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Wölfe
DIE MIT DEN WÖLFEN KÄMPFEN Wie Wölfe Schafe reißen und wie sich Schäfer gegen das Risiko abzusichern versuchen: ein Lokalaugenschein in Niedersachsen, wo sich seit fünf Jahren ein Wolfsrudel nach dem anderen ansiedelt. Text: Martin Kugler
Rückkehrer
THEO GRÜNTJENS
Nach mehr als 100 Jahren, in denen der Wolf in weiten Teilen Europas ausgerottet war, kehrt er nun sukzessive wieder zurück.
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Wölfe
A
Deutschland
THEO GRÜNTJENS
Schon seit dem Jahr 2000 siedeln sich in Deutschland Wölfe wieder an. Ausgehend von der Lausitz im deutsch-polnischen Grenzgebiet, breiten sich die Beutegreifer derzeit in Richtung Nordwesten aus.
Österreich
BMLVS
Am Truppenübungsplatz Allentsteig gab es erstmals seit mehr als 100 Jahren wieder Wolfsnachwuchs – im Bild zwei der sechs Jungwölfe aus dem heurigen Wurf.
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ufgeschreckt durch einen Krähenschwarm, der schon in aller Herrgottsfrüh auf der Wiese hinter dem Hof aufgeregt gekrächzt hatte, hielt der Bauer Nachschau. Was er an diesem regnerischen Mittwoch Mitte Juli auf der niedergetrampelten Wiese fand, war kein schöner Anblick: Dort lag eines seiner Schafe auf der Seite, das Fell an der Kehle blutverschmiert, der Bauch war aufgebrochen, der Pansensack hing heraus. Offenbar hatte sich in der Nacht ein Wolf Zutritt zu der eingezäunten Weide verschafft und sich an einer der Grauen Gehörnten Heideschnucken vergriffen – sie aber dann nicht gefressen, vielleicht weil das Raubtier durch ein vorbeifahrendes Auto gestört wurde. Die Krähen hingegen hatten sich sofort darangemacht, vom aufgebrochenen Körper zu naschen. Der Bauer rief den örtlich zuständigen Wolfsberater Theo Grüntjens, um den Schaden zu protokollieren – das ist eine Voraussetzung für eine Entschädigung durch die öffentliche Hand. Das Wichtigste dabei ist das Sammeln von DNA-Proben – denn nur der genetische Nachweis liefert absolute Gewissheit, dass ein Wolf der Übeltäter war. Als Faustregel gilt in Deutschland, dass jeder vierte Schafsriss, für den Wölfe verantwortlich gemacht werden, in Wirklichkeit von Hunden stammt. Gesucht werden vor allem Speichelspuren an den Bissstellen – also an der Kehle und beim Aufbruch des Bauches. Dort wurden mit sterilen Wattestäbchen Proben genommen. Danach begann Grüntjens, das Fell am Hals abzuscheren, um die Bissspuren genauer sehen zu können: Zum Vorschein kamen tiefe Wunden. Zumindest dreimal hat der Beutegreifer zugebissen, bis das Schaf erlegt war. Bei einer der Bissspuren konnte ein Zahnabstand von 4,5 Zentimetern gemessen werden – ein Wert, der typisch für einen Wolf ist. „Der Wolf tötet, um zu überleben“, erläutert Grüntjens. Der Biss ist so kräftig, dass sogar Knochen splittern. Ein Hund hingegen wolle das Beutetier in erster Linie festhalten.
DNA-Proben als Nachweis Vieles deute auf einen Wolf hin, aber endgültige Klarheit werde erst der Laborbefund bringen, betont der erfahrene Experte. Sein Verdacht wurde freilich noch erhärtet, als Grüntjens die (intakte) Umzäunung der Weide inspizierte und auf den angrenzenden Feldern deutliche Trittspuren eines oder mehrere Wölfe fand. Das ist
allerdings nicht weiter verwunderlich: Der Bauernhof liegt im Herzen der Lüneburger Heide – einer Gegend, in die 2012 der Wolf zurückgekehrt ist. Insgesamt zwölf Wolfsrudel sind zur Zeit in Niedersachsen nachgewiesen; der Hof befindet sich in einem Gebiet, wo sich die Reviere von zwei Wolfsrudeln überschneiden. Wie fast überall in Europa wurde der Wolf auch in Niedersachsen im 19. Jahrhundert ausgerottet. Doch ausgehend von den Populationen, die sich Anfang der 2000er-Jahre in der Lausitz an der deutsch-polnischen Grenze niedergelassen haben, weitet sich das Verbreitungsgebiet nun sukzessive in Richtung Nordwesten aus. Die Ausbreitung ist noch nicht abgeschlossen. In einigen weiteren Regionen „tut sich etwas“, erläutert Peter Schütte. Der Wolfsberater war heuer im Sommer wissenschaftlicher Leiter eines von der gemeinnützigen Naturschutzorganisation „Biosphere Expeditions“ organisierten Projekts, in dem in jenen Gebieten, wo es Hinweise auf neue Wolfsvorkommen gibt, für das offizielle staatliche Monitoring systematisch nach Wolfsspuren gesucht wurde. Wölfe zu Gesicht bekommen haben die aus aller Welt angereisten Expeditionsteilnehmer nicht – das war auch nicht Ziel der Studie. Die Tiere sind zum einen ziemlich scheu und zum anderen viel zu schlau, um sich so einfach entdecken zu lassen. Was man in Wolfsgebieten aber auf jeden Fall findet, sind Anzeichen ihrer Anwesenheit: zum einen Trittspuren (die denen von großen Hunden sehr ähneln), zum anderen die Losung, mit der die Wölfe ihre Reviere markieren. Für das Monitoring sind vor allem die „Wolfst rümmerl“ sehr interessant: Anhand der in den Exkrementen enthaltenen Haare, Zähne, Knochen- und Hufreste kann man exakt bestimmen, was die Wölfe fressen (nämlich v. a. Rot-, Reh- und Schwarzwild). Überdies findet sich in der anhaftenden Darmschleimhaut DNA, aus der sich im Idealfall die Identität des Tieres und die Verwandtschaftsbeziehungen ermitteln lassen. Auf Basis solcher Analysen weiß man z. B., dass alle Wölfe in Niedersachsen von der Lausitzer Population abstammen, die wiederum mit den polnischen Flachlandwölfen zusammenhängt. Regelmäßig durchgeführte DNA-Untersuchungen geben auch Hinweise, ob Wölfe ihre Reviere verlagern oder ob Jungtiere vielleicht gerade ein neues Rudel in einer bisher wolfsfreien Zone gründen. Dieses Monitoring ist entscheidend für alle Maßnahmen zum Wolfsmanagement.
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Wölfe
Tiefe Bisse
Wölfe packen ihre Beutetiere an der Kehle und wollen sie möglichst mit einem Biss töten. In diesem Fall waren zumindest drei Versuche nötig, wie man nach dem Scheren des Halses sehen konnte.
Verschreckt
Die restliche Schafherde war noch Stunden nach dem Wolfsangriff völlig verstört. Wie sich später herausstellte, waren zwei weitere Tiere verletzt.
Spurensuche
KUGLER (5)
Wolfsberater Theo Grüntjens fand außerhalb des Grundstücks viele Spuren: Der Wolf war offenbar einige Zeit an der Einfriedung entlanggelaufen, wahrscheinlich um den günstigsten Einstieg zu finden.
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Wölfe
Schutz durch Zäune
Steckbrief Wolf
C
anis lupus war einst das am weitesten verbreitete
reich befindet sich am Schnittpunkt der drei Populationen
Mensch Wölfe füttern! Dadurch würden die Tiere ihre
Säugetier weltweit: Der Wolf besiedelte die gesamte
in den Karpaten, den Dinariden (Balkan) und den Alpen:
Scheu verlieren – und man würde dadurch einen sogenann-
Nordhalbkugel plus einige Gebiete südlich des Äqua-
Seit einigen Jahren durchstreiften regelmäßig Einzeltiere
ten „Problemwolf“ erzeugen, der mit ziemlicher Sicherheit
tors. Der Eurasische Wolf (Canis lupus lupus; auch Europäi-
das Bundesgebiet, 2016 bildete sich am Truppenübungsplatz
irgendwann entfernt (sprich: abgeschossen) werden muss.
scher Wolf oder Grauwolf genannt) ist eine mittelgroße
Allentsteig das erste Rudel (2016: vier Nachkommen, 2017:
Unterart, Weibchen sind etwas kleiner und leichter als
sechs Nachkommen). Heuer gab es auch in Bayern erstmals
Wolfsmanagement
Männchen. Ein ausgewachsener Rüde hat eine Schulterhöhe
seit mehr als 100 Jahren wieder Wolfsnachwuchs.
Um zum einen den Schutz des Wolfes und zum anderen ein
zwischen 70 bis 90 cm, eine Körperlänge von durchschnitt-
möglichst konfliktfreies Zusammeneben von Mensch und
lich 140 cm und ein Gewischt von 43 bis 46 Kilogramm.
Rudel und Revier
Im 19. Jahrhundert war der Wolf größtenteils ausgerottet,
Ein Wolfsrudel besteht aus zwei Elterntieren sowie den
vorkommen Managementpläne ausgearbeitet. In Österreich
seit ungefähr 40 Jahren breitet er sich nun wieder aus (vor
Nachkommen aus zwei Jahren – wobei die Jährlinge als Art
gibt es seit dem Jahr 2012 das Dokument „Wolfsmanage-
allem durch das Verbot der Bejagung und weil es reichlich
„Babysitter“ fungieren. Im Alter von rund eineinhalb Jah-
ment in Österreich. Grundlagen und Empfehlungen“, das ge-
Wildtiere als Futter gibt).
ren verlassen die Jungtiere das Rudel und gehen auf Wan-
meinsam von den Bundesländern, dem Umweltministerium,
derschaft – manche gründen dann ein neues Rudel. Die im
der Jägerschaft, Naturschützern (WWF) und weiteren Part-
Schnitt fünf bis zehn Wölfe eines Rudels benötigen ein Re-
nern (etwa Universitäten oder Bundesforste) ausgearbeitet
In freier Wildbahn werden Wölfe bis zu 13 Jahre alt. Aller-
vier in der Größe zwischen 100 und 1500 Quadratkilometer.
wurde. Diese Strategie definiert Eckpfeiler eines Wolfsma-
dings stirbt kaum ein freilebender Wolf an Altersschwäche.
Je geringer das Nahrungsangebot ist, umso größer muss das
nagements – von Monitoring über Schadensprävention und
Viele Welpen sterben noch im ersten Lebensjahr; Verletzun-
Revier sein; in Mitteleuropa mit seinen hohen Beständen
-kompensation bis hin zum Umgang mit sogenannten „Pro-
gen bei der Jagd oder bei Revierkämpfen sind nicht selten,
an Rehen, Hirschen und Wildschweinen hat ein Wolfsrevier
blemwölfen“ (die die Scheu vor dem Menschen verloren ha-
ebenso Infektionskrankheiten. Nicht zu vernachlässigen
typischerweise rund 250 Quadratkilometer. Ziemlich um-
ben, wiederholt Nutztiere reißen oder sich sogar dem Men-
sind überdies Verkehrsunfälle sowie illegale Abschüsse
stritten ist, für wie viele Wolfsrudel in Mitteleuropa „Platz“
schen gegenüber aufdringlich oder aggressiv verhalten). In
durch Jäger. Laut offiziellen Zahlen wurden in Deutschland
wäre. Eine deutsche Studie kam auf eine Bandbreite zwi-
Niederösterreich, wo aktuell elf Wölfe (plus einige Durch-
(bei einer Wolfspopulation von aktuell rund 400 Wölfen)
schen 154 und 1769 Rudel; für die Schweiz wurde eine Zahl
zügler) leben, wird derzeit an einem Plan für die konkrete
fast 100 Tiere von Autos oder Zügen überfahren und zumin-
von 17 Rudeln geschätzt, für die Niederlande (wo es noch
Umsetzung gearbeitet.
dest 18 illegal getötet. In Gefangenschaft können Wölfe bis
keine Wölfe gibt) 16. Für Österreich liegen derzeit keine
Download: http://tinyurl.com/wolfsmanagement
zu 16 Jahre alt werden.
publizierten Analysen möglicher Lebensräume vor.
Populationen in Europa
Futter
In Europa gibt es zehn unterschiedliche, voneinander ge-
Wölfe sind im Grunde Allesfresser, hauptsächlich ernähren
scheu und gehen dem Menschen aus dem Weg. Falls es aber
trennte Wolfspopulationen. Im Norden die skandinavische,
sie sich aber von Rehen, Rothirschen und Wildschweinen.
doch dazu kommen sollte, dann gilt wie bei allen Wildtieren:
karelische und baltische Population, im Osten die Karpaten-
Ergänzt werden diese „Grundnahrungsmittel“, die 90 Prozent
respektvoll Abstand halten. Man sollte keinesfalls davonlau-
und Dinaridenpopulation, im Zentrum die zentraleuropäi-
der Beute ausmachen, durch Hasen, Damwild oder Mufflons,
fen (das würde den Jagdtrieb auslösen), sondern sich lang-
sche Flachlandpopulation (Polen und Deutschland). In Itali-
aber auch durch Beeren. Nutztiere des Menschen – Schafe,
sam mit Blickrichtung auf den Wolf zurückziehen. Wenn ei-
en gibt es gleich zwei Populationen: eine im Apennin und
Ziegen und (selten) Kälber – machen laut der Analyse von
nem der Wolf wider Erwarten folgt – was bei jungen, neugie-
eine in den Alpen (die sich auch nach Frankreich und in die
fast 3500 Losungen in Deutschland zwischen 2001 und 2015
rigen Tieren vorkommen kann –, sollte man lärmen und sich
Schweiz erstreckt). Auch in Spanien gibt es zwei getrennte
weniger als zwei Prozent der Nahrung aus. Ein aktiver, frei-
groß machen (etwa durch Schwenken von Armen oder Klei-
Vorkommen: eine größere Population im Nordwesten und
lebender Wolf benötigt drei bis vier Kilo tierische Biomasse
dungsstücken), um das Tier einzuschüchtern. Schlimmsten-
eine kleine in der Sierra Morena. Insgesamt dürften derzeit
pro Tag. Der Mensch fällt definitiv nicht in das natürliche
falls hilft angeblich auch, den Wolf mit Gegenständen zu be-
in Europa (ohne Russland) rund 20.000 Wölfe leben. Öster-
Beuteschema des Wolfes. Unter keinen Umständen darf der
werfen. Einen Hund sollte man nicht von der Leine lassen.
Lebenserwartung
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Wolf zu gewährleisten, wurden in allen Ländern mit Wolfs-
Was tun, wenn man einem Wolf begegnet? Die Wahrscheinlichkeit ist extrem niedrig, denn Wölfe sind
Was dem niedersächsischen Bauern an diesem Mittwoch Mitte Juli widerfahren ist, ist der Albtraum jedes Schaf- und Ziegenzüchters: dass seine Tiere einem Wolf zum Opfer fallen. Allerdings sind die Landwirte dieser Gefahr nicht schutzlos ausgeliefert: Es gibt sehr wohl Möglichkeiten, das Risiko zu vermindern. Als einfachste und wichtigste Art des Herdenschutzes gilt das Einzäunen. Wölfe können zwar spielend leicht z. B. über Gräben hüpfen, aber sie überspringen nur sehr ungern senkrechte Hindernisse, erläutert Jana Sprenger, Mitarbeiterin des Wolfsbüros Niedersachsen. Herkömmliche Zäune müssen zumindest 1,20 Meter hoch und außerdem gut gegen Unterwühlen geschützt sein – denn anstatt über Hindernisse zu springen, wollen Wölfe sich eher unten durchgraben. Dagegen hilft es, den Zaun 30 Zentimeter tief einzugraben oder außerhalb des Zauns ein Drahtgeflecht am Boden zu verlegen, so Sprenger. Noch besser gegen unerwünschten Wolfsbesuch hilft ein Elektrozaun, der zumindest 90 Zentimeter hoch sein muss. Entscheidend dabei ist, dass dieser genau der Geländeoberfläche folgt, dass er stets stromführend ist und dass auch an seinen untersten Drähten kein Kurzschluss zum Boden entsteht (dazu muss das Gras gemäht und gemulcht werden). Ergänzt werden Elektrozäune manchmal noch mit sogenannten „Flatterbändern“ oberhalb des Zauns, die die Anlage gut sichtbar machen. Dadurch kann z. B. verhindert werden, dass Wildschweine den Zaun niederrennen, weil sie ihn zu spät sehen.
Hunde in der Herde Die zweite wichtige Methode zum Schutz von Schafen, Ziegen & Co vor Beutegreifern sind Herdenschutzhunde. Das sind bestimmte Hunderassen, die seit Jahrtausenden dafür gezüchtet werden, im Herdenverband zu leben und sich für die Herde verantwortlich zu fühlen. Bei Annäherung eines Wolfes, Luchses oder Bären schlagen sie sofort Alarm – und wenn das Verbellen allein nichts nutzt, dann scheuen sie auch vor einem Angriff auf die Wölfe nicht zurück. „Meistens reicht schon allein die Drohung, damit sich der Wolf zurückzieht“, erklärt Holger Benning. Der Schäfer ist in der Lüneburger Heide mit fünf Schafherden unterwegs, die im Rahmen von Vertragsnaturschutz dafür sorgen, dass die Heidelandschaft (die ursprünglich bewaldet war) nicht wieder verbuscht. Wölfe sind sehr vorsichtige
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Wölfe
Wo Wölfe leben Wolfs-Infos im internet www.dbb-wolf.de www.wolf-sachsen.de http://wolfsmonitor.de https://chwolf.org www.herdenschutz.at www.wwf.at/de/wolf_ fakten
Zum Weiterlesen
Günther Bloch, Elli H. Radinger Der Wolf kehrt zurück. Mensch und Wolf in Koexistenz? Kosmos Verlag ISBN 978-3-440-15404-5 144 Seiten 20,60 Euro
Übergang
Zehn Populationen
FIWI/VETMED-UNI
Österreich liegt im Übergangsbereich von drei europäischen Wolfspopulationen. Die gefundenen Spuren deuten darauf hin, dass immer wieder Raubtiere aller drei Gruppen durch Österreich ziehen.
2016 CHWOLF
Aktuell sind in Europa zehn deutlich voneinander unterscheidbare Wolfspopulationen nachgewiesen.
Falsche Wolfs-Mythen „Der Wolf braucht Wald und Wildnis.“
„Wölfe wurden bewusst ausgesetzt.“
„Wölfe rotten Wildtiere aus.“
„Wölfe steigern sich in einen Blutrausch hinein.“
In keiner Region, in der sich Wölfe in den ver-
Es kommt vor, dass Wölfe mehrere Schafe töten und kein einziges davon
Wölfe benötigen keine unberührten
„In einem Wolfsrudel kämpfen alle Männchen darum, der Alpha-Wolf zu werden.“
In Europa wurden und werden keine
gangenen Jahrzehnten wiederangesiedelt ha-
fressen. In Deutschland gab es einen Fall, bei dem sogar 27 Schafe in ei-
Naturlandschaften, sondern finden
In freier Wildbahn ist ein Wolfsrudel
Wölfe ausgesetzt. Alle Wölfe, die sich
ben, sind die Populationen von Wildtieren dau-
ner Nacht getötet wurden. Biologen erklären das damit, dass der Jagd-
sich auch in völlig von Menschen um-
in den allermeisten Fällen eine Klein-
neu ansiedeln, kommen auf natürli-
erhaft zurückgegangen. In der Lausitz (im Sü-
instinkt im natürlichen Ablauf – schauen, annähern, jagen, töten, essen –
geformten Landschaften zurecht. Sie
familie: Vater, Mutter, der aktuelle
chem Wege – sie breiten sich aus, wenn
den Brandenburgs und Osten Sachsens) blieben
steckenbleibt. Ausgelöst wird diese Störung ironischerweise von den
sind keine ausgeprägten Waldtiere,
Wurf und die Jungen aus dem Vorjahr.
die Lebensbedingungen passend sind.
die Reh- und Rotwildpopulationen seit dem
Beutetieren selbst: Da die Schafe sich nicht wehren, aber auch nicht so-
sondern können überall dort leben, wo
Fast immer ist der Vater der Chef des
In Nordamerika ist das anders: Dort
Wiederauftreten des Wolfes im Jahr 2000 sta-
fort weit weg fliehen, sondern in der Nähe in ständiger Bewegung bleiben,
es ausreichend Beutetiere und einen
Rudels. Ein Gerangel um die Rolle als
wurden z. B. Mitte der 1990er-Jahre im
bil, die Wildschweine vermehrten sich – wie an-
wird der Jagdtrieb des Wolfes sofort nach dem Töten erneut ausgelöst.
Rückzugsraum für die Jungenauf-
„Alpha-Wolf“, der sich fortpflanzen
Yellowstone-Nationalpark einige kom-
derswo – auch in den Wolfsrevieren stark. Die
Ein zusätzlicher Faktor kann eine zu enge Koppelung sein, sodass die
zucht gibt. Wölfe meiden zwar den
darf, gibt es bei wildlebenden Rudeln
plette Rudel von in Kanada gefangenen
Wildtiere verändern aber bei Anwesenheit von
Schafe nicht ausweichen können. Wildtiere, die sich in der Evolution an
Menschen, aber nutzen sehr gerne die
nicht – ebensowenig einen „Omega-
Wölfen künstlich angesiedelt. In Gehe-
großen Beutegreifern ihr Verhalten. Im Be-
Räuber anpassen konnten, wissen sich hingegen zu wehren: Hirsche oder
menschliche Infrastruktur: Auf ihren
Wolf“, der als „Fußabstreifer“ für alle
gen gezüchtete Wölfe wurden bei der
stand gefährdet sind hingegen Mufflons: Diese
Wildschweine treten dem Angreifer selbstbewusst entgegen. Keine Chan-
bis zu 70 Kilometer langen, meist
anderen fungiert. Solche umkämpften
Wiederansiedlung des vom Aussterben
Wildschafe wurden bei uns vor gut 100 Jahren
ce haben einzig Mufflons: Die Abwehrreaktion der Wildschafe ist es, auf
nächtlichen Wegen traben sie sehr
Hierarchien werden in Gehegen beob-
bedrohten Rotwolfes im Südosten der
als Jagdziele ausgesetzt, sie sind an das Flach-
Felsen zu klettern und mit den Hufen nach unten zu treten. Das funktio-
gerne auf Wegen, Straßen oder
achtet, wo auch nicht miteinander ver-
USA und beim Mexikanischen Wolf in
land nicht angepasst und wissen sich gegen
niert in ihren Herkunftsgebieten Sardinien und Korsika wunderbar; im
Bahntrassen.
wandte Wölfe zusammengesperrt sind.
New Mexico und Arizona freigelassen.
Raubtiere nicht zu verteidigen.
Flachland ohne Steinwände ist die Methode aber untauglich.
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Wölfe
Spurensuche
In Wolfsgebieten findet man immer wieder Trittspuren – die aber von Hundespuren oft nur sehr schwer unterscheidbar sind. Viel eindeutiger ist die Losung, die meist auf Wegen oder Kreuzungen abgelegt wird: In den „Wolfstümmerln“ findet man Haare, Knochen, Zähne und Klauen der Beutetiere. Im Idealfall kann man auch DNA-Proben nehmen.
Malika Fettak und Peter Schütte (hinter einem Pappendeckelwolf) leiteten das Projekt der Naturschutzorganisation „Biosphere Expeditions“, bei der interessierte Laien für das offizielle staatliche Wolfsmonitoring in Niedersachsen nach Spuren von Wölfen suchten.
KUGLER (5)
PETER SCHÜTTE
Citizen Science
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Wölfe
Tiere, erklärt er: Sie wägen genau ab, ob sich ein Angriff lohnt oder ob das Risiko zu groß ist, bei der Attacke selbst verletzt zu werden. Eine Verletzung bedeutet in freier Wildbahn so gut wie immer den Tod. Daher gehen sie vermeidbaren Kämpfen aus dem Weg. Wenn Herdenschutzhunde anwesend sind, sind Schafe und Ziegen jedenfalls keine leichte Beute mehr. Als Begleiter seiner Herden hat Benning derzeit 17 Herdenschutzhunde im Einsatz – und weitere sind in Ausbildung. Er verwendet türkische Kangals, andere Schäfer setzen auf italienische Maremmano Abruzzese, wieder andere auf französische Montagne des Pyrénées oder auf ungarische Kuvasz. „Jede Hunderasse arbeitet etwas anders“, erklärt der Schäfer. Die Kangals sind recht faule Hunde, die bei Gefahr aber sofort aktiv werden, die Schafe in der Mitte der Weide zusammentreiben und gegen den oder die Angreifer vorgehen. Pyrenäen-Hunde sind hingegen ständig unterwegs. Weltweit gibt es mehrere Dutzend einschlägige Hunderassen, die Tradition ist überall dort aufrecht, wo der Wolf niemals ausgerottet wurde, sondern stets Teil der Landschaft und Landwirtschaft war. In Gebieten hingegen, in die der Wolf wieder neu zuzieht, muss man sich dieses alte Wissen wieder aneignen.
Gemischte Familie
Herdenschutzhunde wachsen in einer Herde von Schafen oder Ziegen auf, sie betrachten diese Tiere dann zeit ihres Lebens als ihre Familie und verteidigen diese.
„Artgenossen“
Die Sozialisierung mit den Nutztieren geht so weit, dass die Hunde Schafe und Ziegen ablecken – so wie sie es mit ihresgleichen machen.
Tradition muss neu gelernt werden So ist zum Beispiel weithin in Vergessenheit geraten, dass Herdenschutzhunde eine völlig andere Aufgabe als Hütehunde haben: Während Letztere auf Befehl des Schäfers die Herde zusammenhalten, arbeiten Herdenschutzhunde selbstständig. Ihr angeborener Instinkt sagt ihnen, was zu tun ist. Die Welpen kommen im Alter von ungefähr zwei Wochen in eine Nutztierherde, bei der sich bereits ein oder mehrere erfahrene Herdenschutzhunde befinden. In der ersten Zeit werden die Welpen mit den Schafen und Ziegen sozialisiert – die Hunde betrachten die Huftiere dann zeit ihres Lebens als ihre Familie. Die Identifizierung mit der an sich fremden Art geht so weit, dass die Schafe von den Hunden freundschaftlich abgeleckt werden. Alles Weitere, was sie über ihre Aufgabe als Herdenschutzhunde „wissen“ müssen, lernen sie von den erfahrenen Hunden – und auch von den Schafen, die sich z. B. zu ungestümes Herumtollen nicht gefallen lassen. Der Schäfer selbst greift nur wenig in die Hundeerziehung, die zwei bis drei Jahre lang dauert, ein. „Meine Hauptaufgabe ist es, den Welpen beizubringen, was sie nicht
tun dürfen“, sagt Benning. So darf ein Herdenschutzhund z. B. niemals den Zaun überspringen und die Herde alleine lassen. Weiters darf er gegenüber Menschen nicht aggressiv auftreten – dass man hingegen als Passant verbellt wird, ist normal. Überdies werden auch den Herdenschutzhunden grundlegende Kommandos wie „Nein“ oder „Stop“ beigebracht. Das ist z. B. bei der Verlagerung einer Herde hilfreich. Ansonsten leben die Herdenschutzhunde größtenteils bei „ihren“ Schafen und Ziegen – auch im Winter verbringen sie ihre Zeit lieber im Stall als in der warmen Stube des Schäfers, erzählt Benning. Für einen ausgebildeten Herdenschutzhund werden bis zu mehrere tausend Euro bezahlt. Apropos Geld: In Niedersachsen werden 80 Prozent der Investitionen in den präventiven Herdenschutz von der öffentlichen Hand gefördert.
Versuche auch in Österreich
Herdenschutz
KUGLER (4)
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Der Schäfer Holger Benning besitzt fünf Schaf- und Ziegenherden, mit denen er in der Lüneburger Heide herumzieht. Zu deren Schutz hält er aktuell 17 Kangals als Herdenschutzhunde.
Diese beiden Arten des Herdenschutzes – das Einzäunen und der Einsatz von Herdenschutzhunden – werden seit einigen Jahren auch in Österreich getestet. Und zwar im alpinen Raum, wo völlig andere Rahmenbedingungen herrschen als im Flachland. Im Jahr 2012 wurde die Modellregion „Alpine Zäunung Salzburg“ ins Leben gerufen, wo eine 65 Hektar große Schafalm mit zwei verschiedenen Arten von elektrischen Zäunen umgeben wurde. Ein erstes Fazit der Nationalen Beratungsstelle Herdenschutz nach vier Jahren lautet, dass Herdenschutz mit Zäunen für kleinere und mittlere Herden auch auf der Alm gut anwendbar sei, sofern das Gelände dafür geeignet ist. Materialkosten und Arbeitszeit für die erste Errichtung seien enorm und müssten von der öffentlichen Hand getragen werden; in den Folgejahren sei der Aufwand aber dem Almbetreiber zumutbar, heißt es. Nicht ganz so reibungslos verläuft das zweite Herdenschutzprojekt: Bei der 2014 gestarteten Modellregion „Herdenschutzhunde Osttirol“ musste einiges an Lehrgeld bezahlt werden. Im Dorfertal, nahe von Kals in Osttirol, wird die 1600 Hektar große Ochsenalm im Sommer mit Hirten und Herdenschutzhunden beweidet. Die Probleme begannen damit, dass die 1200 Schafe lange brauchten, um sich an die Anwesenheit der aus Italien zugekauften Herdenschutzhunde zu gewöhnen. Die Hunde selbst waren nicht allzu erfahren, sodass im zweiten Jahr zwei der vier Hunde erst gar nicht eingesetzt werden konnten. Um Zwischenfälle mit Wanderern vorzubeugen
(im ersten Jahr wurde eine Wanderin unter ungeklärten Umständen gebissen), wurden Informationstafeln aufgestellt – dennoch mussten die beiden Hunde abends oft mit zur Hütte der Schäfer genommen werden. Die Integration der Hunde in die Herde war daher nicht ideal. Doch sowohl der Mensch als auch die Tiere lernen dazu: Im Vorjahr klappte die Eingliederung der Hunde in die Schafherde viel besser. Dafür gab es ein Problem mit den Schäfern, die die Alm samt den Hunden zwischenzeitlich verlassen mussten. Nach dem Wiederaufstieg hatte sich die große Herde zerstreut, sodass kein wirksamer Herdenschutz mehr möglich war. Für die heurige Almsaison wurden daraus einige Lehren gezogen – man wird sehen, wie sich die Osttiroler Herdenschutzhunde heuer schlagen.
Esel, Lamas & Co Dass Aufgeben keine Option ist, zeigt das Beispiel Schweiz: Auch dort war die Tradition des Herdenschutzes komplett abgerissen. Doch nach mittlerweile 20 Jahren Erfahrung gibt es nun wieder rund 250 Herdenschutzhunde, die die Schäden durch die drei ansässigen Wolfsrudel möglichst gering halten. Apropos: In der Schweiz experimentiert man auch mit Eseln und Lamas, die sich ebenfalls gut in eine Schafherde einfügen und bei Bedrohung einen Mordskrach schlagen bzw. die Feinde gezielt mit Speichel und heraufgewürgten Mageninhalt bespucken. Beweise, dass sie wirklich Wölfe abwehren können, fehlen allerdings bislang. Gleiches gilt für andere Schutzmethoden wie einen Lappenzaun („Fladdry“) – aufgehängte Stoffbänder, die im Wind schaukeln –, sensorgesteuerte Lärmquellen und LED-Leuchten („Foxlights“) oder einen Bio-Duftzaun – ein Spray, der eine hohe Konzentration von Wolfsurin enthält. Die deutsche Erfahrung lehrt, dass die Kombination aus Elektrozaun und Herdenschutzhunden den besten verfügbaren Schutz von Schafen und Ziegen gegen Wölfe bieten. Auch absolut gesehen hält sich der Schaden durch Wölfe in Grenzen. In der Schweiz zum Beispiel fallen dem Wolf pro Jahr 200 bis 250 Nutztiere zum Opfer. Weit mehr Tiere, nämlich 4000 bis 6000, sterben durch Absturz, Krankheit, Erfrieren oder Blitzschlag. 100-prozentig verhindert werden kann Schaden durch den Wolf nicht – aber wie Wolfsberater Grüntjens betont, bleiben Wolfsrisse durch guten Herdenschutz „in einem überschaubaren Rahmen“. Ω
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