AUSGABE 09 || Oktober 2007
Brunel GmbH | Airport City | Hermann-Köhl-Str. 1 a | 28199 Bremen
Das Magazin für Technik und Management
Arzu Dreier und der A400M >>
Ingenieurinnen auf der Überholspur Frauen überzeugen in technischen Berufen
Im Windschatten der Formel 1 Die Formular Student begeistert Nachwuchsingenieure
Was wir sehen, wenn wir schauen art Brunel: Künstler des Jahres 2007
LESERSERVICE Ihre Adresse hat sich geändert? Sie interessieren sich für Hintergründe und weitere Informationen zu einzelnen Artikeln des Spezialisten? Oder Sie möchten uns auf ein interessantes Thema für eine der nächsten Ausgaben aufmerksam machen? Dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an: leserforum@der-spezialist.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen! Ihr Redaktionsteam „Der Spezialist“ 6007_10.2007
„UNSERE SPEZIALISTIN“ ARZU DREIER Wie aus einer Vision ein Plan, dann ein Modell und schließlich ein voll funktionsfähiges Flugzeug wird, das fasziniert die Dipl.-Ing. Arzu Dreier. Sie ist als Projektmanagerin bei Airbus und im Testing einzelner Gerätekomponenten der Gesamtmaschine hautnah dabei und erlebt, wie aus kleinsten Einzelteilen im europäischen Verbund der Airbus A400M entsteht. Bei der Projektarbeit im multinationalen Konzern kommt Arzu Dreier zugute, dass sie fünf Sprachen beherrscht. „Das Größte ist es aber, mitzuerleben, wie die Maschine zum ersten Mal tatsächlich abhebt“, sagt die 33-Jährige, die seit 2005 bei Brunel beschäftigt ist. Mehr über Arzu Dreier und ihre Karriere bei Brunel lesen Sie auf den Seiten 28 bis 31 in dieser Ausgabe.
editorial
DER SPEZIAL IST
AUSGABE 09 || Oktober 2007
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, die deutsche Wirtschaft hat viele Herausforderungen zu bewältigen. Klagten Deutschlands Unternehmer vor einiger Zeit noch über die lahmende Konjunktur, sind es mittlerweile die hoch qualifizierten Ingenieure, die in vielen technischen Branchen spürbar fehlen. Dieser Mangel droht vielerorts zum Bremsklotz für das rasante Wirtschaftswachstum zu werden. Erste Auswirkungen zeigen sich auch bei Brunel. Wir konnten unsere Mitarbeiterzahl in den vergangenen zwei Jahren zwar von 1.000 auf 2.000 verdoppeln, haben jedoch seit Monaten kontinuierlich über 1.000 offene Stellen. Zu lange haben wir in Deutschland die Augen verschlossen. Denn woran es eigentlich mangelt, ist – neben dem allgemeinen Interesse am Ingenieurberuf – ein gesunder Anteil an Frauen. Mit lediglich zehn Prozent bildet Deutschland das traurige Schlusslicht im europäischen Vergleich. Aber das Blatt beginnt sich langsam zu wenden. Wo die Ursachen begründet liegen und was für eine positive Trendwende getan werden muss, darüber sprachen wir mit Claudia Rasche, die beim VDI den Schwerpunkt Frauen in der Abteilung Beruf und Gesellschaft betreut. Denn interessanterweise, berichtet Claudia Rasche, sind die Studienabschlüsse der Frauen oftmals viel besser als die der männlichen Kollegen. Also warum noch so zögerlich, frage ich mich! Um die positiven Anreize für die Wahl eines ingenieurwissenschaftlichen Berufes zu verstärken, haben wir einen Anfang gemacht und Ingenieurinnen zu ihrem Standpunkt und ihren Erfahrungen befragt. Es zeigte sich, dass sie ganz verwundert waren über die plötzliche Fokussierung auf sie als Frauen in ihrem Berufsstand. Egal ob Frau oder Mann, so wurde gleich zu Anfang klargestellt, entscheidend ist letztlich die fachliche Kompetenz. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele weitere interessante Einblicke in unsere neunte Ausgabe von „Der Spezialist“, in der diesmal die Frauen das Sagen haben.
Mit herzlichen Grüßen
General Manager Brunel GmbH
der Spezialist
03
kurz notiert
Ingenieurinnen in Europa Der Anteil von Frauen in Ingenieurberufen schwankt in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union zwischen nur 20 Prozent in England und stolzen 55,5 Prozent in Litauen. Deutschland liegt mit mageren 21,8 Prozent auf Platz 17 in der Eurostat-Statistik. INFO In Deutschland gibt es zwar EU-weit mit 1.973.809 Männern und Frauen die in absoluten Zahlen meisten Ingenieure. Der Frauenanteil ist jedoch im Vergleich zu den osteuropäischen Neumitgliedern (Lettland 51,4 %, Litauen 55,5 %) gering. Eurostat erhebt die Zahl der Ingenieure nicht jährlich, die jüngsten Angaben stammen aus dem Jahr 2004. Lesen Sie mehr zu dem Thema auf Seite 6.
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04
der Spezialist
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inhalt
inhalt
Der Spezialist
AUSGABE 09 || Oktober 2007
Seite
06
Im Gespräch:
SIND FRAUEN DIE BESSEREN INGENIEURE?
Claudia Rasche (VDI) wünscht sich mehr Frauen in technischen Berufen Seite
10
Im Fokus:
INGENIEURINNEN AUF DER ÜBERHOLSPUR
Vier Ingenieurinnen zeigen, wie sie in der Praxis ihren Mann stehen Seite
14
history:
EINE FRAU SORGT FÜR DURCHBLICK
Marga Faulstich revolutionierte die Herstellung optischer Gläser
› seite 10 Ingenieurinnen auf der Überholspur. Irene Steinbach bei KMW in München.
Seite
18
technische projekte:
HIGHTECH AUF HOHER SEE
Flüssiggastanker werden durch Rückverflüssigungsanlage wirtschaftlicher Seite
22
Forschung & Wissenschaft:
VOLLE FAHRT VORAUS BEI NULL EMISSION
Brennstoffzellenantrieb wird auch in der Schifffahrt erprobt Seite
26
technische projekte:
ARTUS BITTET ZUR TAFELRUNDE
Optimierte Abläufe in der deutsch-indischen Softwareentwicklung Seite
28
Mitarbeiter und Karriere:
ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Großprojekte fest in Frauenhand: Arzu Dreier und Yukari Hara Seite
32
Aus den Branchen:
IM WINDSCHATTEN DER FORMEL 1
Die Formular Student bietet eine ideale Plattform für Nachwuchsingenieure
› seite 32 Rasante Nachwuchsförderung: Die Formular Student ist ein Gewinn für Unternehmen und Studenten.
Seite
38
querdenken:
AKTIVE LÄRMMINDERUNG DURCH GEGENSCHALL
Zwei neue Verfahren sollen extreme Lärmbelastungen minimieren Seite
42
Panorama:
DAS LERNEN NEU ERLERNEN
Die Scola Nova geht neue Wege und schafft den Frontalunterricht ab Seite
46
Kunst & Brunel:
WAS WIR SEHEN, WENN WIR SCHAUEN
Künstler des Jahres 2007: Susanne Maurer und Marc Taschowsky
Seite Seite
› seite 46 art Brunel: die Künstler des Jahres 2007 Susanne Maurer und Marc Taschowsky.
50 51
Termine impressum
EXTRA: ART-BRUNEL-POSTK ARTEN MIT MOTIVEN DER KÜNSTLER DES JAHRES 2007 (Siehe Umschlagklappe)
der Spezialist
05
IM GESPRÄCH
Sind frauen die besseren Ingenieure? Deutschland hinkt beim Frauenanteil in Ingenieurberufen europaweit deutlich hinterher, dafür gibt es viele Gründe. Claudia Rasche vom VDI setzt sich unter anderem dafür ein, dass das Berufsbild für Frauen attraktiver wird. TEXT › Anja Naumann
Der Spezialist: Frau Rasche, wie hoch ist der
Bereichen interagieren. Auf diesem Gebiet sind
Frauenanteil in Ingenieurberufen?
Frauen häufig stärker als ihre männlichen Mitbewerber.
Dipl.-Ing. Claudia Rasche: Derzeit haben wir 640.000
sozialversicherungspflichtig
beschäf-
tigte Ingenieure, davon sind etwas über zehn
Der Spezialist: Doch was hält Frauen bisher davon ab, verstärkt Ingenieurberufe zu ergreifen?
Prozent Frauen. Im EU-Vergleich hinken wir damit deutlich hinterher. Gemeinsam mit Groß-
Rasche: Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen.
britannien belegen wir die letzten Plätze. Hinge-
Ein Punkt ist mit Sicherheit, dass das Ingenieur-
gen sind Frauen in den osteuropäischen Staaten
wesen noch nicht als attraktiv genug angesehen
wie Litauen, Lettland oder Estland in Ingenieur-
wird. Frauen ergreifen außerdem gerne Berufe, in
berufen stark vertreten. In diesen Ländern war
denen sie gesellschaftlich und ökologisch nützliche
die Arbeitsmarktpolitik der Vergangenheit aus-
Entwicklungen mit gestalten können.
schlaggebend. Es gehörte zum gesellschaftlichen Konsens, dass Frauen in allen beruflichen Bereichen tätig waren.
MÄDCHEN FEHLT DAS RICHTIGE VORBILD, UM EIN INTERESSE FÜR TECHNIK ZU ENTWICKELN
Der Spezialist: Warum können wir mit solchen
Der Spezialist: Aber gerade Ingenieurinnen können
Zahlen nicht zufrieden sein?
doch etwas bewirken!
Rasche: Insbesondere im Zusammenhang mit
Rasche: Richtig, doch wer will es ihnen vorleben?
dem Fachkräftemangel sind solche Zahlen nicht
Wenn wir in die Elternhäuser gucken, gibt es viel
befriedigend. Aktuell können bereits 23.000 Stel-
zu selten entsprechende Vorbilder. Deshalb spielt
len für Ingenieure in Deutschland nicht besetzt
gerade bei Mädchen die technische Früherziehung
werden. Doch auch unabhängig von diesen Zahlen
in der Schule eine besondere Rolle, um das Interesse
benötigen wir mehr Frauen in diesem Berufsfeld.
für technische Fragen in einem frühen Stadium zu
Frauen qualifizieren sich insbesondere durch Soft
wecken. Jungen folgen meist einfach ihrer Technik-
Skills wie Teamfähigkeit, Kreativität sowie Kom-
vorliebe. Hinzu kommt, dass es in der öffentlichen
munikationsfähigkeit für den Ingenieurberuf. Ein
Darstellung kaum positive Vorbilder gibt, die den
Ingenieur sitzt heute nicht mehr nur am Zeichen-
Berufswunsch der Ingenieurin verstärken. Dem
brett, sondern muss zunehmend mit anderen
wollen wir mit dem Girls’ Day der Initiative
06
der Spezialist
PORTRÄT Dipl.-Ing. Claudia Rasche arbeitet derzeit beim VDI. Nach der Ausbildung und Tätigkeit als Werkstoffprüferin absolvierte sie zunächst das Studium der Glastechnik und Keramik an der Universität/Gesamthochschule Duisburg. www.vdi.de/fib
› 01 Der Girls’ Day 2007 brachte einen neuen Rekord: Insgesamt haben 650.000 Mädchen teilgenommen. Unter anderem erklärte ein Mitarbeiter von VW Nutzfahrzeuge den Schülern die Arbeitsabläufe im Fahrzeugbau.
› 01
IM GESPRÄCH
Ingenieurinnen auch in Fach- und Führungspositionen steigen wird. Doch es gibt auch eine Diskrepanz zwischen den Unternehmen, die sagen: Ihr wollt ja nicht, und den Frauen, die sagen: Ihr lasst uns ja nicht. Der Dialog zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat bisher nur unzulänglich stattgefunden. Diese Differenz zwischen Angebot und Vorstellungen untersuchen wir derzeit in einer Studie. Die Vorstudie ergab zum Beispiel, dass 50 Prozent der befragten Absolventinnen Führungspositionen anstreben, aber gleichzeitig auch den Wunsch nach Kindern haben. Fakt ist, dass Teilzeitkarrieren, die flexible Arbeitszeiten und -orte umfassen, in deutschen Unternehmen noch immer selten sind.
› 02
Der Spezialist: Scheitert es also am mangelnden Angebot der Unternehmen? Rasche: Nein, pauschal kann man das nicht sagen.
› 02 Durch das hautnahe Erleben technischer Prozesse, wie hier das Gießen von Aluminiumschmelze in eine Stahlkokille, soll das Interesse an Technik geweckt werden.
„SACHEN MACHEN!“ entgegenwirken, der in
Es hat bereits ein Prozess des Umdenkens statt-
Kooperation mit Schulen, Unternehmen, Hoch-
gefunden, die Karriere von Frauen im Unterneh-
schulen und Forschungszentren das Interesse der
men zu fördern. Es wird aber leider noch nicht
Mädchen für Technik wecken soll. Ermutigt wer-
ausreichend in der Praxis gelebt. Es ist, denke ich,
den sie durch den Kontakt zu Frauen, die bereits in
auch ein gesellschaftliches Problem. Ich wage mal
technischen Berufen arberten und ihnen damit
die kühne Behauptung, dass das Frauenbild der
Vorbilder bieten.
50er Jahre in Westdeutschland mit dazu beigetragen hat, dass Familie plus Beruf heute noch nicht
Der Spezialist: Eine Studie der TU Darmstadt zur
selbstverständlich ist.
Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen in Ingenieurberufen nennt die Barrieren in einer Männerdomäne als Ursache für den niedrigen
WUNSCH UND WIRKLICHKEIT KLAFFEN HEUTE OFTMALS NOCH WEIT AUSEINANDER
Frauenanteil. Senden die Unternehmen die falschen Signale?
Der Spezialist: Wo müssen wir darüber hinaus ansetzen?
Rasche: Der Anteil von Frauen in leitenden Posi-
08
der Spezialist
tionen ist noch zu gering. Familienbedingte
Rasche: Der VDI setzt sich dafür ein, den Austausch
Pausen und die Akzeptanz von Frauen in immer
zu fördern, positive Vorbilder zu schaffen und Vor-
noch männerdominierten Arbeitsbereichen er-
behalte abzubauen. Dafür gibt es unter anderem
schweren die Karrieremöglichkeiten von Frauen.
das Netzwerk „Frauen im Ingenieurberuf“ sowie
Allerdings ist davon auszugehen, dass in den
Verbände wie das Kompetenzzentrum oder den
nächsten Jahren bei weiter wachsendem Fach-
deutschen Ingenieurinnenbund. Auch die tech-
kräftemangel die Akzeptanz von gut ausgebildeten
nische Frühförderung in der Schule ist ein Punkt,
IM GESPRÄCH
den andere Nationen schon deutlich besser
tikum bei Partnerunternehmen, individuelle Be-
umsetzen. Jetzt, da das Thema präsenter denn
treuung sowie zahlreiche Seminare zu fachüber-
je ist, suchen wir verstärkt Kooperationen zwi-
greifenden Themen wie Projektmanagement,
schen Schulen, Hochschulen, Forschungseinrich-
Rhetorik oder Unternehmensplanspielen.
tungen und Unternehmen, um neue Ansätze zu Der Spezialist: Registrieren Sie bereits einen An-
entwickeln.
stieg in der Zahl der Studienanfängerinnen? Der Spezialist: Wo müssen wir darüber hinaus Rasche: Leider muss ich sagen, dass die Zahl der
ansetzen?
Studienanfängerinnen im Bereich der IngenieurRasche: Häufig sind es viele Selbstzweifel. Inte-
wissenschaften momentan noch leicht rückläufig
ressanterweise sind die Studienabschlüsse der
ist. Bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren
Frauen oftmals viel besser als die der männ-
haben wir jedoch einen deutlichen Aufwärtstrend
lichen Kollegen. Dennoch sind manche Frauen
verzeichnet: So hat sich die Zahl der Studienan-
zögerlich, den Ingenieurberuf letztendlich auch
fängerinnen im Maschinenbau und in der Elek-
auszuüben. Ich denke, es ist vielfach der eigene
trotechnik mehr als verdoppelt. Zahlen aus dem
Anspruch der Frauen, 100 Prozent bringen zu
Jahre 2005 sprechen von insgesamt 66.400 Studi-
müssen. Doch ohne Praxiserfahrung ist das als
enanfängerinnen. Hier müssen wir nachhaltiger
Berufseinsteigerin einfach noch nicht leistbar.
wirken und die guten Beispiele in der Zusammen-
Hier greift unser Förderprogramm „VDI ELEVATE“.
arbeit von Schulen, Hochschulen und Unterneh-
Es qualifiziert angehende Ingenieurinnen und
men weiter vorantreiben.
Ingenieure in vielfältiger Weise für den Berufseinstieg. Dazu zählen unter anderem ein Prak-
Der Spezialist: vielen Dank für das Gespräch.
IN WELCHEN BRANCHEN ARBEITEN INGENIEURINNEN IN DEUTSCHLAND? Beschäftigtenstatistik der BA (Bundesagentur für Arbeit), Berechnung des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), Stand 31.12.2006
Energie/Wasserwirtschaft 2,2 % Bau
3,9 %
Verkehr/Nachrichten
1,7 %
Öffentliche Verwaltung Erziehung/Unterricht Verarbeitende Gewerbe Sonstige Fahrzeugbau EDV-Geräte Maschinenbau Metallerzeugung Gummi/Kunststoff Chemische Industrie
Wirtschaftl. Dienstleistungen 40,9 % 2,5 % Grundst./Wohnvers. EDV/Datenbank 3,2 % Forschung/Entwicklung 1,9 % Beratung 1,7 % Architektur/Ing.-Büro 27,0 % Sonstige 4,6 %
12,6 % 2,3 % 28,7 % 3,2 % 6,3 % 9,7 % 4,3 % 2,2 % 0,9 % 2,1 %
Sonstige
7,7 %
der Spezialist
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IM FOKUS
Ingenieurinnen auf der Überholspur Frauen in Ingenieurberufen sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel. Dabei stehen sie in der Praxis genauso ihren Mann wie ihre männlichen Kollegen, wie drei Beispiele junger Ingenieurinnen belegen. TEXT › Marco Heinen
Evelyn Sellin, Leiterin der Brunel-Niederlassung
Frau.“ Zum anderen hat Evelyn Sellin bei Brunel
Hamburg, weiß, wovon sie spricht: Über 38 Pro-
und auch bei den meisten Unternehmen generell
zent ihrer Mitarbeiter sind Frauen, eine überra-
eine große Aufgeschlossenheit hinsichtlich der
schend hohe Quote. Für Evelyn Sellin sind dafür
Beschäftigung von Ingenieurinnen festgestellt.
zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen sei der
„Ich glaube, Männer wurden lange Zeit auto-
Ingenieurberuf in den letzten Jahren für Frauen
matisch als kompetent eingeschätzt, während
interessanter geworden. „Das mag daran liegen,
Frauen ihre Kompetenz trotz Diplom erst bewei-
dass der Ingenieur früher der Inbegriff des Den-
sen mussten. Bei mir in der Niederlassung wird
kers im stillen Kämmerlein war. Das entsprach
die Kompetenz genauso vorausgesetzt und ganz
vielleicht nicht den Neigungen und auch nicht
selbstverständlich als gleichwertig erachtet. Was
den tradierten Rollen- und Berufsbildern der
natürlich auch im Hinblick auf die Bezahlung
› 04 Bei KMW konstruiert Irene Steinbach hoch geschützte Fahrzeuge für den Einsatz in Krisen- und Kriegsgebieten.
gilt.“ Ihre Erfahrungen haben gezeigt, dass Frauen in Ingenieurberufen erfolgreich und anerkannt sind. Das zeige sich auch daran, dass einige ihrer Mitarbeiterinnen sehr schnell leitende Projekttätigkeiten übernommen haben. Die Mitarbeit von Ingenieurinnen werde von den Kunden meist ausdrücklich befürwortet, weil man sich von ihnen auch eine vermittelnde Rolle in den Teams erhoffe, so Sellin.
GERADE BEI DEN SOFT SKILLS HABEN FRAUEN OFT DIE NASE VORN Sie will die den Frauen generell zugeschriebenen Stärken wie Kommunikations- und Teamfähigkeit nicht überbewerten, da natürlich auch Männer solche Eigenschaften mitbringen. Dennoch:
› 03
„Frauen können sich im Rahmen einer Aufgabe erst einmal zurücknehmen, können zusammenführen und vermitteln und legen weniger Wert
10
der Spezialist
› 03 Die Leiterin der BrunelNiederlassung in Hamburg Evelyn Sellin ist stolz auf die Leistung aller ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
› 04
IM FOKUS
auf Statusfragen als manche männliche Kolle-
Menschen zuzugehen, was an der Schnittstelle
gen.“ Gerade in Hinblick auf das Erreichen von
zu verschiedenen Fachabteilungen ein großer
Führungspositionen seien die Anforderungen an
Vorteil ist.“ Im Gespräch mit Freundinnen stößt
Frauen mitunter höher. „Man muss hart arbeiten,
die Brunellerin jedoch auch auf Beispiele man-
sehr hart. Solche Jobs bekommt keiner geschenkt,
gelnder Gleichberechtigung, worüber sie sich
dafür braucht ‚Frau‘ Kompetenz, Stehvermögen
sehr ärgert – zum Beispiel, wenn Frauen schlech-
und Verantwortungsbewusstsein“, so die Erfah-
ter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen
rung der Niederlassungsleiterin.
oder im Bewerbungsgespräch die Frage nach dem Kinderwunsch auftaucht: „Männer werden nicht
VON DER PROJEKTASSISTENZ ZUR PROJEKTLEITUNG
nach ihrem Familienwunsch gefragt, obwohl sie ebenfalls Erziehungszeit in Anspruch nehmen können.“
PORTRÄT Für Sonia CarraminanaMayor stehen nicht nur klassische Ingenieursaufgaben im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit bei HELLA KGaA Hueck & Co, sie übernimmt auch weitreichende Managementfunktionen in ihrer aktuellen Position.
Stehvermögen hat auch die 31-jährige Maschinen-
Dass die Rechnung „Beruf und Familie“ auch
bauingenieurin Sonia Carraminana-Mayor für
unter
erschwerten
Bedingungen
aufgehen
ihre jetzige Position bei der Firma HELLA KGaA
kann, zeigt das Beispiel der Brunel-Mitarbeiterin
Hueck & Co. in Lippstadt bewiesen. Nach ihrem
Andrea Neitzel. Die 28-Jährige arbeitet bei Airbus
Einstieg als Projektassistentin in der Entwicklung
am Standort Hamburg im Traffic-Center, das für
von Fahrzeugleuchten sammelte sie zunächst in
den Bereich der Großbauteile-Logistik verant-
vielen angrenzenden Bereichen Erfahrung. Spä-
wortlich ist. Zu ihrem umfangreichen Aufgaben-
ter folgten neue Aufgaben im Management des
gebiet gehörten unter anderem die Sicherstellung
Entwicklungsprojekts, für das sie inzwischen als
und Optimierung der Transportkette zu Wasser,
Projektleiterin die Verantwortung trägt – mit-
zu Land und in der Luft. Ebenso ist sie mit einem
samt der notwendigen Projekt- und Terminpla-
Team für die Transportthemen auf internationa-
nung, der Qualitäts- und Kostenkontrolle sowie
ler Ebene zuständig.
dem Kontakt zu Kunden und Lieferanten. Dirk Lind, Leiter der Brunel-Niederlassung Mannheim, beschreibt seine Mitarbeiterin als „sehr
ANERKENNUNG ENTSTEHT DURCH EINSATZBEREITSCHAFT UND FACHWISSEN
erfolgreich, weil bei der Maschinenbauingenieurin der ingenieurwissenschaftliche Hintergrund
Neben intensiver Kommunikation mit den betei-
mit betriebswissenschaftlichen Kenntnissen ge-
ligten Abteilungen erfordert der Arbeitsbereich
paart ist. Außerdem hat sie keine Probleme, auf
der Brunel-Mitarbeiterin außer der Regel auch eine permanente Rufbereitschaft für wetterbedingte Einsätze außerhalb normaler Bürozeiten. Da ihr Mann als nautischer Offizier die Hälfte des
› 05 Die Zukunft im KFZ-Frontscheinwerfer: frei adressierbare LED-Arrays. In Verbindung mit vorausschauender Fahrzeugsensorik und intelligenter Ansteuerelektronik können aktive Lichtfunktionen wie Markierungslicht oder blendfreies Fernlicht realisiert werden.
Jahres auf See ist, muss sich Andrea Neitzel auf ihr Netzwerk aus Freunden, Bekannten und die Tagesmutter zur Betreuung ihrer kleinen Tochter verlassen. Neitzel ist sich sicher, dass einige ihrer früheren Bewerbungsgespräche wegen ihres Kindes negativ ausgingen. Bei ihrem jetzigen Arbeit-
› 05
geber wie auch vom Kundenunternehmen Airbus wurde ihr das hingegen nicht nachteilig ausgelegt. „Wenn ein Kind zu betreuen ist, dann muss
12
der Spezialist
› 06 man das organisieren. Das ist in erster Linie meine
sich damals für das Maschinenbaustudium an der
persönliche Angelegenheit“, so ihre Einstellung.
Fachhochschule Ingolstadt entschieden hat: ein
Am Arbeitsplatz von Irene Steinbach dominiert
greifbares Produkt ihrer Arbeit zu erhalten. Seit
schweres Gefährt. Die 25-Jährige konstruiert
Januar 2007 ist sie mittlerweile im KMW-Team.
gepanzerte Rad- und Kettenfahrzeuge beim
Den Respekt der hauptsächlich männlichen Kol-
Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW)
legen musste sie sich zunächst durch fachliche
in München. Die Antwort auf die Frage nach ihrer
Kompetenz erarbeiten. Doch als eine von fünf
Motivation fällt ihr leicht: „Ich schütze Menschen-
Frauen unter fast 90 Männern hat sie schon im
leben mit meiner Arbeit, das treibt mich an.“ In
Studium gelernt, sich durchzusetzen. „Wenn man
der Tat hängt einiges davon ab, wie die CAD-Kon-
erst einmal bewiesen hat, dass man den Männern
strukteurin die verschiedenen Bauteile und tech-
fachlich in nichts nachsteht und seinen Job gut
nischen Komponenten der Fahrzeuge auslegt. „Auf
macht, dann verstummt mancher Kommentar,
die verschiedenen Komponenten wirken enorme
weiß die humorvolle Maschinenbauingenieurin
Kräfte. Im Ernstfall müssen sie auch Sprengun-
aus Erfahrung.
› 06 Zu Lande, zu Wasser und in der Luft – die Logistik von Airbus nutzt alle Wege, um die Einzelteile möglichst effizient von Standort zu Standort zu transportieren. Andrea Neitzel hilft bei der Optimierung dieser Transportketten.
gen überstehen, ohne dass den Streitkräften die Bauteile um die Ohren fliegen“, erläutert Steinbach. Präzise Arbeit und enger Austausch mit den übrigen CAD-Konstrukteuren des Projektes stehen somit an oberster Stelle. „Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich das Projekt von Anfang bis Ende verfolge; von den Fertigungszeichnungen und den Stücklisten bis zum fertigen Prototypen.“ Darin liegt auch ein Grund, warum sie
der Spezialist
13
› 07
HISTORY
Eine Frau sorgt für Durchblick Innovationen entstehen immer dort, wo Enthusiasmus, Fachwissen und visionäre Ideen zusammentreffen. Marga Faulstich hatte diese Qualitäten und entwickelte bei Schott das erste Leichtgewichtsbrillenglas der Welt. TEXT › Daniel Günther
„Sie war durchaus trickreich bei ihrer Arbeit und hatte ihren
Ab 1942 nahm Marga Faulstich ne-
eigenen Kopf, den sie in diesem Job auch brauchte“, erinnert
ben ihrer Arbeit bei Schott ein Che-
sich Prof. Dr. Dieter Krause an seine ehemalige Mitarbeiterin
miestudium an der Universität Jena
Marga Faulstich, die Glaschemikerin und Erfinderin des Leicht-
auf. Aufgrund des Zweiten Weltkrie-
gewichtsbrillenglases. Am 16. Juni 1915 wurde sie im thürin-
ges konnte sie das Studium jedoch
gischen Weimar als eines von drei Kindern geboren. 1922 zog
nicht beenden. Der Krieg brachte
die Familie nach Jena, wo Marga Faulstich das Reformreal-
harte Einschnitte für die junge
gymnasium besuchte und im Juli 1935 eine Ausbildung als
Marga Faulstich. Der wohl größte
wissenschaftliche
physikalisch-chemischen
Schicksalsschlag ihres Lebens war
Labor des Jenaer Glaswerkes Schott & Genossen begann. Das
Hilfskraft
im
der Tod ihres Verlobten, der als Sol-
Unternehmen zählte schon damals zu den führenden Herstel-
dat fiel. Damit zerbrach ihr Traum
lern optischer und technischer Spezialgläser in Europa. In den
von einer eigenen Familie, worauf sie
ersten Jahren arbeitete die junge Frau in einem Team an der
ihre ganze Kraft dem Beruf widmete.
Entwicklung so genannter dünner Schichten auf dem Sektor
„Darum fühlte sie sich auch immer
des optischen Glases. Aktuelle Beschichtungstechnologien,
für die Kinder ihrer Geschwister mit
beispielsweise für entspiegelte Brillengläser und Schau-
verantwortlich“, erzählt die Nichte
fensterscheiben oder Sonnenschutzgläser für die Fassaden-
Dr. Kirsten Henneberg-Quester: „Sie
architektur, gehen auf die damaligen Grundlagenforschungen
war meist sehr beschäftigt, hatte
zurück.
wenig Zeit. Dennoch kam sie oft zu Besuch, verwöhnte uns Kinder gerne
DURCH LEISTUNG UND FACHWISSEN SICHERTE SICH FAULSTICH SCHNELL DEN RESPEKT DER KOLLEGEN
und war immer sehr darauf bedacht, dass alles gut lief.“ Für die selbstbewusste Marga Faulstich war es auch
Innerhalb weniger Jahre stieg Marga Faulstich von der Hilfs-
schon
damals
selbstverständlich,
kraft zur Laborantin und weiter zur wissenschaftlichen Assis-
dass ihre Nichte als Mädchen eine
tentin auf. Dr. Kirsten Henneberg-Quester, eine Nichte Margas
qualifizierte Ausbildung machte und
Faulstichs, erinnert sich an Erzählungen: „Meine Tante war
später auch einem entsprechenden
jung, nicht sehr groß und zudem eine Frau, weshalb sie von den
Beruf nachging. „Sie sagte immer zu
ausschließlich männlichen Wissenschaftlern anfangs etwas
mir: Wenn du einmal etwas angefan-
skeptisch beäugt wurde. Doch sie schuf sich durch ihre Arbeit
gen hast, dann musst du auch dabei-
schnell einen Namen.“
bleiben und es zu Ende führen.“
› 07 Die aggressive Glasschmelze für das Leichtgewichtsglas griff die bisher üblichen Keramiktiegel an. Marga Faulstich löste das Problem mit der Verwendung von Platintiegeln.
der Spezialist
15
HISTORY
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer weite-
Karriere war sie an der Entwicklung
ren Wende im Leben von Marga Faulstich. Nach der Befreiung
von mehr als 300 Typen optischer
durch die Amerikaner wurde Thüringen sowjetische Besat-
Gläser beteiligt. Zudem tragen fast
zungszone. Die Amerikaner wollten jedoch das wissenschaftli-
40 Patente ihren Namen.
che und technische Know-how der Jenaer Glasspezialisten für
Ihr wohl größter Erfolg war die
den Westen sichern. So zogen Marga Faulstich und 40 weitere
Erfindung des Leichtgewichtsbril-
Kollegen zunächst nach Süddeutschland. Diese Ereignisse sind
lenglases SF 64, ein hoch brechendes
als „Zug der 41 Glasmacher“ in die Schott-Geschichte eingegan-
Brillenglas. Die Entwicklung bedeu-
gen. Die damals 30-Jährige erinnerte sich später: „Wir konnten
tete einen enormen Fortschritt für
nur das Nötigste von unserer beweglichen Habe in ein paar Kis-
die Optik. Bis zu diesem Zeitpunkt
ten packen. Das war alles. Eines Morgens stand dann ein Lkw
wurden Brillengläser für Menschen
der US-Armee vor der Tür. Verwandte, Freunde und Nachbarn
mit hohen Dioptrienzahlen nur mit-
verabschiedeten sich unter Tränen, und wir fuhren los. Nie-
tels eines hohen Bleigehaltes her-
mand wusste, was die Zukunft bringen würde.“ Ihre Zukunft
gestellt. Dadurch war das Glas sehr
lag in der Glaschemie bei Schott im Westen Deutschlands.
schwer. Marga Faulstich gelang es durch den Einsatz von Metallen der
BAHNBRECHENDE INNOVATIONEN ENTSTEHEN DURCH DEN MUT, CHANCEN ZU ERGREIFEN
Übergangselemente, unter anderem aus der Gruppe der „Seltenen Erden“, eine neue Rezeptur für ein leichtes
1948 wurde das Schott-Stammwerk in Jena enteignet und 1949
optisches Glas zu entwickeln. „Sel-
die beiden deutschen Staaten gegründet. Für das Unterneh-
tene Erden“ werden die chemischen
men galt es, ein neues Hauptwerk in der Bundesrepublik auf-
Elemente der 3. Nebengruppe des
zubauen. Die Wahl fiel auf Mainz, wo das Werk 1952 eröffnet
Periodensystems und die Lanthano-
wurde. Hier knüpfte Marga Faulstich an die Jenaer Arbeit an.
ide genannt. Der missverständliche
Sie war maßgeblich daran beteiligt, den Bereich Entwicklung
Name geht auf die Entdeckung der
neuer optischer Gläser, insbesondere für Objektive an Mikro-
Stoffe zurück. Sie wurden als Oxide,
skopen und Ferngläsern aufzubauen. Später leitete sie dieses
die früher als „Erden“ bezeichnet
Labor sowie die dazugehörende Tiegelschmelze. Im Laufe ihrer
wurden, aus Mineralien isoliert. Aufgrund der hohen Aggressivität der Glasschmelze konnten die Gläser nicht mehr in den üblichen Keramiktiegeln geschmolzen werden. Es wurde also auch eine technologische Neuentwicklung in der Herstellung erforderlich. Die Lösung bestand in der Verwendung von Tiegeln aus Platin. Mit diesen Entwicklungen erlangte die Glaschemikerin hohe fachliche Anerkennung, weit über
› 08
die Grenzen Deutschlands hinaus. In den USA zählte die Erfindung des Leichtgewichtsbrillenglases zu den
16
der Spezialist
› 08 Durch die Entwicklung von Leichtgewichtsbrillengläsern wurde das Gewicht von Brillen erheblich veringert.
› 09 100 bedeutendsten technischen Neuerungen des Jahres 1973.
unter anderem Persien, als dort noch
Und noch eine weitere Innovation ist eng mit Marga Faulstich
der Schah regierte, und reiste schon
verbunden: Sie wurde die erste weibliche Führungskraft bei
damals nach China und Russland“,
Schott.
erinnert sich Faulstichs Nichte. 1979 trat Marga Faulstich nach 44 Jahren
DIE FORSCHUNG FAULSTICHS HAT DIE UNTERNEHMENSGESCHICHTE VON SCHOTT GEPRÄGT
Tätigkeit bei Schott in den Ruhestand. Mit 82 Jahren verstarb sie am
› 09 Durch ihre erfolgreiche Arbeit als Wissenschaftlerin stellte Marga Faulstich das damalige Rollenverständnis in Frage und leistete Pionierarbeit für Frauen in Führungspositionen.
1. Februar 1998 in Mainz. „Sie kannte das Unternehmen von Beginn an und hat es mit aufgebaut. Das war natürlich ein enormer Vorteil. Mit einem Blick wusste sie, wie Gläser das Licht brechen und wie sie zusammengesetzt sind“, erzählt Dr. Kirsten Henneberg-Quester. „Ich erinnere mich an ein faszinierendes Treffen. Mein Mann führte ihr seine neue Fotokamera vor. Sie nahm die Kamera in die Hand und das Erste, was sie tat, war, über die Linse zu streichen, um die Güte des Glases zu prüfen. Es war ihr scheinbar ein Bedürfnis, das Glas zu fühlen.“ Doch neben der Arbeit hatte Marga Faulstich zwei weitere große Leidenschaften: die Mainzer Fastnacht und das Reisen. Mehrmals im Jahr erkundete sie verschiedene Länder der Erde und war auch auf diesem Gebiet eine Pionierin: „Sie besuchte
der Spezialist
17
technische projekte
Hightech auf hoher See Mit der erfolgreichen Erprobung moderner Gasrückverflüssigungsanlagen unter Realbedingungen hat Atlas Copco einen Meilenstein im Flüssiggastransport gesetzt. Projektingenieure von Brunel unterstützen dieses innovative Projekt weltweit. TEXT › Anja Naumann
Ahmet Talinli steht die Erleichterung ins Gesicht
nahm, hat die wichtigste Prüfung bestanden, den
geschrieben. „Das ist wohl der schönste Moment
so genannten Gas Trial. Die Anlage wird erstmals
eines Inbetriebnehmers, es hat alles geklappt!“
zusammen mit dem gesamten Prozesssystem des
Brunel-Mitarbeiter Talinli ist an seinem Arbeits-
Liquefied Natural Gas (LNG) Tankers – so die offi-
platz, der Daewoo Ship and Marine Engineering
zielle Bezeichnung des Flüssiggastankers – auf
Werft in Südkorea. Seit Tagen fällt ein monsun-
hoher See in Betrieb genommen. Die Anlage läuft
artiger Regen, in Korea ist gerade Regenzeit. Doch
einwandfrei, es hat keine Auffälligkeiten gege-
das stört Talinli nicht, denn die Arbeit der vergan-
ben. Eine besondere Premiere, sowohl für Talinli
genen drei Monate hat sich ausgezahlt. Die erste
als auch für die LNG-Schifffahrt. Der 26-jährige
Gasrückverflüssigungsanlage, die er im Werft-
Maschinenbauingenieur hatte ebenso wie sein
Team auf einem Flüssiggastanker in Betrieb
Brunel-Kollege Hamid Wahabie das Glück, direkt
› 11 Mit Hilfe der Sperrgaspanels werden die Zufuhr und vor allem die Druckstärke des zugeführten Sperrgases kontinuierlich überwacht und geregelt.
nach Abschluss seines Studiums die ersten Berufserfahrungen in Südkorea zu sammeln, auf einer der größten LNG-Werften weltweit. „Ein Inbetriebnehmer muss 70 Prozent seiner Arbeitszeit im Ausland verbringen“, berichtet Ahmet Talinli. „Somit habe ich die einzigartige Chance genutzt, die sich mir durch Brunel bei Atlas Copco bot.“
MIT DER INBETRIEBNAHME BEGINNT EINE NEUE EPOCHE DER LNG-SCHIFFFAHRT Doch auch die Werft-Ingenieure, die über langjährige Erfahrungen verfügen, hat die Inbetriebnahme nicht kalt gelassen. Denn mit dem Einsatz der ersten Rückverflüssigungsanlage beginnt auch eine neue Epoche der LNG-Schifffahrt. Der erste LNG-Tanker, der 1964 seinen Betrieb aufnahm,
› 10
nutzte das ausdampfende Boil-Off-Gas (BOG) der Flüssiggastanks für den Antrieb der Schiffe. Doch mittlerweile ist Gas zu kostbar geworden, um
18
der Spezialist
› 10 Projektmanager Dr. Hendrik Lau (rechts), Maschinenbautechniker Thorsten Schildgen (Mitte) und MCR Engineer Markus Meller überprüfen den Projektfortschritt.
› 11
technische projekte
einen Teil der Ladung während des Überseetrans-
ker aufstocken, verglichen mit 20 Schiffen im Jahr
portes durch Erwärmung einzubüßen. „Pro Stunde
2005. Damit hätte Qatar die größte LNG-Flotte
verdampfen etwa 5.000 Kilogramm Flüssiggas.
weltweit. „Ein Schiff dieser Klasse kostet ungefähr
Ab -163 Grad Celsius siedet Flüssiggas“, erläutert
240 Millionen US-Dollar“, so der Kommentar von
Dr. Hendrik Lau, Leiter des LNG-Bereichs beim
Dr. Hendrik Lau.
Hersteller von Gas- und Prozesskompressoren Atlas Copco in Köln. Insgesamt 31 LNG-Tanker rüstet Atlas Copco mit Rückverflüssigungsanla-
BIS ZUR DURCHFÜHRUNG DES GAS TRIALS DAUERT ES DREI BIS ZWÖLF MONATE
gen aus, um die ausdampfenden Gase erstmals wieder zu verflüssigen und in die Frachttanks
Am heimischen Firmensitz in Köln liegt die Span-
zurückzuleiten. Die neu gebauten LNG-Tanker der
nung noch in der Luft, noch sind keine Ergebnisse
Q-flex-Klasse fassen mittlerweile bis zu 200.000
vom ersten gelungenen Gas Trial ihrer Gasrück-
Kubikmeter Flüssiggas. Bis 2010 wird der jährli-
verflüssigungsanlage durchgedrungen. „Mittler-
che Erdgasverbrauch von 160 Billionen Kubikme-
weile“, so Lau, „haben wir Anlagen für 17 LNG-
ter im Jahr 2005 auf 270 Billionen Kubikmeter
Tanker ausgeliefert. Bis zum Gas Trial dauert es
anwachsen. Da Erdgas in flüssiger Form nur sechs
jedoch – je nach Fertigstellung der Schiffe – zwi-
Hundertstel des Volumens im normalen Aggre-
schen drei und 12 Monaten.“ Hendrik Lau leitet ein
gatzustand einnimmt, ist die Verschiffung in
Team aus acht Mitarbeitern in der Projektabwick-
Flüssiggastankern ab einer Entfernung von 3.000
lung. Darunter ist auch der 29-jährige Maschinen-
Kilometern für die Gaskonzerne wirtschaftlicher
bautechniker Thorsten Schildgen, der seit Anfang
als der Transport über Pipelines. Qatar, das Land
2006 bei Brunel für Atlas Copco als Projektinge-
mit dem weltweit drittgrößten Gasvorkommen
nieur arbeitet. Er begleitet das Projekt vom Erhalt
will seine Flotte daher bis 2010 auf 90 LNG-Tan-
des Auftragsheftes bis zur Inbetriebnahme der Anlage. Von daher kennt er jede einzelne Schraube des Systems. Jeder Vorgang muss genauestens dokumentiert und die Teile über SAP in Stücklisten erfasst werden, „denn auf der Werft sollte später kein einziges Bauteil fehlen. Dort bedeuten Verzögerungen viel Geld“, weiß Schildgen. Nach Prüfung des Auftragsheftes definiert er die technische Auslegung der einzelnen Komponenten und setzt die Konzepte mit einem 3D-CADProgramm in Fertigungszeichnungen um. Die
› 12 Moderne Kompressoren reduzieren den Verlust von Flüssiggas auf ein Minimum und sind wichtiger Bestandteil einer Rückverflüssigungsanlage.
Daten gibt er schließlich an die jeweiligen Abteilungen in der Konstruktion und Montage weiter. „Abstimmung ist das A und O in unserem Job. Denn stellt sich bei der Montage heraus, dass sich in manchen Punkten die Theorie nicht in der Praxis umsetzen lässt, müssen die entsprechenden Daten überarbeitet werden“, erläutert Schildgen. Doch
› 12
die interne Abstimmung ist noch der kleinste Aufwand. Im Schiffbau sitzen viele Beteiligte mit im Boot, die ihre Forderungen anmelden: die Schiffs-
20
der Spezialist
technische projekte
FUNKTIONSWEISE DER RÜCKKÜHLANLAGE Eine Rückverflüssigungseinheit besteht aus zwei Boil-Off-Gasverdichtern (BOGVerdichtern), zwei Compandern und einer Kühlbox. Die Kompressions- und Dekompressionstechnik stammt von Atlas Copco. Der Rückkühlungskreislauf beginnt am BOG-Verdichter, der die ausdampfenden Gase absaugt und auf drei Bar verdichtet. Im verdichteten Zustand wird das Gas in die Kühlbox geleitet, da es sich so besser verflüssigt. Die zur Verflüssigung benötigten -164 Grad Celsius liefert der so genannte Compander, dessen Stickstoffkreislauf die Kühlbox durchläuft. In drei Stufen verdichtet der Compander den Stickstoff auf 60 Bar. In der letzten Stufe bedient man sich des Haarspraydosen-Effekts: In einer Expansionsturbine lässt man den Stickstoff von 60 auf zwölf Bar expandieren, wobei sich das Arbeitsgas schlagartig auf -164 Grad Celsius abkühlt und der Kühlbox zugeführt wird. Der positive Nebeneffekt: Die Turbine wandelt die frei werdende mechanische in elektrische Energie und speist damit den Antriebsmotor. Statt der 6,6 Megawatt (MW) müssen nur noch 5,4 MW aufgebracht werden.
eigner, die Werften, die verschiedenen maritimen
das ungeheure vertikale und horizontale Kräfte
Klassifikationsgesellschaften, die Schiffscharterer
einwirken. Hinzu kommt, dass die 200 Tonnen
und die Zulieferer. „Nicht selten bedarf es dann
schwere Anlage in 34,5 Metern Höhe über dem
eines „Gentlemen’s Agreement“, um für alle Par-
Wasserspiegel installiert wird und somit eine nicht
teien einen annehmbaren Kompromiss zu fin-
zu unterschätzende Hebelwirkung entwickelt.
den“, berichtet Lau, für den solche komplexen
„Die Einheit muss so steif wie möglich, aber den-
Abstimmungsprozesse zum Tagesgeschäft gehö-
noch so flexibel wie nötig sein“, erläutert Projekt-
ren. „Daher müssen wir immer mit kurzfristigen
ingenieur Schildgen. Durch ein bestimmtes Design
Änderungen rechnen und diese flexibel umsetzen.“
des Grundrahmens erreicht die Anlage die nötige Steifigkeit. „Am schönsten ist es für uns, wenn
RÜCKVERFLÜSSIGUNGSANLAGEN UNTERLIEGEN HÖCHSTEN SICHERHEITSAUFLAGEN
die fertige Anlage unten auf dem Hof steht und
Eine weitere Herausforderung besteht darin, die
die Anlagen in ihrem Team auf den verschiedenen
traditionelle Atlas Copco Verdichtungstechnolo-
Werften in Empfang nehmen, sind sie bereits in
gie, mit der Gas verflüssigt wird, maritimen
einem Performance-Prüflauf unter realitätsnahen
Anforderungen anzupassen. Denn das Geschäfts-
Bedingungen in Betrieb genommen worden.
sie den offiziellen Testlauf besteht“, so Schildgen. Denn bevor Ahmet Talinli und Hamid Wahabie
feld LNG besteht erst seit 2005, seitdem über Rückverflüssigungsmethoden nachgedacht wird. Zum Beispiel darf sich die Anlage nicht verziehen oder wackeln, da jede einzelne Anlage einen 5,4-Megawatt-Antriebsstrang besitzt. Ohnehin ist die Einheit, da explosives Gas im Spiel ist, hoch sensibel und muss höchsten Sicherheitsauflagen genügen. Keine leichte Aufgabe an Bord eines Schiffes, auf
der Spezialist
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Forschung & Wissenschaft
Volle Fahrt voraus bei null Emission Brennstoffzellensysteme sind die zurzeit innovativsten Antriebsquellen – nicht nur im Automobilbau. Ab Mitte 2008 wird der emissionslose Brennstoffzellen-Dampfer „Alsterwasser“ seine Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen. TEXT › Klaus-Peter Berg
„Den Auspuff verlässt nur noch völlig harmloser
und Touristikverkehr eingesetzt werden. Vorge-
Wasserdampf – wie beim Teekochen“, skizziert
sehen ist, die „Alsterwasser“ aus einem 17.000
Hamburgs Umweltsenator Axel Gedaschko das
Liter fassenden Wasserstoff-Lagertank nahe der
Projekt Zero Emission Ships – kurz „ZEMSHIPS“ –
Alster zu versorgen, der per Tankwagen mit Flüs-
als „Meilenstein für eine neue, schadstofffreie und
sigwasserstoff beliefert wird. So könnte der lokale
leise Schiffsgeneration.“ Das Brennstoffzellen-
Schiffsbetrieb mit Brennstoffzelle im Jahr bis zu
schiff „Alsterwasser“ soll schon Mitte 2008 seinen
72.500 Kilogramm (kg) Kohlenstoffdioxid, rund
Testbetrieb auf der Alster aufnehmen. Mit Platz
1.000 kg Stickoxide, 220 kg Schwefeloxide sowie
für 100 Personen und einer Leistung von etwa 100
40 kg Partikel einsparen.
Kilowatt (kW) soll das umweltfreundliche Fahrgastschiff zur Personenbeförderung im Hafen-
DIE „ALSTERWASSER“ WIRD VON ZWEI 50-KW-BRENNSTOFFZELLEN ANGETRIEBEN
INFO Neben der Alstertouristik, der Hamburger Hochbahn, HySolutions, der Linde AG, der Proton Motor Fuel Cell GmbH, dem Germanischen Lloyd und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) als wissenschaftliche Begleitung sind auch tschechische Partner wie das Nuclear Research Institute und ETC Consulting an dem Projekt „ZEMSHIPS“ beteiligt.
Als Antriebseinheit werden zwei Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellensysteme mit einer Leistung von je 50 kW konstruiert. Die insgesamt 240 hintereinander geschalteten Zellen mit einer Spannung von jeweils etwa 0,7 Volt versorgen einen Elektromotor mit Strom, der wiederum die Schiffsschraube antreibt. Eine Pufferbatterie speichert die überschüssige Energie zwischen. Während ein moderner Dieselmotor einen Wirkungsgrad von etwa 35 Prozent hat, kann das Verhältnis zwischen zugeführter und nutzbar gemachter Energie bei der Brennstoffzelle mit 50 Prozent beschrieben werden. In den Brennstoffzellen wird eine elektrochemische Reaktion genutzt, die genau umgekehrt zur Elektrolyse verläuft: An der
› 13
Anode wird Wasserstoff, an der Kathode Sauerstoff angelegt. In Folge fließt durch die ElektrolytMembran ein Ionenstrom, als Reaktion entsteht
22
der Spezialist
› 13 Axel Gedaschko ist neben seiner verantwortungsvollen Tätigkeit im Hamburger Senat im Bereich Stadtentwicklung und Umwelt auch engagiertes Mitglied im Beirat des Vereins Naturschutzpark Lüneburger Heide.
› 14 Wasser. Dieser Vorgang wird auch „kalte Verbren-
unter Beweis stellen kann. Auch bedarf es der
nung“ genannt. Der hier fließende Strom wird
Zertifizierung durch den Germanischen Lloyd“,
genutzt, um beispielsweise einen Elektromotor
beschreibt Professor Dr. Wolfgang Winkler von
anzutreiben oder ihn in Batterien zu speichern.
der Hochschule für Angewandte Wissenschaften
„Es sind zwar schon wichtige technische Fra-
(HAW) in Hamburg die anstehenden Herausfor-
gen geklärt, dennoch steht einiges an Arbeit ins
derungen. „Wichtig ist eine maßgeschneiderte
Haus, ehe ZEMSHIPS seine Tauglichkeit auch
Infrastruktur, die auf lokale Ressourcen zurück-
unter
greifen kann“, sagt Winkler. Das heißt, der benö-
wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen
› 14 Vom bekannten Jungfernstieg aus starten heute die Alsterdampfer zur Rundtour und bieten Touristen, zukünftig emissionsfrei, einen einmaligen Eindruck der hanseatischen Metropole.
der Spezialist
23
Forschung & Wissenschaft
tigte Wasserstoff sollte möglichst ortsnah herge-
serstoff-Tankstellen sind noch Zukunftsmusik. In
stellt werden, um Transport- und Lagerprobleme
Deutschland gibt es derzeit nur eine öffentliche in
zu minimieren. Denn Wasserstoff kommt nicht
München und mehrere kommunale Wasserstoff-
als Primärenergie vor, sondern muss künstlich
Tankstellen.
erzeugt werden. Dazu wiederum ist Energie notwendig, die dann bei beschriebener chemischer Reaktion erneut freigesetzt wird. Wenig sinnvoll
CO 2-EINSPARUNG DURCH WASSERSTOFFGEWINNUNG MIT REGENERATIVEN ENERGIEN
ist es allerdings, durch Verbrennung von fossilen Brennstoffen Strom herzustellen, um somit per
Die Punkte Transport und Speicherung sind also
Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen. Diese Ener-
vorrangig zu lösen. Zwei Systeme sind derzeit
giebilanz geht wegen mangelnder Effizienz und
technisch verfügbar: die Speicherung von flüs-
hoher Emissionen nicht auf. Daher ist die Nutzung
sigem Wasserstoff bei tiefen Temperaturen um
regenerativer Energien wie Solar-, Wind- und
-253 Grad Celsius oder von gasförmigem Wasser-
Wasserkraft zur Gewinnung des Wasserstoffs not-
stoff unter hohem Druck mit 350 bar und mehr.
wendig. CO2-Einsparungen lassen sich bei diesen
Geforscht wird auch an anderen Konzepten wie
Projekten nur realisieren, sofern für die benötigte
der Speicherung in Metallhydrid-Speichern oder
Strommenge zusätzlicher Strom aus regenerati-
in so genannten Nanotubes, mikroskopisch klei-
ven Energien eingespeist wird und konventionell
nen röhrenförmigen Gebilden. „Doch in diesen
erzeugten Strom aus dem Energiemix verdrängt.
Bereichen ist noch erhöhter Entwicklungsbedarf
Zusätzlich sind beim Wasserstoff Speicher- und
gegeben“, merkt Professor Winkler an.
Transportprobleme zu bedenken, die sich völlig
Für ihn steht ohnehin das Thema Energie-
anders darstellen als der relativ einfache Trans-
effizienz und eine daran ausgerichtete Zukunfts-
port fossiler Energieträger. Flächendeckende Was-
strategie an erster Stelle. „Nur wirklich effiziente
› 15 Die Grundlage für den mit einer Brennstoffzelle betriebenen Gabelstapler bildet ein seriengefertigter Elektrostapler vom Typ R60 der Firma Still GmbH.
› 15 24
der Spezialist
Forschung & Wissenschaft
Systeme können überleben. Die WasserstoffWirtschaft ist ein Weg, auch wenn es noch Defizite beim Wirkungsgrad gibt, was die aufwendige Herstellung von Wasserstoff betrifft. Wichtig sind eine gedankliche Flexibilität und vor allem eine Strategie, wie Effizienz zu erreichen und zu verbessern ist.“ Für die HAW sei es daher wichtig, das Projekt ZEMSHIPS wissenschaftlich zu begleiten, um gerade diese Fragen mit einzubringen und auch Antworten zu geben, die letztendlich zur industriellen Umsetzung am Standort Ham-
› 16
burg führen. Nicht zu unterschätzen sind auch die sicherheitsrelevanten Vorgaben, die der Germanische Lloyd als Zertifizierungsstelle gestellt hat. Dies betrifft unter anderem den mitgeführten Was-
Schiffsrumpfes, Einbau und Kontrolle der Aggre-
serstoff oder die Haltbarkeit der Brennstoffzellen.
gate, Inbetriebnahme und Dichtigkeitsprüfungen.
„Die Dokumentation für dieses Projekt wird der-
Anschließend die Abnahme und Erprobung auch
zeit erstellt“, so Dr. Gerd-Michael Würsig, Gruppen-
unter schwierigen Bedingungen wie beispiels-
leiter der Prozess- und Brennstoffzellentechnik
weise die Tidestrom-Bewältigung“, erläutert Dr.
beim Germanischen Lloyd in Hamburg. „Wenn
Würsig. Was die Effizienz, den Wirkungsgrad und
diese genehmigt ist, werden die weiteren Schritte
die Energiebilanz des zu entwickelnden Schiffs
eingeleitet: Bau, Kontrolle und Abnahme des
betrifft, wird man die Tests noch abwarten müs-
› 16 Die PM Basic A 50 leistet 50 kW und ist Teil einer flexiblen Produktpalette von Brennstoffzellensystemen für die OEMIntegration in verschiedenen Anwendungen.
sen.
HYBRID-ANTRIEBSSYSTEM DER BRUNEL IMG GMBH
DER GERMANISCHE LLOYD STELLT HOHE ANFORDERUNGEN AN DIE SICHERHEIT
Derzeit wird überlegt, die Energieeffizienz des Brennstoffzellenschiffs durch zusätzliche, parallel geschaltete Batterien zu erhöhen. Nach dem Vorbild des Hybridantriebs schaltet sich das elektrische Aggregat ein, wenn die benötigte Energie beim Anfahren und Beschleunigen überdurchschnittlich hoch ist. Während der Fahrt lädt sich die Batterie wieder auf. Somit können die Brennstoffzellenaggregate kleiner konzipiert werden.
Inzwischen fördert auch die EU das Projekt ZEM-
Die Vorteile des Hybridantriebs nutzt die Nordhäuser Straßenbahn bereits seit einigen Jahren – mit einem diesel-elektrischen Aggregat der Brunel IMG GmbH. Der diesel-elektrische Betrieb mit einer Leistung von 160 kW ermöglichte erstmals, das Straßenbahnnetz mit dem Schienennetz der Harzer Schmalspurbahn zu verbinden. Auch für Schiffe ist diese Antriebslösung anwendbar.
Verkehr deutlich zu reduzieren, energieautark und
SHIPS mit 2,4 Millionen Euro, dessen Gesamtkosten sich auf rund fünf Millionen Euro belaufen. Denn im 2005 verabschiedeten „WasserstoffManifest“ fordert das EU-Parlament eine „grüne Wasserstoff-Wirtschaft“ in kürzester Zeit. Ziel ist, in Europa die Energiepreise für Strom, Wärme und damit unabhängig von Lieferanten fossiler Rohstoffe zu werden. Ein vorrangiges Ziel ist es, den Schadstoffausstoß in Städten spürbar zu senken. Und Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb gelten als „zero emission vehicles“.
der Spezialist
25
technische projekte
Artus bittet zur Tafelrunde Die Entwicklung von komplexer Motorsteuerungssoftware erfolgt heute in internationalen Teams. Dies stellt besondere Anforderungen ans Projektmanagement. Der BrunelSpezialist Oliver Paland unterstützt Bosch seit zwei Jahren bei der Optimierung der Zusammenarbeit zwischen indischen und deutschen Fachkräften. TEXT › Jürgen Warmbold
Oliver Paland ist auf internationalem Parkett zu
verständlich bleiben. Ähnlich wie bei den Grund-
Hause. Der Brunel-Spezialist ist seit 2005 im Pro-
rissen eines Gebäudes werden so die Strukturen
jekteinsatz bei der Robert Bosch GmbH. Deutsche
der Programme festgeschrieben. Zum Managen
und indische IT-Spezialisten entwickeln im Rah-
dieser Architektur nutzt Bosch das ARTUS-Tool,
men des ARTUS-Projekts (Architecture Unified
ein Programm zur Softwareentwicklung. Das Sys-
Solution) ein Softwaretool für die Optimierung
tem stellt die Architektur einer Software grafisch
der Motorsteuerungssoftware.
dar und überprüft sie auf logische Fehler.
Den Anstoß zur Entwicklung solcher Motor-
Als Oliver Paland vor zwei Jahren zu Bosch
steuerungen für Automobile gaben unter ande-
kam, galt es, die internationale Zusammenarbeit
rem strenge Umweltschutzvorgaben. Beispiels-
zwischen Indien und Deutschland zu optimie-
weise steuern Computer heute bei Motoren den
ren. Dafür mussten im ersten Schritt Qualitäts-
Ausstoß von Stickoxiden. Mithilfe von Sensoren
prozesse etabliert werden. Diese bildeten die
messen sie unter anderem die Motordrehzahl und
gemeinsame Basis für neu strukturierte Arbeits-
die Lufttemperatur. Auf Basis dieser Werte wird
prozesse. Paland über die Herangehensweise:
die Kraftstoffmenge in den betreffenden Zylin-
„Solch ein Projekt kann nur dann erfolgreich sein,
der eingespritzt, um eine optimale Verbrennung
wenn beide Seiten flexibel aufeinander zugehen
› 18 Die Value-Motronic von Bosch ist eine kostengünstige Steuergeräte-Plattform für Benzin-Einspritzsysteme. Ihre Software lässt sich besonders leicht an unterschiedliche Motorenkonzepte anpassen.
› 17 Indien ist ein Land der Gegensätze: Die 1,1 Milliarden Menschen leben in einer Welt voller Traditionen und Bräuche, trotzdem arbeiten nicht wenige als hochqualifizierte Fachkräfte im IT-Sektor.
sicherzustellen.
KLARE AUFGABENTEILUNG FÜR INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT Da die Motorsteuerungssoftware individuell an jedes Fahrzeugmodell angepasst wird, entsteht eine große Variantenvielfalt. An diesen Entwicklungen arbeiten weltweit über 1.000 Mitarbeiter, weshalb Bosch eine auf die Automobilindustrie zugeschnittene Softwarearchitektur einsetzt. Notwendig wird diese besondere Softwarearchitektur bei hoch komplexen Programmen oder Softwareeinheiten, um deren Aufbau grafisch zu dokumentieren, damit sie für Entwickler und Nutzer
26
der Spezialist
› 17
› 18 und ihre Kulturen und Verhaltensmuster gegen-
insbesondere für den asiatischen Raum, denn in
seitig akzeptieren. Reibungslose Kommunikation
der indischen Kultur gelten Rückfragen und Kri-
und ein zuverlässiges Qualitätsmanagement sind
tik als äußerst unhöflich.“ Hier setzte Paland an
daher unabdingbar.“
und ermutigte die indischen Mitarbeiter, zu fragen und zu kritisieren. Zudem hob er bewusst
DEUTSCHLAND PLANT, INDIEN SETZT UM
seine eigene Fehlbarkeit hervor und reagierte positiv auf Kritik. Als gemeinsames Ziel definierte
Dies gilt ebenso für die Aufgabenverteilung inner-
er hohe Qualitätsstandards. Mittlerweile funktio-
halb des ARTUS-Projektes: „Heute entstehen in
niert der offene Austausch gut. Selbst Kritik wird
Deutschland die Anforderungen, die Architektur
inzwischen als Teil konstruktiver Zusammenar-
und das Design der Softwaretools, in Indien wer-
beit aufgenommen.
den sie umgesetzt“, erläutert Christof Hammel,
Durch technische Fortschritte ändern sich die
Chefarchitekt der Motorsteuerungsentwicklung
Arbeitsprozesse im Projekt kontinuierlich und
bei Bosch. Die Stärken der indischen Teammit-
die Strukturen der Softwarearchitektur müssen
glieder liegen im Programmieren, die Deutschen
angeglichen werden. Zudem haben die Entwick-
haben ihre Schwerpunkte in der Zeitplanung,
ler ihr Ziel in Bezug auf die angestrebten Funkti-
dem Risiko- und Qualitätsmanagement. Für eine
onalitäten noch nicht erreicht. Somit warten auf
reibungslose Kommunikation ist der Entwick-
den Frühaufsteher Oliver Paland im ARTUS-Pro-
lungsprozess des ARTUS-Projektes zudem durch-
jekt auch zukünftig jede Menge neuer Heraus-
gängig genormt.
forderungen. „Das frühe Aufstehen habe ich mir
„Zu den wesentlichen Voraussetzungen für
angewöhnt, um der Zeitverschiebung zwischen
das Gelingen internationaler Projekte zählt wech-
Deutschland und Indien von viereinhalb Stunden
selseitiges Vertrauen“, betont Paland. „Das gilt
gerecht zu werden.“
PORTRÄT Oliver Paland arbeitet seit Juli 2005 für Brunel. Er hat in Aachen und an der Fernuniversität Hagen Informatik studiert. In seiner beruflichen Laufbahn war Paland für verschiedene Unternehmen in den Bereichen Softwareentwicklung, Qualitätsmanagement und Projektleitung tätig.
der Spezialist
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MITARBEITER UND KARRIERE
Zwischen Himmel und Erde Internationale und hoch komplexe Projekte gehören im heutigen Geschäftsleben zum Alltag. Die Spezialistinnen Arzu Dreier und Yukari Hara unterstützen Unternehmen aus der Luftfahrtund Automobilbranche bei der professionellen Abwicklung von Großprojekten.
TEXT › Janina Weinhold
Schon in der Schule waren Mathematik und Phy-
schen Kingston, an der Queen’s University, schrieb
sik Arzu Dreiers Lieblingsfächer. „Mir macht es
sie schließlich ihre Diplomarbeit über die Bere-
Spaß, nach Formeln zur Lösung von Problemen
chenbarkeit des Mäanderverhaltens von Flüssen.
zu suchen. Das hat mich schon immer fasziniert“,
„Mein kanadischer Professor riet mir daraufhin,
erzählt sie. Statt als Pilotin abzuheben, entschied
zu promovieren“, erinnert sich Dreier, die seinem
sich die junge Frau für die technische Seite des
Rat folgte. Während der Promotionsphase im
Menschheitstraums vom Fliegen in der Luft-
Jahr 2005 erfuhr sie von der Möglichkeit, als Bru-
und Raumfahrt. Sie begann eine Ausbildung zur
nel-Mitarbeiterin im Testprogramm A400M bei
technischen Zeichnerin mit den Schwerpunkten
Airbus zu arbeiten. Da sie der Bereich Luft- und
Maschinenbau und Elektrotechnik bei Airbus in
Raumfahrt noch immer reizte, bewarb sie sich
Hamburg. Da Dreier Herausforderungen schätzt,
und tauschte im November 2005 die Bücher gegen
holte sie zusätzlich zur 40-Stunden-Woche in
die Praxis.
drei Jahren das Abitur an der Abendschule nach.
„In meiner jetzigen Position im Projektmanage-
„Mein Abitur eröffnete mir die Chance, zu studie-
ment konstruiere ich nicht mehr selbst“, erläutert
ren“, erzählt die heute 32-Jährige.
Arzu Dreier. Seit Sommer 2006 ist die Brunel-Mit-
PORTRÄT Yukari Hara beendete 1986 ihr Studium der Geochemie an der Universität Kobe. Nach Stationen bei Mitsubishi Heavy Industries und der deutschen Tochterfirma von Mitsubishi, RSEA in Alsdorf, ist sie als Brunel-Mitarbeiterin seit 2006 für Siemens VDO in Lindau tätig.
arbeiterin bei Airbus in Hamburg in der Cabin-&-
VOM BAUINGENIEURWESEN IN DIE LUFT- UND RAUMFAHRTTECHNIK
Cargo-Testabteilung nun als Verifikations- und Validationsmanagerin tätig. Hier betreut sie die
Sie entschied sich aufgrund der damals schlechten Arbeitsmarktlage im Bereich Luft- und Raumfahrttechnik für eine verwandte Disziplin, das
› 19 Als Verifikations- und Validationsmanagerin überprüft Arzu Dreier die strikten Konstruktionsvorgaben und hilft so, die Sicherheit der Flugzeuge weiter zu erhöhen.
Bauingenieurwesen. „An der Technischen Universität Hamburg bot mir dieses Studienfach mit den Vertiefungen Strömungsmechanik und Hydraulik interessante Parallelen zum Luftfahrtbereich. Die Gesetze der Hydraulik gelten ja sowohl im Wasser als auch in der Luft“, so Dreier. Für ein übergreifendes Verständnis ihrer Tätigkeit absolvierte sie zusätzlich zwei Semester Wirtschaftsingenieurwesen an der Fernuniversität Hagen. Im kanadi-
28
der Spezialist
› 19
MITARBEITER UND KARRIERE
Flugzeugprogramme
Entwicklung
„Ich bin sehr viel unterwegs, auch bei den Zulie-
eines neuen Frachtflugzeugs, und NSR, ein Kurz-
A330F, die
ferern vor Ort. Spontanität und Flexibilität sind
strecken-Passagierflugzeug. Als
Projektleiterin
ständig gefragt.“ Das Testing für die Programme
überwacht sie die Entwicklung und Installation
A330F und NSR möchte sie in den nächsten Jahren
der gesamten Kabinensysteme. Sie ist die zen-
zum Abschluss bringen.
trale Schnittstelle zwischen den Ingenieuren bei
PORTRÄT Die Brunel-Mitarbeiterin Arzu Dreier arbeitet seit 2005 in der Cabin-&Cargo-Testabteilung von Airbus. Nach ihrer Ausbildung zur technischen Zeichnerin bei Airbus folgte 1997 ein Studium des Bauingenieurwesens an der TU HamburgHarburg. Ihre Diplomarbeit schrieb sie 2004 an der kanadischen Queen’s University.
Airbus, den Zulieferern und den Programmvorgaben. Beispielsweise kümmert sie sich mit um die Beauftragung der Zulieferer, damit Teile wie das
INTERKULTURELLE KOMPETENZ ALS ERFOLGSFAKTOR FÜR INTERNATIONALE PROJEKTE
Frachtladetor im Rahmen des Zeitplans entwickelt werden. Der Beitrag aller Beteiligten an den Test-
Ebenso wie Arzu Dreier kümmert sich auch die Bru-
phasen muss stimmen. Zum Beispiel beim „Cabin
nel-Mitarbeiterin Yukari Hara um die reibungslo-
Zero“: einem Labortest, bei dem die Integrations-
sen Prozessabläufe in ihrem Projekt. Während
fähigkeit der einzelnen Flugzeugsysteme über-
Dreier jedoch die Sicherheit in der Luft verantwor-
prüft wird. Sämtliche Vorgänge im Blick zu haben
tet, dreht sich Yukari Haras Aufgabenfeld um die
und bei Engpässen rechtzeitig einzugreifen, ist
Sicherheit auf den Straßen. Seit November 2004
eine große Herausforderung. Jeder im Team muss
entwickelt Siemens VDO den „Blind Spot Detector“
an seinem Standpunkt abgeholt und für das Pro-
für einen japanischen Automobilhersteller. Der
jekt als Ganzes gewonnen werden, ganz gleich, ob
Sicherheitsaspekt der Fahrerassistenzsysteme, der
es sich um Ingenieure, Mechaniker oder Mana-
bisher nur im gehobenen Kraftfahrzeugsegment
ger handelt. Prioritäten setzen ist in einer sol-
eine Rolle spielte, wird jetzt zunehmend auch in
chen Position zentral. „Genau diese Abwechslung
Mittel- und Kompaktklassechargen nachgefragt.
macht den Reiz meiner Aufgabe aus“, so Dreier.
Um die interkulturellen Geschäftsbeziehungen
› 20 Gerade im Bereich Cabin & Cargo sind innovative Design- und Produktionskonzepte gefragt, damit die Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben. Arzu Dreier überwacht die Zuverlässigkeit dieser Konzepte.
› 20 30
der Spezialist
MITARBEITER UND KARRIERE
zum japanischen Kunden zu optimieren, arbeitet die gebürtige Japanerin derzeit als Assistentin im Projektmanagement von Siemens VDO. In der Vergangenheit zeigte sich häufig, dass sich die Umsetzung des Projekts durch Missverständnisse nicht so effizient wie geplant gestalten ließ. „Im Hinblick auf die besondere japanischen Art, Vorgaben und Wünsche zu artikulieren, haben wir Frau Hara in unser Team integriert. Sie beherrscht die Landessprache und die Umgangsformen. Um Verzögerungen zu vermeiden, führt
› 21
sie die Gespräche und Abstimmungen mit dem Kunden“, erläutert der Manager für Advanced Driver Assistance Systems Thomas Stierle. Hara, die schon langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen
erhielt sie die Chance, für ein japanisches Unter-
hat, nennt die unterschiedliche Geschäftsmenta-
nehmen in Deutschland zu arbeiten. Die studierte
lität und eine andere Abfolge der Arbeitsschritte
Geochemikerin, die heute in der Automotive-Bran-
als zentrale Herausforderung ihrer Arbeit. Die
che ihren Platz gefunden hat und sich eher mit
Unterschiede schlagen sich beispielsweise in der
technisch-physikalischen Fragen auseinander-
Art der Anfragen nieder: „Japaner denken eher an
setzt, weiß um noch einen Unterschied: „In Japan
das Gesamtprodukt und verbleiben für deutsche
verläuft der Einstieg in den Beruf weniger statisch.
Verhältnisse relativ unspezifisch. Meine Aufgabe
Ausschlaggebend ist mehr die Studienrichtung
ist es, die Anfrage herunterzubrechen und in kon-
als der Titel.“ Dafür hat die bürokratische Seite
krete Anforderungen für die unterschiedlichen
der deutschen Geschäftswelt auch seine Vorteile:
Abteilungen bei Siemens VDO zu übersetzen“,
„In Deutschland ist eine Krankschreibung üblich.
erklärt Yukari Hara. Die kulturellen Unterschiede
In Japan werden bei Krankheit Urlaubstage fäl-
zeigen sich insbesondere in der Art, wie Wünsche
lig und somit ist mehr als eine Woche Urlaub am
artikuliert werden. Denn in Japan, so Hara, sind
Stück undenkbar“, schmunzelt Hara.
› 21 Durch die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen mit Radarsensoren und Infrarotkameras können heute Gefahren im Straßenverkehr aktiv vermieden werden.
die gesellschaftlichen Beziehungen durch das Streben nach Harmonie geprägt. Individuelles Auftreten wird eher missbilligt. „Ich muss demzufolge zwischen den Zeilen lesen, da Probleme selten direkt ausgesprochen werden“, fügt Hara hinzu.
DEUTSCHE TUGENDEN TREFFEN AUF FERNÖSTLICHE MENTALITÄT Dass Yukari Hara heute in Deutschland arbeitet, ergab sich durch ihre Entscheidung für Deutsch als zweite Fremdsprache während des Studiums an der Universität Kobe. Über diese Qualifikation
der Spezialist
31
› 22
AUS DEN BRANCHEN
Im Windschatten der Formel 1 Bei der Formula Student Germany geht es nicht allein um Geschwindigkeit. Erfolgreich ist nur das Team mit dem besten Gesamtkonzept aus Konstruktion, Rennperformance, Finanzplanung und Verkaufsargumenten. TEXT › Jan Meyer-Veden
„Internationale Wettbewerbe, bei denen Studen-
den Niederlanden und Dänemark. Sieger ist, wer
ten mit selbstgebauten Rennautos gegeneinander
nach Durchlauf aller Disziplinen, unterteilt in
antreten, gibt es schon seit den Achtzigerjahren“,
„statische“ Disziplinen wie Design, Kostenplan
erzählt Dr.-Ing. Ludwig Vollrath, Geschäftsführer
oder Präsentation und „dynamische“ Disziplinen
der VDI-Gesellschaft für Fahrzeug- und Verkehrs-
wie Beschleunigung, Autocross oder Langstrecke,
technik und einer der Gründerväter der Formula
die meisten Punkten sammeln konnte. Aktueller
Student Germany (FSG). Seit 2006 tragen die ange-
Champion der Formula Student Germany ist das
henden Ingenieure nun auch in Deutschland das
Rennteam der Uni Stuttgart, das sich im diesjäh-
Rennen um den gelungensten Eigenbauboliden
rigen Event gegen den Vorjahressieger, das TUG-
aus. Dabei geht es indes nicht allein um Schnellig-
Racing Team von der Technischen Universität
keit und Fahrkünste – entscheidend ist die Bewäl-
Graz, durchsetzen konnte. Zum ersten Mal in der
› 22 Gesamtfahrzeugleiter Sebastian Seewaldt vom Stuttgarter Rennteam schiebt Fahrer Michael Kissling im Rennboliden zum Start des Abschlussrennens.
tigung eines Gesamtpakets technischer, aber auch betriebswirtschaftlicher Anforderungen. Anhand eines Lastenheftes, für das der VDI als fiktiver Auftraggeber verantwortlich ist, sollen die Studenten
› 23 Bei der FSG treffen Unternehmen auf hoch qualifizierte Nachwuchsingenieure, wie die des Teams „Einstein Motorsport“ aus Ulm.
den Prototypen eines Amateur-Rennautos bauen, und darüber hinaus ein Konzept entwerfen, wie ihr Produkt in einer Auflage von 1.000 Stück jährlich zu finanzieren und auf dem Markt in eine günstige Startposition zu bringen ist.
STUDENTISCHE RENNTEAMS AUS 13 NATIONEN MESSEN SICH BEI DER FSG 2007 Der Wettbewerb wird auf dem Gelände des Hockenheimrings ausgetragen. Vier Tage lang messen sich hier studentische Teams aus aller Welt. Über 1.000 Studenten in 54 Teams aus 13 Ländern kamen, um ihre Eigenkonstruktionen zu präsentieren, darunter Teams aus den USA,
› 23
Indien, Russland, Frankreich, Finnland, Schweden,
der Spezialist
33
AUS DEN BRANCHEN
Geschichte der Formula Student hat ein deutsches
Teamwork, Zeit- und Projektmanagement sowie
Team gewonnen.
Konstruktion, Fertigung und wirtschaftlichen
Betrachtet man die Entwicklung seit der Pre-
Aspekten zu sammeln“, verdeutlicht General
miere im Jahr 2006, hat die Formula Student Ger-
Manager Carsten Siebeneich das Sponsoring-
many einen Traumstart hingelegt: „Die Nachfrage
Engagement der Brunel GmbH. Die Suche nach
für 2007 war so groß, dass wir die Anzahl der Start-
geeigneten Geldgebern unterliegt eigenen Gesetz-
plätze von 40 auf 60 erhöhen mussten“, berichtet
mäßigkeiten, wie Michael Kissling, Pilot und
Vollrath stolz. Mit diesen Zahlen ist die FSG dem
organisatorischer Leiter des Rennteams Uni Stutt-
größten und traditionsreichsten Formula-Stu-
gart, aus Erfahrung weiß: „Der Formula Student
dent-Wettbewerb auf europäischem Boden, der
fehlt natürlich die ganz große Öffentlichkeit, wie
FS England, mit 86 Teams dicht auf den Fersen.
sie beispielsweise die Formel 1 zu bieten hat.“ Am ehesten, so Kissling, ließen sich Unternehmen mit
DIE RENNTEAMS VON HEUTE SIND DIE NACHWUCHSKRÄFTE VON MORGEN
der Aussicht auf Kontakte zu hoch qualifizierten und vor allem hoch motivierten Nachwuchskräften überzeugen.
Das hat auch die Aufmerksamkeit der großen
Ist der Kontakt zur Industrie erst vorhanden,
motorsportaffinen Unternehmen geweckt, die
kann es manchmal schnell gehen. Dass Unter-
hier Nachwuchskräfte von morgen genauer unter
nehmen Fachkräfte aus den Reihen der motor-
die Lupe nehmen. „Um den steigenden Anforde-
sportbegeisterten
rungen im Berufsleben gewachsen zu sein, wird
rieren, ist längst gängige Praxis. Viele FS-Kons-
es für angehende Ingenieure immer wichtiger,
trukteure der ersten Stunde sind in hoch dotier-
frühzeitig praktische Erfahrungen hinsichtlich
ten Positionen untergekommen und sitzen nun
Ingenieurstudenten
akqui-
› 24 34
der Spezialist
› 24 Sicherheit wird groß geschrieben bei der FSG: Bevor die Rennwagen auf die Strecke dürfen, überprüfen Streckenmarshals eingehend alle sicherheitsrelevanten Details am Boliden des jeweiligen Rennteams.
› 25 als Abgesandte ihrer Unternehmen in der Wett-
nehmen lassen, einmal einen FS-Boliden Probe zu
bewerbsjury.
fahren.
„Schade, dass es so etwas zu meiner Studienzeit
Als Ingenieur der Fahrzeugtechnik kann Voll-
nicht gegeben hat“, bedauert Vollrath. „Wir hatten
rath ermessen, wie viel Arbeit in den Vehikeln
nur die Akaflieg-Projekte (Akademische Flieger-
steckt. „Das ist ein Fulltime-Job“, sagt er. Und in der
gruppen, Anm. d. Red.), wo man monatelang an
Tat: Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Der
einer Tragfläche herumgeschraubt hat, um dann
einsitzige Rennwagen darf jeweils nur für ein
einmal mitfliegen zu dürfen.“ Folglich hat der be-
FSG-Event angemeldet werden, ja selbst die Wie-
kennende Motorsportfreund es sich auch nicht
derverwendung von Einzelteilen ist nicht erlaubt.
› 25 Mit nur 84 PS beschleunigen die Rennwagen von 0 auf 100 km/h in weniger als vier Sekunden. Auf der engen und kurvenreichen Strecke zählt vor allem das Beschleunigungsvermögen, Höchstgeschwindigkeit ist eher nebensächlich.
der Spezialist
35
AUS DEN BRANCHEN
› 26 › 26 Neben den statischen Disziplinen müssen die Rennwagen auch in den dynamischen Disziplinen Acceleration, Skid Pad, Autocross, Endurance und im Benzinverbrauchstest punkten.
So beginnt die Planung für das Nachfolgemodell,
eingespart werden. Wie in der Formel 1 gehört
sobald der Motor kalt geworden ist. Nicht zuletzt
eine möglichst leichte Bauweise zu den großen
müssen auch die neuen Teammitglieder eingear-
Herausforderungen für die Konstrukteure. Zu
beitet werden.
leicht darf der Wagen allerdings auch nicht sein, damit die Reifen die Motorleistung noch „optimal
KLEINE UNTERSCHIEDE ZUR GROSSEN SCHWESTER FORMEL 1
auf den Asphalt übertragen“, so Kissling. Apropos Reifen: Auch hier kämpft die Formula Student mit den gleichen Problemen wie ihre
36
der Spezialist
Nach eingehender Analyse aller Schwächen und
große Schwester. Zwar stellen die drei FS-Haupt-
Stärken des aktuellen Boliden wird zunächst fest-
lieferanten spezielle Formula-Student-Serien her,
gelegt, welchen Radstand und welche Spurbreite
doch kommt der Wahl des richtigen Materialmixes
das neue Fahrzeug bekommen soll. Viele der
erhöhte Bedeutung zu: Im Gegensatz zur Formel
späteren Grundeigenschaften wie Kurvenstabi-
1 gibt es nämlich bei der Formula Student keine
lität oder Gewicht hängen von dieser Entscheidung
Boxenstops, kein Taktieren auf mögliche Ände-
ab. Im Falle des F 0711-2B, mit dem das Team der
rungen der Witterungsverhältnisse. Reifen dürfen
Uni Stuttgart im August angetreten ist, entschied
nur im Schadensfall und dann nur gegen bauglei-
man sich für eine Verkürzung des Radstandes
che Modelle ausgetauscht werden. Hinzu kommt
von 1.720 mm auf 1.700 mm. Dadurch soll Gewicht
die Frage „10 Zoll oder 13 Zoll?“ Da ein Aufwärmen
AUS DEN BRANCHEN
der Reifen vor dem Rennen in der Formula Student nicht erlaubt ist, setzen manche Teams auf Reifen mit geringerem Durchmesser, die naturgemäß häufiger drehen und damit schneller auf die optimale Betriebstemperatur kommen. Allgemein wird jedoch die 13-Zoll-Variante bevorzugt, da sie einfacher zu verbauen ist. „Außerdem setzen auch die Hersteller hauptsächlich auf 13-Zoll-Reifen
› 28
und so hat man einfach eine größere Auswahl zur Verfügung“, ergänzt Michael Kissling. Nicht weniger knifflig ist die Entscheidung für den richtigen Motor. Ähnlich wie die Reifen ist der ein Fertigbauteil und hierin besteht die Heraus-
kam die wenig beruhigende Aussicht, ohne einen
forderung: Die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen,
Ersatzmotor ins Rennen zu gehen. So beschlossen
zu optimieren und auf etwaige Fehler und Schä-
die Stuttgarter, den Sponsor zu wechseln, einen
den zu reagieren, ist bei Fertigmodulen gering, die
neuen Motor einzubauen und die restliche Kon-
Abhängigkeit vom Sponsor umso größer. Im Zwei-
struktion kurzerhand anzupassen. „Innerhalb von
felsfall muss ein komplett neues Bauteil her. Die
nur vier Wochen haben wir eigentlich ein halbes
Stuttgarter haben diese Erfahrung zwei Monate
neues Auto gebaut“, berichtet Kissling.
› 28 Die Leidenschaft für die innovativen Rennboliden hat nicht nur die studentischen Teams erfasst: Auch die Zuschauer fiebern mit.
vor dem Rennen machen müssen: Plötzliche Lieferengpässe auf Seiten des Motorensponsors sorgten für eine Schrecksekunde. Die Versorgung mit
DAS RICHTIGE GESAMTKONZEPT ENTSCHEIDET ÜBER DEN SIEG
Ersatzteilen war nicht mehr gewährleistet. Dazu Das gute Abschneiden des Rennteams aus Stuttgart in allen dynamischen Disziplinen, der Sieg im 22 Kilometer langen Endurance-Rennen, einer Disziplin mit besonders hohen Ansprüchen an den Motor, und nicht zuletzt der erste Platz in der Gesamtwertung zeigen, dass sich die Plackerei gelohnt hat. Damit kann sich der „alte Hase“ Kissling in
› 27 Die Fahrer Michael Kissling (rechts) und Tobias Christmann vom Gewinnerteam der Universität Stuttgart freuen sich über den Gesamtsieg bei der diesjährigen FSG.
aller Würde aus dem aktiven Rennsport verabschieden. Nach der zweiten Rennsaison heißt es, Platz für den Nachwuchs machen und sich wieder aufs Studium konzentrieren. Die Kontakte jedoch, die er während seiner Zeit in der Formula Student geknüpft hat, tragen bereits Früchte: Im Oktober tritt Kissling ein Praktikum an. Bei Porsche, Australien.
› 27 der Spezialist
37
› 29
QUERDENKEN
Aktive Lärmminderung durch Gegenschall Da die Methoden passiver Lärmunterdrückung zukünftigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden, verfolgen Wissenschaftler zwei Methoden zum aktiven Lärmschutz: „active structural acoustic control“ und „active noise control“. TEXT › Dr. Ralf Schrank
Lärm kann krank machen. Eine Vielzahl medizi-
Lärmbekämpfung. Erste kommerzielle Anlagen,
nischer Studien belegt, dass laute Umgebungs-
die den Straßenlärm aus den Schlafzimmern von
geräusche nicht nur Konzentrationsstörungen
Stadtwohnungen verbannen, für Zonen der Ruhe
verursachen. Sie können auch Herzkreislaufer-
in Großraumbüros sorgen oder den Innenraum
krankungen, Schlafstörungen oder Migräne her-
von Autos „beruhigen“ könnten, sind in der Erpro-
vorrufen und sogar das Risiko für Allergien erhö-
bung oder stehen vor der Markteinführung.
hen. Mit passiven Maßnahmen – mit Schaldämp-
Am wirksamsten ist es natürlich, Lärm gar
fern und Lärmschutzwänden zum Beispiel – gehen
nicht erst entstehen zu lassen. In der Tat sind
Akustiker schon seit langem gegen den Lärm vor.
Automotoren, Reifen, Ventilatoren und andere
Relativ neu dagegen sind Methoden zur aktiven
Geräuschquellen heute dank materialtechnischer Verbesserungen deutlich leiser als ihre Vorgänger. Trotzdem wäre der Lärm auf unseren Straßen im
GERÄUSCHBELASTUNGEN IM ALLTAG Schallereignis
Schallleistungspegel [dB]
Hörschwelle
0
Blätterrauschen
10
Normale Unterhaltung
40 –60
Kühlschrank
50
Fernseher in Zimmerlautstärke
60
Hauptverkehrsstraße
80 –90
Beginnende Gehörschäden
90
Diskothek
100
Motorsäge
110
Trompete
115
Schmerzschwelle
134
Gewehrschuss
140
Düsenflugzeug
160
Raketentriebwerk
180
Sinne des Wortes ohrenbetäubend, wenn Autos, LKWs und Motorräder nicht durchweg mit passiven Schalldämpfern ausgerüstet wären.
AKTIVE LÄRMUNTERDRÜCKUNG BEKÄMPFT STRASSENLÄRM WIRKSAM Allerdings stoßen die klassischen Methoden der passiven Lärmminderung bei tiefen Tönen, etwa beim Brummen eines LKW-Motors, an praktische Grenzen. Denn zur wirksamen Unterdrückung von Tönen mit langen Wellenlängen müsste man übermäßig viel Dämm-Material einsetzen. Sys-
› 29 Auch im Kampf gegen die enorme Lautstärke von Flugzeugturbinen experimentiert das Institut für Antriebstechnik in Köln erfolgreich mit Gegenschallsystemen.
teme zur aktiven Lärmunterdrückung haben diese Schwäche nicht. Zwei Strategien werden derzeit intensiv verfolgt: die Dämpfung von Strukturschwingungen durch Gegenschwingungen, die piezokeramische Aktoren erzeugen („active structural acoustic control“), und die Reduzierung eines
der Spezialist
39
querdenken
Schallpegels durch einen künstlich erzeugten
so überlagern, dass Wellentäler und Wellenberge
Gegenschall („active noise control“).
zusammentreffen, dann wird die Welle ausge-
Die erste Strategie geht davon aus, dass ein
löscht. Um einen störenden Ton zu unterdrücken,
störendes Schallfeld Strukturelemente in Schwin-
muss also nur der passende Gegenton erzeugt wer-
gungen versetzt – Motorenlärm zum Beispiel die
den. In der praktischen Ausführung registrieren
Autokarosserie oder Straßenlärm die Fassade
Mikrofone den Lärm, ein Prozessor analysiert die
eines Gebäudes. Diese Schwingungen werden
Störgeräusche und errechnet die optimalen Gegen-
als Störgeräusche in den Fahrzeug- oder Gebäude-
geräusche. Diese Daten werden an Lautsprecher
innenraum abgestrahlt. Bisher wurde dieser Effekt
übertragen, die dann den Gegenschall erzeugen.
durch passive Dämpfungsmaßnahmen minimiert. Jetzt werden Aktoren erprobt – etwa in Form von piezokeramischen Folien – die Karosserieteile,
AKTIVE UND PASSIVE LÄRMUNTERDRÜCKUNG ERGÄNZEN SICH OPTIMAL
Fassadenelemente oder Fensterscheiben gezielt periodisch verformen. Die Aktoren dämpfen die
Was in der Theorie einfach klingt, erfordert in der
Materialschwingungen, indem sie gegenläufige
Praxis einen enormen Aufwand. Zum Beispiel an
Dehn- bzw. Kontraktionsbewegungen auf die
einer stark befahrenen Hauptstraße, deren Lärm-
Strukturelemente übertragen.
pegel sich abrupt ändern und einen breiten Fre-
Diese Strategie der aktiven Geräuschunterdrü-
quenzbereich umfassen kann. Bei hohen Frequen-
ckung ist auf geschlossene Räume beschränkt. Die
zen und schnellen Pegeländerungen können ak-
zweite Strategie dagegen ist genereller einsetzbar:
tive Gegenschallsysteme störenden Lärm sogar
Lärm mit „Gegenlärm“ zu bekämpfen. Was wie
verstärken. Dann nämlich, wenn das System die
Zauberei klingt, wird in der Physik als destruktive
komplexe Phasenlage der Signale nicht schnell
Interferenz beschrieben. Wenn sich zwei Wellen
genug berechnet und in präzise gegenphasige Sig-
› 30 Menschen mit lärmbedingten Schlafstörungen haben laut einer WHO-Studie ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen. Gegenschallsysteme könnten zukünftig für gesunden Schlaf sorgen.
››xx 30 40
der Spezialist
QUERDENKEN
nale umsetzt. Am einfachsten gelingt die aktive Schallkompensation momentan bei niedrigen Frequenzen. Somit ergänzen sich passiver und aktiver Lärmschutz optimal. Wenn die Schallwellenlänge groß gegenüber der Abmessung des Schallraums ist, gelingt es relativ leicht, mit dem errechneten Schallfeld die Schalldruckextrema zu
› 31
identifizieren und auszulöschen. So wundert nicht,
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Forscherteam um Prof. Dr. Delf Sachau mit 95.000 Euro, denn Lärm gehört bis heute zu den ungelösten Umweltproblemen.
dass Kopfhörer mit aktiver Kompensation von Umgebungsgeräuschen schon seit einigen Jahren auf dem Markt sind. Mikrofone erfassen den in den Kopfhörer eindringenden Umgebungsschall und kleine Lautsprecher erzeugen den Gegenschall. So werden tiefe Störgeräusche aktiv ausgeblendet, während das Kopfhörermaterial selbst die hohen Störgeräusche wirksam passiv dämpft. Ursprünglich als Headsets für Hubschrauber- und
› 31
Düsenjetpiloten entwickelt, haben die Aktivkopfhörer inzwischen auch den Hi-Fi-Markt erobert. Andere Anwendungen für die aktive Geräuschunterdrückung sind dagegen noch im Versuchs-
Näher an die Ohren des Ruhesuchenden gehen
stadium.
verglaste
dagegen die Akustiker der Helmut-Schmidt-
Fenster, deren Schalldämmwerte durch Gegen-
Universität der Bundeswehr Hamburg um Prof.
schallsysteme weiter verbessert werden. In ihnen
Delf Sachau. Ein Gegenschallsystem zur Lärmun-
erzeugen kleine Lautsprecher im Fensterrahmen
terdrückung in Flugzeug-Innenräumen steht kurz
ein Gegenschallfeld im Zwischenraum zwischen
vor der Serienreife. Hier ist das Geräuschfeld rela-
den Scheiben. Bei gekipptem Fenster unterdrü-
tiv homogen und ändert sich nur langsam. „Die
cken darüber hinaus zusätzliche Lautsprecher im
eigentliche Herausforderung sind heute Signale,
Lüftungsschlitz den Außenlärm.
die sich rasch und unvorhergesehen ändern“,
Zum
Beispiel
mehrfach
betont Prof. Sachau. „Leistungsstarke Prozessoren
GEGENSCHALLSYSTEM FÜR FLUGZEUGPASSAGIERE BALD SERIENREIF
stehen inzwischen zur Verfügung. Unser Hauptaugenmerk richtet sich derzeit auf die Entwicklung intelligenter Algorithmen für die schnelle
Andere Konzepte zur aktiven Lärmunterdrückung
Verarbeitung breitbandiger Geräusche.“
gehen näher an die Schallquelle. So sind Gegen-
Für Schlafzimmer ist bereits ein marktfähiges
schallsysteme für Flugzeugtriebwerke in der Ent-
Produkt in Sicht: Dort nämlich muss nur ein relativ
wicklung. Den Gegenschall erzeugt ein Laut-
enger Bereich rund um den Kopf des Schlafenden
sprecher-Array im Einlauf der Triebwerksgondel.
„lärmberuhigt“ werden. Derzeit testet die Arbeits-
In Versuchsanordnungen des DLR Institut für
gruppe von Prof. Sachau Systeme aus Mikrofonen
Antriebstechnik in Köln ließ sich für bestimmte
und Lautsprechern, die sich ins Kopfkissen ein-
Töne eine Geräuschminderung um bis zu 30 Dezi-
bauen lassen. Allerdings sollte das Kissen Warn-
bel erzielen. Das entspricht einer Verringerung
töne wie die eines Feuermelders oder das mor-
der abgestrahlten Schallleistung um 99,9 %.
gendliche Klingeln des Weckers erkennen.
der Spezialist
41
PANORAMA
Das Lernen neu erlernen „Learning by Doing“ als innovatives Lernkonzept statt Frontalunterricht – die Scola Nova schlägt neue Wege ein. Der Spezialist besuchte den Unterricht und macht überraschende Entdeckungen. TEXT › Janina Weinhold
Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren
„Haus der Kleinen“ und ältere im „Haus der Gro-
laufen durch den Raum. In Gruppen widmen sie
ßen“ betreut. Die gemischte Altersstruktur fördert
sich dem Thema „Lichtstrahlen“. Die älteren von
die sozialen Kompetenzen unter den Kindern.
ihnen prüfen mit Taschenlampen in den Händen,
Neben den Kernfächern wie Deutsch, Ge-
welche Gegenstände im Raum durchleuchtbar
schichte und Mathematik soll es Projektthemen
sind. Die jüngeren zeichnen Schattenbilder von
zu
Tieren ab, die ein Lichtkegel an die Wände wirft.
Technik und Natur, Medien und Philosophie sowie
So oder ähnlich könnte eine Momentaufnahme im
Gesellschaft, Recht und Ökonomie. In diesen
Tagesablauf der Scola Nova aussehen – einem in-
Themenfeldern
novativen Schulkonzept, in dem „Learning by
und experimentell Projektaufgaben lösen. Die
Doing“ die Lernmaxime darstellt. Bis zum Jahr
Kontrolle des Lernerfolgs geschieht über eine so
2008 will der Hauptinitiator der Scola Nova GmbH
genannte
Mario Stadelmann diese Schulvision für Kinder
Schulnoten ersetzt. Das Lehrpersonal erfasst darin
im Alter von vier Monaten bis 19 Jahren in
sowohl die bevorzugte Lernweise als auch die Lern-
Bremen verwirklichen. „Die Scola Nova soll ein
fortschritte der Kinder. Decken sich diese nicht
Lernort sein, an dem Kinder unterschiedlichen
mit den festgelegten Bildungsanforderungen,
Alters gemeinsam in vertrauensvoller, heraus-
leiten Lehrer die Kinder an, sich anderen Themen
fordernder Atmosphäre das Lernen erlernen“, so
zu widmen. Am Ende der Schullaufbahn können
Stadelmann.
die Schüler der Scola Nova eine staatliche Prü-
unterschiedlichen
Schwerpunkten
werden
Kinder
geben:
„Bildungsdokumentation“,
die
die
hat allerdings auch seinen Preis. Etwa 460 Euro müssen die Eltern monatlich für die Bildung ihrer Kinder aufbringen. Gleichsam setzen die Initia-
Doch kann das bunte Treiben zum Thema „Licht-
toren zur Finanzierung auf öffentliche Mittel,
strahlen“ als Unterricht bezeichnet werden? In der
Spenden, Sponsoring und die Unterstützung
Scola Nova soll Lernen anders funktionieren.
von Unternehmen. Das Konzept wird derzeit
„Lernen muss völlig neu definiert werden. Als
noch von der Bremer Bildungsbehörde geprüft.
etwas, das immer und überall begleitet“, meint
Ein ähnliches Konzept der technischen Früh-
Stadelmann. So wird der Unterricht nicht mehr in
erziehung läuft in Wilhelmshaven bereits seit
Klassen stattfinden und Frontalunterricht entfällt.
1999. Der außerschulische Lernort ging aus der
Kinder bis zum Alter von acht Jahren werden im
EXPO-2000-Initiative „Welche Schulen braucht die
42
der Spezialist
Science Center erkannten frühzeitig das Potenzial experimentellen Lernens und revolutionierten mit neuen und spannenden Mitmachkonzepten die klassische Museumswelt.
eigenständig
fung ablegen. Der ungewöhnliche Bildungsansatz
DIE KLASSENVERBÄNDE WERDEN IN DER SCOLA NOVA ABGESCHAFFT
› 32
PORTRÄT Der Physiotherapeut Mario Stadelmann ist Vater von zwei Kindern. Seit 2002 berät er Eltern, Schulen und Kindergärten als systemischer Familientherapeut, Supervisor und Coach. Seit 2005 befasst er sich mit dem Konzept der Scola Nova GmbH.
› 32
PANORAMA
Zukunft unserer Welt?“ hervor. Klassische Schulen
Die in Wilhelmshaven erprobten Projektangebote
können hier in technisch ausgestatteten Labor-
sollen als UTE-Bereich – Umwelt, Technik und
räumen ihr Bildungsangebot um die Themenkom-
Energie – adaptiert und als fester Bestandteil in
plexe Küstenschutz, regenerative Energien, Schiff-
das Angebot der Scola Nova integriert werden.
fahrt und CAD/CAM ergänzen. Im Projekt „Hafen-
Welschehold unterstützt die Scola Nova bei der
bau“ haben Schüler zum Beispiel an einem Wasser-
Entwicklung von UTE. Hinzukommen Projekte
tisch die Möglichkeit, in Experimenten die physi-
zu Robotik, Bionik und Logistik. Er ist überzeugt,
kalischen Gesetzmäßigkeiten wie Schwimm- und
dass sich Kindern nicht mehr die Frage: „Warum
Schwebefähigkeit geeigneter Baumaterialien zu
muss ich das lernen?“, stellt, wenn sie Lehrinhalte
prüfen. „Im Kursverlauf wird fächerübergreifend
in direkten Anwendungsgebieten selbst erproben.
in Projektteams gearbeitet. Die Schüler können
Als vorteilhaft erwies sich die Trennung von
eigenständig mit dem Material arbeiten – ohne
Mädchen und Jungen. Denn somit entfallen typi-
stündlichen Themenwechsel oder die Pausen-
sche, geschlechtsspezifische Rollenmuster im
klingel.
Umgang mit der Technik. „Mädchen arbeiten
INFO Das Konzept der Scola Nova versammelt Sachverständige aus unterschiedlichen Disziplinen. Um die Qualität der Lehre sicherzustellen, wird das Angebot sowohl von einem wissenschaftlichen Beirat der Universität Bremen als auch von einem unabhängigen Wirtschaftsausschuss geprüft werden.
selbstbewusster und kommen schneller zu Erfol-
TEAMARBEIT UND EIGENVERANTWORTLICHKEIT WERDEN GROSS GESCHRIEBEN
gen“, meint Welschehold und sieht insgesamt den positiven Effekt der technischen Frühförderung bestätigt: „Schüler, die wiederholt bei uns sind,
Das Lehrpersonal beantwortet nur aufkom-
erzählen begeistert von dem bisher Gelernten
mende Fragen und gibt den Schülern Tipps. Die
und wissen aus den angebotenen Lerngebieten
Schüler arbeiten für ihr eigenes Ergebnis“, be-
überdurchschnittlich viel. Besonders schön ist
richtet Erich Welschehold, Leiter des außerschuli-
es zu hören, wenn ehemalige Schüler und Schüle-
schen Lernortes, aus seiner siebenjährigen Praxis.
rinnen einen technischen Beruf ergriffen haben.“
› 33 Durch die umfassende Beschäftigung der Schulkinder mit einem Projekt werden sowohl sensorische, motorische als auch intellektuelle Fähigkeiten gefördert.
› 33 44
der Spezialist
PANORAMA
sich der Ball je nach Intensität des Auftrumpfens verformt. Stellt das Lehrpersonal den Bezug zu Alltagsphänomen her, wird mit der sinnlichen und manuellen Herangehensweise der Grundstein für die Auseinandersetzung mit Technik gelegt. Denn die Fähigkeit zum Wissenstransfer und das Finden kreativer Lösungswege sind zentrale Kompe-
› 34
tenzen. „Der Umgang mit technischem Spielzeug wirkt schon im Alter von zwei bis sechs Jahren als erste Assoziation im Langzeitgedächtnis und wird
›34 Beobachten, experimentieren, erfinden – all das gehört zum Lernkonzept der Scola Nova und führt zu einem überdurchschnittlich hohen Wissensstand der Schüler in Bereichen wie Technik und Umwelt.
im weiteren Lebensverlauf mit Spaß assoziiert“, ergänzt Dr. Pfenning. Als pädagogische Maxime in der frühkind-
Für Stadelmann soll der angestrebte Lernzu-
lichen Phase zwischen null und fünf Jahren
gang dem zeitgemäßen Anspruch „lebenslangen
orientiert sich die Scola Nova am Grundsatz der
Lernens“ Rechnung tragen. Individuelle Förde-
Montessoripädagogik: „Hilf mir, es selbst zu tun!“
rung sei erst dann umsetzbar, wenn die Bildungs-
In Montessorischulen lernen Kinder beispiels-
karriere ohne Schulwechsel und Brüche verläuft.
weise im Spiel mit unterschiedlich langen Holz-
„Lehrer wissen so um die zu fördernden Talente
perlenketten, intuitiv Mengenunterschiede zwi-
ihrer Schüler. Innovative Schulformen sind nicht
schen fünf und 100 zu ertasten. Dieses Verständnis
zuletzt auch aktives Standortmarketing“, so
wird als grundlegend für abstrakte Mathematik
Stadelmann, denn „Bildung ist heute eine wich-
angesehen. Anders ausgedrückt sollen Kinder
tige Zukunftsressource.“
›35 Durch den persönlichen und hautnahen Kontakt zur Materie nehmen die Kinder das erlernte Wissen intensiver auf und verknüpfen theoretisches Fachwissen mit persönlichen Erfahrungen.
durch Experimentieren und „Be-greifen“ ihre eigenen Lösungskompetenzen und Lernmethoden erlernen.
EXPERIMENTELLES LERNEN UND MONTESSORIPÄDAGOGIK WERDEN VEREINT Dr. Uwe Pfenning, Sozialwissenschaftler und Techniksoziologe an der Universität Stuttgart, forscht zurzeit an einem Modellprojekt zur Technikvermittlung für Schüler. „Sowohl experimentelles Lernen als auch der Montessoriansatz haben sich laut unseren Studien bewährt“, begrüßt er das Bremer Konzept. Nur die kontinuierliche und frühe Förderung könne zu mehr Interesse und Sicherheit im Umgang mit Technik und zu einer technischen Berufswahl führen, erläutert er. Geeignet wären Experimente, wie beispielsweise das Auftrumpfen von Bällen auf einer rußbedeckten Fläche. Da der Ball beim Kontakt mit der Fläche unterschied-
› 35
liche Abdrücke hinterlässt, erfahren Kinder, dass
der Spezialist
45
KUNST & BRUNEL
Was wir sehen, wenn wir schauen Landschaftsmalerei und Collagen der Medienwelt – auf den ersten Blick zwei widersprüchliche Malstile. Trotzdem lebt und arbeitet das Künstlerpaar Marc Taschowsky und Susanne Maurer zusammen unter einem Berliner Altbaudach. INTERVIEW › Ulf Mailänder
Susanne Maurer (35) und Marc Taschowsky (34) wohnen in
Susanne Maurer: Das hat sich eher
Berlin-Kreuzberg als freies Künstlerpaar. Sie haben zwei Kin-
zufällig ergeben. Wir malen unsere
der und im Haus zwei Ateliers. Nachdem die Brunel GmbH die
Bilder nicht gemeinsam und bilden
beiden Maler als diesjährige „Künstler des Jahres“ ausgewählt
auch keine gemeinsame Marke wie
hat, besuchte „Der Spezialist“ das Paar zu einem Interview in
etwa Christo und Jeanne-Claude. Wir
Taschowskys Atelier.
wollen die Spuren der individuellen
Inmitten halbfertiger Bilder und Skizzenblätter, einem Sand-
Urheberschaft keineswegs verwi-
sack neben der Tür und einem Babyfon auf dem Tisch entfaltet
schen. Die Zusammenarbeit bezieht
sich bei einem Gläschen Rotwein ein anregendes Gespräch
sich eher auf die Vermarktung und
über Malerei. Es duftet nach frischer Farbe.
auf ein gemeinsames Netzwerk von Arbeitsbeziehungen.
Der Spezialist: Sie hatten schon häufiger gemeinsame Ausstellungen und sind jetzt als Künstlerpaar von Brunel ausgezeichnet worden. Inwieweit profitiert Ihre Künstlerkarriere von
INDIVIDUELLE KUNST UND GEMEINSAME ARBEITSBEZIEHUNG
der Lebenspartnerschaft? Marc Taschowsky: Ein großer Vorteil der gemeinsamen Malerei liegt im Verständnis des Partners für die eigene Haltung zur Arbeit. Wenn ich Sonntagmorgen noch unbedingt ins Atelier muss oder mir abends ein Motiv nicht aus dem Kopf geht, dann versteht das eine Frau, die auch malt, einfach besser. Außerdem unterstützen wir uns gegenseitig im Unterhalt der Familie und können uns auf diese Weise auch an den Erfolgen des anderen freuen. Der Spezialist: Wie sieht es mit der Konkurrenz untereinander aus?
46
der Spezialist
PORTRÄT Marc Taschowsky und Susanne Maurer, beide Jahrgang 1972, absolvierten ihr Studium an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig. Maurer war Meisterschülerin von Prof. Arved D. Gorella. Ab 2002 folgten für das Paar diverse Stipendien sowie Einzelund Gruppenausstellungen in Berlin, Frankfurt, Hannover, Düsseldorf und Bremen.
KUNST & BRUNEL
› 36 Maurer und Taschowsky (lachend): Noch spielen wir in der
Welt der Abbildungen – insbeson-
gleichen Liga.
dere aus der Werbung, Kunstkatalogen und Comicheften. Bis sich etwas
Der Spezialist: Auf den ersten Blick sind in Ihren Bildmotiven
Stimmiges ergibt, probiere ich viele
wenig Gemeinsamkeiten zu erkennen. Sie, Frau Maurer, betrei-
Kombinationen aus. Wenn es die
ben abstrakte Landschaftsmalerei mit ruhiger, fast meditativer
Gesamtkomposition erfordert, habe
Anmutung. Sie, Herr Taschowsky, verfremden Ikonen der Medi-
ich auch keine Skrupel, einzelne Stel-
enwelt in mitunter wilden Collagen. Ihr Motivfundus ist die
len zu übermalen.
› 36 „Seifenblasen“, Marc Taschowsky, 2005, 260 x 190 cm
Gesellschaft, wie sie sich über die Medien vorstellt. Ihr Reservoir, Frau Maurer, ist die Natur, wie sie ideal in unseren Köpfen
Maurer: Von diesem Mut habe ich
erscheint. Wie grenzen Sie sich malerisch voneinander ab?
auch schon profitiert. Mir fällt es eher schwer, etwas zu korrigieren.
DAS SCHEINBAR BEK ANNTE NEU ENTDECKEN
Neulich hatten wir Besuch von Kunstinteressierten in unseren Ate-
Taschowsky: Mir geht es darum, das scheinbar Bekannte in
liers. Marc haben die Menschen sehr
neue Zusammenhänge zu stellen. Ich schöpfe aus der gesamten
viele Fragen gestellt, bei mir blie-
der Spezialist
47
KUNST & BRUNEL
ben sie lange stumm. Es macht mich froh, wenn jemand durch
Taschowsky: Wir sprechen auch
meine Bilder in meditative Andacht verfällt. Ich will eher eine
miteinander über unsere Bilder. Ich
emotionale Wirkung erzielen als zum Nachdenken anregen.
nehme Anregungen meiner Frau
Meine Motivwahl ist immer dieselbe – eine waagerechte Linie
auf und zitiere ihren Malstil mit-
mit Raum oben und Raum unten.
unter. Doch ich verzichte auf einen bestimmten „Strich“ als Marken-
Taschowsky: Ich bewundere diese Genügsamkeit.
zeichen, das würde mein Konzept überladen. Wo sie einen Raum der
Der Spezialist: Ein wenig erinnert Ihre Zusammenarbeit an die
Stille inszeniert, da bringe ich den
strikte Arbeitsteilung unter Werbefotografen nach stills (Auf-
Lärm der Medienwelt ins Spiel, durch
nahmen unbelebter Dinge) und figures (Aufnahmen belebter
kräftige Farben und kontrastreiche
Wesen). Bei Ihnen entsteht jedoch der Eindruck, als würden
Motive, wie sie beim Durchblättern
Ihre Werke miteinander sprechen.
einer Illustrierten aufeinanderprallen. Ich übersetze diese Alltagser-
DIE RÄUMLICHE NÄHE FÜHRT ZU GEGENSEITIGER INSPIRATION
fahrung in die Malerei und erzeuge so eine spielerische Distanz, bei der man sich vom Bombardement durch
Maurer: Manchmal gibt es tatsächlich Synergien durch die
die Medien erholen kann.
räumliche Nähe. Etwa lasse ich mich durch einen bestimmten Farbton inspirieren, den Marc verwendet. Wir haben auch einen
Der Spezialist: Offenbar treiben
ähnlichen Umgang mit den Farbspuren, die über das Abbild hin-
Sie ein komplementäres Spiel mit
ausweisen. Die Bilder sollen immer als Malerei erkennbar blei-
der Wahrnehmung, bei dem jeder
ben, der Prozess des Malens soll für den Betrachter nicht hinter
die Alltagswahrnehmung auf seine
einer glatten Oberfläche verschwinden. Das ist eine unserer
Weise penetriert und transformiert.
Gemeinsamkeiten.
Sie, Frau Maurer, durch Raumgebung für eine idealistische Landschaftsphantasie, bewegen sich von der Seite des Abstrakten hin zur Seite des Konkreten, der Landschaft, die aber zugleich irreal erscheint. Umgekehrt bei Ihnen, Herr Taschowsky: Ihr Ausgangspunkt ist das Konkrete, das Bildmaterial mit Wiedererkennungswert, das durch Verfremdung in die Abstraktion geführt wird. Kann man das Grundkonzept Ihrer Arbeit als ironische Ikonisierung beschreiben? Taschowsky: So kann man das
› 37
sehen. Mir hat gut gefallen, was Dieter Begemann, ein Bremer Künstlerkollege, im letzten Jahr in der
48
der Spezialist
› 37 „Alice“, Marc Taschowsky, 2005/06, 220 x 200 cm
KUNST & BRUNEL
Taschowsky: Die Anfänge meiner Malerei liegen in der Graffiti-Kunst. Als Jugendlicher wusste ich gar nicht, dass man Kunst studieren
› 38 „Bild Nr. 1, Februar 2006“, Susanne Maurer, 200 x 195 cm
kann. Erst mit 21 hat mich ein Lehrer der Fachhochschule darauf gebracht. Davor hatte ich die Idee, Comiczeichner zu werden. Was die Zukunft angeht, habe ich das Gefühl: Ich kann sie nicht steuern. Ich kann einfach immer nur weiter malen. Maurer: Als ich mit dem Studium anfing, wollte ich Kunstlehrerin werden. Mein Professor hat mich als
› 38
Erster
ermutigt,
selbständig
als
› 39 „Bild Nr. 7, März 2004“, Susanne Maurer, 35 x 30 cm
Künstlerin zu arbeiten, und später dann Marc. Für ihn war immer klar, dass ich Künstlerin bin. Und jetzt bin ich es und kann nicht mehr auf-
Rede zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Kramer gesagt
hören.
hat: Bildstörungen, wohin man schaut. Besonders bei meinem Lieblingsmotiv, den Abbildungen schöner Frauen. Mein eigent-
Der Spezialist: Wir danken Ihnen für
liches Thema ist nicht das, was ich abbilde, sondern die Wahr-
dieses Gespräch.
nehmung selbst. Für mich ist das abgebildete Material nur ein Tor, durch das ich zum eigentlichen Bild gelange. In mir gibt es die schwer fassbare Vorstellung von einem idealen Bild, zu dem ich hinstrebe und das ich doch nie erreiche. Maurer: Die komplementäre Bewegung sehe ich auch. Mich interessiert die Abbildung einer realen Landschaft gar nicht, für mich ist die von mir angedeutete Landschaft ein Seelenraum, den jeder Betrachter selbst füllen muss. Ebenso wenig wie reale Landschaften bilde ich Stimmungen nach einer Klischeevorgabe ab. Das würde den Prozess der meditativen Öffnung nur stören. Mir sind, ebenso wie Marc, die Brüche wichtig, die durch den Farbauftrag entstehen. Der Spezialist: Sicherlich ließe sich die deskriptive Analyse Ihrer bildnerischen Werke noch weiter vertiefen. Zum Abschluss noch zwei biografische Fragen. Ab wann wussten Sie in Ihrem Leben, dass Sie zur Malerei berufen oder gar verurteilt sind?
› 39
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
der Spezialist
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TERMINE
termine
Oktober bis Dezember 2007
AUSGABE 09 || Oktober 2007
Messen und veranstaltungen 9. – 11. OKT.
2007
INTERPART Die internationale Zuliefermesse INTERPART bietet Systemlösungen, Komponenten, Teile sowie Anwendungen für die Fahrzeugindustrie, den Maschinen-/Anlagenbau, die Medizintechnik wie auch die Elektroindustrie. Die Besucher erwartet ein umfassendes Programm aus ergänzenden Sonderausstellungen, daneben Vortragsforen zu Themen wie IT-Engineering, Consulting sowie Drehteiltechnik. www.interpart-karlsruhe.de
›23. – 26. OKT. Auf der AIRTEC-Premiere im vergangenen Jahr präsentierten 486 Aussteller aus 22 Nationen ihre Produkte und Dienstleistungen.
23. – 26. Okt.
2007
AIRTEC Die AIRTEC, mit ihrer speziellen Ausrichtung auf die gesamte Zuliefererkette der Luft- und Raumfahrt, bietet eine internationale Businessplattform für den Dialog zwischen Zulieferern der ersten, zweiten und dritten Ebene sowie den OEMs. www.airtec.aero
27. – 29. Nov.
2007
SPS/IPC/DRIVES 2007 Die elektrische Automatisierungstechnik steht im Fokus der Messe SPS/ IPC/DRIVES 2007. Präsentiert wird ein breites Spektrum von Komponenten bis hin zum System und integrierten Automatisierungslösungen. Aussteller und Besucher schätzen, dass sie hier alle relevanten Aspekte im Bereich Automatisierungstechnik unter einem Dach finden. www.mesago.de/sps
› 27. – 29. NOV. Die SPS/IPC/DRIVES lockte im vergangenen Jahr bereits 44.000 Fachbesucher nach Nürnberg. Für dieses Jahr erwarten die Veranstalter einen weiteren Zuwachs.
Meilensteine 01. Oktober
1958
Die zivile US-Bundesbehörde für Luft- und Raumfahrt, die National Aeronautic and Space Administration, kurz NASA, nimmt ihre Arbeit auf.
20. Oktober
1985
Die amerikanische Softwareschmiede Microsoft bringt unter der Leitung von Bill Gates in den USA das Betriebssystem „Windows 1.0“ heraus. Bis heute nutzen weltweit mehr als 90 % aller PCs ein Windows-Betriebssystem.
20. Dezember
1910
Mit dem experimentellen Nachweis des Atomkerns legt der britische Physiker Ernest Rutherford den Grundstein für die spätere Nutzung der Kernenergie.
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der Spezialist
INGENIEURE. ARBEITEN BEI BRUNEL
impressum AUSGABE 09 || Oktober 2007
›› WIR SEHEN DIE WELT MIT
REDAKTIONSANSCHRIFT
ANDEREN AUGEN
Brunel GmbH, Redaktion „Der Spezialist“ Airport City, Hermann-Köhl-Str. 1a, 28199 Bremen redaktion@der-spezialist.de www.der-spezialist.de
HERAUSGEBER Brunel GmbH
VERANTWORTLICHER REDAKTEUR (V. I. S. D. P.) Carsten Siebeneich, General Manager Brunel GmbH
REDAKTION DIALOG Public Relations, Bremen GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen
GESTALTUNG Projektpartner für Technik und Management
GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen
FOTOGRAFIE (COPYRIGHTS) Sofern nicht abweichend, alle Angaben als Bildnummern: Thomas Kleiner (Titel, U2, S. 3), picture-alliance (01), www.girls-day.de (02), Sven Jakobsen (03), Gerhard Blank (S. 5, 04), HELLA KGaA & Co., Schott AG (07–09), Lichtblick, A. Weithorn (10–12), Corbis (14), Proton Motor (15–16), Jeannette Merguin (17), Robert Bosch GmbH (18), Airbus Deutschland GmbH/Schmelzer (19–20), Elke Sckell (S. 29), Siemens VDO (21), Axel Hess (22–28), Getty (29), HelmutSchmidt-Universität (30–31), Universum® Bremen (32), Außerschulisches Lernzentrum Wilhelmshaven (33–35), S. Maurer, M. Taschowsky (S. 5, S. 46, 36–39, Umschlagklappe)
DRUCK Druckerei Girzig + Gottschalk GmbH, Bremen
ERSCHEINUNGSWEISE 3 Ausgaben / Jahr, Auflage 28.000 Stück
Professionals gesucht. Anspruchsvolle Aufgaben, innovative Projekte, modernes Arbeiten – wer in den technischen Branchen eine führende Rolle übernehmen will, darf nur mit den Besten zusammenarbeiten. Deshalb suchen wir Sie: als Ingenieur, Informatiker oder Manager mit Erfahrung, Kompetenz und Engagement.
DIPL . - ING. M A S C HIN E N B A U
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… zahlreiche weitere Offerten für Ihren persönlichen Karriereweg finden Sie unter www.brunel.de
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Das Magazin für Technik und Management
Arzu Dreier und der A400M >>
Ingenieurinnen auf der Überholspur Frauen überzeugen in technischen Berufen
Im Windschatten der Formel 1 Die Formular Student begeistert Nachwuchsingenieure
Was wir sehen, wenn wir schauen art Brunel: Künstler des Jahres 2007
LESERSERVICE Ihre Adresse hat sich geändert? Sie interessieren sich für Hintergründe und weitere Informationen zu einzelnen Artikeln des Spezialisten? Oder Sie möchten uns auf ein interessantes Thema für eine der nächsten Ausgaben aufmerksam machen? Dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an: leserforum@der-spezialist.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen! Ihr Redaktionsteam „Der Spezialist“ 6007_10.2007
Künstlerin des Jahres 2007, Susanne Maurer, Bild-Nr. 4, Februar 2007, 30 x 30 cm
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Künstler des Jahres 2007, Marc Taschowsky, Engelchen und Teufelchen, 2005/06, 140 x 200 cm
Carsten Siebeneich, General Manager Brunel GmbH
REDAKTION DIALOG Public Relations, Bremen GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen
Wie aus einer Vision ein Plan, dann ein Modell und schließlich ein voll funktionsfähiges Flugzeug wird, das fasziniert die Dipl.-Ing. Arzu Dreier. Sie ist als Projektmanagerin bei Airbus und im Testing einzelner Gerätekomponenten der Gesamtmaschine hautnah dabei und erlebt, wie aus kleinsten Einzelteilen im europäischen Verbund der Airbus A400M entsteht. Bei der Projektarbeit im multinationalen Konzern kommt Arzu Dreier zugute, dass sie fünf Sprachen beherrscht. „Das Größte ist es aber, mitzuerleben, wie die Maschine zum ersten Mal tatsächlich abhebt“, sagt die 33-Jährige, die seit 2005 bei Brunel beschäftigt ist. Mehr über Arzu Dreier und ihre Karriere bei Brunel lesen Sie auf den Seiten 28 bis 31 in dieser Ausgabe.
GESTALTUNG Projektpartner für Technik und Management
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