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Darm-Hirn-Achse

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Focus Deutschland

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Aktuelle Forschungsergebnisse weisen nicht nur darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Bakterienbesiedlung im Darm und Erkrankungen des Gehirns gibt – auch eine erhöhte Muskel- und Ausdauerleistung wird mittlerweile mit dem Vorhandensein spezieller Bakterienkulturen im Darm in Verbindung gebracht. Mirja Krönung geht ins Detail und erklärt, was Ausdauerleistung und mentale Fitness mit unserem Mikrobiom zu tun haben.

Wie eine gesunde Darmflora Hirn und Körper fit hält

Die Liebe „geht durch den Magen“, wir „haben Schiss“ vor etwas oder verspüren „Schmetterlinge im Bauch“… – das sprichwörtliche „Bauchgefühl“ kennen wir aus unseren Alltagserfahrungen. Doch gibt es tatsächlich eine Verbindung zwischen unserem Magen-Darm-Trakt und unserem Gehirn? Und trifft die Annahme zu, dass unser Verdauungssystem tatsächlich Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln nimmt?

Das Nervensystem ist ein wesentlicher Teil der „Datenautobahn“, über die unser Körper mit unserer Umwelt kommuniziert und vielfältige Mechanismen in seinem Inneren steuert. Auch unser Darm kann weit mehr als „nur“ Nahrung verdauen. So durchzieht ein Geflecht aus rund 100 Millionen Nervenzellen den gesamten Magen-Darm-Trakt. Das sind bis zu fünfmal mehr Neuronen, als sie das Rückenmark aufweist. Das sogenannte enterische oder auch enterale Nervensystem des Darms wird als Teil des vegetativen oder autonomen Nervensystems gesehen, das lebenswichtige Grundfunktionen wie etwa unsere Atmung steuert und als Mittler zwischen Gehirn und Rückenmark – dem zentralen Nervensystem – und einzelnen Organen bzw. Körperfunktionen fungiert.

Beides, das zentrale Nervensystem im Gehirn und Rückenmark und das enterische Nervensystem des MagenDarm-Traktes, bildet sich bereits vorgeburtlich aus und entstammt dem gleichen Ausgangsgewebe. Weil es auch in Struktur und Komplexität unserem Gehirn ähnelt, wird das Nervengeflecht des Verdauungstraktes daher auch als „Bauchhirn“ bezeichnet. Es steuert sämtliche Verdauungsvorgänge, die Durchblutung des Darms und seine Bewegung sowie in Teilen Funktionen unseres Immunsystems.

In Ruhe- und Entspannungsphasen aktiviert der für die Erhaltung des inneren Gleichgewichts zuständige Parasympathikus die Darmbewegung und ermöglicht die optimale Aufnahme von

Nährstoffen. Der Hauptnerv ist der Vagusnerv – der längste unserer zwölf Hirnnerven, der ausgleichend auf unser Befinden wirkt und dessen Aktivierung dabei hilft, Anspannungen zu lösen. Er verläuft vom Hirnstamm im Kopf über Hals und Brust bis in den Bauchraum und damit auch zu den Verdauungsorganen. Gegenspieler ist der Sympathikus, der in Stress- und Ausnahmesituationen – etwa bei erhöhter körperlicher Belastung – den Körper in Kampf- und Fluchtbereitschaft versetzt. Infolgedessen bedeutet Stress für den Darm nicht nur reduzierte Energie für Verdauungsprozesse (Verstopfung, Durchfall etc.) und eine verminderte Nährstoffaufnahme – langfristig betrachtet kann sich Stress auch negativ auf das bakterielle Gleichgewicht auswirken. Zudem reduzieren vermehrt freigesetzte Stresshormone die bakterielle Artenvielfalt im Darm.

Kommunikation zwischen Hirn und Darm

Gehirn und Darm kommunizieren neben den Nervenverbindungen auch über Hormone und Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter. Bekannte Neurotransmitter sind beispielsweise Serotonin, Dopamin und GABA. Serotonin ist für die Informationsverarbeitung und die Denkleistung wichtig. Zudem wirkt Serotonin antidepressiv, schlaffördernd und schmerzhemmend. Dopamin wird auch als „Wohlfühlhormon“ bezeichnet; es fördert Konzentration, Motivation und Antriebskraft. Der Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure) ist wichtig für die Bildung von Wachstumshormonen und den Aufbau der Muskulatur. Außerdem hat GABA eine beruhigende Wirkung und sorgt für mentale Entspannung. Weil diese Botenstoffe sowohl im zentralen Nervensystem als auch im Darm produziert werden, können sich das Gehirn und der Darm – über deren Austausch – wechselseitig beeinflussen. 90 Prozent der Nervenfasern der Darm-Hirn-Achse sind aufsteigend; daher werden mehr Impulse vom Darm zum Gehirn geleitet, als es umgekehrt der Fall ist. Auch sitzen im Darm spezielle Zellen, die Immunbotenstoffe, sogenannte Zytokine, bilden, auf die ebenfalls das Gehirn reagiert.

Emotionen, Stressresistenz und Schmerzwahrnehmung lassen sich über diese Botenstoffe steuern und regulieren. Während die Bifidobakterien-Population der Darmflora beispielsweise den Serotoninspiegel und damit das seelische Wohlbefinden maßgeblich beeinflusst, tragen Laktobazillen dazu bei, den Spiegel von Stresshormonen, wie Cortisol, im Darm zu senken. Jeder Mensch verfügt über eine individuelle Darmflora, die sich im Lauf des Lebens ausdifferenziert und unter den Einflüssen von Ernährung stetig wandelt.

Mirja Krönung

Mirja Krönung ist Business-Trainerin, Kommunikationsstrategin und systemischer Coach. Kunden profitieren von ihrer über 15-jährigen Expertise in der Beratung namhafter Unternehmen aus den Bereichen Healthcare, Fitness und Lifestyle. Arbeitsschwerpunkte sind die Themen ,Kommunikation in Krisen- und Veränderungsprozessen‘, ,Agile Selbstorganisation‘ und ,Healthy Mindset/Mentale Gesundheit‘. Die Expertin begleitet Transformation sowohl im Hinblick auf die interne wie auch die externe Kommunikation, unterstützt mit InhouseSchulungen und Online-Trainings. Weiterführende Informationen unter: www.die-kroenung.com oder per Mail an: info@die-kroenung.com

body LIFE: Warum kann unser Darm unsere Psyche beeinflussen? Dr. med. Manuel Burzler: Aus Studien mit Mäusen wissen wir, dass der Vagusnerv als direkte Verbindung zwischen dem Mikrobiom im Darm und unserem Gehirn fungiert. Noch präziser wäre es daher, von einer „Darm-Mikrobiom-Gehirn-Achse“ zu sprechen.

Darmbakterien bauen Vorstufen für wichtige Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und GABA, von denen alle eine wichtige Rolle für unsere Stimmung spielen. Ist die Darmflora aus der Balance geraten, kann das die Produktion bzw. die Umwandlung in diese wichtigen Neurotransmitter maßgeblich negativ beeinflussen. Wir wissen heute zum Beispiel, dass das Darmbakterium Bifidobacterium infantis wesentlich an der Tryptophan-Synthese beteiligt ist. Tryptophan stellt den Grundbaustein für das Hormon Serotonin dar. 95 Prozent dieses Bausteins werden allein im Darm produziert. Früher ging man von der Fehlannahme aus, die Produktion fände lediglich im Gehirn statt. Wir dürfen und sollten daher das Thema „Darmgesundheit“ gerade im Hinblick auf neurologische und psychische Erkrankungen neu „denken“ und therapeutisch berücksichtigen. Ob chronische Kopfschmerzen, ADHS, Depression, Demenz oder Parkinson – heute wissen wir, dass auch hier der Zustand des Mikrobioms eine entscheidende Rolle spielt. Ähnlich wichtig – neben der bakteriellen Besiedlung – sind

body LIFE im Gespräch mit Dr. med. Manuel Burzler, Arzt für mitochondriale Medizin und Epigenetik. Dr. Burzler ist 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Naturstoffmedizin und Epigenetik (DGName e.V.) und ausgewiesener Stoffwechselexperte. In einer Münchner Gemeinschaftspraxis fahndet er gemeinsam mit seinen Kollegen gezielt nach den Ursachen komplexer Erkrankungen und deren Symptomen.

auch stille, unentdeckte Entzündungen des Darms, sogenannte silent inflammations. Denn hierbei werden

Entzündungsfaktoren, die Zytokine, gebildet, die wiederum Einfluss auf unsere Psyche haben können. Menschen mit entzündlichen Krankheiten,

Menschen mit Übergewicht und Menschen in emotionalen oder geistigen

Ausnahmezuständen – etwa Autisten – besitzen eine ganz andere Darmflora als Gesunde. 50 Prozent aller Reizdarmpatienten klagen über depressive Verstimmungen oder Angstzustände als Begleiterscheinungen. Das uralte Konzept der indischen

Gesundheitslehre Ayurveda oder das der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), wonach im Darm der Ursprung von Gesundheit oder Krankheit liegt, können wir heute wissenschaftlich belegen und durch Daten untermauern. body LIFE: Woran könnte es liegen, dass ein Kunde trotz intensiven Trainings und bewusster Ernährung keine oder nur unzureichend Muskulatur aufbaut? Dr. med. Manuel Burzler: Wenn die

Darmflora nicht gesund ist, werden auch bestimmte Metaboliten von ihr nicht gebildet. Metaboliten sind Zwischenstufen oder Abbauprodukte unseres Stoffwechsels, die wir brauchen, damit dessen Vorgänge im Körper „rund“ laufen. Diese Metaboliten kann man mittlerweile alle messen! Genau das empfehle ich, wenn jemand trotz intensivsten Trainings nur unzureichend Muskulatur aufbauen kann. Wir führen solche Messungen in unserer

Praxis durch; man spricht hier von einer „Metabolom-Analyse“. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Folsäure. Unsere Darmflora aktiviert – methyliert – diese, nachdem wir sie aus der Nahrung aufgenommen haben. Kann das die Darmflora nur bedingt, können etwa Stresshormone nach dem Training nur verlangsamt abgebaut werden. Athleten wissen, was das bedeutet: Ist zu viel „Stress“ im Körper vorhanden, ist die

Regenerationszeit verlängert und damit das Muskelwachstum nur eingeschränkt möglich. Was ich in der Praxis ebenfalls häufig sehe, ist, dass vor allem Veganer und Vegetarier in einem Nukleotid-Mangel sind. Nukleotide sind die Grundbausteine unserer

DNA und an nahezu allen Aktivitäten der menschlichen Zelle beteiligt. Vor allem wenn wir neue Zellen, wie Muskelzellen, bauen, benötigen wir

Nukleotide. Der Körper kann Nukleotide selbst herstellen, diese über die

Nahrung aufnehmen und auch alte

Nukleotide „recyclen“. Nukleotide finden wir nahrungsseitig etwa in Muttermilch, Tierinnereien oder – in geringem Maß – auch in Hülsenfrüchten.

In der Nahrung von Vegetariern und

Veganern sind sie also kaum vorhanden, weshalb dieser Gruppe häufiger ein wesentlicher Grundbaustein fehlt, um mehr Muskulatur aufzubauen.

Mittlerweile kann man Nukleotide aber auch als Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Studien zeigen, dass vom Aufforsten der Nukleotide nicht nur die Muskulatur profitiert, sondern auch ein Reizdarmsyndrom deutlich abgemildert werden kann. body LIFE: Woran kann man eine hochwertige Mikrobiom-Analyse und ein qualifiziertes Labor erkennen? Auf welche Schlüsselkriterien sollte man bei der Auswahl achten? Dr. med. Manuel Burzler: Sowohl spezialisierte Ärzte wie auch einige Firmen mit Hometest-Verfahren bieten inzwischen aussagekräftige Stuhl- und damit Mikrobiom-Analysen an. Sie sollten sich allerdings nicht an einen Arzt wenden, der die klassische Stuhlprobe mit dem Verfahren der Kultivierung anbietet; diese gilt als veraltet und gewährt nur wenig Einblick. Bekannte

Darmbakterien wie Escherichia coli,

Bifido- sowie diverse Laktobazillen-Arten sind verlässlich kultivierbar und machen einen wichtigen Teil der

Darm-Mikrobiota aus. Eine Vielzahl von Anaerobiern, also Mikroorganismen, die nur in sauerstofffreien Lebensräumen wachsen können, lässt sich aber nur sehr aufwendig oder gar nicht kulturell anzüchten. Demzufolge wird ein Großteil dieser Bakterien bei herkömmlichen Stuhluntersuchungen per Kultivierung schlecht bis überhaupt nicht erfasst. Eine umfassende

Analyse des Mikrobioms ist nur über ein genetisches Verfahren möglich.

Neue Mikrobiom-Tests berücksichtigen das und analysieren bereits die

DNA einzelner Bakterien im Mikrobiom. Mit solchen modernen Verfahren können beinahe 100 Prozent aller

Darmbakterien identifiziert werden.

Dadurch bekommen wir alle notwendigen Informationen über die Bakterien und deren Stoffwechselprodukte, um Kunden/Patienten wirklich individuell helfen zu können. body LIFE: Was kann jeder selbst zur Unterstützung einer gesunden Darmflora tun? Dr. med. Manuel Burzler: Hilfreich ist eine ballaststoffreiche Kost, die, wie etwa Chicorée, Topinambur oder Artischocken, viel Inulin enthält. Auch

Kartoffeln, rohes oder gedünstetes

Gemüse, Vollkornreis oder Hülsenfrüchte sind reich an Ballaststoffen.

Ähnlich wertvoll und eine gute Nahrung für die Darmbakterien ist Milchsäure in Form von hochwertigem Naturjoghurt, Kefir, Sauerkraut, Brottrunk oder fermentiertem Gemüse.

Industriell hochverarbeitete Kohlenhydrate und weißen Zucker gilt es zu vermeiden, weil beides die Darmflora negativ beeinflusst und das

Wachstum von Darmpilzen fördert.

Erste Anzeichen hierfür sind häufig chronische Muskelverspannungen.

Auch um Schädlings- und Unkrautvernichtungsmittel und Nahrungsmittel, die Rückstände davon enthalten, sollten Sie einen Bogen machen. Gegen den Alltagsstress, der direkt auf den

Darm wirkt, helfen zur Entspannung

Meditation und Binaurale Beats, die das Gehirn beruhigen können. Essen

Sie zudem langsam, bewusst und genussvoll; ordnen Sie Ihre Gedanken und trainieren Sie ein positives Mindset, das sich an Wachstum und Fülle statt an Mangel orientiert. Wer unterstützend Nahrungsergänzungsmittel einnehmen möchte, sollte Präbiotika vor Probiotika geben. Denn es ist sinnvoller, zunächst das Darmmilieu zu verändern, damit auf dieser Basis dann auch wertvolle Darmbakterien wachsen und sich durch die präbiotische Nahrung vermehren können. Genauso empfehle ich Sportlern, die zu mir kommen, Nukleotide. Diese sind nicht nur für ein gesundes Zellwachstum, sondern auch für ihr Mikrobiom positiv. Studien haben gezeigt, dass

Nukleotide unseren Darmbakterien dabei helfen, sich rasant und gesund zu vermehren.

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