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GEWORDEN
Philipp Reiter
... kommt aus Berchtesgaden. Und weiß das um so mehr zu schätzen, seit er im Dienste des Trailrunnings die ganze Welt bereist hat. Der 31-Jährige ist offizieller Botschafter der Region Berchtesgadener Land und wir beneiden ihn deshalb um seinen Short Cut zur Brauerei Schönram.
... war neben und nach seiner aktiven Karriere lange für Salomon tätig. Mit diesem Jahr ist er zur kanadischen Bergsportmarke Arc'teryx gewechselt, die neuerlich im Trailrunning angreifen will.
... daneben hat er gerade mit dem spanischen Fotografen Jordi Saragossa die Adventure Bakery gegründet, eine Agentur für (Bild-)Inhalte rund ums Trailrunning und das aktive Leben in den Bergen.
Philipp, zum Einstieg etwas Grundsätzliches: Als was sollen wir Dich eigentlich bezeichen? Als Trailrunner? Bergsportler? Marketing-Profi ? Fotograf? Als Influencer?
Na, garantiert nicht als Influencer, Ein Influencer ist eine Litfasssäule, nur halt auf zwei Beinen. Da klebst Du für eine Woche einen Werbeaufruf dran und in der nächsten Woche dann halt einen anderen ...
Ich frage das, weil Du mindestens hierzulande Trailrunning wie kein zweiter in den Sozialen Medien platziert hast. PhilippReiter007 hat auf Instagram 112.000 Follower. Nur habe ich das, was ich auf Instagram mache, ja schon lange gemacht, bevor es die Sozialen Medien überhaupt gab. Ich bin auf der ein oder anderen Art in den Bergen umhergekraxelt. Influencer suchen sich einen Gipfel aus, der möglichst fotogen ist oder möglichst bekannt. Und sie wären dort gar nicht erst, wenn es nicht darum ginge, Content zu produzieren. Ich mach halt meine Sachen und ein Teil davon ist es eben auch, diese mit der Kamera zu begleiten.
Dennoch steht diese Frage im Raum, ist das immer nur eine Segen, seine Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben?
Gute Frage. Weil ganz, ganz lange wollte ich genau das nicht. Ich habe ja Mathe und Biologie auf Lehramt studiert, bis zum zweiten Schulpraktikum. Ich stand wirklich in der Schule und habe unterrichtet. Und mir hat das auch echt richtig Spaß gemacht, weil ich es ehrlich mag, Leuten etwas beizubringen. Aber dann bin ich halt parallel in den Job bei Salomon reingerutscht.
Dabei hört man ja immer wieder, dass manche genau deshalb Lehrer oder Lehrerin werden, um weiterhin Zeit für den Sport zu haben ... ... man munkelt sowas, oh ja. Tatsächlich war das auch meine Rechnung: Lehrer und Sport, das geht. Aber wenn du dann dafür bezahlt wirst, das zu machen, was du eh über alles liebst, ist das doch eine andere Rechnung. Rückblickend habe ich diesen vogelwilden Jahren auf den Trails der Welt zu verdanken, dass ich der bin, der ich heute bin.
Also, wer ist Philipp Reiter heute? Wenn ich jetzt innehalte, dann ist es für meine Entwicklung existentiell, dass ich Menschen auf der ganzen Welt getroffen und mit ihnen live und in Farbe gesprochen habe, nicht in irgendeinem Chat. Alle reden im Trailzirkus gerade darüber, dass wir weniger reisen, vor allem weniger fliegen sollten, fair enough. Aber wenn Du in den Slums in Südafrika siehst, wie die Menschen in Papphütten leben, oder wenn du in Montana plötzlich im Tatzenabdruck eines Grizzlys stehst. dann ist das nichts, was dir ein Foto vermitteln könnte. Schon gar nicht angesichts der Flut von Bildern, die täglich auf uns einprasseln und die wir gar nicht mehr verarbeiten können.
Begegnet war uns dieser Philipp Reiter zuallererst als talentierter Trailrunner.
Und ich habe nie gesagt, ich laufe jetzt keine Wettbewerbe mehr, das ist einfach so passiert. Ausschlaggebend war sicher eine extrem langwierige Verlet- zung nach den Skyrunning-Weltmeisterschaften in Chamonix 2014. Und ich war damals echt brutal fit und weiß noch, wie ich im zweiten Anstieg mit 1.700 Höhenmetern mit meiner Mama telefoniert und erzählt habe, wie das Rennen bis dato so läuft. Aber ich war schon mit einer schmerzenden Ferse an den Start gegangen und hatte deshalb die tolle Idee, mit richig flachen, kaum gedämpften Schuhen zu laufen. Das zwingt mich, so die Theorie, zum Vorfußlauf und entlastet also die Ferse – bei einem Rennen mit 6.000 Höhenmetern. Hat dann in der Praxis natürlich überhaupt nicht funktioniert. Das Ergebnis war eine chronische Entzündung der Plantarsehne und weil man sich ja im Alltag auch irgendwie fortbewegen muss, dauerte das dann einfach ewig. Rennen, um das fix abszuschließen, bin ich auch später noch gelaufen. 2017 bin ich etwa nochmal Zweiter beim Südtirol Ultra Skyrace geworden. Im Jahr drauf haben wir dann den
"Langen Weg" gemacht, die diagonale Alpenquerung von Wien nach Nizza, Skitourengehen, Alpinismus, auch Trailrunning. Da bin ich endgültig drauf gekommen, dass diese selbstgeplanten Abenteuer mein Ding sind.
Trailrunning war Dir nicht genug? Ich habe mich ja nie wirklich als Läufer bezeichnet. Flach laufen macht mir noch immer keinen Spaß, ich bin immer der laufende Bergsteiger gewesen. Wenn man hier im Berchtesgadener Land aufwächst, dann ist der Berg das zentrale Thema, da will man hoch. Also habe ich den Fast&Light-Anspruch für mich weiterentwickelt, Klettern, Bergsteigen, wenn es technisch wird hat mir das schon immer mehr getaugt. Ich war ja auch nie ein schneller Läufer, ein Rennen wie Sierre-Zinal wäre die Hölle für mich. Klar habe ich auch mal auf der Bahn trainiert, aber das hat mir nie Spaß gemacht, ich wäre immer lieber Klettern gegangen.
Bleiben wir kurz im Jahr 2014. Was macht eine Verletzung mit einem jungen Athleten. Und was macht der Athlet Philipp Reiter mit ihr?
Ich bin erstmal brutal viel Fahrrad gefahren. 25.000 Kilometer in einem Jahr, das sind im Schnitt fast 70 Kilometer am Tag. Ich habe mir also eine Bäckerei gesucht, die gut 40 Kilometer entfernt lag und hab dort morgens die Brötchen geholt. Und ich habe noch was gemacht: Ich habe mir meine erste richtige Kamera gekauft.
Nur macht eine Kamera ja noch keinen Fotografen.
Irgendwann war beim Kilian's Classik, dem Rennen, das Kilian Jornet damals in den Pyrenäen veranstaltet hat, der Fotograf ausgefallen und irgendwer bei Salomon sagte dann, das machst jetzt Du. Alles Weitere war dann Ausprobieren, eine Operation am offenen Herzen. Auch eine Veranstaltung wie den Transalpine Run eine Woche rund um die Uhr fotografieren, bringt dich brutal weiter.
Wenn Du schon den Transalpine Run ansprichst: Trailrunning reproduziert gern archetypische Bilderwelten: Da wären die Tätowierten, die Erschöpften, der steile Grat. Wie schafft man es, sich von Klischees zu befreien?
Man muss sich Zeit lassen und nahe bei den Menschen sein, auf Augenhöhe. Die wirklich coolen Bilder enstehen dann beinahe nebenei. Deshalb fotografiere ich ungern mit einem Teleobjetiv, da ist man viel zu weit weg vom Geschehen. In Kontakt treten mit Menschen, das ist für mich inzwischen der eigentliche Kern der Fotografie.
Wie wichtig sind diese Bilderwelten für den Sport?
Brutal wichtig. Das merke ich aktuell an den ganzen Marken aus dem Straßenlauf, die sich neu oder wieder im Trailrunning engagieren. Seit gefühlten Jahrzehnten hat man ja versucht, neue Bildwelten für den Straßenlauf zu finden. Am Ende warem es immer die afrikanischen Eliteläufer im Staub von Kenia, das urbane Graffitti als Bildhintergrund und noch der Übergewichtige, der plötzlich zum Marathonläufer wird. Mit der Erschließung der Berge als Lauflandschaft habe ich plötzlich endlose Bilderwelten zur Auswahl.
Was umgekehrt also auch heißt, dass auch Trailrunning längst und vor allem ein mediales Ereignis ist?
Wir stecken mittendrin in dieser Entwicklung. Und ich glaube, um das vorwegzunehmen, auch nicht, dass sie noch aufzuhalten ist. Ich habe da vielleicht einen klareren Blick, weil ich diese Entwicklung schon beim Skitourengehen verfolgen konnte, und genauso beim Klettern. Was wurde nicht alles dafür getan, dass Skitourengehen endlich, endlich eine olympisch Sportart wird. Jetzt ist es olympisch – mit den Disziplinen Sprint und Team Relay. Beides hat mit Skitourengehen absolut gar nichts zu tun. Das kannst du auch im Olympiapark in München machen oder auf einem aufgeschüttetten
Schneehaufen auf dem Marktplatz von Mailand.
Und Du erwartest eine ähnliche Entwicklung im Trailrunning?
Der Erfolg der Golden Trail Series hat es ja bereits angedeutet. Trailrunning ist noch immer ein Wachstumsmarkt –die Umsätze steigen jedes Jahr um sagenhafte zehn Prozent. Und klar wachsen jetzt die Interessen, den Sport auch zu den Leuten zu bringen, die Sport einfach nur medial konsumieren. Die vorm Fernseher sitzen und sonst halt Tennis gucken oder Biathlon. Warum also nicht Trailrunning. Die großartigen Bilder sind ja wie gesagt da. Nur braucht es dafür Formate, die kompakt und für die Zuschauer:innen nachvollziehbar sind, eben Rennen von zwei bis drei Stunden mit engen Entscheidungen.
Deine Prognose wäre: Trailrunning wird ein Stück weit zu einer ganz normalen Sportart?
Ohne jetzt einen Namen zu nennen: Ich kenne mindestens einen internationalen Athleten, der seit zwei Jahren eigentlich nur noch läuft, weil es halt sein Job ist und er das gut kann. Spaß würde ihm das nicht mehr machen. Sowas hätte es vor zehn Jahren nie gegeben. Wie auch. Trailrunning war ja überhaupt noch kein Job, es gab auf der Welt vielleicht fünf Leute, die wirklich davon leben konnten. Als ich von Salomon zum ersten Mal 3.000 Euro bekommen habe, dachte ich, wow, krass. Das waren 3.000 Euro – im Jahr. Heute reden wir längst von richtigen monatlichen Gehältern.
Was macht das mit dem Sport, was macht das mit den Menschen?
Zunächst einmal: Im Trailrunning steckt viel Geld und es ist total okay, dass davon auch die Athlet:innen etwas abbekommen. Leute, die erst seit zwei, drei Jahren in der Elite umherrennen, verdienen heute alleine von ihrem Haupstsponsor 50.000 Euro. Im Vergleich zum Fußsball ist das lächerlich, verglichen mit dem, wo Trailrunning herkommt, ist es wild. Mich hat eine Freundin kürzlich gefragt, wer eigentlich meine Vorbilder sind. Und ich hab so gedacht, ein Athlet oder eine Athletin ist nicht mehr darunter, Wenn ich ein Wehwehchen habe, rufe ich nach dem Physio, wenn ich Ausrüstung brauche, nach meinem Sponsor und zuhause kocht die Freundin oder die Mama für mich. Was bitte ist daran inspirierend? Wenn ich aber einen erlebe, der voll im Beruf steht, vielleicht noch zwei Kinder hat und dann nebenbei noch krass läuft, das ist doch mega. Was soll für eine 45-jährige alleinerziehende Mutter inspirierend an einer 23-jährigen Sarah Alonso sein?
Nur: Was ist die Henne, was das Ei? Fehlen auf dem Trail heute die wirklichen Typen, oder fehlen jungen Athlet:innen wie Sarah Alonso die Freiräume, authentische Geschichten zu entwickeln?
Klar gibt es auch heute Charaktäre, die lustiger und authentischer sind, als andere. Aber der Druck ist viel härter, die Konkurrenz ist härter, der Alltag getakteter. Wir sind damals vor und nach den Rennen beim Bier zusammengesessen, die Amerikaner haben hart gejointet, das wird es so nicht mehr geben.
Der Ausweg?
Ich glaube durchaus, dass es auch künftig möglich sein wird, Trailrunning so zu erleben, wie wir es kennen. Aspahltfreie Zone, im Zweifelsfall einfach immer der direkteste Weg. Ich habe vorhin ja von den Wachstumszahlen im Trail Running gesprochen. Interessanterweise wachsen die Rennen schon heute nicht mehr im gleichen Maße. Trailrunning wird sich künftig also in zwei Richtungen entwickeln. Und die andere Entwicklung sind eben die Leute, die rausgehen in die Natur und ihr Ding machen. Über kurz oder lang, über die hohen und die nicht so hohen Berge, in ihrem Tempo. Ich würde auch die Ultratrail-Szene, spätestens abseits der wirklichen Elite-Läufer:innen, in diese Kategorie stecken. Die eine Entwicklung: hin zum Profi- und langfristig vielleicht sogar Zuschauersport. Die andere: das, was ich jetzt mal Abenteuer nennen möchte. Ich sehe mich selbst übrigens längst in der zweiten Kategorie, auch weil mir die Berge einfach viel zu wichtig sind.