Autismus

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AUTISMUS


„Autismus,

da denkt man an Schweigen, an Menschen,

die keine Worte finden um andere zu erreichen.

Autismus, eine krankhafte Ich-Bezogenheit, die Unfähigkeit, mit der Umgebung in Kontakt zu treten.

Wenn das eine Wahrheit ist, dann höchstens die halbe, denn Kontakt ist mir wichtig

und ich bin alles andere als schweigsam!”

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S WA S I S T A U T I S M U S

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G E B U RT B I S K I N D E R G A RT E N

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SCHULZEIT

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Z E I T B E I D E N E LT E R N , E R S T E B E R U F S E R FA H R U N G

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A R B E I T, B E R U F S W E LT, F R E I Z E I T

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WOHNGRUPPE BÜRGLEN

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EIGENE WOHNUNG

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IMPRESSUM

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WA S I S T A U T I S M U S Der Begriff «Autismus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Manche Menschen sind Einzelgänger, die sich nur für ein Spezialgebiet interessieren, sich nur mit Mühe in andere Menschen einfühlen und mit ihnen adäquat kommunizieren können und Kontakte eher vermeiden. Sind diese autistischen Merkmale so ausgeprägt, dass sie die Entwicklung eines Kindes behindern, spricht man von «Autismus» als einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Für diese Diagnose müssen Störungen in 3 Bereichen vorhanden sein: – Auffälligkeiten der Sprache und der Kommunikation, z.B. verspätete oder fehlende Sprachentwicklung oder Verlust von vorhandener Sprache, repetitive Verwendung von Wörtern oder Sätzen. – Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion, z.B. Besonderheiten in Blickkontakt, Mimik und Gestik. Wenig Interesse an anderen Kindern oder ungeeignete Formen der Kontaktaufnahme, fehlendes Verständnis für Abläufe in Gruppen. – Eingeengte und repetitive Spielverhalten, Interessen und Aktivitäten, z.B. Drehen an Rädern von Spielzeugautos, auffällige, sich wiederholende Hand- oder Körperbewegungen. Zwanghafte Faszination für Themen oder Gegenstände, repetitives Aufreihen von Gegenständen. Menschen mit einer autistischen Störung nehmen ihre Umwelt «anders» wahr. Oft orientieren sie sich an Details und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen. Sie suchen selten den Blickkontakt und können die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht kaum erkennen.

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Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Geruch, Geräusche oder Berührungen sind häufig. Sie zeigen sich z.B. als Faszination für Licht oder glänzende Oberflächen, Angstreaktionen bei speziellen Geräuschen, als Vorliebe für kräftige Körperkontakte oder als auffälliges Beriechen von Oberflächen oder Ertasten von Gegenständen. Diese Probleme werden oft als Wahrnehmungsstörungen bezeichnet. Alle diese Schwierigkeiten führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene mit Autismus grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Ihre Lernmöglichkeiten sind dadurch beeinträchtigt. Betroffenen fällt es schwer, sich in ihre Mitmenschen einzufühlen und adäquate Beziehungen zu ihnen aufzubauen. In den meisten Fällen treten die Symptome bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Autistische Störungen können von geistiger Behinderung begleitet sein. Die Ursachen des Autismus sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mit Sicherheit mehrere Faktoren eine Rolle. Genetische Einflüsse und wahrscheinlich biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt können die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und die autistische Störung auslösen. A u t i s m u s e n t s t e h t b e s t i m m t n i c h t d u rc h E r z i e h u n g s f e h l e r o d e r f a m i l i ä re K o n f l i k t e . Die Symptome der autistischen Störung sind sehr unterschiedlich und verändern sich in ihrer Ausprägung im Laufe der kindlichen Entwicklung. Durch die richtige Förderung können beeinträchtigte Fähigkeiten verbessert und autistische Verhaltensweisen vermindert werden.

mehr Infos unter: www.autismus.ch

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G E B U RT B I S K I N D E R G A RT E N Ich wurde am 25.09.1958 zu Hause geboren. Ich habe zwei ältere Geschwister. Ich kann mich sehr schlecht an die ersten Jahre zurückerinnern. Von meiner Mutter weiss ich, dass ich nach der Pockenimpfung kaum mehr schlief, viel vor mich hinträumte und vor mich hinschwatzte, kaum mehr lachte und stereotype Schaukelbewegungen machte etc. Zur damaligen Zeit waren die Erkenntnisse für meine Erkrankung erst in ihren Anfängen. Für meine Eltern begann eine Zeit der Odyssee von einem Kinderarzt und Kinderpsychologen zum anderen. Der Leidensdruck war riesig und belastete die ganze Familie und niemand konnte helfen. Nur ich selber merkte davon nichts. Für mich war damals alles normal. 1964 kam ich in eine Therapiestation, weil meine Verhaltensauffälligkeiten ein Besorgnis erregendes Mass angenommen hatten. Dazu kam eine massive Wachstumsstörung mit extrem früher erster Menstruation. Im Vergleich zu gleichaltrigen gesunden Kindern musste ich zum Spielen wesentlich mehr ermuntert werden. Ein Spiel war nur mit Anleitung einer Betreuungsperson möglich. Eine spontane Kontaktaufnahme zu anderen Kindern war mir kaum möglich. Ich war immer in meiner eigenen Welt. Ich litt aber nicht unter meiner Isolation. Hingegen litt ich darunter, wenn die Erzieherinnen mich ändern wollten. Eine spezielle Angewohnheit von mir war, dass ich aussergewöhnlich lange auf der Toilette sass und dann alles andere um mich herum vergass. Darum bekam ich einmal zur Strafe kein Frühstück, was mich damals verärgerte und mich dazu veranlasste, mich gegen diese pädagogische Massnahme aufzulehnen. Damals als Kind war es sehr schwierig für mich, mich in eine Ordnung einzufügen. Ich konnte die Logik der allgemein üblichen Ordnung nicht nachvollziehen. Dennoch fühlte ich mich im Heim wohl. Obwohl ich nur alle vier Wochen nach Hause konnte, vermisste ich meine Familie nicht.

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SCHULZEIT Die ganze Schulzeit verbrachte ich in anthroposophischen Heimen mit internem Schulbetrieb. In der ersten Klasse hatte ich eine Lehrerin für mich allein, weil ich in einer Klasse dem Unterricht nicht hätte folgen können. Als ich nach etwas mehr als einem Jahr erfuhr, dass ich Kameraden erhalte, freute ich mich riesig darauf. Ich konnte nicht wahrnehmen, dass mein Verhalten Behinderung ist. So war es für mich normal nicht zu grüssen, den andern nicht anzusehen, keine Antworten zu geben oder wie sollte ich wissen, welche Fragen angebracht waren und welche nicht. Obwohl ich nur zwei Mitschüler in meiner Klasse hatte, war es mir lange nicht möglich, mir ihre Namen zu merken. Gesichter konnte ich lange überhaupt nicht erkennen und zu den Namen ordnen. Aber darunter litt ich nicht, weil ich diese Einschränkungen nicht als Defizit wahrnahm. Durch mein Verhalten musste ich viele Reklamationen von meinen Mitmenschen, die ich lediglich als andere Leute wahrnahm, einstecken. „Luäg dä doch ä mal a. Wär chönt jetzt das sie? Studiär doch ä mal.“ Diese Ermahnungen und Aufforderungen halfen mir nichts. Ich strengte mich aber an sie auszuführen und gab mir alle erdenkliche Mühe mein Verhalten zu verbessern. Den schulischen Anforderungen zu genügen, war für mich ohne grössere Anstrengungen möglich. Hingegen war ich den Anforderungen, die der Umgang mit meiner Umwelt forderte, kaum gewachsen. Bewegliches Denken, Mitfühlen, Einfühlen war mir nicht möglich. In diesen Situationen rastete ich meistens aus.

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Ich sah nur noch rot. Und rot bedeutete für mich, dass ich ganz übel schreien, schimpfen, fluchen und toben konnte. Im Nachhinein war es mir peinlich, wenn es unschuldige Opfer gab, obwohl ich immer noch das Gefühl hatte, dass ich im Recht war. Ich hatte nie Freunde und Freundinnen. Ich vermisste dies nicht, weil es für mich einfacher und viel interessanter war, mich mit Sachthemen zu beschäftigen. Schon früh interessierten mich medizinische Fragen, Tiere und andere wissenschaftliche Themen. Ich fragte die Leute über ihre Erkrankungen aus, las bei Gelegenheit medizinische Ratgeber und machte gerne Krankenbesuche. Durch die vielen Fragen fühlten sich die Leute oft belästigt und ich bemerkte nicht, wie ich in meiner Art masslos wurde. Mein Ziel Wissen zu erwerben hatte für mich Priorität und das Unbehagen des andern erkannte ich nicht. Erst wenn ich eine Instruktion erhielt, begriff ich die Spielregeln des Zusammenlebens und konnte meine Umwelt besser wahrnehmen. Bereits mit neun Jahren war ich körperlich wie eine Frau entwickelt. Auch diese Besonderheit störte mich nicht. Den Reaktionen der anderen Leute mass ich keine Bedeutung zu. Die Jahresfeste wurden in meiner Schule speziell gepflegt. Diese Anlässe hatte ich sehr, sehr gerne. Heute noch, wenn ich diese Zeilen schreibe und mich zurückerinnere, bin ich gerührt und auch stolz darauf, dort mitgemacht zu haben. Der Höhepunkt der Schulzeit ist der Konfirmandenunterricht, den ich zwei Mal in der Woche zusammen mit Nichtbehinderten besuchte. Diese Herausforderung nahm ich sehr gerne an. Es war mir nach wie vor nicht möglich, persönliche Kontakte zu pflegen, aber ich konnte noch mehr Wissen erwerben. Die vielen praktischen Übungsmöglichkeiten in der Schule förderten meinen Berufswunsch im Textilbereich. Es kam aber anders. 5


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Z E I T B E I D E N E LT E R N , E R S T E B E R U F S E R FA H R U N G Kurz vor meinem Heimaustritt wurde ich von meinen Eltern für ein Wochenende nach Hause eingeladen. Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich an Ostern 1976 definitiv nach Hause kommen und bei meinem Vater in der Drogerie eine Verkäuferinnenanlehre machen kann. An Stelle der Berufsschule besuchte ich immer am Montagmorgen die Kochschule. Ich freute mich dermassen, dass ich in der ersten Nacht nicht mehr schlafen konnte. Ich freute mich, zurück zur Normalität zu kehren, obwohl ich eigentlich nicht wusste, was dies bedeutet. Bei meinen Eltern lebte und arbeitete eine italienische Haushälterin, die selber eine Tochter hatte, die bei meinen Eltern aufwuchs. Dadurch hatte ich im Haushalt fast keine Aufgaben und ein sehr komfortables Leben. Schon nach kurzer Zeit wurde aber deutlich, dass ich den Anforderungen dieser Anlehre nicht ganz gerecht werden konnte. Ich konnte den Arbeitspensumdruck nicht gut ertragen. Ich wurde bei entsprechender Kritik durch meinen Vater aggressiv.

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Ich konnte mir z.B. die Namen und Gesichter der Kunden nicht merken. Das f端hrte dazu, dass ich unfreundlich auf die Kunden wirkte. Dies merkte ich damals aber noch nicht selber. Die Verhaltensfehler wurden immer wieder von meinen Eltern kritisiert. Auch nahm ich nicht wahr, dass eine schmutzige Berufskleidung einen ung端nstigen Eindruck auf die Kunden machte. Ich war oftmals viel zu lange auf der Toilette, was auch zu Konflikten f端hrte. Nach zwei Jahren verkaufte mein Vater sein Gesch辰ft, was wir mit einem Essen in einem Restaurant feierten und ich konnte, vermittelt durch die IV-Berufsberaterin, in einen anderen Betrieb wechseln.

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A R B E I T, B E R U F S W E LT, F R E I Z E I T

Bei dieser Textilfirma in der Nähe meines Elternhauses lernte ich einfache maschinelle Textilverarbeitung. Die Anpassung an die neuen Arbeitsbedingungen und Mitmenschen schaffte ich aus meiner Sicht gut, aber es war für die Bereichsleiterin wahrscheinlich sehr schwierig. Meine emotionalen Ausraster waren meiner Meisterin nicht bekannt und daher am Anfang sehr, sehr schwierig für sie. Diese Ausraster taten mir auch immer sehr leid, da mir bewusst war, dass sich so etwas nicht gehört. Der Betrieb stand durch die Kunden unter Leistungsdruck. Dadurch war die Bereichsleiterin oftmals sehr schlecht gelaunt und setzte mich dadurch noch mehr unter Druck. Dadurch begann ich massiv an meinen Fingernägeln herumzuschneiden, bis diese blutig waren. Wenn ich vom Betrieb oder von der Bereichsleiterin eingeladen wurde, war das immer ein besonderes Ereignis, das ich mit Vergnügen besuchte. Privat hatte ich keine Kontakte zu meinen Arbeitskameradinnen, obwohl ich 13 Jahre in diesem Betrieb arbeitete. Die Geburtstage der Mitarbeiter wurden auch jedes Mal mit einem vom Jubilar spendierten Znüni und einem Geschenk von den Arbeitskameradinnen und der Leiterin gefeiert. Diese Rituale hatte ich ebenfalls sehr gerne. Aus Anlass eines Betriebsjubiläums führte diese Firma einen Tag der offenen Türen durch. Ich erhielt für diesen Anlass einen nach Masskonfektion angefertigten Kasack geschenkt, was mich sehr freute. Anlässlich dieses Firmenjubiläums reiste ich am einzigen Betriebsausflug mit, den diese Firma machte.

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Bevor ich ins Brüggli wechselte, machte ich in einer anderen Firma noch ein Büroprobejahr. Ich konnte, bedingt durch meine Behinderung, auch dort nicht weiter machen. Ich bin für einen Auftrag auf detailliertere Instruktionen angewiesen als die meisten anderen Leute. Ich habe auch Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen. Ich verliere mich relativ rasch in meinem eigenen Denken. Dabei verliere ich oft die Übersicht über Dinge, die im Moment wichtig sind oder für die Umwelt eine andere Bedeutung haben. Ich bin jetzt auch schon wieder über zehn Jahre als angelernte Näherin im Brüggli. Meine Ausraster sind sehr viel seltener geworden, weil ich dort in einem toleranten Klima arbeiten kann. Dem gewünschten Ordnungssinn kann ich nur mit Mühe gerecht werden. Leider bin ich eine unordentliche Person, wie jeder feststellen kann, der mein Zimmer besucht. Dafür bin ich kreativ und sehr lebendig, wie meine Betreuerin beobachtet.

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Vielleicht sind Sie erstaunt, lieber Leser, liebe Leserin, wie ich trotz meines Asperger-Syndroms mitten im Leben stehe. Sie sahen weiter vorne, wie wichtig mir die Arbeitswelt ist. Nun berichte ich, was ich so alles in der Freizeit mache, was mir gelingt und wo ich Schwierigkeiten habe. Ich besuche Kurse, zoologische Gärten, Museen und die verschiedensten Veranstaltungen, surfe im Internet, schreibe Texte auf dem PC, mache Reisen ins Ausland, betreibe Behindertensport und Behindertenpolitik, nehme an den Abstimmungen teil, und wer mich kennt, weiss, dass ich auch eine kulinarische Geniesserin bin. Etwas ist klar: immer wenn klare Strukturen vorhanden sind, ist der Erfolg meiner Aktivitäten eher gewährleistet. Oftmals genügen schon kleine Unsicherheiten oder Andersartigkeiten beim Mitmenschen, um mich zu beunruhigen. Es kommt dann vor, dass ich dieselbe Frage mehrmals stelle. Ich brauche, um mich in andere Leute hineinfühlen zu können, mehr Information als andere. Sonst kann ich mir kein genügendes Bild der Situation meines Gegenübers machen. Bei Gedanken an Schwierigkeiten und Probleme beginne ich laut vor mich hinzuschwatzen und zu schimpfen. Dann scheint der Kontakt zu meinen Mitmenschen wie gebrochen, weil mein Verhalten so ganz andersartig ist und für die Mitmenschen stressig sein kann. Es kommt dann häufig vor, dass ich als sehr arrogant und egoistisch eingestuft werde. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass ich masslos und uferlos den Mitmenschen mit meiner Fragestellung belöchere oder mit viel zu viel Druck versuche, meine Meinung aufzudrängen. Dabei bemerke ich viel zu spät, wann es für den andern genug ist oder wenn ich den anderen verletzt und vor den Kopf gestossen habe. 11


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WOHNGRUPPE BÜRGLEN Im Mai 1995 trat ich in eine Wohngruppe ein. Der Grund für den Eintritt war, dass ich mich aus dem Elternhaus lösen wollte, weil meine Mutter alt geworden ist und ich mich verselbständigen wollte. Ich wurde von ihr schon seit langem immer wieder wegen meinem Übergewicht unter Druck gesetzt und unsere Konflikte häuften sich. Die Umstellung war für mich ein freudiger Schritt. Wieso? Mich freute, dass ich dadurch zu einem Stück mehr Normalität kam. Ich konnte selber Gäste empfangen, konnte so lange im Ausgang bleiben wie ich wollte, ohne dass ich mit meiner Mutter kollidierte. Im ersten Jahr benötigte ich mehr Betreuung als die anderen Bewohner. Ich brauche, um Abläufe zu verstehen und einzuordnen, mehr Erklärung und Schulung. Wie erlebten mich wohl meine Mitbewohner? Eine neue Frau, die ohne Blickkontakt spricht, die viel Selbstgespräche führt, manchmal vor sich hinsingt, immer wieder die gleichen Fragen stellt, die Namen der Mitbewohner immer wieder vergisst, auf der Strasse an einem vorübergeht, ohne zu grüssen. Ich habe bei meinen Mitbewohnern nachgefragt, wie ich auf sie wirke. Die Aussagen von ihnen freuen mich sehr, denn sie sind sehr realistisch und gut beobachtet. Ein Mitbewohner äusserte: «Am Anfang, als ich die Frau kennen lernte, hatte ich Mühe mit ihrer Art. Nach gründlichem Kennenlernen weiss ich nun, wie ich mit ihr umgehen kann und bewundere ihre Vielseitigkeit.» Ein anderer Mitbewohner äusserte: «Ich kann schlecht verstehen, wenn die Frau nur von ihren Sachen redet und wenig auf die andern eingeht.»

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Ein weiterer ehemaliger Mitbewohner erlebte mich folgendermassen: «Die Frau führt oft Selbstgespräche, manchmal sind diese gehässig laut, sie kann sich in etwas verbeissen, über das sie sich ärgert. Auf der Strasse singt sie mehr oder weniger angenehm. Sie hat ein breites Wissen, ein enzyklopädisches Gedächtnis, spürt wenig, wie sie selber oder die anderen sich fühlen.» Die Unsicherheiten und Missverständnisse meiner Mitbewohner, die sich durch mein Verhalten ergaben, habe ich aber längst nicht immer wahrgenommen. Mittlerweile lernte ich immer besser die Besonderheiten und anderen Gepflogenheiten der anderen zu respektieren. Andere Lebensformen kann ich heute viel besser anerkennen, sofern mir diese genügend erklärt werden. Nach fünf Jahren intensiver Schulung erkannten die Betreuerinnen, dass ich in der Lage war, mit einer langjährigen Mitbewohnerin in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ich lernte tolerant mit anderen Leuten zu sein, lernte Vereinbarungen verlässlich einzuhalten, den Haushalt zu pflegen und gut zu kochen. Wenn das nicht gute Voraussetzungen sind, einen neuen Schritt in eine noch grössere Selbständigkeit zu wagen.

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EIGENE WOHNUNG

Das Zusammenleben mit meiner Wohnungspartnerin erlebe ich als positiv und bereichernd. Durch sie und ihre Kontakte wird mir eine Brücke zu anderen Menschen geschlagen. Sie muss mich leider manchmal auf Mängel in meiner Haushaltführung aufmerksam machen. Auf diese Hinweise bin ich immer wieder angewiesen. Sie sind für ein gut gelingendes Zusammenleben notwendig. Das Zusammenleben mit meiner Mitbewohnerin ist nach ähnlichem Muster wie in der Wohngruppe geregelt. Die regelmässigen Besuche in der Wohngruppe bewirken bei mir die Aufrechterhaltung der Kontakte zu ehemaligen Mitbewohnern und den neuen Bewohnern. Mittlerweile wissen diese Leute über meine Eigenarten Bescheid und nehmen mir diese nicht übel. Ich übernehme nun auch sogar öffentliche Verantwortung als Vorstandsmitglied im Mieterverband. Ich vertrete dort die Interessen der Behinderten. Alle anderen Sorgen und Anliegen sind fast gleich geblieben. Mit Hilfe von Verhaltenstraining und Finanztraining kann ich sehr selbständig leben, was mich mit Freude erfüllt. „Mich erfüllt es mit Stolz und Dankbarkeit diese Rückschau hier halten zu können!“ 15


IMPRESSUM Namen und Örtlichkeiten wurden bewusst zensiert. Die abgedruckten Bilder und Gegenstände sind alle von der Autorin gemalt und hergestellt worden.

Herausgeber und Redaktion: Brüggli, Produktion und Dienstleistung Hofstrasse 3-5, 8590 Romanshorn

Layout: Carmen Fischer, Seestrasse 29a, 8594 Güttingen

Quellenverzeichnis: www.autismus.ch Hier finden Sie auch weitere hilfreiche Informationen über Autismus.

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