Urheberrechtlich geschütztes Material
OZEANE
DIE WELT DER MEERE
MIDAS
OZEANE – Die Welt der Meere
© 2024
Midas Collection
ISBN 978-3-03876-300-0
Auflage: 1 2 3 4 5 | 27 26 25 24
Übersetzung: Kathrin Lichtenberg
Lektorat: Dr. Friederike Römhild
Layout: Ulrich Borstelmann
Projektleitung: Gregory C. Zäch
Midas Verlag AG
Dunantstrasse 3, CH-8044 Zürich Büro Berlin: Mommsenstraße 43, D-10629 Berlin E-Mail: kontakt@midas.ch www.midas.ch
Der Midas Verlag wird vom Bundesamt für Kultur für die Jahre 2021–2024 unterstützt.
Englische Originalausgabe:
»OCEAN – Exploring the Marine World«, © 2022 Phaidon Press Limited 2 Cooperage Yard, E15 2QR London United Kingdom
Printed in China
Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
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Anordnung
Die Illustrationen in diesem Buch wurden paarweise angeordnet, um interessante Vergleiche und Kontraste hervorzuheben, die sich lose auf ihr Thema, ihr Alter, ihren Zweck, ihre Herkunft oder ihr Aussehen stützen.
Abmessungen
Die Abmessungen der Werke sind nach Höhe und Breite geordnet. Digitale Bilder haben variable Abmessungen. Bei Unterschieden in den Abmessungen zwischen den Quellen beziehen sich die angegebenen Maße auf die abgebildete Version.
Der Weltozean
Der unentdeckte Ozean
Der Ozean, riesig, tief und facettenreich, ist das Herz und die Lunge unseres Planeten. Wir alle kennen die Statistiken: Die Ozeane bedecken mehr Fläche auf unserem Planeten als das feste Land – 71 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt und 96,5 Prozent des Wassers befinden sich in den Ozeanen. Dennoch nennen wir unsere Heimat Erde und nicht Ozean. Stellen Sie sich vor, es wäre anders – würden wir uns dann viel stärker um seinen Schutz bemühen? Würden wir mehr über ihn wissen wollen? Der Ozean ist ein Ort der Nostalgie und der romantischen Utopie, gleichzeitig eine Terra incognita. Nicht einmal fünf Prozent der Weltmeere sind erforscht.
Wir sollten uns bewusst machen, dass es nur einen Weltozean gibt, der aus mehreren miteinander verbundenen Seebecken und Meeren besteht. Der nördlichste und zugleich kleinste, flachste und kälteste Ozean ist die Arktis, die Verbindung zwischen Grönland, Dänemark, Island, Norwegen, Finnland, Russland, Kanada und den USA. Der Atlantik, unterteilt in Nord- und Südatlantik, verbindet Nord-, Mittel- und Südamerika mit Europa und Afrika. Der Pazifik, der größte und tiefste Ozean, verbindet Asien mit Ozeanien und der Westküste des amerikanischen Kontinents. Der Indische Ozean liegt zwischen Afrika, der Arabischen Halbinsel, Indien, Asien und Australien. Er ist das wärmste aller Seebecken und besitzt aufgrund des Mangels an Plankton, der winzigen Organismen, die eine wesentliche Nahrungsquelle bilden, die geringste Meeresfauna. Der Südliche oder Antarktische Ozean erstreckt sich zwischen Pazifik, Atlantik und Indischem Ozean und wird in östlicher Richtung vom Antarktischen Zirkumpolarstrom umkreist.
Neben den fünf genannten Ozeanen gibt es Dutzende Meere, die näher am Land liegen und kleiner als Seebecken sind. Sie sind weltweit zu finden, vom Watten- bis zum Weddellmeer, vom Mittel- bis zum Karibischen Meer.
Der Ozean ist viel mehr als nur seine Oberfläche, ob diese nun ruhig und friedlich ist oder vor Wellen tost. Ufer und Küsten sind paradiesische Orte für die Freizeitgestaltung oder Handelsplätze, zeugen von der kulturellen Prägung eines Landes oder bleiben unerreichbar. Küstenabschnitte mit einzigartigen Phänomenen und einer reichen biologischen Vielfalt sind die Gezeitenzone im Wattenmeer der Nordsee (siehe S. 312) oder Lagunen, die vom Wind erzeugt wurden, sowie Flussdeltas, in denen sich Süß- und Salzwasser im Arktischen Ozean mischen (siehe S. 249).
Der obere Ozean, das Epipelagial, reicht bis in etwa 200 Meter Tiefe. Hier gibt es immer noch ausreichend Licht für Plankton und Algen und daher genügend Nahrung für Wale, Haie, Thunfische, Quallen und viele andere. Zwischen 200 und 1.000 Meter Tiefe liegt das Mesopelagial, die Dämmerzone. Das Licht reicht nicht mehr für die Fotosynthese und doch leben hier Tiere, wie Quallen und andere Fische, die sich von der absinkenden Biomasse aus der darüberliegenden Zone ernähren (siehe S. 145).
Dann kommt die Tiefsee, der am wenigsten bekannte Teil des Ozeans, in dem trotz der Dunkelheit Fische und andere Tiere sowie Pflanzen überleben (siehe S. 100). Das Bathypelagial von 1.000 bis 4.000 Metern Tiefe ist düster und kalt, aber auch hier gibt es Leben: Tintenfische, Haie, Wale und andere.
Im Abyssopelagial zwischen 4.000 und 6.000 Metern Tiefe herrschen Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt und hoher Wasserdruck. Das Leben im Meer geht aber auch hier weiter – genau wie in der nächsten Zone, dem Hadopelagial von 6.000 bis 11.000 Metern Tiefe. Zu diesem Bereich gehört der Tiefseeboden mit Seegurken, Krustentieren, Würmern, Anemonen und anderen Organismen. Der tiefste Ort der Erde, der Marianengraben, befindet sich im Hadopelagial und erreicht eine Tiefe von 11.034 Metern unter dem Meeresspiegel – ein für Menschen vollkommen ungastlicher Ort, der nur mit speziellen Forschungsfahrzeugen (siehe S. 81) erreicht werden kann.
Seit Jahrhunderten ist der Ozean in Literatur, Musik, Kunst und Philosophie ein Symbol für Unendlichkeit, Schönheit, Einsamkeit, Isolation, Gefahr, Glück, Schwerelosigkeit und Sehnsucht. Auf den folgenden Seiten erhalten Sie ein ganzes Panorama über diese Gebiete und einen Einblick in den Ozean, der sich vom Eozän vor etwa 55 Millionen Jahren bis in das 21. Jahrhundert erstreckt. Viele Werke zeigen einen wunderschönen, atemberaubenden Ozean, doch wir wissen auch, dass er aufgrund der menschlichen Aktivitäten seit der Industriellen Revolution in Gefahr ist – ein Drama, das viele Kunstschaffende auf unterschiedliche Weise festgehalten haben.
Esther Horvath (siehe S. 39), die in den letzten Jahren Arktis- und Antarktis-Expeditionen des Alfred-Wegener-Instituts begleitet hat, fängt in ihren Fotografien sowohl nostalgische Momente als auch neue wissenschaftliche Entdeckungen ein. Sie gehörte 2022 zur Endurance22-Expedition, die Ernest Shackletons Schiff mehr als 100 Jahre, nachdem es unter dem Eis des Weddellmeeres verloren gegangen war (siehe S. 38), wiederentdeckt hat Ozeanforscher und -aktivistinnen wie Sylvia Earle (siehe S. 77) setzen sich für den Ozean ein und betonen seine Fragilität. Die Zwischenstaatliche Ozeanografische Kommission der UNESCO rief 2021 die UN-Dekade der Meeresforschung für Nachhaltige Entwicklung (2021–2030) mit dem Ziel aus, den bereits aufgetretenen Schaden rückgängig zu machen und Lösungen zum Schutz der Ozeane zu finden, und zwar nicht nur durch Wissenschaft und Politik, sondern auch durch gesellschaftliche, kulturelle Aktivitäten und Bildungsmaßnahmen. Die Meereskunde erforscht, was in den Ozeanen existiert und was in Gefahr ist, und sie hilft, Schäden zu identifizieren. Technische Forschungen und Unternehmen tragen entscheidend dazu bei, Lösungen für diese Schäden zu finden, während Politik und juristische Stellen hoffentlich Gesetze und Schutzmaßnahmen erlassen. Allerdings ist auch die Zivilgesellschaft gefragt, um notwendige Verbesserungen auf den Weg zu bringen, die weiteren Schaden abwenden können.
Seien Sie sich bewusst, dass die Menschheit und ihr Überleben zum Großteil vom Ozean abhängen:
Wir essen: Der Ozean ist das größte Ökosystem auf dem Planeten Erde. Er liefert Nahrung für 3,5 Milliarden Menschen.
Wir existieren: Der Ozean ist ein Klimaregulator und die größte Kohlenstoffsenke.
Wir atmen: Der Ozean erzeugt mehr als die Hälfte des irdischen Sauerstoffs.
Wir bewegen uns: Etwa 90 Prozent des globalen Handels werden über den Schiffsverkehr auf den Meeren abgewickelt.
Wir sind verbunden: Geografisch gesehen ist die Menschheit global durch die Ozeane miteinander verbunden.
Wir heilen: Mehr als 20.000 neue biochemische Substanzen wurden im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zur pharmazeutischen Nutzung der Meeresfauna und -flora entnommen.
Der französische Dichter Charles Baudelaire schrieb in seinem Werk »Der Mensch und das Meer« (1857; dt. von Therese Robinson, 1925):
Du freier Mensch, du liebst das Meer voll Kraft!
Dein Spiegel ist‘s. In seiner Wellen Mauer,
Die hoch sich türmt, wogt deiner Seele Schauer, In dir und ihm der gleiche Abgrund klafft.
Dieses Buch lädt Sie ein, über die Schätze und die Macht des Ozeans nachzudenken, wie sehr wir von ihm abhängen und wie viel wir dazu beitragen können, ihn künftig besser zu schützen – nicht nur für unsere unmittelbare Zukunft, sondern auch für die kommender Generationen.
Sie lernen die Geschichte des Ozeans kennen, erfahren wichtige kulturelle Fakten über die Regionen, die die gezeigten Werke präsentieren, tauchen ein in aktuelle wissenschaftliche Entdeckungen und gehen auf eine Reise in die nostalgische und symbolische Welt des Ozeans. Das Buch verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, nicht nur, weil der Klimanotstand den Ozean zu einem relevanten Thema gemacht hat, sondern auch, weil es gleichermaßen wichtig ist, auf frühere und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu blicken, mit denen die Gesellschaft den Ozean schützen und ihm eine bessere Zukunft ermöglichen kann.
Das kuratierte Buch Sie können an jeder beliebigen Stelle in das Buch einsteigen. Es bietet Ihnen nicht nur eine Abfolge von Bildern, sondern bringt die Bilder aus teilweise unterschiedlichen Jahrhunderten auf den gegenüberliegenden Seiten in einen Dialog – über ein gemeinsames Thema oder verschiedene Herangehensweisen an das Thema.
Das gibt Ihnen die Möglichkeit, die ungeheure Größe des Ozeans und seine Beziehung zur Erde als Ganzes zu verstehen, etwa wenn ein Manuskript von Bartholomaeus Anglicus aus dem 15. Jahrhundert neben einem Satellitenbild der NASA von 1994 steht (siehe S. 42–43). Das Paar aus der Karte der Verteilung des marinen Lebens von Edward Forbes und Alexander Keith Johnston sowie der Tiefenkarte des Nordatlantiks von Matthew Maury, beide von 1854, gewinnt zusätzliche Bedeutung, weil wir erfahren, dass sich Forbes’ und Johnstons Versuch, das Leben im Meer darzustellen, letztlich als falsch erwies (siehe S. 108–9). Derweil zeigen Tan Zi Xis Installation Plastikozean und Daniel Beltràs Foto der Ölpest der Deepwater Horizon von 2010 im Golf von Mexiko das Ausmaß der Verschmutzung der Ozeane durch Produkte aus fossilen Brennstoffen (siehe S. 154–55).
Anders als oft berichtet wird, wurden die frühen Fortschritte im Tauchen nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen erzielt, wie die Gegenüberstellung des französischen Biologen und Pioniers der Unterwasserfotografie Louis Boutan mit Sylvia Earle, der bahnbrechenden Tauche-
rin, Meeresbiologin und Ozeanografin beweist (siehe S. 76–77). Das Bild des berühmten französischen Entdeckers und Filmemachers Jacques Cousteau mit dem Wrack der Titanic zeigt, dass die Spuren, die Menschen im Ozean hinterlassen, manchmal von neuem Leben besiedelt werden und sogar an »echte« Korallenriffe erinnern (siehe S. 78–79).
Und selbst Werke mit grundverschiedenen Motiven zeigen tiefere Gemeinsamkeiten. Audun Rikardsens Bild eines Orca in einem norwegischen Fjord scheint fehl am Platz neben David Doubilets Bild eines Korallenriffs in Kimbe Bay, Papua-Neuguinea, dabei engagieren sich beide Fotografen mit ihrer Arbeit für den Schutz der Meere (siehe S. 16–17).
Betrachtet man nicht nur das einzelne Werk, sondern die Bildpaare, erleichtert ihr Dialog den Zugang zu dem, was der Ozean zu bieten hat.
Ozeangeschichten: Vergangenheit und Gegenwart Seit mehr als 1.000 Jahren erlaubt der Ozean wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen zwischen den Kontinenten, die sowohl nützlich als auch schädlich sind. Das Meer war immer eine wichtige Ressource: als Quelle von Nahrung, Öl und Mineralien, für Tourismus, Transport und Migration.
Heute liefert uns die Wissenschaft noch mehr Beweise für die Bedeutung des Ozeans. Wir wissen nun, dass 50 bis 80 Prozent des Sauerstoffs der Erde durch den Ozean erzeugt werden – wir könnten also ohne einen intakten Ozean nicht atmen. Außerdem ist der Ozean, speziell die Tiefsee, die wichtigste Kohlenstoffsenke unseres Planeten, die überschüssiges Kohlendioxid (CO 2) aufnimmt, das vor allem durch unser Handeln entsteht.
Trotz dieses Wissens betrachten viele Menschen den Ozean nur als ein Mittel zum Zweck statt als Ressource, die respektiert und geschützt werden muss. Massentourismus bewegt nicht nur Millionen Touristen mit Jachten, Kreuzfahrtschiffen, Jet Skis und anderen Vehikeln über die Meere, sondern bringt sie bei Tauchexpeditionen zu Korallenriffen und anderen gefährdeten Lebensräumen. Das Bemühen, die Welt zu ernähren, sorgt für Überfischung, die Druck auf Fischpopulationen ausübt und andere Meerestiere gefährdet, die als Beifang enden oder an Plastikteilen sterben. Der Abbau von Rohstoffen ist ebenfalls eine riesige Herausforderung für den Ozean. Bergbauunternehmen, die seltene Mineralien wie Kupfer, Nickel, Gold, Phosphor, Silber, Europium und Zink (hauptsächlich für die Elektronik) vom Meeresboden holen wollen, stellen ihn im Rahmen ihres Marketings übermäßig vereinfacht dar, als sei er nur eine flache Wüste, auf der kein Leben existiert – obwohl wir heute wissen, dass er ein reiches, gebirgiges Habitat darstellt (siehe S. 83), das selbst in großer Tiefe bewohnt ist. Immer wieder machen wir neue Entdeckungen : Im Februar 2021 fand das Alfred-Wegener-Institut im Süden des antarktischen Weddellmeeres das größte bisher bekannte Brutgebiet für Fische mit etwa 60 Millionen Nestern der Fischart Jonahs Eisfisch (Neopagetopsis ionah)
Wie können wir dem Ozean etwas zurückgeben, ohne ihn ständig auszunutzen? Zuerst müssen wir ihn verstehen.
Das ozeanografische Wissen war bereits gut etabliert, bevor die Meereskunde entstand und moderne Entdecker das Leben im Meer fotografierten. Vor unserer Zeit zeigten europäische Darstellungen den Ozean in Form von mythologischen Erzählungen, bildeten aber auch das Meeresleben ab – etwa als lebendige Sammlung aus Fischen, Krustentieren und einem Oktopus in dem bemerkenswert gut erhaltenen Mosaik aus Pompeji (siehe S. 232). Wir kennen reiche, präkolumbianische Illustrationen von Meerestieren wie Pfeilschwanzkrebsen (siehe S. 202), einer inzwischen gefährdeten Art. Mittelalterliche Manuskripte (siehe S. 42) und Karten enthüllen, wie viel über die Geografie der Meere bekannt war. Sebastian Münster, einer der berühmten Kosmografen seiner Zeit, fügte in seine namhafte Cosmographia von 1544 einen »Katalog von Geschöpfen« mit einer Aufzeichnung existierender sowie fantastischer Meerestiere ein (siehe S. 196).
Das Streben danach, die Welt um uns herum zu verstehen, war ein entscheidender Impuls für die Erforschung unbekannter Gegenden. Frühe Entdecker überquerten die Ozeane auf der Suche nach neuem Wissen, wie die
Naturforscherin und Illustratorin Maria Sibylla Merian, die 1699 als erste Frau unabhängig eine wissenschaftliche Expedition über den Atlantik nach Südamerika antrat. Ein Jahrhundert später war Alexander von Humboldt der erste Forscher, der die kalte, salzarme Strömung entlang der Westküste Südamerikas untersuchte. Die Fischer vor Ort kannten die Strömung zwar bereits seit Jahrhunderten, doch sie war noch nie offiziell erforscht worden. Heute trägt sie den Namen ihres Erforschers: Humboldtstrom. Freidenker und Naturforscher wie Ernst Haeckel versuchten, den Ozean für die Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sichtbar und verständlich zu machen. Der Biologe und Illustrator Haeckel schuf detailreiche Zeichnungen von Mikroorganismen des Meeres, die einen Boom von Expeditionen an Land und auf dem Meer auslösten (siehe S. 207). Seine Werke sind noch heute eine Inspiration für Künstler und Fotografinnen.
Die Verbreitung dieser Werke in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zog die rasend schnelle Entwicklung neuer Instrumente und Technologien nach sich, mit denen die Entdeckung selbst winzigster Atome und der Konsistenz von Wassertropfen möglich wurde; es wurden Dampfmaschinen erfunden und die Massenindustrialisierung des Ozeans begann.
Die Erkundungen dienten aber auch der Kolonialisierung, dem Drang, neue Gebiete zu »entdecken« oder Religionen zu verbreiten, und der Gier der Wirtschaft nach Gold, exotischen Waren und natürlichen Ressourcen.
Nehmen Sie etwa den industriellen Walfang. Schon in prähistorischer Zeit und im Mittelalter machte man Jagd auf Wale und ihr Öl (siehe S. 45, 132). Im 8. Jahrhundert dann führten die Basken in Europa die Jagd auf Wale ein. Im frühen 17. Jahrhundert entstand daraus eine regelrechte Industrie, die sich von Europa auf Nordamerika, den Südatlantik und sogar Japan (siehe S. 128) und Australien ausweitete. Anfangs wurden die Wale vor allem wegen ihres Fleisches und Specks (Blubber) gejagt, die Nahrung, aber auch bestimmte Vitamine und Mineralien lieferten. Im 19. Jahrhundert begann man, den Blubber zu raffinieren, sodass er zu einer wichtigen Quelle für Lampen- und Schmieröl wurde, während aus Walknochen Haushaltsgegenstände, Korsette und sogar Spielsachen und Schlitten hergestellt wurden. Als Symbol für den Ozean und seine Geheimnisse waren Wale außerdem bei Museen in Europa und den USA gefragt, die diese riesigen, noblen Tiere ausstellen wollten. Jäger und Abenteurer wurden ausgesendet, Exemplare zu beschaffen und man erfand neue Taxidermie-Techniken, um sie zu konservieren (siehe S. 166). Die schonungslose Jagd führte weltweit zu einem drastischen Rückgang der Wale und erst ein Moratorium der Internationalen Walfangkommission zum kommerziellen Walfang 1986 bot einigen Populationen die Chance, sich zu erholen. Kommerzieller Walfang wird heutzutage noch – vor allem als Nahrungsquelle – von Norwegen, Japan und Island betrieben, während in einigen Teilen Alaskas die Jagd auf Wale zur indigenen Tradition gehört Wir wissen heute, dass eine ausgewogene Walpopulation wichtig für die Gesundheit des Ozeans ist, da Wale eine wichtige Rolle in der Nahrungskette und bei der Produktion von Sauerstoff spielen. In der sogenannten Walpumpe fressen Wale im tiefen Meer hauptsächlich Krill und Fisch. Zum Atmen kommen sie an die Oberfläche, wo sie auch ihre Exkremente hinterlassen, die wiederum das Phytoplankton ernähren. Phytoplankton, eine Kieselalge, sind sehr kleine, pflanzenartige Organismen, die etwa 30 Prozent des menschengemachten oder anthropogenen Kohlendioxids absorbieren. Wenn wir also sagen, dass der Ozean CO2 aufnimmt (sogar mehr als alle Wälder), ist es tatsächlich diese winzige Alge, die Kohlendioxid durch Fotosynthese in den Sauerstoff verwandelt, den wir zum Atmen brauchen.
Über viele Jahrzehnte basierte das allgemeine Wissen über den Ozean vor allem auf dem, was wir in der Schule darüber gelernt haben – Navigation, Seekriege, Eroberung neuer Gebiete im Namen des Kolonialismus, kommerzieller Fischfang, Walfang. Vielleicht haben wir im Geografieunterricht auch von der Größe des Ozeans gehört, seinen Schichten, der Fauna und Flora. In den 1950er- und 60er-Jahren dann machte der französische Meeresforscher Jacques Cousteau bedeutsame Fortschritte in der Fotografie und dem Filmen unter Wasser, sodass atemberaubende Bilder der uns bisher unbekannten
Welt unsere Wohnzimmer erreichten (siehe S. 78). Plötzlich konnten wir die Lebenswelt des Meeres selbst sehen und verstehen. Das änderte unser Bewusstsein und führte dazu, dass sich viele von uns in den Ozean verliebten. Zeitgenössische Künstlerinnen und Fotografen begannen, an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft zu arbeiten, um mit ihren Projekten nicht nur die Schönheit des Ozeans zu vermitteln, sondern die Öffentlichkeit aufzuklären. Die Risiken des Bergbaus oder der kommerziellen Fischfarmen für die Gesundheit der Meere lassen sich durch die eindrucksvollen Fotografien des Kanadiers Edward Burtynsky (siehe S. 173) besser verstehen – genau wie die Bedeutung der Gezeitenbewegungen durch die Fotos von Martin Stock (siehe S. 312). Viele zeitgenössische Fotografinnen, denen der Ozean als Motiv dient, haben sich seinem Schutz verschrieben, etwa Cristina Mittermeier, Mitgründerin der nichtkommerziellen Umweltorganisation SeaLegacy in Vancouver, die mit ihren Bildern die Aktionen und Schutzmaßnahmen unterstützt (siehe S. 140). Und dann gibt es Organisationen, die eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst schlagen, wie das Schmidt Ocean Institute (siehe S. 292), das regelmäßig Künstler auf seine Forschungsschiffe einlädt und die Allgemeinheit mit interdisziplinären Projekten in seine Missionen einbezieht.
Die Menschheit und der Ozean
In Museen und Ausstellungsräumen konzentrieren sich Kunstwerke, die sich mit dem Ozean beschäftigen – ob aktuell oder historisch –, hauptsächlich auf das Verhältnis der Menschheit zum Ozean und selten auf den Ozean allein. Diese menschenzentrierte Weltsicht basiert auf dem aktuellen geologischen Zeitalter, das der Mensch dominiert und daher auch »Anthropozän« genannt wird, nach dem griechischen Wort anthropos für »Mensch«. Wir haben die Welt um uns herum seit Jahrtausenden beeinflusst – mit enormen Auswirkungen auf die Systeme der Erde seit Beginn des Industriellen Zeitalters im 18. Jahrhundert – und dieser Einfluss spiegelt sich in der Kunst wider. Diese anthropozentrische Weltsicht umfasst alle Aspekte des mythologischen, religiösen und traditionellen Wissens seit dem Alten Ägypten, Griechenland und Rom bis zum Mittelalter sowohl der christlichen als auch der nichtchristlichen Kulturen. Sie beschränkt sich nicht auf die darstellenden Künste, sondern findet sich auch in Schmuckherstellung und Design bis hin zur afrikanischen spirituellen Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.
Erst vor Kurzem wurde begonnen, diese Sichtweise kritisch zu hinterfragen, und das nirgendwo mehr als in der Kunstwelt, die das sogenannte Anthropozän in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert hat, unter anderem in dem Werk Vertigo Sea von John Akomfrah (siehe S. 174).
Dieses Buch vertritt zwar unweigerlich eine anthropozentrische Herangehensweise, bietet aber dennoch einen Eindruck vom Ozean und seinen Bewohnern frei von menschlichen Spuren – und ohne den negativen Einfluss, den wir auf ihn ausüben. Heitere Meeresflächen und krachende Wellen, wunderbar wilde Unterwasserflora und -fauna, unerreichbare Felsen, die Tiefsee, ferne Strände mit Tieren, die immer noch unberührt sind. Heutige Unterwasserfotografen haben Bilder von Meeresbewohnern gemacht, von deren Existenz wir bisher noch gar nichts ahnten.
Als Jacques Cousteau in den 1950er-Jahren sein Tauchboot Calypso und die 35mm-Unterwasserfilmkamera erfand, brachte er Bilder vom Leben in den Ozeanen in die Populärkultur und löste einen Boom der Unterwasserfotografie aus (siehe S. 78). Das Interesse wuchs, als die Meeresbiologin, Ozeanografin und Entdeckerin Sylvia Earle in den 1960er- und 70er-Jahren »abtauchte« und unseren Blick und unser Verständnis vom Ozean radikal änderte. (Die »Königin des Meeresschutzes« gründete 2009 Mission Blue, um sich verstärkt für den Schutz der Meere einzusetzen; siehe S. 77.)
Heute ist Unterwasserfotografie aufgrund der technischen Fortschritte und des Wachstums der globalen Tourismusindustrie viel weiter verbreitet. Ferne Orte wurden plötzlich zugänglich, und die Kosten für Kameras und Equipment sanken deutlich. Wissenschaftliche Fotografien mit neuen Techniken wie der Konfokalmikroskopie (siehe S. 161, 163) und der Rasterelektro-
nenmikroskopie (REM, siehe S. 284) enthüllen Details von Meerestieren, die nur bei extremer Vergrößerung sichtbar sind, sodass sich neue Gebiete der Meeresbiologie eröffnen. Ein leichterer Zugang bedeutet aber auch höheren Stress für den Ozean: Kommerzielles Tauchen und Expeditionen an ferne Orte können Ökosysteme im Meer (zer)stören, wenn die begleitenden Aktivitäten, wie etwa die Nutzung starker Lichter zur Unterwasserfotografie, nicht vorsichtig und respektvoll erfolgen.
Menschen haben immer danach gestrebt, ihre Beziehung zur natürlichen Welt in verschiedenen Medien festzuhalten. Natürlich spielten Bücher und schriftliche Aufzeichnungen immer eine wichtige Rolle beim Verbreiten von Wissen und Geschichten und werden auch künftig großen Einfluss haben. Auf Smartphones, Computern und anderen elektronischen Geräten sind Apps unsere täglichen Begleiter. Kunst und Wissenschaft gleichermaßen nutzen die digitale Sphäre, vor allem zum Visualisieren wichtiger Daten über unseren Ozean. So macht der kanadische Aktivist Colton Hash ein unsichtbares Phänomen, nämlich die akustische Verschmutzung der Meere, in seinem interaktiven Werk Acoustic Turbulence greifbar (siehe S. 106).
Den vielleicht größten Einfluss auf unsere Verbindung zum Ozean und zum Leben im Meer haben Filme. Wurde nicht unsere Vorstellung von Haien durch den Film Der weiße Hai von 1975 geprägt (siehe S. 118)? Haben wir nicht in Die Höllenfahrt der Poseidon (1972, siehe S. 279) oder James Camerons Titanic (1997, siehe S. 79) die Macht des Ozeans erlebt? Jenseits der schrecklicheren, fiktiven oder realen Aspekte des Ozeans erlaubten Filme es uns, den unbekannten Ozean kennenzulernen, etwa in Luc Bessons Im Rausch der Tiefe (1988) durch die mysteriöse Welt des Apnoe-Tauchens oder im Animationsfilm Findet Nemo (2003, siehe S. 311), der uns Empathie für den Ozean und die kleinsten seiner Bewohner gelehrt hat.
Der vielfältige und gefährdete Ozean
Dieses Buch enthält viele wunderschöne Bilder des Ozeans, wie wir ihn zu sehen wünschen oder hoffen. Zugleich bietet es uns einen Einblick in einzigartige wissenschaftliche und kulturelle Phänomene aus der ganzen Welt, die Umweltgefahren und die Zerstörung, die der Mensch verursacht, sowie die Gefahren, die der Ozean für uns darstellen kann.
Subhankar Banerjee, ein in Indien geborener Luftfahrtingenieur, der zum Umweltfotografen und Aktivisten wurde, verliebte sich vor vielen Jahren in die Arktis und vermittelt seine Erfahrungen in Fotografien und Büchern. Durch sein Werk erklärt er nicht nur Umweltphänomene wie das Zusammenfließen des Wassers der Kasegaluk-Lagune mit der Tschuktschensee, sondern erschafft auch Narrative rund um das traditionelle Leben des Gwich’in-Volkes im nördlichen Alaska (siehe S. 249).
Glenna Gordon fotografierte die Skelettküste in Namibia, einen Friedhof aus gekenterten und gestrandeten Schiffen. Ihre Bilder zeigen, wie gefährlich der Ozean uns Menschen trotz aller modernen technischen Errungenschaften werden kann – er besitzt immer noch Macht über Leben und Tod (siehe S. 84).
Als Reflexion über die Gedankenlosigkeit der Menschen und die verheerenden Auswirkungen, die unser Verhalten auf das Leben im Meer hat, schuf der singapurische Künstler Tan Zi Xi die riesige Installation Plastikozean aus 26.000 Teilen Plastikmüll (siehe S. 154).
Der amerikanische Künstler Mark Dion, ein eifriger Sammler von Dingen, schuf die Instal lation The Field Station of the Melancholy Marine Biologist, das Labor eines fiktiven Meeresbiologen, in das man von außen hineinblicken kann (siehe S. 299). Dion will uns mit der wichtigen Arbeit bezaubern, die Meeresbiologen für die Menschheit verrichten, und warnt uns zugleich vor der gar nicht so rosigen Zukunft des Planeten Erde und seiner Bewohner.
Das Werk der australischen Künstlerin Dhambit Munuŋgurr zeugt vom traditionellen Wissen des Yolngu-Volkes im Northern Territory. In ihrem Gemälde Gamata ( Meer Gras Feuer) zeigt sie das Leben im Meer als etwas für ihr Volk Heiliges und weist geschickt darauf hin, dass die von ihnen bewunderten Seekühe inzwischen eine gefährdete Art sind (siehe S. 55). Die nun folgenden Seiten enthalten sehr viel mehr als nur schöne Bilder.
Wenn man tiefer in ihre Bedeutung eintaucht, enthüllen sie ihre Botschaften, die von den vielen Herausforderungen des Ozeans künden und durchaus als Aufruf zum Handeln verstanden werden sollten.
Der Ozean überall
Wir alle haben bemerkt, dass der Ozean – seine Geschichte, sein Schutz und seine nachhaltige Entwicklung, die blaue Ökonomie, der Ozean in Kunst und Bildung – in vielen Kontexten zu einem brandaktuellen Thema geworden ist. Die erwähnte UN-Dekade rückt den Ozean und alles, was mit ihm zusammenhängt, bis 2030 ins Rampenlicht und bringt alle Akteure sowie die Öffentlichkeit zusammen, um Veränderungen zu bewirken.
In Kunst und Kultur auf der ganzen Welt befassen sich Ausstellungen, interdisziplinäre Projekte, Bildungsinitiativen, Seminare an Universitäten und künstlerisch-wissenschaftliche Expeditionen gezielt mit ozeanbezogenen Themen. Künstlerinnen und Künstler waren immer schon vom Ozean inspiriert und fasziniert. Heute jedoch gibt es ein neues Bewusstsein dafür, dass der Ozean nicht nur Ort der Inspiration, sondern lebendiges Ökosystem ist, das gefährdet ist und geschützt werden muss.
Das konnte kaum deutlicher werden als 2022 bei der Biennale von Venedig und den vielen Einrichtungen in der Lagunenstadt, die sich mit dem Meer befassen. In vorderster Reihe stehen Organisationen wie die TBA21–Academy und ihr Ocean Space, in der seit mehr als einem Jahrzehnt Gemeinschaftsprojekte an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst gezeigt werden (siehe S. 24). Während der angesehenen internationalen Kunstausstellung präsentierte Ocean Space zwei Ausstellungen: The Soul Expanding Ocean #3 des südafrikanischen Multimediakünstlers Dineo Seshee Bopape und #4 der portugiesischen Künstlerin Diana Policarpo. Auf der Biennale selbst war der Ozean Thema im Giardini, dem Arsenale und einigen nationalen Pavillons in der Stadt: Der Pavillon von Grenada präsentierte Werke des Cypher Art Collective of Grenada, die von der karibischen Kultur und ihrer Verbindung mit dem Meer sprachen, im neuseeländischen Pavillon rückte der Künstler Yuki Kihara ökologische Themen rund um die paradiesischen Samoainseln ins Zentrum, während der italienische Pavillon einem einzigen Künstler gewidmet war: Gian Maria Tosatti schuf eine riesige, ortsspezifische Umweltinstallation über die Beziehung der Menschen zur Natur. Und die Zwischenstaatliche Ozeanografische Kommission der UNESCO präsentierte gemeinsam mit dem italienischen Forschungsrat, der Ca’ Foscari-Universität und anderen das immersive Ocean & Climate Village, um Besucher mit dem Meer vertraut zu machen.
Seit Tausenden von Jahren ist der Ozean eine Inspirationsquelle für Kunstschaffende: die Größe, die Schönheit, die Tiefe, das Unbekannte, das Mysteriöse, das vielschichtige Leben, die Nostalgie, die unendlich verknüpfte Einheit, das Fließende und das Unberechenbare. In diesem Buch finden Sie nur einige der Werke, die aus diesen Funken der Inspiration erwachsen sind. Epochen- und medienübergreifend – von Gemälden und Skulpturen bis zu Schmuck und Textilien – und vielen verschiedenen Zwecken dienend –religiösen, politischen und schmückenden ebenso wie wissenschaftlichen und lehrenden –, unterstreichen sie alle die wichtigste Intention dieses Buches: eine visuelle Reise anzubieten, die ein tieferes Verständnis des Ozeans ermöglicht. Genau wie die UN-Ozean-Dekade vereint dieses Buch Disziplinen aus der ganzen Welt in der Hoffnung, einen gemeinsamen Raum zu erschaffen, der die Bedeutung des Ozeanschutzes sichtbar macht und echte Lösungen hervorbringt.
Der Ozean ist schließlich überall.
Anne-Marie Melster
Interdisziplinäre Kuratorin, Mitgründerin und Executive Director, ARTPORT_making waves
Marie Tharp, Bruce Heezen und Heinrich Berann
Weltkarte des Meeresbodens, 1977
Bedrucktes Papier, 1,10 × 1,90 m Library of Congress, Geography and Map Division, Washington DC
Bei ihrer Veröffentlichung 1977 revolutionierte die Weltkarte des Meeresbodens von Marie Tharp (1920–2006) und Bruce Heezen (1924–1977), gezeichnet von Heinrich Berann (1915–1999), das Verständnis von der Erde und stützte die Theorie der Plattentektonik. Die Karte zeugt von der jahrzehntelangen Forschung der Geologin und Kartografin Marie Tharp und ihres Kollegen, des Meeresgeologen Bruce Heezen. Tharp stellte Heezen, damals ihr Chef am Lamont Geological Laboratory der Columbia University, 1952 ihre Theorie der Kontinentalplatten und des Rift-Valley
tief im Atlantischen Ozean vor. Zunächst lehnte Heezen Tharps Hypothese ab, akzeptierte sie aber später. Die 1957 vorgestellte Theorie stieß auf Skepsis, bis ein Tauchgang des Entdeckers Jacques Cousteau (siehe S. 78) die genaue Lage des von Tharp kartierten RiftValley bestätigte. Tharp und Heezens erste Karte von 1957 beschrieb den Grund des Nordatlantik; 1961 kamen der Südatlantik und 1964 der Indische Ozean hinzu. Die Karte enthüllte zum ersten Mal die vielfältigen Landschaften des Meeresgrundes, wie etwa das Netz aus unterseeischen Bergen, die den
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vulkanischen mittelozeanischen Rücken bilden, mit 65.000 Kilometern die längste Bergkette der Erde. Die dunkelblau gezeichneten Bergketten liegen oft in den zentralen Bereichen der Meeresbecken. Ausströmende Lava erzeugt neue Erdkruste, schiebt die ältere ozeanische Erdkruste nach außen – und sorgt so für das »Driften« der Kontinente. Nach Heezens Tod 1977 stellte Tharp die Weltkarte allein fertig. Sie wurde noch im selben Jahr vom Office of Naval Research veröffentlicht.
Bruce Morser und Hiram Henriquez
Home in the Ocean – Im Ozean zu Hause, aus der Zeitschrift National Geographic, 2015 Digitale Infografik, verschiedene Größen
Dieses faszinierende Panorama des Lebens im Meer vereint eine große Vielfalt an Tieren aus den Meeren dieser Welt, die mit großer Exaktheit dargestellt sind. Das sowohl ästhetische als auch lehrreiche Werk ist eine Zusammenarbeit zwischen dem kubanischen Grafikdesigner Hiram Henriquez und dem amerikanischen Künstler und Illustrator Bruce Morser und wurde speziell für eine Ausgabe der Zeitschrift National Geographic vorbereitet, die dem Ozean –dem größten Lebensraum der Erde – gewidmet war. Die Künstler haben eine bemerkenswerte Anzahl an
Tieren in einen Bereich des Meeres aufgenommen, der üblicherweise nur unter der Oberfläche interessant ist. Zugleich liefern sie detaillierte Informationen über die verschiedenen Arten. Es gibt einen Temperaturverlauf von den Polarmeeren auf der linken Seite über die gemäßigten Ozeane in der Mitte bis zu den tropischen Gewässern ganz rechts. Links taucht ein Eisbär über einer Robbe und Orcas in den eisigen Ozean, während rechts ein Delfin und Seekühe vor einem Korallenriff im Hintergrund und unter einem Salzwasserkrokodil und einer Karettschildkröte
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schwimmen. Der Übergang in der Mitte wird vom atlantischen Lachs, einem Roten Thun (BlauflossenThunfisch) und einem Weißen Hai dominiert. Über den Wellen tauchen und schwimmen Pinguine, große Wale durchbrechen die Oberfläche, Albatrosse schweben über dem offenen Meer und Möwen und Pelikane fliegen über den Küstengewässern. Klug platzierte Blasen weisen auf besondere Wesen am Meeresboden und an den Felsen der Küste hin, darunter Seesterne, Seeigel, Muscheln, ein Hummer und ein Oktopus.
Andreas Gursky
Ozean I, 2010
Tintenstrahldruck, 2,50 × 3,50 m Privatsammlung
Die ungeheure Weite des Indischen Ozeans ist hier als riesige blaue Fläche abgebildet, die – von links im Uhrzeigersinn – von Madagaskar, der somalischen Küste, Sri Lanka, Sumatra und der Westküste Australiens eingerahmt wird. Ozean I stellt den Ozean auf eine Weise dar, die zugleich neu und banal, wundersam und dennoch flach ist – ästhetische Widersprüche, die eine deutliche Abkehr von den üblichen romantischen Darstellungen des Ozeans in Malerei und Literatur sind. Die majestätische Kraft der sich brechenden Wellen ist hier ersetzt durch
eine jenseitige Stille. Der deutsche Künstler Andreas Gursky (geb. 1955) ist berühmt für seine großformatigen Fotografien, mit denen er zeitgenössische Vorstellungen des ästhetisch Erhabenen des 19. Jahrhunderts erkundet. Seine riesigen Bilder sind digital bearbeitet und bieten eine hyperrealistische und trotzdem unmögliche Sicht auf die Welt. Die Idee hinter der Ozean-Serie hatte Gursky 2010, als er auf einer Reise von Dubai nach Melbourne dem Flugweg auf der Karte folgte. Er nutzte Satellitenbilder, die er in seinem typischen fotografischen Stil umarbei-
tete, der das Verständnis des Betrachters von seinem Platz auf diesem Planeten herausfordert und unsere subjektive Wahrnehmung von Zeit und Raum hinterfragt. Darstellungen des stürmischen Meeres dienen oft als Symbol für den inneren Aufruhr des Menschen. Gurskys Visualisierung hingegen lässt uns angesichts der enormen Größe der Natur klein und unbedeutend wirken.
Eugène Delacroix
Das Meer, von den Höhen bei Dieppe aus gesehen, 1852 Öl auf Karton, auf Holztafel montiert, 35 × 51 cm Museé du Louvre, Paris
Am 14. September 1852 schrieb Eugène Delacroix (1798–1863) in Dieppe nach einem letzten Besuch am Strand in sein Tagebuch, dass »die Seele sich leidenschaftlich an Dinge hängt, die wir verlassen werden. In Erinnerung an dieses Meer schuf ich aus dem Gedächtnis eine Studie: goldener Himmel, Boote, die auf die Flut warten.« Vielleicht meinte er dieses kleine Seestück mit seinen gebrochenen Wolkenfarben, die sich im Wasser spiegeln, und den knapp angedeuteten, im Wind schaukelnden Booten. Delacroix malte dies mit 54 Jahren in dem kleineren
Format, das er in späteren Jahren bevorzugte. Die ausdrucksstarken Pinselstriche zeugen nicht nur von seiner Liebe zum Meer, sondern auch von seiner Rolle als Vorreiter des Impressionismus. Tatsächlich gilt dieses Bild manchmal als erstes impressionistisches Gemälde, 20 Jahre vor Monets Werk, das der Bewegung ihren Namen gab. Delacroix war wie die Impressionisten hingerissen von den wechselnden Wirkungen des Lichts und malte Sonnenuntergänge, Himmels- und Nachtszenen mit schnellen Strichen, die auf die Freilichtmalerei hindeuten. Er
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war Frankreichs führender romantischer Maler und lebte ein privilegiertes und einflussreiches Leben. Er begann seine Ausbildung unter dem klassizistischen Maler Pierre-Narcisse Guérin, war aber schon bald von den reichen Farben Rubens‘ und dem Werk seines Freundes Théodore Géricault beeinflusst und bewunderte die Landschaften der englischen Maler John Constable und J. M. W. Turner (siehe S. 29). Seine technischen Fortschritte und sein Einsatz der Farbe hatten beträchtlichen Einfluss auf die impressionistische und post-impressionistische Malerei.
Der spanische surrealistische Künstler Salvador Dalí (1904–1989) arbeitete mehrfach erfolgreich mit Juwelieren zusammen und schuf tragbare, skulpturale Stücke, die ebenso theatralisch, skurril und abstrus sind wie seine gemalten und grafischen Arbeiten. Seine Inspiration zog er meist aus der Natur. Gemeinsam mit dem renommierten Hersteller Piaget schuf er goldene Schmuckmünzen, die von nackten, verdrehten Zweigen umrahmt sind. Für dieses üppige Collier, das Dalí und der argentinische Juwelier Carlos Alemany für den wohlhabenden Kunstmäzen
Swirling Sea Necklace – Halskette Wirbelnde See, 1954 18k Gold mit Saphir- und Smaragd-Perlen, Perlen und Diamanten, Länge 39 cm Privatsammlung
São Schlumberger herstellten, formten sie eine Vision des Ozeans aus wertvollen Metallen und Edelsteinen. Gold strömt in einem verschlungenen Rinnsal von einem kannelierten Verschluss und sammelt sich in einer verdrehten, wogenden Masse aus Metall, auf deren herausspritzenden Tropfen eingebettete Diamanten strahlen. Gekrönt ist diese goldene Flut in der Mitte des Colliers von einer riesigen Südseeperle. Wenn Gold und Diamanten die Oberfläche des Wassers repräsentieren, dann stellen die Kettchen aus Smaragd- und Saphir-Perlen die blaugrüne Unter-
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wasserwelt dar. Das Leuchten der Perle oben setzt sich in winzigen Perlen nach unten fort. Dalí, der auf der International Surrealist Exhibition in London 1936 in einem Tauchanzug aufgetreten war, hielt den Ozean für ein genuin surrealistisches Reich. Und die große Barockperle, die Dalís Originalentwurfsskizzen als Reichsapfel zeigen, der von einem Kruzifix gekrönt war, muss dem Künstler als perfekter, schimmernder Ausdruck der eher traumhaften Aspekte der Natur vorgekommen sein.
Scott Harrison
The Reward, 2018 Fotografie, verschiedene Größen
Eine spektakuläre, in der Morgendämmerung von hinten beleuchtete neun Meter große Welle entfaltet sich wie ein riesiger Seidenfächer. In der Surffotografie ist dies als »Backwash-Welle« bekannt, ein Phänomen, das auftritt, wenn zwei Wellen aus entgegengesetzten Richtungen aufeinanderprallen und eine gewaltige Explosion des Wassers erzeugen. Der in New South Wales lebende Surffotograf Scott Harrison (geb. 1979) hielt diesen Augenblick an einem Morgen im Juli 2018 fest. Das erste Foto der Surfkultur stammt von 1890; es zeigt einen hawaiianischen
Surfer, der mit seinem Brett im Meer steht. 1929 entwarf der legendäre Surfer, Board-Designer und Fotograf Tom Blake als Erster ein wasserfestes Kameragehäuse und 1935 brachte National Geographic eine Serie seiner Fotografien heraus, die sowohl den Sport als auch die Surffotografie beflügelten. Harrisons Fokus auf die Fotografie war ein Glücksfall: 2014 erwachte er eines Morgens zu einem erstaunlichen Sonnenaufgang, griff seine Kamera und ging an den Strand. Hunderte von Morgen und Zehntausende von Fotos später schuf er dieses epische Bild. Er fotogra-
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fiert bevorzugt am frühen Morgen vom Land aus und gegen das Licht, wobei er auf das 20-Minuten-Fenster wartet, in dem alles stimmt. Harrison stellt ein, was möglich ist – Winkel, Bildausschnitt, Belichtung, Brennpunkt – und wartet. Wenn die Sonne nicht zu hoch steht und die Natur mitspielt, erhascht er den flüchtigen Augenblick. »Wären diese beiden Wellen einen Sekundenbruchteil später aufeinandergeprallt, hätte das Ergebnis völlig anders ausgesehen«, sagt er. »Je öfter du da bist, umso mehr Glück hast du.«
Audun Rikardsen
Ressourcen teilen, 2015 Fotografie, verschiedene Größen
In den norwegischen Fjorden nördlich von Tromsø, etwa 350 Kilometer jenseits des Polarkreises, gibt es die weltweit höchste Konzentration an Orcas oder Schwertwalen. Diese in den Fjorden beheimateten Orcas verbringen einen Großteil ihrer Zeit (bis zu 40 Prozent) mit der Suche nach Heringen, ihrer Lieblingsnahrung. Sie benutzen dazu ein System namens »Karussell«, bei dem die Wale gemeinsam einen Heringsschwarm einkreisen und die Fische immer enger zusammentreiben, bis diese in einer Art Ball nahe der Wasseroberfläche versammelt sind. Die
Wale schlagen dann mit ihren riesigen Fluken auf den Ball ein und töten oder betäuben die Heringe auf diese Weise, sodass sie nun in Ruhe fressen können. Eine andere, vermutlich einfachere Methode für Wale, an ihre Heringe zu kommen, besteht darin, einem Heringstrawler zu folgen, seine Netze einzukreisen und manchmal sogar in seine Netze zu gelangen. Der norwegische Fotograf und Professor für Meeresbiologie Audun Rikardsen (geb. 1968) hält hier genau solch einen Vorfall im Bild fest. »Die Leute glauben, ich sei Unterwasserfotograf«, sagt Rikardsen, »dabei würde
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ich mich eher als Oberflächenfotograf bezeichnen. Ich finde es faszinierend, die wenigen Millimeter zu sehen, die diese beiden völlig verschiedenen Welten trennen.« Zu diesem Zweck hat Rikardsen ein eigenes kugelförmiges Gehäuse für seine Kameras gebaut, das es ihm erlaubt, Bilder aufzunehmen, die teils über, teils unter Wasser sind. Diese einzigartige Perspektive zeigt, wie die Wale sich an die Gegenwart der Trawler gewöhnt haben und beide die riesigen Heringsschwärme ausnutzen.
Dieses außergewöhnliche Bild, das auf einer Insel in Papua-Neuguinea entstand, war das Ergebnis von Planung und Erfahrung – und einer guten Portion Glück. Der amerikanische Fotograf David Doubilet (geb. 1946) ist bekannt für Bilder, die durch die Wasserlinie geteilt sind. Seine lange und beeindruckende Karriere begann, als er mit 12 Jahren seine ersten Unterwasseraufnahmen machte. Doubilet war im Auftrag der Jubiläumsausgabe des National Geographic zum 125. Jahrestag unterwegs, als er an der Kimbe Bay nach dem perfekten Bild suchte, das deren
Vater und Sohn, Kimbe Bay, Papua-Neuguinea, 2013 Fotografie, verschiedene Größen
einzigartige korallenbedeckte Riffhänge zusammenfasst. Das war geplant, doch als Doubilet es nicht schaffte, das gewünschte Bild zu machen, schlug ein Bekannter ihm eine entfernte Insel nahe der Willaumez-Halbinsel vor. Die dicht unter der Oberfläche liegenden Korallen boten ihm die gewünschte Szenerie – dass Vater und Sohn auf ihrem Ausleger vorbei paddelten, war schieres Glück. Für so ein Bild sind viele Elemente erforderlich. Das spezielle Frontteil der Unterwasserkamera ist eine große Halbkugel aus Glas, die optisch korrigiert ist, damit Motive über
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und unter Wasser gleichermaßen im Fokus liegen. Es ist ein Superweitwinkel-Objektiv nötig, um die Szene vollständig zu erfassen. Für eine klare Trennung zwischen Himmel und Wasser ist das Meer idealerweise ruhig. Hier ist die Wasserlinie etwas gewölbt, sodass der Eindruck entsteht, das Korallenriff wäre ein anderer Planet. Das Licht über Wasser passt zum Licht unter Wasser, aber dennoch besteht kein Zweifel, dass wir zwei Welten sehen. Es ist ein Paradies unserer Fantasie.
Die Portugiesische Galeere (Physalia physalis) gehört zu den am meisten gefürchteten Hohltieren (Stamm der Nesseltiere oder Cnidaria), zu denen auch Quallen und ihre Verwandten gehören. Sie sieht ein bisschen aus wie eine Qualle, ist aber eigentlich eine Kolonie aus vielen kleineren Einheiten, den Zooiden. Spezialisierte Strukturen, die Nesselzellen an einigen der Tentakel, injizieren bei Kontakt mit Beute, wie Larven oder Fischen, ein Gift, das Lähmung oder Tod verursacht. Dieses Foto des deutschen Wildtierfotografen Solvin Zankl (geb. 1971) aus der Sargassosee, Ber-
Portugiesische Galeere, Sargassosee, 2014 Fotografie, verschiedene Größen
muda, enthüllt die komplexe Schönheit des Vorhangs aus zarten rosa und lila Tentakeln, die vom Körper des Tieres herabhängen, während es auf der Meeresoberfläche treibt, über Wasser gehalten von einer Gasblase (Pneumatophore). Die Tiere besitzen keinen Antrieb und werden daher vom Wind, der in das »Segel« auf ihrem Rücken fährt, oder von Strömung und Gezeiten bewegt. Die Tentakel dieses ungewöhnlichen Organismus sind etwa 10 Meter lang, können aber auch 30 Meter erreichen. Portugiesische Galeeren leben oberflächennah und sind in den tropischen und subtropischen Ozeanen weit verbreitet, auch der Sargassosee. Die Sargassosee ist ein Gebiet im Atlantik östlich von Bermuda, das sich durch relativ ruhiges, blaues Wasser sowie das Sargassum, eine Braunalgenart, auszeichnet. Sie liegt in einem Wirbel aus vier Meeresströmungen, die eine Fläche von etwa 1.100 mal 3.200 Kilometern umkreisen, dabei Meerespflanzen absetzen und eine wichtige Kinderstube für Arten wie Aale und Meeresschildkröten erschaffen.
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Leopold
und Rudolf Blaschka
Portugiesische Galeere (Physalia arethusa), Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts Farbiges Glas mit Kupferdraht, 24 × 5,5 × 9 cm National Museum Wales, Cardiff
Die im Atlantischen und Indischen Ozean beheimatete Portugiesische Galeere ist keine Qualle, sondern gehört zu den Staatsquallen (Siphonophorae): ein zusammengesetzter Organismus aus kolonienbildenden Zooiden. Der Name ist eine Hommage an die Karavelle, ein Segelschiff aus dem 14. bis 16. Jahrhundert, dem der gasgefüllte obere Teil des Tierkörpers ähnelt. Die hochgiftige Portugiesische Galeere treibt mit 10 bis 30 Meter langen Tentakeln, die ihre Opfer mit Nesselgift betäuben, durchs Wasser. Dieses akribisch genaue Modell einer Portugiesischen Galeere
ist das Werk von Leopold Blaschka (1822–1895) und seinem Sohn Rudolf (1857–1939). Die Nachfahren einer langen Linie böhmischer Glasbläser schufen in ihrer Dresdner Werkstatt Tausende von Glasmodellen für Museen und Universitäten auf der ganzen Welt. Solche Modelle waren im 19. Jahrhundert als Unterrichtshilfe weit verbreitet. Dieses komplexe Modell befindet sich mit etwa 200 weiteren, darunter Wirbellosen aus dem Meer und vom Land, wie Seeanemonen, Quallen, Oktopoden, Seegurken, Meereswürmern und Schnecken, in der Sammlung des
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National Museum Wales. Die Blaschkas, die weltweit berühmt waren für den tadellosen Realismus ihrer Arbeiten, halfen Wissenschaftlern und Forschern, eines der dringendsten Probleme der Naturkunde zu überwinden: die Konservierung von weichfleischigen wirbellosen Tieren. Quallen und Staatsquallen bestehen fast ausschließlich aus weichem Collagen –einem zarten Protein, das leicht reißt und nur schwer zu konservieren ist.
Unter der Oberfläche präsentiert die Welle, die den Strand hinaufkommt, einen Kontrast zwischen der Energie der eintreffenden Wasserwalze und der schäumenden Brandung der letzten Welle auf der einen und der Ruhe des sandigen Meeresbodens auf der anderen Seite. Um die Walze herum gewickelt sind rippenförmige Strudel, Bänder aus schmalem, sich drehendem Wasser, die sich an den Rändern der sich brechenden Wellen bilden. Es scheint, als wäre das Wasser der Wellen über den Ozean gereist, dabei bewegen die Wellen gar kein Wasser, sondern Energie,
Unter den Wellen, Burleigh Heads, Queensland, 2019 Fotografie, verschiedene Größen
die in einer Kreisbewegung durch das Wasser läuft und für sein Steigen und Fallen sorgt. An der Küste ändert sich das, weil das Wasser nicht tief genug ist, um den Kreis zu vollenden. Der untere Teil der Welle wird langsamer und die Energie sammelt sich oben, so der Wellenkamm höher in die Luft geschoben wird, bis er überkippt und herunterkracht. Die Energie verliert sich in der Brandung. Meist werden Wellen weit draußen im Meer durch den Wind verursacht. Er erschafft eine Unruhe, die Energie sammelt, wenn sie sich fortsetzt. Andere Formen von Wellen sind die
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Folge von heftigen Stürme oder Seebeben. Diese Phänomene – Sturmflut bzw. Tsunami genannt – erreichen die Küste als plötzlicher dramatischer Anstieg des Meeresspiegels statt als sich brechende Welle. Der australische Fotograf Mitchell Gilmore (geb. 1986) begann eher zufällig, mit einer GoPro-Kamera unter Wasser zu fotografieren, als er nicht surfen konnte. Er hat sich den Ruf erarbeitet, bemerkenswerte Ansichten von Wellen unter Wasser festzuhalten.
Zwei schlangenartige Skizzen von Wellen, bewegt und stürmisch, sind im Querschnitt auf einer Seite des Codex Leicester abgebildet, einer aus dem 16. Jahrhundert stammenden Sammlung von Schriften, Annahmen und Zeichnungen des italienischen Universalgelehrten Leonardo da Vinci (1452–1519). Der Kodex befasst sich vor allem mit den Themen Naturwissenschaft und Geografie, darunter der Frage nach den Eigenschaften von Wasser, Luft und himmlischem Licht. Die Wellen werden hier begleitet von einer Zeichnung eines Topfes, der als Behälter
Seite aus dem Codex Leicester (Detail), 1510 Manuskript, 30 × 22 cm Privatsammlung
zum Durchlaufen von Wasser fungiert, das oben eingegossen wird und aus einer Tülle am unteren Ende heraustropft: dasselbe Element, aber dieses Mal ruhig und kontrolliert. Umgeben werden die Illustrationen von Leonardos Anmerkungen in Spiegelschrift, in denen er sorgfältig die Bewegung und Struktur von Ozeanwellen beschreibt, einschließlich einer außergewöhnlich detaillierten Untersuchung, wie eine Welle an das Ufer krachen könnte: Sie bewegt sich in zwei Teilen, wobei der obere Teil vorwärts jagt, während der untere aufgrund der Reibung mit dem Meeres-
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boden nachschleppt. Hier überlegt Leonardo, wie das Wasser sich in verschiedene energetische Zustände übertragen lassen könnte, einerseits wild und getrieben von unkontrollierbaren elementaren Kräften, andererseits gelassen, wenn es von der menschlichen Hand gezähmt wird. Die stilisierten Wellen verdeutlichen seine Theorien und Beobachtungen von Gewässern, die mit unerbittlicher Energie auf die Küsten einstürmen.
Die Rosse des Neptun, 1892 Öl auf Leinwand, 8,60 × 2,10 m
Neue Pinakothek, München
Eine Reihe galoppierender Schimmel stürmt über eine blaugrüne Wasserfläche in Form einer riesigen röhrenförmigen Welle. Die Köpfe von wenigstens zehn Pferden sind sichtbar, die hintere Reihe suggeriert jedoch, dass es noch viel mehr von ihnen gibt. Die hoch erhobenen Vorderbeine der Tiere und ihre mit Schwimmhäuten versehenen Hufe beschreiben den Bogen der Welle, ihre wehenden weißen Mähnen gleichen schäumenden Wellenkämmen, die von einem heftigen Sturm verursacht werden. Unter dem mythologischen Meeresgott Neptun, der die
Zügel eines Streitwagens hält und seinen Dreizack schwingt, um seine Schützlinge anzutreiben, beginnen einige der Pferde, nach vorn zu fallen, als der hoch aufragende Wasserschwall unter seiner eigenen Unermesslichkeit zusammenbricht. Walter Crane (1845–1915) war ein englischer Maler und Illustrator, der wegen seiner Buchillustrationen im Stil der Arts-and-Crafts-Bewegung sehr gefragt war und das Genre der Kinderbücher mit seinem Schaffen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusste. Als Anhänger der Lehren des Kritikers
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John Ruskin und der Präraffaeliten waren mythologische Szenen und Motive ein zentraler Teil seines Werks, genau wie die Faszination Natur. Crane sagte über das Werk, dass er »zweifellos von der engen Verbindung zum Ozean inspiriert« war, die er auf einer Reise an die Küste von Nantucket, Massachusetts, verspürte. Cisco Beach an der Südküste der Insel ist heute ein beliebtes Ziel für Surfer: Die Wellen des Atlantiks können an einem guten Tag bis zu 300 Meter lang werden.