REISE SPECIAL
FLEISSIGE FREIZEITFORSCHER Tauchurlaub für die Wissenschaft: Zur Erhaltung von Korallenriffen können Sporttaucher ihren Beitrag leisten – Bürgerwissenschaft heißt der neue Trend. Ein Erlebnisbericht von TAUCHEN-Autor Sam Mittmerham.
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Riff zu sammeln. „Natürlich können wir nicht erwarten, dass unsere Laienhelfer Fische und Korallen bis auf ihre Unterarten katalogisieren. Darum geht es auch nicht – diese Arbeit machen andere“, erklärt Alvin Chelliah, Meeresbiologe von Reef Check Malaysia und Partner von Biosphere Expeditions hier im Südchinesischen Meer. Vielmehr geht es darum, große Gruppen zu sichten – Papageifische, Langusten, Schnapper, Haie. Die Tiere kann jeder nach zwei Tagen Ausbildung sicher unterscheiden. „Und diese Gruppen geben uns wiederum Auskunft über den Gesundheitszustand des Riffs. Wenig Langusten oder Schnapper weisen auf Überfischung hin, zu viele Algen auf eine Unwucht im Ökosystem und so weiter. Das alles sind wertvolle Daten, die wir ohne unsere Helfer nicht hätten und die uns also mitnichten im Weg stehen“, so Chelliah. Unser Safariboot, das gleichzeitig Expeditionsbasis ist, schaukelt uns über Nacht vom Treffpunkt in Singapur zur Insel Tioman, die nach dem Time Magazine „eine der zehn schönsten Inseln weltweit“ ist. 50 Kilometer östlich vor dem Festland der malaiischen Halbinsel im Südchinesischen Meer gelegen gibt es hier kaum Straßen, keinen Motorlärm, keine Abgase. Mächtige Felsen wachsen aus dichtem Regenwald. Es dampft und zwitschert, Gewitterblitze
Bürgerwissenschaftler untersuchen das Riff. Die Faust ist das Zeichen für Hartkoralle.
zucken durch den Himmel. Und unten der Regenwald der Meere – unser Ziel. Während der ersten zwei Tage haben wir durch Vorträge, Präsentationen, Fotos, Bücher und bei Probetauchgängen gelernt, anhand von Größe, Zeichnung und der Schwanzform zum Beispiel einen Schnapper vom ähnlichen Grunzer zu unterscheiden. Auch Bodenbeschaffenheit und Bewuchs wie Hart- oder Weichkoralle, verschiedene Algenarten, Fels und Geröll können wir jetzt auseinanderhalten. Und für viele tut sich eine Welt auf, die sie als Hobbytaucher nie gekannt haben. Die Schönheit liegt im Detail, in den Kleinig-
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at die Vorhut ihr Maßband? Hat das Boden-Team sein Lot? Wo sind die Datentafeln?“ Dr. Matthias Hammer fragt aus gutem Grund: Das Handwerkszeug vergisst man schon mal im Morgentrubel. Doch es fehlt nichts – also weiter: Flaschen festschnallen, Druck überprüfen, in den Neoprenanzug und letzte Sicherheitsprüfung. „Am Anfang sind die Leute oft skeptisch. Wie soll ich als Laie und Sportaucher denn Expeditionsbasis ist ein Safarischiff. Riff-Experten und Wissenschaftlern helfen? Bin ich denn nicht nur im Weg? Weit gefehlt!“, erklärt Hammer, Biologe, Chef und Gründer der gemeinnützigen Naturschutzorganisation Biosphere Expeditions. „Wissenschaft braucht Arbeitskräfte, die Klein- und Fleißarbeit machen. Es gibt keine technisch automatisierte Lösung fürs Fischezählen oder Korallensichten. Ohne Handarbeit keine Daten – ohne Daten keine Lösungen“, ist Hammers lapidare Antwort. Wissenschaftlich hochwertige Arbeit am Riff als Laie. Geht nicht? Oh doch! „Geht nicht, gibt’s nicht“, so Hammer. Überzeugt davon sind der Bankkaufmann aus München, die Hotelfachfrau aus Rom, die schottische Psychologin und die Schweizer Lehrerin – sie alle wenden Geld und einen Teil ihres Urlaubs dafür auf, um wissenschaftliche Daten über das
Alvin Chelliah erklärt den nächsten Forschungstauchgang (links). Augenschmaus über Wasser: die vorgelagerten Inseln vor Tioman (rechts).
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Tauchsafaris auf der MV Bavaria
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ABTAUCHEN ZUR INVENTUR Jackets zuschnallen, Maske auswaschen, Flossen anlegen. Die ersten springen ins Wasser. Ihre Erfahrungen im Tauchen sind unterschiedlich: Die einen feiern in diesen Tagen ihren 150. Tauchgang, andere haben erst vor Ort ihre Prüfung fürs offene Meer abgelegt. Aber alle kommen sie in der Tiefe zurecht. Abtauchen zur Inventur am Riff. Hinunter in die Welt der violetten Schlote und bepelzten Geweihe. Hammer befestigt in zwölf Metern Tiefe das Ende eines Längenmaßes am Grund und rollt das Band dann 100 Meter weit aus. Von Fels zu Fels zieht es sich über dunkle Spalten, bunte Korallen und hellen Sand hinweg, bis es sich in der blaugrauen Weite scheinbar verliert. Es ist die Linie der Wissenschaft, an der sich die Arbeit der nächsten Stunde und Tage orientiert. Das Maßband an seinem Platz folgen kurz drauf die „Fischleute“ Christian und Steve. Sie schwimmen zwei Meter über dem Band nebeneinander her. Jeder schaut maximal zweieinhalb Meter seitlich und fünf Meter hoch, einer rechts, einer links. Die Fische, die sie in diesem fünf mal fünf Meter großen Raum zu Gesicht bekommen, notieren sie mit Bleistift auf ihren Plastiktafeln. Zackenbarsche, Schmetterlingsfische, Muränen, Papageifische – sieben Familien gilt es zu unterscheiden, deren Vorkommen Rückschlüsse auf Überfischung und Wasserqualität zulässt. Die Einteilung ist grob genug, sodass auch Laien damit zurechtkommen, geschweige denn geprüfte und zertifizierte Bürgerwissenschaftler. Geht nicht, gibt’s nicht, geht mir durch den Kopf. Und ja, es geht! Und es macht Spaß. Dem Fischteam folgen, diesmal dicht am Boden, Kimberley und Eric auf der Suche nach wirbellosen Tieren: Seeigel, Langusten, Schneckengetier. Sorgfältig spähen sie
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Wir bieten 3- bis 7-Tage-Touren zu den schönsten Tauchplätzen Thailands – wie die Similan-Inseln, Kho Bon, Kho Tachai, Richelieu Rock und die Surin-Inseln – sowie 7-Tage-Touren nach Myanmar ins weitgehend unberührte Mergui-Archipel (Western Rocky, Twin Island, Black Rock, Shark Cave). Die „Bavaria“ wurde 2016 nach den neuesten Hochseeund Sicherheitsstandards gebaut, freundliches Personal und eine ausgezeichnete Küche sorgen für einen sehr angenehmen Aufenthalt während der Safari.
Ein Team ist für das Zählen der Fische entlang des Bandes zuständig.
Safari-Spezialist seit über 15 Jahren
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keiten, im Erkennen von Zusammenhängen. Was ist eigentlich eine Koralle? Wie entstehen Riffe? Wie unterscheidet man einen Schwamm von einer Seescheide? Es ist erstaunlich, was man in zwei Tagen alles lernen kann! Und am Ende eine Prüfung, die alle bestehen, bevor wir wirklich Daten sammeln dürfen. Stolz sind wir jetzt „Reef Checkers“ oder „Bürgerwissenschaftler“ oder auch „Citizen Scientists“, so die neumodische Bezeichung für unseren neuen Status, zu sein.
Entlang des 100 Meter langen Maßbands wird das Riff genau untersucht und dokumentiert.
DER „REEF CHECK“ IM ÜBERBLICK
Sind alle Untersuchungen abgeschlossen, wird das Maßband wieder eingeholt. Mit dem „Reef Check“-Programm wird wiederholt an verschiedenen Orten „Meeres-Inventur“ betrieben.
„Reef Check“ (www.reefcheck.org) ist das größte internationale Programm, das Sporttaucher und Meereswissenschaftler involviert. Die wichtigsten Ziele von Reef Check sind: • öffentliches Bewusstsein über den Wert von Korallenriffen zu schaffen sowie über die Bedrohungen ihrer Gesundheit und mögliche Lösungen dieser Probleme • einen wissenschaftlich belegten Überblick über den Grad des menschlichen Einflusses auf die Riffe weltweit zu erhalten • Anwohnern und Nutzern von Korallenriffen eine Methode zur Verfügung zu stellen, die Gesundheit ihrer Riffe zu erfassen
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in Spalten, zählen wie Mitarbeiter eines Supermarkts bei der Warenaufnahme und entdecken auch einen Langusten-Methusalem in seiner Höhle – alles natürlich, ohne den Grund zu berühren. Helen und Nora, das „Substrat-Team“, bilden das Schlusslicht: Alle 50 Zentimeter lassen sie ein Lot zu Boden sinken und notieren, ob der Untergrund aus Fels, Sand oder Schwämmen, aus harten, weichen oder abgestorbenen Korallen besteht. Manchmal ist es auch grüner Bewuchs: Algen, die ein Übermaß an Nährstoffen anzeigen. Wenn die Arbeit erledigt ist, bleibt noch ein wenig Zeit und Luft, um die Unterwasserwelt zu genießen: Ein Rochen zieht mit sanftem Flügelschlag über den Sand, ein Barrakuda steht wie ein silberner Torpedo zwischen zwei Blöcken, eine große Meeresschildkröte äugt wie eine mißtrauische Gouvernante herüber. An Bord wartet das Mittagessen: aufgetischt von Aiman, dem Magier in der kleinen Kombüse. Fisch und Fleisch sucht man hier aber vergebens. „Wir können nicht unter Wasser die Abnahme von Barschen dokumentieren und so tun, als ob uns das etwas angeht, um dann ein paar Meter höher einen zu essen. Das würde nicht passen, und Augenwischerei machen wir nicht“, erklärt Hammer und die zum Essen versammelte Mannschaft nickt. Nachmittags findet ein weiterer Tauchgang statt, am selben Platz, diesmal in fünf Metern Tiefe. Nach der Rückkehr geben die Hobbyforscher die gesammelten Daten in den Computer ein, dann ist das Tagwerk getan. Es wird Zeit für die Tagebücher und Romane. Und für ein wenig asiatische Romantik mit glutrotem Sonnenuntergang und anschließend einem glitzernden Sternenhimmel. Wenn Geißeltierchen hochgespült werden, einen Moment aufleuchten und dann wieder im Wasser verschwinden, sieht es aus, als würden blaue Funken verglühen. Die Abende sind kurz, Tauchen macht müde, um zehn schlafen fast alle unter dem Sternenhimmel auf dem Oberdeck, obwohl es unten klimatisierte Kajüten gibt. Hier will jeder nah an der Natur sein, ob über oder unter Wasser. GEHALTVOLLER URLAUB Nach einer Woche werden die gesammelten Daten an das Hauptquartier geleitet. Die Antwort von den Wissenschaftlern von Reef Check kommt prompt: „Prima
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FOTO: K. L. KWANG (1)
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Nach getaner Arbeit bleibt genügend Zeit, die wunderschönen Riffe zu genießen.
Arbeit, Leute – mehr davon!“ Doch was ist es, was die Leute bewegt, eine Woche ihres Urlaubs an Bord eines Safariboots, weit weg von allem Trubel und mit Wissenschaftlern zu verbringen? „Irgendwann genügt es nicht mehr, die bunte Riffwelt nur zu bewundern“, sagt Christian. „Ich wollte sie endlich besser verstehen.“ „Mein Urlaub sollte etwas Anderes sein“, meint Nora. „Wenn er dann noch einen Sinn hat, um so besser.“ „Und an Riffen zu tauchen, an denen normale Touristen nicht zugelassen sind und an deren Erhalt beizutragen, spielt sicher auch eine Rolle“, ergänzt Helen. „Alle haben schon schöne Stunden unter Wasser erlebt als Touristen und Hobbytaucher. Jetzt aber, als Bürgerwissenschaftler und Reef-Check-Taucher, tragen sie einen kleinen, aber wichtigen Teil zur Erforschung und Erhaltung der Korallenriffe bei“, so Hammer. Ein gutes Gefühl. Ein passendes Schlusswort.
HIER KANN MAN MITMACHEN Biosphere Expeditions (www.biosphere-expeditions.org) ist eine vielfach ausgezeichnete, gemeinnützige Naturschutzorganisation, die es Laien ermöglicht, an Naturschutzexpeditionen teilzunehmen. Im Programm sind Projekte zu Lande (zum Beispiel Großkatzen in Afrika oder Wölfe und Luchse in den Karpaten) und zu Wasser (beispielsweise Wale und Delfine vor den Azoren, Meereschildkröten in Costa Rica, oder eben Tauchprojekte mit „Reef Check“). Teilnahmevoraussetzung sind Englischkenntnisse und ein Tauchschein (PADI Open Water oder ähnlich). An folgenden Orten wird unter Wasser geforscht: • Malediven: www.biosphere-expeditions. org/maldives • Musandam/Oman: www.biosphere-expeditions.org/musandam • Malaysia: www.biosphere-expeditions.org/ malaysia