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Burgstall startet Energiegemeinschafts-Projekt
-Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Das gilt seit jeher und in der derzeitigen Energiekrise umso mehr. Ein Grund, weshalb sich die Gemeindevertreter von Burgstall dazu entschieden haben, eigene Wege zu gehen. Deshalb haben sie am 4. Oktober vergangenen Jahres Südtirols erste Energiegemeinschaft gegründet, als Pilotprojekt gemeinsam mit dem Raiffeisenverband, Alperia und dem Technologieunternehmen Regalgrid Europe.
von Philipp Genetti
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Die BAZ sprach mit Burgstalls
Gemeindereferenten Hansjörg
Brugger, dem Alperia-Projektleiter Alessandro Costa und der Koordinatorin Barbara Passarella vom Raiffeisenverband:
Herr Brugger, Burgstall hat die erste Energiegemeinschaft Südtirols gegründet. Wie kam es dazu?
Hansjörg Brugger: Nachdem die Energiekosten massiv angestiegen sind, haben wir uns als Gemeindeverwaltung darüber Gedanken gemacht, wie wir auf Gemeindeebene Energie einsparen und ob es eine Möglichkeit geben könnte, selbst Energie herzustellen. Es wurden mehrere Optionen in Betracht gezogen und geprüft. Beim Genossenschaftsmodell ziehen alle einen Vorteil daraus. Nach intensiven Gesprächen mit Vertretern von Alperia und dem Raiffeisenverband starteten wir dieses Pilotprojekt.
Wie wird das Projekt in der Gemeinde angenommen?
Laut aktuellem Stand haben sich inzwischen ca. 100 Haushalte bzw. Betriebe bei der Energiegenossen- schaft registriert und wollen mitmachen. Der gesamte Gemeinderat steht einstimmig hinter diesem Projekt.
Welche erneuerbaren bzw. regenerativen Energien sind in Burgstall theoretisch umsetzbar?
Theoretisch möglich wären sowohl Geothermie, Windkraft, Sonnenenergie als auch Wasser- kraft (z. B. mittels Mikroturbinen in der Etsch). Realistisch umsetzbar sind in nächster Zukunft allerdings letztere beiden: Sonnenenergie und Wasserkraft.
Könnte Burgstall als Pilotgemeinde in Zukunft sogar energieautark werden?
Zurzeit ist das schwer einzuschätzen. Die Zukunft wird es uns zeigen.
Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?
In nächster Zeit findet ein Treffen mit allen Neumitgliedern statt. Dann wird die Genossenschaft gegründet. Es finden ständig Gespräche mit den zuständigen Projektpartnern statt.

Frau Passarella, welche Rolle spielt der Raiffeisenverband?
Barbara Passarella: Der Raiffeisenverband ist für die Organisation der Treffen mit den öffentlichen Verwaltungen und der Informationsveranstaltungen für Bürger und Unternehmen in der Region zuständig. Dabei werden wir von dem Alperia-Leiter für Sonderprojekte, Ing. Costa unterstützt. Wir koordinieren alle Aktivitäten, von der Machbarkeitsanalyse bis hin zur Erstellung des Geschäftsplans, führen die Samm- lung von Bewerbungen fort und geben Hilfestellungen von der Gründung der Gemeinschaft bis zum Übergang in eine Genossenschaft. Von dem Moment an, in dem die Gemeinschaft vom nationalen Betreiber GSE zugelassen wird, ist es unsere Aufgabe, uns um alle Angelegenheiten zu kümmern, die für die Entwicklung, die Verwaltung, die Buchhaltung und das steuerliche Management sowie das weitere Wachstum jeder unserer Mitgliedsgemeinschaften notwendig sind.
Der Raiffeisenverband fördert die Gründung von Energiegemeinschaften?
Ja, der Raiffeisenverband zusammen mit Alperia und Regalgrid.
Die Gemeindeverwaltung von Burgstall – der bald auch andere folgten – erwies sich in jeder Hinsicht als besonders aufgeklärt. Gemeinsam mit dem Bürgermeister, den Gemeinderäten und einer Gruppe Unternehmer haben wir während der Sommermonate an der Planung eines Pilotprojekts gearbeitet, bis schließlich der Beschluss gefasst wurde, der den Startschuss für die eigentliche Aktion gab. Nach den üblichen Formalitäten haben wir eine Bürgerversammlung veranstaltet, der zufolge sich interessierte Bürger und Unternehmen bewerben konnten, um sich am Projekt zu beteiligen. Für Letztere sowie für die Gemeindeverwaltung wurde mit der Energieanalyse und der
Planung der Photovoltaikanlagen begonnen, die sowohl auf den Dächern der gemeindeeigenen Gebäude als auch auf den Dächern von Unternehmen und Privatpersonen, die dies beantragt haben, installiert werden sollen. In den nächsten Tagen werden alle Bewerber um Mitgliedschaft in der entstehenden Energiegemeinschaft ein sogenanntes „SNOCU“ erhalten, ein kleines Plug-andPlay-Tool, mit dem wir eine präzise Analyse der Verbrauchskurven durchführen können.
Herr Costa, die ersten Anläufe von erneuerbaren Energiegemeinschaften sind schon lange vor Burgstall in Südtirol gestartet worden?
Alessandro Costa: Alperia begann bereits 2018 mit einem ersten Pilotprojekt für erneuerbare Energiegemeinschaften im NOI-Techpark in Bozen in Zusammenarbeit mit der EURAC und dem Technologiepartner Regalgrid, als es noch keine spezifischen Rechtsvorschriften zu diesem Thema gab und das Konzept der virtuellen gemeinsamen Nutzung von selbst erzeugter Energie durch verschiedene Nutzer über das Stromnetz noch weit entfernt und futuristisch erschien. Dank seiner Innovationsbereitschaft erkannte Alperia schon damals, dass die Digitalisierung des Stromnetzes viele neue Möglichkeiten bietet. Eine der wichtigsten davon war, dass sich Nutzer zusammenschließen können, um ein neues Energiemodell zu schaffen, das heute als dezentral und kollaborativ bezeichnet wird.

Dennoch gilt die Gründung von Burgstalls Energiegemeinschaft in Südtirol als wegweisend. Was war für Alperia der Anreiz an diesem Projekt?
Alperia ist einer der Förderer dieses Projekts, das den beteiligten Nutzern eine große Chance bietet, aber gleichzeitig eine gewisse Komplexität aufweist, sowohl in der Phase der Durchführbarkeitsstudie, der Zusammenführung der
Mitglieder und der Gründung der Energiegemeinschaften selbst. Alperia will zusammen mit ihren Partnern, Raiffeisenverband und Regalgrid, ihre Erfahrung im Elektrosektor im Allgemeinen und in der Energiegemeinschaften im Besonderen zur Verfügung stellen, um dieses vorteilhafte und kooperative Energiemodell voranzubringen. Es führt nicht nur zu Einsparungen bei der jährlichen Stromrechnung der Mitglieder der Energiegemeinschaft, sondern bringt auch positive Auswirkungen für das Territorium mit sich, indem es eine solidarische Wirtschaft fördert, die Verbreitung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien begünstigt, Beschäftigungsmöglichkeiten schafft und die

Modernisierung der Infrastrukturen fördert. Burgstall ist als Standort insofern besonders geeignet, weil es von einer einzigen Umspannstation (Umspannwerk von Hoch- auf Mittelspannung) versorgt wird. Das schreibt auch das neue Dekret vor.
Wie sehen Sie die Zukunft von Energiegemeinschaften und warum wird dieses Konzept auch für einfache Haushalte und Unternehmen immer attraktiver? Experten gehen davon aus, dass die Anzahl an erneuerbaren Energiegemeinschaften in Italien in den nächsten drei Jahren beträchtlich zunehmen wird, auch wenn der Rechtsrahmen und die Anreizregelung bis heute noch nicht endgültig festgelegt sind. Wir müssen bedenken, dass wir ein Land mit einer starken „grünen“ Ausrichtung sind, in dem mehr als 3500 Gemeinden ausschließlich erneuerbare Energien nutzen und die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien den Bedarf der Haushalte übersteigt. Eine Studie des Politecnico von Mailand besagt, dass es in Italien innerhalb von fünf Jahren mehrere zehntausend Energiegemeinschaften geben wird, die etwa 1,2 Millionen Haushalte, 200.000 Büros und 10.000 kleinere und mittlere Unternehmen umfassen. Ein nicht zu vernachlässigender Trend, wenn man bedenkt, dass bei der Volkszählung im Mai 2022 in Italien etwa 100 erneuerbare Energiegemeinschaften gezählt wurden, von denen nur 35 betriebsbereit waren und 65 sich noch in der Planungsphase befanden. Die Verbreitung von Energiegemeinschaften wird vor allem mit dem Argument der günstigeren Strompreise vorangetrieben, ein erheblicher Prozentsatz der Nutzer gibt aber auch Gründe an, die mit der ökologischen Nachhaltigkeit zusammenhängen, ein Thema, das bei einer nicht unwesentlichen Bevölkerungsgruppe unseres Landes auf besonderes Interesse stößt.