Leseprobe | Bibliothek der Farben

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Für Rosie

Urheberrechtlich geschütztes Material

BIBLIOTHEK der Farben

Bücher, die unser Farbempfinden veränderten

Aus dem Englischen von Martina Wiese und Frauke Bahle

HAUPT VERLAG

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W ohin wir auch blicken, überall ist Farbe. Ihre Allgegenwart hat jedoch den erstaunlichen Effekt, dass wir sie allzu oft nicht mehr bewusst wahrnehmen. Das lässt sich objektiv messen, doch die subjektiven Wirkungen von Farbe sind nicht zu unterschätzen. Sie kann uns begeistern oder beunruhigen und hat seit der Antike die wichtigsten Köpfe in Kunst, Physik und Philosophie beschäftigt – einige sogar bis zur Besessenheit. All diese Widersprüchlichkeiten haben im Lauf der Jahrhunderte Tausende Bücher hervorgebracht, die versuchten, Farbe zu verstehen, zu strukturieren, ihr Verhalten zu beschreiben, sie mit Bedeutung zu füllen und ihre schillernde Vielfalt zu zelebrieren. Nichts auf der Welt bleibt von Farbe unberührt. Sie ist ein solch fachübergreifendes Phänomen und kann auf 1000 Jahre so umfassender und reich bebilderter Literatur verweisen, dass man damit eine ganze Bibliothek füllen könnte. Eine hypothetische Sammlung dieser Art ließe sich sogar nach den Prinzipien der klassischen Bibliothekswissenschaft und gemäß der Dewey-Dezimalklassifikation strukturieren: Klasse 155 für Bücher über die Psychologie der Farbe, Klasse 744 für Werke über Farbe und Innenausstattung. Sogar Nischenbereiche ließen sich berücksichtigen – etwa 658.823 für die spärlichen Publikationen über Farbe und Verpackung.

Tatsächlich existiert eine solche Ressource bereits. Die Colour Reference Library, eine der Sondersammlungen am Royal College of Art in London, enthält fast 2000 Titel, vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Sie deckt eine überwältigende Themenfülle ab – von der Psychologie und Symbolik der Farbe bis zur Geschichte der Pigmente, von Camouflage bis Synästhesie. Trotz dieses weitläufigen Terrains vereint alle Bücher der Sammlung, ob von Newton, Kandinsky oder Wittgenstein, die Ernsthaftigkeit ihrer Herangehensweise. Historisch wurde das Thema Farbe häufig als belanglos abgetan, als knallbunte Ergänzung oder Fußnote zu den Regeln des Designs oder der Wissenschaftsgeschichte. Doch der Kanon der Farbliteratur versucht, Farbe zu bestimmen und zu verstehen, sie zu benennen, zu strukturieren, in einen Kontext zu stellen und zu beherrschen, und erhebt damit das Thema Farbe zum würdigen Studienobjekt.

Im Lauf der Jahrhunderte gab es immer wieder andere Beweggründe für solche Farbstudien. Die Philosophie der griechischen Antike wollte sich einen Reim auf die Welt machen und unser Erleben in ihr erklären. Die Botanik der Aufklärung suchte nach einem Weg, die Natur in all ihrem Gepränge und Gesudel darzustellen. Der Fin-de-Siècle-Okkultismus glaubte im Farbspektrum einen Blick auf das Übernatürliche zu erhaschen. Moderne Unternehmen und Konzerne wollten Besitzansprüche auf kommerzielle (künstliche) Farben definieren, um ihre Profite zu maximieren.

Das vorliegende Buch bietet einen Überblick über viele der zahlreichen Schlüsselwerke aus der Geschichte der Farbe, insbesondere über jene, die man in der Colour Reference Library findet, und stellt sie in ihrem historischen und ästhetischen Kontext vor. Dieses Buch handelt von Büchern über Farbe mit all ihrer Schönheit und ihren ehrgeizigen Zielen. Es präsentiert eine Vielzahl an Versuchen, Farbbeziehungen und -hierarchien herzustellen, ihre Gesetze zu ergründen, aus denen Kontrast und Harmonie oder auch das Gegenteil entstehen.

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Diese Bemühungen zeigen sich nicht nur in theoretischen Schriften, sondern oft auch visuell, in wunderschönen Illustrationen voller Tönungen, Schattierungen und farblichen Nuancen, die zu Kreisen, Gittern, Pyramiden und Würfeln angeordnet sind. Die Farbdiagramme dienen häufig als komplexe Werkzeuge zum Mischen oder Bestimmen von Farben, doch zugleich sind sie gewissermaßen eigenständige Kunstwerke und nicht selten Glanzstücke des Informationsdesigns.

Das Herzstück dieses Buches begibt sich auf eine Zeitreise von 3000 v. Chr. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, ist aber mehr als eine Chronologie. In Anlehnung an den Aufbau der Colour Reference Library und die kaleidoskopische Natur des Themas werden vier historische Kapitel durch acht thematische Abschnitte ergänzt, die die Repräsentation von Farbe in verschiedenen Bereichen über den Lauf der Zeit hinweg beleuchten. Diese Essays behandeln die Farbliteratur in einem noch weiteren Sinne – die skurrile wie auch die kanonische, mitsamt einigen obskuren Publikationen, die nichtsdestoweniger einen radikalen Ansatz verfolgen. Diese bunte Mischung soll Leser:innen dazu ermuntern, von einer Disziplin zur nächsten zu springen, so als würden sie die Colour Reference Library durchstöbern oder die vielen Erscheinungsformen von Farbe selbst erleben.

Das Feld der Farben ist riesig und kein Überblick kann all seine Facetten und Funktionen abdecken. Hier geht es nicht um die Geschichte der Farbpigmente oder um die Geschichte der Farbe in Kunst oder Kommerz, auch wenn ich diese Faktoren als Kontext und Inspiration für weitere Nachforschungen über Farbe einstreue. Dieses Buch beleuchtet auch einige Grenzen und Tendenzen der Sammlung, die nicht alles enthält, was zum Thema gehört, sowie vereinzelte Lücken, die für westliche Bibliotheken typisch sind, weil diese bevorzugt männliche Wissenschaftler aus Europa berücksichtigen, die die konventionelle Wissenschaftsgeschichte dominieren. Dennoch hat sich die Colour Reference Library stets bemüht, sich in ihrem Spezialgebiet möglichst breit aufzustellen und alle relevanten Ansätze einzubeziehen. Während

sie zwangsläufig die Referenzpunkte von Gesellschaften reflektiert, die man auf Englisch auch abwertend als WEIRD bezeichnet (von Western = westlich, Educated = gebildet, Industrialised = industrialisiert, Rich = wohlhabend und Democratic = demokratisch), bedeutet ihre Politik der nicht selektiven Aufnahme von Titeln, dass sie auch mit einer Menge altem, sonderlichem Zeug aufwartet, darunter Bücher über optische Täuschungen, Auren, Chromotherapie und Spiritualismus, die sonst vielleicht im Verborgenen blieben.

Ob man das Thema nun aus Sicht der Physik oder der Ästhetik betrachtet – alle hier vorgestellten Bücher sind durchdrungen von der Überzeugung, dass Farbe eine Naturkraft ist, von elementarer Bedeutung für Kunst und Wissenschaft sowie für Handel und Design. Die Farbe belegt in diesen Büchern keine Nebenrolle, sie ist die stolze Hauptfigur. Die Forscher:innen, denen wir auf den folgenden Seiten begegnen, haben die Farbe oft vermenschlicht, ihr eine Persönlichkeit zugeschrieben oder sie als Urgewalt dargestellt, die das Leben zu bereichern vermag. Über die Jahrhunderte hinweg verbindet sie dieser Glaube an die transformierende Kraft der Farbe, gleichgültig ob sie Wellenlängen messen, Wohnräume gestalten, die Färbung von Vogelfedern aufzeichnen oder Zauberformeln sprechen. Farben zu strukturieren steht stellvertretend für ein Ordnen der Welt und bietet eine Möglichkeit, Aspekte des menschlichen Erlebens in ihr zu quantifizieren.

In seinem Klassiker Kunst der Farbe (1961) denkt der Maler und ehemalige Bauhaus-Meister Johannes Itten über das Farbspektrum nach und schreibt: «Zwischen Schwarz und Weiß pulsiert die farbige Erscheinungswelt.» Zu unserem Glück kann sich dieses lebenssprühende Universum in all seinen herrlichen Kombinationen, seinen Tönungen und Schattierungen, Linien und Kreisen auch zwischen den Deckeln eines Buches entfalten.

Diese Bemühungen zeigen sich nicht nur in theoretischen Schriften, sondern oft auch visuell, in wunderschönen Illustrationen voller Tönungen, Schattierungen und farblichen Nuancen, die zu Kreisen, Gittern, Pyramiden und Würfeln angeordnet sind. Die Farbdiagramme dienen häufig als komplexe Werkzeuge zum Mischen oder Bestimmen von Farben, doch zugleich sind sie gewissermaßen eigenständige Kunstwerke und nicht selten Glanzstücke des Informationsdesigns.

Das Herzstück dieses Buches begibt sich auf eine Zeitreise von 3000 v. Chr. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, ist aber mehr als eine Chronologie. In Anlehnung an den Aufbau der Colour Reference Library und die kaleidoskopische Natur des Themas werden vier historische Kapitel durch acht thematische Abschnitte ergänzt, die die Repräsentation von Farbe in verschiedenen Bereichen über den Lauf der Zeit hinweg beleuchten. Diese Essays behandeln die Farbliteratur in einem noch weiteren Sinne – die skurrile wie auch die kanonische, mitsamt einigen obskuren Publikationen, die nichtsdestoweniger einen radikalen Ansatz verfolgen. Diese bunte Mischung soll Leser:innen dazu ermuntern, von einer Disziplin zur nächsten zu springen, so als würden sie die Colour Reference Library durchstöbern oder die vielen Erscheinungsformen von Farbe selbst erleben.

Das Feld der Farben ist riesig und kein Überblick kann all seine Facetten und Funktionen abdecken. Hier geht es nicht um die Geschichte der Farbpigmente oder um die Geschichte der Farbe in Kunst oder Kommerz, auch wenn ich diese Faktoren als Kontext und Inspiration für weitere Nachforschungen über Farbe einstreue. Dieses Buch beleuchtet auch einige Grenzen und Tendenzen der Sammlung, die nicht alles enthält, was zum Thema gehört, sowie vereinzelte Lücken, die für westliche Bibliotheken typisch sind, weil diese bevorzugt männliche Wissenschaftler aus Europa berücksichtigen, die die konventionelle Wissenschaftsgeschichte dominieren. Dennoch hat sich die Colour Reference Library stets bemüht, sich in ihrem Spezialgebiet möglichst breit aufzustellen und alle relevanten Ansätze einzubeziehen. Während

sie zwangsläufig die Referenzpunkte von Gesellschaften reflektiert, die man auf Englisch auch abwertend als WEIRD bezeichnet (von Western = westlich, Educated = gebildet, Industrialised = industrialisiert, Rich = wohlhabend und Democratic = demokratisch), bedeutet ihre Politik der nicht selektiven Aufnahme von Titeln, dass sie auch mit einer Menge altem, sonderlichem Zeug aufwartet, darunter Bücher über optische Täuschungen, Auren, Chromotherapie und Spiritualismus, die sonst vielleicht im Verborgenen blieben.

Ob man das Thema nun aus Sicht der Physik oder der Ästhetik betrachtet – alle hier vorgestellten Bücher sind durchdrungen von der Überzeugung, dass Farbe eine Naturkraft ist, von elementarer Bedeutung für Kunst und Wissenschaft sowie für Handel und Design. Die Farbe belegt in diesen Büchern keine Nebenrolle, sie ist die stolze Hauptfigur. Die Forscher:innen, denen wir auf den folgenden Seiten begegnen, haben die Farbe oft vermenschlicht, ihr eine Persönlichkeit zugeschrieben oder sie als Urgewalt dargestellt, die das Leben zu bereichern vermag. Über die Jahrhunderte hinweg verbindet sie dieser Glaube an die transformierende Kraft der Farbe, gleichgültig ob sie Wellenlängen messen, Wohnräume gestalten, die Färbung von Vogelfedern aufzeichnen oder Zauberformeln sprechen. Farben zu strukturieren steht stellvertretend für ein Ordnen der Welt und bietet eine Möglichkeit, Aspekte des menschlichen Erlebens in ihr zu quantifizieren.

In seinem Klassiker Kunst der Farbe (1961) denkt der Maler und ehemalige Bauhaus-Meister Johannes Itten über das Farbspektrum nach und schreibt: «Zwischen Schwarz und Weiß pulsiert die farbige Erscheinungswelt.» Zu unserem Glück kann sich dieses lebenssprühende Universum in all seinen herrlichen Kombinationen, seinen Tönungen und Schattierungen, Linien und Kreisen auch zwischen den Deckeln eines Buches entfalten.

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DIE FARBE DER

SPRACHE

1705

1835

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JEDES DING IN DER SCHÖPFUNG

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Die ersten gedruckten Farbräder erschienen in dem kleinen Band Traité de la peinture (Ausgabe von 1708) von einem Autor, von dem nur die Initialen C. B. bekannt sind. Das linke Rad unterscheidet sieben Farben, wahrscheinlich inspiriert von Newton. Im rechten sind es zwölf, einschließlich der zusammengesetzten Farben, die entstehen, indem man zwei benachbarte Farben zu gleichen Teilen mischt.

Newtons Entdeckungen enthüllten eine kaleidoskopische Welt, die direkt vor aller Augen im Verborgenen lag. Seine Erkenntnisse waren so bahnbrechend, dass niemand in den folgenden Jahrhunderten Farbe erforschen und darüber schreiben konnte, ohne dem Autor von Opticks Respekt zu zollen. Die Tatsache, dass es fortwährend weitere Untersuchungen gab, deutet auch auf die Grenzen seiner Theorien hin. Während Gelehrte die Modelle für die Organisation des Spektrums verfeinerten, tauchten immer wieder neue Variationen des Farbkreises auf. Das Prismenexperiment schien zu erklären, woher die Farbe kam und wie sie funktionierte, aber die Darstellung der Geometrie und Physik des Lichts warf unzählige Fragen auf. Was war zum Beispiel mit den Farben, die in der Welt sichtbar sind, aber nicht im Spektrum vorkommen? Schließlich existierte in Newtons Kreis weder Braun noch Rosa. Warum können wir überhaupt Farben sehen? Und was konnte das Experiment den Künstler:innen darüber sagen, wie man Farben am besten mischt? Das Wissen um die Farbigkeit des Lichts half ihnen bei der Frage, wie man Farben beherrscht, nicht wirklich weiter.

Auch die Gewinnung von Farben war im 18. Jahrhundert ein schwieriges Unterfangen, das mit Kosten, Mühen und Risiken verbunden war. Um beispielsweise das beliebte Bleiweiß herzustellen, bedeckte man Bleiplatten mit Essig und Dung. Das Ergebnis war ein hochgiftiges Pigment. Die Entwicklung «künstlicher» Farben verlief schleppend, es gab nur selten echte Fortschritte. Einen frühen Erfolg erlebte Johann Jacob Diesbach aus Berlin bereits kurz nach der Veröffentlichung von Opticks. Bei einem Experiment mit Pottasche erfand er per Zufall das erste synthetische Pigment. Das tiefe Blau überraschte ihn: Es war so schön, dass es sogar den Vergleich mit dem beliebten Ultramarin nicht scheuen musste. Letzteres gelangte aus dem fernen Afghanistan auf den europäischen Markt und war daher nahezu unerschwinglich. Diesbachs Berliner Blau (auch Preußischblau), benannt nach seinem Geburtsort, war weitaus günstiger. Diese gelegentlichen Fortschritte in der Synthese künstlicher Pigmente belebten die Farbpalette, hatten aber in anderer Hinsicht oft einen hohen Preis: Carl Wilhelm Scheele erfand 1775 ein sattgrünes synthetisches Pigment, das giftige Mengen an Arsen enthielt. Selbst nachdem es ein Farbenhersteller zu einer Farbe veredelt hatte, die als «Scheeles Grün» vermarktet wurde, blieb es so giftig, dass es auch als Insektizid eingesetzt wurde. Aber auch wenn die Erfolge eher spärlich kamen, so sorgte die chemische Forschung dafür, dass Farbe ihren Status als inhärente Eigenschaft der Dinge verlor. Stattdessen wurde Farbe selbst zu einem Gegenstand. Und das veränderte die Beziehung des Menschen zur Farbe grundlegend.

Während die einen sich damit abmühten, Farben herzustellen, arbeiteten sich andere an Newtons Schlussfolgerungen ab. Opticks inspirierte eine große Anhängerschar ebenso wie die ein oder andere Gegenmeinung. Über ein Jahrhundert lang wurden in Experimenten und Untersuchungen seine Theorien verfeinert, ergänzt und widerlegt. Newtons damalige Nachfolgerschaft war eine bunte Gesellschaft aus Amateurgelehrten ebenso wie «Männern der Wissenschaft», die aus allen Bereichen des Lebens stammten: Innenarchitekten, Künstler, Chemiker, Dichter und ihre damals noch spärlich vorhandenen weiblichen

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Pendants. In dem Versuch, die natürliche Welt zu beschreiben, bemühte man sich in Entomologie und Botanik, sämtliche Farben, die bei neu entdeckten Arten vorkamen, zu erfassen und in ein Raster zu packen. Je mehr Forschende von außerhalb der Naturphilosophie die Bühne der Farbstudien betraten, desto deutlicher zeigte sich, dass Wissenschaft und Kunst einen ähnlichen Weg verfolgten, um die Vielfalt der Farben, ihr Verhalten und die Regeln der Farbharmonie zu verstehen. Das gemeinsame Ziel aller war es, das eigene Wissen zu erweitern, um die Farbpalette erfolgreich als Werkzeug einsetzen zu können. Die meisten blickten voller Demut auf Newtons Erfolge und entschuldigten sich fast, bevor sie dessen Schlussfolgerungen modifizierten. Zu einem aufsehenerregenden Streit zwischen den Generationen kam es erst, als Johann Wolfgang von Goethe seine Polemik gegen die in Opticks dargestellten Grundlagen startete. So kam es zur Wiederbelebung der Spaltung zwischen jenen, die Farbe als objektiv messbares Phänomen betrachteten, und jenen, die wie Goethe der Meinung waren, dass Farbe nur verstanden werden könne, wenn man die subjektiven, menschlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gefühle in den Mittelpunkt stelle.

Kulturelle und gesellschaftliche Kräfte beeinflussten ebenfalls, wie sich das Verständnis von Farbe weiterentwickelte. In Europa brachte die Aufklärung ein Modell der Welt hervor, in dem die Dinge organisiert, benannt und quantifiziert werden konnten und sollten. Es war auch das Zeitalter der Entdeckungen. Besonders nach James Cooks Reisen nach Australien in den 1760er- und 1770er-Jahren und Charles Darwins Expeditionen zu den Galapagos-Inseln in den 1830er-Jahren, bei denen er seine Naturbeobachtungen mithilfe von Farbkarten präzisierte, wollte das heimische Publikum die bis dato fremde Welt mit all ihren Wundern und in voller Farbe vermittelt sehen.

Das neue Wissen über die natürliche Welt machte es notwendig, Methoden zu entwickeln, um die Flut von Daten zu verwalten. Farbe war ein Werkzeug, das Grenzen setzen konnte, aber wo lagen die Grenzen der Farbe selbst? Sie konnte Klarheit in die Taxonomie bringen, aber ließ sie sich auch selbst klassifizieren? Im 18. Jahrhundert strebte man in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen danach, ein ultimatives Farbsystem zu schaffen, mit dem sich jede Farbe der Welt definieren ließ. Das sich daraus ergebende Schema sollte idealerweise durch Gitter und geometrische Formen visualisiert werden; es sollte international gültig und über Ozeane, Kulturen und Disziplinen hinweg kommunizierbar sein – wie ein chromatischer Schlüssel zu allen Farbmythen der Welt. Doch zunächst mussten Newtons Theorien weiter ausgearbeitet werden. Wenn Opticks so viel Grundlegendes über das Licht aufdeckte und das Verständnis der Funktionsweise von Farben für immer veränderte,

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