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STADT ISST IHR GEMÜSE
In Haus- und Schrebergärten, auf Flächdächern, aufgelassenen Friedhöfen und Parkplätzen könnte in Berlin Gemüse angebaut werden. Stadtklimaforscher Diego Rybski erklärt, was dafür nötig wäre.
Thomas Weber
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Diego Rybski
Der Physiker arbeitet seit 2009 am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Bereich Stadt und Klimawandel und kooperiert mit dem Complexity Science Hub Vienna.
Selbstversorgung mit Gemüse. Die Studie
»A large share of Berlin’s vegetable consumption can be produced within the city«, in: Sustainable Cites and Society, 29. Dezember 2022, von Marion De Simone, Diego Rybski u. a.
BIORAMA: Sie haben ermittelt, dass 82 Prozent des Gemüsebedarfs der BerlinerInnen im Stadtgebiet angebaut werden könnte – wohl mit Betonung auf »könnte«. Erachten Sie das Ergebnis ihrer Studie eher als Gedankenexperiment oder als realistisches Szenario?
DIEGO RYBSKI: Schon eher als Gedankenexperiment. Insofern als wir hauptsächlich die in Frage kommenden Flächen untersucht haben. Den größten Anteil, die Hälfte daran, haben Flächen in Wohngebieten, also Innenhöfe oder Gärten von Ein- und Zweifamilienhäusern. Schrebergärten tragen gut ein Drittel bei. Außerdem haben wir mittels dreidimensionaler Gebäudeinformation ermittelt, welche Flachdächer zur Gemüseproduktion geeignet wären. Alles in allem sind wir auf mehr als 4000 Hektar gekommen. Um ein Gedankenexperiment handelt es sich auch, weil sich natürlich die Frage stellt: Wer soll das denn bewirtschaften? Da müsste man politisch Anreize bieten. Für die urbane Gemüseproduktion deutlich auszubauen, bräuchte es wohl auch kommerzielle Modelle. Ich propagiere deshalb ähnlich wie ein Biosiegel ein Siegel für lokale Produktion, wo sich KäuferInnen drauf verlassen können, dass ein Produkt wirklich in Berlin oder Wien produziert wurde. Mit einem solchen Siegel steigt auch die Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen.
So wie das von der Wiener Landwirtschaftskammer gegründete Label Stadternte?
Das war mir zwar nicht bekannt, aber ja. Gedanklich weitergesponnen, bräuchte es, wenn man den Anteil der Produktion in der Stadt erhöhen wollte, wohl eine vertragliche Einigung mit GartenbesitzerInnen oder Dachflächen - eignern, dass ein gewisser Teil bewirtschaftet wird. Derzeit haben bei Mehrparteienhäusern oft ja nicht einmal die BewohnerInnen Zugang zum Dach. Urbane Landwirtschaft brächte jedenfalls auch alle Vorteile, die mit Stadtgrün einhergehen, etwa die Verminderung des Hitzeinseleffekts.
Wann rechnen Sie damit, dass – wie von Ihrer Studie angenommen – auch Parkplätze vor Supermärkten entsiegelt und anders genutzt werden können?
Dabei handelt es sich ja zunächst nur um 2 Prozent der von uns ermittelten Fläche. Und durch die neue Berliner Regierung hat sich wieder einiges relativiert. Doch zumindest im
»Derzeit bewegt sich Urban Farming eher auf EnthusiastInnenniveau.«
Diego Rybski, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Innenstadtbereich bleibt die Entwicklung zu weniger Autos, womit sich auch der Parkplatzbedarf reduziert. Die zu bewirtschaftende Fläche dafür müsste aber nicht unbedingt entsiegelt sein, sondern einfache Hochbeete auf ein paar Parkplätzen weniger können ertragreich sein, sofern systematisch bewirtschaftet. Aber es gibt dasselbe Problem: Irgendwer muss das machen. Derzeit bewegt sich Urban Farming eher auf EnthusiastInnenniveau. Ich schätze das Engagement sehr – und bin selbst Stadtgärtner –, aber zusätzliche Formate sind nötig, um städtische Landwirtschaft auszuweiten.