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Fisch und Gemüse in Koproduktion

Fis ch und in Co -Prod

Ge müse uktion

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Frischer Fisch, Kräuter, Obst und Gemüse aus ultralokaler urbaner Produktion, gekoppelt in Nährstoffkreisläufen: Zwei Start-ups aus Berlin und eines aus Wien zeigen, wie es gehen könnte.

In terview s Thomas Weber D ie Meere sind überfischt und im Bereich der traditionellen Teichwirtschaft geben aktuell viele kleine Betriebe auf. Damit Fisch als Nahrungsgrundlage auch künftig eine große Bedeutung spielen kann, setzen Start-ups in Großstädten auf eine kombinierte Produktion von Gemüse und Fisch in Aquaponikanlagen. Mit hohem technologischen Aufwand und ebenso hohem Energieaufwand wächst hier in einem Nährstoffkreislauf Gemüse, das mit den Ausscheidungen der Fische gedüngt wird. KritikerInnen beanstanden, dass es sich dabei um keine natürlichen Kreisläufe und keine artgemäße Tierhaltung handelt. Die Betriebe kaufen Jungfische wie tierische Futtermittel zu und experimentieren damit, Fischmehl, durch Insektenmehl oder Entengrütze zu ersetzen. Vermarktet werden ihre Produkte unter griffigen Namen wie Wiener Wels oder Hauptstadtbarsch. Ausgeliefert und verkauft wird mit Lastenrädern, auf Märkten und über Aboboxen.

Wels und Avocado

Die ultralokale Produktion der Berliner Stadtfarm basiert auf Aquaterraponik und baut auf Wurmhumus.

biorama: Wie viele Welse und wie viel Gemüse gibt es denn aktuell in eurer Stadtfarm?

Markus Haastert: Wir haben ganz normalen Vollbesatz. Das sind aufs Jahr umgelegt 50 Tonnen Fisch und 35 Tonnen Gemüse. Durch die Pandemie ist unser Kerngeschäft, das zu 85 Prozent die Gastronomie war, vollständig weggebrochen. Unsere Geschäftsführerin Anne-Kathrin Kuhlemann konnte das Geschäft umdrehen – wir verkaufen derzeit fast ausschließlich an EndkundInnen. Der Hofladen wurde ausgebaut. Unsere ultralokale urbane Produktion kam sehr gut an.

Auch die ruhige Lage in einem Landschaftsschutzgebiet ist in Zeiten von Corona wohl kein Nachteil …

Dass unsere Stadtfarm von viel Natur umgeben ist und unsere Kundschaft nicht Schlange stehen musste, hat uns sicher unterstützt. Viel Gastronomie geht wohl leider gerade Pleite, aber das Bedürfnis nach frischen Lebensmitteln ist ungebrochen. Wir bieten neben Fisch nun auch Gemüseboxen im Abo an und erweitern laufend das Produktangebot. Beim Fisch fahren wir ja mit dem Afrikanischen Wels eine Ein-Fisch-Strategie, das heißt wir machen aus nur einer Fischart unzählige Produkte. Neben Filet gibt es Matjes, Fischbratwürste und Hackfischbällchen.

Die Stadtfarm macht Versuche mit dem Anbau von Avocado und Zitrusfrüchten.

Wir produzieren Bananen und Taro, Papaya und Ceylonspinat als einzelne Exoten, um zu zeigen, was möglich ist. Die tropischen Früchte gehen in die Gastronomie oder wir verarbeiten sie selbst. Unseren Stevia verarbeiten wir mit unseren Tomaten zu einem zuckerfreien Ketchup.

Züchtet die Stadtfarm ihre Welse selbst?

Dazu sind wir noch zu klein. Aber wir wachsen und haben die Verträge für Stadtfarmen in Hamburg und München unterschrieben. Und in Berlin wird es in der Rummelsburger Bucht einen zweiten Standort geben. Nachdem dort täglich 30.000 Autos vorbeifahren, wird es ein Drive-in und einen 24/7-Automaten geben – und wir setzen auf. Solarenergie und Zero Emission.

Ihr nennt euren Ansatz Aquaterraponik, also bewusst nicht Aquaponik. Warum?

Uns war wichtig, den Wasserkreislauf zu schließen – und das geht tatsächlich nicht ohne Erde, mit der wir ein Ökosystem schaffen. Die gesetzliche Definition einer Kreislaufanlage erlaubt, bis zu 20 Prozent des Wassers täglich auszutauschen, wir hingegen führen – unserer Meinung nach als einzige kommerzielle Aquaponikanlage weltweit – kein Abwasser ab. Deswegen haben wir geforscht und mit viel Ausprobieren eine Erdzusammensetzung gefunden, die ständigen Wasserdurchfluss zulässt und gleichzeitig die Nährstoffe für unsere Pflanzen zwischenspeichert. Wir haben aber noch mehr natürliche Elemente integriert, wie z. B. einen Regenwurmfilter. Die Feststoffe des Fischkots werden dort in Humus umgewandelt, die Enzyme der Würmer wieder in den Wasserkreislauf geführt. Den Humus gibt es dann künftig als Produkt. Die Zusammensetzung unserer Erde ist ein Betriebsgeheimnis, und der Begriff Aquaterraponik deswegen als Marke geschützt.

Laut EU-Bio-Verordung ist Aquaterraponik nicht biozertifizierbar. Was in der Stadtfarm wäre bereits biokompatibel und wo spießt es sich?

Die Grundproblematik ergibt sich aus der Frage, ob Fisch in einem Tank gehalten werden darf, also in einem nicht-natürlichen Behältnis. Das Futter und die Prozesse sind nicht das Problem. Wir verwenden im Augenblick kein Biofutter, weil wir eine eigene Mischung entwickelt haben. Wir haben ein vegetarisches Fischfutter entwickelt, das einen omnivoren Fisch zum Vegetarier macht – nachweislich bei gleicher Gesundheit und guter Wachstumsquote. Wir würden das Futter auf Bio umstellen, wenn die Stadtfarm insgesamt zertifiziert produzieren könnte.

Aquaponik kombiniert die Mast von Fischen in Aquakultur mit der Hydrokultur von Gemüse, Obst und Kräutern. In einem automatisierten Nährstoffkreislauf liefern die Ausscheidungen der Fische den Pflanzen Nährstoffe. Der Nährstoffinput von außen kommt über das Fischfutter. In der EU

sind Aquaponik-Anlagen nicht biozertifizerbar,

weil Pflanzen in Nährlösung statt in Erde und Fische in nicht-natürlichen Behältnissen sowie intensiv in großer Stückzahl gehalten werden.

Aquaterraponik ist ein markenrechtlich geschützter Begriff, der eine Weiterentwicklung der Aquaponik bezeichnet. Aquaterraponik (terra = Erde) baut auf einer erdähnlichen Mischung und nutzt in Teilprozessen Würmer, die Humus produzieren.

Aquaponik steht als Produktionsweise im Gegensatz zur traditionellen Teichwirtschaft, die in großteils künstlich angelegten Teichen Binnenfisch züchtet und mästet. Als nachhaltigster Teichfisch gilt als Allesfresser, der auch vegetarisch gefüttert werden kann, biologisch gehaltener Karpfen. Biokarpfen gibt es z. B. aus dem Waldviertel, aus Baden-Württemberg oder aus dem UNESCO-B iosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft.

Wels

aus Wien

Michael Berlin ist Gemüsebauer, produziert am Rande des Nationalpark Donau-Auen Fertigrasen und betreibt mit vier Co-Gründern das Wiener Aquaponik-Start-up Blün.

Michael Berlin Als Gemüsebauer im Marchfeld vor Wien führt Berlin sowohl einen konventionellen wie einen Biobetrieb. Außerdem ist er Co-Gründer des Wiener AquaponikStart-ups Blün.

biorama: Wie viele Wiener Welse schwimmen denn aktuell in euren Becken?

Michael Berlin: Kann ich gar nicht sagen. Wir produzieren pro Jahr derzeit 20 Tonnen Fisch, bauen aber gerade aus und ziehen einen zweiten Stock in unserer Halle ein, um die Kapazitäten und den Output auf 40 Tonnen zu verdoppeln. Unsere Arbeit begleitet ein Fischtierarzt, der regelmäßig vorbeischaut, das Marktamt sowieso, und anfangs war auch der wwf beratend involviert. Wir stammen ja alle aus dem Ackerbau, haben das Prinzip Aquaponik bei ecf in Berlin gesehen und wollten erst einmal wissen, welche Fische überhaupt geeignet sind. Aus ökologischer Sicht gab es nur bei zwei Arten grünes Licht: beim Afrikanischen Wels und beim Tilapia, einem Buntbarsch. Wir haben 2017 mit beiden begonnen, arbeiten mittlerweile aber nur mit dem Wels, weil der stärker nachgefragt wird. Obwohl das zanderartige Tilapia-Fleisch wirklich toll ist.

Und wie viel Gemüse kommt aus euren Glashäusern?

15 Tonnen Gemüse im Jahr – Tomaten, Gurken, Minigurken, Melanzani, Paprika und Minipaprika. Unsere GastrokundInnen weisen stolz auf den Karten aus, dass neben dem Fisch auch das Gemüse aus Wien stammt.

Züchtet Blün die Fische selbst?

Noch sind wir dafür zu klein. Aber da wollen wir hin. Derzeit stammen sie aus Sigleß aus dem Burgenland. Die Fische kommen fingernagelgroß zu uns und werden mit sieben Monaten mit mit ca. 2 bis 2,5 Kilogramm geschlachtet.

Wieviel Input braucht eure Nährstoff-Kreislaufanlage?

Für 10 Kilo Fisch brauchen wir 10 Kilo Futter und pro Kilogramm Fisch 240 Liter Wasser. Eigentlich sind wir da schon dort, wo wir sein wollen.

Stört euch, dass eure Form der Lebensmittelproduktion nicht biozertifizierbar ist?

Nein, stört uns nicht. Wir verstehen das, weil wir auf Substrat Pflanzen ziehen und Fische im Becken halten und das halt nicht mit den Biorichtlinien kompatibel ist. Derzeit. Das schadet uns geschäftlich aber nicht. Wir haben viele Führungen, zeigen das Futter, den Biofil

ter, der das Herzstück der Anlage ist. Aber wenn sich das gesetzlich ändern sollte, würden wir uns wahrscheinlich biozertifizieren lassen. Der Weg ist nicht mehr weit. Schon jetzt verwenden wir für die Jungfische Biofutter, weil es hochwertiger ist. Noch hat das Mastfutter einen Fischmehlanteil – Welse sind ja Raubfische. Aber wir begleiten gerade die Masterarbeit eines Mitarbeiters, die sich der Frage widmet, wie sich das durch Insektenmehl substituieren lässt.

Und, wie sieht es damit aus? Wann wäre das realistisch möglich?

Wir arbeiten da mit den Mehlwürmern von Livin Farms, einem anderen Start-up. Die Versuche waren sehr positiv. Der Geschmack des Fischs bleibt gleich, auch die Färbung ändert sich nicht. Als Zeitplan erachten wir 2023 oder 2024 als realistisch.

KRITI K AN AQUAPO NIK

»Im ganzheitlichen Ansatz, den Naturland für ökologische Aquakultur verfolgt, haben auch Aspekte wie Tierwohl und Naturnähe eine zentrale Bedeutung. Die ökologische Aquakultur arbeitet nicht zuletzt aus Tierwohlgründen mit reduzierten Besatzdichten, was in Kreislaufanlagen aber wirtschaftlich nicht einfach so umsetzbar wäre. Und von einem naturnahen Umfeld kann, so wie die Anlagen heute gestaltet sind, auch nicht gesprochen werden.

Schon allein, was die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung angeht, sind Kreislaufanlagen deshalb nach derzeitigem Stand nicht öko-zertifizierbar.«

Markus Fadl, Pressesprecher beim Naturland Verband

»Die Wirtschaftlichkeit von Aquaponikanlagen ist ein Problem, das der Anwendung im kommerziellen Maßstab entgegensteht. Wenn Salat oder Gemüse angebaut werden, so liegen Preis und Wertschöpfung der Produkte, die 90 Prozent der Fläche beanspruchen, typischerweise weit unter dem der Fische, die auf 10 Prozent der Fläche produziert werden.

Nur wenn sehr hochpreisige Produkte wie Gewürze erzeugt werden, wird die Aquaponikproduktion wirtschaftlich attraktiv, aber die Absatzmöglichkeit für die Gewürze limitiert die Fischproduktion. Es gibt Marktnischen für Aquaponiksysteme, wenn eine typischerweise kleine Zahl von Verbrauchern bereit ist, Preise weit über dem üblichen Marktniveau zu zahlen. Dies lässt sich aber nicht beliebig skalieren.

In Studien aus den usa und Australien wird darauf verwiesen, dass sowohl Fisch als auch Gemüse aus Aquaponikystemen bis zu 20 Prozent Preisaufschlag gegenüber konventioneller Produktion erzielen können, wenn sie als ›Bio‹ vermarktet werden. Die EU-Richtlinien zum Ökoanbau verbieten aber sowohl die Produktion von Fischen in Kreislaufanlagen als auch die Pflanzenproduktion ohne Kontakt zum natürlich gewachsenen Boden, daher scheidet diese Möglichkeit in der EU aus.«

Prof. Ulfert Focken, Aquakulturwissenschaftler am Thünen-Institut für Fischereiökologie, Bremerhaven

Zukunf t der AQUA Kultur

Anfang September 2020 erschien ein Policy Brief des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Berlin e.V.. Unter dem Titel »Nachhaltige Aquakultur in Deutschland – Chancen und Herausforderungen« wird erläutert, warum Deutschlands 2014 erstmals gefasster Nationaler Strategieplan für die Entwicklung der Aquakultur (NASTAQ) 2020 gescheitert ist. Klare Empfehlung: mehr Dialog, mehr offene Öffentlichkeitsarbeit. Verfügbar über igb-berlin.de

Buntbars und Basili

ch kum

Nicolas Leschke, ceo und Gründer von ecf Farmsystems, mästet und zieht auf dem Areal der alten Malzfabrik in Berlin-Schöneberg den Hauptstadtbarsch und das Hauptstadtbasilikum. Vermarktet wird regional. Das Know-how wird mittlerweile weltweit exportiert.

biorama: Wie viele Buntbarsche gibt es in Berlin-Schöneberg?

Nicolas Leschke: Das weiß ich gar nicht. Soll ich mal unseren Betriebsleiter fragen? (ruft nach hinten) Carsten, weißt du mal, wie viele Fische wir haben? 10.000? (kurzes Murmeln) 13.000 bis 14.000? Ja, also der Fischwirt und der Betriebsleiter haben sich darauf geeinigt, dass wir derzeit zwischen 13.000 und 14.000 Fische in unseren Becken haben.

Und wie viel Basilikumtöpfe?

Zum aktuellen Zeitpunkt? – (ruft wieder nach hinten) – Wie viel Basilikum steht denn bei uns im Haus? 32.000 Pflanzen, derzeit. Aber wir verkaufen über 400.000 Pflanzen im Jahr, momentan hauptsächlich Hauptstadtbasilikum.

Stört euch, dass eure Form der Lebensmittelproduktion nicht biozertifizierbar wäre?

Generell stört mich, dass die sehr energieeffizienten Kreislaufanlagen nicht zertifizierbar sind. Auch, dass Gemüse aus Hydroponik nicht bio sein kann, stört mich – weil es dem Paprika Schnuppe ist, ob er auf Substrat oder in Erde wächst. Aber unsere Erfahrung sagt uns, dass wir auch ohne Zertifizierung alles sehr erfolgreich verkaufen, teilweise zu einem höheren Preis als ein vergleichbares Bioprodukt, das direkt daneben steht. Wir haben also keinen Nachteil daraus, dass wir nicht bio sein können, aber insgesamt macht das keinen Sinn, denke ich. Wir verwenden auch immer wieder mal Biofutter. Derzeit gerade nicht, weil wir experimentieren und das tierische Protein im Futter durch selbst gezogene Teichlinsen ersetzen wollen.

Wie öko ist denn eure Logistik?

Bei den Mengen, die wir produzieren – da brauchen wir uns nichts vormachen –, da fährt uns drei Mal die Woche der lkw an und führt das ins Zentrallager der Rewe. Sonst gibt es natürlich den Vor-Ort-Verkauf direkt bei uns, da kommen die allermeisten mit dem Rad vorbei.

Gibt es neben Rewe noch andere Vertriebspartner?

Der Hauptstadtbarsch geht auch an Edeka, Metro und an Restaurants, die ihn direkt holen – alle in Berlin und direkt drumherum.

Sie vermarkten lokal, exportieren aber Ihr Know-how. Wieviele Aquaponikanlagen haben Sie denn bereits begleitet?

Wir sind gerade beim sechsten, siebten Projekt in der Umsetzung. Wir haben aber weit über 40, vielleicht 50 Projekte bewertet. Es wird ja nicht aus jeder Planung ein Projekt.

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