Kriegstagebuch wilhelm harre 1914 belgien und sein weiteres schicksal

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Das Kriegstagebuch von Wilhelm Harre 1914 in Belgien und sein weiteres Schicksal


Kriegstagebuch 1914/15 [= Aufschrift auf dem in Lederimitat gebundenen Büchlein, Maße: 16x11 cm. Hinweis: Kriegsbeginn: 1. August 1914 (Mobilmachung), Wilhelm Harre: Gruppenführer in der 6. Kompanie; 24. Reseve-Infanterie-Regiment, 6. Reserve-Division, III. Reserve-Korps, 1. Armee Übertragung von seinem Enkel: Norbert Harre, Groß-Gerau, 2006] 18/8 Erstes Quartier in Belgien ist Hinnenrich [Himmerich]. Montag von Hinnenrich nach Vise [Himmerich - Visé, ca. 15 km] marschiert. Kaum haben wir unsere Quartiere bezogen, bekommen wir lebhaftes Feuer. Nachher stellt sich heraus, daß wir uns gegenseitig beschossen haben. Vise wird vollständig niedergebrannt. 20/8 Marschierten heute über Festung Diest nach Stadt Ascherot [Aarschot, Visé – Aarschot ca. 91 km]. Hier hat vorher ein erbitterter Straßenkampf stattgefunden. Die Einwohner haben vom Kirchturm auf unsere Truppen mit Maschinen-Gewehren geschossen. Die Kirche wurde vollständig demoliert und über hundert Gewehre daraus erbeutet und darauf soeben verschiedene Häuser in Brand gesteckt. Der Marktplatz liegt voll Verwundeter. Schrecklich traurige Anblicke. 5., 7., und 8. Companie haben sich vorm Dorf eingegraben und biwakieren die Nacht in Schützengräben. Die 6. Comp. liegt im Dorf Betecom [Betekom, 2 km von Aarschot] als Reserve. Fortwährend werden mir Gefangene zur Wache gebracht. Nach und nach kehren die Einwohner ins Dorf zurück; mit Kind und Kegel. Alles hebt, sobald sie uns erblicken, die Hände hoch. 23/8 Marschieren heute auf Brüssel zu. Unterwegs liegen weggeworfenene belgische Tornister und Bekleidungsstücke in großen Mengen. Die belgischen Soldaten ziehen Civilkleidung an und beschießen uns hinterrücks. Den ganzen Sonntag marschiert. Nehmen abends ½10 Uhr Verteidigungsstellung ein. 2 km vor uns wurden einer Ulanenpatrouille 4 Pferde erschossen, von einer feindlichen Radfahrer-Abteilung von ungefähr 80 Mann, welche ein Maschinen-Gewehr bei sich führten. Unsere Ulanen waren bis auf ca. 500 m an der Abteilung. Die Belgier schießen also schlecht, denn es war nur ein Ulan verletzt - durch einen Schuß am Arm. Die Ulanen kamen abends mit dieser Meldung bei unserer Komp. an. Wir nehmen die Verteidigungsstellung ein und bleiben im freien Felde ohne Zelt liegen bei Hird [?] westlich von Meisse [Meise – ca. 10 km nördlich Brüssel, Aarschot-Meise ca. 40 km]. 24/8 5., 7., und 8. Comp. sind hinter Wulwerten [Wolvertem, ca. 4 km von Meise] in ein Gefecht verwickelt. Feindliche Artillerie, Maschinen-Gewehr und Infantrie beschossen die 5., 7., und 8. Comp. Verluste unsererseits beim Gefecht: 2 Tote, 40 Verwundete und 2 Vermisste. Hatten 40 belgische Soldaten als Gefangene gemacht. Die 6. Komp. liegt nordwestlich Meisse in Verteidigungsstellung und bleibt auch die ganze Nacht im Schützengraben in Gefechtsbereitschaft liegen. 25/8 Haben uns heute südöstlich Meisse eingegraben und liegen mit den anderen Komp. vom Battl. in Gefechtsbereitschaft und erwarten den Gegner. Das Res.Regt. 20 ist vor uns und scheint soeben (4½ nachmittags) in ein kleines Geplänkel mit dem Gegner gekommen zu sein. Die Belgier scheinen wieder ausgerückt zu sein, denn nach 10 Minuten schweigt das Feuer. Das Pfeifen unsere Kugeln und das Hurrah der Deutschen können sie nicht vertragen. Denn sobald wir zum Sturm vorgehen, heben die belgischen Soldaten Hände und Gewehr hoch und ergeben sich ohne großen Widerstand zu leisten. 2


26/8 Heute Morgen 6½ Uhr die erste Feldpost (2 Briefe) auf Vorposten südöstlich Meisse erhalten. Werde gegen Mittag zur Komp. zurückgerufen. Unsere Kanonen beschießen schon den ganzen Vormittag die feindliche Infantrie. Gegen 4 Uhr nachmittags erhalte ich den Auftrag, mit 2 Gruppen, also 16 Mann, nach Grimbergen [Grimbergen ca. 6 km östlich von Meise] zu marschieren und dortselbst den Pfarrer, Bürgermeister und 8 der angesehendsten Bürger festzunehmen und zur Komp. zu bringen, weil vormittags die Civilbevölkerung auf deutsche Truppen geschossen hat. Diese 10 Mann werden in sicheren Gewahrsam gebracht und bleiben als Geisel hier. Der Bürgermeister muß sofort im Orte bekanntmachen lassen, dass diese 10 Mann sofort erschossen werden, falls noch einmal von der Civilbevölkerung auf unsere Truppen geschossen wird. Marschieren dann noch um Meisse, welches vormittags wieder vom Feind besetzt wurde. Gehen dann über Wulworten gegen Meisse vor, finden aber nichts mehr vom Feinde. 27/8 Der 3. Zug unserer Komp. besetzt gegen Mittag die Verteidigungsstellung unserer Komp. Der erste und zweite Zug werden im Kloster einquartiert. 28/8 Heute erste Post von zu Hause bekommen. Rücken gegen 10½ Uhr vormittags plötzlich aus dem Kloster aus. Gestern wurde uns bekannt gegeben, daß die französische Nordarmee vollständig geschlagen und von unseren Truppen so schnell verfolgt werde, dass unsere Bagage unsern Truppen nicht zu folgen vermag. Polizeipräsident von Jagow ist Präsident von Brüssel und Gouverneur dortselbst: Frhr. von der Goltz. Festung Namur ist in deutschen Händen. 100 m rechts von uns ist unsere Artillerie aufgefahren und beschießt bereits seit einer ½ Stunde feindliche Kolonnen. Das erste Battl. ist südlich von uns in ein Gefecht verwickelt. Leider kommen wir nicht mehr zum Eingreifen, denn unsere Artillerie schießt zu gut. Wir können durchs Fernglas sehen, wie die Schrapnells und Granaten unserer Artillerie mitten in die feindlichen Kolonnen schlagen und kolossale Verheerungen anrichten. Fluchtartig und in größter Unordnung reißt der Feind aus. Wir rücken gegen Abend nach Grimbergen und werden dort einquartiert. 29/8 4 Uhr morgens Wecken. Rücken südwestlich Grimbergen und heben Schützengräben aus, da uns gemeldet wird, daß die Nacht etwa 1000 Engländer in Belgien gelandet sind. Nachmittags gegen 2 Uhr wird uns gemeldet, daß eine Division Engländer und Belgier vollständig geschlagen und zum größten Teil gefangen genommen wurde. Wir haben wieder nichts davon abbekommen. Gegen 4 Uhr nachmittags kommt der Befehl zum Abrücken in die Quartiere. Wir kommen wieder in unsere Quartiere von gestern in Grimbergen. 30/8 Sonntag und Ruhetag in Grimbergen. Um 10 Uhr steht das Battl. südwestlich Grimbergen zum Gottesdienst. Uns wird mitgeteilt, daß unsere Truppen 5 russische Armeekorps geschlagen und gefangen genommen haben. Antwerpen soll die Nacht von Zeppelin-Luftschiffen überflogen und mit Bomben beworfen worden sein. Dabei sollen 2 Gaskessel explodiert, die Stadt in Dunkel gehüllt und unter den Einwohnern eine furchtbare Panik ausgebrochen sein. Nachmittags Appell im Anzug und Gewehr. Um 3 ½ Uhr nachmittags bekommt unsere Komp. den Befehl sich zum Alarm bereit zu halten. Es soll mit Sturmgepäck losgehen. 31/8 Gegen 2 Uhr nachts kommt der Befehl, daß die Komp. sofort feldmarschmäßig in der Richtung auf Merchtem [Merchtem, Grimbergen - Merchtem ca. 12 km] zur Aufklärung vorgehen soll. Nachdem wir um 8 Uhr morgens in Merchtem eingetroffen sind, besetzen wir sämtliche Ausgänge des Dorfes mit Feldwachen. Bin am Südausgang auf Feldwache. Wie die Einwohner des Dorfes erzählen, war hier gestern noch belgisches Militär. 3


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Wilhelm Harre 1914 Belgien 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42.

18 .08. 1914 19. 08. 20. 08.

23. 08. 26. 08. 31. 08. 02. 09. 03. 09. 04. 09. 06. 09. 07. 09 08. 09. 10. 09.

11. 09. 12. 09. 13. 09. 16. 09. 19. 09. 26. 09. 27. 09. 28. 09. 02. 10. 09. 10. 10.10. 11. 10. 13. 10. 14. 10. 15. 10. 16. 10. 17. 10. 18. 10. 01. 11. 03. 11. 15. 11. 17. 11.

Himmerich Vise Festung Diest Aarschot a Betekom Meise Grimbergen Merchtem Wolvertem 1x Grimbergen Londerzeel Wolvertem 2x Aalst Ninove Asse Wolvertem 3x Brossegem Br端ssel Leuven Herent Aarschot b Hooghot Bei Rotselaar Wakkerzeel Werchter Baal Tremolo Putte Fort Koningshooikt Boechout Antwerpen Melsele Wolvertem 4x Semmerzake Tielt Torhout Belhutte Kortemark Leke Hooglede Houhulst Langemark Houhulst 5


1/9 Morgens 8 Uhr kommt eine Husaren-Patrouille vom Husaren-Res.-Regt. 6 angesprengt und meldet, daß sie 4 km vor uns lebhaftes Infantrie Feuer bekommen hat. Ich gehe in der Richtung mit 3 Mann als Patrouille vor, wir treffen aber nichts an. Die Husaren waren ohne es zu wollen, so dicht an den Feind geraten, daß sie plötzlich aus 100 m Entfernung lebhaftes Infantrie Feuer bekamen und trotzdem die Husaren abgesessen waren, wurde keiner von feindlichen Kugeln getroffen. Die Belgier schießen also immer noch sehr schlecht. Gegen 10½ Uhr morgens werden wir bei der Feldwache abgelöst - vom zweiten Zug unserer Komp. Wir marschieren zur Komp. zurück, welche am Nordost-Ausgange von Merchtem liegt. 2 Uhr nachmittags, als wir gerade beim Essen sind, bringt uns eine Ulanen-Patrouille die Meldung, daß etwa 400 m vor uns an der Windmühle feindliche Kavallerie und Radfahrer sind. Die beiden Züge der Komp. schwärmen aus, und gleich darauf bekommen wir Feuer. Wir erwidern dasselbe, und nach 10 Minuten zieht sich der Gegner zurück. Verwundete unsererseits: niemand. Feindlicherseits: ein toter Unteroffz., durch einen Schuß in die Brust. Derselbe wird von uns zwischen der Windmühle und dem Hause rechts davon, an Stelle wo er gefallen ist, beerdigt. Nachmittags gegen 5 Uhr geht der Feind abermals gegen unsere Feldwache, welche in der Windmühle steht, vor. Die beiden Züge schwärmen abermals in der Richtung Windmühle aus und sind bald mit dem Gegner in lebhaftem Feuerwechsel. Verluste unsere Komp.: 1 Mann schwer verwundet (Kopfschuß), 1 Mann Oberschenkelschuß. Der Feind wird zurückgeschlagen. Wir verfolgen ihn bis über Stennhuffel [Steenhuffel, ca. 4 km nördl. Merchtem]. Gegen Abend ziehen wir uns nach Merchtem zurück und quartieren dort. 2/9 Nachts gegen ½ 12 Uhr kommt der Befehl, daß sich unsere Komp. sofort bis nach Wolwerthem [Wolvertem, Merchtem - Wolvertem ca. 4 km] zurückziehen soll. Sämtliche Wa6


chen und Posten unserer Komp. werden sofort eingezogen. Wir marschieren um 12 Uhr nachts ab und sind gegen 2 Uhr morgens am 2/9 in Wolworthem. Werden dort im Rathaus einquartiert. Kein Stroh; liegen auf dem blanken Steinen. Seit drei Nächten fast nicht mehr geschlafen. 3/9. Heben nordwestlich Grimbergen [Wolvertem - Grimbergen ca. 10 km] Schützengräben aus, bauen Unterstände, Unterstützungs- und Laufgräben. Abends 6 Uhr zieht der erste Zug mit Leutnant Klein auf Feldwache - nordwestlich Grimbergen. Abends 11 Uhr kommt der Befehl: Die 6. Komp. rückt 1130 Uhr ab. Als wir angetreten sind, kommt der Befehl, daß erst um 230 Uhr morgens abgerückt wird. 4/9. Wir marschieren über Wolworthem in südlicher Richtung weiter. Gegen 11 Uhr vormittags schwärmt unsere Komp. aus. Marschieren ausgeschwärmt durch einige Dörfer, aus denen noch vereinzelt auf uns geschossen wird. Dann bleiben wir ausgeschwärmt im freien Felde liegen. Etwa 150 m hinter uns fährt unsere Artillerie auf und beschießt die Dörfer vor uns. Nun bekommt Leutnant Klein den Befehl mit 3 Gruppen vorzugehen (dazu gehöre auch ich mit meiner Gruppe), um Anschluss an den linken Flügel der 35ger zu suchen, welcher halbrechts von uns liegen soll. Wir marschieren ausgeschwärmt in dieser Richtung vor, erhalten von Zeit zu Zeit vom Bahndamm feindliches Flankenfeuer. Sobald wir die Front dahin nehmen, zieht sich der Feind zurück. Nach etwa 1 ½ Stunden treffen wir unsere Pioniere, d.h. der Stabsarzt der Pioniere – selbst verwundet durch einen Schuss im Oberschenkel – waltet in einem abgelegenen Gehöft bereits seines traurigen Amtes an den verwundeten Kameraden. Wir gehen über das Gehöft hinaus vorwärts und bekommen wieder Feuer vom Bahndamm. Nun gibt’s kein Halten mehr. Wir eröffnen das Feuer gegen den Bahndamm. Nun beschießt auch unsere Artillerie, die hinter dem Bahndamm gelegene Ortschaft. Wir sind etwa 100 m davon entfernt. Die Wirkung unserer Artillerie ist kolossal. In einer Stunde brennt fast die ganze Ortschaft (Capelle). In größter Flucht verlässt der Feind seine befestigten Stellungen an Bahndamm und Brücke. Den Weg, den unsere Pioniere und 35ger genommen haben, zeigen uns die Toten und Verwundeten, die das Feld bedecken. Die Pioniere hatten nämlich den Auftrag mit 2 Komp. vorzugehen und die Brücke zu sprengen (das Gelände ist hier für den Angreifer sehr schwierig, für den Verteidiger äußerst günstig). Es war furchtbar nebelig. Unsere Pioniere waren bis auf etwa 75 m an den Bahndamm dran. Zu sehen war bis dahin wegen des dichten Nebels nichts. Plötzlich bekamen die Pioniere lebhaftes Infantrie und Masch.-Gewehr Feuer. Vom Feind war nichts zu sehen, daher die Verluste unsererseits. Die 35ger sollten die Pioniere unterstützen. Die Pioniere waren leider allein und auch etwas zu früh vorgegangen. Die 35ger hatten allerdings auch noch Verluste. Wir helfen noch einige der Verwundeten zum Verbandsplatz zu bringen. Es sind viel Schwerverwundete. Einer ist von 5 Kugeln durchbohrt, lebt aber noch. Einer hat einen Granatsplitter im Rücken. Wieder einige haben Kopfund Brustschüsse, auch Querschläger. Einer hat 3 Schüsse im Bein, davon ein Querschläger der nicht durchgegangen ist. Der Mann ist aber fast vergnügt und verlangt nach einer Zigarette. Wir reichen sie ihm, und er raucht sie befriedigt, trotz der Verwundung. Ein Oberleutnant begegnet uns. Er geht allein zum Verbandsplatz. Er hat einen Schuss durch den Hals, welcher kolossal angeschwollen ist. Und so sind der Wunden verschiedene und dann die Toten, die regungslos daliegen und in deren Gesichtern zu lesen ist, daß sie ihre Pflicht bis zum letzten Atemzuge getan haben. Wie man an den Ringen sieht, sind sie verheiratet. Sie werden hier in Feindesland begraben. Daheim werden die Ihrigen sie beweinen. Schrecklich traurige Anblicke. — Da wir unser Battl. und Komp. nicht wieder finden können, schließen wir uns der 10. Komp. Res.Inf.Reg. 24 an, welche inzwischen nach vorn gekommen ist. Wir marschieren mit der Komp. durch die brennende Ortschaft in nördlicher Richtung. Liegen hinter einem Gehöft am Walde auf freiem Felde, plötzlich bekommen wir abends 7 Uhr feindliches Artillerie Feuer. Die Belgier schießen aber zu weit, denn etwa 200 m hinter und über 7


uns platzen ihre Granaten und richten somit unter uns keinen Schaden an. Wir bleiben ruhig liegen. Abends 9 Uhr ziehen wir uns zurück und treffen unsere Komp. 10 Uhr abends in Londerzeel [Londerzeel, Grimbergen - Londerzeel ca. 13 km], wo wir einquartiert werden. Haben den ganzen Tag noch nichts gegessen. Unsere Artillerie schießt fast die ganze Nacht hindurch. 5/9. Um 6 Uhr morgens marschieren wir von Londerzeel, bleiben bis 6 Uhr nachmittags östlich Londerzeel liegen. Marschieren dann nach Wolwerthem [Londerzeel - Wolvertem ca. 6 km] zurück, wo wir abends 9 Uhr eintreffen. 6/9. Sonntag und Ruhetag in Wolwerthem. Nachmittags 5 Uhr Appell mit Gewehr, Anzug und eis. [erne] Rationen. 7/9. 8 Uhr morgens Abmarsch nach Alost [Aalst, Wolvertem – Aalst ca. 19 km]. Treffen dort 4 Uhr nachmittags ein. Haben gute Quartiere. Stadt von 36000 Einwohnern. 8/9. 7 Uhr morgens Abmarsch nach Ninove [Ninove, Aalst - Ninove ca.12 km]. Sind dort 4 Uhr nachmittags, auch größere Stadt, gutes Quartier. 9/9. Ruhetag in Ninove. Nachmittags 4 Uhr Gewehr-Inspektion. 9/9 zum 10/9. Nachts 11 ½ Uhr wecken. Wir rücken um 1 ½ Uhr morgens aus Ninove. Marschieren bis Asche [Asse]. Sind um 7 ½ Uhr früh in Asche. 8 ½ Uhr Abmarsch von dort nach Wolwerthem. Von Wolwerthem zurück über Brusechen [Brossegem] nach Brüssel, wo wir nachts 12 ½ Uhr eintreffen. Waren also 24 Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Haben über 60 km zurückgelegt. Es war nämlich gemeldet, daß 5 englische Divisionen im Anmarsch seien. Nachher stellte sich der Irrtum heraus. Es war nämlich unser See-Battl. gewesen. Selbige Soldaten trugen zum Teil blaue Uniformen und waren daher für englische und belgische Soldaten gehalten worden. Es wurde um Verstärkung gebeten, und daher der plötzliche Abmarsch unseres Battl. von Ninove. Das Res.Reg. 20 ist auch aus der Umgegend von Ninove nach Wolwerthem marschiert. Treffe mit K. Prewiske von der 7. Komp. Res. Reg. 20 zusammen. Werden die Nacht vom 10/9 zum 11/9 in Brüssel einquartiert. Um 3 ½ Uhr morgens am 11/9 geht’s bereits wieder weiter und zwar nach Lüve [Leuven, ca. 22 km]. Hier hat heute wieder ein Gefecht stattgefunden. Der Feind hatte unsere schwachen Linien von Antwerpen durchbrochen und war in der Richtung nach Lüve marschiert. Daher unser plötzlicher Abmarsch von Brüssel. Als wir in Lüve ankommen, ist das Gefecht bereits beendet. Die Verluste unsererseits sollen ziemlich stark gewesen sein. Der Feind wurde aber zurückgeworfen und hat sich auf Ascherot [Aarschot] zurückgezogen. Unsere Truppen hatten in dem Gefecht 6 Kanonen und 2 Masch.-Gewehre der Belgier erobert, welche bei unserem Einmarsch in Lüve am Bahnhof stehen. Der Stadtteil am Bahnhof in Lüve gleicht fast einem Trümmerhaufen. Beim Ausladen unserer Truppen in Lüve haben nämlich Civilisten aus den Häusern am Bahnhof auf deutsches Militär geschossen. Unsere Truppen wurden so schnell wie möglich ausgeladen und außerhalb der Stadt gezogen. Nun fuhr unsere Artillerie auf und schoss das Häuserviertel am Bahnhof, mit Ausnahme des Letzteren, vollständig in Brand und Trümmer. Lüve ist eine berühmte und schöne Stadt wegen ihrer Altertumssachen. 12/9. Werden 3 Uhr morgens wieder aus dem schönsten Schlaf gestört. Wir lagen in Lüve in einer Kavallerie-Kaserne. Unsere Artillerie schoss die ganze Nacht südöstlich Lüve. Gegen 5½ Uhr morgens wird das Schießen unserer Artillerie, überhaupt das Artillerie-Feuer, lebhafter und 8


dauert bis in die Nacht. Gegen 8 Uhr morgens tritt auch unsere Infantrie und Masch.-Gewehre in den Kampf ein. Gegen 10 Uhr kommt der erste Verwundete vom aktiven Rgt. 99. Er hat einen Streifschuss am Kopfe. Nachmittags kommen die Leichtverwundeten gruppenweise; fast alles Arm- Hand- oder Beinschüsse. Die Schwerverwundeten sind in den nächsten Häusern untergebracht. Es sollen unsererseits ungefähr 50 Tote und an die 400 Verwundete sein. Abends rücken wir in die Ortschaft Herent [Herent, Leuven - Herent ca. 5 km]. Ich komme mit meiner Gruppe auf Außenwache und zwar an der Hauptchaussee Lonvein–Mecheln [Louvain? - Mechelen?]. Sämtliche Häuser dieser Straße sind abgebrannt. Ein Neubau unserer Wachtstube hat nur ein Granatschuß und bietet uns ein wenig Schutz vor dem Regen. Es regnet die Nacht in Strömen - kolossal stürmisch. Gruppenweise kommen die ganze Nacht Teile unseres See-Battl. auf dieser Straße zurück. Sie wollen noch nach Lonwain. Wie sie erzählen, sind sie bereits seit 2 Tagen im Gefecht, haben nichts zu essen noch zu trinken gehabt. Sie sind nämlich von ihrer Komp. abgekommen und konnten wegen feindlichem Artillerie Feuer nicht vor- noch rückwärts. Sie wissen nicht wo ihre Komp. ist und ob überhaupt noch einer davon lebt. Sie haben schwere Verluste gehabt und wollen nun nach Lüve um sich dort zu sammeln. Eine Gruppe bringt noch einen Schwerverwundeten auf einer Karre mit. Ein Leichtverwundeter – gestützt von 2 Kameraden – geht noch mit. 13/9. Werde morgens um 5 Uhr von Außenwache durch einen Radfahrer abgerufen. Wir treffen unsere Komp. an der alten gestern innegehabten Stellung. Marschieren gegen 10 Uhr vormittags über den Kanal. Hier haben gestern unsere Pioniere eine provisorische Brücke übergeschlagen, da die über den Kanal bestehende Brücke stark von feindlicher Artillerie beschossen wurde. Daher beim Übergang unserer Truppen die vielen Verwundeten. Der Feind hat aber die Brücke nicht mehr zerschießen können. Marschieren etwa 1000 m über den Kanal vor. Auf dem Kampffelde von gestern und der Chaussee auf der unsere siegreichen Kameraden vorgegangen sind, liegen viele 100 tote belgische Soldaten. Unsere Art. schießt bereits schon seit 6 Uhr morgens. Gegen 930 Uhr heftiges Masch.-Gewehr und Infantrie Feuer. Der Himmel ist heiter, aber es ist furchtbar stürmisch. Bin für heute als Polizei-Unteroffz. kommandiert und soll darauf achten, daß im Gefecht alles mit vorgeht. Gegen Abend marschieren wir noch nach Arscherot [Aarschot, Herent - Aarschot ca. 12 km]. 10 m vor Arscherot bleiben wir liegen. Es ist mittlerweile 11 Uhr abends geworden. Wir bekommen noch Abendessen, holen uns dann etwas Stroh, wo wir uns zum Schlafen drauflegen. Bleiben unter freiem Himmel liegen, ohne Zelte aufzubauen, da die Stadt allem Anschein nach vom Feinde besetzt ist. Es ist furchtbar stürmisch und regnerisch. Wie mir mein Nebenmann erzählt, soll es heut schon wieder Sonntag sein. 14/9. Die Pioniere bekommen den Auftrag, die Eisenbahn jenseits Arscherot zu sprengen. Die 6.Komp. – also wir – sollen die Pioniere dabei unterstützen. Wir marschieren mit Marschsicherung durch Ascherot. Plötzlich als der Haupttrupp mitten in der Stadt ist, fallen 2 Schüsse. 2 Mann unserer Komp. verwundet: Kopf- und Beinschuß. Gleichzeitig müssen die 2 Schüsse auch Alarmschüsse gewesen sein, denn kurz darauf beschießt die feindliche Artl. die Straße in der wir marschieren. Am jenseitigen Ende der Stadt bekommen wir plötzlich wieder Masch.-Gewehr und Infantrie Feuer. Ein feindl. Radfahrer in Uniform, 18 Jahre alt, wird in der Stadt von uns gefangen genommen. Allem Anschein hat der Bursche die Schüsse auf uns abgegeben. Sein Rückzugsweg war bereits von uns abgeschnitten. Wir gehen nun ausgeschwärmt gegen die Masch.-Gewehre und Inf. vor. Dieselben sind bald zum Schweigen gebracht und die feindl. Artl. stellt bald das Feuer ein. Die Masch.-Gewehre, Inf. und Artl. entkommt uns leider in dem unübersichtlichen Gelände. Es regnet fast ununterbrochen. Wir sind bereits durchnässt. In Ascherot haben bereits am 20/8 heftige Straßenkämpfe stattgefunden. Es sind jetzt nicht mehr viele Häuser in der Stadt, die nicht in Brand geschossen sind. In der ganzen Stadt ist kein Civilist. Gegen 2 Uhr nachmittags kommen wir zurück. Es 9


wird gegessen und wir werden in den Häusern diesseits Ascherot, welche noch einigermaßen intakt sind und uns etwas Schutz gewähren, einquartiert. Wir hatten beim Vorgehen gegen die Masch.-Gewehre noch 2 Schwerverwundete, 1 Brust- und Bauchschuß, 1 Schulterschuß. Im Ganzen hat unsere Komp. heut 4 Verwundete. 15/9. Morgens 330 Uhr Wecken. 5 Uhr marschiert unsere Komp. östlich Ascherot vor und bleiben auf einer Anhöhe liegen. Komme mit meiner Gruppe in einen Park, wo wir uns eingraben. Haben dort herrlichen Kuchen und braten uns Eier und Hühner und vertilgen dabei über 50 Flaschen Wein. Abends 8 Uhr verlassen wir diese Stellung und werden in einer Scheune einquartiert. 16/9. 315 Uhr morgens wird geweckt. Wir nehmen zunächst unsere alte Stellung von gestern wieder ein. Marschieren nachmittags gegen 3 Uhr ab nach Hog–Scharrent [Hooghot bei Rotselaar?, ca.12 km von Aarschot]. Komme dortselbst auf Außenwache I mit meiner Gruppe. Quartiere mir mit meiner Gruppe in der Scheune vom letzten Hause des Dorfes ein. Finde hier noch über 100 Patronen belgische Munition. 17/9. Werde abends 8 Uhr wieder von Außenwache abgelöst, komme mit meiner Korporalschaft in eins der Häuser von Hoog-Scharrent in Quartier. 18/9. Das Dorf Hoog-Scharrent ist vollständig von Zivilisten geräumt. Da wir heute nicht viel Dienst haben, schlachten wir uns in der Korporalschaft ein Schwein und führen hier ein herrliches Leben. Heute Abend gibt es Bouletten. (Koch: Hornist-Gefreiter Lebotta (?). Morgen Mittag soll es Karbonade geben und abends Schmorbraten. 19/9. Morgens 5 Uhr Wecken. Um 630 Uhr Gewehr reinigen. 830 Uhr steht das Battl. feldmarschmäßig zu einer Übung zum Angriff auf Waikerzeel [Wakkerzeel, ca.1 km von Hooghot]. Hier liegt nämlich die 5. und 8. Komp. sowie unser Battl. Stab. Als wir Waikerzeel im Sturm nehmen, sind wir vollständig durchnässt. Es regnet den ganzen Tag in Strömen. Nachmittags 230 Uhr geht unsere Komp. noch nach Werchter [Werchter, 2 km nördl. Wakkerzeel] zur Besichtigung der Schützengräben des ersten Battl. Werchter ist auch vollständig von der Bevölkerung geräumt. Unsere Schützengräben sind etwa 600 m westlich Hoog-Scharrent. Wir liegen mit der 7. Komp., welche in Scharrent liegt, in erster Linie. Rechts von uns in Werchter liegt das erste Battl., links in Haecht [Haacht, ca. 4 km von Wakkerzeel] das dritte Battl., anschließend daran nach links die Matrosen-Division und dann anschließend die 5. Brigade. Die Nacht vom 19. zum 20. bin ich bei Leutnant Klein als Offizierspatrouille. Es regnet die ganze Nacht in Strömen. Wir kontrollieren die Feld- und Außenwachen. Um 11 Uhr und 3 ½ Uhr nachts. Es ist so dunkel, daß man seinen Vorder- und Nebenmann nicht sehen kann. Zu allem Unglück verirren wir uns auch noch im Gelände, da wir vom Wege abgekommen sind und immer querfeldein gehen. Als der Morgen graut, sehen wir erst wo wir uns befinden. 20/9. Werde um 11 Uhr morgens geweckt - zum Postsachenempfang. Erhalte von Emma [seine Frau] Zigarren. Wie mich die Kameraden darob beneiden. Sie werden brüderlich geteilt. Wie die Kameraden erzählen, ist es heute wieder Sonntag. 21/9. Morgens Battl. Übung im Gelände. Nachmittags liegt die Komp. im höchsten Alarmzustande – wird aber nicht alarmiert. Die 7. Komp., welche links von uns liegt, scheint noch in ein kleines Gefecht verwickelt zu sein. Man hört in unmittelbarer Nähe unsere sowie feindl. Art. Feuer, Maschinen-Gewehr und Inf. Feuer.

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22/9. Zwei Züge unserer Komp. sind heute Vormittag zur 7. Komp. kommandiert, um Schützengräben zu verstärken. Nachmittags kommt der erste Zug auch. Komp. wieder auf Wache. Ich habe Feldwache II mit 10 Mann und stehe direkt an der Diele [Fluß: Dijle] etwa 1200 m vor dem Schützengraben unserer Komp. Morgens gegen 5 Uhr revidiert Leutnant Klein die Posten und findet leider meinen Doppelposten schlafend. Auch bei Außenwache II hat der Doppelposten geschlafen. Die Leute sind gemeldet und sehen ihrer Bestrafung entgegen. Es war eine dunkle, aber stille Nacht. Die Scheinwerfer von Antwerpen arbeiten die ganze Nacht hindurch. Ein herrlicher Anblick. Meistens leuchten sie nach oben - nach Zeppelin-Luftschiffen. 23/9. Werde morgens um 7 Uhr abgelöst; und zwar besetzt die 2. Komp. unseres Reg. unsere Stellungen. Wir rücken in deren Stellung nach Werchter. 24/9. Liegen den ganzen Tag in Werchter in unseren Quartieren in Gefechtsbereitschaft. Sonst keinen weiteren Dienst. Spiele mit Pydrinski und Vizefeldwebel Schulz Skat. 25/9. Die Komp. wird nachts 1230 Uhr alarmiert. Komme mit 1 Spielmann und 9 Mann auf Innenwache. Der Rest unserer Komp. besetzt die Schützengräben nordwestlich Werchter. Die Belgier wollen heute durchbrechen, daher diese Vorsichtsmaßnahmen. Gegen 8 Uhr morgens hört man links von uns in der Richtung Haecht Artillerie und Inf. Feuer. Gegen Mittag wiederholt sich dasselbe. Um 1 Uhr mittags bringt mir eine Ulanen-Patrouille 12 gefangene belgische Zivilisten. Diese sind in Baal [Baal, ca. 6 km von Wakkerzeel] gefangen genommen worden. Es sind junge zum Teil kräftige Gestalten. Der Unteroffz. Posten unserer Komp., welcher bis Baal vorgeschoben ist, soll heute Morgen wieder scharf beschossen worden sein, so daß er sich zurückziehen musste. Die Stellung unseres Unteroffz. Posten ist anscheinend wieder durch Zivilisten verraten worden. Daher haben die Ulanen gestern und heute sämtliche Zivilisten in Baal zusammengetrieben. 26/9. Morgens 6 Uhr geht’s weiter nach Baal. Heben dort wieder Schützengräben aus und sind für die Nacht in Baal einquartiert. Baal ist von Zivilisten vollständig geräumt. 27/9. Morgens 7 Uhr Weitermarsch nach Tremeloo [Tremelo, ca. 4 km westl. von Baal]. Heben dort nördlich wieder Schützengräben aus. Gegen 12 Uhr mittags rücken wir in Tremeloo ein. Die männliche Bevölkerung ist hier auch bereits ausgewiesen. Vereinzelte Frauen sind noch hier. Gegen 4 Uhr nachmittags bekomme ich einen Halbzug zur Bedeckung der Artillerie. Werde nach einer Stunde – also 5 Uhr nachmittags – wieder zurückgerufen, da wir weiter vormarschieren. Nachdem wir etwa 2 km marschiert sind, heben wir wieder Schützengräben aus. Gegen 6 ½ Uhr abends bekomme ich den Auftrag mich mit 3 Mann beim Battl. als Patrouille zu melden. Dort ist bereits von der 5. Komp. 1 Unteroffz. und 8 Mann ebenfalls als Patrouille. Wir bekommen den Auftrag in der Richtung nach Putte [Putte, ca. 10 km nördl. von Tremelo] vorzugehen und unseren verwundeten Stabsarzt und eine Karte, auf der unsere augenblickliche Stellung eingezeichnet war, zu suchen. Unser Stabsarzt hatte heute an einer Offiziersaufklärungspatrouille teilgenommen, als sie kurz vor Putte waren, stießen sie auf eine feindliche Feldwache und bekamen Feuer. Gleichzeitig fuhr hinter einer Hecke ein feindliches Panzerautomobil mit Masch.-Gewehr hervor und beschoß unsere Patrouille. Unserem Stabsarzt und 1 Ulan wurde dabei das Pferd erschossen. (Der Stabsarzt wahrscheinlich verwundet). Das Pferd des einen Ulanen erhielt einen Schuß ins rechte Auge und rechten Hinterfuß, ist aber mit seinem Reiter entkommen. 2 Radfahrer wurden die Räder unterm Leibe total zerschossen. Die Leute sind aber auch in den seitwärts der Straße stehenden dichten Sträuchern entkommen und bringen die Meldung von der Verwundung unseres Stabsarztes. Da die Möglichkeit besteht, daß unser Stabsarzt sich trotz seiner Verwundung dort irgendwo 11


im dichten Gestrüpp verkrochen hat, werde ich mit einer Patrouille abgesandt, um ihn zu suchen. Wir suchen den ganzen Wald ab, bis 2 ½ Uhr morgens. Da geht der Mond unter, und wir müssen weiteres Suchen der Dunkelheit halber aufgeben. Haben leider nichts gefunden. Höchst wahrscheinlich ist unser Stabsarzt von den Belgiern gefangen genommen worden. Waren erst 13 Mann stark, jetzt aber nur noch 9 Mann. Als wir an der letzten Feldwache von der 11. Komp. unseres Regt., welche am weitesten vorgeschoben war, vor kamen, kehrten 4 Mann von meiner Patrouille zurück, weil sie Angst hatten. Nachdem der Mond untergegangen war, irren wir noch 1 Stunde lang umher, kommen dann an eine abgelegene Scheune, wo wir uns ein paar Stunden ausruhen und den Morgen erwarten. 28/9. Gehen ein Stück mit unserer Komp. in Richtung Putte [Putte – Tremolo, ca. 10 km]. Dann schwärmen sämtliche Komp. aus und gehen aufgelöst gegen Putte vor, welches stark vom Feind besetzt ist. Links von uns hört man bereits die ganze Nacht hindurch lebhaftes Art. Feuer. Soeben Zigarren von Th. Schmidt und meinem Vater bekommen, auch Chokolade von Emma sowie verschiedene Geburtstagskarten [geboren 29.09.1884]. Wir bauen starke Feldbefestigungen mit Unterständen und Unterstützungsgräben, auch Verbindungsgräben nach den nächsten Häusern, in welchen wir die Nacht zugweise biwakieren. Als wir die Gräben ziemlich fertig haben, bekommen wir feindliches Art.-Feuer. Die Granaten platzen etwas hinter uns, wo die 5. Komp. liegt. Dort ist einem Mann ein Bein abgerissen, 1 Mann hat Granatsplitter am Kopf bekommen. Wir biwakieren die Nacht in den Häusern bei den Schützengräben. 29/9. Morgens gegen 2 Uhr werden wir plötzlich geweckt. Wir hören Art. und lebhaftes Inf. Feuer. Allem Anschein waren die vorgeschobenen Feldwachen angegriffen worden. Nach etwa einer halben Stunde ist alles wieder ruhig und wir können weiter schlafen, bis gegen 5 ½ Uhr morgens. Dann besetzen wir unsere Schützengräben. Gegen 8 Uhr kommt der Befehl: Alles vorgehen. Sämtliche Komp. schwärmen aus und gehen in dieser Formation weiter vor. Von Zeit zu Zeit hört man vereinzelte Gewehrschüsse fallen. Es ist aber nichts von Bedeutung. Nachdem wir so etwa 3 km vorgegangen sind, werden verstärkte Schützengräben ausgehoben; Unterstände und Deckungsgräben gebaut. Vor uns sind große Tomatenfelder. Diese werden alle niedergemacht, damit wir Schussfeld haben. Neben uns ein paar Gehöfte, wo wir die Nacht im Kuhstall, Scheune und 1 Zug im Schützengraben schlafen. 30/9. Bauen die Schützengräben von gestern noch weiter aus. Plötzlich schlagen vor, hinter und neben uns die feindlichen Granaten von Festungsgeschützen ein. Ein Tornister von unserem Zug, welcher noch oben am Schützengraben liegt, erhält einen Granatsplitter und wird total zerfetzt. Die Scheune in der wir die Nacht lagen, bekommt ebenfalls einen Granatsplitter. Hinter uns ist eine Baumreihe. Baumkronen in Beinstärke werden durch Granatsplitter wie Streichhölzer umgeknickt und fallen zur Erde. Etwa 25 m vor unserem Schützengraben ist eine Granate eingeschlagen, die ein Loch gerissen hat, wo sich mindestens 4 Mann hineinlegen können. Wir liegen in unseren Schützengräben und Deckungen. Man muß laut rufen, wenn man sich gegenseitig verständigen will; so rollt der Donner der Geschütze durch die Luft. Es ist ein Pfeifen, Summen und Surren in der Luft, das sich nicht mit Worten schildern lässt. Das ist eben Art. Kampf. Etwa 1200 m vor uns soll ein feindliches Fort sein. Von dort aus werden wir auch mit Festungsgeschützen beschossen. Gegen Mittag schießt auch unsere schwere Art., welche weit hinter uns steht. Wenn die schweren Geschosse über uns sausen, hört es sich an, als ob auf der Straße ein Wagen fährt. Jedes Mal wenn ein Geschoß unserer schweren Art. über uns fliegt, heißt es darum: Jetzt kommt ein Rollwagen und wenn das Geschoß explodiert: Jetzt hat der Rollwagenkutscher eine Kiste abgeladen. Auch die Österreicher schießen mit ihren Motorkanonen von Merchten aus. Der Art. Kampf tobt die ganze Nacht hindurch, so daß man von dem Donner nicht Schlafen kann. Den Tag über haben 12


wir uns im Schützengraben mit Lesen, Karten schreiben und Skat spielen die Zeit vertrieben. Denn an ein Vorgehen ist in diesem Gelände nicht zu denken, zumal da unser rechter und linker Flügel das vor uns liegende Fort umgehen soll, damit uns keiner mehr entkommt und damit der Feind die ihn umfassenden Flügel nicht so scharf unter Feuer nimmt und sich hauptsächlich mit uns beschäftigen soll. Mit der Zeit gewöhnt man sich eben an alles, auch an den kolossalen Kanonendonner, welcher die ganze Nacht vom 30/9. zum 1/10. tobt 1/10. Morgens besetzt unser Zug den Deckungsgraben um sich auszuruhen, da wir die Nacht Feldund Schützengrabenwache hatten. Der Art. Kampf tobt ununterbrochen fort und nimmt gegen Mittag noch an Heftigkeit zu. Die feindliche Art. lässt schon etwas nach. Wahrscheinlich hat sie schon gemerkt, daß sie umzingelt ist. Liegen nun bereits schon seit 2 Tagen ununterbrochen im Granatfeuer. Gegen 6 Uhr abends kommt dennoch der Befehl: Alles vorgehen! Sämtliche Comp. schwärmen aus, und nun geht es wieder vorwärts. Das Feuer der Art., Maschinen-Gewehre und Infantrie ist gerade so, als ob alles rasend wäre. Ein unbeschreibliches Gebrumme und Geknattere. Gegen 7 Uhr abends haben die 20ger links von uns eine feindliche Batterie gestürmt. Wir haben bei unserer Komp. 2 Verwundete, beides Oberschenkelschüsse. Wir graben uns im feindlichen Granatfeuer wieder ein und sind abends gegen 10 ½ Uhr fertig mit unseren Schützengräben, wo wir auch die Nacht drin schlafen. Gegen 12 Uhr nachts bekommen wir Essen. Der Art. Kampf tobt ununterbrochen weiter. Gegen 1 Uhr nachts schweigt das Gewehrfeuer. Von den Dächern der Häuser, welche bei unseren Schützengräben stehen, kann man das etwa 1000 m vor uns liegende feindliche Fort durchs Fernglas gut sehen und auch die Wirkung unserer Art. beobachten. 2/10. Der Art. Kampf tobt weiter. Ab und zu hört man noch Maschinen-Gewehr und Inf. Feuer. Wir bauen die Schützengräben von gestern Abend noch weiter aus und verbleiben in dieser Stellung. Das feindliche Feuer wird immer schwächer. Gegen 5 Uhr abends hört das feindliche Feuer ganz auf. Um 6 ½ Uhr abends kommt der Befehl zum Vorgehen. Blutigrot geht die Sonne unter. Gegen 7 Uhr sind wir am Fuße des Forts, d.h. wir können das vor uns liegende Fort sehen. Ganz allmählich hebt sich jetzt das Gelände bis zum Fort. 7 ½ Uhr sind wir am oberen Rande der Höhe. Jetzt trennt uns nur noch ein etwa 15 m breiter Wassergraben vom Fort. Wir umgehen nun westlich das Fort bis zur Brücke, dort wird Halt gemacht (Fort Königs-Hockt) [Koningshooikt, ca. 5 km nw. von Putte]. Unsere Pioniere und Teile unseres Regt., auch die 20ger, sind bereits im Fort. Mittlerweile ist es 9 Uhr abends geworden. Wir marschieren über das Fort hinaus und quartieren uns in die dahinter liegenden Häuser ein. Die Wirkung unserer Art. an dem Fort ist kolossal. Wo die Kruppschen 42-cm-Geschosse eingeschlagen sind, haben sie haustiefe Löcher gerissen – von einem Umfang, wo eine halbe Komp. drin liegen kann. Die gefangenen Belgier erzählen, daß sie seit 4 Tagen nichts mehr gegessen und getrunken haben. Aus Angst vor unseren Geschützen trauten sie sich nicht, ihre Schützengräben zu verlassen. Lieber haben sie gehungert und gedurstet. Die gefangenen Belgier sind vom Regt. 26. Von der Comp., wo diese Gefangenen zugehören, sind von 150 Mann 140 tot. 10 Mann, der Rest der Komp., ist geflohen und hatten sich versteckt und wurden von uns gefangen genommen. 3/10. Emmas Geburtstag. Wir haben heute bis 8 Uhr geschlafen – welche Wohltat. Unsere Art. schießt ununterbrochen weiter. Gegen Mittag bekommen wir in unseren Quartieren scharfes feindliches Art. Feuer. Die feindlichen Schrapnellkugeln prasseln auf das Dach hernieder, als ob es hagelt. Wir müssen das Haus verlassen. Marschieren 3 km zurück, da unser Battl. vorläufig beim großen Generalstabe als Reserve bleiben soll.

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4/10. Heute Ruhetag. Es soll auch Sonntag sein, was mir jedoch nicht recht einleuchten will. Unsere Art. macht die ganze Nacht und auch heute den ganzen Tag über ein Ohren betäubendes Konzert. Die Erde zittert unter dem rollenden Donner unserer Geschütze. Die Fensterscheiben klirren und die Häuser in ihren Grundfesten von dem kolossalen Kanonendonner. Gegen 5 Uhr nachmittags wird unser Battl. alarmiert. Wir gehen etwa 3 km vor und bleiben dort im freien Feld liegen. Die 12. Brigade soll nämlich heute Abend Lierre [Lier] stürmen und wir bleiben als Hauptreserve auf dem linken Flügel bis 1 ½ Uhr nachts auf freiem Felde liegen. Dann rücken wir wieder in unsere alten Quartiere von gestern. Ich komme auf Außenwache. Heute Abend wurde uns bekannt gegeben, daß die Festung Verdun in Frankreich gefallen ist. Unsere Art. schießt die ganze Nacht unermüdlich weiter. Spiele mit Unteroffz. Lugatz und Neumann bei Mondschein Skat.

5/10. Morgen 3 ¾ Uhr Wecken. Das Regt. sammelt sich nordöstlich Linth [Lint]. Wir marschieren weiter. Unsere Komp. hat die Tete [Kopfstellung]. Wir passieren die Verschanzungen und Feldbefestigungen, welche die Belgier gestern noch inne hatten und zu richtigen Forts ausgebaut haben. Kolossale Drahtverhaue von annähernd 100 m Breite hatten die Belgier vor diesen Verschanzungen. Gegen Mittag kommen wir an einen Fluß: die Nethe [Nete]. Am jenseitigen Ufer hatten sich die Belgier wieder eingegraben. Über die Nethe führt eine Brücke, welche fortdauernd von feindlicher Art. beschossen wird; mit 21-cm-Geschützen. Ein Battl. 20ger und 35ger sollten über diese Brücke, konnten aber wegen des kolossalen feindlichen Art. Feuers nicht hinüber und mussten zurück. Ein Battl. der 20ger hatte mittlerweile am jenseitigen Ufer der Nethe, an einer Stelle, die Belgier vertrieben. Sofort rückten unsere Pioniere heran und bauten eine provisorische Kolonnenbrücke über die Nethe. Über leere Tonnen und Fässer, welche miteinander verbunden waren, wurden Bretter gelegt und unser 14


Battl. - als erstes - passiert in Reihen rechtsum diese Brücke. Vorher hatten wir allerdings noch versucht über die Brücke zu kommen, welche fortwährend von der feindlichen Art. beschossen wurde. Es war jedoch unmöglich. Als wir die Nethe passiert hatten, wird sofort wieder ausgeschwärmt. Hier ist sumpfiges Gelände und wir müssen bis an die Knöchel im Wasser waten. Tote und verwundete belgische Soldaten, auch totes Vieh, liegen hier umher. Einer der Schwerverwundeten streckt uns beide Arme entgegen, als wollte er uns sagen: Helft mir doch! Er ist aber keines Wortes mehr mächtig. Wir gehen ausgeschwärmt weiter und sind auch gleich wieder mit dem Feinde im heftigen Inf. Feuer. Der Feind hat sich in den Parks, Hecken und Gebüschen fest eingenistet. Unsererseits wird aber energisch vorgegangen, und wir bekommen wieder festeren Boden unter die Füße. Auf einer kleinen Erhöhung bleiben wir liegen und graben uns hier allmählich ein, indem ein Mann schießt und ein Mann gräbt. Auf diese Weise bekommen wir allmählich Schutz vor dem feindlichen Feuer. Der Feind hatte bereits Schützengräben in dem vor uns liegenden Wald und Gebüschen. Von hier aus bekommen wir so lebhaftes Schützenfeuer, daß wir nicht weiter vorgehen können, da wir schwach sind. Wir sind nämlich nur 2 Battl. - diesseits der Nethe. Um 1 Uhr nachts sind wir mit unserem Schützengraben fertig. Besetzen denselben und sind nun bereit, den Gegner zu empfangen. Es wird uns mitgeteilt, daß wir diese Stellung unter allen Umständen halten müssen. Ein Zurück gibt’s nicht mehr. Entweder halten wir hier den Feind auf, oder wir sterben hier. 6/10. Morgens um 3 ½ Uhr bricht der Feind vom Walde aus mit aufgepflanztem Seitengewehr auf unsere schwache Linie los. Zwischen uns und dem dritten Battl. unseres Regt. war eine Lücke geblieben. Hier war bereits ein Teil der Belgier durch, entwickelten sich hinter uns, und nun bekamen wir von vorn und hinten Feuer. Am rechten Flügel unserer Komp. sowie bei der 8. Komp. waren die Belgier bereits in unseren Schützengräben. Bei unserer Komp. sind einige Mann durch Bajonettstiche verletzt. Allmählich müssen jedoch die Belgier unserem Feuer weichen. Ein Teil von ihnen wird von uns gefangen genommen; darunter ein Oberst, Major und verschiedene Offiziere. Die anderen, die nicht tot oder schwer verwundet sind, entfliehen in den nächsten Wald. Unser 2. Battl. hatte über 500 unverwundete belgische Soldaten gefangen genommen, ohne die Leichtverwundeten. Gegen 7 Uhr morgens bekommen wir kolossales feindliches Art. Feuer. Auch die feindliche Inf. beschießt uns wieder lebhaft vom Walde aus. Die feindlichen Schrapnells platzen unaufhörlich vor und hinter unserem Schützengraben. Gegen 4 Uhr nachmittags lässt das feindliche Feuer nach und unsere Krankenträger können vorgehen und die verwundeten Belgier holen, welche seit gestern und dieser Nacht auf dem Gefechtsfelde liegen. Einige unverwundete Belgier, die sich in den Gräben verkrochen haben, kommen mit hochgehobenen Händen und ergeben sich. Wie die gefangenen Belgier erzählen, sind sie 2 Regimenter stark gestern Abend von Antwerpen per Bahn abgeschickt worden. Englische Offiziere sollen ihnen gedroht haben, sie würden erschossen, wenn sie wieder nach Antwerpen zurückkämen. Ebenfalls würden sie von uns erschossen werden, wenn sie sich von uns gefangen nehmen ließen. Außerdem ist den Belgiern gesagt worden, daß 100000 Engländer morgen in Antwerpen ankommen, was natürlich alles Schwindel ist. Die armen verwundeten Belgier, welche seit gestern und heute Morgen mit ihren Wunden ohne jegliche Hilfe liegen, sind in ihrem Zustande zu bedauern. In dem Hause, wo sie untergebracht werden, schlagen zu allem Unglück auch noch gegen Abend ein paar feindliche Granaten ein, wobei noch einige getötet wurden. Dann schweigt das feindliche Art. Feuer ganz. Auch die ganze Nacht zum 7/10. hört man feindlicherseits keinen Schuss fallen. Wir halten trotzdem treue Wacht im Schützengraben, da wir jeden Augenblick wieder einen Ausfall der Belgier befürchten. Die ganze Nacht hindurch passieren nun unsere Truppen die Brücke über die Nethe und nun erst bekommen wir Verstärkung. Früher konnten auch diese Truppen die Brücke wegen des feindlichen Art. Feuers nicht passieren. Haben nun bereits 3 Tage und Nächte nicht mehr geschlafen. Die Bagage, Küche und unsere Art. kann auch erst 15


heute die Brücke passieren. Haben daher gestern von unseren eisernen Portionen im Schützengraben gegessen. Die Nacht zum 7/10 war eisig kalt. Es hatte etwas gefroren. Herrlich schön geht die Sonne auf. Es scheint ein herrlicher Tag zu werden, nachdem es in den letzten Tagen und Nächten meistens geregnet hat. Bis um 6 Uhr nachmittags hört man feindlicherseits keinen Schuß fallen. 7/10. Wir verlassen um 12 Uhr mittags unsere Schützengräben und gehen weiter vor, nachdem vorher das Gelände vor uns durch Patrouillen aufgeklärt war. Unsere Art. beschießt vom jenseitigen Ufer der Nethe ununterbrochen die Forts von Antwerpen und das Gelände davor. Gestern Morgen waren wir beinahe von unserer eigenen schweren Art. beschossen worden, denn die Geschosse schlugen immer etwa 150 m vor unserem Schützengraben am Waldrande ein. Nachdem wir einige Kilometer vorgegangen sind, bleiben wir ausgeschwärmt an einem Waldrande liegen. Bald darauf schlagen feindliche Granaten in unsere Nähe ein. Wir ziehen uns etwas zurück. Mit Eintritt der Dunkelheit gehen wir wieder vor und graben uns ein. Ich komme wieder mit meiner Gruppe auf Feldwache. Stehe etwa 300 m vor unserer Komp. an einer Chaussee. Wir graben uns ebenfalls ein, da wir hier morgen schweres feindliches Art. Feuer zu erwarten haben, falls Antwerpen noch nicht kapituliert hat. Es ist heute nämlich ein Parlamentär nach Antwerpen, und die Zeit ist heute Abend um 6 Uhr abgelaufen. Daher den ganzen Tag das Schweigen des feindlichen Feuers. Um 6 Uhr eröffnet der Feind das Feuer, daß Ultimatum ist aber mittlerweile bis 12 Uhr nachts und dann noch mal bis morgen früh 8 Uhr verlängert worden. Gegen 12 Uhr nachts hörte man vor uns noch einmal heftiges Maschinen-Gewehr und Inf. Feuer. Nach einer Stunde tritt allmählich Ruhe ein. 8/10. Morgens gegen 8 ½ Uhr eröffnet die feindliche Art. wieder ihr Feuer. Allem Anschein also: die Verhandlungen gescheitert. Die Belgier schießen jedoch nur sehr schwach. Von Mittag an schießt nur noch ein feindliches Geschütz. Unsere Art. schießt allerdings den ganzen Tag – sonst herrscht Ruhe. Wir bleiben in unseren Stellungen von gestern. Werde gegen 5 Uhr abends von Feldwache abgelöst. Es soll unsererseits ein Funkspruch der Belgier abgefangen worden sein, welcher England um Art. Munition bat. Allem Anschein nach hat sich also die belgische Art. verschossen. Daher erklärt sich auch das Schweigen der belgischen Art. Wir liegen mit der Komp. im Schützengraben. Mit Eintritt der Dunkelheit sieht man recht deutlich wie Antwerpen brennt. Ein schauriger Anblick in der dunklen Nacht. Blutigrot leuchtet meilenweit der Himmel über Antwerpen. 9/10. Haben die Nacht im Schützengraben verbracht, aber gut geschlafen, da es nicht sehr kalt war. Morgens 4 Uhr war von unserer Komp. eine Offizierspatrouille vorgeschickt worden. Selbige fand Fort 4 leer und hisste dort als erste die deutsche Flagge. Fort 3 war auch bereits leer. Wir marschieren gegen 10 Uhr vormittags ab in Richtung nach Bonchont [Boechout, ca. 16km nw von Putte] und hinaus nach Fort 3 und 4. Der erste Zug unserer Komp. marschiert vorläufig nach Fort 3 und besetzt dasselbe solange, bis uns die 5. Komp. ablöst. Der Rest der Komp. war gleich nach Fort 4 marschiert. Finden überall noch kolossale Vorräte an Munition für Art. – hatte sich also doch nicht verschossen. Auch Lebensmittel sind noch genügend vorhanden. Jetzt kommen die Pioniere und untersuchen das Fort auf Sprengstoffe. Wie die Pioniere erzählen, sind auch diese noch vorhanden. Jetzt kommt unser Regt. Adjutant und teilt uns mit, daß Antwerpen kapituliert hat. Welche Freude. Mittlerweile löst uns die 5. Komp. ab, und wir marschieren nach Fort 4 zu unserer Komp., wo wir gleich Mittagessen bekommen. Denn unsere Feldküche ist auch bereits im Fort 4. Nun wird zugweise angetreten und das Fort besichtigt. Die Geschütze im Fort sind größtenteils unbrauchbar gemacht. Die Belgier müssen heute Morgen erst das Fort 3 verlassen haben, denn hier steht noch ein großer Kessel Kaffee, welcher noch reichlich warm ist. Wir fallen hierüber her und lassen ihn uns gut schmecken. Auch die Scheinwerfer- und Telephonanlagen sind in dem Fort 3 und den danebenliegenden 16


Feldbefestigungen noch vollständig intakt. Die Belgier müssen also fluchtartig das Fort verlassen haben. Die Drahtverhaue vor dem Fort waren alle mit elektrischer Starkstromleitung verbunden. Ein Druck auf den Knopf hätte hier genügt, und wir wären reihenweise in unser Grab gesunken. Die Nacht über ist unsere Komp. im Fort 4 einquartiert. 10/10. Wir haben heute bis 7 Uhr morgens geschlafen und noch dazu auf Matratzen. Welche Wohltat, wenn man das erste Mal wieder ein Dach über sich hat, nachdem man wochenlang unter freiem Himmel im Schützengraben kampiert hat. Gegen 10 Uhr vormittags rücken wir vom Fort ab in die nächste Ortschaft (Name unbekannt), quartieren uns dort ein. Nachdem wir uns häuslich eingerichtet hatten, kommt gegen 4 Uhr nachmittags der Befehl zum Abrücken. Wir marschieren nach Antwerpen, machen einen Rundmarsch durch die Stadt, an der LiebfrauenKirche vorbei, zum Hafen. Anschließend Parademarsch vor S. E. [Seiner Exzellenz]. Dann zurück ins alte Quartier, wo wir 10 Uhr abends wieder eintreffen. 11/10. Heute Morgen erst um 8 Uhr aufgestanden. Haben sogar aus Tassen Kaffee getrunken. Das erste Mal wieder nach langer Zeit. Gegen 9 Uhr heißt es plötzlich: Fertigmachen zum Abrücken. Wir marschieren den ganzen Tag. Gegen 1 Uhr mittags sind wir in Malines [Melsele bei Antwerpen ?]. Hier ist eine Stunde Pause, dann geht’s weiter. Wir treffen abends um 9 Uhr in Wolverthem [Antwerpen – Wolvertem bei Merchtem ca. 40 km] ein. Der Ort ist uns bereits von früher bekannt. 12/10. 6 Uhr Wecken, um 7 Uhr Abmarsch. Sind gegen 5 Uhr nachmittags in Öpenbweik [Opwijk ca. 10 km westlich von Wolvertem], wo wir auch die Nacht biwakieren. Die Engländer und Belgier sollen nämlich zwischen Gent und Ostende ausgewichen sein. Die 5. Division greift von Antwerpen aus an und soll den Feind dort festhalten, damit wir, die 6. Division, ihn umgehen können, und dann können wir von beiden Seiten angreifen. 13/10. 6 Uhr Wecken, um 7 ½ Uhr Abmarsch. Treffen gegen 4 ½ Uhr nachmittags in Semmersacke [Semmerzake bei Gavere südl. Gent, Wolvertem – Semmerzake ca. 45 km) ein und werden für die Nacht auch wieder einquartiert. 14/10. 6 Uhr Wecken, 720 Uhr Abmarsch, um 3 ½ Uhr nachmittags gibt’s kurz vor Thielt [Tielt, Semmerzake – Tielt ca. 25 km] Mittagessen, gegen 415 Uhr sind wir in Thielt, wo wir die Nacht wieder einquartiert werden. 15/10. Um 8 Uhr morgens Weitermarsch in Richtung Tourot [Torhout, Tielt – Torhout ca. 20 km], wo wir nachmittags gegen 3 Uhr, nachdem wir kurz vor Tourot gegessen hatten, eintreffen. Hier in Tourot sind heute Morgen um 7 Uhr die Engländer und Belgier in Richtung Ostende verladen worden. Als wir über den Bahnhof hinaus marschieren, finden wir auch noch einige vollständig gesattelte Pferde der Belgier angebunden. Allem Anschein nach haben es die Feinde wieder sehr eilig gehabt, denn kurz hinter Tourot fallen uns auch noch 3 große vollbepackte Wagen mit Bagage und warme Unterkleidung der Feinde in die Hände. Diese Wagen hatten die belgische Civilbevölkerung bespannt und konnten nicht so schnell den Berg herauf. Hier stand etwa 200 m von der Chaussee seitwärts auch ein verlassenes englisches Flugzeug. Hieraus war allerdings der Motor entfernt, also vorläufig für uns unbrauchbar gemacht worden. Unser Battl. zieht auf Vorposten. Die 6. Comp. marschiert etwa noch 6 km über Tourot hinaus - auf der Chaussee nach Beerst. An den letzten Häusern an einem Kreuzwege machen wir Halt und bauen links und rechts der Chaussee Schützengräben. Haben 4 Feldwachen ausgestellt. Der Rest der Komp. liegt in einer Scheune unmittelbar hinter dem Schützengraben und zwar wacht eine Hälfte der Komp., während die andere Hälfte schläft. 16/10. 17


Es soll heute Ruhetag sein. Da wir auf Vorposten sind, werden wir hiervon nichts gewahr. Die anderen Truppen, welche in Tourot liegen, haben es dagegen besser. Bleiben auch heute noch auf Vorposten. Komme gegen Mittag auf Feldwache 3 mit 25 Mann. Unsere Komp. steht in Veld. Die Feldwache 3 ist etwa 2 km auf der Chaussee, welche von Veld nach Bellhutte [Belhutte bei Koekelare, etwa 20 km vom Meer] führt, vorgeschoben. Offizier-Patrouillen und Radfahrer melden, daß das Dorf hinter Bellhutte stark von feindlichen Truppen besetzt ist. Es ist nasskalt und so dunkel, daß man nicht einen Schritt vorwärts zu sehen vermag. Auf der Chaussee nach Bellhutte stehen daher zwei Doppelposten - und zwar ist der eine Doppelposten etwa 100 m vor den anderen vorgeschoben, damit uns der Feind nicht überrumpeln kann. Außerdem gehen die ganze Nacht Patrouillen nach vorn, links und rechts. 17/10. Die Nacht ist ruhig verlaufen. Es hat sich nichts von Bedeutung ereignet. In der Ferne nordöstlich von uns hört man ab und zu Kanonendonner. Das Regt. 20 soll bereits seit gestern mit dem Gegner im Kampfe liegen, wobei es 2 englische Battl. aufgerieben und zum Teil gefangen genommen haben soll. Leider beruhte diese Meldung aber nicht auf Wahrheit. Das Regt. 20 hat sich zurückziehen müssen. Gegen 10 Uhr vormittags erscheinen plötzlich 4 feindliche Radfahrer, etwa 600 m vor unserer Feldwache, und beschießen den Doppelposten. Wir besetzen unsere Verteidigungsstellung und eröffnen ebenfalls das Feuer, worauf die Radfahrer verschwinden. Gehe jetzt mit 5 Mann vor, und als wir bis auf etwa 800 m an Bellhutte ran sind, bekommen wir Infantrie Feuer aus den ersten Häusern. Gleich darauf fährt auf der Straße zwischen den Häusern ein feindliches Panzer-Automobil mit Maschinengewehr auf. Wir geben einige Salven darauf ab und ziehen uns dann zurück. Jetzt fährt noch ein PanzerAutomobil mit Maschinengewehr neben dem ersteren auf. Wir versuchen noch von beiden Seiten die Automobile zu umgehen, bekommen aber Feuer. Bringen nun die Meldung zur Feldwache und Komp. und weiter zum Battl. Der Major kommt mit Automobil und den Radfahrern vom Battl. angefahren. Jetzt gehen wir mit diesen ausgeschwärmt vor, bekommen von den Automobilen Maschinengewehr Feuer und müssen uns zurückziehen. Jetzt fährt unser Major zurück und holt ein Geschütz. Unsere Artillerie schießt aber zu kurz, und die Automobile entkommen. Abends gegen 6 Uhr werden wir abgelöst und kommen zu unserer Komp. Gegen 7 Uhr marschiert unsere Komp. ab, in Richtung Cortenmark [Kortemark, 6km südöstlich], wo wir die Nacht einquartiert werden. 18/10. 530 Uhr Wecken, 7 Uhr Abmarsch über Bellhutte [Belhutte], Leke. Hier liegen bereits die 20ger und die 35ger seit gestern im Gefecht. Wir liegen heute in Reserve. Hinterm Bahnhof – plötzlich – bekommen wir hier feindliches Art. Feuer. Die 20ger hatten heute 31 Belgier gefangen genommen, welche hier im Bahnhof-Wartesaal untergebracht sind. Ein Mann der 7. Comp. wurde hier am Bahnhof durch einen Granatsplitter an der linken Hand verwundet. Gegen Abend gehen wir einige hundert Meter zurück und quartieren uns in den Häusern am Eingang des Dorfes ein. 19/10. Werden 1 Uhr nachts im schönsten Schlaf gestört. Unsere Pioniere, welche in Keyen [Keiem] liegen, sind dort überfallen worden. Die Seitengewehre werden sofort aufgepflanzt. Wir marschieren in der Richtung auf Keyen zu und bleiben etwa 100 m südlich Leike [Leke] ausgeschwärmt in einem Graben liegen, bis gegen 8 Uhr morgens. Dann rücken wir wieder vor in unsere alte Stelle von gestern: am Bahnhof. Kaum sind wir hier angekommen, da bekommen wir wieder feindliches Art. Feuer. Jetzt wird jedes Haus in Leike genau abgesucht, und bald werden in einem Keller 8 Zivilisten gefunden, welche mit der feindlichen Art. Telefon-Verbindung haben und von unserem jedesmaligem Anrücken die feindliche Art. verständigen. Gegen Abend kommen gegen 1000 belgische Gefangene durch; auch diverse feindliche Maschinengewehre, die erobert wurden. Gegen Abend quartieren wir uns wieder in den ersten Häusern des Dorfes Leike ein. 18


20/10. Morgens 5 ½ Uhr Wecken. Wir gehen wieder bis zum Bahnhof Leike und bleiben hier den ganzen Tag liegen. Habe mit Unteroffz. Neumann & Lagartz den ganzen Tag Skat gespielt. Gegen Abend rücken wir wieder in unsere alten Quartiere von gestern. Unsere Artl. schießt den ganzen Tag, auch die Nacht zum 21/10. hindurch, daß man kaum schlafen kann. Morgens 5 ½ Uhr wird geweckt. Wir rücken wieder bis zum Bahnhof, vertreiben uns die Zeit mit Skat spielen bis gegen 7 Uhr abends. 9 Uhr morgens war noch Gewehr-Inspektion. Beim Skat spielen hatte ich heute bei ¼ Pfennig gegen 7 Mk gewonnen. Beziehen dann wieder unsere alten Quartiere von gestern. Gegen 10 Uhr abends wird noch Kaffee ausgegeben, für die Nacht, und es wurde befohlen, es soll sich alles zum Sturm bereithalten. 22/10. Gegen 3 Uhr morgens wird geweckt. Wir gehen durch Leke hindurch und graben uns westliche Leke ein. Kaum haben wir uns eingegraben, kommt der Befehl zum Vorgehen. Wir gehen ausgeschwärmt vor – über eine große freie Ebene. Hier sind überall breite Wassergräben, wo erst Laufstege darüber gelegt werden mussten. Unsere Pioniere haben bereits diese Laufstege fertig. Dies sind zum größten Teil Leitern, worüber ein Brett gelegt war. Hier mussten wir jedes Mal einzeln hintereinander über und dann gleich wieder ausschwärmen. Hierbei bekommen wir fortwährend feindliches Art. Feuer. Endlich finden wir in einem Graben etwas Schutz vor dem feindlichen Schrapnellfeuer. In diesen Graben kriechen wir bis an die Knie im Morast watend vor bis zur Chaussee, dann ein Stück im Chausseegraben entlang. Nun quer über die Chaussee an den Wall des Canals. Hier bekommen wir nun besonders schweres feindliches Art. Feuer. Da die feindliche Art. unsere Kolonnenbrücken, die unsere Pioniere bereits über den Canal geschlagen haben, zerstören will. Da wir plötzlich Flankenfeuer bekommen, wird die 6. und 7. Comp. etwa ein km diesseits des Canals als rechte Seitendeckung vorgeschoben. Wir suchen in einem mit Wasser gefüllten Graben etwas Schutz vor dem feindlichen Maschinengewehr und Infantrie Feuer und graben uns noch vorn nach und nach ein. Vizefeldwebel Schigmann und noch 2 Mann sind bereits tot und 4 Mann vom ersten Zug verwundet. Wir bleiben die Nacht in dieser Stellung unter freiem Himmel liegen. Gegen 8 Uhr abends wird uns in Eimern unser Mittagessen gebracht. Art. Maschinengewehre und Infantrie beiderseits schießen die ganze Nacht hindurch. 23/10. Morgens um 5 Uhr bringt uns Pydrinski bereits in Eimern Kaffee. Wir bleiben den ganzen Tag noch in der gestern eingenommenen Stellung liegen. Haben hier aber einen schweren Stand, denn sobald einer von uns den Kopf hebt, schießt eine Salve über uns hinweg. Die feindliche Art. setzt uns kolossal zu. 1 Mann von unserem Zug wird durch einen Granatsplitter schwer verletzt und stirbt bald darauf. Ein Mann von unserem Zug wird von einer feindlichen Granate getroffen und ist direkt tot. Wir können hier nicht einmal die Toten von gestern und heute begraben, so werden wir von feindlichem Blei überschüttet. Gegen Abend läßt das feindliche Feuer auf dieser Stelle nach, da die 5. Division, welche rechts von uns vorgegangen ist, den Feind hier zurückdrängt. Wir gehen jetzt zurück und passieren über eine Kolonnenbrücke den Kanal. Nun kann man erst das ganze Schlachtfeld übersehen, denn der Kanal-Wall ist ziemlich hoch und dahinter hatten sich die Belgier festgesetzt. Wir gehen im Schutz der Dunkelheit quer durch die Ebene. Vor uns liegen brennende Dörfer und Gehöfte. Vor einem zerschossenen aber nicht abgebrannten Gehöft machen wir Halt und graben uns ein. Kaum haben wir hiermit begonnen, da bekommen wir wieder lebhaftes feindliches Art. Feuer. Es ist als ob sie uns sehen. Wir müssen in liegender Stellung arbeiten. Und das Art. Feuer dauert die ganze Nacht an. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an das Art. Feuer und schläft, trotzdem die feindlichen Granaten und Schrapnells kurz vor, hinter und zu beiden Seiten von uns platzen und einschlagen. 24/10.

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Morgens gegen 9 Uhr geht’s weiter vor. Es ist alles ebenes Gelände, wo wir darüber müssen. Die Belgier liegen in Schützengräben und empfangen uns durch ein mörderisches Feuer, welches durch ein gut gezieltes Art. Feuer unterstützt wird. Das Schlachtfeld von gestern ist noch mit Leichen wie besät. Unaufhörlich geht’s weiter vor und wir graben uns etwas abseits einer Chaussee auf freiem Felde ein. Bin heute mit einigen Leuten von unserer Comp. abgekommen. Wir haben uns der 7. Komp. Rgt. 20 angeschlossen. Bei dieser bleiben wir auch die Nacht im Schützengraben. 25/10. Unsere Komp. können wir nicht wieder finden, da verschiedene Regt. und Komp. alles durcheinander im Schützengraben liegt. Bekommen hier aber ein verheerendes feindliches Art. und Inf. Feuer. Wir verbleiben beim Rgt. 20 und gehen auch am 26/10. morgens 10 Uhr mit diesem Rgt. vor. Es soll gestern Sonntag gewesen sein. Die Nacht zu heute war aber grausam. Es regnet fast die ganze Nacht in Strömen. Trotzdem wir uns mit der Zeltbahn zugedeckt hatten, sind wir bald bis auf die Haut durchnässt. Hatten seit 2 Tagen keinen Tropfen Wasser mehr. In den Gehöften hier sind die Brunnen verseucht, und die Pumpen vernichtet, und der Durst quält uns mehr denn Hunger und feindliches Feuer. Alles lechzt nach einem Tropfen Wasser. Unser Schützengraben ist in einer Wiese. Als wir einige Spatenstiche tief gegraben haben, sind wir im blauen Ton. Als wir tiefer graben, bekommen wir Wasser. Diese Freude endlich wieder mal den Gaumen befeuchten zu können. Das Wasser sah aus wie Abwaschwasser, über den Geschmack ganz zu schweigen. Es war aber doch etwas Nasses. Wir füllen uns die Feldflaschen voll und gehen um 11 Uhr morgens im feindlichen Art. Masch-Gewehr und Inf. Feuer weiter vor. Wir graben uns im freien Felde wieder ein. Bekam hier eine leichte Verwundung am linken Daumen und gehe gegen Abend aus der Gefechtslinie zurück. Treffe nach etwa 1 ½ Stunden unsere Feldküche. Freudevoll empfängt mich Drjdeinski und bewirtet mich brüderlich. Nachdem ich ordentlich gegessen und getrunken hatte, wurde mir unwohl. Ich hatte zuviel und zu schnell gegessen. Das konnte der Magen nicht vertragen. Gehe am andern Morgen um 6 Uhr mit der Küche nach Leke zurück und bleibe vorläufig hier. Die Feldküchen können nur nachts über den Canal vorfahren und müssen dann den Comp. in Eimern das Essen vorbringen. Bei Tagesanbruch müssen die Küchen wieder zurück sein, da die feindliche schwere Art. immer noch den Canal bestreicht. Ebenfalls können die Krankenträger die Verwundeten nicht am Tage vom Schlachtfelde holen, da sie jedes Mal stark beschossen werden. Die armen Schwerverwundeten müssen also immer bis zur Nacht in ihren Schmerzen liegen. Es ist ein Stöhnen und Jammern, daß einem das Herz brechen will. Gestern Abend lag direkt hinter unserem Schützengraben auch ein Schwerverwundeter. Gegen Mitternacht röchelte er noch. Doch konnte ihm niemand von uns Hilfe bringen. Heute Morgen war er bereits tot. Und dies Bild wiederholt sich immer wieder. 27/10. Gestern Abend ist unser Hauptmann durch einen Bauchschuß verwundet worden, Unteroffz. Lagartz hat einen Wadenschuß, Unteroffz. Ziehm ist tot; außerdem wohl fast die Hälfte der Comp. tot oder verwundet. Ich bleibe heute in Leke - bis Mittag. Gehe dann mit der Küche vor bis zum Canal. Abends wird unser Battl. aus vorderster Linie abgelöst und kommt in das zunächst am Kanal liegende Gehöft in Quartier. Wie sich die Leute alle freuen endlich wieder mal ordentlich essen, trinken und schlafen zu können. Die Strapazen und Verluste unserer Komp. waren in den letzten Tagen groß. Die 6. Komp. hat 17 Tote und 51 Verwundete. 28/10. Haben heute Ruhetag und uns ordentlich ausgeschlafen, was uns besonders Not tat. Dann Drjdrinski seinen Geburtstag gefeiert, Skat gespielt und diverse Pullen dabei geleert. 29/10. Morgens 7 Uhr Abmarsch übern Kanal. Graben uns dort ein und bleiben hier bis abends 8 Uhr liegen. Dann marschieren wir zurück nach Leke. 20


30/10. Morgens 2 15 Uhr Wecken. Marschieren um 3 Uhr ab über Kur-Backe [Schoorbakke]. Beziehen westlich Kur Backe, hinter einem Gehöft links der Chaussee, einen Schützengraben. Wir sind heute Reserve bei der Brigade. Bleiben hier den ganzen Tag und auch die Nacht liegen. Ab und zu schickt uns die feindliche schwere Art. auch Granaten und Schrapnells herüber. Auch die feindlichen Gewehrkugeln zischen von Zeit zu Zeit über uns hinweg. Das Gefecht vorn geht weiter. 31/10. Rücken morgens 8 Uhr ab und marschieren zurück nach Leke, wo wir Quartier beziehen und noch die Nacht bleiben. 1/11. 5 Uhr Wecken. Marschieren um 7 Uhr nach Hoglede [Hooglede, ca. 18 km südöstlich von Leke bei Roeselare]. Werden hier wieder einquartiert. Es soll ja heut wieder Sonntag sein. 2/11. Ruhetag in Hooglede. 3/11. Morgens 4 ½ Uhr Abmarsch von Hooglede nach Houtholz [Houhulst, 4 km westlich Hooglede]. Östlich des Ortes bleiben wir den ganzen Tag im Walde [Bos van Houhulst] liegen, um nicht so leicht von Fliegern gesehen zu werden. Denn als wir von Leke nach Hooglede marschierten, hat ein feindlicher Flieger eine Bombe in unsere Sanitätskolonne geworfen. Gegen 6 Uhr abends marschieren wir nach Houtholz und werden hier einquartiert. 4/11 Morgens 7 Uhr rücken wir wieder in den Wald von gestern. Führen hier ein richtiges Zigeunerleben. Gegen Mittag werden von einem feindlichen Flieger, einige hundert Meter von uns, 2 Bomben geworfen. Wir verlassen nun den Wald und gehen weiter vor - in nordwestlicher Richtung. Machen gegen 2 Uhr in einem Nadelwald Halt. Die Feldküchen werden herangezogen und es wird gegessen. Gegen Abend rücken wir wieder in unser altes Quartier nach Houtholz. 6/11. Verlassen 7 Uhr morgens unser Quartier und marschieren wieder in den Wald von vorgestern. Am Nachmittag überfliegt uns zweimal ein feindlicher Flieger und wirft einige 100 Meter von uns 4 Bomben. Es sollen 2 Artl. und 3 Pferde dadurch verwundet worden sein. Bei Eintritt der Dunkelheit gehen wir wieder in unser Quartier nach Houtholz. 7/11. 7 Uhr Abmarsch in den Wald - wie immer. Abends ins alte Quartier. 8/11. Dasselbe Sonntag. 9/11. Desgleichen. 10/11. Morgens 7 Uhr Abmarsch in den Wald. Rücken gegen 10 Uhr vormittags wieder ins Quartier nach Houtholz. 9 Uhr abends kommt der Befehl zum Abrücken. Nachdem wir etwa 5 km vormarschiert sind, bleiben wir in einem fertigen Deckungsgraben über Nacht liegen. 11/11. Morgens 5 Uhr geht’s weiter vor. Vorn hört man bereits ein mörderisches Artl. und Inf. Feuer. Gegen 7 Uhr morgens haben unsere vordersten Linien bereits die feindliche Stellung genommen. Seit einigen Tagen werden alle Tage gefangene Franzosen und Zuaven hier durch gebracht. Auch heute Morgen sollen wieder, wie uns Drjdrinski beim Essen ausgeben erzählt, über 2000 Gefangene durchgekommen sein. Wir liegen an einem einzelnen Gehöft im Schützengraben. Unser Stabsarzt welcher am 27/9 von den Belgiern gefangen genommen (aber nicht verwundet worden war) ist seit einigen Tagen wieder bei uns. Er ist nach dem Fall 21


Antwerpens als Gefangener nach Frankreich gebracht worden und erst vor kurzem entlassen. Gegen Abend rücken wir wieder etwas zurück und bleiben die Nacht in einem Dekkungsgraben liegen. 12/11. Bleiben den ganzen Tag in dem Deckungsgraben, welchen wir gestern Abend bezogen haben, liegen. Abends gegen 7 Uhr geht’s weiter vor und zwar lösen wir die 52ger aus vorderster Linie ab. Ich werde mit dem 3. Zug zur 5. Komp. kommandiert, welche bereits im Schützengraben am weitesten vorne liegt. Ein Mann von der 5. Komp. führt uns dorthin. Die anderen beiden Züge unserer Comp. bleiben bei der 7. Komp., etwas links rückwärts liegen. Es regnet in Strömen. Wir sind bereits durchnässt. Graben uns am linken Flügel der 7. Komp. im Schutze der Dunkelheit ein, wobei wir fortwährend beschossen werden. Beim Vorrücken in den Schützengraben hatte die 5. Comp. 2 Tote. Auch im Schützengraben bekommen wir kolossales Flankenfeuer von links. Die 5. Comp. hat hierdurch auch noch einen Toten und 1 Verwundeten. Hier haben nämlich die 52ger die feindlichen Linien gestürmt und durchbrochen. In und vor den Schützengräben liegen die Toten zu dreien und vieren über und nebeneinander. 13/11. Es hat fast die ganze Nacht geregnet. Wir waten im Schützengraben bis an die Knöchel im Morast und Wasser. Hier ist kein Stroh und keine Deckung und wir sind daher dem fast ununterbrochenen Regen ausgesetzt. Der feindliche Schützengraben liegt etwa 600 m links vor uns in der Flanke. Wir können deutlich sehen, wie die Franzosen Laufgräben nach dem Dorf Langermark [Langemark] zu aufwerfen. Von Zeit zu Zeit d. h. sobald sich eine Haubenspitze von uns übern Grabenrand zeigt, bekommen wir Feuer, welches dann unsererseits erwidert wird. Abends werden wir abgelöst und gehen in die nächsten Häuser zurück, wo wir einquartiert werden und unsere Sachen trocknen können. 4/11. Haben heute bis 8 Uhr geschlafen. Es hat auch diese Nacht noch wiederholt geregnet. Gegen 11 Uhr vormittags war Löhnungsappell. Nachmittags 4 Uhr Appell mit Gewehren. 15/11. Haben auch heute noch Ruhetag in den Quartieren von gestern. Abends gegen 7 Uhr kommen wir wieder in die vorderste Linie. Wir lösen diesmal die 12er ab. Die Schützengräben sind hier etwas besser. Es sind kleine Unterstände mit etwas Stroh darin vorhanden. Zum Schlafen kommt fast keiner. Werfen Verbindungsgraben nach der 8. Komp. auf. Der feindliche Schützengraben ist etwa 500 m vor uns dicht an Langermark. 16/11. Den Tag über wird abwechselnd geschlafen. Abends gegen 7 Uhr werden wir durch das 8. Aktiven Armee-Korps abgelöst. Wir marschieren zurück nach Hooglede [Hooglede], wo wir einquartiert werden. Treffen gegen 1 Uhr morgens hier ein. 17/11. Wir werden außerhalb Hooglede in vereinzelte Gehöfte einquartiert. 18/11. Heute ist Buß- und Bettag. Wir bleiben in den Gehöften liegen. Morgens 11 Uhr ist Kirchgang. Es ist herrliches Wetter. Heute die erste Nacht gefroren. Die vorhergehenden Tage hat es hier immer geregnet. Am 26/11 das eiserne Kreuz bekommen. [Hier brechen die Aufzeichnungen ab].

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Hierzu folgt der offizielle Heeresbericht:

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Zur Person Mein Vater Heinz Harre (laut Taufschein Heins Harre) (06.03.1915 – 14.02.1980) hat eine familienkundliche Zusammenstellung gefertigt. Sie umfasst fünf Generationen. Daraus ergibt sich folgende Übersicht für den Familienstamm Harre: Vorname Name Lebenszeit Berufsangabe Geburtsort Simon Harre ca. 1790 - ? Einlieger Heiden, Lippe = (Taglöhner) 32791 Lage, Lippe Simon Harre 1822 - ? Ziegelmeister, Heiden, Lippe = Kolon 84 (Pächter) 32791 Lage, Lippe Wilhelm Harre 1857 - 1927 Ziegelei-Inspektor Heiden, Lippe = 32791 Lage, Lippe Wilhelm Harre 1884 - 1915 Ziegelmeister Heiden, Lippe = 32791 Lage, Lippe Heins Harre 1915 - 1980 Berufsoldat Brandenburg Plaue / Havel Wilhelm Harre sen. (1857 – 1927) nimmt eine Anstellung in der Ziegelei in Mildenberg in der Mark an, so kommt die Familie in die Brandenburger Mark. 1913 heiraten Wilhelm Harre jun. (1884 – 1915) und Emma Lindner (1893 – 1972), deren Vater Eduard Karl Lindner (1847 – 1926) war Ziegelmeister in Plaue. Von der Militärzeit von Wilhelm Harre jun. (1884 – 1915) ist ein Notizbuch aus dem Jahre 1905 (Februar bis September) überliefert, mit Angaben zu Zeiten der Schießübungen, Parolen, Ausrüstungsempfang, vorgeschriebene Uniform, Bestrafungen, Wachdienst usw. Er muss in Potsdam gedient haben, denn es ist vom Wachdienst am Schloss und Palais die Rede. Weiterhin erwähnt er den Truppenübungsplatz Döberitz und den Lustgarten. Unter dem 20.05.1905 schreibt er: Instruiert, daß Ihre Majestät Prinz Adalbert und Prinzessin hier ist. Marine Offiziere. Prinzessin reitet mit Hofdame Lakai. Schießabteilung melden Ihrer Majestät.

Wilhelm Harre

Emma Harre mit Heins Harre

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Wilhelm Harre jun. verstarb, angeblich durch einen Kopfschuss, am 21. Mai 1915 – ohne seinen Sohn Heinz gesehen zu haben.

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. Im Jahre 1914 schrieb Wilhelm Harre (1884-1915) seine Kriegserlebnisse vom Feldzug in Belgien nieder (siehe vorn). Seine Aufzeichnungen sind erhalten und zur besseren Lesbarkeit von mir übertragen worden. Die Notizen beginnen im August (kurz nach Kriegsbeginn) und enden im November. Aus dem offiziellen Heeresbericht (siehe ebenfalls vorn) geht der Kriegsverlauf der Einheit, der er angehörte, hervor: 1. Armee, III. Reservekorps, 6. ReserveDivision, Reserveregiment 24, 6. Kompanie. Die 6. Reserve-Division wurde vom 02. – 08. 12. 1914 per Bahn in die Nähe von Thorn (Polen) transportiert, kam dann an der Bzura bei Mistrzewici zum Einsatz und nahm an den Kämpfen bei Jednorozek und später in Litauen teil (siehe folgende Karte). Als Standort für die 6. Reserve-Division wurde für den 21.05.1915 Bubie (Bubiai) bei Schaulen (Siauliai) in Litauen angegeben. Der gesamte Kriegsverlauf (also auch im Osten) kann dem Regimentsbericht entnommen werden: Geschichte des Reserve Infanterie-Regiments Nr. 24 – 1914 bis 1918, Berlin, 1936.

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Von Courtrai in Belgien Ende 1914 an die Ostfront nach Polen und dann nach Litauen (rekonstruiert nach Angaben der Geschichte des Reserve Infanterie-Regiments Nr. 24)

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Deutsche Kriegszeitung, Jg. 1915, Mai 1915; im wwweb: Dt. Feldzeitungen, Uni Heidelberg

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Von seinem Grab existiert ein Bild mit der Aufschrift: Hier ruht in Gott unser lieber Freund und Kamerad der Uffz d. R. RR. 24 Willi Harre 6. Komp, 21.5.1915 Ruhe sanft

Mein Vater schreibt in seinem Kriegstagebuch aus dem 2. Weltkrieg am 14.09.1939 während des Polenfeldzugs in der Nähe von Stawisky und Lomcza: Ich mache noch einen Rundgang durch den Gutspark. Dabei entdecke ich einen deutschen Heldenfriedhof von 1915. Er ist zwar etwas verwildert, aber die Kreuze stehen und die Namen sind noch zu lesen. Es handelt sich um Angehörige des 31. Regiments (Königsberg, die hier ihr Leben ließen. Ich lese alle Namen und hoffe im Stillen, auch das Grab meines Vaters zu finden, der auch auf einem Gut begraben liegt Diese Hoffnung erweist sich leider als trügerisch. Im Jahre 2002 wandte ich mich an die Deutsche Dienststelle (WASt), Berlin, um Auskunft über Opa Wilhelm zu erhalten. Leider konnten nur die bekannten Tatsachen bestätigt werden. Sein Schicksal soll zum Frieden gemahnen. Dr. med. vet. Norbert Harre, An der Pforte 39, 64521 Groß-Gerau, 2006

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