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» Das Deutsche Rettungsrobotik-Zentrum DRZ Blechkamerad*innen für Schutz und Rettung
from Blaulicht 3/2022
by Blaulicht
Blechkamerad*innen für Schutz und Rettung
In Dortmund werden mobile Robotersysteme und Drohnen für die zivile Gefahrenabwehr erforscht, entwickelt und erprobt – in einem im Oktober 2021 eröffneten «Living Lab», das knapp 3’000 Quadratmeter Versuchsfläche bietet.
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» Der am Deutschen Rettungsrobotik Zentrum DRZ entwickelte Roboter «D2» vor dem Robotik-Leitwagen der Feuerwehr Dortmund.
Wenn Menschen nicht mehr weiterkommen – etwa aufgrund extremer Hitze, Gefahrstoffen, Kontamination, Wasser oder akuter Einsturzgefahr –, können «Blechkamerad*innen», also Roboter und Drohnen, eine Lösung sein. In Deutschland widmet sich der 2018 gegründete Verein Deutsches Rettungsrobotik-Zentrum e.V., kurz DRZ, der Erforschung und Entwicklung von Robotersystemen zur Unterstützung der Behörden und Organisationen mit Rettungs- und Sicherheitsaufgaben (BORS).
Gefördert wird der Verein mit rund 12 Millionen Euro vom Deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung. Getragen wird er von Anwender*innen, Industriepartner*innen sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Für die Koordination sowie die nötige Praxisnähe zeichnet das Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie der Feuerwehr Dortmund verantwortlich. Deren Direktor Dirk Aschenbrenner ist auch Vorstandvorsitzender des Vereins DRZ.
Bei diesen Einsätzen haben Rettungsroboter bereits geholfen
Als im März 2009 das Kölner Stadtarchiv und zwei benachbarte Gebäude einstürzten, wurden die Einsatzkräfte bei der Suche nach Verschütteten von zwei schlangenförmigen Spezialrobotern des Center for RobotAssisted Search and Rescue in Texas und der Universität Kobe/Japan unterstützt.
Nach einem schweren Erdbeben anno 2016 in Italien wurden die Einsatzplaner*innen und die Einsatzkräfte vor Ort von drei Flug- und zwei Bodenrobotern unterstützt, welche 140 Gigabyte Bild- und Sensordaten zu 3D-Modellen verarbeiteten. Das Fraunhofer IAIS lieferte zudem hilfreiche Innenaufnahmen aus zwei vom Einsturz bedrohten Kirchen.
Im Februar 2019 – rund acht Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 – untersuchte ein ferngesteuerter Roboter im Reaktor 2 das erste Mal Ablagerungen der Kernschmelze. Der Roboter verfügte über eine Kamera, LED-Lampen, Thermometer, ein Dosimeter und einen schwenkbaren Kopf mit zwei Greifarmen. Anhand der Bilder konnte der Abbau des Reaktors geplant werden.
Beim Brand der Kathedrale NotreDame in Paris im April 2019 kam der Löschroboter «Colossus» von Shark Robotics zum Einsatz.
In Pompeji schiebt seit März 2022 der Roboterhund «Spot» von Boston Dynamics die Ruinen und archäologischen Fundstellen vor Reliktsammlern*innen – auch in den unterirdischen, einsturzgefährdeten Gängen. Da der Laufroboter zugleich hochauflösende 3D-Daten der Ruinen und Gänge sammelt, können gefährliche Veränderungen an den baulichen Strukturen detektiert und entsprechende Massnahmen eingeleitet werden.
» Der von Shark Robotics entwickelte «Colossus» kam 2019 beim Brand der Kathedrale Notre-Dame erfolgreich zum Einsatz.
Wikimedia/Shark Robotics
MI NRW Caroline Seidel
Info
Roboter: Nordrhein-Westfalens Polizei geht voran
Nicht nur für Rettungsorganisationen, sondern auch für die Polizei können Roboter wertvoll sein. Die Polizei von NordrheinWestfalen hat dies erkannt und am 19. Januar 2022 in Duisburg ein 4,3 Millionen Euro teures «Innovation Lab» eröffnet. In dem mehr als 500 Quadratmeter grossen Labor am Duisburger Hafen entwirft und testet die Polizei künftig neue Technologien – gemeinsam mit Informatiker*innen, Physiker*innen und Ingenieure*innen. Aktuelle Forschungsprojekte sind unter anderem 360-Grad-Kameras, intelligente Videosysteme basierend auf UCC VideoWalls mit 140 Bildschirmen, Barrierefreiheit sowie der «HiPoS-Cube» (Hybride integrative Plattform Polizeilicher Sondernetze) und der Polizeiarbeitsplatz der Zukunft. Dieser beinhaltet eine autarke mobile IT-Struktur, dank der die Einsatzkräfte an grundsätzlich jedem beliebigen Einsatzort ebenso vernetzt arbeiten können wie im Büro. Auch der vierbeinige Laufroboter «Spot» von Boston Dynamics wird von der Polizei NRW aktuell getestet – und absolvierte bereits seinen ersten Fronteinsatz: Nach einem Grossbrand in Essen am 22. Februar 2022, bei dem Dutzende Wohnungen zerstört worden waren, lieferte der Roboter hochwertige 360-Grad-Bilder und LaserScans der akut einsturzgefährdeten Innenräume. Bereits im Frühjahr 2021 wurde die Polizei von NRW überdies mit rund 100 Flugdrohnen unterschiedlicher Bauart ausgerüstet.
» Im Januar angeschafft, im Februar erfolgreich im Ernsteinsatz unterwegs: der vierbeinige, von Boston Dynamics entwickelte Laufroboter der Polizei Nordrhein-Westfalen. » Dirk Aschenbrenner, Direktor der Feuerwehr Dortmund und Vorstandsvorsitzender des DRZ (Mitte), freute sich, als «D2» anlässlich der Eröffnung des Living Lab das rote Band durchtrennte.
Knapp 3’000 Quadratmeter grosses Living Lab
Als nationales Kompetenzzentrum der Forschung fungiert das im Oktober 2021 eröffnete «Living Lab» im Dortmunder Stadtteil Bodelschwingh. Dieses bietet moderne Labore, eine 1’300 Quadratmeter grosse Versuchshalle und rund 1’500 Quadratmeter Aussengelände für die Erprobung der Einsatztauglichkeit der entwickelten Systeme. Der Fokus liegt dabei auf den Leitszenarien Feuer, Einsturz & Verschüttung, Detektion von Gefahrstoffen und Hochwasser.
Aktuell gibt es vier DRZ-Roboter
Der kleinste und leichteste Roboter, «D1», ist eine von der Universität Bonn entwickelte Multicopter-Drohne. Ausgerüstet mit Laserscanner, zwei Tiefen- und einer Infrarotkamera, GPS, Barometer, Kompass sowie weitreichenden Autonomiefunktionen dient «D1» der schnellen autonomen Lageerkundung. Brandherde, Lebewesen und Objekte werden detektiert und in der mithilfe des Laserscanners und GPS-Daten erstellten Karte verortet.
«D2» ist ein Raupenroboter, der Treppen steigen und sogar Türen öffnen kann. Bestückt ist er mit einem von der TU Darmstadt entwickelten Autonomiemodul. Dieses umfasst sieben Kameras (3 x Tiefenbild, Wärmebild, Weitwinkel, Tele und 360 -Grad), Intertialsensorik, GNSS-Modul sowie einen rotierenden 3D-Lidar zur Echtzeiterfassung der 3D-Geometrie und der Positionsschätzung des Roboters. Von der TU Darmstadt im DRZ entwickelte Assistenzfunktionen ermöglichen es «D2», unbekannte Umgebungen in ein 3D-Modell zu transferieren, sich autonom fortzubewegen und Wärmequellen sowie Gefahrensymbole zu detektieren.
«D3» ist ein starker und flexibler Nutzlastträger, der dank Kettenantrieb nahezu überall hinkommt. Das FraunhoferInstitut hat für den «D3» ein Modularisierungskonzept entwickelt, dank welchem der Roboter mit unterschiedlichsten Modulen und Aufbauten bestückt werden kann, beispielsweise für Thermalaufklärung, Vitalzeichenerkennung, Roboterkontrolle, Lokalisation sowie interoperable Kommunikation und Transport.
» Auf dem Aussengelände des Living Lab des DRZ können die entwickelten Roboter – hier der «D2» und der «D3» – unter reellen Bedingungen erprobt werden.
«D4», eine schnelle, modulare Plattform für Indoor-Einsätze in Industrieanlagen, wurde von der FH Dortmund in Zusammenarbeit mit Minimax Viking entwickelt. Der Roboter kann selbst schwerere Lasten rasch zum Einsatzort bringen und Brände selbstständig mit Löschmittel bekämpfen. Zudem kann er, wie der «D3», mit diversen Modulen und Aufbauten bestückt werden. Integrierte Sicherheitssysteme wie Laserscanner, Nothaltsystem und Signalbeleuchtung ermöglichen den sicheren Einsatz von «D4» innerhalb von Industrieanlagen.
200’000 Euro teurer Leitwagen
Für den mobilen Einsatz der Roboter nutzt das DRZ parallel zu den Robotern einen Robotik-Leitwagen (RobLW). Dieser basiert auf dem Mercedes Sprinter, nimmt die Roboter samt Zubehör auf und ist mit der nötigen IT sowie eigener Funkzelle (Blaulicht/Tetrafunk) und Stromaggregat ausgerüstet. Dirk Aschenbrenner, Vorstandsvorsitzender des DRZ-Trägervereins und Direktor der Feuerwehr Dortmund, ist überzeugt: «Zur Beherrschung der in unserer Gesellschaft zunehmend komplexer und gefährlicher werdenden Schadenslagen sind Rettungskräfte zunehmend auf die Unterstützung durch robotische und digitale Systeme angewiesen.»
Ohne das Miteinander geht nichts
Um diese zu entwickeln, müssten laut Aschenbrenner «Anwender*innen, Wissenschaft und Forschung sowie Industrie und Hersteller*innen eng kooperieren – von der Bedarfserhebung bis zur Implementierung der Systeme in die Praxis». Dabei, so Aschenbrenner, brauche es nicht nur Entwicklungsintelligenz, sondern auch eine wirksame Transferexzellenz, um die Systeme schneller in die Anwendung zu bringen. Dazu gehöre auch, den Markt der Gefahrenabwehr durch entsprechende Normierung, Standardisierung und Qualifizierung sowie entsprechende finanzielle Förderung auf eine schnelle Verbreitung robotischer und digitaler Systeme vorzubereiten und einzustellen. Zudem
Info
Roboter auf der INTERSCHUTZ
Auch auf der diesjährigen INTERSCHUTZ können Roboter und Drohnen für den Rettungseinsatz bewundert werden – unter anderem von folgenden sieben Hersteller*innen:
• Aus der Schweiz vor Ort ist die Zürcher Perspective
Robotics AG, welche mit dem «Fotokite Sigma» ein einsatzbereites drohnengestütztes Lageinformationssystem für Einsatzkräfte vertreibt.
• Fire & Resq aus Duisburg zeigt in Halle 16 am Stand E58 neuartige Roboter und Plattformen für die Wasserrettung.
• BK Fire aus Algerien präsentiert in Halle 12 am
Stand A08 intelligente Roboterlösungen für die
Brandbekämpfung.
• Am Stand der Bonowi IPE GmbH aus Mainz können die zweirädrigen Scout-Roboter von Recon Robotics aus Minnesota begutachtet werden. Die taktischen
Mikroroboter werden bei Strafverfolgungs- und
Militäreinheiten weltweit genutzt und können auch Rettungsorganisationen bei der Aufklärung gefährlicher Räume und Areale helfen.
• In Halle 27 am Stand D09 zeigt das französische
Unternehmen Angatec SAS den TEC800-Feuer löschroboter.
• Im French Pavilion (Halle 26, Stand E29) zeigen die auf Feuerwehr-Roboter spezialisierten Firmen
Shark Robotics Sarl und Solid Robotics SAS diverse
Neuentwicklungen – darunter den «Hose-Pull», einen
Roboter, der Feuerwehrschläuche zieht.
• Die MOST Robotics GmbH aus Duderstadt/Deutschland zeigt in Halle 16 am Stand F61 gemeinsam mit ValoFly diverse Drohnen für BORS-Anwendungen.
» Das «Fotokite»-Drohnensystem der Zürcher Perspective Robotics AG wird auf der INTERSCHUTZ zu sehen sein.
Perspektive Robots
» Der «D4» ist mit knapp 1,80 Meter Länge und rund 450 Kilogramm Gewicht der aktuell grösste Roboter des DRZ. dürfen die Schulung und Weiterbildung der Einsatzkräfte nicht vernachlässigt werden – weshalb dem Living Lab ein Schulungszentrum angegliedert ist – inklusive eines Indoor-UAV-PilotSkills-Parcours für die Ausbildung und das Training von Drohnenpilot*innen.
Mitglied beim Verein DRZ können grundsätzlich alle an der Robotik interessierten Organisationen und Institutionen werden. Mehr Infos gibt’s beim Verein Deutsches RettungsrobotikZentrum e.V., Rohdesdiek 32, D-44357 Dortmund, www.rettungsrobotik.de – und auf der INTERSCHUTZ in Halle 17 am Stand D06.
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