Szenen einer ehe

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SZENEN EINER EHE



SZENEN EINER EHE Ingmar Bergman



1975 lief in den bundesrepublikanischen Kinos Ingmar Bergmans Film „Szenen einer Ehe“. Als er zwei Jahre vorher an fünf Abenden im schwedischen Fernsehen gezeigt wurde, sollen die Straßen nahezu menschenleer gewesen sein: etwas, das gewöhnlich nur bei Fußballweltmeisterschaften eintritt. Johan und Marianne sind eigentlich ein ideales Paar, gutsituiert, beide erwerbstätig in akademi-schen Berufen, sie haben zwei offensichtlich wohlgeratene Töchter im jugendlichen Alter. Die Ehe zerbricht weniger an Johans Verhältnis mit einer anderen Frau, das nur als Symptom seines Wun-sches nach einem anderen Leben, einem neuen Anfang erscheint; sie zerbricht an einer Langewei-le, die vielleicht gerade deswegen entstanden ist, weil alles so glatt und harmonisch ist, so geord-net und so wohlanständig. Die brutale Offenheit, mit der Johan Marianne von seinem Verhältnis zu Paula unterrichtet, bevor er mit dieser auf- und davongeht, entspricht ganz dem Stil der siebziger Jahre. Doch selbst in den später folgenden zermürbenden und qualvollen Auseinandersetzungen erscheinen beide, Johan und Marianne, sympathisch und umeinander bemüht, und noch später, nach Jahren, als sie mit jeweils anderen verheiratet sind, können sie miteinander freundschaftlichnahe, beinahe zärtliche Gespräche führen. Der Film ist resignativ, seine Grundstimmung Ausweglo-sigkeit; keine auch noch so gute Ehe erscheint gefeit gegen dieses Schicksal, die These der „Szenen einer Ehe“ lautet, wenn man sie denn zur Thesenhaftigkeit vergewaltigen will: Die Ehe ist unmög-lich... Wer mit den eigenen Erfahrungen... ehrlich verfährt..., könnte leicht entdecken, dass er die Ehe nur darum für möglich hält, weil er sich in der Kunst geübt hat, die Bergmans Demonstrations-paar in den ersten beiden Sequenzen so perfekt beherrscht: der Kunst, die Schwierigkeiten unter den Teppich zu kehren. Herrad Schenk

Tisch und Bett. - Sobald Menschen, auch gutartige, freundliche und gebildete, sich scheiden lassen, pflegt eine Staubwolke aufzusteigen, die alles überzieht und verfärbt, womit sie in Berührung kommt. Es ist, als hätte die Sphäre der Intimität, das unwachsame Vertrauen des gemeinsamen Lebens sich in einen bösen Giftstoff verwandelt, wenn die Beziehungen zerbrochen sind, in denen sie beruhte. Das Intime zwischen Menschen ist Nachsicht, Duldung, Zuflucht für Eigenheiten. Wird es hervorgezerrt, so kommt von selber das Moment der Schwäche daran zum Vorschein, und bei der Scheidung ist eine solche Wendung nach außen unvermeidlich. Sie bemächtigt sich des Inven-tars der Vertrautheit. Dinge, die einmal Zeichen liebender Sorge, Bilder von Versöhnung gewesen sind, machen sich plötzlich als Werte selbständig und zeigen ihre böse, kalte und verderbliche Seite. Professoren brechen nach der Trennung in die Wohnung ihrer Frau ein, um Gegenstände aus dem Schreibtisch zu entwenden, und wohldotierte Damen denunzieren ihre Männer wegen Steuerhinterziehung. Gewährt die Ehe eine der letzten Möglichkeiten, humane Zellen im inhumanen Allge-meinen zu bilden, so rächt das Allgemeine sich in ihrem Zerfall, indem es des scheinbar Ausgenommenen sich bemächtigt, den entfremdeten Ordnungen von Recht und Eigentum es unterstellt und die verhöhnt, die davor sich sicher wähn-ten. Gerade das Behütete wird zum grausamen Requisit des Preisgegebenseins. Je »großzügiger« die Vermählten ursprünglich zueinander sich verhielten, je weniger sie an Besitz und Verpflichtung dachten, desto abscheulicher wird die Entwürdigung. Denn es ist eben der Bereich des rechtlich Undefinierten, in dem Streit, Diffamierung, der endlose Konflikt der Interessen gedeihen. All das Dunkle, auf des-sen Grund die Institution der Ehe sich erhebt, die barbarische Verfügung des Mannes über Eigen-tum und Arbeit der Frau, die nicht minder barbarische Sexualunterdrückung, die den Mann ten-denziell dazu nötigt, für die sein Leben lang die Verantwortung zu übernehmen, mit der zu schlafen ihm einmal Lust bereitete — all das kriecht aus den Kellern und Fundamenten ins Freie, wenn das Haus demoliert wird. Die einmal das gute Allgemeine in der beschränkenden Zugehörigkeit zuei-nander erfuhren, werden nun von der Gesellschaft gezwungen, sich für Schurken zu halten und zu lernen, dass sie dem Allgemeinen der unbeschränkten Gemeinheit draußen gleichen. Das Allge-meine erweist sich bei der Scheidung als das Schandmal des Besonderen, weil das Besondere, die Ehe, das wahre Allgemeine in dieser Gesellschaft nicht zu verwirklichen vermag. Theodor W. Adorno / Aus Minima Moralia



Aus Bergmans Autobiographie

Die Außenaufnahmen des Films wurden in Helsingborg gedreht. Eines Tages, Anfang August, film-ten wir die Trauung des Paares im Rathaus, an demselben Ort, an dem auch Ellen und ich vor ein paar Jahren getraut worden waren. Redakteurinnen einer Wochenzeitschrift namens »FilmJourna-len« be_suchten uns, um eine Reportage über die Dreharbeiten zu machen. Es war die charmante Chefre-dakteurin des Blattes, Gunilla Holger, die uns die Ehre erwies. In ihrer Gesellschaft befand sich eine Journalistenkollegin namens Gun Hagberg. Die Produktionsleitung, die ihre Pflicht und Schuldigkeit anerkannte und sich überdies heftig von der Chefredakteurin angezogen fühlte, kratzte die unbe-deutenden PR-Mittel des Films zusammen und lud zu einem Essen im Grand Hotel ein. Nach dem Essen wanderte ich mit Gun am Öresund entlang. Es war eine warme, windstille Som-mernacht. Wir küßten uns mit Begeisterung und einigten uns etwas zerstreut darauf, uns wieder-zusehen, wenn die Dreharbeiten in Stockholm weitergingen. »Filmjournalen« reiste ab, und ich vergaß das Ganze. Mitte August waren wir wieder zu Hause. Gun rief an und schlug vor, wir sollten bei »Cattelin« es-sen und anschließend ins Kino gehen. Mit einem Stich von Panik sagte ich von ganzem Herzen ja. Jetzt ging alles sehr schnell. Am folgenden Wochenende fuhren wir nach Trosa, nahmen uns ein Hotelzimmer, gingen ins Bett und standen erst am Montagmorgen wieder auf. Da hatten wir uns entschlossen, nach Paris auszureißen, jeder für sich, aber insgeheim zusammen. Ich fuhr nach Göteborg, um mit meiner Frau zu sprechen. Es war spätabends. Sie war schon zu Bett gegangen und freute sich über den unerwarteten Besuch. Ich setzte mich auf die Bettkante, ohne den Regenmantel auszuziehen, und erzählte alles, was es zu erzählen gab. Wer sich dafür interessiert, kann das Geschehen im dritten Teil von Szenen einer Ehe verfolgen. Das einzige, was vom tatsächlichen Ablauf abweicht, ist die Schilderung der Geliebten Paula. Gun war eher das reine Gegenteil von ihr. Sie war immer ein ganz besonderes Mädchen gewesen: schön, hochgewachsen, Sportlerin, intensiver blauer Blick, ein mächtiges Lachen, schöne, füllige Lippen, Offenheit, Stolz, Integrität, Frauenkraft, aber Schlafwandlerin.

Sie wusste nichts von sich selbst, war nicht interessiert, war ihrem Leben ohne Abwehr oder Hin-tergedanken begegnet, war aufrichtig und furchtlos. Sie ignorierte ihr periodisch auftretendes Ma-gengeschwür, hörte dann nur für ein paar Tage mit dem Kaffeetrinken auf und nahm Medikamen-te, dann war alles gleich wieder gut. Sie machte sich auch keinerlei Gedanken darüber, dass ihre Beziehung zum Ehemann so schlecht war: Früher oder später werden ja alle Ehen langweilig, und ein bisschen Gleitcreme rettet den Beischlaf. Sie dachte nicht über ihre regelmäßig auftauchenden Angstträume nach: Vielleicht hatte sie nur etwas Falsches gegessen oder zu viel getrunken. Das Leben war, wie es war. Es war großartig, und sie war unwiderstehlich. Unsere Verliebtheit war herzzerreißend und trug schon zu Beginn den Keim allen nur denkbaren Unheils in sich. Wir flogen am 1. September 1949 frühmorgens los und waren gegen Mittag in Paris. Wir quartierten uns in einem renommierten Familienhotel in der Rue Ste. Anne ein, einer schmalen Querstraße der Avenue de l‘Opéra. Wir saßen ermattet und erschreckt auf unseren Betten. Mir ging sofort auf, dass dies die Strafe Gottes für meinen endgültigen Verrat war: Ellens Freude über meine unerwar-tete Rückkehr, ihr Lächeln. Das unbarmherzig klare Bild tauchte vor mir auf. Es würde immer und immer wiederkommen, tut es noch heute. Wir blieben drei Monate in Paris. Es wurde eine für uns beide auf jede erdenkliche Weise lebens-echte Zeit. Die Verliebtheit, die Zeit und Gelegenheit erhielt, sich frei zu entfalten, öffnete ge-schlossenen Räume; Mauern stützten ein, ich atmete. Der Verrat an Ellen und den Kindern schwebte irgendwo in einem Dunst, ständig gegenwärtig, aber eigenartig stimulierend. Als die Rechnung präsentiert wurde, erwies sie sich als grauenhaft hoch.


Mit Krista Birkner und Daniel Bucher Regie Charles Muller Bühne & Kostüm Dragos Buhagiar Licht Philippe Lacombe Mapping Andrei Cozlac Dramaturgie Olivier Ortolani Maske Meva Zabun Regieassistenz Natalie Werle

Technik Hans-Josef Fusenig; Patrick Moses, Romina Back, Daniel Battibugli, Laurent Brandenburger, Marc Daman, Antonio Guedes dos Santos, Claude Hermes, Laurent Kohn, Carlo Lerario, Mike Noel, Daniel Quiring, Mirko Soisson

Spielzeit 2017 – 2018

photographie / livre Bohumil Kostohryz


SZENEN EINER EHE Ingmar Bergman

Vorwort von Ingmar Bergman … es ist trotzdem keine Lösung in Sicht, und zu einem richtigen Happy End kommt es nicht, obwohl es sicher erfreulich gewesen wäre, zu einem glücklichen Ende zu kommen, und sei es auch nur, um alle in künstlerischen Fragen feinfühligen Menschen zu provozieren, die aus Abscheu vor diesem vollkommen greifbaren Werk schon nach der ersten Szene ästhetische Übelkeit empfinden. Was gibt es noch zu sagen? Ich habe drei Monate gebraucht, um dieses Buch zu schreiben, aber es hat mich lange Zeit meines Lebens gekostet, es zu erfahren. Ich bin nicht sicher, ob es umgekehrt besser gewesen wäre, obwohl das vielleicht besser ausgesehen hätte. Bei der Beschäftigung mit diesen Menschen habe ich eine Art Ergebenheit für sie empfunden. Sie sind recht widersprüchlich geworden, manchmal kindlich ängstlich, manchmal recht erwachsen. Sie reden eine Menge dummes Zeug, manchmal sagen sie etwas Vernünftiges. Sie sind ängstlich, fröhlich, selbstsüchtig, dumm, lieb, klug, aufopfernd, ergeben, wütend, sanft, sentimental, unaus-stehlich und liebenswert. Alles auf einmal. Jetzt werden wir sehen, wie es geht. Fårö, den 28. Mai 1972










































































SZENEN EINER EHE Ingmar Bergman

Marianne

Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute unseres Lebens haben wir eingeteilt in kleine Kästchen. Und in jedem Kasten steht geschrieben, was wir tun sollen…

Marianne Johan

Johan, kommst du eigentlich gern nach Hause? Es ist alles so kompliziert heute …

Johan

Kann es denn sein, dass alles im Leben plötzlich schiefgeht? Ohne dass man weiß wa-rum…

Marianne Johan

Es gibt noch andere Dinge im Leben als Sex. Vielleicht bist Du zu anspruchsvoll. Ich weiß nicht, ob unser armseliges Sexualleben so der Rede wert ist.

Marianne

Immer diese verzweifelte Anstrengung, es allen recht machen zu wollen. Aber um sich eine äußere Sicherheit kaufen zu können, muss man einen hohen Preis bezahlen: die Zerstörung der eigenen Identität, vor allem wir Frauen…

Johan

Wie schön, dass wir kein Mitleid mehr zu haben brauchen. Allmählich werden wir zu Menschen. Was für ein glorreiches Fiasko!

Marianne Johan

Wo sind die Liebe und die Fürsorge geblieben? Kinder werden groß. Beziehungen zerbrechen, Liebe endet.

Johan Marianne

Wenn es um Gefühle geht, sind wir Analphabeten. Ja, Analphabeten.

Johan

… Wie soll man jemals andere verstehen, wenn man sich selbst nicht kennt?

11 Jahre nachdem Charles Muller Szenen einer Ehe auf französisch für das Escher Theater inszeniert hat, greift er Ingmar Bergmans Stück noch ein Mal auf, diesmal auf Deutsch, für eine Koproduktion mit der deutschen Abteilung des Nationaltheaters Sibiu. Es wird Charles Mullers letzte Inszenierung als Intendant des Escher Theaters sein. Bergmans Stück hat und wird immer seine ganze Kraft behalten, die angesprochene Geschlechterthematik ist eine ewige, und das erwachsene Publikum wird sich zweifellos in der einen oder andern Sentenz dieses Ehekampfs wiedererkennen. Das Stück ist hochkarätig besetzt mit der Schauspielerin Krista Birkner vom Berliner Ensemble und dem Schauspieler Daniel Bucher vom Ensemble des Nationaltheaters Sibiu.

Mit Krista Birkner und Daniel Bucher Regie Charles Muller Bühne & Kostüm Dragos Buhagiar Licht Philippe Lacombe Mapping Andrei Cozlac Dramaturgie Olivier Ortolani Maske Meva Zabun Regieassistenz Natalie Werle

KOPRODUKTION: THEATER ESCH – TEATRUL NAŢIONAL „RADU STANCA“ SIBIU

photographie / livre Bohumil Kostohryz


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