Das Magazin für Unternehmenskommunikation Ausgabe 3 · März 2010
Restlos bedient — Videos und interaktive 3-D-Darstellungen helfen der traditionellen Betriebsanleitung auf die Sprünge
Die Allesmacher — Verstehen, erklären, zeichnen, animieren – Technische Redakteure müssen Kenner und Könner sein // Tools im Test — CM-, Redaktions- und TranslationMemory-Systeme im Überblick ////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
Er lkönig — März 2010
—2—
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, jedes Jahr dasselbe: Die Steuererklärung macht sich einfach nicht von selbst. Stattdessen wächst der Stapel an Belegen in der Schublade und erinnert einen täglich aufs Neue an das Unvermeidliche. Dabei wäre alles ganz einfach, würde man Anfang des Jahres immer schon ans Ende denken: Quittungen richtig sortiert und abgelegt, Bewirtungsbelege ordentlich ausgefüllt und Rechnungen sauber aufgelistet – schon wäre die lästige Pflicht abgehakt. Ganz ähnlich ist es auch mit der Technischen Dokumentation. Wie die Steuererklärung wird diese Aufgabe oft stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht. Denn Technische Dokumentation ist viel mehr als Bedienungsanleitungen oder Teilelisten. Im Mix der Kommunikationskanäle richtig positioniert, unterstützt sie die traditionellen Formen der Werbung, leistet Pressearbeit, bindet Kunden und schafft Aufmerksamkeit bei Interessenten. Dazu bedarf es aber eines systematischen Vorgehens, einer strategischen Integration in die Kommunikation und vor allem: des richtigen Stellenwerts innerhalb des Unternehmens. Wie Sie Ihre Kollegen, Mitarbeiter und vor allem Ihren Chef von der Wichtigkeit der Technischen Dokumentation überzeugen, steht in dieser Ausgabe des Erlkönigs (Seite 4). Und falls Sie anschließend gleich mit der Suche nach einem Redaktionssystem beauftragt werden, hilft Ihnen der Artikel „Und führe uns nicht in Versuchung“ auf Seite 10. Viel Vergnügen bei der Lektüre. Der Erlkönig.
Impressum SIGNUM communication Werbeagentur GmbH Lange Rötterstraße 11, 68167 Mannheim, Telefon: +49 (0) 621 33974-0 Telefax: +49 (0) 621 33974-20, E-Mail: mail@signum-web.de Web: www.signum-web.de Creative Direction: Matthias Birkenbach Art Direction: Johannes Bayer, Jörg Volz Fotografie: Sabine Kress Redaktion: Jörg Donner, Johannes Frevert, Volker Zeese Lektorat: www.textfit.de Kontakt: Jens Johansson, johansson@signum-web.de, Tel: +49 (0) 621 33974-154
—3—
Er lkönig — März 2010
Die Allesmacher
Hey Boss, ich brauch mehr Geld!
— Groß angelegte Werbekampagnen, üppige Marketingbudgets, weltweite Vertriebsmaßnahmen: alles für die Katz. Mit erstklassiger Produktdokumentation gewinnen Unternehmen immer öfter die Gunst der Kunden und stechen bei Kaufentscheidungen ihre Mitbewerber aus. Technische Redaktion ist deshalb Multitasking für alle Abteilungen.
D
er Kampf um den Kunden findet nicht in den Medien statt. Nicht die Werbung rangelt um die Gunst des Verbrauchers und auch der Vertrieb hat nur mäßigen Anteil am Absatz. Ausschlaggebend ist eine ganz andere Abteilung: Die Technische Dokumentation. Eine gewagte These, zugegeben. Aber ist sie wirklich völlig unhaltbar? Im Konsumgütermarkt geben sicher andere Faktoren den Ausschlag. Auf der Suche nach dem richtigen Plasmafernseher oder der passenden Küchenmaschine sind die Produktmerkmale längst so austauschbar, dass am Ende in der Regel der Hersteller mit dem größten Werbebudget als Sieger vom Platz geht. Ganz anders sieht es dagegen im Business-to-Business-Bereich aus: Wer einen neuen Prüfstand für Automobilzubehör in seine Produktionslinie integrieren will oder seinen Finanzvorstand vom Sinn eines leistungsfähigen Großbackautomaten überzeugen will, benötigt mehr als bunte Werbeprospekte oder Geiz-ist-geil-Angebote.
ohne umwege zu den fakten Während die Technische Dokumentation früher oft erst nach dem Kauf zur Kenntnis genommen wurde, hat sich die Meinungs- und Entscheidungsfindung durch die steigende Virtualisierung von Informationen stark verändert. Nahezu jedes Unternehmen bietet mittlerweile Betriebsanleitungen, Datenblätter, Animationen und weiterführende Informationen zu seinen Produkten zum Download im Netz an. Über Suchmaschinen gelangen Nutzer ohne Umwege direkt zu den harten Fakten, die in Werbebroschüren oder Produktflyern oft zu kurz kommen oder wohlweislich verschwiegen werden. In einer internationalen Studie befragte der deutsche Fachverband für Technische Dokumentation (tekom) mehr als 2.000 Personen zu ihrer Nutzung von Betriebsanleitungen. 31 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, dass die Technische Dokumentation Einfluss auf zukünftige Kaufentscheidungen hat. Und diese Zahl wird in Zukunft weiter steigen: Kein anderes Medium beeinflusst die Entscheidungen —4—
europäischer Konsumenten so stark wie das Internet. Das hat die Marktforschungsgesellschaft Harris Interactive mit ihrer „Digital Influence Index Study“ herausgefunden, bei der 5.000 Europäer nach ihrem Konsumverhalten befragt wurden. Obwohl nur knapp zehn Prozent der Werbebudgets ins Internet fließen, haben demnach Onlinewerkzeuge wie Suchmaschinen, Kommentare anderer Nutzer oder Produktvergleichsseiten für Konsumenten inzwischen eine doppelt so hohe Relevanz für Kaufentscheidungen wie das zweitplatzierte Medium Fernsehen. Eine weitere Erkenntnis: Je komplexer ein Produkt und je weniger die Nutzer ein Produkt beurteilen können, desto häufiger werden die Kommentare anderer Konsumenten gelesen.
Weitreichender einfluss Zwar dreht sich bei der Untersuchung alles um Konsumgüter, aber der Einfluss des Internets auf die Entscheidung bei Großinvestitionen lässt sich nicht wegdiskutieren. „Wir hören immer öfter, dass sich Interessenten bereits im Vorfeld mit unseren Produkten auseinandergesetzt haben, bevor sie mit uns in Kontakt treten“, sagt Markus Bamberg, Leiter Technische Redaktion im Marketing Fabrikautomation bei Pepperl+Fuchs, einem Hersteller für Prozess- und Fabrikautomation. „Der Vertrieb berichtet immer öfter von gut informierten Kunden, die schon ziemlich genau
GL RG
Pressearbeitsmodul
R B-D N GL
Marketingimplantat Betriebsanleitungszentrum
Vertriebshydraulik
Budgetgenerator
M
BL
GR
BL
M
BL
N
GR
BL
BL
B-N
JO 09
GL RG R B-D N
BL F
wissen, was sie wollen.“ Auch ein anderer Hersteller aus dem Industrieumfeld, der nicht genannt werden will, ist vom weitreichenden Einfluss seiner Technischen Dokumentation überzeugt. Deshalb überarbeitet das Unternehmen derzeit seinen Onlineauftritt und stellt zukünftig alle Dokumente konsequent und langfristig im Netz zur Verfügung. „Unser Ziel ist es, der immer größeren Nachfrage nach Informationen durch Kunden und Interessenten gerecht zu werden“, sagt ein leitender Mitarbeiter. „Die Verfügbarkeit Technischer Dokumentationen, sowohl vor dem Kauf als Entscheidungshilfe als auch danach als Basis für Schulungen und Service, ist für viele unserer Kunden ein entscheidendes Kriterium. Das war vor einigen Jahren noch völlig anders.“ Daher arbeiten bei der Umsetzung des neuen Onlineauftritts Marketing, Technische Dokumentation und Vertrieb Hand in Hand – ein deutliches Zeichen für die große Bedeutung innerhalb des Unternehmens. Das verzerrte Bild vom Technischen Redakteur, das in vielen Unternehmen vorherrscht, muss inzwischen durch ein neues ersetzt werden: An die Stelle des angeblichen Pedanten, der Millimeterangaben auf Zeichnungen korrigiert, tritt das Bild vom Alleskönner: Pressearbeit, Vertrieb, Marketing – Technische Redakteure leisten praktisch alles aus einer Hand. Höchste Zeit für die Forderung aus dem 70er-Jahre-Schlager von Gunter Gabriel: Hey Boss, ich brauch mehr Geld. —5—
Er lkönig — März 2010
Restlos bedient?
— Papier ist geduldig und nicht immer die erste Wahl, wenn es um die Vermittlung von komplexen Inhalten geht. Ralf Lahres, Leiter Marketinginfor mation bei der EvoBus GmbH, hat deshalb im Bereich der Technischen Dokumentation bereits vor Jahren den Kurs in Richtung Digitalisierung gesetzt. Warum eigentlich?
Herr Lahres, EvoBus setzt bei Betriebsanlei tungen und technischen Vertriebsdokumenten mehr und mehr auf multimediale Inhalte. Sind textlastige Erklärungen, Broschüren oder andere Printunterlagen ein Auslaufmodell? Ralf Lahres: Nein, jedenfalls nicht bei uns. Omnibusse sind erklä-
rungsbedürftige Produkte mit vielen technischen Spezifikationen, die sich nicht über Bilder vermitteln lassen. Denken Sie nur an Angaben zur Höhe, Länge oder Breite. Texte – gedruckte wie online – haben deshalb auch in Zukunft ganz klar Priorität für uns. Aber die Ergänzung durch Flash-Animationen, Filme oder PDF-Dokumente im 3-DFormat bringt klare Vorteile, die wir nutzen wollen. Welche Vorteile sind das?
In erster Linie eine höhere Qualität der Wissensvermittlung. Wir schulen unsere Vertriebsmitarbeiter sehr umfassend, damit sie den Kunden kompetent über Produkte und Entwicklungen informieren können. Die Erklärung von Neuerungen wie dem Spurassistenten oder —6—
unserer Dieseltechnologie würde sehr viel Text erfordern. Mit Animationen, Videos oder interaktiven 3-D-Darstellungen können wir
—7—
Er lkönig — März 2010
diese Themen dagegen schnell auf den Punkt bringen. Sie machen die komplizierten Beschreibungen sichtbar und damit besser nach-
„Für Verkäufer ist es wichtig, neue Technologien und deren Mehrwert so einfach wie möglich zu erklären. Viele Fragezeichen verschwinden, wenn man zum richtigen Zeitpunkt einen Film oder eine Animation zeigt.“
—8—
vollziehbar. Dadurch lernen unsere Mitarbeiter schneller. Sie sind motivierter und neuen Technologien gegenüber aufgeschlossener. Das überträgt sich auch auf den Kunden. Lässt sich das belegen?
Ja. Aus anonymisierten Auswertungen unserer Schulungsfragebögen und persönlichen Gesprächen mit den rund 200 Vertriebsmitarbeitern in Europa wissen wir, dass sie das Material sehr positiv bewerten und intensiv nutzen.
Wollen Sie damit auch Kosten sparen?
Klares Nein! Wir sind mit unseren hochpreisigen Produkten der Marktführer. Das liegt nicht zuletzt an unserem motivierten Vertrieb. Deshalb kann es gerade hier nicht ums Einsparen von Geld oder anderen Ressourcen gehen, sondern um erstklassige Aus- und Weiterbildung, um Qualität. Multimedia hilft uns, etwa bei der Vor- und Nachbereitung, ersetzt aber keine Kommunikationsaktivität oder Präsenzschulung. Im Gegenteil: Unsere Schulungsaktivitäten haben sich sogar intensiviert.
Zu welchem Zweck setzen Sie die Materialien ein?
Der Fokus liegt auf der internen Verwendung. Aber ein Zusatznutzen der digitalen Medien liegt gerade darin, dass sie sich nahezu beliebig einsetzen lassen, auf Messen, bei Fachveranstaltungen und natürlich auch im Vertrieb. Nicht alle Kunden interessieren sich für technische Details. Kleineren Reisebusunternehmen etwa geht es in erster Linie darum, ihre Fahrgäste bequem ans Ziel zu bringen. Gerade hier ist es für den Verkäufer besonders wichtig, neue Technologien und deren Mehrwert so einfach wie möglich zu erklären. Sie glauben gar nicht, wie viele Fragezeichen verschwinden, wenn Sie zum richtigen Zeitpunkt einen Film oder eine Animation zeigen. Darüber hinaus sind die Materialien auch bei Ausschreibungen hilfreich, an denen wir mit unseren Stadtbussen teilnehmen. Hier wollen wir künftig noch stärker mit neuen Medienformen präsent sein und uns damit klar vor Wettbewerbern positionieren, die nur gedruckte Unterlagen bereitstellen. Können Sie sich vorstellen, dass künftig auch technische Datenblätter oder Betriebsanleitungen im Internet multimedial angereichert werden?
Ich bin zwar nicht für den Bereich Aftersales zuständig, sehe da aber keine Einschränkungen. Natürlich sind hier wesentlich detailliertere Informationen gefragt, aber die Stärke von Filmen oder Animationen liegt ja gerade darin, komplexe Funktionen oder Abläufe im Zusammenhang und in Bewegung zu zeigen. Das eröffnet nicht nur bei uns im Unternehmen viele interessante Möglichkeiten. Beispielsweise lassen sich schwierige Wartungsarbeiten veranschaulichen. Oder Sie können den Kunden im Consumer-Bereich helfen, die mit den unzähligen Funktionen von Festplattenrekordern oder Handys völlig überfordert sind. Ich denke, hier gibt es einen enormen Kundenbedarf und für Unternehmen viel zu gewinnen.
Welches Potenzial sehen Sie in diesem Bereich? Welche Ideen haben Sie?
Ab 2010 werden wir erstmals Podcasts für unsere Außendienstmitarbeiter anbieten, damit sie die Zeit im Auto für Gesprächsvorbereitungen nutzen können. Zur Diskussion stehen Anwendungen für das Handy oder auch „Apps“ für das iPhone zum bequemen Download und Abspielen von MP3-Dateien. Eventuell realisieren wir das auch als klassisches Hörbuch auf CD. Die technischen Details sind noch nicht geklärt, zunächst wird ein Prüfauftrag hierzu erfolgen. Dann wollen wir erstmals kundenindividuelle Broschüren zur Verkaufsförderung einsetzen. Das heißt: Wenn sich ein Kunde für ein Produkt interessiert, erhält er am nächsten Tag eine gedruckte oder digitale Broschüre, die genau dieses Fahrzeug beschreibt – inklusive aller Ausstattungsmerkmale und technischen Highlights. Später wollen wir dem Kunden zusätzlich einen Link schicken, der zu einem Film, einer Animation oder einem 3-D-PDF führt. Was raten Sie einem Unternehmen, das Hier neu einsteigen möchte?
Sie brauchen die Akzeptanz der Zielgruppe zum Medium und zur Vorgehensweise. Je nach Vertriebs- oder Altersstruktur sind hier große Hemmschwellen zu überwinden. Genauso wichtig ist ein Prozess, der eindeutig klärt, welche Inhalte gedruckt und welche zusätzlich oder ausschließlich multimedial umgesetzt werden sollen. Deshalb arbeiten wir eng mit dem Vertrieb zusammen, der mit seinen Wünschen zu uns kommt. Und warum sollte ein Unternehmen diesen Weg beschreiten?
Ralf Lahres
leitet den Bereich Marketinginformation beim Omnibushersteller EvoBus. In dieser Funktion sorgt der Betriebswirt über verschiedene Medien dafür, dass die Vertriebsmitarbeiter stets über alle relevanten technischen Produktinformationen verfügen.
Weil das inzwischen relativ leicht mit Standardsoftware umzusetzen ist und weil immer mehr Menschen ganz selbstverständlich multimediale Inhalte nutzen. Weil die Kunden zufriedener sind, wenn sie die angebotenen Produkte und Varianten besser kennen und deshalb genau das erhalten, was sie wirklich brauchen. Vor allem aber, weil das Ergebnis motivierte, gut geschulte, engagierte und damit erfolgreiche Mitarbeiter sind. —9—
Er lkönig — März 2010
Tools im Test (Teil 1 der Serie)
Und führe uns nicht in Versuchung — Wer seine Technische Dokumentation auf eine solide Basis stellen will, kommt um ein vernünftiges Redaktionssystem nicht herum. Nur welches? Die Prospekte der Hersteller lobpreisen die eigenen Produkte als Heilsbringer. Fakt ist jedoch: Der Glaube an Marketingpsalme bringt Firmen oft in Teufels Küche.
D
ie Tasche von Dirk Meissner* wiegt gefühlte 48 Kilo. Seit knapp vier Stunden ist der Technische Redakteur auf der tekom-Jahrestagung 2009 in Wiesbaden unterwegs, um sich beim „Branchentreff für technische Kommunikation“ über potenzielle Redaktionssysteme für sein Unternehmen zu informieren. 187 Aussteller präsentieren hier ihre redaktionellen Dienstleistungen und Softwarekonzepte, fast alle verteilen bunte Prospekte mit mehr oder weniger aussagekräftigen Inhalten. An den ersten drei Ständen versucht Meissner noch, seine Anforderungen deut— 10 —
lich zu machen. „Nach zwei Sätzen bekommt man dann eine Visitenkarte und einen Prospekt in die Hand gedrückt, das war’s“, ärgert er sich. „Fragt man detailliert nach, schaut man meistens in ratlose Gesichter.“ Also sammelt er die Broschüren wortlos ein, „vielleicht findet sich ja darin noch das Richtige“. Das richtige Redaktionssystem zu finden, ist für viele Unternehmen eine fast unlösbare Aufgabe. Zu unübersichtlich ist der Markt, zu wenig definiert sind die eigenen Anforderungen an eine Lösung. „Alle relevanten Parteien – also Marketing, Entwicklung, Fertigung, Service, Vertrieb und Geschäftsleitung – an einen Tisch zu bekommen, war für uns praktisch unmöglich“, sagt der Leiter Technische Dokumentation eines Unternehmens, der lieber ungenannt bleiben will. „Also haben wir unsere eigenen Maßstäbe angesetzt – und sind damit in arge Bedrängnis gekommen“,
gibt er zu. „Am Ende saßen wir auf einem Redaktionssystem, mit dem wir nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Anforderungen erfüllen konnten, und mussten nach Monaten der Planung wieder ganz von vorn anfangen.“
Mut zur lücke kann fatal sein Aber selbst wenn ein genaues Pflichtenheft erarbeitet ist und die Vorgaben eindeutig festgelegt sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sich dafür eine passende Lösung findet. So mag ein Hersteller vielleicht alle Funktionen bieten, scheitert aber kläglich an der Übernahme der vorhandenen Altdaten. Ein anderer kann womöglich alle Prozesse abbilden, stellt aber derart hohe Anforderungen an die IT-Infrastruktur, dass das Budget über Gebühr belastet wird. Und eine Lösung, die alle Kriterien erfüllt, ist eventuell so kompliziert in der Handhabung, dass sich die Nutzer weigern, damit zu arbeiten. In jedem Fall treiben solche Stolpersteine die Projektkosten in ungeahnte Höhen. „Wir haben vor zwei Jahren in ein Redaktionssystem investiert. Nun explodieren die Kosten und der Nutzen stellt sich nicht ein. Wie können wir das hinbiegen?“, lautet eine Frage, die beispielsweise in speziellen Schulungen des Verbandes Deutscher Ingenieure (VDI) nach eigenen Angaben immer wieder auftaucht. Oft lassen sich solche Probleme auch auf Terminschwierigkeiten zurückführen. „Wer auf der Suche nach einem Redaktionssystem ist, hat in der Regel ein Problem, das er lösen will“, sagt Bernhard Kusche, Technischer Redakteur bei SIGNUM communication. „Sich dann die Zeit zu nehmen, ausgiebig den Markt zu sondieren und sich bei anderen Unternehmen Systeme im laufenden Betrieb anzuschauen, schafft kaum jemand. Noch dazu, wenn der eigene Betrieb weiterläuft.“ Nur so lässt sich aber realistisch einschätzen, ob ein Redaktionssystem für die geforderten Zwecke optimal ist. „Mit ‚Mut zur Lücke‘ ist ein Projekt in dieser Größenordnung schnell an die Wand gefahren“, gibt Kusche zu bedenken. Unterm Strich rechne sich daher ein längerer Auswahlprozess – wenn er denn rechtzeitig begonnen wird. Dirk Meissner hat sich Zeit gelassen, in Wiesbaden. Fündig geworden ist er am Ende des Messetages dennoch nicht. Dafür hat er an einem Stand einen knuffigen Teddybären geschenkt bekommen, den er seiner kleinen Tochter mitbringt. Die gefühlten 48 Kilo Papier bleiben auf dem Messegelände: fein säuberlich aufgeschichtet neben den Altpapiercontainern, aus denen bereits die Ausbeute der anderen Besucher quillt.
Die Jagd nach dem Mythos
— Bernhard Kusche ist Technischer Redakteur bei SIGNUM communication und berät Unternehmen seit sechs Jahren unter anderem bei der Auswahl des richtigen Redaktionssystems. Etwa genauso lang ist er auf der Suche nach der ominösen eierlegenden Wollmilchsau, die fast auf jeder Messe durchs Branchendorf getrieben wird. Gibt es ein Redaktionssystem, das alle Anforderungen erfüllt? Bernhard Kusche: Selbstverständlich. Sogar hun-
derte. Zumindest behaupten das alle Hersteller zu Anfang. Eine Lösung ohne Kompromisse gibt es aber nicht. Am Ende entscheiden sich Unternehmen in der Regel für das Produkt, bei dem sie die wenigsten Abstriche zu ihrer Wunschvorstellung machen müssen und das ins Budget passt. Welche Abstriche schmerzen am wenigsten?
Das sogenannte Web 2.0 rückt immer mehr in den scheinbaren Vordergrund. Funktionen, um die Technische Dokumentation darin abzubilden, kosten Geld, werden aber in der Praxis häufig gar nicht oder nur sehr sporadisch genutzt. Daher sollten sich Unternehmen zunächst auf die klassischen Produkte konzentrieren. Die Entwicklungen im Onlinebereich sind so rasant, dass sich hier erst noch tatsächlich tragfähige Konzepte ausbilden müssen. Wer weiß schon, ob Dienste wie „Twitter“ in zwei Jahren noch interessant sind? Und worauf sollte man keinesfalls verzichten?
Viele Systeme erledigen zwar die Arbeit, verlangen aber für neue Funktionen Updates, die teuer bezahlt werden müssen. Eine gute Lösung sollte auf lange Sicht geplant sein und zu neuen Produktlinien oder Märkten kompatibel sein. Dazu gehört eine Moduldatenbank, die Informationen sinnvoll speichert und bei Bedarf zur Verfügung stellt. Nichts ist ärgerlicher, als Daten doppelt anzulegen. Im schlimmsten Fall weiß man genau, dass Textbausteine schon mal verwendet worden sind, man kann aber nicht mehr nachvollziehen, wo. Den zweiten Teil der Serie „Tools im Test“ lesen Sie in der nächsten Schwerpunktausgabe Technische Dokumentation des Erlkönigs.
* Name von der Redaktion geändert
— 11 —
Troubleshooting — Herzlichen Glückwunsch zum Kauf Ihrer vollautomatischen Dokumentationsmaschine. Sollten Sie wider Erwarten Schwierigkeiten bei der Anwendung haben, helfen Ihnen möglicherweise diese Tipps.
Obwohl Sie alle Infos zu Ihrem Produkt in den Trichter gekippt haben, gibt die Maschine keine Dokumentation aus.
Stellen Sie sicher, dass der „Problem verstehen“-Knopf gedrückt ist und der Konzept-Zeiger auf „ja“ steht. Ihre Technische Dokumentation klingt in den übersetzten Fremdsprachen holprig und ist missverständlich.
Drehen Sie die Stellschraube „intelligente Adaption“ vorsichtig bis zum gewünschten Verständnisgrad. Vorsicht: Die integrierte Goldwaage ist äußerst empfindlich. Die Technische-Dokumentations-CD ist nicht lesbar.
Möglicherweise haben Sie ein unbekanntes Dateiformat als Ausgangsmaterial eingespeist. Die Verarbeitungslogik der Maschine unterstützt zwar die Formate „hypothetisch“, „theoretisch“, „eventuell“ und „sarkastisch“, das Ergebnis ist jedoch unter Umständen nicht bei jedem Kunden verwendbar. Die Technische Dokumentation entspricht nicht den gewünschten Vorstellungen.
Der Telepathie-Modus der Dokumentationsmaschine befindet sich derzeit noch im Betatest-Stadium. Daher kann es im Ergebnis noch zu kleinen Abweichungen zu Ihren unausgesprochenen Wünschen kommen. Bitte verwenden Sie sicherheitshalber immer zusätzlich den Stimmungs- und Bauchgefühldetektor.