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Interview im Canisianum
Gründonnerstag im Canisianum
„Lassen wir den Faschismus in der Ukraine über Menschenrechte, über Freiheit und Demokratie siegen?“
Text: Josef Aigner und Wolfgang Geister-Mähner
Interview mit Ihor Hinda
Im „Canisianum“, dem bekannten internationalen theologischen Kolleg in Innsbruck, treffe ich mich mit Ihor Hinda.
Ihor stammt aus der Ukraine. Bereits seit 1899 studieren auch ukrainische Theologiestudenten an diesem internationalen Kolleg. Das Zusammenleben steht unter dem Motto, „cor unum et anima una“, „ein Herz und eine Seele“.
Ihor, seit wann lebst und studierst du hier?
Ich bin im September 2017 nach Innsbruck übersiedelt. Jeder macht zuerst einen Deutschkurs. Ich habe es von Null an in Innsbruck gelernt. Nach neun Monaten hatte ich die Sprachprüfung bestanden, die fürs Studieren Voraussetzung ist.
Was hat dich zum Studium nach Innsbruck geführt?
Das war eine Entscheidung, die ich einvernehmlich mit meinem Bischof getroffen hatte, nach meinem Grundstudium in Polen an der katholischen Universität Johannes Paul II. das Doktoratsstudium im Ausland anzutreten. Ich wollte zuerst nach Rom, aber 2017 gab es für mich dort kein Stipendium. Fürs Canisianum bei den Jesuiten bekam ich es, wofür ich sehr dankbar bin.
Woher aus der Ukraine stammst du?
Ich komme aus Burshtyn, einer kleinen Stadt in der Westukraine. Sie liegt schon fast im Karpatengebiet und gehört zu Galizien. Vor dem Ersten Weltkrieg war diese Region Teil der Habsburger Monarchie. Die Landschaft
Ich glaube fest daran, dass wir als Volk auferstehen.
hat Ähnlichkeiten zu Tirol, die Berge sind aber nicht so hoch. Und wie hier sprechen die Menschen dort auch einen besonderen Dialekt. Menschen aus Kiew verstehen ihn zum Beispiel nicht recht.
Wenn ich Ukraine höre und mir christliches Leben vorstelle, denke ich zuerst an die orthodoxe Kirche.
Stimmt, doch die Ukraine ist in ihrer christlichen Tradition multi-konfessionell. Es gibt die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche und auch die griechisch-katholische Kirche. Die orthodoxe Kirche umfasst insgesamt etwa 70 Prozent der Christinnen und Christen, die griechisch-katholische Kirche rund 20 Prozent. D. h., fast zehn Millionen Ukrainer sind katholisch, neun Millionen davon griechisch-katholisch, eine Million römisch-katholisch. Es gibt aber auch verschiedene protestantische Kirchen.
Und deine Familie ist griechisch-katholisch?
Ja, mütterlicher- und väterlicherseits und zwar schon zur Zeit der Sowjetunion. In den Herzen der Menschen hatte der Kommunismus nie Fuß gefasst. Sie haben zu Hause Messen gefeiert. Es war eine ganz spannende Zeit. Mein Papa erinnert sich z.B. an einen Elektriker in der Nachbarschaft, der am Sonntag immer weg war. Man wusste nicht, warum, aber als er gestorben war, erfuhren die Leute, dass er griechisch-katholischer Priester war. Das öffentlich zu bekennen, war zu gefährlich.
Wir stehen vor den großen Osterfeierlichkeiten und erinnern uns in der Liturgie an das Leiden und Sterben Jesu und an seine Auferstehung von den Toten. - Dieses Jahr erleben wir diese Tage in einer außerordentlichen Situation, weil in deiner Heimat Krieg herrscht.
Der Ausbruch dieses Krieges war zu Beginn der Fastenzeit, und es ist für mich furchtbar: Ich bin in Innsbruck in Sicherheit, aber meine Landsleute müssen auf alles verzichten. Ganz außerordentlich wie nie zuvor in meinem Leben erlebe ich diese Fastenzeit. Wir haben hier in Innsbruck einen Krisenstab eingerichtet und ein Voluntariatszentrum gegründet, das heißt, ein Netzwerk von Freiwilligen, die sich in den verschiedensten Belangen für ankommende ukrainische Vertriebene einsetzen. Ich habe die 40 Tage der Fastenzeit mit vielen Begegnungen meiner Landsleute verbracht. Ich wache jeden Tag auf und lese, wie´s in der Ukraine weiter geht. Es gibt immer diese Angst, diese Unruhe - das ist für mich heuer die Fastenzeit. Inzwischen habe ich mich schon ans Heulen gewöhnt, tausende Tote, Kinder, vergewaltigte Frauen - diese schrecklichen Bilder und die Frage, ob ich wieder in meine Heimat zurückkehren kann … – Aber ich versuche das auch im Lich-
te der Vorsehung Gottes zu betrachten, ich stelle Gott immer wieder die Frage: „Warum hast du das zugelassen?“. 1991 wurde uns die Unabhängigkeit geschenkt, dann gab es 2004 einen Aufstand - die Orange Revolution, denn die Leute wollten in einer freien Welt ohne Korruption leben. 2013/14 haben 100 Menschen, später mehr, ihr Leben für die Demokratie hingegeben, für mehr Integration in die EU. Wir wollten keinen Kommunismus mehr, wir wollen nicht zurück, und ich merke, dass unsere nationale Identität in diesen letzten Jahren weiter gereift ist. Durch den Krieg müssen wir jetzt für unsere Freiheit und Unabhängigkeit einen hohen Preis zahlen. Aber um etwas zu erhalten, kommt die Auferstehung, und wir glauben daran. Ich sehe auch Parallelen zum israelitischen Volk in der Wüste. Mein Volk erlebt momentan diese Wüste. Aber diese Wüste bringt Heil, und ich glaube fest daran, dass wir als Volk auferstehen, dass wir Ukrainer*innen als Volk mehr reif werden und auch wir so für eine gerechtere Welt verantwortlich sind.
Jesus sagt zu Petrus, „Steck´ das Schwert weg!“ - Wie gehst du mit der Ansage von Gewaltverzicht um?
Mit gemischten Gefühlen. Einen Krieg zu rechtfertigen, geht nie. Diese Aussage von Jesus zu Petrus ist aber je nach Kontext auszulegen. Im Fall der Ukraine gibt es markante Verbrechen, die russische Streitkräfte in meiner Heimat begehen. Putin und seine Kumpanen hetzen mit ihrer Propagandamaschine das russische Volk gegen die Ukraine auf. Nach unabhängigen Statistiken stützt wahrscheinlich deshalb die Mehrheit der russischen Gesellschaft Putin und seine Kumpanen. Nach der katholischen
Fotos: Klaus Spielmann
Soziallehre und dem Völkerrecht hat die Ukraine das Recht darauf sich zu wehren und um Hilfe zu bitten. Putin sagt, die Ukrainer seien Nazis. Diese Frauen und Kinder sind aber keine Nazis, sie wollen im eigenen Land leben und in die Ukraine zurückkehren. Schuld an den unzähligen Opfern tragen Putin, die russischen Streitkräfte und jeder, der die Politik von Putin unterstützt. Sie sind die eklatanten Verbrecher. Und ich glaube nicht, dass man mit Verbrechern einen Kompromiss schließen darf. Man soll klare Kanten zeigen. Die Diplomatie, für die viele Politiker plädieren, ist gescheitert. Die Aussage von Jesus an Petrus betrifft vor allem Russland. Die Ukraine will durch die Verteidigung diese Gewalt stoppen. Daher ist das Recht der Ukraine auf die Selbstverteidigung meines Erachtens zu rechtfertigen. Unsere russisch-ukrainische Geschichte belasten schon so viele Ereignisse: Das Völkermord bekannt als „Holodomor“ im Winter 1932/33; im zweiten Weltkrieg mussten tausende Menschen ihr Leben lassen, viele sind nach Sibirien geschickt worden, viele ins Gefängnis - die Geschichte wiederholt sich jetzt. Ich stelle mir die Frage: Wie kann man das alles, was in dieser kurzen Zeit in der Ukraine passiert ist, verkraften? Als Christ würde ich sagen, wenn jemand um Verzeihung bittet, dann kann ich verzeihen. Ich bete auch, wie Jesus am Kreuz „Verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“. Aber viele jedoch wissen, was sie tun … - Wie soll man mit solchen Menschen umgehen? Eine Frage ohne Antwort, aber sicher darf man die Augen vor Verbrechen nicht zudrücken.
Was sollen wir tun angesichts des Kriegs, was ist in dieser Situation wirklich eine Hilfe?
Zuerst möchte ich mich bei den Tirolerinnen und Tirolern bedanken, bei den Menschen guten Willens, die unsere Landsleute unterstützen. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich für ukrainische Flüchtlinge einsetzen. Es gibt schon so viele Projekte –angefangen von bekannten Hilfsorganisationen, aber es gibt auch kleine private Projekte. Es kommen Geldspenden ein, Sachspenden, auch psychologische Unterstützung wird angeboten und natürlich Deutschkurse. – Hier wären wir für weitere Lehrkräfte sehr dankbar. Wer sich dazu in der Lage sieht und bereit ist, melde sich bei der Bildungsdirektion oder im österreichischen Integrationshaus. Gott sei Dank gibt es digitale Hilfen, wo du auf ukrainisch reinsprichst und dann die Übersetzung erhältst. Eine wichtige Hilfe ist es auch, bei Arztbesuchen kranke Menschen zu begleiten. Zweitens sind wir sehr dankbar für das Gebet, das Gebet ist unabdingbar - auch das Gebet für die Soldaten an der Front. Papst Franziskus hat Russland und die