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Buchtipps von Denis Scheck

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NEUE BÜCHER MIT DENIS SCHECK

Denis Scheck

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Denis Scheck, Jahrgang 1964, gilt als witzigster und schlagfertigster Literaturkritiker deutscher Sprache. Bereits mit 13 gründete er eine eigene Literaturzeitschrift. Später studierte er Germanistik, Zeitgeschichte und Politikwissenschaft und wurde Literaturagent, Übersetzer, Herausgeber, Redakteur beim Deutschlandfunk und freier Kritiker. Er gehörte zur Jury des Bachmann-Preises und wurde für sein Wirken vielfach ausgezeichnet.

In seiner Sendung „druckfrisch“ in der ARD stellt Denis Scheck Neuerscheinungen vor und interviewt Schriftsteller. Er lobt und lästert über Bücher und Autoren, empfiehlt und kritisiert. „druckfrisch“ ist eine sehr unterhaltsame Literatursendung und wurde mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

DIE NÄCHSTEN SENDUNGEN: • 25. April 2021, 23.35 Uhr • 30. Mai 2021, 23.35 Uhr • 12. September 2021, 23.35 Uhr Termine ohne Gewähr | www.daserste.de

Denis Scheck empfiehlt!

Er liebt Bücher, er lobt Bücher, er verreißt Bücher. In unserem Magazin stellt Denis Scheck seine Top-Titel der Saison vor. Total direkt und mit Witz.

Eurotrash

Das ist der berührendste, menschlich reifste Roman, den Christian Kracht bislang geschrieben hat. Und der lustigste. Ich jedenfalls habe Tränen gelacht, während ich atemlos die Reise einer Mutter mit künstlichem Darmausgang, einem Sohn mit einem schweren Familienkomplex und einer Plastiktüte mit sechshunderttausend Franken durch eine Geisterbahn namens Schweiz verfolgte. Seit Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt hat den Schweizern niemand mehr so schön und überzeugend die Leviten gelesen: „Wenn man in Zürich war, dachte man ja immer, es würde einen der Geist von Joyce und des Cabaret Voltaire umwehen, aber in Wirklichkeit war es lediglich eine Stadt der geldgierigen Oberleutnants und selbstherrlichen Strizzis.“ Und genau so messerscharf seziert Kracht auch die eigene deutsche Familiengeschichte. Eine literarische Offenbarung. (Mehr zum Buch auf S. 22)

Menschwerdung eines Affen

Die Wissenschaftlerin Heike Behrend erzählt in ihrer „Autobiografie der ethnografischen Forschung“, wie es ihr bei ihren Feldforschungen in den Tugendbergen im Nordwesten Kenias und in Uganda erging. Verspottet, ausgelacht und als „Affe“, „Närrin“ oder „Clown“, „Hexe“, „Spionin“, „satanischer Geist“ und „Kannibale“ beschimpft, lernt die Ethnologin, sich mit dem Blick ihrer Studienobjekte zu sehen und kulturelle Differenz auszuhalten. Erstaunlich produktiv fällt dabei Behrends nuancenreicher Vergleich ihres eigenen Tuns mit dem des Affen Rotpeter aus Kafkas Bericht für eine Akademie aus. So heiter und anregend kann Wissensvermittlung sein.

Nachtgestalten

Die Zusammenarbeit zweier der scharfsinnigsten Autoren der Gegenwart. Nachtgestalten schildert wortwitzig und bildmächtig den endlosen Kneipenzug zweier liebeskranker Alkoholiker durch die Prager Altstadt als Graphic Novel. Ein unwiderstehliches Buddy-Comic, das auch noch die schwersten Themen federleicht verhandelt, ohne ihnen ihr Gewicht zu nehmen.

Christian Kracht Eurotrash 224 S., 22,00 € eBook 18,99 € Kiepenheuer & Witsch Heike Behrend Menschwerdung eines Affen 278 S., 25,00 € eBook 16,99 € Matthes & Seitz Berlin Jaroslav Rudiš, Nicolas Mahler Nachtgestalten 144 S., 18,00 € eBook 14,99 € Luchterhand

NEUE BÜCHER MIT DENIS SCHECK

Mädchen, Frau etc.

In Mädchen, Frau etc. feiert die Britin Bernardine Evaristo ein Hochamt politischer Korrektheit und erzählt am Beispiel der Schicksale eines Dutzends schwarzer Frauen von den dominierenden Ideologien unserer Gegenwart, also von Feminismus, Wokeness, Diversity, Identitätspolitik und dem Infragestellen der eigenen Privilegien. Eigentlich müsste dieser Roman unter so viel aufgebürdetem weltanschaulichen Ballast zusammenbrechen. Gerade das verhindert die größte Stärke der Erzählerin Bernardine Evaristo: ihr Humor. Und ihre Fähigkeit, all diese Ideologien in der Ambivalenz des kritischen Bewusstseins ihrer Figuren aufzuheben und in der Schwebe zu halten. Das macht diesen Ausnahmeroman zu einer Schule gegen Schwarzweißdenken.

Bernardine Evaristo Mädchen, Frauen etc. 512 S., 25,00 € eBook 19,99 € Tropen Sharon Dodua Otoo Adas Raum 320 S., 22,00 € eBook 18,99 € S. Fischer

Sharon Dodua Otoo

wurde 1972 in London geboren, wo sie gemeinsam mit zwei Geschwistern aufwuchs. Ihre Eltern stammen aus Accra, der Hauptstadt Ghanas. Sharon Dodua Otoo ist Autorin und politische Aktivistin. 2016 gewann Sie den Ingeborg-Bachmann-Preis mit dem Text Herr Gröttrup setzt sich hin. Politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. und Phoenix e.V. Heute lebt sie mit ihren vier Söhnen in Berlin.

Adas Raum

Die auf Deutsch schreibende Britin Sharon Dodua Otoo hat in meinen Augen das spektakulärste Romandebüt in diesem Frühjahr geschrieben: Adas Raum erzählt blitzgescheit über fünf Jahrhunderte hinweg von der Erfahrung ganz unterschiedlicher schwarzer Frauen, die alle Ada heißen, aber zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten leben. Ihre unterschiedlichen Geschichten haben alle etwas mit einem Armband aus goldenen Perlen zu tun, das diesen Roman buchstäblich zusammenhält. Was mich am meisten an Adas Raum begeistert: die völlig irren Erzählperspektiven. Mal erzählt ein Türklopfer aus dem Leben im viktorianischen London, mal schildert ein Zimmer Vorfälle in einem Konzentrationslager während der Nazizeit, dann wieder schildert ein britischer Reisepass das Berlin der Gegenwart.

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