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SMELLS LIKE DEER SPIRIT

Wir haben ihn aus der Landschaft verbannt wie den Tod aus unserem Alltag: den Geruch von Kadavern. Dabei führt er geradewegs zum Kreislauf des Lebens.

weber@biorama.eu

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Das Gedicht von Ringelnatz (1883–1934) ist als frühes Zeugnis der Emo-Bewegung immer noch amüsant, aber doch auch seltsam antiquiert. Denn »Leichengestank« hat kaum noch jemand in der Nase. Eine Errungenschaft der Kühltechnik, denkt man sofort. Zwar empfinden den süßlichstechenden Geruch, den Verwesung bereits nach wenigen Stunden verströmt, die meisten als ekelig. Womit uns die Evolution vor Krankheiten schützt, die von Kadavern übertragen werden. Und weshalb es auch durchaus konsequent ist, dass wir nicht nur unsere Toten rituell begraben oder dem Feuer übergeben, sondern mittlerweile auch Kadaver von Tieren nicht mehr überall in der Landschaft herumliegen. Natürlich ist das klarerweise nicht. Die Natur hat dafür Aas- und Allesfresser jeder Größe vorgesehen; vom Fuchs bis zum Totengräberkäfer, vom Pilz bis zum Bakterium. Der Landschaft fehlen deshalb diese Lebensräume vielerorts. Schließlich vollenden sie den Kreislauf des Lebens, in dem aus Abgestorbenem besonders viel Neues entsteht. Das ist bei Kadavern nicht anders als beim Totholz, in dem die Artenvielfalt besonders hoch ist. 16 deutsche Nationalparks erforschen seit kurzem mit der Universität Würzburg wie bedeutsam tote Tiere als

»Hotspots der Biodiversität« tatsächlich sind. Christian von Hoermann, Kadaverökologe im Nationalpark Bayerischer Wald meint: »Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg.« Dreißig Kilogramm wiederum entspricht einem stattlichen Rehbock, den beispielsweise ein Auto in die ewigen Jagdgründe befördert hat. Auf der Museumsinsel hinter dem niederösterreichischen Nationalparkzentrum Orth an der Donau legt man seit vielen Jahren ein auf der Straße umgekommenes Reh zur Seite; als Schauobjekt. »Etwas abseits, damit Gäste entscheiden können, ob sie das ansehen wollen«, sagt Erika Dorn, Sprecherin des Nationalpark Donau-Auen. Im restlichen Nationalpark werden Kadaver nur entlang von frequentierten Wegen entfernt. Überall sonst dürfen sich Fuchs, Wildsau und der seltene Seeadler über verendetes Wild, aber auch zusammengeführte Hunde und Katzen hermachen. Das gehört zum Prozessschutz, der dort den Ablauf natürlicher Prozesse ermöglichen soll. Nur tote Wildschweine müssen geborgen werden (um von der AGES auf die latent drohende Afrikanischen Schweinepest überprüft zu werden). Auf der Museumsinsel selbst werden auch Kinder mit dem Kreislauf des Lebens konfrontiert. Meist, sagt Sprecherin Dorn, reagieren diese mit Neugier und ohne Vorurteile. Nur nachts wird der Kadaver mit einem Gitter verdeckt. Sonst verschleppt ihn der Fuchs und man riecht überall Tierleichen.

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