Natur & Kosmos, Germany, 2003

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REISE IN DEN DSCHUNGEL

Zwischen Aras und

Kaimanen Mit dem Boot den Fluss hinauf. Ziel ist das Basislager am Oberlauf des Rio de las Piedras, irgendwo im Regenwald Perus.


Foto: ???????????

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Aus Holz, Heu und Stroh werden Diesel und Benzin

Im Südosten Perus liegt einer der letzten unberührten Regenwälder der Erde. Affen, Jaguare und unzählige Vogelarten tummeln sich zwischen den Baumriesen. Wer Zeit und Lust hat, kann dort Experten unterstützen, die das bedrohte Paradies erforschen.

Fotos: Peter Laufmann (2) / Biosphere Expeditions (2)

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Die Nacht ist nicht nur dunkel, sie ist vollkommen schwarz. Keine Sterne und kein Mond. Und erst recht kein Leuchten der Zivilisation. Das Auge tastet die Umgebung ab, sucht nach einer Bewegung, irgendeinem Schatten. Um das Moskitonetz kreisen durstige Mücken. Ihr Summen schwillt an und ab – die einzigen Tiere, die zu hören sind. Helen hat mit mir Schicht auf der Plattform. Unser Beobachtungsposten liegt an einer Lehmkuhle mitten im Regenwald im Südosten Perus. Von den Seiten greifen Blätter und Zweige unter das Dach aus Palmwedeln. Wir warten auf nächtliche Besucher, die zu dieser Stelle kommen, um Lehm zu fressen. Die junge Engländerin schnipst leise mit den Fingern. Es ist das Signal für mich, mit

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der Taschenlampe die Lichtung abzutasten. Netz hoch, die Mücken greifen an. Im Kegel der Lampe suche ich nach Tieren – aber kein Affe, kein Tapir und auch kein Nabelschwein lässt sich blicken. Nur ein gewaltiger Kakerlak huscht ins Dunkel. Einmal noch will ich den Busch vor der Plattform ableuchten. Die Schatten der Blätter tanzen. Plötzlich blitzen für Sekunden zwei gelbe Augen auf. Ein Rascheln, und sie sind fort. Was es war? Keine Ahnung. Auch Helen weiß es nicht. „Vielleicht eine Katze?“ Wieder in die Dunkelheit hören. Konzentrieren und nicht einschlafen, es sind noch mehr als zwei Stunden, bis wir abgelöst werden. Unser Posten ist Teil einer Expedition, bei der interessierte Laien Wissenschaftler bei ihrer Arbeit unterstützen. Ihre Geduld und Ausdauer, vor allem aber ihre Augen sollen

helfen, Erkenntnisse über Verhalten und Anzahl von Vögeln und Säugetieren in diesem Teil der Welt zu sammeln. Organisator des Projekts ist Biosphere Expeditions, die weltweit in ähnlichen Projekten Laien und Experten zusammenbringen. Im Morgengrauen geht es zurück ins Camp. Übermüdet stolpern wir durch das Baummeer. Blattschneiderameisen kreuzen den Weg und schleppen Puzzlestücke des Waldes zu ihrem Nest. Brüllaffen begrüßen den Tag mit ihrem Geschrei – es klingt wie langgezogene Rülpser aus einer kaputten Tuba. Schließlich reißt die grüne Wand auf, und wir stehen auf der Lichtung des Lagers. Ein Teil der Gruppe ist noch da. Andere sind bereits unterwegs, Aras

Wenn sie ungestört sind, kommen die Aras in Scharen zu den Lehmklippen und fressen die mineralhaltige Erde (oben links). Die kleinen Boote heißen „Pecki-Peckis“. Sie haben ihren Namen vom typischen Motorgeräusch. Mit ihnen wird Mahagoni abtransportiert. Ungewollt vertreiben sie die Vögel von den Ufern (oben Mitte). Den Pfad und die Kronen der Bäume ständig im Blick: Konzentration und ein sicheres Auge sind gefragt (oben rechts).

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Morgenstimmung im Camp. Das Lager liegt mitten in einem Waldmeer. Puerto Maldonado, die nächste Stadt, ist 130 Kilometer entfernt. Aufstehen ist bereits um 4.30 Uhr. Es gilt, den frühen, kühlen Tag zu nutzen. Schlafenszeit ist dafür schon um 20 Uhr. Ein Tag im Regenwald schlaucht gewaltig.

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oder Affen zählen. Nur sind es eben keine Biologen oder Regenwaldexperten, sondern Computerspezialisten wie Lisa oder Versicherungsangestellte wie Lawrence. Dazu komme ich für die Redaktion von natur & kosmos, um die Expedition für unsere Leser zu testen. Das Untersuchungsgebiet liegt in der Provinz Madre de Dios. Sieben Stunden dauert es, um per Boot von der Provinzhauptstadt Puerto Maldonado zum Camp zu kommen. Erst den Fluss Madre de Dios hoch und dann den Rio de las Piedras. Auf der Bootsfahrt zum Camp bekommen die Freizeit-Forscher einen Vorgeschmack vom Dschungel: Dichte Vorhänge aus Wasser legen sich grau auf die grünen Blätter. Der Wald quillt von den Ufern in den Fluss hinein. Schildkröten rutschen von Baumstämmen, und Kaimane dösen in der Sonne. „Dort, auf dem Ast!“ Helen deutet auf einen farbenprächtigen Eisvogel, der auf unvorsichtige Fische wartet. Über dem Boot kreist ein Geier, und ein Capybara, eine Art überdimensioniertes Meerschweinchen, verschwindet im Gestrüpp. Augen und Ferngläser sind das wichtigste Instrument. Da-

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mit soll ein so genanntes Rapid nen, die vor Ort das Projekt begleiAssessment Program (RAP) durch- ten. Das gesammelte Wissen liefert geführt werden. RAPs sind schnelle Argumente, warum diese Region geund konzentrierte Studien über ein schützt werden muss. Emma, Jay-Jay Gebiet mit dem Ziel, Artenlisten zu und Helen sind unsere Experten. erstellen und das Verhalten der Tiere Jay-Jay, der eigentlich Juan-Julio zu erforschen. Bei dieser Expedition heißt, erkärt die Machete. Jeder begeht es um drei Aufgaben: Eine da- kommt seine eigene. Das schlanke, von ist das Beobachten einer Lehm- schwere Haumesser ist das richtige klippe, einer so genannten Colpa am Werkzeug, um den Pfad pflanzenfrei Fluss. Dorthin kommen zeitweise zu machen. „In diesem Winkel müsst Hunderte von Aras und Papageien, ihr schlagen“, sagt er, schwingt die um Lehm zu fressen. Die Wand ist Klinge und zerteilt mühelos eine armdann mit fliegenden Juwelen ge- dicke Wurzel. Die richtige Technik schmückt. Forscher vermuten, dass spart Kraft. Außerdem könnte ein die Tiere damit Pflanzengifte neutra- falscher Schlag ins Bein gehen. lisieren. Tief im Wald Früh marschieren liegt eine Colpa, an wir bis zu der Stelle, Das Fernglas der Säugetiere Lehm an der der Pirschpfad fressen. Deren An- ist das wichtigste beginnen soll. Obzahl und Verhalten zu wohl es erst kurz Werkzeug dokumentieren ist die nach sechs ist, läuft zweite Aufgabe. Für die dritte müs- der Schweiß bereits in Strömen. Der sen die Freiwilligen auf Pfaden durch Weg ist streckenweise schmierig, der den Wald pirschen. Hier sollen sie Schlamm zerrt an den Stiefeln. Selbst etwa Spinnenaffen und Tamarine bei Tag erreicht nur grünes Zwielicht zählen, die durch das Blätterdach den Boden. Es geht durch den Wirrrauschen. Die Daten gehen in ma- warr einer herabgestürzten Baumthematische Modelle ein, aus denen krone, Ameisen ziehen in schwarzen sich Rückschlüsse über die Popula- Bändern die Rinde entlang. Weiter tionen eines Gebiets ziehen lassen. balancieren, in der Hand die Mache„Mit den Besuchern schaffen wir in te, die anfangs lässig scheint, später sechs Wochen, wofür wir ohne Hilfe aber lästig wird. sechs Monate bräuchten“, erklärt Emma, eine der WissenschaftlerinA& kosmos


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Lisa spähen nach einer in den Baumkronen vorbei-

Fotos: Peter Laufmann (3) / Biosphere Expeditions (2) Karte: Rohrer

ziehenden Affenschar (oben

Nach zweistündigem Fußmarsch sind wir da. Bis hierher ist der Pfad 3000 Meter lang, 4500 soll er werden. Zwei Leute lichten den Vorhang aus Blättern, Zweigen und Lianen. Die Nachfolgenden räumen die Pflanzenmasse beiseite und bearbeiten die Sprösslinge, die noch auf dem 80 Zentimeter breiten Pfad stehen. Am Ende soll man unbemerkt durch den Wald gehen können. Aber davor stehen noch 1500 Meter Dickicht. Schlag um Schlag geht es voran. Mit der Sonne steigt die Temperatur, und die Luft ist zum Schneiden. Der ganze Wald dampft und gärt wie ein überdimensionierter Komposthaufen. Mechanisch hebt sich der Arm wieder und wieder. 300 Meter schaffen wir in den drei Stunden. Einige haben Blasen an den Händen. „Warum tust du dir das an?“, frage ich Lisa, die etwas mitgenommen aussieht. „Ich wollte mal ein wenig Abenteuer erleben.“ Sie lächelt. „Und noch was Nützliches tun“, sagt sie und wischt sich die Stirn mit ihrem nassen Ärmel. Der Lohn der schweißtreibenden Arbeit sind die Tiere, die man zu Gesicht bekommt. In kleinen Trupps durchstreifen die Hobbyforscher mit einem Wissenschaftler den Wald.

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Mehr Augen können mehr sehen. Der Experte dient in erster Linie der Identifikation der Arten. Denn richtiges Erkennen ist notwendig für den Erfolg des Projekts. Einige der Tiere sind unscheinbar wie die Treiberameisen, die auf ihren Raubzügen durch den Wald streifen. Andere protzen mit ihren Reizen wie die Aras oder die Blauen Morpheus-Schmetterlinge. Und wieder andere hört man erst, kurz bevor sie zu sehen sind: Es raschelt, dann ein hohes Fiepen. „Braunrückentamarin“, flüstert Helen. Lisa und ich nicken und suchen die Bäume ab. Dort sind die Urheber des Fiepens: Eins, zwei – fünf Exemplare auf ihrem Weg durch die Kronen. Einer verharrt. Ein graues Gesicht in einem dunkelbraunen Kopf – wir sind so nah, dass sein Mienenspiel erkennbar ist. Aufmerksam werden wir beobachtet. Dann ist der Augenblick vorbei, die Familie wieder vom Grün verschluckt. Jetzt gilt es, die Daten aufzunehmen: Gruppengröße, Bewegungsrichtung, Entfernung. Gemeinsam mit Helen und Lisa geht es später zur Colpa am Fluss. Die 20 Meter hohe Uferböschung wird eingerahmt von Bäumen. In deren Ästen sammeln sich die Vögel,

um in die Lehmwand einzusteigen. Die ersten, die wir von unserem Versteck aus sehen, sind zwei CuvierTukane. „Ein Alt- und ein Jungtier“, vermutet Helen. Das Blau um ihre Schnäbel leuchtet prächtig. Mit der Zeit fliegen einige Aras ein. Schließlich sitzen die Kronen voller zeternder Vögel. Fast 40 kann ich zählen. Dazu etliche Schwarzohrpapageien. Durch das Teleskop ist ihr Flügelrecken und Schnabelreiben zu sehen. Aber bevor sich genug Vögel gesammelt haben, um gemeinsam zur Colpa hinabzusteigen, ist ganz leise ein Tuckern zu hören. Es ist das erste Pecki-Pecki und soll nicht das einzige bleiben. Diese kleinen Boote fahren mit Treibstoff und Proviant zu den Holzfällerlagern. Zurück kehren sie mit Mahagoni-Holz im Schlepp. Die Vögel suchen das Weite und lassen sich den Tag nicht mehr sehen. „Auch eine Erkenntnis, die unser Projekt liefern soll“, fasst Helen zusammen, „wie groß der Einfluss durch solche Störungen an den Colpas ist.“ Durch unsere Untersuchungen wird vielleicht eines Tages die Regierung davon überzeugt, dieses Gebiet zu schützen und den Holzeinschlag zu beschränken. Peter Laufmann

rechts). Es regnet in Strömen, und die Kleidung trocknet kaum. Aber zumindest das Dach der Unterkunft ist dicht (unten links). Das Untersuchungsgebiet liegt im Südosten Perus, in der Provinz Madre de Dios (unten rechts).

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Foto: Biosphere Expeditions

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Leserreise Vom Regenwald nach Machu Picchu

18 Lesern bieten wir die einmalige Gelegenheit, auf Expedition zu gehen. Zusammen mit natur & kosmos und Biosphere Expeditions können Sie Wissenschaftler bei der Arbeit unterstützen und heilige Stätten der Inkas sehen. Jeden Monat zeigt natur & kosmos die Faszination und Vielfalt des Lebens. Im nächsten Jahr können Sie diese Vielfalt erleben. Anlässlich des 100-jährigen kosmos-Jubiläums, das wir im Lauf des Jahres feiern, bieten wir unseren Lesern zusammen mit Biosphere Expeditions eine Reise in den Regenwald Perus an, in eine der letzten wilden Gegenden unseres Planeten. Helfen Sie mit, Tiere und Pflanzen zu erforschen 1. Tag:

und zu schützen. Beobachten Sie Affen und Aras und leben Sie mitten im Urwald in einer Dschungelstation. Besuchen Sie anschließend die heiligen Stätten der Inkas. Der Preis unserer außergewöhnlichen Expedition beträgt 4599 Euro inklusive Flug, Betreuung vor Ort und dem Beitrag zur Finanzierung der Forschung. Das Angebot in dieser Form und zu diesen Konditionen gibt es ausschließlich für unsere Leser.

Treffen frühmorgens Frankfurt Flughafen, gemeinsamer

Inkafesten Sacsayhuaman,

Flug mit KLM nach Lima. Ankunft abends, Nacht in Lima 2. Tag:

Flug nach Puerto Maldonado.

Kenko und Tambomachay. Nacht in Cuzco 16. Tag:

Einweisung in die Expedition 3. Tag:

Fahrt mit dem Boot ins Basislager.

17. Tag:

Pirschpfade. Beobachten aus Dschungelverstecken.

18. Tag:

Ende Expeditionsphase.

19. Tag:

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Flug nach Cuzco. Stadttour Cuzco und Besuch der

Weltkulturerbe Machu Picchu, die „verlorene Stadt der Inkas"

Fahrt zurück nach Puerto Maldonado 15. Tag:

Exkursion ins heilige Tal der Inkas. Besuch Sonntagsmarkt und archäologische Stätten in Pisac.

4. bis 13. Tag: Expeditionsphase. Freihalten und Abgehen der 14. Tag. :

Die Expedition erfordert keine Vorkenntnisse, Altersgrenzen gibt es nicht. Freude am Entdecken und moderate Fitness reichen aus. Zwei Teams mit je neun Teilnehmern fahren mit (3.–22.5. bzw. 17.5.–5.6.03). Informationen erhalten Sie unter www.biosphere-expeditions.org/ jubilaeumsexpedition, E-Mail: jubilaeumsexpedition@ biosphere-expeditions.org und unter Tel. (07127) 980242.

Morgens Flug nach Lima. Freier Tag in Lima. Stadttour Lima. Besuch des Inka-Gold-Museums. Abends Rückflug nach Deutschland

20. Tag:

Ankunft abends in Frankfurt

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