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Elternalltag

Elternalltag

Weil verpackungsfreie läden seinen Scheuerstein und seinen Pflegebalsam nicht ins Sortiment aufnahmen, entwickelte der Putzmittelhersteller Uni Sapon eine kompostierbare Mehrweg-Transportbox aus Pilzen, die auf Schalen von Sonnenblumenkernen wachsen.

Wie der radikale Ansatz von verpackungsfreien Läden einem Vorarlberger Putzmittelhersteller dabei half, sein fast perfektes Produkt noch einmal zu verbessern.

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Da ist man dem Zeitgeist um Jahrzehnte voraus, beeindruckend konsequent und plötzlich bringen neue Visionen – von Zero Waste und einer Welt ganz ohne Abfall – den mühsam errungenen Pragmatismus ins Wanken, fordern das Wissen um die Notwendigkeit von Verpackungsmaterial und den eigenen Pioniergeist noch einmal heraus. Schließlich ließen sich Folien, Schachteln und Kunststoffgebinde oft problemlos recyceln. Bloß: Auch wenn die Europäische Union bis 2025 bei Kunststoffverpackungen eine Recyclingquote von 50 Prozent vorsieht, besagen die nackten Zahlen, dass in Deutschland nur 16 Prozent des Kunststoffmülls wirklich recycelt werden (Quelle: Plastikatlas 2019, Heinrich-Böll-Stiftung).

Putzstein und Pflegebalsam waren lange der wunde Punkt im Sortiment von Uni Sapon. Seit drei Jahrzehnten predigt das Vorarlberger Familienunternehmen ein ganzheitliches Reinigungskonzept, die Reduktion auf das Allerwesentlichste: Weil nicht jeder Fleck ein eigenes Reinigungsmittel braucht, beschränkt man sich bewusst auf vier Putzmittel. Weil es unsinnig und unökologisch ist, Wasser weit zu transportieren, bietet man Konzentrate an, die vor dem Putzen selbst mit Wasser verdünnt werden. Und weil Firmengründer Franz Reichert schon 1984 den »Plastic Planet« am Horizont sah, propagiert und praktiziert man mittlerweile in zweiter Generation sein Motto »Nachfüllen statt wegwerfen«. Einzige Inkonsequenzen waren lediglich der anfangs als schmutzlösender Scheuerstein vermarktete Putzstein und der Lederpflegebalsam aus Biowachs, mittlerweile im Sortiment als Multipflegebalsam geführt. Verpackt in Kunststoffdosen passten beide Produkte nicht wirklich ins Null-Müll-System von Uni Sapon. Was man allerdings akzeptierte, um Reformhäusern, Restaurants und Bioläden ein Komplettsortiment an zuhause wirklich nötigen Putzmitteln liefern zu können.

naCHFraGe aus der nisCHe Erst eine Entwicklung der vergangenen fünf, sechs Jahre, die ohne die Grundausstattung von Pionierbetrieben wie Uni Sapon kaum möglich

text Thomas Weber

marion reichert ist Geschäftsführerin von Uni Sapon. Das Familienunternehmen mit Sitz in Feldkirch, Vorarlberg, erzeugt Waschmittelkonzentrate und Putzmittel.

reishi

eigentlich: Glänzender lackporling. holzbewohnender Pilz, der nicht gegessen, sondern in der TcM (Traditionellen chinesischen Medizin) als heilpilz verwendet und als »Göttlicher Pilz der Unsterblichkeit« Verwendung findet. aktuell experimentieren Start-ups mit reishi als strapazierfähiges Material für Möbel und als veganer lederersatz, etwa das kalifornische MycoWorks mit seiner Marke »Made With reishi«.

Cradle to cradle

kreislaufwirtschaft konsequent ohne abfall von der »Wiege zur Wiege« gedacht. Dem Produktionsansatz, den der deutsche chemiker Michael braungart in den 1990er-Jahren entwickelte, denkt nicht nur in biologischen, sondern auch in technischen kreisläufen. gewesen wäre – die Gründungswelle an verpackungsfreien Läden –, brachte die Notwendigkeit, sich des leidigen Themas ein für alle Mal anzunehmen. »Die Unverpackt-Läden haben unser Sortiment begeistert aufgenommen, wollten aber natürlich nur Produkte listen, die sich auch unverpackt verkaufen lassen«, erzählt Marion Reichert, die das von ihrem Vater gegründete Unternehmen seit vielen Jahren erfolgreich führt. »Der Putzstein und der Pflegebalsam sind für unser Reinigungskonzept aber ganz essenziell, deshalb mussten wir uns da was überlegen.« Denn mittlerweile machen die mehr als 200 verpackungsfreien Läden im deutschsprachigen Raum den Großteil des Vertriebsnetzwerks von Uni Sapon aus. Längst liefert man von Feldkirch aus auch an Läden in Tschechien und den Niederlanden, punktuell bis nach Japan und Südkorea.

Dem Erfindergeist von Reicherts Ehemann Peter Metzler ist es zu verdanken, dass es gelang, die Kunststoffdose endlich weitestgehend zu entsorgen. Gemeinsam mit Ingo Scherag, einem befreundeten Gärtner mit Faible für Pilze, machte er sich ans Tüfteln. Auf einem Substrat aus Schalen von Sonnenblumenkernen, die bei einer Bioölmühle abfallen, ließen die beiden

Das in Form gewachsene Mehrweggebinde aus reishi-Pilz (im bild rechts mit Pflegebalsam-Füllung) wurde gemeinsam mit einer Gärtnerei entwickelt.

Erfinder Reishi-Pilze wachsen. Binnen weniger Tage wächst das mit Pilzsporen beimpfte Substrat zu einem federleichten, aber festen Material zusammen. Nach viel Versuch und Irrtum ließ sich die Erfindung in einer speziellen Trockenkammer fixieren und zu einer stabilen Transportschale formen. Dadurch ist es »gelungen, Kunststoffdosen und Verpackungstrays aus Styropor durch ein rückstandsfreies Cradle-toCradle-Produkt zu ersetzen«, erklärt Wolfgang Seidel vom Energieinstitut, das Uni Sapon für diese Entwicklung 2020 mit dem Energy Globe Award auszeichnete.

der CaMeMbert-MOMent Putzstein und Pflegebalsam werden in Feldkirch nun in Edelstahlbehältnisse gegossen, härten darin aus und kommen als »Rohlinge« verpackungsfrei in die maßgefertigten Pilz-Transportschalen. »Ein paar Tausend Plastikdosen haben wir so seit Projektstart 2019 schon eingespart«, freut sich Marion Reichert. In weit über 100 Läden sind die Transportboxen am Tresen als Display im Einsatz. Ist der Inhalt verkauft, kommt er als Leergut zurück nach Vorarlberg – oder landet am Hauskompost. »Noch wäre es ein Blick in die Kristallkugel, zu sagen, wie oft sie wiederverwendbar sind«, sagt die Geschäftsführerin. »Wir vermuten, dass zwischen zehn und zwanzig Zyklen realistisch sind.« Gehe man besonders sorgsam damit um, hält man theoretisch auch bis zu 50 Zyklen für möglich. Praktisch faszinieren die Boxen dafür vermutlich zu sehr. »Die KundInnen mögen nicht nur die Idee, sondern lieben auch, wie sich die Boxen anfühlen, diesen besonderen Camembert-Moment, sie drücken daran.«

Patent hat man in Feldkirch auf die Pilzboxen bewusst keines angemeldet. »Wir verdienen eh Geld mit unseren Putzmitteln und wollen die Entwicklung nicht ausschlachten und auch nur für den Eigengebrauch in Handarbeit herstellen«, sagt Marion Reichert. Aber Pilzen gehöre definitiv die Zukunft und die Idee, die gehöre hinaus in die Welt und schleunigst von anderen aufgegriffen. »Wir selbst wollen keine neuen MitarbeiterInnen und unser Tun auch nicht durch neue Wirtschaftszweige verwässern.« Auch künftig möchte man sich Putzstein, Pflegebalsam und konzentrierten Reinigungsmitteln widmen. Eine konsequente Reduktion aufs Allerwesentlichste

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