Baris Uygur »Flucht aus dem Höllenhof« Leseprobe

Page 1


Der Autor

Barış Uygur, 1978 in Eskişehir geboren, fing schon in frühen Jahren zu schreiben an. Nach dem Abitur begann er in Istanbul mit dem Kommunikationsstudium, Bereich Fernsehen, Radio und Kino, welches er 2003 abschloss. Nach kurzen Abschnitten als Zeitungsredakteur und Gründer des Musik-Labels Peyote, studierte er 2006 bis 2012 Geschichte an der Bilgi Universität in Istanbul. Als Mitbegründer der in der Türkei sehr populären Karikaturzeitschrift „Uykusuz“ brachte er diese in 2007 erstmals mit heraus. Von 2008 bis 2012 schrieb er Drehbücher für das Fernsehen. 2012 erschien sein Debütroman »Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy« um den ehemaligen Polizisten Süreyya Sami. Der zweite »Flucht aus dem Höllenhof« folgte noch im selben Jahr und erscheint nun auch auf Deutsch.


Barış Uygur »Flucht aus dem Höllenhof« Ein Süreyya-Sami-Krimi

Das Buch “Während ich den Büchertisch betrachtete, nahm Kerim ein dünnes Taschenbuch und meinte, das könnte mir gefallen. Ich wollte schon ablehnen und sagen, ich hätte nur so geschaut, da kam mir die Idee, dass mir ein Buch durchaus nützlich sein könnte. Ich könnte so tun, als würde ich lesen, und mich dabei umsehen, ob mir jemand folgte. Wobei – eigentlich erregte jemand, der ein Buch las, in unserem Land mehr Aufmerksamkeit als jemand, der durch die Gegend glotzte.“ Erneut schickt Barış Uygur Süreyya Sami auf die Suche nach einer vermissten jungen Frau. Als der ehemalige Polizeibeamte, selbst eher kauzig und resigniert, den dringlichen und zunächst seltsamen Anruf seines ehemaligen Polizeikameraden erhält, geht die Suche los. Die Tochter Zeynep ist verschwunden, ob freiwillig oder nicht, sie soll aus dem berüchtigten und mächtigen sektiererischen Clan von Reis Efendi geholt werden. Süreyya Samis Versuche , mit den wenigen Mitteln, die er hat, scheinen zunächst aussichtslos, doch der sonst so zurückgezogen lebende Komissar wirft alles in die Wagschale und es wird zu einer sehr persönlichen Mission, diese junge Frau wiederzuholen.

Aus dem Türkischen von Monika Demirel Deutsche Erstausgabe 265 Seiten Hardcover Originaltitel: Cehennem Çiftliğinden Kaçış ISBN 978-3-943562-43-9 17,90 € [D]



Barı Uygur

Flucht aus dem Höllenhof Ein Süreyya Sami-Krimi

Aus dem Türkischen von Monika Demirel


Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Cehennem Çiftliğinden Kaçış © İletişim Yayıncılık, 2011

Mit Unterstützung des Programms »Kultur 2007-2013« der Europäischen Union

Deutsche Erstausgabe © 2015 binooki OHG, Berlin www.binooki.com Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat: Erhard Waldner Satz: Erhard Waldner Umschlaggestaltung: Josephine Rank Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-943562-43-9


Zur Aussprache des Türkischen c wie dsch in Dschungel ç wie tsch in Kutsche ğ weiches, nicht hörbares g; es verbindet den voranstehenden Vokal mit dem nachfolgenden Buchstaben ı kurzes i wie das e in Katze s stimmloses s wie in Maus ş wie sch in Schmaus z stimmhaftes s wie in Hase



I

Das Telefon klingelte. Normalerweise ist das keine Sache, auf der man lange herumreiten muss, aber für mich war das etwas völlig Neues. Ich selbst telefoniere nur, um beim Krämer etwas zu bestellen, und angerufen werde ich auch nicht öfter als Süleyman Demirel nach der Beendigung seiner politischen Laufbahn. Obendrein habe ich auch keinen Getreuen wie den Journalisten Yavuz Donat, der mich permanent angerufen hätte. Dennoch bekomme ich immerhin einen oder zwei Anrufe pro Monat, und jedes Mal bin ich rechtschaffen erstaunt. Diesmal gab es allerdings einen zusätzlichen Grund zum Staunen. Einige Tage zuvor hatte ich den Hörer abgehoben, um beim Krämer eine Bestellung aufzugeben, da eröffnete mir die Frauenstimme, die ich am häufigsten an der Strippe hatte, mein Anschluss sei wegen einer nicht bezahlten Rechnung gesperrt und ich müsste mich für die Freischaltung an die Telekom in Bakırköy wenden. Eine Sperrung wegen offener Rechnung bedeutete, dass ich kein Geld hatte. Natürlich hatte ich Geld für schlechte Zeiten zurückgelegt, aber das Leben hatte mich gelehrt, dass es weitaus schlechtere Zeiten gab als solche mit gesperrtem Telefon. Meinen Notgroschen rühre ich wirklich nur in Notzeiten an. Ich merke schon, ich schweife vom Thema ab. Aber was will man machen – Leute, die nichts Interessantes zu erzählen haben, sind immer ein wenig redselig. Wo waren wir stehengeblieben? Das Telefon klingelte, und ich hob ab. »Süreyya?« »Ja?« »Ich bin’s, Cemil. Wie geht’s, mein Jahrgangskamerad?« Cemil. Manchmal lesen wir doch in einem Roman, dass eine Stimme oder ein Bild einen in die Vergangenheit führt oder darüber nachdenken lässt, was aus einem geworden ist. Genauso 7


war das. Mein Jahrgangskamerad! So sprach man einen Mitschüler aus der Polizei- oder Militärakademie an. Ich schwöre, dass ich kein einziges Mal in meinem ganzen Leben einen Mitschüler mein Jahrgangskamerad genannt habe. Mich stört es zwar nicht, wenn man mich so betitelt, aber für mich ist es jedes Mal eine sinnlose Betonung von Nähe. Eine Gemeinschaft, die man sich nicht ausgesucht hat. Klar, mit manchen Mitschülern versteht man sich gut, aber Jahrgangskameraden sind eben weitaus mehr. Bislang habe ich niemanden mehr gemocht, nur weil er mit mir in dieselbe Klasse ging. Aber wie es aussah, verwendete Cemil diesen schönen Ausdruck noch immer. Zum Glück gehörte Cemil zu der Handvoll Leute, mit denen ich mich gut verstand. Zwar hatte ich seit Jahren nichts von ihm gehört, und ich hatte auch schon die eine oder andere Vorstellung, warum das so war. Als er seine Anrufe einstellte, machte ich mir aber nicht sonderlich viel Gedanken. Ich mache mir ohnehin über nichts sonderlich viel Gedanken. Aber natürlich konnte ich auch nicht einfach den Hörer aufknallen. »Cemil? Hallo, eigentlich sollte ich fragen, wie’s dir geht. Wie viele Jahre ist es her?« »Schon einige. Nimm’s mir nicht übel, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Aber du bist selbst eine treulose Tomate; seit du weg bist, hast du kein einziges Mal von dir hören lassen!« »So ist das Leben! In der Hektik kommt man einfach zu nichts. Und ihr werdet andauernd versetzt, da kann man nie wissen, wo ihr gerade seid. Ich bin immer noch da, wo ich war.« »Ich weiß schon, dass es meine Schuld ist. Wobei – als du von der Polizei weggingst, hattest du nicht mal Telefon, und auch jetzt war es schwer, dich zu finden. Gottlob stehst du im Telefonverzeichnis.« »Das wusste ich gar nicht. Gibt es immer noch Telefonbücher?« »Natürlich nicht mehr in gedruckter Form, zumindest nicht, dass ich wüsste. Mann, du bist vielleicht ein Typ! Nun ja, mitt8


lerweile geht man ins Internet. Aber wer weiß, vielleicht hast du auch kein Internet zu Hause. Zuerst hab ich dich auf Facebook gesucht, und als ich dich dort nicht finden konnte, kam ich auf die Idee, in der Telefonauskunft nachzusehen.« »Ich besitze keinen Computer und wüsste auch nicht, was ich damit anfangen sollte.« »Du musst dir einen kaufen, Jahrgangskamerad. In unserem Zeitalter …« »Ehm, wahrscheinlich sollte ich mir einen kaufen. An einem der nächsten Tage.« »Wie auch immer. Es ist nicht leicht, so abrupt zum Thema zu kommen, aber in Anbetracht unserer Freundschaft verzeih mir bitte, denn ich muss etwas mit dir besprechen.« »Schieß los, ich höre.« »Eigentlich … Kannst du heute Abend zu uns kommen? Wenn du nichts anderes vorhast, natürlich.« »Nein. Also, ich habe nichts vor, aber können wir das nicht am Telefon erledigen?« »Abi, wie soll ich sagen? Ich weiß nicht, erinnerst du dich noch? Und raus bist du.« Ich hielt inne und versuchte zu verstehen, was Cemil meinte. »Früher sagten wir doch immer: ›Und raus bist du.‹ Das meine ich.« Wie es aussah, hatte ich keine andere Wahl, als mich mit Cemil zu treffen. »Okay, dann komme ich. Wo wohnst du?« »Ganz in der Nähe. Laut Telefonauskunft ist deine Adresse in Zeytinburnu, und da wohnst du immer noch, nicht wahr?« »Ja.« »Na prima. Und ich wohne in Yeşilköy. Ich beschreibe dir den Weg. Wie kommst du? Hast du ein Auto?« »Ich habe kein Auto, ich brauche auch keins, ich spring in den Zug, drei Stationen, und schon bin ich da.« »Vier Stationen.« 9


»Zähl Yenimahalle nicht mit. Wenn es ein langer Zug ist, steht die Lok in Yenimahalle und der letzte Waggon in Bakırköy.« Er lachte. Das leicht gezwungene Lachen eines sorgenvollen Mannes, der meinte, lachen zu müssen, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. »Okay, du steigst in Yeşilköy aus, dann gehst du Richtung Migros und biegst gleich ab in die erste, das ist die Mahmut Şevket Paşa-Straße. Ach was, egal, ruf an, wenn du aussteigst, dann hole ich dich ab. Warte, ich gebe dir meine Handynummer.« »Nee, es reicht, wenn du mir die Hausnummer gibst, ich besitze kein Handy.« »Süreyya, was bist du für ein Typ! Kein Handy, kein Internet. Okay, schreib auf.« Ich notierte die Adresse auf einen Zettel, den ich in der Unordnung neben dem Telefon fand, und fragte ihn, wann ich kommen sollte. »Am Abend eben. So gegen halb neun.« »Okay, ich komme nach dem Abendessen.« »Nein, nein, komm zum Essen. Oder hast du etwa geheiratet?« »Nee, was hat das denn damit zu tun?« »Na, weil du nach dem Essen gesagt hast. Iss bloß nichts vorher. Gülseren weiß, dass ich dich einladen werde, sie kocht bestimmt gerade was Schönes für dich. Dann kannst du mal was Gutes, Hausgemachtes genießen, mein Jahrgangskamerad.« Ich bin Wie-geht’s-wie-steht’s-Anrufe nach jahrelanger Funkstille nicht gewöhnt. Gleich nachdem ich aufgelegt hatte, befiel mich eine innere Unruhe. Am Abend war ich zu Gast bei einer Familie. Ein unglückseliger Fremder betrat jenen heiligen Tempel aus Mutter, Vater und Kindern, und nachdem er wieder weg war, konnte man ihn den Kindern als abschreckendes Beispiel vor Augen führen. Gülseren und Cemil hatten eine Tochter, die 10


mittlerweile mit der Schule fertig sein musste und die ich natürlich auch seit Jahren nicht gesehen hatte. Ich hätte Cemils Problem, was immer es auch war, zu gern am Telefon gelöst, aber er hatte den magischen Satz aus unserer Zeit an der Polizeiakademie gesagt: Und raus bist du. Damals benutzten wir diesen Satz als eine Art Geheimparole, wenn wir Probleme unter uns besprechen wollten, über deren Unwichtigkeit ich heute nur noch erstaunt schmunzeln würde, oder wenn sich jemand in unserer Nähe befand, der unser Gespräch nicht mitkriegen sollte. Sobald einer »Und raus bist du!« sagte, wussten alle sofort, dass sie zu verstummen hatten, und wechselten elegant das Thema. Und raus bist du … Es musste sich tatsächlich um eine Angelegenheit handeln, die man nicht am Telefon besprechen konnte. Mir wäre lieber gewesen, wenn Cemil mich irgendwo anders hingebeten hätte, aber es hatte keinen Sinn, zu insistieren. Allem Anschein nach war sein Zuhause der einzige Ort, an dem er über das Problem reden konnte. Ich glaubte nämlich nicht, dass Cemil darauf brannte, mich daheim zu bewirten. Während ich in den Spiegel des Flurschranks blickte, um zu entscheiden, ob es für das Abendessen einer Rasur bedurfte, dachte ich an Gülseren, Cemil und ihre kleine Tochter. Ich versuchte mich an ihren Namen zu erinnern, aber er fiel mir nicht ein. Mit einem Mal kam ich mir im Spiegel noch älter vor. Auch ich hätte ein Kind in ihrem Alter haben können. Aber es hatte nicht sollen sein. Wie anders wäre alles gelaufen, hätten nicht Lethargie und Verdruss oder wie immer man es nennen will mich davon abgehalten, ein halbwegs vernünftiger Mann zu werden. Dann fiel mir ein, dass ich mich mit dem, was ich war, zufrieden geben musste, weil ich ohnehin nichts anderes mehr werden konnte, und ging ins Bad, um mich zu rasieren.

11


Aus der Reihe bereits erschienen Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy „Nach dem Zahlvorgang um 14 Uhr 18 verließ Deniz Deren – oder, wie sie sich selbst nannte, Deniz Cengiz Deren – den Supermarkt. Der Typ, dessen Aufgabe es war, den Einkaufswagenstau vor dem Laden zu beseitigen, erinnert sich an sie. Seiner Aussage nach fuhr, nachdem Deniz Hanim den Supermarkt verlassen hatte, ein schwarzer Tofas an den Bürgersteig heran; Deniz Hanim wechselte ein paar – für den Zeugen aus der Entfernung nicht zu verstehende – Sätze mit dem Mann auf dem Beifahrersitz und nahm dann auf der Rückbank Platz. Das war das letzte Mal, dass Deniz Cengiz Deren gesehen wurde.“ Der Krimi von Barış Uygur erzählt aus der Perspektive des ehemaligen, leicht verbitterten Polizeibeamten Süreyya Sami seine Suche nach der verschwunden Frau Deniz Deren. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann ist er der Meinung, dass es sich in diesem Fall nicht um eine Entführung handelt. Während er ihre Spur aufnimmt, die ihn in ihre dunkle Vergangenheit führt, erweckt die schöne, junge Emel bei Süreyya wieder neue Gefühle, die er bei sich schon längst vergraben glaubte. Jedoch scheint Emel mehr über ihre Freundin Deniz zu wissen, als sie anfänglich zu gibt…

Aus dem Türkischen von Monika Demirel Deutsche Erstausgabe 176 Seiten Hardcover 15,90 € [D] ISBN 978-3-943562-30-9



»Die junge türkische Literatur ist urban und bewegt - und gelangt nun dank des binooki Verlags zu uns.« Achim Engelberg, der freitag

2

Inci Bürhaniye (li.) und Selma Wels Foto: Barbara Dietl


Achtung! Klischeefreie Zone. Die beiden Schwestern Inci Bürhaniye und Selma Wels haben auf der Istanbuler Buchmesse 2010 festgestellt, dass türkische Literatur in deutscher Sprache immer noch sehr „exotisch“ bis „stiefmütterlich“ behandelt wird. Da es den beiden ein großer Wunsch war, die Kulturen ihrer beiden Heimaten zu verbinden, entschieden sie noch in Istanbul einen Verlag zu gründen, der sich ausschließlich diesem Thema widmet. Zurück in Berlin wurde ein Businessplan geschrieben und im Juni 2011 wurde offiziell der binooki Verlag gegründet. Im Frühjahr 2012 erschien das erste Programm mit vier Titeln.

Im Oktober 2012 erhielten sie auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Fotocontest #berlinliestbinooki den „Virenschleuderpreis“ für die erfolgreichste MarketingMaßnahme im Social Web. Im März 2013 wurde ihnen nicht nur der BuchMarktAward (in Bronze) als „Newcomer des Jahres“ verliehen, sondern auch schon nach einem Jahr Verlagsgeschichte der „KurtWolff-Förderpreis“, weil der binooki Verlag sich »facettenreich und mit großer Lust an Entdeckungen der türkischen Literatur annimmt und dabei demonstriert, wie sich türkische und deutsche Literatur ganz ohne Klischees miteinander in Verbindung bringen lassen«.

Aus den anfänglichen vier Titeln erweitert sich ihr Programm nun im Frühjahr 2015 auf 25 anspruchsvolle Bücher türkischer Literatur in deutscher Sprache, die bei Erscheinung auch immer als E-Book erhältlich sind. Und weiterhin gilt ihr Credo: „Wir verlegen nur, was uns gefällt.“

3


Kontakt

binooki OHG Motzstr. 9 10777 Berlin Telefon +49.30.61 65 08 40 Telefax +49.30.61 65 08 44 info@binooki.com www.binooki.com facebook.com/binooki twitter.com/binooki


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.