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Das Magazin für Unternehmenskommunikation Ausgabe 1 · November 2009
Da ist mehr drin — Spaß und Spannung lecker verpackt: Erfolgreiche Kundenmagazine müssen mit der Erwartungshaltung ihrer Leser spielen. Dabei geht viel – aber längst nicht alles. Storytelling mit Suspense — Was Kommunikationsprofis von Hollywood lernen können // Zielgruppe 1 — So funktioniert Personalisierung wirklich /////////////////////////////////////////
Er lkönig — November 2009
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Editorial Liebe Leserin, lieber Leser,
Sprechen Sie mit ihm
N
ichts ist so beständig wie der Wandel. Das ist eine gängige Floskel. Aber wie das nun einmal mit Floskeln so ist: Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Verlagshaus McGraw-Hill hat nämlich schon in den 1950er-Jahren ganz genau auf den Punkt gebracht, wie Kunden ticken. Und an dieser Charakterisierung hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings gilt auch: Der Kunde ist schwer zu packen. Doch sogar der größte Bedenkenträger lässt sich knacken – selbst wenn er so griesgrämig dreinschaut wie der Herr auf der linken Seite. Wie? Die Leute von McGraw-Hill glaubten schon vor 50 Jahren, die Antwort zu kennen. Indem sie alle Bedenken Stück für Stück aus dem Weg räumen und jedes „I don’t know …“ entkräften. Mit einem Kundenmagazin – das kann es nämlich ziemlich gut. • Das Unternehmen wird durch Menschen erlebbar. • Der Kunde lernt Ihre Firma und Ihre Produkte kennen. • Er weiß, wofür Ihr Unternehmen steht. • Er fühlt sich in guter Gesellschaft mit anderen Kunden. • Er weiß, dass er Ihrem Unternehmen vertrauen kann. Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Magazin und fertig? Nein. Der richtige Medienmix machts – und das wird die Aufgabe für die nächsten 50 Jahre sein. Und wer diesen Medienmix immer wieder gut hinbekommt, bringt den Herrn auf dem Foto wahrscheinlich sogar dauerhaft zum Lächeln.
sind Sie mutig? Oder gehören Sie eher zu denen, die sich mutig fühlen, wenn sie Indiana Jones & Co im Kino sehen – Filme also, in denen die HollywoodHelden weder Tod noch Teufel fürchten und mit scheinbar ausweglosen Situationen fertig werden? Vermutlich schlummert ein bisschen von beidem in Ihnen. Und trotzdem fehlt es uns im wirklichen Leben immer wieder am nötigen Adrenalin. Um uns durchzusetzen gegen die Umstände im Job, gegen lähmende Hierarchien oder verständnislose Chefs. Ganz frei nach dem Motto: Ich würde ja, man muss mich nur lassen. Sie sollten, trotz alledem. Denn in einer Kommunikationswelt, in der Marketingbotschaften nur noch dann anzukommen scheinen, wenn man die Zielgruppe unter hysterischen Dauerbeschuss nimmt, funktionieren weder Wegducken noch Durchwursteln. Mut ist hier ein Muss – allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung. Ansonsten gehen unsere Botschaften am Empfänger vorbei. Weil die Menschen selbst aussuchen, was sie hören wollen. Weil sie am längeren Hebel sitzen und mit dem knappen Gut Aufmerksamkeit immer selbstbewusster umgehen. Also: Wie können wir in dieser Situation mit unserer Botschaft durchdringen? Indem wir dem Kunden sehr genau zuhören und lernen, seine neue Autonomie zu respektieren. Erst dann wird er uns wieder seine Aufmerksamkeit schenken. Und das heißt: Wir müssen unsere eigene Welt verlassen. Der Erlkönig will Sie hierzu auffordern. Seien Sie ein wenig wie Indiana Jones. Es lohnt sich – und macht ja auch mächtig Spaß. Der Erlkönig.
Impressum SIGNUM communication Werbeagentur GmbH Lange Rötterstraße 11, 68167 Mannheim, Telefon: +49 (0) 621 33974-0 Telefax: +49 (0) 621 33974-20, E-Mail: mail@signum-web.de Web: www.signum-web.de Creative Direction: Matthias Birkenbach Art Direction: Johannes Bayer, Jörg Volz, Oliver Weidmann Redaktion: Jörg Donner, Daniel Grieshaber, Rosa Ortega Sánchez, Dr. Rainer Stoll, Volker Zeese Lektorat: Dr. Sabine Frilling Kontakt: Dr. Udo Kessler, kessler@signum-web.de, Tel: +49 (0) 621 33974-241
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Er lkönig — November 2009
Spielball Lesererwartung: Was geht, was nicht? — Um der Wahrheit gleich die Ehre zu geben: Was bei Kundenmagazinen geht und was nicht, weiß natürlich niemand, jedenfalls nicht ganz genau. Nicht, weil es an Ideen oder Erfahrungen mangelt. Sondern weil die Anzahl der Möglichkeiten schier unbegrenzt ist. Und weil deshalb jegliche Generalaussage zwangsläufig nichtssagend bleiben muss. Das wussten Sie natürlich. Was also haben Sie erwartet, als Kommunikationsprofi? Patentrezepte? Das kleine Handbuch für dauerhafte Aufmerksamkeit? Hmmm … Was geht: Hier einige Erwartungen – allerdings an Sie.
Punkt eins: Kosten und Honorar. Finden Sie das unverschämt? Hier gleich und unmittelbar an erster Stelle? Nun: Kommunikation hat ihren Preis. Das sehen im Übrigen nicht nur Ihre Dienstleister so, sondern auch Ihre Kunden. Denn die erwarten von Ihnen Wertschätzung, beispielsweise in Form eines hochwertigen Magazins. Was nichts kostet, ist auch nichts wert, so lautet immer noch eine gängige Meinung. Der Umkehrschluss – Sie verlangen Geld für Ihr Kundenmagazin – funktioniert leider nicht. Schließlich ist allen Beteiligten klar: Kundenkommunikation ist kein Altruismus. Punkt zwei:
Veränderungswille und Mut. Rückgrat und Courage zeigen – was das soll? Sie wollen die Erwartungen Ihrer Kunden immer wieder übertreffen. Sie denken, Ihr Magazin kann das. Dann müssen Sie kontinuierlich Neues wagen und Chancen nutzen. Dabei müssen Sie natürlich auch mit Widerständen rechnen und diese überwinden. Was ist das größere Hindernis: eingefahrene Lesegewohnheiten oder endlose Abstimmungsschleifen innerhalb der Firma? Wissen Sie das immer so genau? Unzweifelhaft ist: Ihre Kunden sind Jäger und Sammler von Informationen – und nutzen dazu alle greifbaren Kanäle. Das bietet enorme Möglichkeiten. Aber Sie müssen sich auch immer wieder neu durchsetzen. So manches Medium wird dabei wieder verschwinden. Zwei Dinge werden bleiben. Glaubwürdige Fakten, egal in welcher Verpackung. Und: Ihr Unternehmen braucht mediale Präsenz. In beiden Fällen hat Kundenkommunikation eine Vorreiterrolle. —4—
„Jede Zielgruppe hat das Blatt, das sie verdient“ Punkt drei: Offenheit und Authentizität. Der langweilige Klassiker. Scheinbar langweilig. Sie haben eine Kommunikationsaufgabe – die sich natürlich lösen lässt. Allerdings nur dann, wenn alle Beteiligten wissen, wie Ihr Unternehmen tickt. Sie haben ein Kommunikationsziel – Sie werden es erreichen. Allerdings nur dann, wenn Ihre Kunden Ihnen tatsächlich glauben. Und deshalb lautet die Frage: Wie fähig sind Sie, Kontrollen zurückzufahren? Können Sie bei einem wichtigen Thema auch mal loslassen? Ohnehin: Um die Kommunikationshoheit ist es 2009 nicht mehr allzu gut bestellt. Botschaften von oben werden durch Parallelkommunikation in Social Media kommentiert. Und infrage gestellt. Siehe Vodafone. Siehe Jack Wolfskin. Das macht den vermeintlichen „Klassiker“ brandaktuell. Die Leser wollen keine Hofberichte. Die These lautet: Authentische Kommunikation führt zum Ziel – und braucht keine Kontrolle.
Punkt vier: Fesseln und packen. Geht es noch? Offensichtlich haben Sie den Erlkönig noch nicht aus der Hand gelegt. Vielleicht, weil Sie Teil eines gelungenen Experiments geworden sind? Denn dieser Beitrag hat nicht nur die journalistisch verpönte, direkte Ansprache gewählt. Sondern bisher auch Ihre Erwartungen als Leser nicht erfüllt – zumindest nicht in der Art, wie es die Überschrift suggeriert. Vielleicht konnten wir Denkanstöße geben oder wenigstens für Kurzweil sorgen. Hoffentlich ist es gelungen, Ihnen den Spiegel vorzuhalten. Denn als Fazit gilt: Erlaubt ist, was wirkt. Sie erwarten, dass Ihre Texte mit der Erwartung Ihrer Leser spielen. Aber: Daraus erwachsen Erwartungen an Sie. Denn Sie müssen mitspielen.
Hätte Ihnen das besser geschmeckt? • 2 Pfund Medienvielfalt und -orchestrierung • 500 Gramm integrierte Kommunikation • 1 Dose Web 2.0 und Social Media • Eine Prise Bewegtbild und Embedded Media • Eine Messerspitze Parallelkommunikation • Mit Konvergenz von Unternehmensmedien gut würzen • Mit Response-Elementen abschmecken • Mittelstand nach Belieben
— Gut gemeint heißt noch nicht gut gemacht. Das gilt auch für Kundenmagazine. Der gefragte Blattmacher Helmut Ortner muss es wissen: Er hat zahlreiche Toptitel entwickelt.
Helmut Ortner hat mehr als 50 Kundenmagazine, Mitarbeiterzeitschriften und Publikumstitel entwickelt. Er erhielt für seine Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen und ist Mitglied der Jury beim Wettbewerb „Best of Corporate Publishing“. Kontakt: www.ortner-concept.de
Herr Ortner, warum reden wir im Zeitalter des Internets noch immer über Kundenmagazine? Helmut Ortner: Die Stärke des Internets ist seine Schnelligkeit. Die Stärke von
Printprodukten hingegen liegt in ihrer Glaubwürdigkeit. Deshalb ist ein Kundenmagazin ein wichtiger Kanal im Kommunikationsmix eines Unternehmens und Teil einer crossmedialen Kommunikationsstrategie. Eine Zeitschrift überzeugt durch Haptik und Emotion – das schafft das Internet nicht. Apropos: Die landläufige Meinung vermutet journa listische Glaubwürdigkeit nicht gerade in Unternehmens publikationen.
Eine gute Zeitschrift hat Rückgrat und einen eigenen, unverwechselbaren Charakter. Das gilt auch für Kundenmagazine. Ein gutes Kundenmagazin leistet mit seriösem Journalismus positiven Imagetransfer. Mit schnöder PR lässt sich das nicht erreichen. Dadurch steigt übrigens auch der Umsatz nicht. Das erkennen immer mehr Unternehmen und bieten ihren Lesern spannendes Infotainment. Das kommt an. Sie haben einmal gesagt „Jede Zielgruppe hat das Blatt, das sie verdient“. Gilt das auch für Kundenmagazine?
Es gilt für gut gemachte Kundenzeitschriften. Ein erfolgreiches Kundenmagazin inszeniert zielgruppengenau Informationen, Emotionen und Nutzwert. Es überrascht seine Leser, manipuliert sie aber nicht. So werden aus Kunden Leser − und aus Lesern werden Kunden. —5—
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„Alle guten Geschichten kennen die dunkle Seite“
— Nur immer schön Spannungen und Konflikte vermeiden – wer will solche Geschichten schon lesen oder sehen? Was Filmemacher daher tunlichst vermeiden, ist in der Kundenkommunikation gang und gäbe. Nicht nötig, findet Robert McKee, einer von Hollywoods meistgeschätzten Dozenten für das Schreiben von Drehbüchern. Und gibt eindeutige Ratschläge für Storytelling mit Suspense – was Kommunikationsprofis von Hollywood lernen können.
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Was können Manager von Drehbuchautoren lernen? Robert McKee: Der Hauptjob von Managern ist es, Menschen für bestimmte Ziele
zu motivieren. In der konventionellen Rhetorik sind die meisten Manager geübt. Sie präsentieren üblicherweise PowerPoint-Folien. Dort steht: „Hier ist die größte Herausforderung für unser Unternehmen, und dies oder das müssen wir tun, um Erfolg zu haben.“ Garniert wird das Ganze mit Statistiken, Fakten und Zitaten. Das Problem dabei ist, dass die Zuhörer ihr eigenes Reservoir an Statistiken, Fakten und Zitaten im Kopf haben. Während Sie also noch Ihre Zuhörer zu überzeugen versuchen, streiten diese im Geiste bereits mit Ihnen. Außerdem sprechen Sie nur den Intellekt an. Das ist aber nicht genug, da Menschen nicht nur aus Vernunftgründen handeln. Wenn Sie Menschen überzeugen wollen, müssen sie deren Gefühle ansprechen – und der Schlüssel zu ihren Herzen ist eine gute Geschichte. Mit einer Geschichte können Sie nicht nur viele Informationen vermitteln, sondern auch die Emotionen Ihrer Zuhörer wecken. Ihre Zuhörer werden sich unter tosendem Applaus erheben, statt zu gähnen und Sie zu ignorieren. Was verstehen Sie denn unter einer Geschichte?
Grundsätzlich geht es in einer Geschichte darum, wie und warum sich das Leben ändert. Am Anfang ist die Situation ausgeglichen: Der Held geht Tag für Tag zur Arbeit, und alles ist gut. Doch dann passiert plötzlich etwas, das sein Leben aus der Bahn wirft – beim Drehbuchschreiben nennen wir das „Initialzündung“. Er verliert seine Arbeit, sein Chef stirbt an einem Herzinfarkt oder ein wichtiger Kunde wandert ab. Die Geschichte erzählt dann, wie der Held beim Versuch, die Balance wiederherzustellen, mit der Realität in Konflikt gerät. Ein guter Geschichtenerzähler stattet seinen Protagonisten zudem mit knappen Ressourcen aus. Er hat wenig Zeit, muss schwierige Entscheidungen treffen und widrigen Umständen trotzen. Seine Chancen auf Erfolg stehen schlecht, doch letztlich setzt er sich durch und entdeckt ein Stück Wahrheit. Seit Menschengedenken haben sich alle großen Geschichtenerzähler – von den alten Griechen über Shakespeare bis zur Gegenwart – mit dem fundamentalen Konflikt zwischen subjektiver Erwartung und harter Wirklichkeit beschäftigt. Und wie lernt der Manager nun, Geschichten zu erzählen?
Seit Sie das erste Mal auf dem Schoß Ihrer Mutter gesessen haben, sind Sie mit Geschichten gefüttert worden. Sie haben Bücher gelesen, Filme und Theaterstücke gesehen. Menschen wollen mit Geschichten arbeiten. Von der Psychologie wissen wir: Der menschliche Verstand versucht, die Bruchstücke der Erfahrung zu einer Geschichte zusammenzusetzen. Geschichten funktionieren wie unsere Erinnerung.
„Grundsätzlich geht es in einer Geschichte darum, wie und warum sich das Leben ändert.“
Deshalb müssen Manager nicht nur die Vergangenheit ihres Unternehmens verstehen. Sie müssen sich ein Bild von der möglichen Entwicklung ihres Unternehmens machen und ihr Unternehmen als eine Geschichte verstehen. Wenn ein Manager dann feststellt, dass sich persönliche Erfahrungen in eine solche Geschichte einschleichen, dann sollte er diesen Impuls nicht unterdrücken, sondern ihn für die Geschichte nutzen. Aber was macht eine gute Geschichte aus?
Sie sollten nicht erzählen, wie von Anfang bis Ende Ergebnisse auf Erwartungen treffen. Das wäre langweilig und banal. Stattdessen sollten Sie den Kampf zwischen Erwartung und Wirklichkeit in all seiner Garstigkeit zeigen. Stellen Sie sich zum Beispiel den Vorstand eines jungen Biotech-Unternehmens namens Chemcorp vor, der eine Runde von Wall-Street-Bankern überzeugen muss, in sein Unternehmen zu investieren. Er könnte ihnen erzählen, dass Chemcorp eine chemische Verbindung entdeckt hat, die Herzanfällen vorbeugt, und eine Menge Folien zeigen, die das Marktpotenzial, Geschäftsplan und so weiter zeigen. Die Banker würden höflich nicken und gleichzeitig an all die Unternehmen im gleichen Marktsegment denken, die besser aufgestellt sind. Alternativ könnte der Vorstand aber auch eine persönliche Geschichte erzählen: Sein Vater ist an einem Herzanfall gestorben. Daraufhin hat er Chemcorp gegründet, um einen Früherkennungstest für Herzinfarkte zu entwickeln. Nach intensiven Forschungen hat Chemcorp wissenschaftlich den Durchbruch geschafft. Doch die amerikanische Gesundheitsbehörde lässt sich erst nach langem Hin und Her davon überzeugen, den
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Test zuzulassen. Und schließlich steigt noch ein wichtiger Partner aus und gründet sein eigenes Unternehmen. Das Rennen um das Patent ist für Chemcorp nun ein Kampf bis aufs Messer. Diese Ansammlung von Gegenspielern schafft große Spannung. Der ChemcorpChef hat den Bankern suggeriert, dass die Geschichte jederzeit hätte schlecht ausgehen können. Damit hat er sie gepackt und sagt dann: „Wir haben das Rennen gewonnen, das Patent bekommen. Wir sind bereit, das Mittel auf den Markt zu bringen und pro Jahr eine Viertelmillion Leben zu retten.“ Die Banker werden ihn mit Geld nur so zuschütten.
„Die meisten Unternehmen und Manager präsentieren der Welt ein rosarotes – und langweiliges – Bild. Ein Geschichtenerzähler stellt jedoch die Probleme in den Vordergrund und zeigt dann, wie die Protagonisten damit fertig geworden sind.“
Sprechen Sie nicht eigentlich von Übertreibung und Manipulation?
Nein. Tatsächlich sind es gerade Statistiken, die häufig Lügen erzählen. Und auch Geschäftsberichte sind oft nur geschönte Bilanzen – das bezeugen Fälle wie Enron. Wenn Manager auf mich zukommen, unterziehe ich ihr Unternehmen zunächst einer Art Psychoanalyse. Dabei kommen erstaunliche Dramen zum Vorschein. Die meisten Unternehmen und Manager möchten jedoch den Dreck – die Schwierigkeiten, die Gegenspieler, den Kampf – lieber unter den Teppich kehren. Sie präsentieren der Welt stattdessen ein rosarotes – und langweiliges – Bild. Ein Geschichtenerzähler stellt jedoch die Probleme in den Vordergrund und zeigt dann, wie die Protagonisten damit fertig geworden sind. Was ist so falsch an einem positiven Bild?
Es hört sich einfach nicht wahr an. Sie können eine Pressemeldung veröffentlichen, in der Sie über gestiegene Verkaufszahlen und eine strahlende Zukunft berichten. Ihr Publikum weiß jedoch, dass das niemals so einfach ist und dass Sie Ihre Darstellung geschönt haben. Makellose Bilder und Textbausteine sprechen eher gegen Sie,
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weil sie beim Publikum Misstrauen erzeugen. Meiner Ansicht nach glauben die meisten Vorstände ihren Imageberatern ja selbst nicht – warum sollte es dann die Öffentlichkeit tun? Es ist die große Ironie des menschlichen Daseins: Was das Leben lebenswert macht, kommt nicht von der Sonnenseite. Das Leben zieht seine Energie aus allem, was uns leiden lässt. Gleichzeitig leben wir dadurch aber intensiver. Wer über die dunklen Seiten spricht, wirkt also überzeugender?
Natürlich, weil er wahrhaftiger ist. Seit Menschen in einer Höhle um ein Feuer herum gesessen haben, erzählen sie sich Geschichten, die ihnen helfen, mit Lebensängsten und dem Überlebenskampf fertig zu werden. Alle guten Geschichten beleuchten die dunkle Seite. Ich spreche nicht vom reinen Bösen. Wir alle sind sowohl böse als auch gut, und diese beiden Seiten bekämpfen sich ständig: Der Ex-Enron-Chef Kenneth Lay sagt, es sei keine Absicht gewesen, Arbeitsplätze und Ersparnisse zu vernichten. Der berühmte Filmschurke Hannibal Lecter ist geistreich und charmant, isst aber menschliche Leber. Das Publikum schätzt nur den aufrichtigen Geschichtenerzähler, der mit der dunklen Seite des Menschen nicht hinterm Berg hält und aufrichtig mit Widrigkeiten und Hindernissen umgeht. Die ausführliche Fassung des Interviews ist im Harvard Business Manager erschienen.
Hitchcocks Psycho verkehrt – selbst der Großmeister des Suspense lässt sich spannungsfrei erzählen, wenn er nur glatt genug gebügelt wird. Ein Beispiel aus der Unternehmenspraxis von Bates Motel Ltd.
Bates Motel in strahlendem Licht — Die Bates Motel Ltd. konnte sich nachhaltig als Marke etablieren und hat so die Basis für künftiges Wachstum geschaffen. Bates Motel Ltd. ist ein mittelständisches, familiengeführtes Hotellerieunternehmen. Mit durchschnittlich 350 Gästen pro Jahr erwirtschaftet das an der US Route 60 gelegene Motel einen Umsatz mit Übernachtungen von knapp 15.000 US-Dollar. Hinzu kommen Erlöse aus dem Verkauf von Getränken und kleinen Speisen von rund 1.200 US-Dollar per annum. Seit geraumer Zeit sieht sich das Unternehmen mit schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert: Parallel zum US Highway 60 wurde in den vergangenen Jahren der US Interstate 10 fertiggestellt. Diese vierspurig ausgebaute Fernstraße verbindet Phoenix, die Hauptstadt Arizonas, mit den urbanen Ballungsräumen an der kalifornischen Pazifikküste. Frequentiert wird der Interstate vor allem von Fernpendlern und Reisenden, der Hauptzielgruppe des Motel-Unternehmens. „Die Verkehrsdichte auf dem Highway hat durch den Bau des Interstate erheblich abgenommen“, betont Norman Bates, geschäftsführender Gesellschafter von Bates Motel Ltd. „Dadurch ist auch die Zahl der Übernachtungen in unserem Motel in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen.“ Neben der schwierigen wirtschaftlichen Lage hat Bates auch private Herausforderungen zu meistern: Seit dem Tod seiner Mutter vor zehn Jahren führt er das Motel alleine. Die wirtschaftliche Situation erlaubt ihm nicht, weitere Kräfte für den Betrieb des Motels zu beschäftigen. Gesundheitlich ist Bates von der Bestform entfernt.
Sein Verhältnis zu weiblichen Hotelgästen ist gespannt. Er sucht Entlastung in Zwie gesprächen mit seiner verstorbenen Mutter – zunächst ohne Erfolg. Norman Bates entschließt sich, dieser Situation aggressiv zu begegnen – und kann dem Motel mit einer außergewöhnlichen Imagekampagne die nötige Publizität verschaffen. Flankiert wird die Kampagne von einer umfassenden Neustrukturierung des Betriebs. Auch personelle Veränderungen sind unumgänglich, da Bates aus privaten Gründen nicht mehr am Hauptsitz des Unternehmens tätig sein kann. „Bates Motel Ltd. hat ungeachtet der augenblicklichen Situation die Weichen für die Zukunft gestellt“, betont Norman Bates. „Wir sind davon überzeugt, dass wir mit dem erreichten Bekanntheitsgrad unser Wachstum nachhaltig gesichert haben.“
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Zielgruppe 1: So funktioniert Personalisierung wirklich
— Das richtige Angebot zur richtigen Zeit: Personalisierte One-to-One-Kommunikation gilt vielen als Königsweg im harten Kampf um Marktanteile. Dabei sollte man sich jedoch nicht nur auf seine Kundendaten verlassen – die eine oder andere kreative Idee kann auch nicht schaden.
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ein bester Freund Robert feiert Geburtstag. Fehlt nur noch das richtige Geschenk. Er ist 42 und arbeitet als Berater in einer Cross-Media-Agentur. Robert mag seinen Job. Trotzdem würde ich ihm niemals etwas schenken, das ihn an die Arbeit erinnert, einen Kugelschreiber, ein schickes Moleskine oder so was. Besser eine CD. Britpop: Bloc Party, The Hives, Jet, Oasis. Das mag er. Ich nicht. Also vielleicht lieber ein Buch. Das kommt immer gut an – wenn er es nicht schon hat. Robert liest nämlich so ziemlich alles, was er in die Hände bekommt. Okay, ich bringe ihm ein paar schicke Norweger-Puschen für den Winter mit. Kann man immer gebrauchen. Wenn ich mich nur daran erinnern könnte, ob es Robert oder Michael war, dem ich vorletztes Jahr welche geschenkt habe? Würde ich wissen, was Amazon weiß, hätte ich andere Probleme. Dann wäre es keine Frage, wofür sich Robert gerade interessiert, welche CDs und Bücher er sich kürzlich angeschaut und gekauft hat. Ein Blick in sein User-Profil würde genügen und: Cogito ergo Bumm. Und mit jedem weiteren Buch, jeder CD und jedem anderen Produkte, das er dort bestellt, wüsste ich ein kleines Stückchen mehr über ihn. Amazon ist sehr geschickt darin, Steckbriefe von Kunden anzufertigen, über denen ganz dick „Wanted“ steht. Das möglichst lückenlose Wissen darüber, was andere wollen oder wollen sollen, lohnt sich. Je nach Geschäftsmodell rechnen verschiedene Studien mit Umsatzsteigerungen von 10 bis 15 Prozent. CEO Eric Schmidt von Google will den Usern künftig sogar sagen, „welche Jobs sie nehmen und was sie morgen machen sollen.“ Beim E-Commerce gilt Personalisierung als Hürde, die jeder nehmen muss, der im Geschäft bleiben will. Fragt sich nur: Wie lassen sich diese Steigerungsraten tatsächlich realisieren?
Die richtigen Daten fürs erste Date. Zunächst einmal mit der richtigen Technologie. Wer seinen Kunden zum richtigen Zeitpunkt genau das richtige Angebot machen möchte, braucht Daten. Sehr viele und sehr aktuelle, dann klappts auch mit dem ersten personalisierten Kundendate. Grundlage dafür sind ein Data Warehouse, ein Content-ManagementSystem und Analyse-Tools. Die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse bestimmen die Auswahl des Contents, der dem jeweiligen Nutzer dynamisch zugewiesen wird. Ganz wichtig für eine langfristig erfolgreiche Personalisierungsstrategie ist die dritte Voraussetzung: Diskretion. Wenn ein Kunde erfährt, dass zum Beispiel die Bank seines Vertrauens Daten über ihn an den Meistbietenden verhökert, der sich anschließend unaufgefordert mit Spam bei ihm meldet, zieht er sehr wahrscheinlich sofort den Stecker – und zwar bei beiden.
Durch Personalisierung kann aus Unternehmensbotschaften Information werden – theoretisch sogar ohne jeden Streuverlust. Das setzt voraus, dass die Botschaft beim Empfänger auf zwei Dinge gleichzeitig trifft: auf Nicht-Wissen und Interesse.
Werbung kann Information sein. Wenn die Basis steht, kann Personalisierung erreichen, wovon jede Marketingabteilung früher nicht zu träumen wagte: Aus Unternehmensbotschaften oder Produktwerbung wird Information – theoretisch sogar ohne jeden Streuverlust. Das setzt voraus, dass die Botschaft beim Empfänger auf zwei Dinge gleichzeitig trifft: auf Nichtwissen und Interesse. Es bedeutet aber auch, dass eine erfolgreich personalisierte Kundenansprache kein Selbstläufer ist. Unternehmen, die glauben, es genüge, den Kunden im Anschreiben beim richtigen Namen zu nennen, um ihm dann ein Allerweltsangebot zu unterbreiten, setzen auf das Nichtwissen des Empfängers, wecken aber nicht sein Interesse. Erfolgreiche Personalisierung erfordert neben der korrekten Ansprache auch eine Individualisierung des Produktangebots. Dieses Customizing muss exakt mit den tatsächlichen Bedürfnissen des Adressaten übereinstimmen. Beispielsweise lässt sich der Kunde eines Energiekonzerns kurz vor dem Absprung zur Konkurrenz mit hoher Wahrscheinlichkeit halten, wenn er ein attraktives Angebot erhält, das auf seinen tatsächlichen Verbrauchswerten beruht.
Nur keine Standards. Die Möglichkeiten jedenfalls sind vielfältig: Websites, Mailings, Kundenmagazine, Newsletter, Postkarten, Kataloge, Bilder oder Broschüren – all das lässt sich heute auf den einzelnen Adressaten zuschneiden. Sehr erfolgreich sogar, wenn die richtigen Daten als Ausgangsmaterial für intelligente und überraschende Strategien genutzt werden. Auf etablierte Standards sollte man dabei nicht vertrauen. Denn für Kommunikation gibt es keine Lösung. Sie ist eine Aufgabe, der man sich immer wieder aufs Neue widmen muss. Ach so: Satt Norweger-Puschen habe ich Robert übrigens ein paar Segelschuhe mitgebracht. Der Tipp kam von Karin. Sie ist eine gemeinsame Freundin – und seit heute meine Amazone. — 11 —
Eine Frage des Egos — Ihr Kundenmagazin ist gut, keine Frage. Verbesserungspotenzial? Na ja, vielleicht hier und da. Und wie siehts mit Ihrer Kritikfähigkeit aus? Das wollen wir genau wissen. Beantworten Sie unsere fünf Fragen, und wir sagen Ihnen, wie es um Ihr Ego bestellt ist. Auf Ihrem Schreibtisch liegt der Textentwurf eines freien Autors. Wie arbeiten Sie damit?
A Ich gebe den Text in die Abstimmungsschleife mit Vorstand, Pressesprecher und Marketingleiter.
B Der Text wird haarklein seziert und mit dem Autor diskutiert.
Das Controlling bemängelt die hohen Vertriebskosten für Ihre Zeitschrift. Was unternehmen Sie?
A Nach Rücksprache mit dem Vorstand erscheint das Kunden magazin nur noch online.
Unsere Kunden bekommen nur zu lesen, was exakt unseren Sprachregeln entspricht. C Ich überfliege den Text, ob inhaltlich alles Wesentliche vorhanden ist und gebe ihn ins Layout.
B Das Kernteam wird um die Hälfte reduziert, der Seitenumfang
Ihr wichtigster Kunde erscheint mit einem Vorstandsporträt in Ihrem Heft. Wie inszenieren Sie ihn beim Fotoshooting?
Die Jahresplanung steht an. Wie läuft das bei Ihnen ab?
für das Interview und ein paar Aufnahmen. B Er spielt privat gerne Klavier – daher haben wir einen Flügel ins Fotostudio schaffen lassen, und ein Smoking liegt für ihn parat. C Er hat vorgeschlagen, ihn mit seinen Kindern beim Ballspielen zu fotografieren. Unser Fotograf besucht ihn am Wochenende.
B Wir rufen per E-Mail die Leiter der Fachabteilungen und die
A Wir haben nur 45 Minuten Zeit bekommen. Das reicht gerade
um 30 Prozent. Besser weniger Inhalte als gar kein Magazin.
C Der Verteiler wird überprüft, eine Leserbefragung soll den Nutzen klären. Dann sehen wir weiter.
A Die Redaktion bekommt eine Themenliste, die bei der letzten Vorstandssitzung entstanden ist.
Kollegen aus Forschung und Entwicklung sowie der Verwaltung auf, Themen einzureichen. C Wir sichten die vielen Vorschläge der Mitarbeiter und Leser, sammeln die Kritikpunkte der letzten Hefte und nehmen alles mit in einen jährlichen Workshop.
Das Marketing will einen Artikel über ein neues Produkt platzieren. Wie reagieren Sie?
A Wir greifen den Vorschlag auf und arbeiten den Textentwurf des Produktmanagers entsprechend um.
B Wir nutzen den Anlass und stellen die Vorteile der ganzen Produktreihe dar.
C Wir stellen das Produkt vor, weisen aber auch auf Verspätungen bei der Markteinführung hin.
Welcher Typ sind Sie? Überwiegend A: Die gute
Überwiegend B: Sie haben das Überwiegend C: Denken Sie
Nachricht ist: Sie haben direkten Draht zum Vorstand. Alles andere klingt nach Hofberichterstattung. Diese harte Nuss gilt es zu knacken. Vielleicht durch eine Diskussionsrunde mit ausgewählten Lesern und einem Entscheider aus der Vorstandsebene?
Heft in der Hand. In Ihrem Magazin steht nichts, was Sie nicht unterschreiben würden. Das macht die Berichterstattung allerdings auch vorhersehbar und einseitig. Etwas mehr Spielraum für andere Ideen und weniger vorauseilender Gehorsam wirken manchmal Wunder.
daran – Sie arbeiten nicht für die Süddeutsche Zeitung. In Ihrem Unternehmen gibt es eine ausgeprägte Kultur der offenen Kommunikation. Das schätzen auch Ihre Kunden. Aber: Manchmal ist weniger mehr. Es muss daher nicht immer nur die Kehrseite der Medaille geben.