EDITION
BREITKOPF
EDITION BREITKOPF
EDITION
BREITKOPF
EDITION BREITKOPF
Sonate Nr. 1 für Klarinette und Klavier B-dur
Sonata No. 1 for Clarinet and Piano in B flat major op. 112
EB 32111
1872–1946
für Klarinette und Klavier B-dur
for Clarinet and Piano in B flat major op. 112
Erstausgabe | First Edition
Edition Breitkopf 32111
Printed in Germany
Es gibt viele Komponisten, von denen heute behauptet wird, sie hätten zurückgewandt oder entgegen dem Zeitgeschmack komponiert. In einer Zeit, in der Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und deren Zwölftontechnik längst in Mode waren, bekam auch ein Max Bruch zu spüren, wie konventionell seine Musik empfunden wurde: einfach „nur“ auf Schönheit der Melodie und auf Klang ausgerichtet. Umso positiver ist es, dass viele der heute vergessenen (Spät)Romantiker ihrem Stil treu blieben und in ihrer Tradition äußerst wirksam waren. Es stellt sich allerdings die Frage, welches der aus der Menge wirkungsvoller und niveauvoller, jedoch weitgehend unbekannter Musik gewonnenen Extrakte es zu betrachten gilt: Welche davon sind es wert, wiederentdeckt und neu ediert zu werden?
Camillo Schumann ist einer dieser zu Unrecht vergessenen Komponisten. Sein Nachlass ist sehr breit gefächert und repräsentiert eine Schatztruhe wertvoller Musik.
Camillo Schumann wurde am 10. März 1872 in Königstein / Sachsen als Sohn des Stadtmusikdirektors Clemens Schumann (1839 – 1918) geboren. Schon im frühen Kindesalter erlernte er mehrere Instrumente und trug viel zum häuslichen Musizieren bei. Im Alter von zwölf Jahren übernahm er die Leitung der örtlichen Bläsergruppe zum traditionellen Turmblasen. 1889 begann Schumann am Leipziger Konservatorium zu studieren und erhielt dort bis 1893 seine grundlegende Ausbildung. Seine Lehrer waren u. a. der Komponist Carl Reinecke, der Musiktheoretiker Salomon Jadassohn, der Klavierpädagoge Bruno Zwintscher und der Organist Paul Homeyer. 1894 / 95 zog es Schumann nach Berlin, wo er seine Studien bei Woldemar Bargiel und Robert Radecke fortsetzte. Am 1. Oktober 1896 wurde Schumann an die Stadtkirche St. Georgen in Eisenach und an die Wartburgkapelle als Organist berufen. Dort entwickelte er sein Talent in höchstem Maße weiter und setzte sich besonders für die Pflege von J. S. Bachs Musik ein. Auf den Programmen seiner Orgelkonzerte finden sich neben Bach und Händel auch immer wieder Namen wie Mendelssohn, Rheinberger, Liszt, Piutti, Merkel und Samuel de Lange. Letzterem widmete er übrigens auch seine erste Orgelsonate. Mit seinem Bruder Georg Schumann (1866 – 1952), ebenfalls Komponist, setzte er sich besonders für den Neubau einer großen JehmlichOrgel in St. Georgen sowie für die Restaurierung des BachHauses ein. Als Pianist, Organist und Leiter der Eisenacher Triovereinigung war er ein weithin gerühmter Interpret und Virtuose, besonders bei Aufführungen seiner eigenen Werke. Seine
interpretatorischen und kompositorischen Leistungen wurden von Persönlichkeiten wie Hermann Kretzschmar, Wilhelm Berger, Paul Claussnitzer, Alfred Lorenz und Arnold Schering gewürdigt. Auch Anton Rubinstein äußerte sich über sein bemerkenswertes Talent. Für seine Verdienste wurde Schumann der Titel „Großherzoglich Sächsischer Musikdirektor und Hoforganist“ verliehen. 1911 wurde Schumann Mitglied der Gemeinschaftlichen Sachverständigenkammer Thüringer Staaten für Werke der Tonkunst in Weimar. Am Brill’schen Konservatorium in Eisenach erhielt er eine Dozentur für Orgel und Tonsatz. 1914 siedelte er nach Bad Gottleuba über, um sich gänzlich dem Komponieren zu widmen. Die Nöte der Kriegs und Nachkriegszeit bedeuteten jedoch zunehmende Einschränkungen in wirtschaftlicher Hinsicht, zumal Schumann an seiner traditionellen Kompositionsweise festhielt und die damaligen Strömungen der Musik völlig ignorierte. Dies machte es ihm schwer bis unmöglich, Verleger für seine Werke zu finden. Zur Überbrückung finanzieller Engpässe übernahm Schumann weitere kirchenmusikalische Dienste in Markersbach (1921 – 1946) und Langenhennersdorf (1928 – 1941). Zusätzlich konzertierte er als Orgelsolist in Dresden, Pirna und Königstein. In weitem Umkreis erlebte die Kulturszene durch ihn wahre Sternstunden. Camillo Schumann starb am 29. Dezember 1946 in Bad Gottleuba.
Sein Werk umfasst fast alle Musikgattungen. Über 300 Kompositionen sind nachgewiesen, bei denen es sich in der Mehrzahl um kammermusikalische Werke handelt. Ebenso finden sich zahlreiche Klavierwerke, Kantaten mit Orgel oder Orchesterbegleitung, Werke für Harmonium und ein umfangreiches Orgelwerk. Die Kammermusik nimmt jedoch bei weitem den größten Raum ein: Schumann komponierte u. a. 3 Klaviertrios, 5 Violinsonaten, 3 Cellosonaten, 2 Hornsonaten, 2 Klarinettensonaten, eine Oboensonate, eine Flötensonate und etliche Werke für verschiedene freie Besetzungen. Fast alle dieser Werke sind nie veröffentlicht worden und existieren nur als Autograph. Schumanns Tonsprache kombiniert die Brahms’sche Klangwelt mit der großen spätromantischen LisztSchule. Seine Klaviersätze reichen bis hin zu Klängen, die an Rachmaninow erinnern und sind von ungeheurer Kraft und Virtuosität. Die ausgeprägte Melodik macht die Werke zu dem wertvollen Zeugnis eines bisher nicht zur Geltung gelangten Komponisten.
Camillo Schumanns Œuvre für Klarinette ist recht umfangreich. Neben der vorliegenden Sonate finden sich in seinem Nachlass u. a. zwei weitere vollendete Klarinettensonaten, Fantasiestücke, eine Romanze, eine Serenade sowie einige Gelegenheitswerke. Eine vierte Sonate ist lediglich fragmentarisch überliefert. Über die Umstände der Entstehung bzw. für wen das Werk möglicherweise komponiert wurde, ist bisher nichts bekannt. Es ist jedoch zu vermuten, dass Schumann dieses, so wie er es fast immer handhabte, vorwiegend für eigene Konzerte mit befreundeten Musikern geschrieben hat. Besonders auffällig ist, dass die meisten seiner Werke in autographen Reinschriften erhalten sind, die den finalen Notentext recht zuverlässig überliefern. Dies ist auch bei den Klarinettenwerken der Fall, wobei die vorliegende erste Sonate eine Ausnahme darstellt.
Für diese Erstausgabe konnte zwar auf die autographe, mit Tinte geschriebene Reinschrift der Solostimme, bezeichnet mit „Klarinette
in B“, sowie eine korrespondierende CStimme, bezeichnet mit „Violinstimme“, zurückgegriffen werden, der Klavierpart existiert jedoch lediglich als eines von Schumanns Arbeitsmanuskripten, die er in der Regel mit Bleistift niederschrieb. Zwar lässt sich der Notentext relativ zweifelsfrei übertragen, im Falle des Scherzos mussten jedoch Wiederholungen und die genaue musikalische Abfolge anhand der Solostimme nachvollzogen und rekonstruiert werden. Die vorliegende Urtextausgabe basiert mithin auf einer sorgfältigen Bewertung der autographen Quellen. Modernen Editionsprinzipien folgend wurden offensichtlich fehlerhafte oder vergessene Akzidenzien stillschweigend korrigiert bzw. ergänzt. Harmonisch zweifelhafte Stellen, für die keine zufriedenstellende oder endgültige Lösung gefunden werden konnte, sind im Notentext durch eckige Klammern kenntlich gemacht.
Nick Pfefferkorn
There are many composers of whom it is said today that they had composed in an obsolete manner or against contemporary taste. At a time when Arnold Schoenberg, Anton Webern, Alban Berg, and their twelvetone technique had long been in vogue, a Max Bruch began to sense how conventional his music was felt to be: simply aligned “only” towards the beauty of melody and sound. It is all the more positive that many of today’s forgotten (late) romanticists remained true to their style and were extremely effective in their tradition. The question arises, though, which extracts of the quantity of effective and sophisticated, but largely unknown music are to be considered: What of it is worth rediscovering and reediting? Camillo Schumann is one of these unjustly forgotten composers. His legacy is very broadly diversified and represents a treasure chest of valuable music.
Camillo Schumann was born on 10 March 1872 in Königstein, Saxony, the son of the city music director, Clemens Schumann (1839 – 1918). Already in early childhood he mastered several instruments and contributed much to musicmaking at home. At the age of twelve Schumann took charge of conducting the local wind ensemble for the traditional tower trumpet fanfares. In 1889 he entered the Leipzig Conservatory, receiving his basic education there until 1893. His teachers were – among others – the composer Carl Reinecke, the music theorist Salomon Jadassohn, the piano teacher Bruno Zwintscher, and the organist Paul Homeyer. In 1894 / 95 Schumann moved to Berlin where he continued his studies with Woldemar Bargiel and Robert Radecke. On 1 October 1896 he was appointed organist to both the St. Georgen city church in Eisenach and the Wartburg Chapel. There he further developed his talent to the greatest degree and particularly supported the cultivation of J. S. Bach’s music. On the programs of his organ concerts, names – besides Bach and Handel – such as Mendelssohn, Rheinberger, Liszt, Piutti, Merkel, and Samuel de Lange can be found repeatedly. To the latter, incidentally, he also dedicated his first organ sonata. With his brother Georg Schumann (1866 – 1952), also a composer, he was especially devoted to furthering the new construction of a large Jehmlich organ in St. Georgen, as well as the restoration of the Bach house. As pianist, organist, and conductor of the Eisenach Trio Society, he was a widely praised interpreter and virtuoso, especially
in performances of his own works. His interpretative and compositional accomplishments were appreciated by personalities such as Hermann Kretzschmar, Wilhelm Berger, Paul Claussnitzer, Alfred Lorenz, and Arnold Schering. Anton Rubinstein also commented on his remarkable talent. For his services, Schumann was awarded the title “Grand Ducal Saxon Music Director and Court Organist.” In 1911 Schumann became a member of the Gemeinschaftliche Sachverständigenkammer Thüringer Staaten für Werke der Tonkunst [Joint Chamber of Experts for Works of Composition in the Thuringia] in Weimar. At the Brill Conservatory in Eisenach he was appointed lecturer for organ and composition. In 1914 he moved to Bad Gottleuba in order to devote himself entirely to composing. The hardships of the war and postwar period were, however, increasingly restrictive economically, particularly as he adhered to his traditional way of composing and completely ignored the current trends in music. This made it difficult if not impossible for him to find a publisher for his works. To bridge financial shortages he undertook other church music services in Markersbach (1921 – 1946) and Langenhennersdorf (1928 – 1941). Additionally, he gave concerts as organ soloist in Dresden, Pirna, and Königstein. Through him, the farreaching cultural scene experienced truly great moments. Camillo Schumann died on 29 December 1946 in Bad Gottleuba.
His work includes nearly all music genres. Over 300 compositions can be documented, the majority of them are chamber music works. There are also numerous piano works, cantatas with organ or orchestral accompaniment, works for harmonium, and an extensive organ work. Chamber music occupies by far the most space: Among others, Schumann composed 3 piano trios, 5 violin sonatas, 3 cello sonatas, 2 horn sonatas, 2 clarinet sonatas, 2 oboe sonatas, a flute sonata, and a number of works for various less conventional ensembles. Most of these works have never been published, existing only as autographs. Schumann’s tonal language combines the Brahmsian soundscape with the grand late romantic Liszt school. His piano pieces range even up to sounds reminiscent of Rachmaninoff and are of tremendous power and virtuosity. The pronounced melody makes the works the valuable testimony of a composer who has not yet come to the fore.
Camillo Schumann’s oeuvre for clarinet is quite extensive. Besides the present sonata there are two other completed clarinet sonatas, some fantasy pieces, a romance, a serenade, and several occasional works in his estate. A fourth sonata is extant only as a fragment. Nothing has hitherto been known of the circumstances of the first sonata’s genesis or for whom the work was possibly composed. It is to be suspected, however, that Schumann wrote this, as he almost always did, mainly for his own concerts as well as for some musician friends. Particularly striking is the fact that most of his works are extant in autograph fair copies, quite reliably transmitting the final music text. This is also the case with the clarinet works, the present first sonata being the exception.
Drawn on for this first edition could indeed be the autograph fair copy, written in ink, of the solo part designated as “Clarinet in B flat,”
as well as a corresponding part in C, designated as “Violin part.” The piano part exists, however, merely as one of Schumann’s working manuscripts, written down in pencil as usually. In fact, the music text is relatively unequivocally transmitted, though in the case of the scherzo, repeats and the exact musical succession had to be reconstructed on the basis of the solo part.
The present Urtext edition is consequently based on a careful evaluation of the autograph sources. Following modern editorial principles, manifestly erroneous or forgotten accidentals were tacitly corrected or added, respectively. Harmonically doubtful passages, for which a satisfactory or definitive solution could not be found, are given within square brackets in the music text.
Nick Pfefferkorn
Allegro ma non tanto
Breitkopf 32111
© 2015 by Pfefferkorn Musikverlag, Leipzig © 2017 assigned to Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
This is an excerpt. Not all pages are displayed. Have we sparked your interest? We gladly accept orders via music and book stores or through our webshop at www.breitkopf.com. Dies ist eine Leseprobe.
Nicht alle Seiten werden angezeigt. Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Bestellungen nehmen wir gern über den Musikalien- und Buchhandel oder unseren Webshop unter www.breitkopf.com entgegen.