Eine Geometrie des Absurden Seine Raketen vom Katapult der strengen Striche befeuern ein Universum von Bullen, Dosen und Liebhabern VON HERBERT VÖLKER FOTOS: JÜRGEN SKARWAN
Der kurze Weg zum Kainrath, wie wir ihn kennen: Da war ein hochgeschätzter Cartoonist mit unverkennbar schrägem Strich, als eines Tages die DOSE in sein Leben rumpelte, man muss es so pathetisch sagen. Die Coolness der harschen Linie vermählte sich mit der Mütterlichkeit des Zylindrischen, und geboren ward eine neue Geometrie des Absurden, wie sie uns so wunderbar erfrischt. Der ganz junge Dietmar Kainrath hatte erst einmal sein Talent verludern lassen, hat so richtig gar nix getan, ist herumgetrampt und bald einmal beim Zirkus gelandet, immerhin beim berühmten „Hagenbeck“ in Deutschland. Dort haben sie ihn als Eis- und Schokoladeverkäufer mit Bauchladen einschulen wollen. Seine Schüchternheit stand dagegen, er hat nichts an den Mann gebracht. So kam er in die exotische Abteilung, das waren zwei Kamele, ein Elefant, ein Zebu, ein Wasserbüffel und ein Zebra. Die hatte er zu pflegen, zu den Auftritten zu führen und abzuholen. Sein Lieblingstier war die Kameldame Leila, die allerdings eines Tages ausriss und Richtung Stadtzentrum Nürnberg jappelte, sonderbarerweise an Kreuzungen aufs Grünzeichen wartend. So konnte der talentierte Tierpfleger sie einholen und zur Rückkehr
bewegen, einer seiner frühesten Erfolge im Leben, denn, wie gesagt, ursprünglich war nicht so viel Staat mit ihm zu machen. Die Dinge änderten sich, als er sich vor vierzig Jahren in Verena verliebte und unversehens eine Familie gründete. Die Verbürgerlicherung zum glücklichen Familienvater mag auch als lebensverlängernde Maßnahme gelten, jedenfalls wurde aus dem Irrläufer ein gezähmter Bohemien mit der Lizenz zum Ausbrechen. Handwerklich und künstlerisch spielte dieser doppelte Kainrath sein Register zwischen Gebrauchsgrafik und leichtfüßiger Kunst, wobei es ihm immer an Bösartigkeit mangelte, die hat er nie so richtig erlernt, daher auch nie ausgedrückt. Als Säulenheilige seines Künstlertums verehrt er keine Geringeren als Saul Steinberg und Tomi Ungerer, und natürlich lässt er dem Werk des Paul Flora den gebührenden Respekt zukommen. Seine alte Neigung zur Boheme führt Kainrath auch zu BukowskiThemen mit der vertrackten Lust an der Sucht. Aufregend wird es in der Umsetzung mit Musikern, wenn Jazz, Literatur und Grafik einander den Rahmen geben, aus dem sie dann fallen können. Der sensationelle Trompeter Franz Hackl (von Schwaz nach Amerika) wurde in diesem Zusammenhang ein enger Freund des
Zeichners und kompetenter Führer durch die Wasserlöcher New Yorks. Wenn Kainrath im fortgeschrittenen Stadium Stimmen hört, dann am liebsten diese: Sinatra im Alter, Tom Waits. Was noch gut zum kainrathschen Januskopf passt, ist die Distanz zwischen krauser Idee und penibler Umsetzung: Wie der größte Unfug ohne Faxen zur Tinte kommt, eine Minimalkunst der Gemütszustände. Die Qualität der schlanken Ausführung ist längst ein Teil von ihm geworden, die Schwünge mit den Tuschfedern, manchmal auch mit dünnem Pinsel, der sparsame Gebrauch der Wasserfarben. Und nein, er verwendet nie-niemals ein Lineal, auch der lange Strich wächst ihm kerzengerade aus der Feder. Ganz offensichtlich wird das spezielle Talent des Dietmar Kainrath im Umgang mit Tieren und Dosen. Der Bulle, sagt der Künstler, sei ein dankbares Viech, was die Möglichkeiten der Darstellung betrifft, und die Dose ist ja sowieso ein Glücksfall für die Kainrath’sche Weltgeometrie. Das Katapult der strengen Striche hat seine sinnliche Rakete gefunden, in der schieren Grafik, in spontanen oder vertrackten Assoziationen. Von ansatzlosem Nonsense bis zur Skizze eines sehr entspannten Existenzialismus, von Barfly-Kümmernis bis Grand-Prix-Folklore hat da alles Platz. Uns vergnügten Betrachtern bleibt die Souveränität der Deutungshoheit, so gütig ist der Kainrath allemal.
Name Dietmar Kainrath Geburtsdatum/-ort 8. September 1942 in Innsbruck, Tirol Wohnort Innsbruck, mit Blick auf den Patscher Kofel Beruf Grafiker, seit 1979 frei-schaffender Karikaturist Erfolge Ausstellungen in Österreich, Deutschland und den USA; seine Karikaturen erschienen in Büchern und internationalen Publikationen; bevorzugter Karikaturist des Red Bulletin
Die andere Dose
Red Bull hat nicht ausdrücklich wegen Kainrath auch die andere Dose auf den Markt gebracht, aber irgendwie könnte es schon danach aussehen. Eine zweite Farbe neben dem nun schon wohlbekannten Ultramarin ist neu zu mischen aus Zinnoberrot und Brillantrosa. Dazu ein ganzer Kosmos von frischem Unfug in der vertrackt liebevollen Kainrath-Psycho: Die Spannung innerhalb der jungen Dosenfamilie, und was den beiden so passieren kann. Ah, sagte Dieter zu Verena, das ist ein feines Thema. Ich weiß, sagte sie sanft. Den Energy Drink als männlichen, das Cola als weiblichen Part zu begreifen, wäre wohl nicht im Sinn der Strategen gelegen, und auch der freie Künstler, nie am Gängelband, hatte nichts dergleichen im Sinn. Die Jungdose hat die Wehen der Emanzipation schon überwunden, man blödelt sich schon gleichberechtigt durchs Leben. Fast. Der wesentliche Anlass für Spannungen ist ja nicht wegzukriegen: Das Cola hat noch keine Flügel. Familienthema: Willst du darüber reden?
Ein Tiroler, eher inwendig
Dietmar Kainrath ist Innsbrucker, als Zeichner somit im Hoheitsrevier des Paul Flora, 2009 verstorben als Patriarch der Berge und der Lüfte (Raben, RABEN!!!) und Schriftführer des prototypischen Tirolers. Wie näherte man sich dem Übervater? Kainrath hat Flora vor Jahren aufgesucht und ihm ein paar Arbeiten gezeigt. Was jener sah, fand das Lob des Großkünstlers, bloß ein paar Anklänge ans regionale Wesen haben ihm nicht so getaugt im Kainrath’schen Ouevre: „Die Tiroler mag’scht bleiben lassen. Die g’hör’n mir.“ Kainrath hat damals gut zugehört und ist nie wieder ans Älplerische angestreift. Das fiel ihm nicht schwer, da er im Tirolersein nie eine grundsätzliche Bestimmung gesehen hat. Den freien Blick von seiner Zeichenstube auf den Patscherkofel weiß er allemal zu schätzen, ebenso ein paar nachtaktive Biotope zwischen der Ottoburg und Schwaz, aber nie lässt er den Tiroler so richtig raushängen. Selbst seine Sprache wird verstanden, wo immer man Deutsch spricht, das sanft gutturale Knödelige würde allenfalls dem Linguisten auf die Sprünge helfen. Und dass ein kluger
Mann gesagt hat „Du bist der Flora für die armen Leit’“, reicht dem Künstler zur zufriedenstellenden Abrundung seiner Heimatbilanz. Gefahren einer Annäherung sah er nie: „Flora schaffte Stimmungen, ich mach’ Karikaturen.“ Flora hat zwar auch Karikaturen gezeichnet, war aber der Meinung, dies könne man nicht lang machen, weil irgendwann die Ideen ausgingen. Kainrath ist da völlig unbesorgt. Nein, die zündenden Funken werden ihm nicht ausgehen, bloß dass er manchmal nicht so schnell zeichnen kann, wie ihm die Ideen ins Kraut schießen. Und wie den Bullen die roten Hörndln wachsen.
Malerstübchen mit Patscherkofel
Schriftzug
Farbkleckse
IMPRESSUM
Katalog
Dieses Katalogbuch erscheint anlässlich der Ausstellung „Canrath“ Dietmar Kainrath
Herausgeber
vom 30. April bis 01. Juni 2010 Im Auftrag der Red Bull Hangar-7 GmbH
Red Bull Hangar-7 GmbH Gestaltung Atelier Seethaler Texte Herbert Völker Repro Repro Atelier Czerlinka Druck Offset 5020 Foto Credits Jürgen Skarwan Verlag basis wien - Kunst, Information und Archiv www.basis-wien.at ISBN-978-3-9502530-5-4 Printed in Austria © 2010, Red Bull Hangar-7 GmbH Wilhelm Spazier Straße 7A, 5020 Salzburg T +43 (0)662 - 2197-0 F +43 (0)662 - 2197-3786 E hangart-7@hangar-7.com www.hangar-7.com © 2010 für die Texte beim Autor © 2010 für die Fotos bei Red Bull Photofiles