JULIANE EBNER
Impressum: Edition Bräuning Bräuning Contemporary Galerie für zeitgenössische Kunst, Hamburg © Bräuning Contemporary, Hamburg 2012 Die Rechte an den abgebildeten Kunstwerken und dem Text „Knallerbsenbusch“ liegen bei Juliane Ebner Kataloggestaltung: Juliane Ebner, Lotte Bräuning Alle Rechte vorbehalten.
JULIANE EBNER
2
Hamburg, November 2012
Sein als Summe
Über die Kunst von Juliane Ebner Juliane Ebner ist Sammlerin. Man kann Briefmarken sammeln oder Eisenbahnen, sie sammelt Momente, Szenen, Zustände, Augenblicke. Ebner findet sie in Zeitungen, als Fotografien, auf der Strasse, in Filmen oder als Zitate der Kunstgeschichte und Ikonografie. Die Augenblicke der Juliane Ebner sind nicht die besonderen, es sind die alltäglichen, beiläufigen. Sie wirken als Symbole für uns, unsere Gesellschaft, unsere Routinen, unser Verhalten. Auch ihre ikonografischen Zitate suchen nicht das Außergewöhnliche, sondern das Typische. Diese Szenen zeichnet sie mit wenigen Strichen, charakteristisch und auf ihren Kern, ihre Quintessenz reduziert. Viele hunderte dieser kleinen Szenen sind so entstanden. Sie sind der Ausgangspunkt und die erste Werkebene ihrer Kunst. Die Zeichnungen, diese Grundelemente von Juliane Ebners Arbeit, überträgt sie auf transparente Folien. Transparenz ist entscheidend. Dies gilt sowohl für das Trägermedium als auch für ihre Kunst selbst. Ebner arbeitet mit leichtem Strich, feinen Linien, aquarellartigen Kolorierungen, durchlässigen Materialien. Bei übereinander aufgetragenen Farbschichten bleiben nicht nur die letzten sichtbar, das Darunterliegende wird nicht versteckt. Nichts verschwindet. Für Juliane Ebner entsteht ein Bild der Gesellschaft durch die vielen kleinen Momente, die vielen symbolischen Augenblicke, die immerzu - und vielfach gleichzeitig - geschehen. Und so kombiniert sie ihre Folienzeichnungen, arrangiert sie, legt sie übereinander und nebeneinander. Dem gleichen Konstruktionsprinzip folgen auch Ebners Filme. Sie sind animierte Abfolgen von ihren summierten Zeichnungen. So fügt sie der räumlichen eine weitere – zeitliche – Schichtung hinzu. Diesem Prinzip folgt Ebner auch bei der Tonspur, die aus Überlagerungen von ihrem gesprochenen Text entsteht. Die Filme also als logische Fortsetzung ihrer grafischen Arbeiten in einer weiteren Schichtungsdimension.
3
Jede einzelne von Ebners Arbeiten, ob auf Film oder Folie, enthält eine Vielzahl solcher Zeichnungen und spiegelt so die Vielheit und Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Gesellschaft wider, also von dem, was uns Menschen ausmacht. Motive tauchen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wieder auf. Es entsteht was Juliane Ebner selbst als „Alphabet des Menschenmöglichen“ bezeichnet. Aus der Schichten-Komposition erwachsen Geschichten. Das ist das Charakteristische an Ebners Kunst: Wie diese einfachen Grundelemente – gekonnt gezeichnet zweifellos, doch einfach im Sinne von reduziert – zu komplexen Arbeiten zusammenwachsen, wie sie beginnen, ihre eigene Erzählebene zu entwickeln. Ist Juliane Ebner eine politische Künstlerin? Nicht im Sinne von Kampfkunst. Ihr Thema ist die Gegenwart und damit die Gesellschaft. Um aktuelle Ereignisse, Politik, Krieg, Tod, Sehnsucht, Umbruch, Schönheit, Geschlechterrollen geht es in ihren Arbeiten. Doch nimmt die Künstlerin die Rolle der Beobachterin ein, nicht der Instanz des erhobenen Zeigefingers. Wie jeder Beobachter aber wertet auch sie: durch Auswahl dessen, was sie sieht, zeigt und weglässt. Und damit nimmt sie Einfluss. Wer in Juliane Ebners Arbeiten die Szenen von Gewalt und Krieg entdeckt, aber auch von Schönheit und Harmonie, der kann sich der Geschichten, die sie erzählen, nicht entziehen. Till Bräuning
4
5
6
7
8
9
10
11
13
14
15
16
17
Alle Arbeiten: Mischtechnik auf Folien zwischen Acrylglas, diverse Größen, 2012
19
Knallerbsenbusch Soundtrack zum Film Diese Momente der Freiheit, der Spannung und des Glücks, wenn wir durch das Gebüsch am Abhang des Ufers krochen, welches nach dem Oberkommunisten benannt war, der unterhalb dieser Böschung als Denkmal aufs Wasser wies, mit seiner Faust. Später, wenn die Sternmärsche an Gedenktagen hierher führten und wir in unseren Schulklassen bei Trommelwirbel zu Blöcken formiert den Appell über uns ergehen lassen mussten, wich der Blick ab von der Kranzniederlegung zu Füßen des Denkmals vor uns und blieb hängen in den lichten Knallerbsenbüschen der Anhöhe dahinter, in welchen wir gehockt hatten, meine Schwester und ich. Die Stimmen aus den Lautsprechern, halbe, hallende Sätze endloser Wiederholungen überschlugen sich dröhnend, bevor sie abrissen, um erneut und immer wieder und wieder einsetzend eins zu werden mit dem Regen, der fein und endlos in die Dederonanoraks eindrang und sie dunkel färbte, bis sie sich nass um unsere Haut schlossen, während wir still standen. Tropfen in den Wimpern, Sprühregen, der unsere Wangen in feinen Bächen hinunterlief, der Hals steif vom geradeaus schauen. Die sich vor Nässe kräuselnden Dauerwellen der stämmigen Aktivistinnen vor uns. Nasse Papiernelken in Knopflöchern glatter Lederjacken unterhalb von Pelzmützenköpfen, schlappes Rot. Furchteinflößende Abwesenheit von Widerwillen in Gesichtern mit erhobenen Augen. Der grüne, Krepppapier umwickelte Draht der Nelkenstängel sticht hervor. Die Bestandteile bloßgelegt. Vorm Himmel hängen tütenförmige graublaue Trichterlautsprecher in den Bäumen, aus denen es gellt. Es gellt aus den Trichtern, sie beben im Wind oder von ihren Schreien und mit den Kabeln, die an ihnen hängen wie Drachenschwänze, wie Springseile, spielt der Sturm, den wir ignorieren als traurige, ohnmächtige, unfreie Herde ums Denkmal aufgestellt im Block. Wir umstehen das Denkmal im Halbkreis wie verängstigte Kühe die Melkmaschine. Und während über mir die Lautsprecher brüllen, vor mir also die Anhöhe mit den Knallerbsenbüschen, direkt hinter der Bronzefigur die wir umringen. Ich sehe am Kommunisten vorbei ins Gestrüpp, in dem meine Schwester und ich mal gespielt hatten und glücklich waren. Wild und frei und stark hatten wir
20
uns gefühlt, als wir uns duckend durch die Büsche der Grünanlage rannten, alle Spuren lesend, alle Gefahren witternd, kein zerbrochener Zweig entging unseren Adleraugen, das Ohr am Boden hörten wir alle Signale. Und er hatte uns nicht interessiert, der Sockel mit der Figur, deren Rückseite wir von oben gesehen hätten, wäre er uns nicht zu gleichgültig gewesen, um ihn wahrzunehmen, der Platz an dem ich nun stand. Wie das war, als die Zweige uns ins Gesicht schlugen beim Laufen. Diese Lust zu rennen. Wir duckten uns und liefen mit einer Schulter voran, hintereinander, um unserem Pfad zu folgen. Im Innern des Gebüschs die Zweige trocken und unbelaubt, biegsame Linien bildeten eine lichte Innenwelt, in der wir untertauchten. Keiner sah uns und wir sahen, was keiner sah. Die Hecke von innen. Und alles, worum es ging, war hier, und wir waren unbezwingbar, Souveräne alles Wesentlichen dieser Welt, Rebellenblut in unseren Adern. Und es war genau dieses herrliche Gefühl der Unschlagbarkeit später, wenn wir uns im Spiegel in die Augen sahen, den Lippenstift nachziehend, bevor wir die Schwingtür mit dem Fuß aufstießen und ausschwärmten. Ich sehe noch meine Schwester ihren Hut zurechtrücken und lachen. Wir würden gewinnen wie im Spiel, wir würden bekommen, was wir wollten. Wir hatten es im matschigen Boden in den Grünanlagen unserer Heimatstadt gefunden, vielleicht in uns selbst, als wir noch in mageren Kinderkörpern steckten, und es war uns geblieben. Unter allen Neonröhren und Fahnenmasten hatten wir es in uns getragen, unser Geheimnis. Wir waren schon mal unbezwingbar gewesen und wir würden es bleiben! Juliane Ebner
21
JULIANE EBNER in Stralsund geboren 1987 – 1993 1993
Studium der Kirchenmusik am Kirchenmusikalischen Seminar Halberstadt und anschließend an der Hochschule für Kirchenmusik Dresden Examen der Kirchenmusik
1999 - 2005 2005
Studium der Freien Kunst an der Muthesius-Kunsthochschule Kiel Diplom der freien Kunst
ab 2007
als freie Künstlerin in Berlin
Förderungen/Stipendien/Preise - Arbeitsstipendium des Kulturcenters Kiersgaard/DK - Förderstipendium der Hans-Hoch-Stiftung Neumünster - Katalogförderung des Landes Schleswig-Holstein - Atelierförderung des Senats der Stadt Berlin - Projektförderung des Kunstvereins Hamburg-Ahrensburg - Projektförderung der Villa Haiss, Museum für Zeitgenössische Kunst, Zell a.H. - Erste Preisträgerin des Realisierungswettbewerbs „Operare 08“ der Zeitgenössischen Oper Berlin - Stipendium der Walter-Bischoff-Galerie in San Josè, CA/USA - Katalogförderung der Kunststiftung Rügen Arbeiten im öffentlichen Besitz: Sammlung des Deutschen Bundestages Sammlung des Landes Schleswig-Holstein Kunstverein Hamburg-Ahrensburg Kulturcenter Kiersgaard/ DK Kunstsammlung Neubrandenburg Kulturstiftung Rügen Museum Kosegartenhaus Altenkirchen
23
24
Gemalte Animationsfilme: 2012 2012 2009 2009
„Luftdruck“ „Knallerbsenbusch“ „Alles Offen“ „Layers News Opera“
2012
„Knallerbesenbusch“ und „Alles Offen“ präsentiert auf dem Notfall Film Festival, Nl
Filmprojekte 2012 2011
FRIEDRICH. EIN PSYCHODRAMA, Redakteur Andreas Lehmann, 3sat-Produktion NOFRETETCHEN, Animationsfilm, „Kopf der Woche“, ZDFkultur
Gruppenausstellungen (Auswahl) 2012 2011 2010 2009 2008 2007
VERTIKALE Filmprojektionen im Filmmuseum Frankfurt NEUE LINIEN - NEUERWERBUNGEN GRAFISCHER KUNST FÜR DIE KUNSTSAMMLUNG DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, Kunst-Raum im Deutschen Bundestag, Berlin ALLTAG, FIGUR UND RAUM - KUNST AUS DEM NORDOSTEN, Kunstsammlung Neubrandenburg ART SANTA FE, New Mexico, Walter Bischoff Galerie STEP 010, Mailand, Galerie Quinque-Wessels, Berlin. PUERTE ARTE VIGO, Galerie Walter Bischoff, Spanien SXS DANS R, La Generale en Manufacture, Paris, Frankreich LAYERS NEWS OPERA, Uraufführung Galerie Aedes am Pfefferberg, Berlin, Katalog BALTIC BIENNALE, St. Petersburg, Katalog LIEBE USW., Galerie tmp. deluxe, Berlin KÜNSTLER NORDDEUTSCHLANDS, Galerie Skaarer, Oslo, Norwegen, Katalog COHERENCE, Brest, Frankreich, Katalog
25
Einzelausstellungen (Auswahl) 2012 2011 2010 2009 2008 2007
ERWARTUNGSHORIZONT, Sorgdragermuseum Hollum, NL BEINFREIHEIT IM BALLUNGSRAUM, zusammen mit Ralf Weißleder, Galerie Studio im Hochhaus, Berlin NUR DRINNEN WOHNT DAS GLÜCK, Eröffnungsausstellung des Kosegartenhauses, Altenkirchen HÖHERE DICHTE,Galerie Splitter Art, Wien, mit Roland Schwarb EBNER, zusammen mit Käthe Ebner Kulturstiftung Rügen, Katalog KNALLERBSENBÜSCHE, Videokunstprojekt der Zeitgenössischen Oper Berlin im Ohrenstrand Mobil DISPLAY, 4-Kanal-Projektion, das DEKA-Gebäude in Frankfurt am Main LÄNGER SCHÖN, Kunstforum Kassel, Katalog HÖHERE DICHTE, Walter Bischoff Galerie ALLES OFFEN, ein Film zur Mauer, Villa Haiss, Museum für Zeitgenössische Kunst, Zell a.H., Katalog RAUSCHENDE FESTE, zusammen mit Clara Glauert, Atelier Alain Le Bras, Galerie Municipale, Nantes, F DICHT DRAN, Einzelausstellung, Marstall Ahrensburg, Katalog ALLES ECHT, Kulturkirche St. Nicolai, Beuster ZIVILVERTEIDIGUNG, Kunstraum B, Kiel ALLES DA, Einzelausstellung, Galerie im Prater, Berlin, Katalog