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Fuck oFf Rhododendron 6
Im Kopf von Veronica Ferres 24
Too old to die young 28
Am Anfang war die Erdbeere 42
zwei frauen 60
Flink TROTZ Gegenwind 70
Groß, größer, oh là là 80
Samstagnacht bei Burger King 86
#diebestengeschichtenschreibtdasleben #strymag
Blütenlese No. 1 | Oktober 2018
Mut | Demut
Liebe
(Aber) Glaube
Rock’n’Roll Zusammenhalt
Kraft Freiheit
Motivation
Genuss Sicherheit
Wie hört sich STRY an? Wir haben Dir die passende Musik auf YouTube und Spotify in Playlists zusammengestellt (kopiere einfach die URLs in Deinen Browser). Viel Spaß beim Hören.
https://www.youtube.com/playlist?list=PLRth5XoWTf106gqqG8OzajoXC8DJJUHRu
https://open.spotify.com/playlist/3MKzh66xOoOKI3vlqAAGA7
Cover Photo: Dieter Sieg
Model: Sara Rebekka Scholl siegsieg.de | bluestudios.de
Digitale Magazine gibt es viele. Aber das hier ist STRY.
Und STRY ist einzigartig. Ein Experiment.
Kollaboration, Collage, Kokolores. Anders, ernst und auch nicht.
STRY ist aus guten Gründen unverwechselbar: Bernd Rother, Dieter Sieg, André Moch, David Schwarzfeld.
4 Perspektiven für AUSGABE 1.
Vier Perspektiven auf das Thema unserer Zeit: WERTE.
Was ist von wert?
Sind Werte ewig?
Werden Werte weniger?
Große Fragen, keine Antworten, keine großen Reden, nein, nicht hier.
Dafür Anregung.
STRYs zum Selberdenken, Weitersagen, Weiterleiten.
Auch zum Blödfinden, zum Glück. STRYs, die alles sind, nur nicht egal.
Wertvoll eben.
Und das Beste:
Veronica Ferres ist auch dabei. Fast.
Also:
Nichts zu danken. Gern geschehen.
Endlich STRY.
LOS!
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4 Fuck oFf Rhododendron Schottlandwandern mit Dieter Sieg 6 Too old to die young Bernd Rother loves Rock’n’Roll 28 Im Kopf von Veronica Ferres Gedankenspiele von André Moch 24 Am Anfang war die Erdbeere Dieter Sieg im Wendenborsteler Hofladen 42 STRY Was ist STRY? 2 The HAGSTONE Starke Steine von Bernd Rother 26 TALENT Bernd Rother glaubt an die innere Kraft 58
5 FLINK trotz Gegenwind Cyclist David Schwarzfeld 70 Groß, größer, oh là là Dieter Sieg in der Insel-Küche 80 zwei Frauen André Moch über Lady Gaga & Grace Jones 60 Samstagnacht bei Burger King André Moch sucht die Gefahr 86 IMPRESSUM 94
Fuck oFf Rhododendron
Mut & Demut
von Dieter Sieg
Schottlandreisender und Fotograf
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Schottland Fuck off Rhododendron
Ein paar Tage frei, ein paar Tage raus. Ich lande in Glasgow und fahre die N500 nach Torridon. Im Blick das Meer, die Flüsse, die Seen, die Highlands, den Himmel. Und Rhododendren. Rhododendren überall.
Ich erreiche Torridon Estate, bin zu Gast bei Felix und Sarah. Bei Abenteurern, die weg sind aus Deutschland, bin Gast bei Menschen mit Mut, Anmut, Demut.
2015 haben sie das Estate gekauft. 15 Hektar Land, ein Landsitz, drei kleine Cottages und das Ganze zusammen in einer waldartigen Parkanlage. Alles von Grund auf zu sanieren und zu erhalten – eine Lebensaufgabe, die Arbeit hat gerade erst begonnen und geht nicht aus.
Felix und Sarah glauben an Tradition: tradition with heart and vision. Sie setzen alles daran, den ursprünglichen Look ihres Estates zu erhalten. Sie sanieren, förstern und gärtnern behutsam.
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Torridon Estate
Der Rhododendron ponticum, wie er mit vollem Namen heißt, wurde inzwischen zum „Staatsfeind No. 1“ erklärt.
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Loch Torridon
Das Ende. Oder zumindest sein Anfang...
Ich frage Felix aus. Warum Schottland, warum Torridon und wo zum Teufel kommen die ganzen Rhododendren her?
„Aus Spanien, 1763.“ Damals waren sie das Nonplusultra für die Gestaltung weitläufiger Parkanlagen, der Adel hat die Dinger geliebt, sagt Felix. „Dann wuchs das Zeug wie Unkraut, wucherte überall und tut es bis heute. Heimische Pflanzen werden erstickt.“
Schottischer Boden, saurer Boden – perfekt für Rhododendren. Schöne Blüten denke ich, klar, aber auch ganz schön scheiße. „Andererseits“, sagt Felix, „beim rhody bashing gehts dann richtig ab.“ Weil die schottischen Förster die Situation kaum noch in den Griff kriegen, packen die Locals ein Mal im Jahr mit an und schreddern die Rhododendren kurz und klein. Umweltschutz mit Astschere, Hacke, Spaten.
Dann ein kräftiger Schluck aus der Pulle, Musik und Haggis mit Neeps und Tatties – Steckrüben und Kartoffeln. „Die geschredderten Rhododendren wären eigentlich perfekt für eine Kompostheizung, so einen kleinen Biomeiler könnten wir hier schnell realisieren und die Verrottungswärme effizient nutzen.“ Felix tüftelt weiter an einer Lösung, gibt sich nicht geschlagen. Ja, denke ich, so Leute braucht die Welt.
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LASS’ DIR WAS EINFALLEN. DU BIST SCHON GROß.
Und fällt dir nichts ein, geh’ erstmal um den Block. Um den Block gehen, das heißt hier in Torridon: Wandern, klettern und sich ablegen beim leuchtgelben Ginster am See; das heißt losziehen, lernen und den Schatten seltener Kiefern genießen; das heißt, in den Himmel gucken, in die Wolken fallen und alles abwerfen, um neu zu denken, neu zu sehen.
Ich nehme meinen Rucksack, verschwinde in der Landschaft, breche auf in die Torridon Hills zum Liathach dem „Grauen“, 1055 Meter hoch und als Munro ausgewiesen. Wolkenschatten wischen über Gipfel und Senken, Konturen changieren, die Sonne hat Saft, ich will weiter und will es nicht, will im nächsten Leben ein Munro sein.
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Munro werden die Berge in Schottland genannt, die höher als 3000 ft (914,4 m) sind und deren Berggipfel eine „Eigenständigkeit“ aufweisen.
Genauer definiert ist diese Eigenständigkeit jedoch nicht.
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www.torridonestate.com
All Inclusive macht die Natur krank.
Der National Trust of Scotland bewahrt die Kultur- und Naturdenkmäler der Schotten, die Kathedralen und Burgen, die Munros und die Küsten und nicht zuletzt historische Parkanlagen wie Inverewe Garden, einer der nördlichsten botanischen Gärten weltweit. Ich staune über Eukalyptusbäume, den Blumengarten, exotische Palmen und riesige hymalaische Rhododendren.
Kein Unkraut diesmal, diesmal perfekt gepflegte Pracht. Der Golfstrom trägt dazu bei, liegt
Inverewe Garden doch auf einer Höhe mit der kanadischen Hudson Bay, wo sich Eisbär und Polarfuchs an kargen Ufern gute Nacht sagen.
Zurück nach Torridon geht es vorbei an rauen Felsen, von Moos und Flechten überwachsen.
Ich treffe Felix und Sarah, sie grüßen und laden mich ein, wir haben eine gute Zeit, sitzen am Kamin, kommen ins Plaudern, ich erzähle meinen Tag, Felix nickt, er schaut ins Feuer, wirkt nachdenklich, wird ernst.
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„Reisen weitet den Blick, ist aber eine Frage der Einstellung.“ Felix glaubt an sanften Tourismus, an ein einfaches Leben. „All inclusive macht mich krank, all inclusive macht die Natur krank. Mit viel Ressourcen-Aufwand fixe Reisepakete schnüren, die Leute in Bussen und Flugzeugen durch die Gegend karren und Personal von links nach rechts scheuchen – das führt ins Nichts, das passt hier nicht her, das wäre das Ende.“ Er schildert den Zusammenhalt in Torridon, spricht über die Nachbarschaft im Distrikt, enge Freundschaften und dass es nur miteinander geht. Miteinander und mit der Natur.
Wir trinken darauf, dass Klimaschutz im Kleinen beginnt, trinken auf den Regen, den Wind und den Schnee, darauf dass Schottland bitte niemals zur sonnigen Riviera wird und dass Italien die Zitronenblüte gerne behalten kann.
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Torridon House Entrance
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Story: Dieter Sieg
PHOTOgraphy: Dieter Sieg
siegsieg.de | bluestudios.de
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Inverewe Gardens
Blick nach Torridon
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Blick auf Beinn Damh Ridge von Torridon Estate
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IM KOPF VON VERONICA FERRES...
Carsten holt mir die Sterne vom Himmel.
So wie ich erlebt ihn kein anderer Mensch auf der Welt.
Sehen wir uns nicht, geht es mir schlecht.
Sehen wir uns, weinen wir viel.
Weil die Menschen sind grausam.
Alle zerreißen sich das Maul über ihn.
Dieser ganze Neid ist unerträglich.
Seit Jahren brauchen wir Leibwächter.
Carsten sagt, dass ich keine Angst haben muss. Aber ich habe Angst.
Wir könnten auch ohne Geld glücklich sein, könnten auf einer einsamen Insel leben.
Ich brauche keinen roten Teppich!
Aber Carsten will davon nichts hören, will sich nicht verstecken, will leben, will einfach nur leben.
Doch sie lassen ihn nicht leben.
Er hat Bücher geschrieben, aber niemand liest sie.
Er hat eine Millionärsformel erfunden, keiner will sie hören.
Er hat den Bart rasiert und wieder haben sie nur gelacht.
Mein Gott, dieser ganze Hass.
Manchmal frage ich mich, wer kann denn noch lieben außer mir? Wer denn?
Bettina Wulff fällt mir ein.
Wir sind starke Frauen.
Ich liebe uns.
Story: André Moch
Illustration: David Schwarzfeld andremoch.de
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Photography: Bernd Rother
rother.design | rotherdesign.com
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Story: Bernd Rother
HAG THESTONE
Ein Hagstone (oder Hexenstein, Hühnergott, Feenstein...) ist ein Stein mit einem natürlich entstandenen Loch darin. Ihm werden magische Eigenschaften zugerechnet – so soll ein aufgehängter oder als Amulett getragener Lochstein Schutz bieten vor Unglück, Krankheiten oder dem »bösen Blick«. Wenn Du durch das Loch in einem Hagstone schaust, kannst Du von dieser Welt direkt in die Welt der Elfen blicken. Guck‘ doch!
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Too old to die young
Rock‘n‘Roll
von Bernd Rother
Grafik-Designer und Musikenthusiast
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Don’t forget to Rock’n’Roll Too Old to die young
In der Lokalzeitung wurde die Coverband
The Unchained portraitiert und der kommende Live-Auftritt beim Andreasfest in Springe angekündigt. Im Artikel war dann zu lesen: „Sie sind nicht mehr ganz die Jüngsten, aber auf der Bühne zeigen sie Ihr ganzes Können...“ Oder so ähnlich.
So, als ob sich Alter und Können ausschließen. Oder sich im Umkehrschluss Können an Jugend bindet. Wohlgemerkt – es geht hier um Musik. Musikalisches Können.
Meinen Kumpel Andy kenne ich schon seit der Bundeswehrzeit. Anfang der 80er, es kam gerade die Neue Deutsche Welle auf und Michael Jacksons Thriller-Album wurde in den Charts hoch und runter gespielt.
Besser fanden wir allerdings Eric Clapton. Und die Eagles. Jackson Browne und Stevie Winwood. Steely Dan, Fleetwood Mac, Dire Straits, Toto. Manchmal auch Dionne Warwick. Die gehört aber zu einer anderen Geschichte.
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The Unchained on Stage
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Andy wartet, bis Marc sein Keyboard-Solo beendet. Manfred feuert an...
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Achim ist die Rhythmusmaschine der Band. Und immer so schwer zu fotografieren...
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AUS DER UNCHAINEDSETLIST: Time Is Tight (Booker T. & the MG’s)
Power Of Love (Huey Lewis) House Of The Rising Sun (The Animals)
Have You Ever Seen The Rain (John Fogerty)
Sweet Home Chicago (Blues Brothers) Unchain
My Heart (Joe Cocker)
Dieter Is A Rolling Stone (The Dudettes) · Proud Mary (CCR) · Dont Stop (Fleetwood Mac) · You Know I’m No Good (Amy Winehouse) · Ain’t No Sunshine (Bill Withers)
Thinking Out Loud (Ed Sheeran) · Long Train
Running (Doobie Brothers)
Still Got The Blues (Gary Moore) · Bad Case Of Lovin You (Robert Palmer) Bernie Rules The World (Bernhart & the Biancas)
Lilly Was Here (Candy Dulfer, Dave Stewart)
I Will Remember (Toto)
50 Ways To Leave Your Lover (Paul Simon) · Get Back (Beatles) · Let It Be (Beatles) · You’re So Vain (Carly Simon) · Ride Like The Wind (Christopher Cross) · Don’t Get Me Wrong (The Pretenders) How Long (Ace feat. Paul Carrack) · Another Cup Of Coffee (Mike and the Mechanics) ...
www.the-unchained.de
www.facebook.de/theunchainedHannover
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Alle gucken immer auf den Gitarristen...
Jedenfalls war unsere Musik meistens rockig und immer gitarrenbetont. Bestimmt lag es daran, dass Andy selbst Gitarrist bei der Freeway Band war, einer Rockformation, die bereits Ende der 1970er Jahre über Hannovers Grenzen bekannt war und die regelmäßig im legendären Leine Domizil abrockten. Und ich wäre beinahe ein ebenso virtuoser Musiker geworden, wenn nicht das heimische Gartentor meine junge Liebe zum Gitarrenspiel so jäh unterbrochen hätte. Diese Geschichte, an deren Ende die Zerstörung einer wunderbaren Schlaggitarre steht, erzähle ich ein anderes Mal.
Andy und ich mochten es also lieber etwas rockiger. Und dann verloren wir uns aus den Augen.
Sommer 2005 trafen wir uns wieder. Es ließ sich kaum vermeiden, denn wir wohnten mit unseren Familien nur etwa 6 km voneinander entfernt im südlichen Hannover, waren uns all die Jahre nie über den Weg gelaufen und Andy hatte dann irgendwie meine Büroadresse recherchiert.
Schnell hatten wir gut 20 Jahre aufgearbeitet und stellten fest – Musik verbindet uns nach wie vor. Der gemeinsame Anspruch an Qualität, Emotion, Hörerlebnis und gut gemachter Livemusik führte uns auf Konzerte von Albert Lee, Wishbone Ash (ja - die touren noch!) oder auch Ray Wilson. Und immer, wenn es die Zeit erlaubt, gucken wir, was so in der Bluesgarage in Isernhagen oder in anderen Clubs ansteht. Die Musik ist wieder da!
Vor etwa vier Jahren begann Andy sogar wieder selbst zu spielen. In Hemmingen gab es einen Band-Workshop (für Männer Ü50, die Spaß haben, mit anderen Musik zu machen), bei dem sich Andy, Achim, Manfred und Marc trafen und schnell beschlossen, gemeinsam weiterzumachen.
Dabei fühlten sie sich wohl irgendwie entfesselt und nannten ihre Band »The Unchained«. Ein Jahr später ergänzte Silke als Sängerin die Band, und so kam die heutige Besetzung zustande.
Als Fastmusiker, Grafikdesigner und natürlich auch als Andys Freund begleite ich gerne die Entwicklung der Band und freue mich über ihre Fortschritte. Die Setlist der Fünf hat sich fantastisch entwickelt – ein Konzert über 2-3 Stunden ist damit möglich. Und eine Zugabe auch. Und es macht richtig Spaß, sie zu sehen und ihnen zuzuhören, egal ob das auf einer Privatparty ist, beim Treffen der Last Legends Eime oder nun schon zum zweiten Mal live auf dem Andreasfest.
Ich glaube ja, dass die mit dem Alter immer besser werden.
Story: Bernd Rother
Photography: Bernd Rother
rother.design | rotherdesign.com
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Achim Beyer (Drums, Percussion)
Silke Mainwaring (Vocals)
Andreas Weber (Guitar, Vocals)
Marc Wettering (Keyboards)
Manfred Otten (Bass)
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STRY für uns…
„Die besten Geschichten erzählt das Leben. Diese Geschichten will ich finden. Will wissen, warum etwas so ist, wie es ist. Will Menschen treffen und die Welt verstehen: Das ist STRY für mich.“
Bernd Rother, Grafik-Designer rother.design | rotherdesign.com
„Über all das schreiben, was mich gerade besonders interessiert. Auch mal einen Weg gehen, bei dem ich nicht weiß, ob und wie er funktioniert. Scheitern, scheitern, wieder scheitern, besser scheitern: Das ist STRY für mich.“
André Moch, Texter andremoch.de
40 Machallesandersalsalleanderen.
„Was ist STRY für mich?
STRY ist eine Aufgabe.
Aber was ist eine Aufgabe?
Etwas, das getan werden muss?
Etwas, das neue Chancen eröffnet?
Wie man eine Aufgabe angeht, variiert. Das ist STRY für mich.“
„Meine Bilder machen, die Welt retten, nichts weniger: Meinen Geschichten will ich mich ganz widmen, will alles versuchen und ganz neu denken. Wer brennt, ist nie fertig. Gefühl, Erfüllung, Weite, Wunder: Das ist STRY für mich.“
Dieter Sieg, Fotograf siegsieg.de | bluestudios.de
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David Schwarzfeld, Designstudent davidschwarzfeld.de
„Talent, Das ist Glaube an sich selbst, an die eigene Kraft.“
Maxim Gorki
eigentlich Alexei
russischer
Maximowitsch Peschkow
Schriftsteller
(1868 –1936)
Seit Jahren machen wir in Dänemark Urlaub. Nordseeseite, Hennestrand, nördlich von Blavand, südlich vom Rinkøbing-Fjord.
Irgendwann begannen unsere Kinder damit, am Strand flache Steine zu sammeln und sie zu bemalen – Sonne, Fische, Dänemarkflagge, Boote, Leuchttürme, manchmal auch Monster und Ritter – und sie dann vor unserem Haus an der Straße unserer Ferienhaussiedlung zu verkaufen. Auf einem Stuhl oder Hocker wurde die kleine
Steinesammlung in einer Kiste präsentiert, kleine Steine 2 Kronen, große 5 und ganz besondere 10. Am Abend lagen dann oft einige Münzen auf einer Untertasse im Verkaufsstand und ein paar Steine waren weg. Und die Kinder stolz.
Am nächsten Tag haben sie sich dann immer im Ishuset ein Eis vom selbstverdienten Geld gekauft. Selbst verdient, selbst was von gekauft!
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Heute sind unsere Jungs 17 und 20 Jahre alt. Sie sammeln keine Steine mehr und bemalen sie auch nicht. Und wie es aussieht, wollen sie auch nicht mehr mit uns in Urlaub verreisen. Sie machen jetzt ihre eigenen Sachen.
Vielleicht nehmen sie uns ja später mal mit, wenn sie eigene Kinder haben und nach Dänemark wollen. Oder woanders hin, wo man Steine sammeln und bemalen kann. Dann kaufe ich wieder welche am Straßenrand.
Story: Bernd Rother
Photography: Bernd Rother
rother.design | rotherdesign.com
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Samstagnacht bei Burger King
Sicherheit
von André Moch Nachtschwärmer & Texter
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6 Stunden am langweiligsten Ort der Welt
Samstagnacht bei Burger King
Prolog:
Hamburg, Reeperbahn, das Jahr 2006. Samstagnacht, Zeit für Burger. Der Laden ist voll, 30 Minuten anstehen, der Müll liegt kniehoch, alles klebt. Kein Platz mehr frei, wir schlingen im Stehen. Jemand beatboxt. Leute klettern auf Tische, elektrische Luft.
Schluckt, schluckt, sagt ein Freund, zum Kauen ist keine Zeit. Sparticket, Zugbindung. Dann liegt er am Boden. Tabletts fliegen. Laute Schreie. Fäuste. Reizgas. Die Fresse brennt. Sprung hinter den Kassentresen. Wir scheißen uns in die Hose, haben Hauen nie gelernt, haben Bürojobs.
Reeperbahn: Wir wollten doch nur mal gucken und plötzlich der ganze Laden kaputt und Gesichter kaputt und wir aber am Ende glücklich raus. Es war das Chaos, aber es war was.
Appetite for destruction. Lust for life. Wir waren dabei und wir waren am Leben.
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Hannover, 2018: Mitternacht, Samstagnacht. Vollmond. Sodbrennen. Unten auf der Straße grölen Leute. Ich wasche meine Haare, suche meine Hose, gehe runter, werde angepöbelt.
Ich latsche zur Stadtbahn. Rolltreppe kaputt, jemand pisst in den Fahrstuhl, ich nehme das Treppenhaus. Es ist eng und dunkel. Ich hätte ein Taxi nehmen sollen. Stelle mir vor, wie mich
jemand absticht. Stelle mir vor, wie ich stürze. Stelle mir vor, wie mein Kopf zerplatzt. Stelle mich an den Bahnsteig.
Warte auf die Bahn. Ich warte mit Anton und Lena. Anton und Lena sind jung und schön und schlank und ihre Haare glänzen und sie sind sehr betrunken und sie schreien sich gegenseitig an und Lena will den Anton nicht mehr. Es ist aus, sagt Lena, und Anton schluchzt und weint und es bricht ihm das Herz und mir.
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Als die Bahn kommt, sind sie weg. Ich steige ein, zwei alte Frauen starren mich an, ich starre zurück, gucke genau: Es sind junge Männer, mager, keine Zähne. Einer hat sich einen verlumpten Teppich um die Schultern geschlagen, der andere trägt sein Resthaar wie ein keckes Hütchen. Crystal Meth ist keine Lösung.
Hauptbahnhof, ich steige aus, stehe in Kotze und Scherben. Eine Polizistin kniet über einer jungen Frau, Leute kommen vorbei, machen Fotos oder wanken mit letzter Kraft zum Aufgang und weiter zur Back-Factory und sie stöhnen heiser und sie tragen Trikots von Hannover 96 und dann stolpert jemand und ein Bein fällt ihm ab.
Ich stelle mich vor den Burger King, gucke Leute an. Es ist 1 Uhr. Ich gehe eine Runde, alle tippen ins Smartphone, ich gehe noch eine Runde, alle Displays gesplittert, ich gehe noch eine Runde, Instagram ist das neue Facebook. Instagram gehört Facebook. Zuckerberg ist schon clever, aber er wohnt verdammt weit weg von hier.
Vor dem Burger King Eingang steht Burger King Security. Im Burger King putzen Burger King Putzkräfte. Ein Burger King Sozialarbeiter weist Tische zu, räumt Müll weg, bringt Servietten, weckt Leute auf. Freundinnen fummeln sich gegenseitig Gurke aus dem Haar, jemand hat ihnen Rosen gekauft, der Burger King Sozialarbeiter zeigt den Waschraum, bewacht die Blumen, Adel verpflichtet. Ich hole mir Kaffee, ich kriege einen großen Tisch. Alle reden von Achtsamkeit. Hier ist sie wirklich geworden. In der ganzen Stadt Elend, ich sitze im Spa. Die Putztruppe wischt den kompletten Laden, ich nehme die Füße hoch.
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2 Uhr. Im Burger King läuft Ed Sheeran, manchmal Joris. Drehen Halbstarke ihren BluetoothLautsprecher auf, kommt einer von der Burger King Security. Labern Halbstarke laut los: Burger King Security. Nehmen die Halbstarken für den Wischmopp die Füße nicht hoch: Burger King Security.
3 Uhr. Sodbrennen. Ich beobachte vier Typen. Geht schief. Sie winken, setzen sich zu mir. Es sind die langweiligsten Menschen der Welt, sie fragen die langweiligsten Fragen der Welt. Sie kommen aus Bremen, sie finden Hannover schön, sie finden Burger King lecker. Der ganze Laden wird gewischt, wir müssen die Füße hochnehmen. Ich erzähle von 2006, einer wird nervös, will sofort los. Glück gehabt.
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4 Uhr. Anton und Lena. Sie holen sich Shakes, sie setzen sich, sie küssen. Love hurts. Aber jetzt nicht mehr. Burger King. Der ganze Laden wird gewischt, sie nehmen die Füße hoch.
5 Uhr, jetzt ganz anderes Publikum. Traurige Männer mit kleinen Rollkoffern, frisch verlassen. Eine Reisegruppe Ü70, die Damen exzellent frisiert. Hier fliegt heute kein Tablett, hier kotzt heute keiner mehr. Burger King. Der ganze Laden wird gewischt.
6 Uhr. Ich stehe auf, gehe raus, drehe eine Runde. Partyvolk macht Selfies mit Polizisten. Burger King. Drinnen wischt jemand.
7 Uhr. Hole frische Brötchen vom Bäcker. Alles ein Witz. Gehe nochmal zurück. Die Security macht Feierabend. Fühle mich alt, stelle mich vor den Eingang.
Natürlich wird gewischt, ich mache ein Foto. Kein Sodbrennen mehr. Der Burger King Sozialarbeiter nickt mir zu, lächelt, zeigt beide Daumen hoch.
So sehen Sieger aus.
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Story: André Moch
Photography: André Moch
www.andremoch.de
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IMPRESSUM
STRY ist ein Gemeinschaftsprojekt von André Moch, Bernd Rother, Dieter Sieg und David Schwarzfeld. STRY erscheint als digitales Magazin unregelmäßig 2-3x/Jahr.
STRY beinhaltet keine Werbung und ist nicht kommerziell. Die Gedanken sind frei. Das Design, alle Artikel und die darin enthaltene Bilder und Illustrationen sind unser geistiges Eigentum und urheberrechtlich geschützt. Für Nachdruck oder auch auszugsweise Veröffentlichung ist das schriftliche Einverständnis der Autoren einzuholen.
Kontakt: STRY c/o Bluestudios GmbH Rehhagen 14 30165 Hannover
E-Mail: verlagstry@gmail.com
André Moch | Textbüro Moch mail@andremoch.de
Bernd Rother | ROTHERDESIGN bernd@rother.design
Dieter Sieg | Blue Studios GmbH sieg@bluestudios.de
David Schwarzfeld mail@davidschwarzfeld.de
Veröffentlichung im Oktober 2018
© Moch, Rother, Sieg, Schwarzfeld 2018