Der Spezialist - Ausgabe 12

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AUSGABE 12 || Oktober 2008

Brunel GmbH | Airport City | Hermann-Köhl-Str. 1 a | 28199 Bremen

Das Magazin für Technik und Management

Daniel Zettl und das Zahnrad >>

Operation Schiffsverlängerung Neubauten sind nicht immer die wirtschaftlichste Lösung

Wundheilung für Oberflächen Nanoteilchen mit heilenden Kräften

Architektur für Wasserwelten Schwimmende Gebäude trotzen dem Meeresspiegelanstieg

LESERSERVICE Ihre Adresse hat sich geändert? Sie interessieren sich für Hintergründe und weitere Informationen zu einzelnen Artikeln des Spezialisten? Oder Sie möchten uns auf ein interessantes Thema für eine der nächsten Ausgaben aufmerksam machen? Dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an: leserforum@der-spezialist.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen! Ihr Redaktionsteam „Der Spezialist“ 6015_10.2008


INGENIEURE. ARBEITEN BEI BRUNEL

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler. Screenshot aus „Heavens Gate“, anzusehen auf: www.brunel.de/karriere/aktuelles/ video-podcasts.php

impressum ›› WIR SEHEN DIE WELT MIT

AUSGABE 12 || Oktober 2008

www.der-spezialist.de

ANDEREN AUGEN

REDAKTIONSANSCHRIFT Brunel GmbH, Redaktion „Der Spezialist“ Airport City, Hermann-Köhl-Str. 1a, 28199 Bremen redaktion@der-spezialist.de www.der-spezialist.de Telefon 0421-1 69 41-0

HERAUSGEBER Brunel GmbH

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler. Screenshot aus „Maschinencode“.

VERANTWORTLICHER REDAKTEUR (V. I. S. D. P.) Carsten Siebeneich, General Manager Brunel GmbH

REDAKTION

Das Zahnrad als „treibende Kraft in einem komplexen System“ symbolisiert für Daniel Zettl das Wesen seiner Arbeit als Projektmanager. Nach seinem Studium in Innsbruck sammelte er bei dem Werkzeugbauer Prometall erste Berufserfahrungen, bevor es den 28-jährigen Wirtschaftsingenieur 2006 zu Brunel zog. Nach seinem ersten Projekt bei Dräger im Bereich Tieftauchanlagen arbeitet er aktuell im Vertriebsmanagement bei der Business Unit Rotorion der MTU Friedrichshafen GmbH, einem der führenden Unternehmen für Gelenkwellen.

DIALOG Public Relations, Bremen GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

Projektpartner für Technik und Management

GESTALTUNG GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

FOTOGRAFIE (COPYRIGHTS) Sofern nicht abweichend, alle Angaben als Bildnummern: GfG / Gruppe für Gestaltung (Titel, S. 3, 05–06, S. 12, 08–09, S. 35, 26), Fotolia (U2, 07, 24), Jens Paul Taubert (01–03), Rudolf Uhrig, Nibelungen-Festspiele, Worms (04), dpa Picture-Alliance (S. 18, 10, 12, 31), BMBWK (11), Brunel Niederlassung, Wolfsburg (13–14, S. 24),Volkswagen AG (15), Sonja Brüggemann (S.27, 16–17), Lloyd Werft Bremerhaven GmbH (18–21), Hans-Werner Eberhardt (22–23, U5), Michael R. Kessler, University of Illinois (25), Waterstudios.NL (27–29), Cairos technologies AG (32–33)

DRUCK Druckerei Girzig + Gottschalk GmbH, Bremen

ERSCHEINUNGSWEISE 3 Ausgaben / Jahr, Auflage 23.500 Stück

Professionals gesucht. Anspruchsvolle Aufgaben, innovative Projekte, modernes Arbeiten – wer in den technischen Branchen eine führende Rolle übernehmen will, darf nur mit den Besten zusammenarbeiten. Deshalb suchen wir Sie: Als Ingenieur, Informatiker oder Manager mit Erfahrung, Kompetenz und Engagement.

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„UNSER SPEZIALIST“ DANIEL ZETTL

ENT WICKLUNG SINGENIEUR (w/m)

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für Wolfsburg

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für Villingen-Schwenningen

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JA ,


editorial

DER SPEZIAL IST

AUSGABE 12 || Oktober 2008

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Jazzmusik denken? New Orleans! Die Stadt im US-Bundesstaat Louisiana gilt als Wiege des Jazz, hier wurde Louis Armstrong geboren. Seit rund 100 Jahren versteht es die Hafenstadt, dieses kulturelle Alleinstellungsmerkmal als Standortfaktor zu nutzen. Touristen strömen nach New Orleans, Unternehmen profitieren vom Renommee der Metropole und erhalten so einen Anreiz, sich hier anzusiedeln oder kulturelle Projekte zu unterstützen. Ein vergleichsweise junges Beispiel für die Potenziale von Kultur als Image- und Wirtschaftsfaktor sind die Altenburger Prinzenraub Festspiele in Thüringen. Das 2005 erstmals initiierte Gemeinschaftsprojekt von Vertretern der Kultur, Wirtschaft und Politik hat einer ganzen Region wirtschaftlichen Aufschwung beschert und den Glauben an die eigene Stärke zurückgegeben. Bei Kooperationen dieser Art steht jedoch nicht ausschließlich der finanzielle Aspekt im Vordergrund. Die Beteiligten profitieren auch auf einer anderen Ebene, sie lernen voneinander. Aus diesem Grund arbeitet die Brunel GmbH seit 2000 mit Künstlern unterschiedlicher Stilrichtungen zusammen und fördert deren kreative Arbeit. Dieser Austausch ist für beide Seiten spannend, schließlich liegen die Arbeitsschwerpunkte eines Ingenieurdienstleisters und eines Kunstschaffenden in völlig unterschiedlichen Bereichen. Einer, der diesen Dialog unterstützt, ist Hans-Joachim Frey, langjähriger Künstlerischer Betriebs- und Operndirektor der Semperoper in Dresden und einer der Gründer des Forum Tiberius, einem internationalen Forum für Kultur und Wirtschaft. „Der Spezialist“ sprach mit ihm darüber, in welche Richtung sich die Beziehung zwischen Kultur und Wirtschaft entwickelt. Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß mit der aktuellen Ausgabe. Mit herzlichen Grüßen

General Manager Brunel GmbH

der Spezialist

03


kurz notiert

Winzige Multitalente Selbstheilende Schichten sind noch Zukunftsvision. Doch die Entwickler sehen große Einsatzpotenziale, die vom Autolack bis zur Außenhülle von Raumstationen reichen. Gerade an unzugänglichen Stellen könnten die mit Reparaturflüssigkeit gefüllten Nanocontainer ihre Vorteile ausspielen.

EINSATZGEBIETE Zurzeit gibt es mehrere vielversprechende Ansätze, selbstheilende Schichten zu implementieren. Angewendet werden können sie überall dort, wo Oberflächen beschädigt werden könnten, die besonders schwer zugänglich sind, wie etwa an den Rotorblättern von Windkraftanlagen oder der Außenhülle von Raumstationen. Lesen Sie mehr im Artikel „Lack heilt wie Haut“ auf Seite 38.

04

der Spezialist

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inhalt

inhalt

Der Spezialist

AUSGABE 12 || Oktober 2008

Seite

06

im fokus:

KULTUR ALS STANDORTVORTEIL UND WIRTSCHAFTSMOTOR

Die Prinzenraub-Festspiele beleben eine ganze Region Seite

11

im gespräch:

KULTUR UND WIRTSCHAFT ALS STRATEGISCHE PARTNER

Theaterintendant Hans-Joachim Frey im Gespräch mit dem Spezialisten Seite

15

aus den branchen:

SCHRAUBE SUCHT MUTTER

Intelligente Datenbanken helfen bei der Konfiguration komplexer Produkte

› seite 30 Die Lloyd Werft schneidet Schiffe in zwei Teile und verlängert sie durch neue Mittelsektionen.

Seite

18

history:

GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE

Wilhelm Kress – visionärer Vordenker und Erfinder des Wasserflugzeugs Seite

22

technische projekte:

KOMPLEXE SYSTEME SCHAFFEN SICHERHEIT

Elektronische Helfer im Auto werden unentbehrlich Seite

26

mitarbeiter und karRiere:

AVIONIKSPEZIALISTIN STARTET DURCH

Yurong Zhang hat sich auf die Bordelektronik von Flugzeugen spezialisiert Seite

30

aus den branchen:

OPERATION SCHIFFSVERLÄNGERUNG

In Bremerhaven werden auch Kreuzfahrtriesen „auf Länge“ gebracht Seite

35

Kunst & brunel:

VIDEOKUNST ALS KREATIVE SPIELWIESE

Hans-Werner Eberhardt ist „Brunel Künstler des Jahres 2008“

› seite 38 Oberflächen, die sich aus eigener Kraft reparieren, bleiben eine Herausforderung für die Forschung.

Seite

38

Forschung & Wissenschaft:

WUNDHEILUNG FÜR OBERFLÄCHEN

Nanoteilchen sollen beschädigte Oberflächen autonom reparieren Seite

42

Panorama:

ARCHITEKTUR FÜR WASSERWELTEN

Der Klimawandel gibt schwimmenden Bauten neuen Auftrieb Seite

46

Querdenken

ANTWORT AUF DIE FRAGE ALLER FUSSBALLFRAGEN

Tor oder kein Tor? Diese Technik bleibt keine Antwort schuldig Termine impressum

› seite 42

EXTRA: ART-BRUNEL-POSTK ARTEN MIT MOTIVEN DES KÜNSTLERS DES JAHRES 2008 (siehe Umschlagklappe)

Waterstudio.NL plant und realisiert weltweit schwimmende und amphibische Bauten.

der Spezialist

05


› 01


IM FOKUS

Kultur als Standortvorteil und Wirtschaftsmotor Im thüringischen Altenburg herrscht Aufbruchstimmung, seit die jährlichen Aufführungen des „Prinzenraub“ nicht nur Touristen, sondern auch Unternehmer in die Stadt ziehen. Die weichen Umfeldfaktoren werden immer wichtiger im Wettbewerb von Städten und Gemeinden. TEXT › Jutta Witte

Zum fünften Mal finden im Sommer 2009 die

das Stück im Jahr 2005 anlässlich des 550. Jahres-

Prinzenraub-Festspiele im thüringischen Alten-

tags des Prinzenraubs zum ersten Mal aufgeführt

burg statt. Das Open-Air-Spektakel ist mittlerweile

wurde. „Dieses Projekt“, sagt der Oberbürgermeis-

nicht nur ein Publikumsmagnet: Es bringt Geld in

ter der Stadt, Michael Wolf, „hat uns selbstbe-

die Region, hat die Bürger mobilisiert, den Stand-

wusst gemacht.“

ort attraktiver gemacht und sich damit zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Wie viele Regionen in den neuen Bundeslän-

› 01 In Altenburg tauchen die Besucher der Prinzenraubfestspiele tief ins Mittelalter ein. Rudolf Trommer überzeugte 2006 als Kanzler Haugwitz.

dern musste sich auch das über 1.000-jährige Al-

Der Prinzenraub erzählt die Geschichte des

tenburg aus einem wirtschaftlichen Tief befreien.

Edelmanns Kunz von Kaufungen, der im Jahr 1455

Viele Unternehmen verließen den Standort, der

eine offene Rechnung mit dem Wettiner Kurfürs-

Uran- und Braunkohlebergbau wurde eingestellt.

ten Friedrich begleichen wollte. Der Kurfürst war

Die Einwohnerzahl sank von rund 49.000 im Jahr

von Kaufungen seinen Sold schuldig geblieben.

1990 auf etwa 36.000 im Jahr 2007. Noch vor drei

Daraufhin entführte der Edelmann die beiden

Jahren bilanzierte die Stadt einen Schuldenberg

Söhne Friedrichs aus dem Altenburger Schloss.

von rund 31 Millionen Euro, die Arbeitslosenquote

Doch die Geiselnahme scheiterte und von Kau-

lag bei 20 Prozent, ein Investitionsstau hatte sich

fungen musste unter dem Beil des Henkers ster-

gebildet. „Wir befanden uns in einer sehr schwie-

ben. Die eindrucksvolle Aufführung am Original-

rigen wirtschaftlichen Situation“, berichtet Ste-

schauplatz im Residenzschloss Altenburg versetzt

fan Müller, Marketingleiter der Festspiele. „Und es

die Zuschauer mitten hinein in die Umbruch-

fehlte uns die nötige Portion Eigenliebe.“ Gefragt

phase vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit

war eine Maßnahme, die den Bürgern zugleich ihr

mit der Suche nach neuen Werten und sozialen

Selbstwertgefühl zurückbringen, die Außendar-

Unruhen.

stellung der Stadt verbessern und die Wirtschaft vor Ort fördern sollte. In dieser Situation besan-

PRINZENRAUB-FESTIVAL ALS SYMBOL DES AUFBRUCHS

nen sich Politiker, Unternehmer und Kulturschaffende auf die historischen Wurzeln Altenburgs. Das Prinzenraub-Jubiläum kam wie gerufen. Das

Doch nicht nur diese Parallelen zur heutigen Zeit

Projekt rüttelte die Altenburger Bürger förmlich

machen aus dem Prinzenraub mehr als ein gut

auf. Sie engagierten sich für den Prinzenraub und

inszeniertes Mittelalterspektakel. Die Festspiele

führten das Stück gemeinsam mit Profischauspie-

sind vor allem ein Symbol für die Aufbruchstim-

lern vom Landestheater Altenburg auf – unter-

mung geworden, die in Altenburg herrscht, seit

stützt von der heimischen Wirtschaft.

der Spezialist

07


IM FOKUS

› 02 „Die Region ist lebendiger, selbstständiger und

Deutschland zum Prinzenraub und damit in die

attraktiver geworden“, findet der Leiter der Bru-

Altenburger Region. Zudem werben Lucka-Last-

nel-Niederlassung in Dresden, Falk Rosenlöcher.

wagen für die Festspiele. Eine Maßnahme, von

Die Verantwortlichen seien selbstbewusster ge-

der nicht nur das Bühnenstück profitiert: „Wer-

worden, das Stadtbild moderner. Brunel unter-

bung für den Prinzenraub bedeutet Werbung für

stützt die Festspiele finanziell und durch strate-

Altenburg und die anderen Altenburger Marken“,

gische Beratung beispielsweise im Marketing.

erklärt Regisseur Lutz Gotter. Der höhere Bekannt-

Zudem setzt sich Rosenlöcher für Kontakte zwi-

heitsgrad des Standorts diene auch den Altenbur-

schen Künstlern der Dresdner Semperoper und

ger Spielkarten, dem Altenburger Likör oder dem

ihren Kollegen in Altenburg ein. Den eigenen

Altenburger Bier.

Vertriebsraum in Sachsen und Thüringen über die Kultur näher zusammenzubringen, diene auch dem Unternehmen, so Rosenlöcher. Für ihn

MITTELSTÄNDISCHE FIRMEN PROFITIEREN VON ZUSÄTZLICHEN AUFTRÄGEN

steht außer Frage, dass die Wirtschaft auch weiche Standortfaktoren wie Kultur und Bildung för-

Mehr als 45.000 Menschen besuchten die Auffüh-

dern muss. Diese Bereiche seien wichtig für die

rungen von 2005 bis 2008. Der Zuschauerraum im

Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihrer Familien.

Schloss bietet rund 1.000 Personen Platz und war

Der Prinzenraub fasziniert auch Uwe Eikemeier,

in den ersten drei Spielzeiten zu 92 Prozent aus-

Geschäftsführer des Altenburger Unternehmens

gelastet. Mindestens 65 Prozent der Zuschauer

Wellpappe Lucka. Das Stück mache den Menschen

kamen nach Angaben von Stefan Müller in die-

ihre Kultur und Geschichte bewusst und wecke

sem Jahr aus anderen Regionen, um das Histo-

neue Potenziale bei den Bürgern. Wie Rosenlöcher

rienspiel zu sehen. Mit einem zusätzlichen Auf-

bringt auch Eikemeier Geschäftsfreunde aus ganz

tragsvolumen von rund 450.000 Euro im Jahr

08

der Spezialist

› 02 Gute Stimmung auf der Prinzenraub-Premierenfeier: (v.l.) der ehemalige ZDF-Intendant Dieter Stolte, der Oberbürgermeister von Altenburg Michael Wolf (SPD), der ehemalige enviaM-Vorstand (Netze) Dr. Friedrich Glatzel und Dr.-Ing. Wolfgang Ahlemeyer, enviaMVorstand (Marketing/Vertrieb/Energiebeschaffung).


IM FOKUS

2008 profitieren nach seinen Angaben die kleinen

zeigt seit mehr als 50 Jahren auch die documenta

und mittelständischen Unternehmen vor Ort und

in Kassel. Alle fünf Jahre findet die Kunstaus-

in der Region – vornehmlich aus den Bereichen

stellung in der nordhessischen Metropole statt.

Handel, Produktion und Dienstleistungen – direkt

„Wer an Kassel denkt, denkt an documenta, und

vom Prinzenraub. Die eigentliche Wertschöpfung,

wer an documenta denkt, denkt an Kassel“, sagt

die nach Müllers vorsichtiger Schätzung bei ca.

Oberbürgermeister Bertram Hilgen. Rund 750.000

900.000 Euro in diesem Jahr liegt, hat die Stadt

Besucher, ein Drittel von ihnen aus dem Aus-

insgesamt noch nicht ermittelt. Der vom Prinzen-

land, haben im vergangenen Jahr die weltweit

raub ausgehende Motivationsschub verleihe dem

bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst

allgemeinen Aufwärtstrend mit sinkenden Schul-

besucht und Geld in der Stadt gelassen – vorwie-

den, neuen Investitionen, weniger Arbeitslosen

gend in der Hotellerie, der Gastronomie, im Ein-

und mehr Arbeitsplätzen zusätzliche Zugkraft.

zelhandel und im Verkehrsgewerbe.

ZEITGENÖSSIGE KUNST KURBELT DIE WIRTSCHAFT IN K ASSEL AN

die Wertschöpfung. Ein erheblicher Teil des Aus-

› 03 Der Entführer der Prinzen auf dem Weg zur Hinrichtung: Laien- und Profischauspieler begeistern das Publikum gleichermaßen. Nahezu das gesamte Areal des Altenburger Schlosses wird dabei zur Freilichtbühne.

Doch nicht nur die Kunstbegeisterten steigern stellungsbudgets verbleibt nach Angaben von documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld in der Was ein kulturelles Großereignis vor allem für die

Region, sei es als Lohn für die bis zu 800 Mitarbei-

Imagewerbung eines Standorts bedeuten kann,

ter in documenta-Jahren, sei es durch den Ankauf

› 03 der Spezialist

09


IM FOKUS

› 04 Die Nibelungen-Festspiele in Worms begeistern nicht nur Kulturinteressierte, auch die Wirtschaft verzeichnet positive Effekte.

› 04 von Waren und Dienstleistungen aus dem örtli-

das Ereignis Prinzenraub beliebig wird. Nach

chen Handwerk.

Überzeugung der Akteure ist das Projekt für viele

Kultur hat letztlich auch die Wirtschaft im

Jahre machbar. Auch für Oberbürgermeister Wolf

rheinland-pfälzischen Worms kräftig angekur-

ist es aus dem kulturellen Leben der Stadt nicht

belt. Ähnlich wie Altenburg kann die Stadt am

mehr wegzudenken.

Rhein als Schauplatz der Nibelungensage um den Helden Siegfried mit historischen Pfunden wuchern. 2002, zum Nibelungenjahr, sprangen

„DIE STADT ALTENBURG WIRD IHREN WEG GEHEN“

die Verantwortlichen hier ins kalte Wasser und brachten mit den Nibelungen-Festspielen erst-

Die Altenburger haben sich auch sonst viel vorge-

mals in Worms Theater der Premiumklasse auf die

nommen: Sie wollen neue Unternehmen akqui-

Bühne. Ein hochwertiges Stück an historischem

rieren und ein familienfreundlicher Wohn- und

Ort, mit Dieter Wedel ein Top-Regisseur und ein

Bildungsstandort werden. Ihre Probleme lösen sie

Ambiente rund um die Festspiele, das auch den

jetzt – auch mit dem Erfolgserlebnis Prinzenraub

VIPs die passende Bühne bietet. „Ein Kulturange-

im Rücken – offensiv. „Die Stadt wird ihren Weg

bot auf solch hohem Niveau“, sagt der Wormser

gehen“, ist Wolf sicher, „nicht nur, weil ihr Ober-

Oberbürgermeister Michael Kissel, „ist durchaus

bürgermeister ein Berufsoptimist ist.“

ein Standortfaktor.“ Während Worms als Nibelungenstadt sein Alleinstellungsmerkmal gefunden hat, dauert die Entwicklung hin zu einem unverwechselbaren Profil im thüringischen Altenburg noch an. Nach ersten Erfolgen ist Kontinuität gefragt, ohne dass

10

der Spezialist

INFO Kultur ist mittlerweile ein handfester Wirtschaftsfaktor. Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2006 trägt sie 2,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union bei. Das Beispiel Worms verdeutlicht die Entwicklung. Rund fünf Millionen Euro betrug das Gesamtbudget für die Nibelungen-Festspiele im Jahr 2004. 1,8 Millionen Euro wurden als Umsatz unmittelbar in Worms verbucht. Die Nettowertschöpfung betrug 1,1 Millionen Euro.


IM GESPRÄCH

Kultur Und wirtschaft als Strategische Partner Immer mehr Unternehmen setzen auch auf weiche Standortfaktoren, dazu gehört das kulturelle Angebot in der Region. Wie Künstler und Unternehmer voneinander profitieren können, erklärt Hans-Joachim Frey, Generalintendant des Bremer Theaters, im Interview. INTERVIEW › Daniel Günther und Stine Behrens

Der Spezialist: Kultur gilt als eine treibende Wirt-

Frey: Die Beziehung hat sich komplett verändert.

schaftskraft. Warum ist das so und welche Rolle

Beide Bereiche entdecken einander mehr und

spielt Kultur in Deutschland?

mehr, was ich wirklich gut finde. Kunst und Kultur werden in Deutschland vom Staat finanziert. Der

Frey: Grundsätzlich finde ich es erst mal schön,

kann diese Rolle aber auf Dauer nicht halten. Des-

dass es sich überhaupt in diese Richtung entwi-

halb geht die Kultur immer stärker auf die Wirt-

› 05 Hans-Joachim Frey ist seit 2007 Generalintendant des Bremer Theaters und setzt sich für den Dialog zwischen Kultur und Wirtschaft ein.

ckelt. Darin steckt aber auch eine Gefahr: Kultur darf nicht darauf reduziert werden, wie viele Arbeitsplätze sie bringt oder welche ökonomischen Vorteile sie erzielt. Denn sonst wird Kultur auf eine ausschließlich dienende Funktion reduziert. Kultur ist ein ganz wesentliches Element einer Gesellschaft, etwas Kreatives, wo Potenzial entsteht, wo über die Ränder geschaut wird und wo etwas entsteht, was nicht der Norm entspricht. Dass Kultur eine große Rolle in Deutschland spielt, lässt sich auch an harten Fakten zeigen: So gibt es beispielsweise in Deutschland mehr Arbeitsplätze in der Kultur als in der Automobilindustrie. Bei Ansiedlungsgesprächen mit Unternehmen geht es zu 90 Prozent um hard facts. Aber die letzten zehn Prozent sind rein emotional. Da sind auch Kunst und Kultur entscheidende Faktoren. Das wissen die Menschen noch zu wenig, merken aber, dass es von immer größerer Relevanz sein kann. Insofern ist Kultur wirklich eine ganz treibende Kraft. Der Spezialist: Wie hat sich die Beziehung von Kultur und Wirtschaft in den letzten Jahren ver-

› 05

ändert?

der Spezialist

11



IM GESPRÄCH

schaft zu und gleichzeitig entdeckt die Wirtschaft

ner mit der Semperoper in Dresden. Beides wurde

die Kultur. Hier im Theater Bremen gründen wir

als gemeinsame Marke definiert. Durch den Spot

beispielsweise gerade ein Board, das zukünftig

erlangte nicht nur die Brauerei, sondern auch die

auch Mitspracherechte haben soll. Unter den Mit-

Semperoper einen wahnsinnigen Popularitäts-

gliedern sind auch Wirtschaftsvertreter. So entste-

effekt. Sie wurde zu einer der bekanntesten Kul-

hen neue Einflüsse für das Theater. Bei Kulturver-

turmarken Deutschlands.

tretern gibt es da die Angst, dass die Wirtschaft zu dominant wird. Aber Unternehmer und Führungskräfte sind Meinungsträger der Gesellschaft.

JEDE KÜNSTLERISCHE ENTSCHEIDUNG IST EINE MARKETINGENTSCHEIDUNG

Wenn ich sie nicht von einem künstlerischen Projekt überzeugen kann, kann ich das Publikum

Der Spezialist: Wirtschaft und Kultur lernen also

auch nicht überzeugen. Sie sind wichtige Multi-

voneinander?

plikatoren. Gleichzeitig entdeckt die Wirtschaft aber auch die Möglichkeiten, mit Kunst und Kul-

Frey: Es ist eine provokante These, aber ich denke,

tur etwas zu erzählen. Beispiele sind die Autostadt

jede künstlerische Entscheidung ist eine Marke-

in Wolfsburg oder die Telekom-Werbung mit Paul

tingentscheidung. Im Ursprung denke ich künst-

Potts. Kunst wird genutzt und mit ihr wird etwas

lerisch, aber ich kann es nicht mehr von den Mar-

erreicht. Daher bin ich sehr optimistisch, dass sich

ketinggedanken trennen. Wenn ich ein Stück

das zukünftig weiterentwickelt.

auf den Spielplan nehme, muss ich mir Gedanken über die Zielgruppe machen. Ein Beispiel,

SPONSORING WIRD MEHR UND MEHR ZUR STRATEGISCHEN PARTNERSCHAFT

wie man eine Oper einem breiteren Publikum zugänglich machen kann, kommt aus Italien: Mir bot jüngst ein Komponist aus Rom eine Oper an,

Der Spezialist: Wo ist die Grenze für die Ver-

in der 40 Prozent der Komposition Rockmusik

mischung zwischen Kultur und Wirtschaft?

sind, die von einem italienischen Rockmusik-Star gemacht wird. So wurde ein tolles künstlerisches

PORTRÄT Hans-Joachim Frey wurde am 10. Juni 1965 in Gehrden bei Hannover geboren. Er studierte Operngesang, Regie und Kulturmanagement in Hamburg. Von 1997 bis 2003 war Frey Künstlerischer Betriebsdirektor, ab 2003 Operndirektor der Semperoper in Dresden. Seit August 2007 ist er Generalintendant des Theaters Bremen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Nachwuchsförderung, der künstlerische Dialog auf internationaler Ebene sowie der Austausch zwischen Kultur und Wirtschaft.

Frey: Ich bin kein großer Freund von Grenzen.

Projekt mit einem Marketingeffekt kombiniert. Es

Aber eine Grenze wäre sicherlich irgendeine Form

lässt sich also nicht mehr eindeutig trennen. Ich

der Zensur, beispielsweise wenn bei Theaterstü-

möchte diese Idee nun hier mit einem deutschen

cken bestimmte Szenen nicht gezeigt werden sol-

Rockmusiker umsetzen.

len. Wenn aber Filme oder Musicals bestimmten Spannungsbögen folgen, damit sie wirtschaftlich

Der Spezialist: Wie steht Deutschland im Bezug

erfolgreich sind, halte ich diese Form der inhaltli-

auf das Zusammenspiel von Kultur und Wirt-

chen Mitsprache für nachvollziehbar.

schaft im internationalen Vergleich da?

Der Spezialist: Wann macht es für ein Unterneh-

Frey: Da liegen wir ganz weit zurück. Man

men Sinn, sich kulturell zu engagieren?

muss jedoch auch unterscheiden: Wir haben in Deutschland das dichteste Kultursystem der Welt.

Frey: Für mich macht das natürlich immer Sinn.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz befin-

Zukünftig geht es aber nicht allein um Sponso-

den sich 70 Prozent aller weltweit bespielten The-

ring, sondern vielmehr auch um strategische

ater. Wenn ich das im Verhältnis sehe, was jedes

Partnerschaften. Solch eine Partnerschaft war

kleine Theater macht, sind wir ganz weit vorne.

beispielsweise die Werbung für Radeberger Pilse-

Aber in der Denke hängen wir hinterher. Die

der Spezialist

13


IM GESPRÄCH

deshauptstadt, hat aber eine nicht so starke Wirtschaft. Die Berliner können stolz sein, dass sie es trotz der Haushaltslage geschafft haben, all diese Theater, Museen und Opernhäuser zu erhalten. Mittlerweile siedeln sich in der Stadt auch mehr Unternehmen an, weil sehr viele interessante Menschen und die Politik da sind. Aber Berlin ist in erster Linie die größte Kulturstadt der Welt. Das wissen die Berliner mittlerweile und nutzen das für ihr Standortmarketing.

IMMATERIELLE WERTE UND GEISTIGE RESSOURCEN ALS ZUKUNFTSCHANCE Der Spezialist: Im Jahr 2003 waren Sie an der Gründung des Internationalen Forums für Kunst und Kultur, des Forum Tiberius, beteiligt. Welche Ziele verfolgt diese Initiative? Frey: Das Ziel der Initiative ist in einem Satz

› 06

gesagt: Vermittlung von Kultur für die Wirtschaft. Unser Slogan „Was kann Kultur für die Wirtschaft leisten?‘“ war natürlich von Anfang an provokant. Er ist auch kritisiert worden, weil Kultur darin eine dienende Funktion hat, sich also der Wirtschaft

› 06 Berlin, eine der größten Kulturstädte der Welt: Theater, Museen und Opernhäuser trotzen den Sparzwängen und ziehen mittlerweile mehr und mehr Unternehmen in die Bundeshauptstadt.

Bayerische Staatsoper ist beispielsweise im Hin-

anbiedert. Aber wir wollen der Wirtschaft zei-

blick auf Sponsoring das erfolgreichste deutsche

gen, warum der Umgang mit Kultur so notwendig

Opernhaus. Die Sponsoringeinnahmen liegen zwi-

ist. Zudem gründen wir gerade einen Weltkultur-

schen zwei und drei Millionen Euro. Im Vergleich

gipfel, bei dem die Frage im Vordergrund steht:

dazu: Die Metropolitan Opera in New York hat ein

Welches sind die großen zukünftigen Probleme

Budget von fast 200 Millionen Dollar. Davon kom-

dieser Welt? Das klingt platt, aber angesichts

men 1,5 Prozent vom Staat und der Rest ist privat

des Mangels an natürlichen Ressourcen könnte

finanziert. Aber dahinter steht auch ein anderes

es durchaus sein, dass gerade in der westlichen

System. Hier in Deutschland sind wir staatliche

Welt alles Materielle bald ausgeschöpft ist. Dann

Betriebe, in den USA funktionieren Opernhäuser

rücken verstärkt immaterielle Werte und geistige

oder Theater wie Stiftungen.

Ressourcen in den Vordergrund. Vielleicht ist es ja genau das, was uns Europäer in den nächsten Jah-

Der Spezialist: Kultur gilt als Standortfaktor für eine Stadt oder gar eine ganze Region. Was wäre beispielsweise Berlin ohne Kultur? Frey: Die Standortfrage ist eine Identitätsfrage. Ohne Kultur wäre Berlin nichts. Sie ist zwar Bun-

14

der Spezialist

ren auszeichnet.


AUS DEN BRANCHEN

Schraube sucht Mutter Aus einem Baukasten individuell auf Kundenwunsch produzierte Produkte stellen die Hersteller oft vor Probleme, denn nicht alle Bauteile sind kompatibel. Produktkonfiguratoren helfen dem Außendienst vor Ort, alle passenden, umsetzbaren Kombinationen zu präsentieren und nicht mögliche auszuschließen. TEXT › Klaus Winter

Produzierende Unternehmen können ein Lied

len komplexe, variantenreiche Produkte her, die

davon singen: Der Vertrieb variantenreicher Pro-

individuell nach Kundenwunsch oder -anforde-

dukte ist ein schwieriges und zuweilen unrentab-

rungen gefertigt werden.

les Geschäft. Denn wer sich bei der Konfiguration des Wunschproduktes auf Kataloge oder einfache Listen verlässt, riskiert Fehler. Im schlimmsten Fall

100 TRILLIARDEN MÖGLICHE KOMBINATIONEN – UND EBENSO VIELE UNMÖGLICHE

verkauft der Mitarbeiter im Vertrieb dem Kunden ein Produkt, das in dieser Form gar nicht herstell-

Zu diesen Kunden zählt auch der Antriebstech-

bar ist. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bie-

nikhersteller Lenze AG. Denn die Lenze-Getrie-

ten so genannte Produktkonfiguratoren, wie sie

bemotoren lassen sich theoretisch in Trilliarden

beispielsweise von der Firma encoway angebo-

möglichen Kombinationen aus einem Baukasten-

ten werden. Das im Jahr 2000 gegründete Unter-

system zusammenstellen – allerdings gibt es auch

nehmen gehört zur Lenze-Gruppe und beschäftigt

sehr viele „nicht baubare“ Zusammenstellungen,

derzeit rund 60 Mitarbeiter an seinem Standort in

und die gilt es, von vornherein auszuschließen.

Bremen.

Was die Aufgabe für den Vertrieb zusätzlich er-

Die Konfigurationslösungen von encoway kön-

› 07 Damit die Auswahl komplexer Produkte nicht zum Suchspiel wird: Produktkonfiguratoren finden die realisierbaren Varianten.

schwert, ist die Tatsache, dass nahezu alle Vari-

nen per Schnittstelle direkt an die EnterpriseResource-Planning(ERP)-Systeme der produzierenden Unternehmen angebunden werden oder auch in Customer-Relationship-Management(CRM)-Systeme integriert werden. In diesen Systemen sind häufig die Daten einzelner Komponenten, das Beziehungswissen und Kundendaten hinterlegt. Diese werden für die Herstellung der Produkte und für die Erstellung der Angebote benötigt. Die Konfiguratoren berücksichtigen die Abhängigkeiten der einzelnen Komponenten für den vertrieblichen Auswahl- und Angebotsprozess. So können quasi „auf Knopfdruck“ vor Ort beim Kunden korrekte Auftrags- und Bestelldaten

› 07

generiert werden. Die Kunden von encoway stel-

der Spezialist

15


AUS DEN BRANCHEN

anten wiederum Abhängigkeiten untereinander

fläche Schritt für Schritt die Auswahlmöglich-

aufweisen, also nicht beliebig miteinander kom-

keiten an technischen Merkmalen einschränken.

binierbar sind. So passt nicht jedes Getriebe in

Hat sich ein Kunde beispielsweise entschieden,

jedes Gehäuse, nicht jede Bremse zu jedem Motor.

in welcher Energieeinheit das Messgerät den Ver-

Zudem kommen aus der Entwicklungsabteilung

brauch messen und anzeigen soll, zeigt der Konfi-

laufend neue Varianten hinzu. Um hier den Über-

gurator nur noch die weiteren Produktmerkmale

blick zu behalten, ist ein zuverlässiges Konfigura-

an, die damit kombinierbar sind. Zudem wer-

tionswerkzeug unumgänglich.

den über den Hykon weitere für die Auftragsab-

Auch bei der Hydrometer GmbH ist keine Pro-

wicklung relevante Daten zur Verfügung gestellt,

duktanfrage wie die andere. Das Unternehmen

wie Stücklisten, Prüfpläne und Typenschildda-

entwickelt und fertigt innovative Messtechnik für

ten. Diese werden in einem Warenkorb über eine

den Wasser- und Wärmeverbrauch in Privathaus-

Schnittstelle an das Warenwirtschaftssystem des

halten und öffentlichen Einrichtungen. Fast jedes

Unternehmens übertragen. „Der Konfigurator ist

Messgerät wird individuell nach Kundenwunsch

aus unserem Betrieb heute nicht mehr wegzuden-

zusammengestellt. Um sowohl im eigenen Ver-

ken“, betont Christoph Dörrbeck, Projektleiter bei

trieb als auch in der Auftragsabwicklung Bestell-

der Hydrometer GmbH. Denn ohne Hykon würde

und Konfigurationsfehler auszuschließen, setzt

es teilweise Tage dauern, um zu klären, ob die

das Unternehmen den Variantenkonfigurator Hy-

gewünschten Produktmerkmale in dieser Form

kon von encoway ein. Die zentrale Wissensbasis

kombinierbar und technisch umzusetzen sind.

des Hykon enthält Artikel, Komponenten und das

Die Tools sind speziell für den Vertrieb ent-

Beziehungswissen eines Produktes. Die Vertriebs-

wickelt und arbeiten webbasiert. Daher sind sie

mitarbeiter können über die Konfigurationsober-

auch unterwegs und somit vor Ort beim Kunden

› 08 Thomas Johnsen setzt bei encoway auf bedienungsfreundliche Softwarelösungen, die die Vertriebsmannschaft seiner Kunden umfassend unterstützen.

› 08 16

der Spezialist


AUS DEN BRANCHEN

› 09 nutzbar. Daten von Produkten und Einzelbau-

erfasst hat, der kann dies einfach und komforta-

teilen können ebenso wie bereits vorhandenes

bel über das encoway-Tool erledigen – diese Infor-

Beziehungswissen beispielsweise aus gängigen

mationen werden wiederum in das ERP-System

ERP-Systemen von SAP, Microsoft oder Baan über-

übernommen. „Entscheidend ist, dass die Daten-

nommen und ergänzt werden. Die Vertriebsmit-

pflege immer nur an einer einzigen Stelle erfolgen

arbeiter erhalten mit den Tools von encoway die

muss und anschließend in allen beteiligten Syste-

Möglichkeit, mit Hilfe einer optisch ansprechen-

men zur Verfügung steht“, erklärt Thomas John-

den, einfach zu bedienenden Oberfläche selbst

sen, Vertriebsleiter von encoway.

komplexeste Produkte fehlerfrei zusammenzustellen.

› 09 Produktkonfiguratoren sparen Zeit, Ressourcen und Geld. Die Softwarelösung weiß, welche Bauteile kompatibel sind und welche nicht.

Der Konfigurator bietet außerdem die Möglichkeit, jedes Bauteil mit begleitendem Marketingmaterial zu versehen. So können Fotos, tech-

ZUSATZFUNKTIONEN MACHEN DEN KONFIGURATOR ZUM VERTRIEBSINSTRUMENT

nische Zeichnungen, Konstruktionsdetails oder auch Animationen und Videodateien hinterlegt und zum Zweck einer besseren und anschauli-

Grundlage für das fehlerfreie Funktionieren ei-

cheren Beratung abgerufen werden. Eine Funk-

nes Konfigurationssystems ist die gewissenhafte

tion, die Dr. Armin Walter, Leiter Product & Sales

Pflege der Bauteile und Variantenabhängigkei-

Support der Lenze AG, zu schätzen weiß: „Unsere

ten. In einigen Unternehmen sind diese Abhän-

Mitarbeiter können so komplexe Zusammen-

gigkeiten bereits in den ERP-Systemen hinterlegt –

hänge unkompliziert und übersichtlich darstel-

sie müssen vom Konfigurator also nur ausgele-

len. Außerdem wird das Mitführen von gedruck-

sen und entsprechend dargestellt werden. Wer

tem Material nahezu überflüssig.“

die Variantenabhängigkeiten bislang noch nicht

der Spezialist

17


HISTORY

Gegen alle Widerstände Gewässer als Start- und Landebahnen für Flugzeuge zu benutzen war keine schlechte Idee. Doch die physikalischen Eigenschaften von Wasser und der Schiffsverkehr stellten den visionären Vordenker und Erfinder des Wasserflugzeugs Wilhelm Kress vor große Herausforderungen. TEXT › Matthias Huthmacher

Wir schreiben den 3. Oktober 1901. Auf dem idyl-

Beweis: Ein Drachenfliegermodell aus Stoff, Draht

lischen Wienerwaldsee, etwa 20 Kilometer west-

und Bambusrohr mit einer Flügelspannweite von

lich der österreichischen Hauptstadt, gesche-

1,30 Metern hebt vom Boden ab. Dabei segelt das

hen seltsame Dinge: Wie eine urzeitliche Riesen-

„Aeroveloce“ nicht einfach: Es wird von zwei mit

Libelle gleitet bei Tullnerbach eine dreiflügelige

Tuch bespannten Luftschrauben bewegt. Für das

Erscheinung über die Wasserfläche. Das wunder-

Rotieren der sogenannten Fahnenpropeller sorgt

liche Fluggerät nimmt unter Motorenlärm Anlauf,

ein Gummischnurantrieb.

rast in Richtung Staumauer, bremst kurz davor ab

Doch Wilhelm Kress will mehr: Der Mensch

und dreht. Dreimal wiederholt sich dieses Manö-

selbst soll als Passagier durch die Luft getragen

ver, dann, im vierten Versuch, passiert es: Beim

werden. Entwicklung und Bau eines entsprechen-

Wenden erfasst eine Windböe das Fahrzeug – es

den Gerätes kosten jedoch Geld, viel Geld. Kress

› 10 Modell eines Dreiflüglers von Wilhelm Kress. Das Flugzeug wurde aufgrund von Finanzierungsproblemen nie realisiert.

kentert und versinkt in den Fluten.

NICHTS, DAS SCHWERER ALS LUFT IST, K ANN FLIEGEN – ODER DOCH? Der Mann, der sich mit knapper Not an die Wasseroberfläche retten kann, heißt Wilhelm Kress. Er wird als Erfinder des Wasserflugzeugs in die Geschichte der Luftfahrt eingehen. 67 Jahre ist er bereits alt und besessen von der Idee, sich mit Motorenkraft in die Lüfte zu erheben. Schon 1865 baut er einen frei fliegenden Luftkreisel und ein Flugmodell mit Uhrfederantrieb, das sich jedoch als zu schwer erweist. Zu dieser Zeit stellen die Menschen den bislang als unumstößlich geltenden Grundsatz in Frage, der besagt, dass nichts fliegen könne, was schwerer sei als Luft. Das Gegenargument lautet: Es braucht nur genügend Auftrieb durch Luftströmung unter ausreichend Flügelfläche. Im Sommer 1877 liefert Wilhelm Kress den

18

der Spezialist

PORTRÄT Am 29. Juli 1836 als Sohn deutscher Eltern im russischen Sankt Petersburg geboren, erlernt Wilhelm Kress dort den Beruf des Klavierbauers. Zwischen 1857 und 1864 packt ihn auf Reisen durch Mitteleuropa zum ersten Mal das Flugfieber und das lässt ihn künftig nicht mehr los.


› 10


HISTORY

men, der drei mit Tuch bespannte, hintereinander gestaffelte und von oben nach unten versetzte Flügel sowie eine ausgeprägte Heckflosse trägt. Die Anordnung der Segel soll Störungen des Luftstroms verhindern. Ihre Spannweiten betragen elf, zwölf und dreizehn Meter. Insgesamt kommen 85 Quadratmeter Flügelfläche zusammen. Die Bodenplatte für den Piloten und den Motor ist unter den Tragflächen auf zwei Schwimmern aus Aluminium montiert. Das komplette Fluggerät misst

› 11

16,32 Meter in der Länge und 4,50 Meter in der Höhe, das Gewicht beträgt 850 Kilogramm.

ZEITZEUGEN SEHEN NUR EINEN „HÜPFER“ › 11 Konstruktionszeichnungen eines Wasserflugzeuges von Wilhelm Kress (1901).

fertigt also weitere unbemannte Flugobjekte,

Der Flugzeugbauer wählt Wasser als Start- und

die er zum Verkauf anbietet. Durch Vorführun-

Landebahn, weil er dort bei Unfällen mit weniger

gen versucht er, ein breiteres Publikum für seine

Beschädigungen an der Maschine rechnet als auf

Ideen zu begeistern. Gleichzeitig experimentiert

einer Wiese. Und doch wird ihm das nasse Element

er weiter, betreibt erste Hubschrauberstudien und

zum Verhängnis: Der nahezu 400 Kilogramm wie-

besucht im Alter von 57 Jahren als Gasthörer die

gende Motor, eigentlich für den Einsatz in Autos

Technische Hochschule in Wien, um sein Wissen

konzipiert, drückt die als Schwimmer dienenden,

im Maschinenbau zu vertiefen. Schließlich findet

nach oben offenen Bootskiele zu tief ins Wasser –

er die Unterstützung einer Fördergruppe, sogar

als jener Windstoß am 3. Oktober 1901 den Dreide-

Kaiser Franz Joseph interessiert sich für das Vor-

cker erfasst, läuft ein Schwimmkörper voll. Den-

haben.

noch wollen Zeitzeugen gesehen haben, dass „Drachenflieger 1“ vor der fatalen Wende kurz die Was-

ERSTER STEUERKNÜPPEL, DER QUER- UND HÖHENRUDER KOMBINIERT

seroberfläche verlassen hat – zwei Jahre vor dem bemannten Erstflug der Gebrüder Wright mit einem Landflugzeug. Dabei dürfte es sich jedoch

20

der Spezialist

1898 sind endlich genügend Mittel zusammen,

allenfalls um einen Hüpfer gehandelt haben. Ver-

um mit dem Bau eines bemannten Flugzeugs

mutlich wollte Wilhelm Kress an diesem schick-

zu beginnen. Drei Jahre nimmt das Projekt „Dra-

salhaften Donnerstag auch gar nicht fliegen: Ihm

chenflieger 1“ in Anspruch. Dabei gelingt Wilhelm

ging es um die Erprobung des Schwimmverhal-

Kress mit dem ersten Steuerknüppel zur kom-

tens. Für die eigentlichen Flugversuche plante er,

binierten Bedienung von Quer- und Höhenru-

auf einen der größeren Seen in Kärnten zu gehen.

der eine weitere bahnbrechende Erfindung – bis

Dazu kommt es nicht mehr. Zwar nimmt der

dahin mussten die Ruder einzeln betätigt werden.

beharrliche Tüftler noch ein vierflügeliges Was-

Als Motorisierung kauft er einen 30 PS leistenden

serflugzeug auf geschlossenen Schwimmern in

Vierzylinder-Benziner von den Daimler-Werken,

Angriff, das jedoch wegen finanzieller Schwierig-

der zwei gegenläufig rotierende, elastische Fah-

keiten nicht über den Rohbau hinauskommt. Wil-

nenpropeller antreiben soll. Der Flugkörper selbst

helm Kress stirbt am 24. Februar 1913 nach länge-

besteht aus einem dünnwandigen Stahlrohrrah-

rer Krankheit in Wien.


HISTORY

Der erste Flug mit einem Wasserflugzeug gelingt

das Wasserflugzeug nach dem Zweiten Weltkrieg

noch zu Kress’ Lebzeiten: Der französische Inge-

jedoch an Bedeutung. Der Platz auf den natürli-

nieur Henri Fabre, der zuvor noch nie in einem

chen Landebahnen ist durch den Schiffsverkehr

Flugzeug gesessen hatte, startet und landet am

eingeschränkt. Wind und Wellengang erschweren

28. März 1910 vor Marseille im Wasser. Fabre hatte

Start und Landung, was einen geregelten Flug-

unabhängig von Kress dessen Ansätze weiterent-

verkehr behindert. Zudem sind den Dimensio-

wickelt. Zu den wesentlichen Veränderungen sei-

nen eines Wasserflugzeugs enge Grenzen gesetzt:

nes Flugzeugs „Hydravion“ gehörten ein 50 PS

Mit wachsender Größe des Flugkörpers werden

starker, gewichtsoptimierter Sternmotor sowie

auch immer größere Schwimmer nötig. Das führt

robuste, geschlossene Schwimmer.

schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren zur Entwicklung von Flugbooten, bei denen der kom-

› 12 Das Schwimmflugzeug Dornier Do-X verfügt über zwölf Motoren. Mit Platz für 170 Passagiere war es Anfang der Dreißigerjahre das größte Flugzeug der Welt.

WASSERFLUGZEUGE VERLIEREN NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG AN BEDEUTUNG

plette Rumpf wie ein Schiffskörper geformt ist. Sie erfordern wegen des Saugeffekts von Wasser aber noch stärkere Motoren: Das 1952 fertig

In den folgenden Jahrzehnten entstehen in Eu-

gestellte Flugboot „Saunders-Roe Saro Princess“

ropa zahlreiche Wasserflughäfen, weil damit kos-

gilt bis heute als das größte seiner Art und benö-

tengünstige Start- und Landebahnen verfügbar

tigte zum Transport von maximal 105 Passagie-

sind. Mit wachsendem Flugaufkommen verliert

ren schon zehn Turboprop-Triebwerke mit jeweils 3.245 PS. Dazu kommen weitere konstruktionsbedingte Nachteile der wassergestützten Maschinen: Sowohl der Rumpf eines Flugboots als auch die nicht einziehbaren Schwimmer eines Wasserflugzeugs verschlechtern im Vergleich zu landgestützten Flugzeugen die Aerodynamik. Flugboote werden heute fast nur noch als Löschflugzeuge eingesetzt. Wasserflugzeuge dagegen dienen weiterhin der Personenbeförderung: Im Linienverkehr inselreicher Regionen wie den Malediven, in Nordamerika sowie für Rettungsmannschaften und Besucher abgelegener Gegenden sind die Flugzeuge auf Schwimmern unentbehrlich.

› 12 der Spezialist

21


› 13


technische projekte

Komplexe Systeme schaffen Sicherheit Immer komplexer, immer sicherer. So lässt sich die Entwicklung der elektronischen Helfer im Automobil zusammenfassen. Die Ingenieure bei VW sorgen dafür, dass die Software und Hardware der Steuergeräte auch unter Extrembedingungen zuverlässig funktioniert. TEXT › Matthias Huthmacher

Der 21. Oktober 1997 hat die Autowelt verändert. Beim soge-

Fahrwerk, Bremse sowie Schlupfre-

nannten Elchtest, einem in Nordeuropa schon damals gängi-

gel- und Assistenzsysteme.

gen, doppelten Ausweichmanöver, kippte die funkelnagelneue

Drei von ihnen beschäftigen

A-Klasse von Mercedes um. Das hatte weitreichende Folgen für

sich mit der Entwicklung von Soft-

die gesamte Automobilindustrie. Elektronische Stabilitätspro-

und Hardware für ESP-Steuergeräte.

gramme (ESP), bis dahin nur in gehobenen Fahrzeugklassen im

Dabei ist Frank Goldberg, Diplom-

Einsatz, traten ihren Siegeszug quer durch die Modellpaletten

Ingenieur der Elektrotechnik, zu-

an. Geht es nach dem Willen der EU, dann werden sie ab dem

ständig für die Modellreihen Passat

Jahr 2012 für alle Neuwagen sogar vorgeschrieben.

und Tiguan. Jean-Jacques Engamba,

Dabei wurde ESP ursprünglich gar nicht gegen das Kippen

ebenfalls Elektrotechnik-Ingenieur,

eines Autos erdacht. Vielmehr soll über den gezielten Brems-

und Stefan Kraut, Ingenieur der

eingriff an je nach Fahrsituation unterschiedlichen Rädern das

Technischen Informatik, kümmern

Schleudern des Wagens schon im Keim erstickt werden. Gleich-

sich um das ESP für die Golf-Platt-

zeitig greifen die meisten Systeme auch noch in das Motoren-

form. Diese kommt innerhalb des

management ein und nehmen Gas weg. Weil die Elektronik

Volkswagen-Konzerns auch noch bei

dadurch auch extreme Lenkwechsel entschärft, lässt sie erst

Audi, Seat und Skoda zum Einsatz.

gar kein destabilisierendes Aufschaukeln des Wagens zu – das

Mit jeder Modelländerung muss

Unterbinden von Kippneigungen gibt es damit quasi als Bonus

die Software an die neue Mechanik

dazu.

und Elektronik angepasst werden. „Unsere größte Herausforderung ist

DIE HERAUSFORDERUNG IST DIE STÄNDIG STEIGENDE KOMPLEXITÄT ELEKTRONISCHER SICHERHEITSSYSTEME

aber die stetig zunehmende Komplexität elektronischer Sicherheitssysteme“, erklärt Frank Goldberg.

Volkswagen zählt zu jenen Herstellern, die nach dem Elchtest

Das ESP greift mittlerweile ja nicht

am schnellsten reagierten und ESP rasch in ihre Baureihen

nur auf die ABS-Bremse zurück, son-

einführten. Seither werden die Systeme stetig weiterentwi-

dern enthält zahlreiche weitere inte-

ckelt, verbessert und ergänzt. Und hier sind sie an entscheiden-

grierte Funktionen. Dazu zählen bei-

der Stelle dabei – vier Mitarbeiter der Brunel Niederlassung in

spielsweise Motor-Schleppmoment-

Wolfsburg. Sie sind in der Abteilung EFBS der technischen Ent-

Regelung, Antriebsschlupfregelung,

wicklung der Volkswagen AG eingesetzt, so genannt nach den

elektronische Bremskraftverteilung,

Anfangsbuchstaben der betroffenen Bereiche Entwicklung,

hydraulischer Bremsassistent, elek-

› 13 Bei jeder Modelländerung muss auch die Software an die neue Mechanik angepasst werden.

der Spezialist

23


technische projekte

tronische Differenzialsperre, Brems-

bedienten Handbremse dar, nur dass hier über Elektromoto-

scheibenwischer zum Trocknen der

ren aktivierte Spindelantriebe die hinteren Bremsbeläge anle-

Bremsscheiben, die Gespannstabili-

gen und arretieren. Doch die EPB kann noch viel mehr. Sie dient

sierung für den Anhängerbetrieb

beispielsweise auch als Anfahrassistent: Wird sie am Berg akti-

oder die automatische Abstandsre-

viert, hält sie das Auto so lange fest, bis die Elektronik anhand

gelung ACC – je nach Fahrzeug sind

von Gaspedalstellung und Kupplungsstand erkennt, dass wie-

mehr oder weniger dieser Aufgaben

der angefahren werden soll – dann löst sie sich von selbst.

in der ESP-Steuerung enthalten.

Auch zur Autohold-Funktion des Tiguan trägt sie bei. Stoppt dessen Fahrer am Hang, muss er nicht die ganze Zeit auf dem

EPB: AUS DER HANDBREMSE WIRD EIN ANFAHRASSISTENT

Bremspedal stehen bleiben. Zunächst wird der durch das Treten der Fußbremse aufgebaute Druck der Bremshydraulik „eingefroren“ und hält das Fahrzeug fest. Fällt aber der Druck des

› 14 Aktuell arbeiten (v. l.) JeanJacques Engamba, Frank Goldberg und Christian Hoffmann an der Elektronik diverser VW Modelle. Kleines Foto: Stefan Kraut

Und dann gibt es noch die elektro-

Bremssystems, etwa durch das Ausschalten des Motors, greift

mechanische Feststellbremse, kurz

automatisch die EPB ein – das Auto bleibt am Platz. Außerdem

EPB (Electronic Parking Brake) ge-

kann über die EPB-Taste in einer Notsituation eine Vollbrem-

nannt. Christian Hoffmann, Diplom-

sung ausgelöst werden. Um diese weiter reichenden Funktio-

Ingenieur der Elektrotechnik und der

nen erfüllen zu können, muss auch die EPB mit dem ESP ver-

vierte der Wolfsburger Brunel-Inge-

netzt sein.

nieure, ist für die EPB-Steuergeräte

„Wir sind Versuchs-, Test- und Entwicklungsingenieure in

von Passat und Tiguan verantwort-

einem“, umschreibt Christian Hoffmann das weit gesteckte

lich. Auf den ersten Blick stellt dieses

Aufgabenfeld des Brunel-Teams. „Wir definieren neue Aufgaben

System einfach einen Ersatz der klas-

und entwerfen die Protokolle dazu, führen die Tests anschlie-

sischen, mechanisch über Seilzüge

ßend selbst durch, werten danach die Ergebnisse aus und doku-

› 14 24

der Spezialist


technische projekte

› 15 mentieren sie.“ Mit anderen Worten: Nicht nur ein verantwor-

„Fail safe test“ nennen sie das –

tungsvoller, sondern auch ein abwechslungsreicher Job. Eine

auch bei auftretenden Fehlfunktio-

Arbeit, die Theorie und Praxis gleichermaßen umfasst: „Die Zeit

nen einzelner Komponenten muss

im Büro und draußen im Auto verteilt sich etwa 50:50“, so Hoff-

das Gesamtsystem sicher arbeiten.

mann.

Meist sitzen die Brunel-Ingenieure bei der praktischen Fahrdyna-

AUCH BEI SENSORAUSFÄLLEN MUSS DIE ELEKROMECHANISCHE PARKBREMSE ZUVERLÄSSIG FUNKTIONIEREN

mikerprobung selbst hinterm Lenkrad. Wie bei Autotestern üblich,

› 15 Der Golf I und der Golf V im direkten Vergleich: Bereits das Fahrwerk des Golf I war Dank seiner großen Sicherheitsreserven wegweisend. Seither wurde es bei jedem Nachfolgemodell weiterentwickelt.

haben sie dazu spezielle FahrertraiDer Arbeitsplatz wechselt ständig. Am Schreibtisch werden

nings absolviert. Die idealen Voraus-

unterschiedliche Szenarien erdacht und die Steuereinheiten

setzungen zur praktischen Erpro-

entsprechend programmiert. Im Labor erfolgt die Inbetrieb-

bung von Sicherheits- und Assis-

nahme neuer Geräte: Dort müssen sie sich in den virtuell erzeug-

tenzsystemen sind Straßen, die mit

ten Fahrsituationen einer HIL-Simulation („Hardware in the

ausreichend Schnee und Eis bedeckt

Loop“ – Der Spezialist berichtete über dieses Thema in Ausgabe

sind. Daher packen die Spezialisten

11) erstmals bewähren. Doch dann geht es hinaus aufs Testge-

auch schon mal mitten im Winter

lände oder auf die Straße. Über ihren Laptop haben die Ingeni-

ihre dicken Daunenjacken ein und

eure direkten Zugriff auf das zu prüfende Steuergerät des Autos

reisen dorthin, wo sie die optimalen

und können es manipulieren. Damit provozieren sie im realen

Witterungsbedingungen finden.

Fahrversuch jene Situationen, die sie vorab festgelegt haben. Das ESP-Trio beispielsweise lässt den Gierratensensor ausfallen – die Stabilitätskontrolle verliert damit zwar den Zugriff auf dessen Daten, muss aber beim folgenden Fahrversuch trotzdem Mindestfunktionen wie das ABS aktivieren. Oder Christian Hoffmann simuliert einen Defekt des Kupplungssensors – die elektronische Parkbremse soll dennoch beim Anfahren mit zusätzlicher Betätigung der EPB-Taste die Bremsen lösen.

der Spezialist

25


MITARBEITER UND KARRIERE

Avionikspezialistin startet durch Sie hat eine exzellente internationale Ausbildung und arbeitet in einem Bereich, in dem es weltweit nur wenige Experten gibt: Yurong Zhang ist bei Lufthansa Technik in Hamburg im Einsatz, um Design und Entwicklung von Avioniksystemen zu unterstützen. TEXT › Frank Littek

Manchmal, wenn Yurong Zhang in den großen

moderner Verkehrsflugzeuge. Für diesen äußerst

Werkshallen von Lufthansa Technik in Hamburg

komplexen Bereich gibt es nicht viele Spezialis-

oder Frankfurt unterwegs ist, scheint die Welt

ten. Yurong Zhang ist eine davon.

klein wie ein Dorf. „Es kommt immer wieder vor,

Lufthansa Technik agiert heute weltweit. Das

dass ich einem Ingenieur begegne, mit dem ich

Unternehmen übernimmt die Instandhaltung,

schon vor etwa acht Jahren bei AMECO in Peking

Modernisierung und Modifizierung von Flugzeu-

zusammengearbeitet habe“, stellt die 31-Jährige

gen der Lufthansa Flotte sowie für Partner aus

fest, die in China geboren wurde und dort aufge-

aller Welt. Große Airlines oder zahlungskräftige

wachsen ist. Kein Wunder: AMECO, die Aircraft

Einzelpersonen, Regierungen oder Unternehmen

Maintenance and Engineering Corporation, wur-

können hier individuelle Wünsche von der Leder-

de als Joint Venture zwischen der Lufthansa und

ausstattung bis zur Sonderlackierung verwirkli-

Air China gegründet. Das Unternehmen hat sich

chen lassen. Dabei spielen Arbeiten an Avionik-

auf die Instandhaltung und den Umbau moder-

systemen eine große Rolle.

ner Verkehrsflugzeuge spezialisiert. Für Lufth-

Am Lufthansa Technik Standort in Hamburg

ansa-Techniker ist ein Aufenthalt in Peking des-

gehört Yurong Zhang zu einem Team von 13 hoch-

halb nichts Ungewöhnliches. Die Brunel-Spezi-

qualifizierten Spezialisten. Nur dieses Team darf

alistin Yurong Zhang sammelte bei AMECO im

Umbauten im Cockpit der Maschinen vornehmen.

Anschluss an ihr Studium erste berufliche Erfah-

Die anfallenden Arbeiten sind so vielfältig wie

rungen als Produktionsingenieurin.

die Wünsche der Kunden. Ein typisches Beispiel ist die Entwicklung eines neuen Kommunikati-

MODIFIZIERUNG UND MODERNISIERUNG VON FLUGZEUGEN SIND IHR SPEZIALGEBIET

onspanels für das Cockpit, an dem die junge Ingenieurin maßgeblich beteiligt war. Bei der ursprünglich vorhandenen Lösung gab es im Cock-

Seitdem ist viel Zeit vergangen – Zeit, in der Yu-

pit jeweils vier einzelne Schaltelemente für die

rong Zhang viel Know-how und vor allem prak-

Kontrolle von UKW-, Kurzwellenfunk und ACARS.

tische Erfahrung gewinnen konnte. Heute, bei

Die neue Lösung integriert die vier Schaltele-

Lufthansa Technik, arbeitet sie nicht mehr als

mente in einem Panel, über das die entsprechen-

Produktionsingenieurin. Stattdessen gehören zu

den Kommunikationssysteme zentral angesteu-

ihren Aufgaben das Design und die Entwick-

ert werden können. ACARS steht als Abkürzung

lung von Avioniksystemen. Der Begriff Avio-

für Air-to-Ground Communication and Repor-

nik bezeichnet die gesamte Elektronik an Bord

ting System. Dabei handelt es sich um ein satel-

26

der Spezialist

PORTRÄT 2006 wurde Yurong Zhang Mitarbeiterin von Brunel. Rund anderthalb Jahre lang war sie bei Lufthansa Technik in Frankfurt im Einsatz. Als dann der Standort Hamburg Bedarf an einer Avionikspezialistin anmeldete, hatte das Unternehmen eine Wunschkandidatin: Yurong Zhang.



MITARBEITER UND KARRIERE

litenbasiertes Kommunikationsystem zwischen

dium im Fachbereich Elektrische Kommunika-

Flugzeug und Boden. Gehen im Cockpit Nach-

tionstechnik an der Universität Kassel an. Dass

richten über ACARS ein, werden diese auf einem

dabei die Wahl auf Deutschland fiel, hängt eng

kleinen Display angezeigt. Die Piloten haben die

mit der Arbeit bei AMECO zusammen. „Viele Stu-

Möglichkeit, die Informationen auf einem klei-

denten in China streben ein Studium in den USA

nen Drucker auszugeben. Über ACARS rufen die

an. Das war zunächst auch mein Wunsch. In der

Piloten häufig Wetterberichte während des Flu-

Zeit bei AMECO habe ich dann sehr viel mit deut-

ges ab. Auch die Kommunikation mit Wartungs-

schen Ingenieuren zusammengearbeitet und war

technikern der eigenen Airline erfolgt meist über

beeindruckt von ihrer Qualifikation, von ihrer

ACARS, genauso wie über das System wechseln-

ruhigen und gründlichen Art, technische Pro-

de Gatenummern für Anschlussflüge übermittelt

bleme zu lösen“, erinnert sich Yurong Zhang. So

werden. Yurong Zhang entwarf dabei das Panel,

entschied sie sich für Kassel. Unterstützt wurde

entwickelte das Testverfahren, mit dem die ord-

sie dabei durch Stipendien von der Siemens AG

nungsgemäße Funktion überprüft wurde, und

und der Rheinstahl-Stiftung. Das Studium gefiel

auch gleich das Wartungshandbuch für das neue

ihr sehr gut. „In Deutschland haben Studenten

Bauteil.

mehr Möglichkeiten, sich auszusuchen, was sie lernen möchten. In China ist alles sehr viel fes-

„ICH LERNE JEDEN TAG ETWAS NEUES. DAMIT WÄCHST MEINE ERFAHRUNG MIT JEDEM TAG“

ter organisiert und vorgegeben“, vergleicht sie das Studium in beiden Ländern. „Außerdem müssen Studenten in China sehr viel mehr auswendig

Die Arbeit bei Lufthansa Technik ist vielseitig,

lernen“, erzählt sie weiter und fügt lachend hinzu:

abwechslungsreich und technisch sehr tiefge-

„Zudem sind die Semesterferien in Deutschland

hend“, sagt Yurong Zhang über ihre Arbeit. Es

viel länger als in China.“

gibt immer viele Möglichkeiten, ein technisches Problem zu lösen. Eine Herausforderung ihrer

› 16 Yurong Zhang ist in China geboren, studierte zunächst in ihrer Heimat, bevor sie in Deutschland ihren Master machte und 2006 bei Brunel einstieg.

Arbeit liegt darin, den für den jeweiligen Kunden optimalen Weg zu finden. Dazu braucht man vor allem eines: viel Erfahrung. Lernen ist für die junge Chinesin dabei ein nicht endender Prozess: „Ich lerne jeden Tag etwas Neues. Damit wächst meine Erfahrung mit jedem Tag.“ Angefangen hat die Karriere von Yurong Zhang mit einem Studium der Luftfahrttechnik am Civil Aviation Institute der Northwestern Polytechnical University der Stadt Xi’an in China. Ihr Schwerpunkt war schon zu dieser Zeit die Avionik. Vor allem ihre Mutter, die auch Ingenieurin ist, hatte Vorbildcharakter: Durch sie kam Yurong Zhang sehr früh mit technischen Themen in Berührung. Das Studium beendete sie 1999 mit einem Notendurchschnitt von 1,3 und arbeitete im Anschluss als Produktionsingenieurin bei AMECO in Peking. An diese Praxisphase schloss sich ein Masterstu-

28

der Spezialist

› 16


MITARBEITER UND KARRIERE

› 17 Auf das Studium folgte dann bis Ende 2005 eine

für meine Situation mit dem Baby vollstes Ver-

Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an

ständnis. Der Kontakt war sofort positiv.“ Ins-

der Universität Hannover im Fachbereich Hoch-

besondere dieser sehr menschliche Kontakt zur

frequenztechnik. Zunächst war ihr Ziel die Promo-

Teamleiterin ist für sie auch heute noch wichti-

tion, doch sie orientierte sich um. Das Interesse an

ger Bestandteil der Unternehmenskultur. Im Mai

einer Tätigkeit in der Industrie wuchs. Auch privat

2006 kam sie zu Brunel und nahm die Arbeit bei

ereignete sich viel: Im Jahr 2005 heiratete Yurong

Lufthansa Technik auf. Sie wurde zunächst am

Zhang und brachte ihr erstes Kind, Tim Hans, zur

Standort Frankfurt eingesetzt und ist seit Januar

Welt.

2008 in Hamburg tätig.

› 17 Für Yurong Zhang gehört auch die Kontrolle der Arbeiten vor Ort zum Arbeitsalltag.

DIE UNTERNEHMENSKULTUR GIBT DEN AUSSCHLAG BEI DER WAHL DES ARBEITGEBERS Obwohl der berufliche Neueinstieg nach dem Studium mit einem Baby eine neue Herausforderung darstellte, bewarb sich Yurong Zhang bei Brunel auf eine Stelle als Ingenieurin für Hochfrequenztechnik. Sie hatte Erfolg. „Die Teamleiterin hatte

der Spezialist

29


AUS DEN BRANCHEN

Operation Schiffsverlängerung Schiffsneubauten sind teuer und zeitintensiv. Immer mehr Eigner lassen deshalb ihre Schiffe vom Kreuzfahrtriesen bis zum Kühlschiff verlängern. Dazu wird der Rumpf in der Mitte zerteilt und eine neue Sektion eingefügt. Eine technische und logistische Herausforderung. TEXT › Roland Bösker

Audio-Version unter: www.brunel.de/podcast

Eine Fähre ist heutzutage mehr als ein Wasserfahrzeug, das

Werft in Bremerhaven. Ludemann

zwischen zwei Häfen pendelt. Die modernen Schiffe gleichen

leitete das Großprojekt, während

kleinen Städten: Die Passagiere können wählen, ob sie ins Res-

Dreymann als Leiter der Konstruk-

taurant oder in eine Bar gehen, ob sie im Fitness-Studio schwit-

tionsabteilung unter anderem für

zen oder ein Theaterstück anschauen möchten. Wie Metropolen

Festigkeitsberechnungen und Pla-

an Land können auch die schwimmenden Kleinstädte bei wach-

nungen der Arbeitsabläufe verant-

sender Nachfrage aus den Nähten platzen. Da Neubauten teuer

wortlich war. Die besondere Her-

sind und ihre Fertigstellung aufgrund der Auslastung der welt-

ausforderung bei einer Schiffsver-

weiten Neubauwerften viel Zeit kostet, entscheiden sich Reede-

längerung sieht auch das ungeübte

reien immer häufiger für einen auf den ersten Blick unkonven-

Auge auf den ersten Blick. „Es sind

tionellen Weg: Sie lassen Schiffe verlängern. Spezialist auf die-

die Größe und das enorme Gewicht

sem Gebiet ist die Bremerhavener Lloyd-Werft.

eines Schiffes, die eine Verlängerung kompliziert machen“, erklärt Drey-

KOMPLEXE BERECHNUNGEN FÜR VERÄNDERTE KRÄFTE

mann. Entsprechend umfangreich gestaltet sich das Sammeln der rele-

Die Werft verlängert alle Schiffstypen, von Kühl- bis zu Passa-

vanten technischen Daten, für das er

gierschiffen reicht die Palette. Das bislang größte Projekt der

und sein 15-köpfiges Team zuständig

Bremerhavener war die Verlängerung der RoPax-Passagier-

sind. Schon Wochen bevor ein Schiff

fähre Stena Hollandica um 51,75 Meter auf 240,05 Meter. Schiffe

in die Werft kommt, werten sie die

dieser Art transportieren Passagiere und Fahrzeuge, die an und

Unterlagen der Reederei aus, stel-

von Bord fahren können. 54 Tage lang arbeiteten in Bremerha-

len Berechnungen zu Belastungen

ven rund 1.500 Mann an der Fähre, darunter sechs Ingenieure

auf See und zu erforderlichen Mate-

für die Aufsicht am Bau und rund 20 weitere für Planung und

rialfestigkeiten an. „Das gesamte

Leitung. Die Dimensionen der neuen Stena Hollandica: Sie bie-

Schiffsskelett muss verstärkt wer-

tet 3.980 Spurmeter Platz für Fahrzeuge. Würden also alle PKW

den“, erklärt Dreymann, „außerdem

und LKW im Laderaum hintereinander geparkt, wäre diese

müssen zum Beispiel die Schweiß-

Schlange fast vier Kilometer lang. In den 398 Kabinen der ver-

nähte den Anforderungen der Zer-

größerten Fähre übernachten 900 Passagiere – die Kapazität ist

tifizierungsgesellschaften

um mehr als ein Drittel gewachsen.

gen.“ Diese Gesellschaften, eine Art

genü-

Maßgeblich an diesem Mammutprojekt beteiligt waren Rolf

TÜV, legen für umgebaute Schiffe

Ludemann und Benedikt Dreymann, Ingenieure bei der Lloyd-

die gleichen Sicherheitskriterien

30

der Spezialist

› 18 Neben der Außenhülle müssen alle Leitungen und Rohre durchtrennt werden, bevor das bereits im Vorfeld gefertigte Mittelstück millimetergenau eingepasst und verbunden wird.


› 18


AUS DEN BRANCHEN

zugrunde wie für neue. Doch letztlich sind sämtliche Rechen-

tere Teil des Schiffes musste nach

künste Theorie, denn im Laufe der Zeit werden auf den meisten

dem Fluten des Docks von Schlep-

Schiffen Aufbauten installiert oder der Innenraum wird verän-

pern ins Hafenbecken gezogen wer-

dert. Nicht all diese Änderungen findet man in den Unterlagen

den, um Platz für das neue Mittelteil

der Reedereien. „Wenn das zu verlängernde Schiff dann bei uns

zu machen“, beschreibt Dreymann

im Dock liegt, gleichen wir die Werte aus den Unterlagen mit

weiter. „Damit das Heck ohne Nei-

der Realität ab und passen unsere Planungen an“, erklärt Drey-

gung zur Seite oder in Längsrich-

mann.

tung schwimmen konnte, haben wir einen speziellen Ponton, einen

DIE MITTELSTÜCKE WERDEN GENAU WIE KOMPLETTE SCHIFFE GEBAUT – NUR OHNE BUG UND HECK

stählernen Schwimmkörper, an den Rumpf angeschweißt.“ Eine mathematische Herausforderung für die

„Das neue Mittelteil der Stena Hollandica wurde nach unse-

Ingenieure, schließlich mussten

ren Vorgaben von der Bremerhavener Schichau-Seebeck-Werft

die Verbindungselemente zwischen

gebaut“, beschreibt Rolf Ludemann. Als Grundlage für die

dem Ponton und dem Schiffs-

Konstruktion dienten die Abmessungen, die in den Plänen des

rumpf enormen Belastungen stand-

Ur-Schiffes stehen, Breiten und Längen der neuen Schiffssek-

halten. Nach der Installation des

tion mussten präzise zwischen die alten Hälften passen. Bevor

Schwimmelements wurde das Dock

die Stena Hollandica ins Dock der Lloyd-Werft kam, waren

geflutet, indem es hydraulisch abge-

Rohbau und ein Teil der Innenausstattung des neuen Mittel-

senkt wurde. „Der Ponton lag wäh-

stücks bereits fertiggestellt. Die Fertigung unterschied sich

rend des Anbaus auf hydraulischen

nicht von der eines kompletten Schiffs, es wurden nur der Bug

Stützen auf. Vor dem Fluten wur-

und das Heck weggelassen. Nach dem Bau musste die Mittel-

den diese entfernt und die mehr als

sektion mit Schleppern zur Lloyd-Werft verholt werden, wie

300 Tonnen schwere Konstruktion

es im Seemannsdeutsch heißt. Damit auf der Reise durch die

hing minutenlang quasi freischwe-

Hafenbecken kein Wasser in die offenen Seiten eintrat, hat-

bend in der Luft“, so Dreymann. Rolf

ten die Arbeiter der Werft bereits während des Baus Schot-

Ludemann ergänzt: „Am spannends-

› 19 Bevor das neue Mittelstück eingepasst werden kann, wird das Schiff mit Schneidbrennern ungefähr mittig geteilt. Hierbei ist höchste Präzision erforderlich.

ten eingezogen, so dass die Konstruktion wie ein ganzes Schiff schwimmfähig war. Währenddessen wurde in der Lloyd-Werft die Stena Hollandica ungefähr mittig mit Schneidbrennern entlang einer per Laser bestimmten Linie zerteilt. Hunderte Rohrleitungen und Kabel wurden getrennt und beschriftet sowie die Innenausstattung entfernt. „Die Außenfarbe des Schiffes haben wir in Nassstrahltechnik mit Strahldüsen abgetragen“, erklärt Benedikt Dreymann. Binnen drei Tagen im noch trockenen Dock war diese Arbeit erledigt. Der Bug wurde anschließend fest auf dem Boden des Docks aufgesetzt. Dazu wurden die Ballasttanks geflutet, die normalerweise auf See dazu dienen, das Gewicht im Schiff so zu verteilen, dass es ohne Neigung im Wasser liegt. Im Gegensatz zum Heck sollte der Bug während des gesamten Verlängerungsprozesses im Dock bleiben. Auch hier wurden die offenen Seiten durch Schotten geschlossen. „Der hin-

32

der Spezialist

› 19


› 20 › 20 Hafenschlepper verholen das auf der Bremerhavener Schichau-Seebeck-Werft vorgefertigte neue Mittelsegment.

ten war der Augenblick, in dem

Die Feinausrichtung erledigten hydraulische Winden. Binnen

das Heckteil aufschwamm. Unsere

weniger als eineinhalb Stunden war diese Prozedur vollbracht.

Berechnungen stimmten: Der Pon-

Anschließend wurde das Heck auf die gleiche Weise „eingefä-

ton hielt das Heck gerade und wir

delt“ und der Ponton entfernt. Nachdem alle drei Teile neben-

konnten es sicher aus dem Dock zie-

einander im Dock schwammen und die Schnittkanten für

hen.“

das Schweißen vorbereitet waren, wurden die Niveau-Unter-

Nun wurde das neue Mittelteil

schiede zwischen Bug, Mittelteil und Heck ausgeglichen. Die

von Schleppern ins Dock geschoben.

Winden schoben die Sektionen bis auf zehn Millimeter anei-

der Spezialist

33


AUS DEN BRANCHEN

› 21 nander. Drei Tage dauerte diese Präzisionsarbeit. Die verblei-

vriert werden kann. „Die Manövrier-

bende Lücke wurde beim Schweißen geschlossen. Um Span-

fähigkeit des Schiffes ist mit dem

nungen im Rumpf zu vermeiden, folgten die Schweißer – 24

Umbau sogar verbessert worden“,

Mann an einer Naht – einer genau festgelegten Schweißfolge.

zitiert Ludemann die Ergebnisse der

Fertige Nähte wurden mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, um

Probefahrt.

Festigkeit und Qualität zu prüfen.

Seit 2007 ist die neue Stena Hollandica wieder auf See unterwegs. In

DIE MANÖVRIERFÄHIGKEIT DES SCHIFFS WURDE DURCH DIE VERLÄNGERUNG SOGAR VERBESSERT

Bremerhaven wird der Blick derweil in Zukunft gerichtet. Die Werft vergrößert ihre Docks, um auch künf-

Die Verlängerung verursacht kaum Mehrverbrauch von Diesel.

tig Schiffe der PanMax-Klasse repa-

„Länge läuft“, sagt Lloyd-Geschäftsführer Werner Lüken, selbst

rieren und umbauen zu können.

Ingenieur für Schiffsbetriebstechnik. Mehr Energie braucht

Mit 295 Meter Länge und 32,2 Meter

im Falle der Stena Hollandica vor allem die Ausstattung der

Breite sind dies die größten Schiffe,

neuen Sektion vom Restaurant bis zur Klimaanlage. Die lie-

die den Panamakanal passieren kön-

fert ein neuer Hilfsdiesel mit 2,5 Megawatt Leistung. Ein zwei-

nen. Werner Lüken: „Aber der soll

ter 1,7 Megawatt starker Motor versorgt das neue Bugstrahl-

vergrößert werden und dem passen

ruder, mittels dessen das Schiff quer zur Fahrtrichtung manö-

wir uns an der Weser an.“

34

der Spezialist

› 21 Beim Ausrichten des neuen Mittelteils ist Präzision gefragt. Hydraulische Winden manövrieren die drei Einzelsektionen bis auf 10 Millimeter aneinander. Allein diese Prozedur dauert drei Tage.


KUNST & BRUNEL

Videokunst als kreative Spielwiese Hans-Werner Eberhardt ist „Brunel Künstler des Jahres 2008“. Der Bremer Videokünstler verfremdet Alltägliches und reiht Einzelsequenzen zu kurzen Filmen, die er in Endlosschleifen laufen lässt. Seine Filme sollen den Betrachter irritieren und so zum Nachdenken anregen. TEXT › Stine Behrens

Eigentlich, sagt Hans-Werner Eberhardt, sei sei-

sisch“ geltenden Videokunst der Achtzigerjahre

ne Kunst Grundlagenforschung im Bereich des

ist schnell erklärt: „Damals wurden Videos ana-

Geistigen: „Ich verfolge keinen konkreten Zweck,

log produziert. Heutzutage habe ich die Mög-

sondern probiere etwas aus, arbeite mich in neue

lichkeiten, digital in die Daten einzugreifen, und

Bereiche hinein.“ Die Brunel GmbH hat diese indi-

kann mich so gestalterisch ganz anders auslas-

viduelle Art der „Forschung“ überzeugt: Hans-

sen.“ Daher muss das Ausgangsmaterial seiner

Werner Eberhardt ist „Künstler des Jahres 2008“.

Videos weder aufwendig noch extravagant sein.

Der 45-jährige Bremer ist Videokünstler. „Ein

„Ich filme einfach drauflos. Das sind ganz banale

riesengroßer Bereich“, wie er bemerkt. Der Unter-

Alltagssituationen, nichts Spezielles“, sagt Eber-

schied zwischen seinen Werken und der als „klas-

hardt. So entsteht ein wachsender Fundus an

PORTRÄT Hans-Werner Eberhardt wurde am 9. März 1963 in Bochum geboren. Nach seinem Studium der Visuellen Kommunikation in Dortmund war er als Layouter und Art-Direktor bei verschiedenen Agenturen in ganz Deutschland tätig. 1998 machte sich Eberhardt selbstständig und gründete 1999 seine Mediendesign-Agentur plan2 GbR. Seit sieben Jahren widmet er sich der Videokunst.

der Spezialist

35


› 22 › 22 Durch Verzerrungen, Dehnungen, Veränderungen der Farben und Spiegelungen entstehen abstrakte Bildnisse das Alltags. Im Video „Maschinencode“ bewegen sich Figuren, davor läuft der Programmcode.

Material, den er auf der Festplatte seines Com-

viduelle Art, bewegte Bilder zu zerlegen und neu

puters sammelt. Diesen durchstöbert er, „so wie

zusammenzusetzen, zieht sich wie ein roter Faden

andere Menschen ab und an ihre Fotoerinnerun-

durch seine Arbeiten. Ein geübtes Auge würde

gen durchschauen“. Dabei stößt er immer wieder

seine Handschrift durchaus erkennen und Eber-

auf nur wenige Sekunden lange Sequenzen, die

hardts Videos von denen anderer Videokünstler

ihn aus ganz unterschiedlichen Gründen anspre-

unterscheiden.

chen oder berühren – eine sehr persönliche Angelegenheit.

Sein Handwerkszeug ist sein Computer. Im Gegensatz zu Künstlern, die mit Pinsel und Staf-

Das kann ein Baum sein, der sich sanft im Wind

felei arbeiten, hat Eberhardt hier die Möglichkeit,

wiegt, oder eine Person, die auf eine interessante

Arbeitsschritte rückgängig zu machen. Dennoch

Art in die Kamera blickt.

oder gerade deshalb kann es Tage dauern, bis er ein Video fertig gestellt hat: „Der Computer muss

KUNST DURCH DIGITALE VERFREMDUNG

gewaltige Datenmengen verarbeiten. Das gilt auch für Schritte, die ich wieder zurücknehme, weil das

36

der Spezialist

„Diesen Ausschnitt nehme ich aus dem Video her-

Resultat für mich beispielsweise nicht die Aus-

aus und bearbeite ihn, ich dehne, spiegele oder

sage hat, die ich erhofft hatte“, erklärt Eberhardt.

verändere die Farben. So lange, bis ich das Gefühl

Als Leinwand für seine virtuellen Motive eignen

habe, das ist für mich rund.“ Eberhardt nennt die-

sich PC-Bildschirme, Fernseher oder digitale Bil-

sen Prozess „collagierendes Arbeiten“. Diese indi-

derrahmen.


KUNST & BRUNEL

Auch beruflich hat Hans-Werner Eberhardt mit

ierte Wirklichkeit darstellen. Mit seinen Videos

Medien zu tun. Seit 1988 arbeitet er als Medien-

möchte er zeigen, dass sich der zweite Blick und

designer, konzipiert und gestaltet Internetseiten

das Hinterfragen der Medien lohnt. „In den Videos

und Printerzeugnisse.

ist nicht viel Action, es wird keine Story erzählt. Erst bei genauem Hinsehen merkt der Betrachter,

RAUM FÜR INTERPRETATIONEN UND IRRITATIONEN DER WAHRNEHMUNG

dass in den auf zwei bis drei Minuten gestreckten und in einer Dauerschleife laufenden Sequenzen etwas anders ist, etwas Überraschendes – und

„Dadurch setze ich mich täglich mit der Wirkung

vielleicht wird er dadurch angestoßen, noch ein-

von Medien auseinander“, so der Künstler, „da ist

mal genauer hinzuschauen.“

der Schritt nicht weit, mich auch intensiver mit bewegten Medien zu beschäftigen.“ Während es in seinem Beruf um Eindeutigkeit geht und die Botschaften seiner Arbeiten schnell erfassbar sein sollen, ist seine Kunst für ihn eine „kreative Spielwiese“. Hier kann er fernab von Kundenwünschen und wirtschaftlichen Zwängen „forschen“. Seine Werke sollen bewusst Raum für Interpretationen lassen, aber auch zum Nachdenken anregen. „Ich nenne es die ,Irritation der Wahrnehmung‘. Der Betrachter soll stutzig werden.“ Denn Vielen sei nicht bewusst, dass die Medien nur eine konstru-

› 23 „Ruderer“ heißt dieses Werk von Hans-Werner Eberhardt, in dem der Protagonist aussichtslos gegen sich selbst anrudert.

› 23 der Spezialist

37


Forschung & Wissenschaft

Wundheilung für Oberflächen Oberflächen, die sich selbst reparieren, sind noch eine Zukunftsvision. Mögliche Einsatzgebiete gibt es hingegen viele – vom Auto bis zum Windradrotor. Forscherteams testen zurzeit Nanokapillarnetzwerke, Nanokapseln und Nanocontainer auf Praxistauglichkeit. TEXT › Dr. Ralf Schrank

Jeder kennt den Alptraum des Neuwagenbe-

Sie ist in der Lage, Schäden durch Nachwach-

sitzers: die lange, hässliche Schramme in der

sen auszuheilen. Dazu werden gezielt Reparatur-

Metallic-Lackierung des gerade teuer erstande-

substanzen zur Wunde transportiert. Mit Erfolg

nen Wagens. Aber nicht nur Autos sind „oberflä-

haben Forscher bereits diese Art der Wundhei-

chenveredelt“ – lackiert, galvanisiert, emailliert,

lung nachgebildet. So gelang es, ein dreidimen-

eloxiert, vakuumbeschichtet. Es gibt kaum ein

sionales Netzwerk aus haarfeinen Kapillaren in

Gebrauchsgut, das nicht mit einem schützenden

eine passive Schutzschicht einzubetten. Durch die

oder dekorativen Überzug versehen wäre.

Kapillaren zirkuliert eine Flüssigkeit, die im Kontakt mit einem Katalysator zu einem Kunststoff

FORSCHER ARBEITEN MIT HOCHDRUCK AN AKTIVEN REPARATURSYSTEMEN

aushärtet. Der Katalysator ist gleichmäßig in der Schicht verteilt. Wird die Schicht angekratzt und

Nach einer Studie der Deutschen Forschungsgesellschaft für Oberflächenbehandlung e. V. liegt

› 24 Die Rotoren von Windkraftanlagen könnten bald zu den vielfältigen Einsatzgebieten von selbstheilenden Schichten zählen.

das wirtschaftliche Volumen der Beschichtungsund Oberflächentechnik allein in Deutschland bei 70 Milliarden Euro pro Jahr. Beim laufenden Betrieb von Windkraftanlagen beispielsweise stellen die Inspektion und die Erneuerung der Rotorblätter-Oberflächen nach Beschädigungen durch Korrosion und Witterungseinflüsse den größten Kostenfaktor dar. Daher arbeiten Forscher mit Hochdruck an aktiven Reparatursystemen, die die passive Schutzschicht im Falle einer Beschädigung wieder herstellen sollen. Zwar ist das noch ferne Zukunftsmusik, jedoch gibt es viel versprechende Modellstudien, die sich mit Hilfe nanotechnischer Methoden vielleicht in die Praxis umsetzen lassen. Pate stehen dabei biologische Heilungsprozesse, wie sie jeder beispielsweise von seiner Haut kennt:

38

der Spezialist

› 24


SELBSTHEILUNG VON OBERFLÄCHENBESCHICHTUNGEN

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eine Kapillare geöffnet, findet an der Schadstelle

mechanischen Beschädigung der Schicht platzen

die Reparaturreaktion statt. Wenn die Schicht an

einige Pakete. Der Container-Inhalt kann die pas-

der gleichen Stelle nochmals verletzt wird, ist

sive Schicht reparieren oder das Material darun-

sogar ein zweiter Ausheilprozess möglich. Einfa-

ter schützen. Allerdings nur einmal: Eine zweite

cher zu realisieren ist das Konzept der Reparatur-

Verletzung an der gleichen Stelle heilt nicht mehr

container, bei dem eine Schutzflüssigkeit in win-

aus.

zige Pakete eingekapselt wird. Die Pakete werden

Bislang hat noch keines der in den letzten zehn

in der passiven Schutzschicht deponiert. Bei einer

Jahren vorgestellten aktiven Reparatursysteme

der Spezialist

39


Forschung & Wissenschaft

Eingang in die Praxis gefunden. Die realisier-

metallische Schutzschicht ein, die mit einem Rost-

ten Kapillaren und Container sind mit 2 bis 100

schutzmittel oder mit Öl gefüllt sind. Beschädigt

Mikrometern (ein menschliches Haar ist etwa 25

ein Kratzer die Schutzschicht, platzen einige der

bis 50 Mikrometer dick) einfach zu groß. Dadurch

Nanokapseln und verteilen ihren Inhalt an der

stören sie die Funktionalität der heute allgemein

Schadstelle.

verwendeten passiven Schutzschichten erheblich. Denn die sind ebenfalls nur einige zehn Mikrometer dick. Wirklich „intelligente“ Schutzschich-

NANOK APSELN WERDEN IN EINE DÜNNE SCHUTZSCHICHT EINGEBETTET

ten werden daher Nanocontainer oder Nanonetzwerke enthalten müssen. Denn erst wenn die ein-

Die Forscherin zu den Details: „Auf einer Metall-

gebetteten Reparaturkapillaren und -container

oberfläche scheiden wir galvanisch eine 30

nur noch um die 100 Nanometer (gleich 0,1 Mikro-

Mikrometer dicke Schutzschicht aus Zink, Nickel

meter) groß sind, beeinträchtigen sie die Wirk-

oder Kupfer ab, die mit den Nanokapseln durch-

samkeit der passiven Schutzschicht nicht mehr

setzt sein soll. Die Schwierigkeit ist, dafür zu sor-

wesentlich.

gen, dass die hochempfindlichen Kapseln bei der

Seit dem Frühjahr 2008 fördert die Volkswa-

Abscheidung intakt bleiben und sich gleichmäßig

genstiftung zwei deutsche Forschungsprojekte,

in der Schicht verteilen.“ Die gängigen Methoden

die dem Konzept der Selbstheilung den Weg in die

der Galvanik, der elektrochemischen Abscheidung

Nanowelt ebnen sollen. Eines dieser Projekte ist

von Metallen aus wässrigen Salzlösungen, wür-

am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrik-

den die Kapseln zerstören. Verschiedene Zusätze

betrieb (IFF) der Universität Stuttgart angesiedelt.

sollen sicherstellen, dass die Kapseln ihren kost-

Dr. Claudia Dos Santos lagert Kapseln mit einem

baren Inhalt nicht schon beim Galvanisieren ver-

Durchmesser von etwa 200 Nanometern in eine

lieren.

› 25

20 µ

› 25 40

der Spezialist

Aufgeborstener Mikrocontainer unter dem Rasterelektronenmikroskop. Der zunächst flüssige Inhalt härtet nach der Freisetzung aus und schließt die Beschädigung der Oberfläche.


Forschung & Wissenschaft

Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik in Braunschweig erläutert das zweite Projekt: „Unsere Nanocontainer reagieren auf lokale Änderungen von Ionenkonzentrationen, etwa des pH-Werts, oder auf Temperaturänderungen. Ändert sich als Folge eines lokalen Korrosionsvorgangs einer dieser Parameter in einem begrenzten Areal der Schutzschicht, dann öffnen sich die Kapseln in diesem Areal und setzen ihren Inhalt frei.“ Sowohl das Projekt des Fraunhofer-Instituts, das im Verbund mit dem Chemie-Department der Universität Paderborn und dem Max-Planck-Institut Golm läuft, als auch das Projekt des IFF haben zum Ziel, die Container während des Galvanisierens in der Schutzschicht zu deponieren. Dabei kämpfen sie vor allem mit dem Basisproblem von Nanoteilchen: Wegen der großen anziehenden Oberflächenkräfte neigen sie zum Zusammenklumpen. Das erschwert die gleichmäßige Verteilung in der Schicht.

› 26

INTELLIGENTE NANOCONTAINER Hohe wirtschaftliche Bedeutung hat auch das Aufbringen von Schutzschichten durch Lackieren. Deshalb hat sich die Arbeitsgruppe um Prof. Dr.-

sehr wenige beherrschen. Einer von ihnen ist Prof.

Ing. Guido Grundmeier von der Universität Pader-

Dr. Christian Mayer von der Universität Duisburg-

born zum Ziel gesetzt, Nanocontainer auch in

Essen, mit dessen Nanocontainern die Stuttgarter

dünne Schichten aus wasserlöslichen Lacken ein-

Forscher experimentieren. Ein weiterer Experte

zubetten. Grundmeier: „Wir wollen die Nanocon-

auf diesem Gebiet ist Dr. Dmitry Shchukin vom

tainer gezielt dort in der Schutzschicht positionie-

Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflä-

ren, wo sie gebraucht werden. Dazu müssen wir

chenforschung in Potsdam. Als Projektpartner lie-

die Hüllen so designen, dass die Container wäh-

fert er die Container für den Verbund aus Braun-

rend des Schichtaufbaus durch Anziehungs- und

schweig, Golm und Paderborn. Die Herausforde-

Abstoßungskräfte selbst den richtigen Platz fin-

rung für beide besteht darin, Nanocontainer zu

den.“ Container, die ein Rostschutzmittel enthal-

produzieren, die trotz ihrer Winzigkeit eine aus-

ten, sollen sich an der Grenze zum Metall anrei-

reichende Menge des Reparaturmediums enthal-

chern. Container mit tribologischen Wirkstoffen,

ten und die ihren Inhalt exakt zum richtigen Zeit-

so genannten Hartstoffen, dagegen in der äuße-

punkt freisetzen. Denn das ist genau das, was die

ren Grenzschicht, um dort die Wirkungen von Rei-

Projektteilnehmer brauchen.

› 26 Ärgerliche Kratzer im Autolack könnten bald der Vergangenheit angehören. Bis dahin ist aber noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Autolacke sind heute ca. 100 bis 120 Mikrometer dick; Nanocontainer mit Reparaturflüssigkeit dürfen nur eine Größe von 100 Nanometern haben, um die Wirksamkeit der passiven Schutzschicht nicht zu beeinträchtigen.

bung und Verschleiß zu verringern. Beide Projektgruppen stellen ihre Container nicht selbst her. Denn das ist eine Kunst, die nur

der Spezialist

41


› 27


PANORAMA

Architektur für Wasserwelten Die Idee, Häuser auf Pontons zu bauen, ist nicht neu. Steigende Meeresspiegel verschaffen dem Konzept neuen Auftrieb. Ein niederländisches Architekturbüro und die FH Lausitz liefern Lösungen, die sich an immer mehr Küsten und Flussufern auch ökonomisch auszahlen. TEXT › Marco Heinen

Die Menschen am Mississippi wurden im ver-

als 100 der größten Städte der Welt sind nahe

gangenen Juni von einer Jahrhundertflut heim-

am Wasser gebaut und unsere Lösungen kom-

gesucht. Sintflutartige Regenfälle ließen den

men überall in Frage“, sagt der Architekt. Aus die-

Strom auf einer Gesamtlänge von über 500 Kilo-

sem Grund versucht er seinen Entwürfen ein Aus-

metern über die Ufer treten. Ganze Ortschaften

sehen zu geben, das nicht nur an einen Ort oder

wurden überschwemmt, große Teile der Weizen-

in eine bestimmte Landschaft passt. „Wir haben

und Maisernte vernichtet. Extreme Wetterereig-

eine Vision entwickelt, so etwas weltweit umzu-

nisse nehmen in Folge des Klimawandels zu. Der

setzen“, sagt er. „Darin sehen die Städte so aus wie

Anstieg der Meeresspiegel ist nach Prognosen vie-

heute, nur dass sie flexibler an den Klimawandel,

ler Experten kaum noch abzuwenden. Angesichts

die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen und

der sich wandelnden Lebensbedingungen ändern

der Wirtschaft sowie die Demographie angepasst

sich auch die Anforderungen an den künftigen

werden können.“

Städtebau. „In den Niederlanden wird uns der steigende Meeresspiegel mehr betreffen als anderswo“,

FLACHE SEEN UND POLDER SIND IDEALES BAULAND FÜR SCHWIMMENDE HÄUSER

meint der Architekt und Industriedesigner Koen Olthuis. „Ich denke, dass hier in den nächsten 20

Nach den Entwürfen von Peters und Olthuis

Jahren rund eine Million Häuser gebaut werden.

wird derzeit ein Kongresszentrum auf der Donau

Es wäre keine weise Entscheidung, all diese Häu-

bei Budapest realisiert. Außerdem arbeitet das

ser nur auf festem Grund zu bauen“, meint er.

Architekturbüro an einem Projekt mit 1.400 teils

Vor fünf Jahren gründete Olthuis zusammen mit

schwimmenden Häusern, teils auf hydraulischen

dem Ingenieur Rolf Peters mit Waterstudio.NL

Stelzen stehenden Häusern, Straßen, Parkhäu-

das erste Architekturbüro in den Niederlanden,

sern und einer Schule, das ab 2010 in Naaldwijk

das sich hauptsächlich mit schwimmenden Häu-

nahe Den Haag entstehen wird. Das Gebiet befin-

sern befasst. Rund 70 solcher Häuser soll es bis-

det sich in einem Polder, einem ehemals zur Land-

lang in den Niederlanden geben, rund ein Drittel

gewinnung trocken gelegten und anschließend

davon hat laut Olthuis sein Büro entworfen.

eingedeichten See unterhalb des Meeresspiegels.

Zwar war es auch der Klimawandel, der ihn

Aus diesem musste bislang das Wasser in einen

anspornte, neue Wege zu gehen, doch mindes-

rund eineinhalb Meter höher gelegenen Kanal

tens ebenso wichtig ist das enorme wirtschaft-

abgepumpt werden. Ein teurer Aufwand, den man

liche Potenzial, das sich damit verbindet. „Mehr

sich nun sparen kann, was zur Folge hat, dass sich

› 27 Wohnen auf dem Wasser wird nicht nur in den Niederlanden immer beliebter. Weltweit sind Küstenregionen von steigenden Meeresspiegeln bedroht und suchen nach Lösungen wie schwimmenden oder amphibischen Häusern.

der Spezialist

43


PANORAMA

auf der Fläche erneut ein etwa 1,20 Meter tiefer

Fundament innen hohle Pontons aus Stahlbe-

See zu bilden beginnt. Damit entsteht ideales Bau-

ton benutzt. Hat das Gewässer nur eine geringe

land für das Waterstudio.NL.

Tiefe, werden die schwimmenden Pontons mit

Neben den rein schwimmenden und auf Stel-

Hilfe von Stahl-Pfählen am Grund des Gewässers

zen stehenden Systemen beinhaltet das Portfolio

fixiert. Über eine automatisch gesteuerte Hydrau-

der Niederländer auch amphibische Häuser. Wäh-

lik in den Pfählen kann der Ponton an den jeweili-

rend die Stelzen in Gegenden mit stabilem Was-

gen Wasserstand angeglichen werden. Bei großen

serlevel eingesetzt werden, sind die amphibischen

Bauwerken in tiefen Gewässern kommen erheb-

Lösungen laut Olthuis „großartig für Hochwasser-

lich größere Pontons aus Stahlbeton zur Anwen-

gebiete geeignet.“ Diese Häuser sehen auf den

dung, die zusätzlich mit EPS-Schaum (Expanded

ersten Blick aus wie normale Gebäude, deren Erd-

Polystyrene) gefüllt sind. „Der Schaum hat den

geschoss rund einen Meter über dem Boden liegt.

Vorteil, dass die Pontons bei einer Havarie nicht

Ihre Fundamente bestehen jedoch aus einem spe-

mit Wasser vollaufen können“, erklärt der Diplom-

ziellen Schaum und sind nicht am Boden befes-

ingenieur Frank Batke von der Fachhochschule

tigt. Wird das Gebiet überflutet, schwimmen die

Lausitz. Er gehört zu einem Team von Forschern,

amphibischen Häuser. Am Wegschwimmen wer-

die sich im Fachbereich Architektur/Bauingeni-

den sie von Teleskopstangen gehindert.

eurwesen/Versorgungstechnik mit schwimmenden Bauten aller Art beschäftigen. Batke betont,

STAHLBETON-PONTONS MIT EPS-SCHAUMKERN SORGEN FÜR DEN NÖTIGEN AUFTRIEB

dass es diverse Pontonsysteme und Materialien gibt. Die Herausforderung bestehe darin, für jedes Objekt den geeigneten Schwimmkörper zu finden:

Und so funktioniert die schwimmende Archi-

„Neben der Sicherung der Tragfähigkeit und der

tektur: Bei kleineren Wohngebäuden werden als

Schwimmstabilität muss der Einsatz des Mate-

› 28 Bei der Wahl des richtigen Schwimmkörpers kommt es darauf an, ob das Gewässer einen Tidenhub aufweist und wie tief es ist. Bereits heute stehen Ponton- und Befestigungssysteme für unterschiedliche Bedingungen zur Verfügung.

› 28 44

der Spezialist


PANORAMA

schwimmendes Haus nämlich nicht im Geringsten von einem Haus an Land“, sagt Olthuis. Ein Haus an einer Küste sollte ohnehin von den Materialien her salzhaltige Luft und Salzwasser vertragen. Der Wissenschaftler Frank Batke sieht diesen Punkt kritischer: „Die Aufbauten wurden bisher ähnlich wie die an Land konstruiert, sollten aber zukünftig anderen bauphysikalischen Gesichtspunkten folgen.“ Die Umwelteinflüsse direkt

› 29 Dieser Entwurf eines schwimmenden und sich um die Längsachse drehenden Hotelturms, wurde speziell für die Gewässer vor Dubai entwickelt. Das schwimmende Fundament für das 25-stöckige Gebäude hat lediglich einen Tiefgang von sechs Metern.

auf dem Wasser würden sich doch erheblich von denen an Land unterscheiden. Das beginnt bei der Sonneneinstrahlung und der Reflektion und endet beim Spritzwasser und dem damit verbundenen nötigen Schutz vor Feuchtigkeit. Wie diese Anpassungen aussehen können, daran wird derzeit an

› 29

der FH Lausitz intensiv geforscht. Für Olthuis, den Praktiker, besteht die technische Herausforderung derzeit eher in der Logistik. Um diese Aufgaben kümmern sich jedoch andere Spezialisten: „Es ist niemals nur der Architekt, der an so einem

rials wirtschaftlich bleiben.“ Die größeren Pon-

Projekt arbeitet.“ Kleinere Einheiten wie Einfami-

tons werden in der Regel über Stahltrossen befes-

lienhäuser würden direkt vor Ort montiert, doch

tigt, die ebenfalls automatisch gesteuert sind. Sie

für Großbauten mit vielen Stockwerken empfehle

können steigende und fallende Wasserstände

es sich, diese in einem Trockendock zu bauen und

ausgleichen und verhindern, dass Wellen, Strö-

anschließend an ihren Bestimmungsort zu brin-

mungen oder Eisbildung die Gebäude in Schief-

gen: „Die Dimensionen sind genau wie bei einer

lage bringen. Je nach Entfernung zum Ufer wer-

Bohrinsel, die nach Fertigstellung auf das Meer

den die Versorgungsleitungen für Strom, Frisch-

geschleppt wird.“

und Abwasser in flexiblen Röhren aus Polyethylen vom Land aus gelegt. Alternativ dazu können autarke Einheiten mit Wasserentsalzungsanlagen sowie Solar- und Windkraft für die Energieversorgung auf den „Inseln“ installiert werden.

SELBST WOLKENKRATZER BIS ZU 100 METERN HÖHE SIND TECHNISCH MÖGLICH „Fast alles, was wir an Land tun können, ist auch auf dem Wasser möglich – vorausgesetzt es stehen genug Geld und Wasser zur Verfügung“, sagt Koen Olthuis. Es sei technisch möglich, Häuser mit bis zu 100 Metern Höhe auf Pontons zu bauen. „Von

INFO Olthuis’ und Peters’ Projekte für die Vereinigten Arabischen Emirate am Persischen Golf erregten viel Aufsehen in den Medien: Die beiden konzipierten einen sich drehenden Hotelturm im Wasser, eine schwimmende Moschee, ein Schiffsterminal mit Hotel und Shops für mehrere Kreuzfahrtschiffe sowie eine Landschaft aus schwimmenden Inseln. Die Chancen, dass all diese Projekte verwirklicht werden, stehen nicht schlecht. Anfang 2009 sollen in Dubai innerhalb der künstlichen Inselgruppe „Palm Jebel Ali“ die ersten von 89 von Olthuis entworfenen schwimmenden PontonInseln samt Häusern fertig gestellt werden. www.waterstudio.nl

www.dutchdocklands.com

der Statik und Bauweise her unterscheidet sich ein

der Spezialist

45


querdenken

Antwort auf die Frage aller Fußballfragen Strittige Torentscheidungen könnten längst der Vergangenheit angehören, doch noch ist das International Football Association Board gegen die Einführung von technischen Assistenzsystemen wie der Goal Line Technology, doch auch andere Sportarten könnten profitieren. TEXT › Christian Patzelt

Audio-Version unter: www.brunel.de/podcast

Es ist der 30. Juli 1966. Im Finale der Fußball-Welt-

nik steht unter anderem Christian Holzer. Der

meisterschaft im Londoner Wembley-Stadion ste-

31-jährige Diplom-Sportwissenschaftler ist seit

hen sich England und Deutschland gegenüber.

2004 im Vorstand von Cairos technologies und

Der Brite Geoff Hurst zielt in der Verlängerung

beurteilt die Dinge aus Sicht eines Fußballers: In

auf das Tor des deutschen Keepers Hans Tilkowski.

den Neunzigerjahren stand Holzer im Profikader

Der Ball prallt gegen die Latte und von dort in der

des TSV 1860 München – als Torwart. „Man sollte

Nähe der Torlinie auf den Boden. Nach Abstim-

sich neuen Techniken nicht verschließen, wenn

mung mit seinem Linienrichter entscheidet der

die Grundideen des Spiels dadurch nicht beein-

Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst auf

trächtigt werden“, sagt Holzer. „Technische Ent-

„Tor“ für England. Zwar kassiert die deutsche Elf

wicklungen am Material haben das Spiel bisher

im Anschluss noch das 2:4, das vorentscheidende

schneller und attraktiver gemacht.“

2:3 gilt aber bis heute als die umstrittenste Tor-

Das von ihm mitentwickelte GLT-System kann

entscheidung im Weltfußball. Der Begriff „Wem-

innerhalb eines Tages auf jedem Fußballplatz

bley-Tor“ ist fest im Vokabular jedes Fußballfans

installiert werden. Rund um das Tor wird ein

verankert und fällt immer im Zusammenhang

Magnetfeld erzeugt. Dazu werden an der Straf-

mit folgender Frage: War der Ball wirklich mit vol-

› 30 Das Goal-Line-TechnologySystem: Im Rasen in den beiden Torräumen wird ein schwaches Magnetfeld (1) erzeugt. Ein Sensor im Ball (2) kann diese Magnetfelder messen, sobald er in deren Nähe ist. Über Funk sendet ein Chip im Ball die Messwerte verschlüsselt zu zwei Empfangsantennen (3). Die Empfänger hinter dem Tor leiten die Daten an einen Computer (4) weiter, der berechnet, ob der Ball die Torlinie komplett überschritten hat und ein Tor vermeldet – oder eben nicht.

lem Umfang hinter der Linie?

HOCHPRÄZISE 3-D-LOK ALISIERUNG An einer Antwort darauf arbeiten seit 1999 die Gründungsaktionäre der Cairos technologies AG. Das Unternehmen ist im Bereich der hochgenauen und zeitlich hochauflösenden 3-D-Loka-

1 2

lisierung dynamischer Objekte tätig und stellte

3

im Jahr 2007 das Goal-Line-Technology(GLT)-System vor. Mit Hilfe von Magnetfeldern erkennt das System in Sekundenbruchteilen, ob ein Ball tatsächlich die Torlinie überquert hat, und gibt die Information über diverse Funkverbindungen an den Schiedsrichter weiter. Hinter dieser Tech-

46

der Spezialist

3

4

› 30


› 31 raumgrenze und hinter der Torauslinie mit einer

mittelt der Chip die Magnetfeldvektoren an zwei

Rasensäge fünf Millimeter breite und 15 Zenti-

Empfangsantennen, die an den Torabspannungs-

meter tiefe Spalten geöffnet. Darin werden zwei

masten hinter dem Tor befestigt sind. Von dort

Millimeter dünne Spulendrähte verlegt, durch

aus werden die Werte auf einen Cairos-Rechner,

die Strom geleitet wird. So wird ein schwaches

der unter Linux betrieben wird, weitergeleitet.

Magnetfeld im gesamten Strafraumbereich er-

Der Rechner ermittelt auf Grundlage der Mess-

zeugt, das ein im Fußball integrierter Chip mes-

werte bis auf den Zentimeter genau, ob der Ball

sen kann. Sobald der Ball in Tornähe kommt, über-

die Torlinie mit seinem vollen Durchmesser über-

› 31 Die nach wie vor umstrittenste Torszene der Fußballgeschichte: Das Tor zum 3:2 im WM- Endspiel im Wembley-Stadion, England gegen Deutschland am 30. Juli 1966.

der Spezialist

47


querdenken

schritten hat. Trifft das zu, wird ein Funksignal

sagt der ehemalige Profi-Fußballer. Eine der wich-

über zusätzliche Antennen am Spielfeldrand auf

tigsten Aufgaben während der Testphase war, her-

die Spezial-Armbanduhr des Schiedsrichters über-

auszufinden, ob der Chip Bewegungen und Dyna-

tragen und dort blinkt ein „GOAL“ auf. Der gesamte

mik des Spielgerätes beeinflusst. Holzer: „Der Ball

Prozess, vom Überqueren der Torlinie bis hin zum

verhält sich nicht anders als andere neuwertige

Signal auf der Uhr des Schiedsrichters, dauert nur

Produkte ohne technisches Innenleben.“ Neben

Bruchteile von Sekunden. Alle Daten werden ver-

der stabilen Flugbahn musste Cairos technologies

schlüsselt über 2,4-GHz-ISM-Band von Station zu

zudem sicherstellen, dass das System wetterver-

Station gefunkt.

träglich und robust ist, damit das Zusammenspiel zwischen Funk- und Elektrotechnik reibungslos

DER BALL TRÄGT ROBUSTE HIGHTECH-MESSGERÄTE IN SEINEM INNEREN

funktioniert. Der Ball ist nicht nur starken Stößen ausgesetzt. Er fliegt mit zum Teil sehr hoher Geschwindigkeit, verändert abrupt seine Rich-

Bei der Entwicklung des Systems gab es eine Viel-

tung und dreht sich vielfach nach einem Schuss.

zahl von Herausforderungen, denen sich Christian

Diese auftretenden mechanischen Kräfte dür-

Holzer teilweise mit vollem Körpereinsatz stellte.

fen die Übertragungen der Werte nicht beeinflus-

Er testete das System in verschiedenen Spielsitua-

sen. Der aus dreidimensionalen Magnetfeldsen-

tionen. Dabei verwendeten Holzer und sein Team

soren und einem Funkmodul bestehende Chip

verschiedene Tore, Bälle, Sender und Empfänger

muss also abgesichert werden, um zuverlässig

und prüften deren Funktionalität und Zusam-

Daten senden zu können. Die Lösung: Der Ball ent-

menspiel miteinander. „Meine praktischen Erfah-

hält eine kugelförmige Hardware-Box aus Kunst-

rungen waren sehr wichtig. Als Torwart war ich

stoff. Darin sind der von Cairos technologies ent-

schließlich genau am Ort des Geschehens aktiv“,

wickelte Chip sowie zwei Batterien für die Ener-

› 32 Rein äußerlich unterscheidet den Ball nichts vom klassischen Spielgerät. Innen verbirgt sich jedoch intelligente Messtechnik. Dem Schiedsrichter wird das Ergebnis der Messung schnell und bequem auf eine spezielle Uhr gesendet.

› 32 48

der Spezialist


QUERDENKEN

gieversorgung untergebracht. Die Box wird von zwölf Doppelschnüren gehalten, die an der Innenseite des Balles befestigt sind. Wird der Ball aufgepumpt, spannen sich die Schnüre und positionieren die Box mittig. Um die Integration der etwa 15 bis 20 Gramm schweren Hardware kümmerte sich der Sportartikel-Hersteller „adidas“ als Projektpartner von Cairos.

DIE TECHNIK KÖNNTE AUCH BEI ANDEREN SPORTARTEN ANWENDUNG FINDEN Während der Klub-Weltmeisterschaft Ende 2007 in Japan war das System bereits im Einsatz und hat fehlerfrei funktioniert. Danach ging ein Großteil der Fußballwelt davon aus, dass die Technik bis zur WM 2010 in Südafrika offiziell eingeführt wird. Aber das International Football Association Board (IFAB) lehnte das System ab. Laut Jérôme Valcke, Generalsekretär des Weltverbandes FIFA, gebe es Befürchtungen, die Einführung des Chip-

› 33

Balles könnte weitere technische Hilfsmittel nach sich ziehen. Zudem würde das Spiel durch den Einsatz von zu viel Technik seinen ursprünglichen Reiz verlieren. Stattdessen plant die FIFA, künftig an jedem Tor einen zusätzlichen Schiedsrichter-

schen Schiedsrichter hatte sich für die Einführung

Assistenten einzusetzen. Für Cairos Technology

des Systems ausgesprochen und sich so Sicher-

geht die Arbeit dennoch weiter. Das GLT-System

heit bei umstrittenen Torentscheidungen erhofft.

ist zwar für den Fußball entwickelt worden, kann

Wer weiß, welche Legende vor 42 Jahren entstan-

aber auch in anderen Sportarten eingesetzt wer-

den wäre, wenn Schiedsrichter Gottfried Dienst

den. Cairos prüft derzeit die Anwendbarkeit.

und sein Linienrichter bereits Hilfsmittel wie den

Christian Holzer ist überzeugt, dass es im Fuß-

› 33 Christian Holzer, einer der „Väter“ des GLT-Systems, demonstriert vor der Presse, wie die Technik funktioniert.

Chip-Ball zur Verfügung gehabt hätten.

ball weiterhin „Phantom-Tore“ geben wird und es nur eine Frage der Zeit ist, bis Schiedsrichter technische Lösungen als Hilfsmittel einsetzen dürfen. Zuspruch bekommt er dabei von prominenter Seite. „Ich würde es sehr gerne sehen, wenn die FIFA mal ein wenig mehr Innovation wagen würde. Meine Überzeugung ist es, dass jeder, der den Fußball liebt, sich auch dafür engagiert, dass größtmögliche Gerechtigkeit herrscht“, sagt Arsène Wenger, Trainer von Arsenal London und gelernter Ingenieur. Auch ein Großteil der deut-

der Spezialist

49


TERMINE

termine

Oktober bis Dezember 2008

AUSGABE 12 || Oktober 2008

Messen und veranstaltungen 21. – 24. Okt.

2008

SYSTEMS 2008, MÜNCHEN Als Business-to-Business-Messe für den ITK-Markt konzentriert sich die SYSTEMS in München auf marktreife ITK-Lösungen und präsentiert – gemäß dem Motto „Ideas for better business“ – aktuelle Trendthemen zur Optimierung von Geschäftsprozessen. www.systems.de

›21.–24. Okt.

25. – 27. Nov.

2008

Auf der Systems 2008 finden Sie unseren BrunelMessecontainer in Halle B, Stand 235. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

SPS/IPC/DRIVES 2008, NÜRNBERG DSPS/IPC/DRIVES ist die Messe für elektrische Automatisierungstechnik. In diesem Jahr richtet die Fachmesse besonderes Augenmerk auf die Schwerpunkte Ethernet, Safety und Security, Motion Control, Wireless, RFID und erstmals die Thematik WEB in der Automation. www.mesago.de

Meilensteine › 25. – 27. Nov. SPS/IPC/DRIVES 2008 Die Messe findet in diesem Jahr zum 19. Mal statt und verzeichnete 2007 mit 45.000 Besuchern und über 1.300 Ausstellern einen neuen Rekord.

01. Oktober

1881

Das erste Elektrizitätswerk ging in Godalming, Großbritannien, ans Netz und machte die englische Kleinstadt zur ersten Stadt der Welt mit elektrischer Straßenbeleuchtung.

03. Oktober

1906

Auf der ersten Internationalen Konferenz für drahtlose Telegrafie in Berlin wurde das „SOS“-Signal, das die Abkürzung für „Save Our Souls“ ist, zum international gültigen Notrufsignal erklärt. Es löste damit das bisher verwendete CQD-Signal (Come Quick, Danger) ab.

06. Dezember

1946

Der amerikanische Physiker Willard Frank Libby stellt die erste Atomuhr vor. Seither definiert die Uhr die Dauer von einer Sekunde. Aufgrund ihrer Genauigkeit wird sie in 300.000 Jahren maximal eine Sekunde nachgehen.

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der Spezialist


INGENIEURE. ARBEITEN BEI BRUNEL

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler. Screenshot aus „Heavens Gate“, anzusehen auf: www.brunel.de/karriere/aktuelles/ video-podcasts.php

impressum ›› WIR SEHEN DIE WELT MIT

AUSGABE 12 || Oktober 2008

www.der-spezialist.de

ANDEREN AUGEN

REDAKTIONSANSCHRIFT Brunel GmbH, Redaktion „Der Spezialist“ Airport City, Hermann-Köhl-Str. 1a, 28199 Bremen redaktion@der-spezialist.de www.der-spezialist.de Telefon 0421-1 69 41-0

HERAUSGEBER Brunel GmbH

Künstler des Jahres 2008, Hans-Werner Eberhardt, Videokünstler. Screenshot aus „Maschinencode“.

VERANTWORTLICHER REDAKTEUR (V. I. S. D. P.) Carsten Siebeneich, General Manager Brunel GmbH

REDAKTION

Das Zahnrad als „treibende Kraft in einem komplexen System“ symbolisiert für Daniel Zettl das Wesen seiner Arbeit als Projektmanager. Nach seinem Studium in Innsbruck sammelte er bei dem Werkzeugbauer Prometall erste Berufserfahrungen, bevor es den 28-jährigen Wirtschaftsingenieur 2006 zu Brunel zog. Nach seinem ersten Projekt bei Dräger im Bereich Tieftauchanlagen arbeitet er aktuell im Vertriebsmanagement bei der Business Unit Rotorion der MTU Friedrichshafen GmbH, einem der führenden Unternehmen für Gelenkwellen.

DIALOG Public Relations, Bremen GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

Projektpartner für Technik und Management

GESTALTUNG GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Bremen

FOTOGRAFIE (COPYRIGHTS) Sofern nicht abweichend, alle Angaben als Bildnummern: GfG / Gruppe für Gestaltung (Titel, S. 3, 05–06, S. 12, 08–09, S. 35, 26), Fotolia (U2, 07, 24), Jens Paul Taubert (01–03), Rudolf Uhrig, Nibelungen-Festspiele, Worms (04), dpa Picture-Alliance (S. 18, 10, 12, 31), BMBWK (11), Brunel Niederlassung, Wolfsburg (13–14, S. 24),Volkswagen AG (15), Sonja Brüggemann (S.27, 16–17), Lloyd Werft Bremerhaven GmbH (18–21), Hans-Werner Eberhardt (22–23, U5), Michael R. Kessler, University of Illinois (25), Waterstudios.NL (27–29), Cairos technologies AG (32–33)

DRUCK Druckerei Girzig + Gottschalk GmbH, Bremen

ERSCHEINUNGSWEISE 3 Ausgaben / Jahr, Auflage 23.500 Stück

Professionals gesucht. Anspruchsvolle Aufgaben, innovative Projekte, modernes Arbeiten – wer in den technischen Branchen eine führende Rolle übernehmen will, darf nur mit den Besten zusammenarbeiten. Deshalb suchen wir Sie: Als Ingenieur, Informatiker oder Manager mit Erfahrung, Kompetenz und Engagement.

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„UNSER SPEZIALIST“ DANIEL ZETTL

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für Wolfsburg

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… zahlreiche weitere Offerten für Ihren persönlichen Karriereweg finden Sie unter www.brunel.de

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Das Magazin für Technik und Management

Daniel Zettl und das Zahnrad >>

Operation Schiffsverlängerung Neubauten sind nicht immer die wirtschaftlichste Lösung

Wundheilung für Oberflächen Nanoteilchen mit heilenden Kräften

Architektur für Wasserwelten Schwimmende Gebäude trotzen dem Meeresspiegelanstieg

LESERSERVICE Ihre Adresse hat sich geändert? Sie interessieren sich für Hintergründe und weitere Informationen zu einzelnen Artikeln des Spezialisten? Oder Sie möchten uns auf ein interessantes Thema für eine der nächsten Ausgaben aufmerksam machen? Dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an: leserforum@der-spezialist.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen! Ihr Redaktionsteam „Der Spezialist“ 6015_10.2008


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