Brav_a #12

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Vom Verlieren des Verlusts Und wie ich entschied, meine Hündin nicht davonzujagen Content note: Trauer, Tod, Depression, Körperliche Gewalt Ich bin neun Jahre alt und als der Donnerstag zum Freitag geworden ist bist du nicht mehr da. Sie sagen, du liegst in einem Kasten aus Holz, unter der Erde. Zum ersten Mal weiß ich mit Sicherheit, dass Worte nicht nur Worte sind. Worte bergen Konzepte: Und ein Sarg, lerne ich, ist ein anderes Wort für dein neues Bett. Ich bin neun. Und sie sagen, dein Gesicht ist jetzt grün und blau. Auch meine Cousine sagt das, sie ist acht. Sie hat dich gesehen, bevor sie dich unter die Erde gebracht haben. Sie ist sechsunddreißig als sie den Friedhof noch immer kein zweites Mal betreten hat, und sie sagt, ihr wird übel sobald sie sich nur in die Nähe begibt. Du bist das warme Licht, in das meine Kindheit getaucht ist. Der Ort, der in der Landkarte des Lebens unter Zuneigung und Wohlwollen verzeichnet ist. Du kochst meine Lieblingsgerichte, wann immer ich bei dir bin. Für mich und deine zwei Kinder. Bei dir kann ich mich 20

entspannen. Hier ist es nicht chaotisch, wie so oft in mir – in dem, was sie Seele nennen. Hier ist alles eindeutig. Und die Insekten surren im Sommer lauter, dort, wo du wohnst. Der Himmel ist weit und unendlich gespannt. Und das einzige, das mir helfen soll, ist, dass sie sagen: Dort bist du jetzt. Niemand erklärt mir die Idee, dass es nur dein Körper ist, der in diesem hölzernen Kasten liegt. Niemand nimmt mir die Angst, wenn ich denke, du könntest darin ersticken. Vielleicht weiß ich besser als die anderen, dass deine Seele noch dabei ist, diesen Sarg zu verlassen, und dass sie zu früh den Deckel zugemacht haben. Nachts liege ich wach, weil ich an dich in deinem neuen Bett denken muss. Immer habe ich am liebsten auf dem Rücken gelegen um einzuschlafen. Von nun an kann ich nicht mehr auf dem Rücken liegen. Panik überfällt mich bei dem Gedanken, du liegst jetzt genauso unter der Erde. Die Hände gefaltet wie zum Gebet der Ewigkeit. Warum lässt etwas, dass diese Welt wie ein Geist durchziehen soll, zu, dass du gehen musstest? Warum haben dieselben guten Mächte, denen du dich zu Lebzeiten zugewandt hast, um Gesundheit für deine Familie zu erbitten, dir eine sehr seltene todbringende Krankheit geschickt? Niemand erklärt mir je, wie ich begreifen kann, dass du für uns Kinder Süßspeisen kochst, obwohl du schon keine Kraft mehr hast, während der Rest der Familie nicht mehr spricht, sondern raunt: Was du dir wohl eingefangen hast? Etwas, das es notwendig macht, dass du nur einen Tag nach dem Grießbrei, der


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