, das über eine Hängematte oder ein Feldbett passt. Das Netz sollte kräftig genug sein, um eine wochenlange Nutzung zu überstehen, ohne zu reißen, und um auch größere Lebewesen davon abzuhalten, in Ihr warmes Bett zu kriechen. Nehmen Sie Nadel und Faden für mögliche Reparaturen mit. Ein beim Pinkeln entblößtes Hinterteil kann innerhalb kürzester Zeit mit Sand­ mücken übersät sein (das weiß ich, weil ich es selbst erlebt habe). Kommt man mit der falschen Pflanze oder Raupe in Kontakt, folgt eine heftige allergische Reaktion. Jederzeit besteht das Risiko, von irgendeinem giftigen Insekt gestochen zu werden, mit grässlichen Konsequenzen, darunter Malaria. Glücklicherweise kommen die meisten Schlangen mit ihren Zähnen nicht so leicht durch Kleidung hindurch. Dafür müssen Sie Beine und Füße jede Stunde nach Blutegeln absuchen. Nur zu diesem Zweck dürfen Sie die betreffenden Körperteile entblößen. Wenn Sie einen Egel finden, muss er mit Salz, Alkohol, einem Feuerzeug oder einem brennenden Stöckchen entfernt werden. Reißen Sie ihn nicht einfach ab, weil sonst eventuell die Kiefer oder der ganze Kopf stecken bleiben und eine Infektion verursachen. 196

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/IM DSCHUNGEL ÜBERLEBEN

MARC LABANS FAMOSE DSCHUNGEL­ TIPPS / Treten Sie in die Fußstapfen Ihres

tabletten, Paracetamol und ASS dabei.

Führers und verlassen Sie nie den

Por­tionsweise verpacktes Elektrolyt-

Dschungelpfad. In (früheren) Kriegs­

pulver hilft gegen Dehydration.

gebieten liegen überall Landminen

/ Schützen Sie Ihre Füße und tragen

­herum.

Sie bequeme Stiefel. Wenn Sie neue,

/ Informieren Sie sich über die Route

noch nicht eingelaufene Stiefel tragen,

und darüber, wie lange Sie voraus-

bekommen Sie womöglich Blasen und

sichtlich brauchen werden. Melden

können nicht mehr richtig gehen.

Sie sich dort, wo Sie übernachten

/ Je nach Jahreszeit brauchen Sie

­werden. Das hilft Ihnen bei der Vor­

­spezielle Blutegelstrümpfe, die bis zu

bereitung.

den Knien reichen. Sie bestehen aus

/ Nehmen Sie einen guten Dolmet-

schnell trocknendem Material, an dem

scher mit. Es gibt nichts Schlimmeres,

die Egel sich nicht festklammern kön-

als in einer problematischen Situation

nen.

zu stecken und nicht zu kapieren, was

/ Nehmen Sie eine Taschen- und eine

gerade vor sich geht.

Stirnlampe mit (zwei, falls eine kaputt

/ Nehmen Sie Ihren eigenen Proviant

geht). Außerdem ein Taschenmesser,

mit. Soldaten haben normalerweise

einen Kompass, ein GPS-Gerät und

­genau die Menge dabei, die sie brau-

­gegebenenfalls entsprechende Schutz-

chen, und sind nicht scharf darauf, sie

kleidung für die Regenzeit.

zu teilen. Ich war einmal mit einem

/ Selbst wenn Sie Nichtraucher sind:

Trupp unterwegs, bei dem einer der

Nehmen Sie Zigaretten zum Verteilen

Soldaten eine Katze im Rucksack

mit. Damit macht man sich sehr be-

­hatte. Die war fürs Abendessen vor­

liebt, besonders bei Soldaten und

gesehen. Wenn Sie also keine Katze

­Rebellenführern.

essen wollen, sollten Sie selbst etwas

/ Tragen Sie keinen Tarnanzug. Dass

mitbringen. Ich mache es mir einfach:

manche Journalisten meinen, sie

Müsliriegel, Dosenfutter und Trink­

müssten unbedingt Militärklamotten

wasser.

tragen, ist mir schleierhaft. Ein

/ Nehmen Sie eine kleine Notfallapo-

­Journalist ist kein Soldat und will im

theke mit wichtigen Medikamenten

Ernstfall sicher nicht für einen gehalten

mit. Ich habe immer Imodium, Kohle­

werden.

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Extrem­ situationen überstehen/

Gehen Sie in der Gruppe hintereinander durch den Dschungel, damit jeder sehen kann, wenn dem Vordermann eine Spinne in den Kragen fällt.

Meiden Sie alles, was beißt oder sticht • Kicken

Sie nicht achtlos Steine weg und passen Sie auf, wenn Sie Holz sammeln –

es könnte etwas darunter lauern. • Achten

Sie darauf, wohin Sie treten.

• Schütteln

Sie Schuhe und Kleidungsstücke aus, bevor Sie sie anziehen, selbst

wenn Sie sie gerade erst ausgezogen haben. • Stecken

Sie nicht die Hand in Ihren Rucksack, ohne nachzuschauen, ob inzwischen

etwas hineingekrochen ist.

Maßnahmen bei Bissen und Stichen Wenn Sie von einer Schlange, einem Skorpion oder einem anderen fiesen Biest ge­ bissen oder gestochen werden, gilt Folgendes: • Versuchen

Sie nicht, das Gift herauszusaugen. Waschen Sie die Wunde aus und

­legen Sie einen Druckverband an. Binden Sie den betroffenen Körperteil aber nicht ab. • Stellen

Sie den betroffenen Körperteil ruhig (siehe Seite 123) und sorgen Sie d ­ afür,

dass der Patient sich möglichst wenig bewegt. • Versuchen

Sie nicht, das Tier zu töten – merken Sie sich einfach, wie es aus­

gesehen hat und wie groß es war. • Verabreichen • Schaffen

Sie kein Morphin oder ASS gegen die Schmerzen, sondern Paracetamol.

Sie den Patienten rasch ins Krankenhaus. Ein solcher Biss oder Stich ist

ein medizinischer Notfall.

/VERHALTEN BEI NATUR­ KATASTROPHEN Es gibt allgemeine Gefahren, es gibt Kriege und es gibt gewaltige Katastrophen – Hurrikane, Erdbeben, Waldbrände, Überflutungen und Tsunamis. Vorbereiten kann man sich auf dergleichen nicht. Nach einer solchen Katastrophe steht die Welt, die uns vertraut ist, still. Die Natur hat über den Menschen gesiegt, und nun muss er sich auf die Natur einstellen, um zu überleben. 198

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/TRINKWASSER

In einer von Menschen verursachten Katastrophe wie einem Krieg sind normalerweise noch Wasser und Nahrung verfügbar, und die internationalen Gesetze behalten ihre Geltung. Gehen die Vorräte zur Neige, sollte man in der Lage sein, einen Ausweg zu finden. Nach Naturkatastrophen ist die Lage anders. Es gibt nur wenige Optionen, und man ist ausschließlich damit beschäftigt, die eigenen Grundbedürfnisse zu ­decken. Der Kampf um knappe Ressourcen wie Wasser, Nahrung, Obdach, Wärme und Licht führt zu Krawallen. Väter trampeln rücksichtslos über die Kinder anderer Väter, um Wasser für ihre eigenen Kinder zu ergattern. Ein Gerücht kann zu einer panik­ artigen Bewegung der Masse führen – entweder dahin, wo Trinkwasser verteilt wird, oder weg von einer angeblichen neuen Katastrophe. Wenn Sie nur so wenig Wasser und Proviant besitzen, dass es nur für Sie und Ihre Gefährten reicht, erzählen Sie niemandem sonst etwas davon. Schützen Sie sich vor Gefahren, sorgen Sie dafür, gesund zu bleiben, und behalten Sie, was Sie brauchen, um Ihre Arbeit zu tun. Erst dann können Sie sich daranmachen, anderen zu helfen. Sobald die eigentliche Katastrophe vorüber ist, sollten Sie zuallererst daran denken, mit den Personen in Kontakt zu treten, die wissen, wo Sie sind – mit Kollegen, Angehörigen und Freunden. Selbst wenn das Festnetz und das Internet außer Funktion sind, funktionieren die Mobilfunknetze über ihre Satellitenverbindungen. Melden Sie sich bei Ihrer Botschaft oder bei irgendjemandem zu Hause. Schaffen Sie sich eine Kommunikationsmöglichkeit und nutzen Sie diese. Wenn die üblichen Regeln außer Kraft sind, können Sie sich nur auf sich selbst verlassen. Bleiben Sie so unabhängig wie irgend möglich. Packen Sie Folgendes in Ihren Rucksack und nehmen Sie es immer mit: Zelt, Schlafsack, Erste-Hilfe-Tasche, mehrere Konservendosen, Taschenlampe, Mobiltelefon, Wasserreinigungstabletten, wasserlösliche Salztabletten. Besonders wichtig ist das nach einem Erdbeben, wenn die gesamte Infrastruktur zusammengebrochen ist.

/TRINKWASSER Man kann drei Wochen ohne Nahrung überleben, aber nur drei Tage ohne Wasser. In Extremsituationen muss man in der Lage sein, sich welches zu beschaffen. Besonders dringlich ist das bei sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen, denn dann braucht der Körper noch mehr Flüssigkeit als sonst. Blutungen, sonstige Verletzungen und Stress können zu Dehydration führen. Auf jeden Fall muss man so bald wie möglich eine Quelle für Trinkwasser finden.

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Extrem­ situationen überstehen/

METHODEN DER WASSERREINIGUNG Filtern: Das ist der erste Schritt. Neh-

lassen Sie dieses 30 Minuten stehen.

men Sie ein engmaschiges Kleidungs-

Bei richtiger Dosierung sollte Chlor­

stück, zum Beispiel ein T-Shirt aus

geruch wahrnehmbar sein. Falls nicht,

Baumwolle, um damit so viel Dreck

nehmen Sie mehr Chlor. Auch wenn

­herauszufiltern wie möglich. Wenn Sie

das Wasser kalt ist, braucht man ein

sich einen richtigen Filter besorgt ha-

paar Tropfen mehr und muss es drei

ben, schauen Sie in der Beschreibung

Stunden stehen lassen.

nach, wie oft er verwendet werden kann. Viele sind nur für den einmaligen

Jod: Verwenden Sie kein Jod, wenn

Gebrauch gedacht.

Sie schwanger sind oder Schilddrüsenprobleme haben! Überprüfen Sie das

Abkochen: Dies ist die beste Reini-

Verfallsdatum; Tabletten halten länger

gungsmethode, erfordert jedoch eine

als Lösungen. Nehmen Sie 2 Tropfen

Hitzequelle und ein Metallgefäß. Wenn

2-prozentiges Jod pro Liter Wasser

Sie beides haben, kochen Sie das

oder die entsprechende Tabletten­

Wasser fünf Minuten lang, am besten

menge. Bei 10- oder 5-prozentigem

zugedeckt. Lassen Sie den Deckel

Jod müssen Sie mehr, nicht weniger

drauf, während das Wasser so weit

verwenden, aber nie mehr als 16 Trop-

­abkühlt, dass Sie es trinken können.

fen pro Liter. Schütteln und vor dem Trinken 30 Minuten stehen lassen. Ist

Chlorbleichmittel: Diese dürften

das Wasser kalt oder trübe, muss es

leicht erhältlich sein und können ver-

länger stehen (etwa eine Stunde).

wendet werden, wenn Abkochen nicht

Wenn das Wasser sehr unrein aus-

möglich ist. Nehmen Sie möglichst

sieht, nehmen Sie einfach mehr Jod.

­keine sehr alte Flasche oder eine, die aussieht, als hätte man sie oft ver­

Falls Ihnen das Wasser nach einer Be-

wendet, weil das Mittel dadurch weni-

handlung immer noch verdächtig vor-

ger wirksam wird. Verwenden Sie 2 bis

kommt, reinigen Sie es möglichst mit

4 Tropfen Bleiche pro Liter Wasser und

einer anderen Methode noch einmal.

Wassermelonen sind eine ausgezeichnete Quelle von ­sauberem Trinkwasser. Außerdem enthalten sie Mineralien und Zucker, die zur Regeneration beitragen. Peter Stevens, freier Journalist 200

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/Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor

Unersetzlich ist Wasser auch, um die Grundhygiene aufrechtzuerhalten. Nick Toksvig erinnert sich: »Als wir in Kuwait eintrafen, nachdem die Koalitionstruppen die Iraker vertrieben hatten, stellten wir fest, dass es kein fließend Wasser für die Toiletten gab. Da haben wir es aus dem Swimmingpool unseres Hotels geholt.« Sauberkeit ist außerordentlich wichtig, vor allem, wenn man von Tod, zerstörten Wasserleitungen und überfluteten Landstrichen umgeben ist. Nach Naturkatastrophen breiten sich Bakterien besonders üppig aus, weshalb man auch besonders penibel auf Hygiene achten muss.

/BEREITEN SIE SICH AUF DAS SCHLIMMSTE VOR UND SEIEN SIE VORSICHTIG /Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor Nachbeben, neue Dammbrüche, ein zurückkehrender Hurrikan – so etwas kann leicht vorkommen. Halten Sie sich deshalb nach Erdbeben von einsturzgefährdeten Ge­ bäuden fern. Schlagen Sie Ihr Zelt auf einer Anhöhe auf, wenn Überflutungen drohen. Und wenn ein Hurrikan oder Taifun im Anzug ist, müssen Sie dort Schutz suchen, wo die örtlichen Behörden es raten. Der Keller ist nicht immer gut geeignet, da er überflutet werden kann. Auch das Gebäude darüber kann zusammenbrechen.

Ein wichtiger Tipp: Verbale Auseinandersetzungen mit Voodoo-Priestern sind tunlichst zu vermeiden. Mary O’Shea

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