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Zeit und Raum

verschwimmen – verschmelzen – verzahnen

Die Weiterentwicklung rund um die Künstliche Intelligenz macht laufend Fortschritte. So auch in der Architektur und Kunst: Erst kürzlich hat der amerikanische Künstler Jason Allen mit dem auf Algorithmen basierenden Programm „Midjourney“ einen Kunstwettbewerb gewonnen. Das Programm arbeitet mit einer Grundidee, die durch Worte, Eingabeaufforderungen und Bilder verfeinert und spezifiziert wird. Die KI generiert auf dieser Basis Bilder, die in ihren Variationen hochskaliert werden. Hierbei handelt es sich um einen fortwährenden Prozess. Auch Architekturgestalter Qasim Iqbal benutzt Midjourney als Text-Bild-Generator für konzeptionelle Gedanken und Ideen. Der in England lebende Gestalter ist von der Einfachheit der Software fasziniert und kann sich vorstellen, sie vielleicht auch künftig für reale Projekte zu verwenden. Allerdings ist es ihm wichtig, dass die KI nicht zu seiner treibenden Kraft in der Kreativität wird. Wir haben mit Qasim Iqbal über seine eindrucksvolle Projektreihe gesprochen, die auf barocker Architektur mit Seidenaspekten basiert.

Was war für Sie der Anreiz für das Projekt?

Einzig und allein meine Leidenschaft für Architektur aus der Renaissance und dem Barock. Die Idee war zu experimentieren, wie diese Stile in die technologische Welt von heute integriert werden können. So möchte ich hinter die Oberfläche der Architektur blicken und versuchen, sie auf einer tieferen Ebene zu verstehen.

Warum gerade die Architektur aus der Zeit der Renaissance und des Barocks?

Die barocke Architektur hat, wie Heinrich Wolfflin erklärt, malerische Züge, das heißt, sie hat eine dynamische Komposition, ein Fließen, ein Verschwimmen der Flächen, eine allgemeine Einheit. Mein Verständnis und das Studium des Barocks erlaubten mir, ihn als idealen Stil für die Verschmelzung mit dem Seidenmaterial zu wählen, da seine Merkmale bzw. Eigenschaften mit den Qualitäten eines seidenen Stoffes austauschbar sind. Stoff ist dynamisch, flexibel und nicht auf eine Ebene beschränkt. Jede Faser opfert ihre Unabhängigkeit im Austausch für das größere Ganze.

Nach welchen Kriterien wählen Sie dabei Ihre Motive aus?

Meine Kriterien haben sich im Laufe der Zeit verändert. Seit dem Beginn meiner Arbeit mit „Midjourney“ sind meine Ansprüche an Motiv- und Bildqualität gestiegen, sodass ich sie sehr viel kritischer betrachte. In dieser Serie suche ich nach Motiven, in denen sich Stein und Seide miteinander verschmelzen lassen. Auf diese Weise werden die Betrachter ermutigt, das, was sie sehen, zu hinterfragen.

Ihre Kreationen sind sehr detailliert. Haben Sie vorab eine Vorstellung, wie das Ergebnis aussehen soll, oder entstehen die Ideen im Laufe des Prozesses?

Wenn ich beginne, habe ich ein Bild im Kopf. Ich will, dass Menschen beim Betrachten des Bildes charakteristische Elemente der Renaissance- und Barockarchitektur wie Bögen, Säulen, rhythmische Erker usw. erkennen. Aber wie bei allen Midjourney-Bildern (und den meisten KI-Bildgeneratoren) erhält man nie genau das, was man sich vorgestellt hat. Dies ist Teil des Austauschs zwischen dem menschlichen Geist und dem KI-System. Der beste Weg ist, Ideen zu haben, aber flexibel zu bleiben.

Was genau fasziniert Sie an der Kombination Stein und Seide?

Es ist eine Kombination aus einem Material, mit dem ich sehr vertraut bin (Stein), und einem Material, das mich fasziniert (Seide), über das ich aber nur sehr wenig wusste. Mein Verständnis von Seide entsprach dem der meisten Menschen, aber durch die Arbeit erkannte ich zusätzliche Qualitäten durch die Brille eines Architekten. Die Faszination kam, als ich über die Tektonik dieser beiden Materialien innerhalb der Architektur nachdachte. Ich sah die interessante Gegenüberstellung zwischen den bekannten starren und harten Eigenschaften von Stein und den flexiblen und fließenden Fähigkeiten von Seide. Im Grunde verstärke ich die Qualitäten der Künstler und Architekten des Barocks und versuche, ihnen eine zeitgenössische Wendung zu geben.

Stein und Seide sind von der Materialität sehr unterschiedlich. Was sind Ihrer Meinung nach die Gemeinsamkeiten?

Durch meine Bilder versuche ich aufzuheben, was man über die Materialien im Kopf hat. Denn was man von Stein und Seide erwartet, trifft in dem durch diese Bilder geschaffenen Raum nicht mehr zu. Das bietet dem Betrachter eine andere Lesart der Materialien und der Architektur (wenn auch nur digital) und erlaubt ihm, zu träumen und den Status quo infrage zu stellen. Wenn wir unsere Disziplin nicht vorantreiben, kann sie sich im Laufe der Zeit nur verschlechtern. Deshalb muss man Fragen stellen. Ich denke, es gibt eine

Gemeinsamkeit zwischen dem barocken Stein und der Seide, aber nicht zwischen ihrer Verwendung. Für Bernini war der Stein nicht auf typische Eigenschaften beschränkt. Er wurde zu Stoff, Haut und Haar – es gab keine Grenze, die er nicht infrage gestellt hätte, wenn es um seine Skulpturen ging. Dieses Hinterfragen, die dynamische Bewegung, die dem Stein so gegeben wird, verleiht ihm Ähnlichkeiten mit Seide.

Macht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Ihrer Meinung nach die Architektur besser oder ist es nur eine Art der Neuinterpretation?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sollte als reines Werkzeug für Architekten gesehen werden. Für mich produziert die KI Bilder, die nur Bilder sind, aber keine tiefere oder weitere Bedeutung haben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sagen kann, dass Architektur durch KI besser oder schlechter wird, denn wie bei den meisten Dingen gibt es Vor- und Nachteile. In diesem Fall ist der Vorteil, dass eine Vielzahl von Ideen schnell generiert und veröffentlicht werden kann. Damit scheint es ein ideales Werkzeug für den Beginn eines Projekts zu sein, bei dem wir versuchen, Konzepte und Ideen zu erkunden – ähnlich einem Moodboard. Der Nachteil ist, dass die KI missbraucht und ausgenutzt und zu einer Art „Krücke“ in der Designarbeit gemacht werden kann. Das führt zu einer Minderung der Arbeitsqualität von Denker/-innen und Designer/-innen. Aber richtig und angemessen eingesetzt, kann KI helfen, Bereiche und Ideen zu erschließen, die man ansonsten vielleicht nie ausgelotet hätte.

Prof. em. Dr. Karl Schawelka, ehemaliger Professor für das Fachgebiet „Geschichte und Theorie der Kunst“ der Fakultät Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar, widmet sich in der Rubrik „Farbbetrachtungen“ der divergierenden Farbgestaltung.

Mithilfe architektonischer Beispiele aus der Zeit des Historismus und der Hochzeit des Bauhauses verdeutlicht er dabei die Beziehung von Farbgestaltungen und den psychischen Bedürfnissen des Menschen.

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