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Editorial

Umwegkommunikation über Israel

t Seit Jahren wird debattiert, was israelbezogener Antisemitismus ist und wie damit umzugehen sei. Thomas Haury und Klaus Holz nahmen nun den Streit um die Einladung des postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe zur Ruhrtriennale im Frühjahr 2020 zum Anlass, dieser Erscheinungsform des Antisemitismus auf den Grund zu gehen.

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In einer theoretisch anspruchsvollen Einleitung klären die Autoren zunächst den Begriff des Antisemitismus. Ihre Rekonstruktion des Antisemitismus gegen Israel folgt der von Klaus Holz vorgelegten wissenssoziologischen Analyse des »nationalen Antisemitismus«, in dessen Semantik alles Jüdische als »Figur des Dritten« die nationale Ordnung der Welt mit ihren dichotomen Fremd- und Feindbildern aufzulösen droht: als »Anti-Volk« bedrohen »die Juden« sämtliche anderen »Völker« und Nationen. Damit unterscheidet sich dieser (anti-)moderne Welterklärungs-Antisemitismus deutlich von rassistischen Fremdbildern. In einem historischen Kapitel wird entsprechend nachgezeichnet, wie bereits gleichzeitig mit der zionistischen Bewegung lange vor Gründung des Staates Israel auch ein antisemitischer Antizionismus entstand.

Alle heutigen Erscheinungsformen des Antisemitismus sind für die Autoren postnazistisch geprägt: Dabei rücken die im Antisemitismus ohnehin bereits angelegte, schuldabwehrende Täter-Opfer-Umkehr sowie eine in Codewörter (»Wallstreet«, »Ostküste«) verpackte und oft auf Israel gerichtete »Umwegkommunikation« ins Zentrum antisemitischer Vorstellungen. Die verschiedenen Ausprägungen und Milieus finden im Buch ihren Platz: Zum Thema »Antisemitismus von links« wird am spätstalinistisch-antiimperialistischen Antizionismus der DDR aufgezeigt, dass dieser im Rahmen des neuen Selbstbildes als »antifaschistischer Staat« ebenso postnazistisch war, wie sein Pendant in der antiimperialistischen Neuen Linken in Westdeutschland.

Islamistischen Antisemitismus betrachten Haury und Holz als »islamisierten Antisemitismus«. Der moderne europäische Antisemitismus wurde, nunmehr »an eine islamistische Semantik angepasst«, zum heute verbreiteten »anti- und postkoloniale(n) Antisemitismus gegen Israel«. Zum Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft diskutieren die Autoren Studien aus dem pädagogischen Bereich, die das umstrittene Verhältnis zwischen »Antisemitismus von Muslim*innen und Rassismus gegen Muslim*innen« auch aus postkolonialer Perspektive reflektieren. Leider wird die Rolle der Islamverbände nicht beleuchtet, obwohl deren Akteur*innen immer wieder durch die Verbreitung von israelbezogenem wie auch klassischem Antisemitismus in den migrantischen Communities auffallen.

Im Unterschied zu dieser Zurückhaltung befassen Haury und Holz sich etwa im Kapitel über christlichen Antisemitismus gegen Israel ausführlich mit dem Verhalten der Amtskirchen zu israelbezogenem Antisemitismus aus ihren Reihen. Die vor allem in fundamentalistisch-evangelikalen Kreisen verbreitete Israel-Unterstützung dagegen erweist sich für die Autoren als antijudaistisch grundiert und zeigt Überlappungen zur Neuen Rechten auf. Denn auch in der Neuen Rechten gibt es einen plakativ pro-israelischen Flügel, den die Autoren vor allem im Umfeld der AfD ausmachen. Sie sehen hier eine postnazistische Entlastungsstrategie am Werk, die den Antisemitismus durch Projektion auf muslimische Migrant*innen und Linke externalisiert und die Shoa zwar formal anerkennt, sie aber als unbedeutend für die heutige ‚deutsche Identität‘ bagatellisiert. Angesichts der gleichzeitigen Propagierung welterklärender Verschwörungsmythen etwa über einen ‚großen Austausch‘ sehen sie eine rechte Strategie der »Wiedergewinnung einer antisemitischen Weltanschauung«. Im Kapitel über identitätspolitischen Antirassismus beleuchten Haury und Holz die Kontroversen um israelbezogenen Antisemitismus exemplarisch an der antiisraelischen Boykottkampagne BDS und an Texten Judith Butlers, die sich mit BDS-Unterstützung und fragwürdigen Äußerungen zu antisemitischen Gruppen wie Hamas und Hisbollah den Antisemitismusvorwurf einhandelte. Die Autoren halten fest, die BDS-Kampagne selbst sei »zwar nicht komplett antisemitisch, aber erhebliche Teile von BDS sind eindeutig antisemitisch«. Butler ignoriere das AntisemitismusProblem bei BDS vollständig und blende die Möglichkeit antisemitischer Positionen innerhalb antirassistischer und postkolonialer Bewegungen systematisch aus, auch weil sie Antisemitismus fälschlich nur als Unterform von Rassismus wahrnehme. In der festgefahrenen Auseinandersetzung Antirassismus versus Antisemitismuskritik sehen Haury und Holz beiderseits »Vereinseitigungen und Verhärtungen« und konstatieren eine »gescheiterte Vermittlung«.

Leider gehen sie aber nicht näher auf die von ihnen immerhin als Anlass für das Buch genannte Mbembe-Debatte ein, obwohl gerade dieser Streit exemplarisch verlief: Die Verteidiger*innen Mbembes taten jede noch so gut belegte Antisemitismuskritik als rassistische Schmähkampagne ab, während seine Kritiker*innen teils das gesamte heterogene Feld des Postkolonialismus als antisemitisch kontaminiert vom Tisch wischten. Und dieses Muster wiederholt sich bei jeder neuen Kontroverse um israelbezogenen Antisemitismus, sei es im Falle der Moderatorin Nemi El-Hassan oder bei der documenta15. Haury und Holz wenden sich daher gegen jede »identitätspolitische Zurichtung« von Rassismuskritik wie Antisemitismuskritik und empfehlen einen »bedingten Universalismus«. Damit ist gemeint, die wechselseitige Bedingtheit von Rassismuskritik und Antisemitismuskritik selbstkritisch zu reflektieren und darüber eine universalistische Perspektive zu entwickeln. Insgesamt belegt das vorliegende Buch die »pandemische Präsenz« des israelbezogenen Antisemitismus in all seinen Varianten mit eindrucksvoller Materialfülle und ordnet sie theoretisch komplex in den modernen Antisemitismus ein. Das sollten auch jene würdigen, die nicht alle wissenschaftlichen und politischen Schlussfolgerungen der Autoren teilen.

Udo Wolter

t Klaus Holz und Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel. Hamburger Editionen, 2021. 424 Seiten, 35 Euro.

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