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Ein Meilenstein der etwas anderen Art

Eine Schule mitten in der Wüste ist kein leichtes oder alltägliches Projekt. Umso überraschender, dass die Errichtung der RajkumariRatnavati-Mädchenschule in der Nähe von Jaisalmer nur knapp zehn Monate gedauert hat. Im indischen Bundesstaat Rajasthan hat die gemeinnützige Organisation CITTA bereits seit vielen Jahren versucht, dieses Projekt auf die Beine zu stellen. In Zusammenarbeit mit der New Yorker Architektin Diana Kellogg konnte die Schule nun realisiert und fertiggestellt werden. Ein beeindruckendes Modell für Menschlichkeit und Nachhaltigkeit.

Die Rajkumari-Ratnavati-Mädchenschule schafft durch den Einsatz des typischen Baumaterials und charmanter Details einen Bezug zur Dünenlandschaft, zur Regionalität, zur traditionellen Handwerkskunst und ermöglicht zugleich, ortsansässige Handwerker und notwendige Aktivitäten für Mädchen zu fördern.

Das GYAAN Center in der Wüste Thar soll zukünftig Frauen in Indien eine Ausbildung und wirtschaftliche Unabhängkeit ermöglichen. In der Wüstenstadt Jaisalmer mit etwa 70.000 Einwohnern ist die Alphabetisierungsrate nicht sehr hoch und gerade Frauen übernehmen vielerorts einen Großteil der Arbeitskraft. Aufgrund des Kastensystems werden Töchter hier leider weniger wertgeschätzt, als es bei Söhnen der Fall ist. Eine einzelne Schule kann diesen Zustand selbstverständlich nicht grundlegend ändern. Allerdings war es Diana Kellogg als verantwortliche Architektin ein Anliegen, mit dem Projekt der internationalen gemeinnützigen Organisation CITTA ein Zeichen zu setzen und einen Raum zu schaffen, „der Töchter aufwertet und ehrt und als Beispiel dafür dienen soll, dass nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen wertvoll sind.“ Als erster fertiggestellter Teil des GYAAN Centers können in der Rajkumari-Ratnavati-Mädchenschule nun 400 Mädchen bis zur zehnten Klasse unterrichtet werden. Zwei weitere Gebäude für Ausstellungen und eine Bibliothek sowie ein Ausbildungszentrum für traditionelles Kunsthandwerk speziell für Frauen sollen in den nächsten Jahren folgen. Sowohl funktional als auch gestalterisch soll der Komplex aus drei Gebäuden dann schlussendlich einem Unendlichkeitssymbol ähneln und damit einen Kreislauf sowie die Weiblichkeit versinnbildlichen.

Eine goldene Stadt

Bereits die ausladende Ellipsenform der Schule – als erster Baukörper des künftigen GYAAN Centers – ist in ihrer Autarkheit sehr beeindruckend. Inspiriert von weiblichen Symbolen und Fruchtbarkeit, war für Diana Kellogg vor allen Dingen auch der Einbezug des Ortes relevant. „Es war mir wirklich wichtig, dass das Gebäude sehr viel von der Wüste und von Jaisalmer in sich hat. Ich wollte, dass das Gebäude die wandernden Sanddünen und den Wind widerspiegelt – Elemente, die man in einem Wüstengebäude sieht, in dem überwiegend der Himmel und der Horizont im Fokus stehen.“ Doch nicht nur der starke Symbolcharakter und der Bezug zur Dünenlandschaft prägen die Architektur. Betritt man das Gebäude, offenbart sich unmittelbar eine starke kulturelle Verbundenheit. Das beginnt bereits bei der Verwendung des gelben Sandsteins, der klimatisch eine gute Wärmekapazität mit sich bringt und innerhalb der Konstruktion, der Gestaltung und des gesamten Bauwerks vorherrschend ist. Der Einsatz dieses Baumaterials ist nicht nur typisch für die Region, sondern bot auch die Möglichkeit, die ortsansässigen Handwerker an dem Projekt zu beteiligen und ihre Handwerkskunst zu fördern. Auch das Raumprogramm, das sich um einen ausladenden Innenhof orientiert – unter dem wiederum eine Zisterne als Wasserauffangbecken verbaut wurde –, entspricht der klassischen indischen Typologie eines Atriumhauses. Charmante Details wie kleine Schnitzereien und Aussparungen in den Wänden für sogenannte Diyas – traditionelle Öllampen, die zum indischen Lichterfest Diwali angezündet werden – begleiten bereits den Eingangsbereich und vermitteln so von Anfang an eine angenehme (Lern-)Atmosphäre.

Mehr als Handwerkskunst

Ein weiterer besonderer Aspekt ist die bemerkenswerte Interpretation und Umsetzung der typischen „Jalis“. Gerade in der indischen Architektur fungiert die kunstvoll ausgearbeitete gitterartige Struktur als Verkleidung von Fenstern oder als Raumteiler – häufig zur Trennung geschlechterspezifischer Bereiche. „Ein starkes kulturelles Element, das sich in der hiesigen Architektur niederschlägt, ist tatsächlich die Verschleierung der Frauen. Es gibt vielerorts diese Paravents, die sogenannten Jali-Wände, die ich modern interpretiert habe“, erklärt Diana Kellogg. „Auf diese Weise konnte ich die Bescheidenheit der Mädchen wahren, ihrer Kultur gegenüber respektvoll sein und ihnen zugleich Aktivitäten ermöglichen, die meiner Meinung nach für Mädchen sehr wichtig sind und die im Allgemeinen häufig übergangen werden.“ Darüber hinaus werden auch in der modernen indischen Architektur

Jalis zunehmend nicht mehr nur als Formelement verwendet, sondern auch aufgrund der klimatischen Vorteile. Beide Aspekte finden bei der Rajkumari-RatnavatiMädchenschule Anwendung. Denn durch den Versatz der Jali-Wände wird der Wind kanalisiert und die erhöhte Windgeschwindigkeit erzeugt kühlere Temperaturen. „Zusätzlich habe ich mit hohen Decken gearbeitet, damit die Wärme nach oben steigt. Außerdem gibt es in dieser Höhe Sprossenfenster, durch die der Wind die Wärme von den Klassenzimmern in den Innenhof ableitet. Mit diesen Methoden ist es tatsächlich gelungen, die Hitze in den Klassenzimmern manchmal um 30 Grad zu reduzieren“, so die Architektin. Ein Aspekt, der von großer Bedeutung ist, da die hohen Temperaturen ein entscheidender Faktor in Bezug auf die Schaffung einer angenehmen Lernatmosphäre sind.

Als ich anfing, über die Ellipse zu recherchieren, stellte ich fest, dass sie in vielen Kulturen die Form der Weiblichkeit und der weiblichen Stärke ist, sie ist ein Ei, eine Gebärmutter.“

Durch die Kombination aus höher gelegenen Sprossenfenstern und der Verwendung des gelben Sandsteins lässt sich die Hitze in den Klassenzimmern reduzieren, da der Wind die Wärme in den Innenhof ableitet.

„ Als die Mädchen das erste Mal reinkamen, haben sie angefangen, im Kreis zu spielen. Die Frauen arbeiten oft im Kreis. Es gibt einfach eine natürliche Verbindung durch die Form.“

DIANA KELLOGG

Ein architektonisches Wunderwerk

Nicht nur weil die meisten Beteiligten hier ihre Arbeit pro bono eingebracht haben, lässt sich hier von einem wirklichen Vorbildprojekt sprechen. Es ist die perfekte Kombination aus Design und Technik, die bis ins kleinste Detail umgesetzt wurde und die sich im eindrucksvollen Endergebnis widerspiegelt. „Wir haben Solarstrom, der im Grunde den gesamten Strombedarf deckt, und wir haben eine Pumpe, weil wir ein Wasserauffangsystem haben. Das Dach ist also ein Kollektor und der Hof ein Wassersammler, mit dem wir während des Monsuns das Wasser sammeln können“, führt die New Yorker Architektin an. Neben vielfältigem technischen Know-how dieser Art und der Umsetzung verschiedener Bautechniken ist schlussendlich selbst die Schuluniform Teil des Gesamt(kunst)werks. Niemand Geringeres als der berühmte indische Modedesigner Sabyasachi Mukherjee hat sich des Designs der Uniform angenommen und sich dabei ebenfalls von der traditionellen Kultur und der handwerklichen Kunstfertigkeit inspirieren lassen. So können die Mädchen in einer Kombination aus indigoblauen Kurtas und burgunderroten Churidars ungezwungen und dennoch mit einem gewissen Stolz lernen, spielen und heranwachsen. Zauberhaft – beinahe wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Als Komplex aus drei Gebäuden soll das GYAAN Center in seiner Gestaltung schlussendlich einem Unendlichkeitssymbol ähneln. Auch innerhalb seiner Funktion soll es den Kreislauf der Weiblichkeit versinnbildlichen und neben der Mädchenschule Raum für Ausstellungen, eine Bibliothek sowie ein Ausbildungszentrum für traditionelles Kunsthandwerk speziell für Frauen bieten.

Zeichnungen:

Marktplatz und Ausstellung

OBJEKT | STANDORT

GYAAN Center, Jaisalmer, Indien

ARCHITEKTIN

Diana Kellogg, New York

RENDERINGS

Diana Kellogg, New York

FOTOGRAFIE

Vinay Panjwani, Ahmedabad, Indien

Ausbildungs-

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