Iz3w Magazin # 337

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Yala ! Yala ! Arabische Frauenbewegungen

iz3w t informationszentrum 3. welt

Außerdem: t Flüchtlingslager in Tunesien t Windkraft in Mexiko t Machtpolitik in Ostafrika t Schlingensiefs Operndorf in der Kritik t Politik mit Style …

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Juli /Aug. 2013 Ausgabe q 337 Einzelheft 6 5,30 Abo 6 31,80


I n d ieser A u sga b e

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Schwerpunkt: Frauenbewegungen in der arabischen Welt

»Die beste aller Frauen« Titelmotiv: G. Ibrahim

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Politik und Ökonomie 4

Atomkraft: »Eine brisante Angelegenheit« In Tansania formiert sich Widerstand gegen den Uranabbau Interview mit Anthony Lyamunda

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Zähes Ringen In Tunesien kämpfen Frauen für den Erhalt feministischer Errungenschaften von Katrin Dietrich

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»Weibliche Sexualität wird nicht wahrgenommen« Ungleichheit per Gesetz Algerische Frauen kämpfen um ein egalitäres Familienrecht von Zahia Boudiaf

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Mit dem Koran gegen Sexismus Plädoyer für einen Feminismus ohne Grenzen von Zahra Ali

Mexiko: Kampf gegen Windmühlen 30

Politisch, nicht kulturell ! Zur Kritik von »islamischem Feminismus« und Kulturalismus von Hannes Bode

Ostafrika I: Eigennützige Integration Südafrika, Kenia und Äthiopien wollen Ostafrika nach ihren Interessen gestalten von Sören Scholvin

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Migration: Ethnisierung der Unterschicht

Ein Windenergieprojekt in Mexiko stößt auf Widerstand von Moritz Binzer und Jonathan Welker

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»I am not a feminist!« Frauenrechtsaktivistinnen in Ägypten von Johanna Block

Mali: In den Augen der anderen

Rassistisches und neoliberales Denken gegen Sozialleistungen von Sebastian Friedrich

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Interview mit der Autorin Naha Sano

Die transnationale Debatte über die Krise in Mali von Olaf Bernau

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»Die ägyptische Kultur ist auch frauenfeindlich« Interview mit der Politologin Hoda Salah

Asyl: Wer ist eigentlich Flüchtling? Proteste im tunesischen UNHCR-Flüchtlingslager Choucha von Mareike Kessler und Marvin Lüdemann

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Syrien: Selbst Brot ist knapp Die Binnenvertriebenen in Kurdisch-Syrien bekommen keine internationale Unterstützung von Thomas Schmidinger

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Selbstbewusst zwischen den Welten Über 100 Jahre arabischer Feminismus zwischen Moderne und Tradition von Hannah Wettig

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Empowerment und Ausschluss Islamistische Frauen und die Politik der Frömmigkeit in Ägypten von Renate Kreile

Ostafrika II: Ein Hafen voller gemischter Gefühle Das Lamu-Projekt in Kenia von David John Bwakali

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Ein kurzer Moment von Freiheit Saudi Arabiens Gesellschaft öffnet sich nur allmählich für Frauenrechte von Julia Gerlach

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Kultur und Debatte 38

»Den Verstand entschleiern« Rezensionen zum Thema

Cultural Studies: »Nicht auf Radical Chic reduzieren« Interview mit Philipp Dorestal über afroamerikanische Style Politics

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Oper: Schlingensiefs weißer Elefant

47 Rezensionen

Das Operndorf in Burkina Faso wirft kritische Fragen auf von Christa Aretz und Karl Rössel

50 Szene / Tagungen 50 Impressum

Film I: Filmisch eingefangen Das Internationale Frauenfilmfestival über Auswüchse der Globalisierung von Wolfgang Kienast

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Film II: Unter Strom Das freiburger film forum zeigte neue internationale Produktionen von Frederik Skorzinski

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Edi t o r ia l

Mit deutscher Präzision Seine Lage muss ihm ausweglos erschienen sein: Am Abend des 29. Mai erhängte sich im brandenburgischen Eisenhüttenstadt der 20-jährige Djamaa Isu aus dem Tschad. Am darauf folgenden Tag stand seine Abschiebung nach Italien bevor, jener »sichere Drittstaat«, über den der junge Mann nach Deutschland gelangt war. Aus dem Tschad war er geflüchtet, weil er dort um sein Leben fürchtete. Die Unsicherheit und Ungewissheit in Deutschland hatte bei Isu schon vor dem Selbstmord zu ernsthaften psychischen Problemen geführt, er hatte seine Kammer in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende kaum noch verlassen. So oder ähnlich sieht sie aus, die Realität vieler Asyl­ suchender im Jahr 2013. Die Angriffe von Stiefelnazis, die sie mit Baseballschlägern und Brandanschlägen aus dem Land jagen wollen, sind zwar gegenüber den 1990er Jahren weniger geworden. Das beruht aber weniger auf der Abnahme von rassistischem Gedankengut als vielmehr auf der schlichten Erkenntnis, dass es nicht mehr notwendig ist, zur praktischen Umsetzung von Rassismus das Risiko von schweren Straftaten auf sich zu nehmen. Denn die Mission, AsylbewerberInnen zu vertreiben, wird seit zwei Jahrzehnten ganz legal von den SchreibtischtäterInnen in den Behörden übernommen. Mit deutscher Präzision schikanieren sie Flüchtlinge mit allerlei Auflagen wie der Residenzpflicht, verweigern ihnen jegliche Perspektive, organisieren Abschiebungen und führen Statistiken.

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en Auftrag zur institutionellen Gängelei bekamen die SchreibtischtäterInnen vor zwanzig Jahren vom Deutschen Bundestag erteilt. Am 26. Mai 1993 verabschiedete eine Zwei-Drittel-Mehrheit aus Abgeordneten von SPD, FDP und CDU / CSU de facto die Abschaffung des Asylrechts, wie es bis dahin in Artikel 16 des Grundgesetzes festgelegt war. Die Abgeordneten verstanden ihren »Asylkompromiss« als angemessene Reaktion auf rassistische Gewalt à la Rostock-Lichtenhagen – ein klassischer Fall von Täter-Opfer-Umkehrung. Einmal mehr war Deutschland somit Vorreiter in Sachen Inhumanität: Aus einem verbrieften Grundrecht wurde mit dem neuen Artikel 16a ein »Deportationsparagraph« und eine »Blaupause der gesamteuropäischen Flüchtlingsabwehr«, wie die Kampagne »Fight Racism now!« unlängst treffend formulierte. Nach verschiedenen seriösen Schätzungen sind der militärischen und polizeilichen Verteidigung der Festung Europa während der letzten zwanzig Jahre über 16.000 Menschen zum Opfer gefallen. Am Tag der Abschaffung des Asylrechts hatten mehrere tausend Demonstrierende versucht, den Bundestag in

Bonn zu blockieren. Vergeblich. Die Ohnmacht, damals gegen den Rassismus des Volkes und seiner VertreterInnen nichts ausrichten zu können, gehört bis heute zu den bittersten Erfahrungen, die die antirassistische Linke im postnazistischen Deutschland machen musste. Seit dem 26. und 29. Mai 1993, an dem Nazis mit dem Solinger Brandanschlag die Bundestagsentscheidung auf ihre Weise zelebrierten, ist die ­Unterstützung von Flüchtlingen ein bloßer Abwehrkampf aus einer defensiven Position heraus. Die Kampagnen gegen die fortlaufenden Einschränkungen des Asyl- und Ausländerrechts, die Abwehr rassistischer Anschläge, die Kritik an den sarrazinistischen Ressentiments der bürgerlichen Mitte, die Gegenwehr gegen behördliche Schikanen und institutionellen Rassismus – das alles sind seither weitgehend Geschichten von Niederlagen. Diese traurige Feststellung soll nicht das Engagement jener schmälern, die sich dem rassistischen Konsens entgegenstellen, ganz im Gegenteil. Doch von viel zu wenigen Ausnahmen abgesehen, sind FlüchtlingsunterstützerInnen und -Selbstorganisationen nicht in der Lage, auch nur das Schlimmste verhindern zu können, wie etwa Abschiebungen.

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as bloße Konstatieren dieser Ohnmacht hilft nicht weiter, es lähmt. Die seit Mitte 2011 entstandene Bewegung der Refugees, die insbesondere in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und in Italien mit Besetzungsaktionen einige Aufmerksamkeit erregen konnte, zeigt, dass auch aus einer Position der Schwäche heraus selbstbewusster Protest möglich ist. Viele Refugees agieren kämpferisch und lassen sich von der Hässlichkeit der Staatsmacht nicht einschüchtern. Wenn sie etwa gezielt am gesamtdeutschen Nationalheiligtum, dem Brandenburger Tor, demonstrieren, offenbart dies ein befreiendes offensives Moment. Lassen wir uns davon anstecken, drehen wir das Blatt um und drängen die RassistInnen in die Defensive. Gleich ob sie als Nazis auf der Straße, als SchreibtischtäterIn in einer Behörde oder als HetzerIn in den Medien aktiv werden: Sie sind es, die unmoralisch handeln und die sich dafür zu verantworten haben. Sie sind es, die oftmals gegen geltendes Recht verstoßen, die politisch ewiggestrig sind, die eine moderne offene Gesellschaft sabotieren, die dem Fortkommen der Menschheit schaden und ergo unsympathische Hanswürste sind. Der einzig angemes­sene Umgang mit ihnen ist der Entzug jeglicher politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme. Drum rufen wir ihnen zu: RassistInnen, geht baden! Bei dieser schönen sommerlichen Aktivität könnt ihr wenigstens keinen großen Schaden anrichten, findet… die redaktion

PS: Anfang 2014 werden wir uns in einem Dossier ausführlich mit Asyl und den Anstrengungen zu seiner Abschaffung befassen. Erstellt wird es in Kooperation mit Hinterland, dem Magazin des Bayerischen Flüchtlingsrates.

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Foto: R.Maro/version-foto.de

Eigennützige Integration Südafrika, Kenia und Äthiopien wollen Ostafrika nach ihren Interessen gestalten Nicht nur ehemalige Kolonialmächte und die USA verfolgen geopolitische Z ­ iele in Ostafrika. Auch afrikanische Staaten versuchen mittlerweile, als regionale Ordnungsmächte ihre Ziele zu verwirklichen. Südafrika setzt auf eine Freihandelszone vom Kap bis nach Kairo. Kenia und Äthiopien intervenieren militärisch in Somalia und wollen einen Transportkorridor zu den Ölfeldern im Südsudan errichten.

von Sören Scholvin Mit der Tripartite-Free Trade Area (T-FTA) verfolgt die südafrikanische Regierung ein ehrgeiziges regionales Integrationsprojekt. Sie soll drei bereits bestehende Freihandelszonen zusammenführen: den Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA), die East African Community (EAC) und die Southern African Development Community (SADC). Alle drei Organisationen sind von der Überzeugung getragen, die im globalen Vergleich nachfrageschwachen und auf wenige, oft nicht industriell weiterverarbeitete Exportgüter beschränkten Volkswirtschaften der Region müssten sich integrieren. Nur als regionaler Block seien sie für internationale Investoren attraktiv und könnten, geleitet durch Public-Private-Partnerships, Industrialisierungsimpulse erfahren. Die T-FTA hebt diese Logik auf die kontinentale Ebene. Mit 533 Millionen EinwohnerInnen in den beteiligten Ländern und einem kumulierten Bruttoinlandsprodukt von 833 tt

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Milliarden US-Dollar erreicht sie im Vergleich zu anderen Wirtschaftsblöcken in Afrika beeindruckende Ausmaße.

Freie Fahrt für Freihandel Doch unter den Staaten, die die T-FTA bilden sollen, zeigen sich erhebliche Interessensgegensätze. So hoffen viele der potenziellen Mitglieder, ihren Zugang zum lukrativen südafrikanischen Markt zu verbessern. Südafrikas Regierung hingegen beharrt auf schrittweisen Verhandlungen zur Umsetzung der Zollsenkungen für einen Wirtschaftssektor nach dem anderen. Sie will ihre Industriepolitik, die auf selektive Schutzzölle angewiesen ist, nicht aufgeben und fürchtet wie der südafrikanische Gewerkschaftsdachverband COSATU den »Export südafrikanischer Arbeitsplätze« in die Region. Gleichzeitig drängen südafrikanische Banken und Telekommunikationsunternehmen, tt

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teilweise auch Supermarktketten, auf einfachen Zugang zu den viel versprechenden Märkten des Kontinents. Das Black-Economic-Empowerment 1 Unternehmen MTN ist mit 126 Millionen KundInnen größter Mobilfunkanbieter in Afrika. Der Konkurrent Vodacom, mittlerweile von Vodafon aufgekauft, expandiert ebenfalls regional. Absa Bank und Nedbank verfolgen innovative, den afrikanischen KonsumentInnen angepasste Strategien, etwa beim Mobile Banking. Bereits jetzt dominieren sie die Banksektoren vieler SADC-Länder. Die Supermarktkette Shoprite beschränkt sich jenseits der SADC auf Ghana, Nigeria und Uganda. Beim Versuch, in Kenia Fuß zu fassen, ist sie bisher gescheitert. Vor allem die Mitgliedschaft einiger Staaten in mehreren Wirtschaftsblöcken erschwert wegen langwieriger Kontrollen den grenzüberschreitenden Handel. Bereits ein Tag Wartezeit an Grenzübergängen koste rund 500 US-Dollar pro LKW, beklagt Shoprite. Während Südafrika deswegen auf eine bessere verkehrstechnische Anbindung der Nachbarstaaten an sich setzt, hoffen die Binnenstaaten auf direkte Transportwege zur Küste. Denn zurzeit ergeben sich 50 bis 70 Prozent des Weltmarktpreises von Gütern aus Malawi, Ruanda und Uganda aus den Transportkosten. Da Häfen wie Beira (Mosambik), Dar es Salaam (Tansania) und Mombasa (Kenia) jedoch günstiger liegen als die südafrikanischen Hafenstädte Durban und Richards Bay, hat Südafri-


Ostafrika kas Industrie- und Handelsminister Rob Davies bereits angekündigt, sein Staat werde keine Integrationsprojekte zu Lasten der südafrikanischen Häfen unterstützen. Über Verkehrs- und Handelsfragen hinaus hat der Wirtschaftsverband TradeMark Southern Africa vorgeschlagen, Südafrika solle einen beträchtlichen Anteil seines rasch zunehmenden Strombedarfs über Wasserkraftwerke in anderen Ländern der T-FTA decken. Vor allem Äthiopien und die DR Kongo verfügen über klimatisch und topographisch nahezu ideale Voraussetzungen für Wasserkraft. Dortige Großprojekte könnten an das südafrikanische Netz angebunden werden. So soll das Inga-III-Kraftwerk im Westen der DR Kongo eine Kapazität von 4.500 Megawatt erreichen. Südafrikas Präsident Jacob Zuma und sein kongolesischer Amtskollege Joseph Kabila haben bereits einen Vertrag zur Zusammenarbeit unterzeichnet. Gilgel Gibe III in Äthiopien, nach dem Assuan-Staudamm das derzeit leistungsstärkste Wasserkraftwerk in Afrika, bringt es auf immerhin 1.870 Megawatt. Die ökologisch bedenkliche MillenniumTalsperre am Blauen Nil soll 5.250 Megawatt erzeugen. Wie diese Überlegungen zeigen, geht es bei der T-FTA nicht nur um Zollsenkungen. Infrastruktur- und Industrialisierungsprojekte bilden die beiden anderen Säulen des Integrationsvorhabens und sollen insbesondere in Ostafrika angeglichen werden. Politisch passt die T-FTA in die Strategie, eine kontinentale Integration durch Fortschritte bei der subkontinentalen Integration zu erreichen. Sie knüpft an die panafrikanischen Bemühungen des vormaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki an, denn auch die von ihm lancierte »African Renaissance« und das New Partnership for Africa’s Development (NEPAD) weisen über die SADC-Region hinaus. Doch der bei Mbeki zumindest anfänglich noch vorhandene panafrikanische Idealismus spielt für seinen Amtsnachfolger Zuma keine Rolle. Zwischenstaatliche Kooperation in Afrika hat für Zuma lediglich instrumentellen Charakter bei der Verwirklichung innenpolitischer Ziele.

Korridor zum Südsudan Die wirtschaftliche Integration Ostafrikas und dessen Einbettung in die T-FTA wird stark von der Unabhängigkeit des Südsudan beeinflusst. Kontrollierte bis Juli 2011 die im nordsudanesischen Khartum ansässige Regierung Omar al-Bashirs die drittgrößten Erdölvorkommen Subsahara-Afrikas alleine, sind nun 75 Prozent davon im Südsudan gelegen. Doch der jüngste Staat auf dem afrikanischen Kontinent ist kaum funktionsfähig: Ethnisierte Konflikte, in denen auch Kriminelle und marodierende Soldaten mitmischen, drohen ihn zu zerreißen. Militärische Auseinandersetzungen im umstrittenen Grenzgebiet zum Norden flammen sporadisch auf. Auch die sozioökott

nomische Ausgangssituation ist denkbar buti und Port Sudan angewiesen. Optimistischen Planungen zufolge sollen im Jahr 2030 schlecht: Lediglich 2.500 Kilometer des Stravon Lamu täglich 30 Züge nach Juba und 52 ßennetzes können ganzjährig genutzt werden. nach Addis Abeba fahren. Die erste asphaltierte Fernstraße des Landes wird momentan von der Hauptstadt Juba zur ugandischen Grenze gebaut. Die Hälfte der Intervention in Somalia Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, schätzungsweise 20 bis 35 Prozent sind tt Voraussetzung für eine Umsetzung des unterernährt. Zehn Prozent der Kinder sterben Lamu-Projektes ist ein Ende der bewaffneten vor ihrem ersten Geburtstag. Konflikte, die von Somalia nach Kenia überDie einzige Chance, dringend benötigte greifen. Seit dem Einmarsch ins Nachbarland Infrastruktur von Krankenhäusern und Schulen im Oktober 2011 kontrollieren kenianische bis zu Eisenbahnlinien und Überlandstraßen Truppen in Zusammenarbeit mit den von Uganzu finanzieren und so eine wirtschaftliche Dyda geführten Streitkräften der Afrikanischen namik in Gang zu setzen, scheint der ErdölUnion den Süden Somalias. Anlass der Operasektor zu sein. Gleichzeitig ist er für die polition »Linda Nchi« (Swahili für »Verteidigt die tische Stabilität des Südsudan entscheidend. Nation«) waren Entführungen und Ermordun98 Prozent des Staatshaushalts werden durch gen westlicher EntwicklungshelferInnen und Ölexporte gedeckt. Über die Ölrente erhält TouristInnen auf kenianischem Staatsgebiet die regierende Sudan People’s Liberation Modurch die islamistische Miliz al-Shabaab (siehe vement (SPLM) ihr Klientelnetzwerk. Doch Öl iz3w 329). Doch die Übergriffe der somalischen kann momentan nur über das Staatsgebiet al-Shabaab dienten lediglich als Rechtfertigung. des Nordsudan exportiert werden. Im Januar Bereits ein Jahr vor der Intervention waren 2012 kam es zu dem für den Süden denkbar hierüber informelle Absprachen zwischen der schlechtesten Szenakenianischen Regierung und rio, als die Regierung den USA getroffen worden. Kenia ist kein bloßer al-Bashir sich nicht auf Neben der für den Lamudeutlich geringere Korridor notwendigen SicheStellvertreter des Westens Durchleitungsgebührung der Grenzregion soll ren einließ und der durch die Intervention die Südsudan daraufhin die Förderung einstellte. anhaltend hohe Flüchtlingsmigration von SoErst im August wurde durch Vermittlung der malia nach Kenia gestoppt werden. Das FlüchtAfrikanischen Union eine Einigung erzielt. lingslager Dadaab, vor zwanzig Jahren für Angesichts dieser Abhängigkeit vom Nor90.000 Menschen geplant, ist mit schätzungsden ist die SPLM bestrebt, eine Pipeline über weise 400.000 Somalis zurzeit die drittgrößte kenianisches Staatsgebiet bis zum Hafen Lamu Stadt Kenias. Die somalischen Elendsviertel in am Indischen Ozean zu bauen. Obwohl ohne Nairobi bieten Rückzugsräume für Mitglieder von al-Shabaab, die bereits mit Selbstmordweitgehende politische Reformen die Mehrheit der SüdsudanesInnen hiervon wenig anschlägen auf die kenianische Intervention profitieren dürfte, würde die Pipeline zuminreagiert haben. Im globalen Kontext ist Kenidest die materielle Grundlage für wirtschaftas Vorgehen mit den sicherheitspolitischen lichen Fortschritt schaffen. Die Kosten für Interessen des Westens vereinbar – denn neben ihren Bau werden auf vier Milliarden US-Doldem Jemen, Pakistan und Mali ist Somalia ein lar geschätzt. 500.000 Barrel südsudanisches wichtiges Rückzugsgebiet für al Qaida. Seit Öl könnten so täglich nach Lamu transportiert den Anschlägen vom 11. September 2001 soll werden. Ugandas Ölvorkommen aus dem Kenia rund drei Milliarden US-Dollar MilitärAlbertsee ließen sich ebenfalls erschließen. Im hilfe aus Washington erhalten haben. Dass kenianischen Küstenort Bargoni soll eine Ölsich die USA geweigert haben, den kenianiraffinerie gebaut werden. Ein denkbarer Abschen Truppen Luftunterstützung zu gewähnehmer wäre Südafrika, das selbst keine nenren, verdeutlicht jedoch, dass es durchaus nenswerten Ölvorkommen, dafür aber gute Differenzen zwischen Kenia und den USA gibt. Beziehungen zur SPLM besitzt. Eine bloße Stellvertreterin des Westens ist die Für den Zeitraum 2013 bis 2018 plant die aufstrebende ostafrikanische Macht nicht. kenianische Regierung, 16 Prozent ihres jährDie vom Westen abhängige somalische lichen Budgets für den Lamu-Korridor zu verRegierung hat sich bisher wohlwollend zur wenden. Angestrebt ist, den Korridor nicht kenianischen Intervention geäußert. Zu Spannur für Ölexporte, sondern auch als Route für nungen dürfte es kommen, falls Kenia an Plänen festhält, der autonomen Region Jubaland LKW und Güterzüge zu nutzen. Auf diese Weise könnte auch der Norden Kenias für als Puffer zwischen sich und dem übrigen Investitionen der nationalen Elite und ihrer Somalia zur faktischen Unabhängigkeit zu verWirtschaftspartner aus Übersee erschlossen helfen. Jubaland war von 1870 bis 1925 Teil werden. Des Weiteren soll Äthiopien am LamuBritisch-Ostafrikas und wurde erst danach Korridor beteiligt werden. Seit der UnabhänItalienisch-Somaliland und somit dem späteren gigkeit Eritreas verfügt Afrikas zwölftgrößte Staat Somalia zugeteilt. 1998 und 1999 hatten Ökonomie über keinen eigenen Zugang zum lokale Autoritäten die Unabhängigkeit verkünMeer und ist auf den Transport über Dschidet, was jedoch in den Bürgerkriegswirren iz3w • Juli / August 2013 q 337

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Ostafrika ohne nationale Auswirkungen und internationale Anerkennung blieb. Die Hafenstadt Kismayo ist bereits jetzt über schattenwirtschaftliche Aktivitäten enger an Kenia als an den Rest Somalias gebunden. Waffen für eine 3.000 Mann starke lokale Miliz hatte Kenia vor seiner Intervention aus China beschafft. Nennenswerte Erfolge dieser Miliz gegen die Islamisten blieben aus. Kenia entschied sich infolgedessen, eigene Truppen zu entsenden.

Nationale Interessen dominieren Auch Äthiopien ist militärisch in Somalia involviert und nimmt hierbei ähnlich wie Kenia die Rolle eines teils unabhängigen Juniorpartners der USA ein. Im Winter 2008/09 hatte Äthiopien in Abstimmung mit den USA kurzzeitig in Somalia interveniert. Damals beendete das äthiopische Militär den zunehmenden Einfluss der Union Islamischer Gerichte, einer mit den afghanischen Taliban vergleichbaren Organisation, aus der al-Shabaab hervorgegangen ist. Trotz Dementis von äthiopischer tt

und somalischer Seite spricht vieles dafür, dass Äthiopiens Armee mittlerweile erneut mehr als die offiziell bestätigten Aufklärungseinsätze in Zentralsomalia durchführt. Im Gegensatz zu Kenia ist Äthiopien allerdings gegen eine Unabhängigkeit von Jubaland. Die Regierung in Addis Abeba fürchtet, die Herauslösung Jubalands aus dem zumindest formell bestehenden somalischen Staat könne dem Separatismus der somalischen Bevölkerung in der Ogaden-Region, dem östlichen Teil Äthiopiens, neuen Auftrieb verleihen. Eine Stabilisierung Somalias wird weder von Äthiopien noch von Kenia verfolgt. Den beiden Regionalmächten geht es lediglich um befriedete Grenzgebiete. Ähnlich wie bei Südafrikas Plänen zur T-FTA droht die äthiopische und kenianische Sicherheitspolitik somit an den Bedürfnissen der kleineren Staaten der Region und des Gros ihrer EinwohnerInnen vorbeizugehen. Für das Verhalten aller drei Staaten sind nationale Interessen entscheidend. Diese überschneiden sich nur wenig mit den Interessen der Region.

Anmerkung 1 Unter dem Schlagwort Black Economic Empowerment werden Maßnahmen der südafrikanischen Regierung zusammengefasst, mit denen während der Apartheid diskriminierte Bevölkerungsgruppen wirtschaftlich gestärkt werden sollen. Hierzu zählen Weiterbildungsangebote, aber auch »positive Diskriminierung« bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und öffentlichen Aufträgen.

Literatur –– Carlo Koos (2011): Südsudan: Vom Traum in die Realität, Hamburg. GIGA Focus Afrika Nr. 7/2011, online: giga-hamburg.de. –– International Crisis Group (2012): The Kenyan Military Intervention in Somalia, Brüssel. ICG Africa Report Nr. 184, online: crisisgroup.org. –– TradeMark Southern Africa (2012): Regional Solutions to Providing Electricity in the COMESA-EAC-SADC Tripartite Region, Pretoria. Online: trademarksa.org.

tt Sören Scholvin ist Doktorand am Institut für Geographie der Universität Hamburg.

Ein Hafen voller gemischter Gefühle Das Lamu-Projekt stößt in Kenia auf Zustimmung und Ablehnung von David John Bwakali Auf die Frage, was er vom geplanten Hafen in Lamu hält, antwortet Suleiman achselzuckend: »Das Projekt ist mir gleich. Mich interessiert, wie ich meine Familie ernähren kann.« Suleiman arbeitet als Fischer in Lamu an der kenianischen Küste des Indischen Ozeans. Er ist einer von rund hunderttausend Menschen, die die Gegend als ihre Heimat betrachten. Die meisten hier sind Swahili, mit Vorfahren aus den lokalen Bantu-, indischen, chinesischen, arabischen und portugiesischen Communities. Die Altstadt von Lamu Island ist das älteste urbane Zentrum in Zentral- und Ostafrika. Der kulturelle Reichtum wirkt sich jedoch wirtschaftlich nicht aus, die Mehrheit der BewohnerInnen lebt unterhalb der Armutsgrenze. Für die indigenen Gruppen der Boni und Wasanye stellt sich Situation noch schlechter dar. Sie leben an den Rändern der Gesellschaft, obwohl sie ihre Sprachen längst aufgegeben haben. Dies ist der Hintergrund, vor dem im März 2012 das LAPSSET-Projekt (Lamu Port South Sudan Ethiopia Transport) vom damaligen kenianischen Präsidenten Mwai Kibaki, dem äthiopischen Premierminister Meles Zenawi und Südsudans Präsidenten tt

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Salva Kiir aus der Taufe gehoben wurde. Bei zur lokalen Bevölkerung durchsickert. Selbst der Feier versprach Kibaki, dass keine der lofür den Fall, dass dieser gerecht verteilt würkalen Gemeinschaften durch das Projekt an de, bleibt die Sorge einiger EinwohnerInnen den Rand gedrängt werde. Er stellte in Ausund zivilgesellschaftlicher Gruppen um die sicht, dass »beim Bau des Hafens in Lamu alle Umweltzerstörungen durch den Hafen. notwendigen Maßnahmen getroffen werden, Eine dieser umweltorientierten Gruppen um die Auswirkungen auf das empfindliche ist Save Lamu. Sie stellte im Zusammenhang Ökosystem und das kulturelle Erbe zu minimit dem Hafenbau bereits oft die Frage mieren.« Der neue Präsident Uhuru Kenyatta »Entwicklung – zu welchem Preis?« Diese hat sich noch nicht groß Frage ist ökologisch relevant, es besteht jedoch die Gefahr, zum Hafen geäußert, »Wir verlangen doch er scheint es wichdass sie die Prioritäten von tig zu nehmen: Die AufMenschen wie Suleiman missEntschädigungen für sicht über das Projekt ist achtet, denen es um den Undie Fischer, die ihre seinem Büro direkt unterhalt ihrer Familien geht. Fischgründe verlieren« terstellt. Bisher werden Antworten auf Bislang ist offen, ob diese offenen Fragen zum die lokalen CommuniLamu-Projekt vor allem von ties durch das Projekt zu GewinnerInnen oder außen gegeben, lokales Grassroot-EngageVerliererInnen werden. Issa Timami, der jüngst ment bleibt rar. Solange ein Großteil der gewählte Gouverneur von Lamu County, verBevölkerung schweigt, ist es jedoch schwielangt nach Aufklärung über die Auswirkungen. rig, etwas über ihre Sorgen, Nöte und Wün»Wir verlangen Entschädigungen für die Mensche zu erfahren. Somit besteht die Gefahr, schen, die ihr Land zugunsten des Hafens dass ihre Anliegen untergehen. aufgeben müssen, und ebenso für die Fischer, die ihre Fischgründe verlieren.« Weil der Bau des Hafens noch nicht begonnen hat, wird es tt David John Bwakali lebt als freier Journalist und Filmemacher in Nairobi. lange dauern, bis sein wirtschaftlicher Nutzen

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»Obwohl ich das bin, was man eine arabische Frau nennt, bin ich und sind viele andere Frauen wie ich nicht verschleiert, gefügig, ungebildet, unterdrückt und schon gar nicht unterwürfig. [...] Zwar bin ich das, was man eine arabische Frau nennt, doch sehe ich und sehen viele arabische Frauen wie ich fast genau so aus wie ... Sie!«

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o leitet die libanesische Schriftstellerin Joumana Haddad ihre »Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau« ein (siehe auch Seite 36/37). Noch vor einer Kritik an Patriarchat und Sexismus muss sie erst mit westlichen Mythen über 'die' arabische Frau aufräumen. Exotischer Bauchtanz und Haremsfantasien auf der einen Seite, Kopftuch, Zwangsehe und Unmündigkeit auf der anderen – wen wundert’s angesichts derart wirkungsmächtiger Klischees, dass sich arabische Feministinnen lange Zeit am (post-) kolonialen Blick abarbeiten mussten. Doch wie Hannah Wettig im Einleitungsartikel zu diesem Schwerpunkt zeigt, findet derzeit ein Perspektivenwechsel statt. Nach den Umbrüchen des Arabischen Frühlings wird Okzidentalismus zur Nebensache. Im Hier und Jetzt müssen Frauen in den arabischen Ländern vehement ihre Rechte verteidigen oder einfordern. Sie können dabei auf eine lange Tradition feministischer Kämpfe und Debatten zurückgreifen, die man hierzulande kaum wahrnimmt. Bereits im 19. Jahrhundert wurden reformerische Ideen und Schriften um den Status der Frau verbreitet. Und anders als von vielen Medien dargestellt, sind Frauen nicht erst mit der Arabellion 'plötzlich' auf der Straße erschienen. Ihre aktive Beteiligung an den antikolonialen Bewegungen war schon in den 1930er und 40er Jahren begleitet von den Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung. Nach der Unabhängigkeit folgten Kämpfe um den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, der in den sozialistischen Ländern der Arabischen Welt dank eines Staatsfeminismus rechtlich garantiert wurde. In Anbetracht so mancher Erfolge der arabischen ­Frauenbewegungen macht der Verlust des Status Quo umso wütender. Die nun an die Macht gekommenen

I­slamistInnen drohen eine radikale Geschlechtersegregation mit festen Rollenzuschreibungen zu etablieren. Hemmungslos debattiert man über Beschneidung von Frauen und stellt Feministinnen wie die 19-jährige Femen-Aktivistin Amina in Tunesien unter absurde Anklagen mit drakonischen Strafandrohungen. Wegen »Sittlichkeitsvergehen und ­Beteiligung an einer kriminellen Verschwörung« könnte sie zu 18 Jahren Haft verurteilt werden. Und während die PolitikerInnen 'moderat-islamistischer' Parteien Grundrechte abschaffen wollen, was in Tunesien gerade noch verhindert werden konnte, wird auf der Straße die Aggression und Gewalt gegen Frauen ganz offen ausgeübt, wie Hoda Salah im Interview von Ägypten erzählt.

Foto: G. Ibrahim

Frauenbewegungen in der arabischen Welt

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iegt das Problem also in der Religion begründet? Renate Kreile betont, dass es bei der Frage nach der Stellung der Frau nicht um den Wortlaut von Koran oder Sunna geht, sondern um soziale, politische und ökonomische Strukturen. Das Soziale bestimmt, welche Interpretationen des Islam entwickelt und gelebt werden. So ist in den letzten Jahren auch eine akademische Strömung entstanden, die Feminismus und Islam explizit verbunden sehen will, wie Zarah Ali darlegt. Das Konzept des so genannten islamischen Feminismus wird jedoch von vielen säkularen AktivistInnen der arabischen Länder scharf kritisiert. Die Gründe ihrer Kritik nennt Hannes Bode. 'Die' arabische Frauenbewegung ist lebendig und damit auch heterogen und widersprüchlich. Deshalb fällt es schwer, die unterschiedlichen Länder der arabischen Welt auf einen Nenner zu bringen. Deutlich zeigt sich dies im Vergleich Tunesiens mit Saudi Arabien. Während sich tunesische Frauen, bestens ausgebildet und fest im Berufsleben stehend, am Mittelmeer im Bikini sonnen, ist es für die voll verschleierten Aktivistinnen in Saudi Arabien bereits ein Erfolg, eine Viertelstunde lang heimlich mit dem Auto zu fahren, wie Julia Gerlach berichtet. Gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit lohnt ein Blick auf ‚die’ arabischen Länder und ihre Frauenbewegungen. Denn der nächste Frühling könnte ein feministischer sein, wünscht sich… die redaktion

Wir danken der Rosa Luxemburg Stiftung und der Gerda Weiler Stiftung e.V. für feministische Frauenforschung für die Förderung des Themenschwerpunktes.

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A r a b i s c h e Fr a u e n b e w e g u n g e n

Selbstbewusst zwischen den Welten Über 100 Jahre arabischer Feminismus zwischen Moderne und Tradition

Die Geschichte des arabischen Feminismus ist geprägt von Nationalismus, antikolonialem Widerstand, patriarchalen Familienstrukturen und der Fokussierung auf den Frauenkörper. Feministinnen haben sich über 100 Jahre am Islam abgearbeitet und gegen den Westen abgegrenzt. So stand die Frau im Zentrum des Widerspruchs zwischen Okzident und Orient. Mit dem Arabischen Frühling ist ein neuer antipatriarchaler Diskurs entstanden. von Hannah Wettig Im November 2011 stellte die 20-jährige arabischen Welt einordnen. Frauenemanzipaägyptische Revolutionärin Alia Mahdy ein tion und damit einhergehend Fragen der Ehre Nacktfoto von sich auf ihren Blog. Sie provound der Bedeckung des weiblichen Körpers sind seit Ende des 19. Jahrhunderts zentrales zierte damit einen gesellschaftlichen Aufschrei. Thema politischer Diskurse. Die Frauenfrage Nicht nur IslamistInnen beschimpften sie als war im arabischen Diskurs nie Nebenwider»Teufel«, auch linke AktivistInnen distanzierten spruch, sondern Austragungsorts des Hauptsich von ihr. widerspruchs zwischen Moderne und Tradi76 Jahre zuvor, im Jahr 1935, nahm die tion, zwischen Orient und Okzident. später bedeutende ägyptische Feministin Doria Shafik als erste Muslimin an der Miss Egypt Wahl in Alexandria teil. Auch das rief einen »Die neue Frau« Sturm der Entrüstung hervor. Man warf ihr vor, sie habe als muslimisches Mädchen den tt Die Reformer des späten 19. und frühen Islam angegriffen. 20. Jahrhunderts beziehen sich positiv auf Alia Mahdys und Doria Shafiks Motive, Europa. Sie fordern Verwestlichung und Euihren Körper zur Schau zu stellen, hätten unropäisierung, weil sie überzeugt sind, dass die terschiedlicher nicht sein können. Mahdy orientalischen Länder – das schließt die Türkei wollte das Selbstbestimmungsrecht über ihren und den Iran ein – den technischen und inKörper einfordern. Indem sie sich auszog und dustriellen Vorsprung Europas nur aufholen per Selbstauslöser fotografierte, entzog sie können, wenn sie neben Gesetzen, Politik und diesen Körper dem Zugriff der patriarchalen Bildungseinrichtungen auch den europäischen Gesellschaft, die einerseits die Bedeckung Lebensstil übernehmen. Am radikalsten setzweiblicher Körper verlangt, te Kemal Atatürk diese Überin der aber andererseits der zeugung in der Türkei um, Die Frau wird als weibliche Körper ständigen als er Fez und Kopftuch verÜbergriffen von Männern bannte. Seine Ehefrau soll er Bewahrerin der Kultur ausgesetzt ist. dazu angehalten haben, in modelliert Doria Shafik wollte die kurzen Röcken tanzen zu These eines ihrer Aufsätze gehen. In Ägypten schreibt Qasim Amin 1899 eine belegen, dass die Feminität einer Frau nicht viel diskutierte Abhandlung über »Die Befreidarunter leide, wenn diese sich auf feministisches Grundlagenwissen berufe; so schreibt ung der Frau« und zwei Jahre später »Die neue sie später in ihren Memoiren. Doch diese Frau«. Er gilt als erster Frauenrechtler Ägyptens. Die 1923 von Huda Sharawi gegründeBegründung befriedigt kaum. Ihr war klar, te Ägyptische Feministinnen Union hielt alldass sie sich im Kontext ihrer eigenen Gesellschaft gegen Tradition und Religion stellte. jährlich Schreibwettbewerbe zu seiner Ihrem ansonsten äußerst liberalen Vater erHuldigung ab. Einen davon gewann Doria zählte sie nichts von dem Wettbewerb, weil Shafik. In »Die neue Frau« schreibt Amin: »Wann sie fürchtete, dass er ihr die Teilnahme aus Sorge um ihren Ruf verbieten würde. immer Männer den Status von Frauen herabWill man die Bedeutung der Teilnahme an gesetzt haben, haben sie sich selbst herabgeeinem Schönheitswettbewerb für eine junge setzt ... Umgekehrt, wenn Frauen persönliche Muslimin verstehen, muss man sie in die DisFreiheiten genießen, genießen Männer politische Freiheiten ... Wenn man die östlichen kurse um Modernität und Tradition in der tt

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Länder betrachtet, findet man die Frau als Sklavin des Mannes und den Mann als Sklaven seines Herrschers. Er ist der Unterdrücker in seinem Haus und wird unterdrückt, sobald er es verlässt. In europäischen Ländern dagegen beruhen die Regierungen auf Freiheit und Achtung persönlicher Rechte. Der Status der Frauen in diesen Gesellschaften hat ein lobenswertes Niveau des Respekts, der intellektuellen Freiheit und Handlungsfreiheit erreicht, obgleich sie noch nicht das Niveau erreicht haben, das ihr gutes Recht wäre.«1 Während sich die ersten ägyptischen Feministinnen noch positiv auf Amin bezogen, hat die zweite Welle des Feminismus in den 1970er bis 1990er Jahren seine Schriften als Anbiederung an die seinerzeitige Kolonialmacht verurteilt. Zweifellos macht Amin ein Gefälle zwischen Europa und den »östlichen Ländern« aus. Wie auch die zwanzig Jahre später auf den Plan tretenden ersten Feministinnen empfand er keine Scheu, aus seinen Erfahrungen in Europa Vergleiche zu ziehen. Er ähnelte darin Reisenden der Jahrhunderte zuvor, die mit neugierigem Blick, manchmal befremdet, manchmal lobend von den Bräuchen der EuropäerInnen berichteten. Amin schreibt über das Patriarchat als Teil der Entwicklungsgeschichte der Welt. Insofern wirkt seine Abhandlung im Vergleich zu späteren feministischen Schriften aus der arabischen Welt geradezu europäisch. Während Feministinnen spätestens ab den 1970er Jahren die Besonderheit der arabischen Kultur betonen, sich am Islam abarbeiten und gegen den Westen abgrenzen, bewegt sich Amins Manifest für »Die Neue Frau« selbstbewusst zwischen den Welten. Diese Veränderung des feministischen Diskurses ist Folge der Zuspitzung einer Kontroverse, die ihren Ursprung Mitte des 19. Jahrhunderts hat. Damals stellten islamische Reformer die Frage, warum die »Zivilisation« des Orients gegenüber der Europas zurückgefallen war. Dschamal Al Din Al Afghani und sein Schüler Muhammed Abduh wollten den Islam an die Moderne anpassen. Sie versuchten, die Vereinbarkeit von Vernunft, Wissenschaft und Fortschritt mit dem Islam nachzuweisen. Damit initiierten sie eine islamische Reformbewegung, aus der der Islamismus hervorgehen sollte. Qasim Amin war ein Schüler Muhammed Abduhs. Seine Abhandlung »Die Befreiung der


Rubrik???

Argumentationshilfen I

Frau« argumentiert im Unterschied zu »Die Neue Frau« noch vorrangig mit dem Koran, um die Gleichheit der Frau nachzuweisen.

Gegen den Westen Gegenwind erfährt Qasim Amin erst einmal nicht von den islamistischen Reformern, sondern von eher nationalistischen Traditionalisten. Einer seiner Hauptkritiker war Talat Harb, der später die ägyptische Nationalbank gründen sollte. Harb verteidigt die Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen auf das Haus und ihre totale Verschleierung. Der europäische Einfluss in den muslimischen Gesellschaften habe zu einer Verschlechterung der Moral geführt. In der nationalistischen Bewegung finden sich Befürworter und Gegner der Frauenbefreiung. Der Schleier der Frau, die Ehre der Familie, die Vormachtstellung des Mannes werden zum Symbol für die Abgrenzung vom Westen. So schreibt auch Frantz Fanon, der Theoretiker des algerischen Befreiungskampfes gegen die Kolonialmacht Frankreich: »Jeder Schleier, der fiel, jeder Körper, der von der traditionellen Umarmung des Haik (algerische Variante des Schleiers) befreit wurde, jedes Gesicht, das sich dem dreisten und ungeduldigen Blick des Besatzers bot, war Ausdruck der Tatsache, dass Algerien begann, sich selbst zu verleugnen und die Vergewaltigung durch die Kolonisatoren zu akzeptieren.«2 Die Frau wird als Bewahrerin der Kultur modelliert. Diese Fokussierung auf die Rolle tt

Foto: G. Ibrahim

den patriarchalen Gehalt aus Koran und Hader Frau hat ihre Entsprechung auf Seiten der dithen (Erzählungen über das Leben des ProKolonialmächte. Briten wie Franzosen sehen die »niedrigere Kulturstufe« der Araber im pheten Mohammed) herauszuinterpretieren. geringen Status der Frau begründet und beDarin steckt schon an sich ein Akt des Widerwiesen. Die Franzosen gehen in ihrer Umerstands. Die Auseinandersetzung mit den religiösen Schriften war lange bis zur untersten ziehung der Algerier sogar so weit, Frauen aus den Dörfern in die Städte zu karren, um sie Ebene allein Sache von Männern: Die Moschee dort auf öffentlichen Plätzen zu entschleiern. ist, anders als die Kirche, auch auf den ZuAndere Nationalisten jedoch sehen in der schauerplätzen ein Männerraum. Huda ShaFrauenbefreiung den Schlüssel zur Modernirawi kämpfte Anfang des Jahrhunderts als sierung. Auch Feministinnen wie Huda SharaJugendliche darum, in Arabischer Grammatik wi und Doria Shafik schlieund Koran unterrichtet zu werden.3 Für ein Mädchen ßen sich dem antikolonialen In Libyen fahren Kampf an. Doch das Terrain galt es bis dato als unnötig, ist heikel. Habib Bourguiba, den Koran lesen zu können. männliche Verwandte der in Tunesien nach der UnAuch europäische TheoloFrauen zur Arbeit und abhängigkeit von der franginnen versuchen in dieser holen sie wieder ab zösischen Mandatsmacht die Zeit, die Bibel feministisch auszulegen. Allerdings geweitestgehende Gleichstellung von Frauen in der arawinnen sie nie große Bebischen Welt umsetzen sollte, hatte im antideutung innerhalb des feministischen Diskurkolonialen Kampf Forderungen von Frauen ses. Anders in der arabischen Welt: Auch nach Gleichstellung zurückgewiesen. Hätte er gänzlich weltliche Feministinnen wie Nawal die Abschaffung des islamischen FamilienAl Sadawi, die mit Abstand bedeutendste rechts angekündigt, hätte er die Spaltung der ägyptische Feministin, oder Fatema Mernissi, Bewegung riskiert. die bekannteste Feministin Marokkos, versuchen Gleichberechtigung mit dem Islam zu begründen, wenn sie auch im Detail einzelne Antikoloniales Erbe Koranverse als frauenfeindlich erkennen. Zugleich grenzen sie sich massiv gegen westlitt In diesem Spannungsfeld zwischen kultureller Identität und Religion auf der einen, und chen Imperialismus ab und verteidigen die Modernisierung auf der anderen Seite, verharrt kulturelle Eigenheit. Trotzdem wird Nawal Al Sadawi als Agender arabische Feminismus bis zum Arabischen Frühling. In den 1980er Jahren unternimmt tin des Westens diffamiert und mit dem Tode eine Vielzahl von Theologinnen den Versuch, bedroht. Auch Frauenrechtlerinnen distaniz3w • Juli / August 2013 q 337

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A r a b i s c h e Fr a u e n b e w e g u n g e n zierten sich von ihr. Sie sei sehr radikal, sie schreibe nur für den Westen, um Geld zu verdienen, sie hasse Männer – so lauteten die häufigsten Vorwürfe. Die Vorgehensweise Sadawis war die aller Oppositionellen. Nicht nur Feministinnen wiesen zunächst stets auf den westlichen Imperialismus, die Kolonialzeit und den Israel-Palästina-Konflikt hin, bevor sie Kritik an der eigenen Gesellschaft übten. Fatema Mernissi speiste ihre Hoffnung auf Demokratie und Frauenbefreiung aus der Erfahrung westlicher Unterdrückung im zweiten Golfkrieg (Kuwaitkrieg). Weil westliche Mächte Bomben auf den Irak geworfen hatten, würden die Araber und vor allem die Araberinnen nun ihre Angst überwinden und sich selbst befreien, glaubte sie. »Was kann den Arabern noch Schlimmeres passieren als das, was geschehen ist? Der gesamte Westen mit all seiner Technologie beim Abwerfen von Bomben? (...) Und wenn man durch den Schrecken gegangen ist, das wissen alle, die starke Depressionen durchlaufen haben, kommt man von seiner Angst befreit hervor. (...) Alle Welt weiß jetzt, dass Überleben für einen Araber bedeutet, sich zu verwandeln, Dimensionen zu erforschen, die versperrt waren: aql (Vernunft), individuelle Freiheit, ra’y (Meinung) und vor allem hayal, dieses Imaginäre, das uns die Vormachtstellung in den Galaxien der Zukunft sichern wird.« 4 Sinnbild war für Mernissi eine palästinensische Mutter, die israelische Soldaten anschrie. Der Kampf um Befreiung von Patriarchat und Diktatur wurde somit stets als antiimperialistischer Kampf ausgegeben.

Rückgriff auf eigene Traditionen Der ausgeprägte Rekurs auf den Imperialismus kann kaum allein auf die Erfahrung der Kolonialzeit zurückgeführt werden. Auch erscheint es wenig befriedigend, auf den IsraelPalästina-Konflikt und amerikanische Einmischungen in Nahost hinzuweisen, wenn eine Feministin in Marokko, tausende Kilometer fern dieses Geschehens, einen antiimperialistischen Aufstand im Sinne der Frauen herbeifantasiert. Die Feministinnen reagieren vielmehr auf die islamistische Bewegung, die seit den 1980er Jahren großen Zulauf gewinnt. Die Islamisten kreisen in ihren Debatten bis heute um die Frau und ihren Körper. Als die Salafisten 2011 in das erste frei gewählte Parlament Ägyptens einzogen, war ihre erste Forderung ein Bikini-Verbot an Ägyptens Stränden – als gäbe es in einem Land mit zwanzig Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze nichts Wichtigeres. Aber sie treffen mit dieser Forderungen die Wünsche der traditionellen Anhänger islamistischer Bewegungen: Die Modernisierungsverlierer. Auch der Streit zwischen dem Traditio­ nalisten Talat Harb und dem Modernisierer Qasim Amin ist der zwischen einem Modertt

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Frauen bleiben, auch wenn ihre Männer annisierungsverlierer und einem Gewinner, dernorts arbeiten, im Schoß der Großfamilie schreibt die Politikwissenschaftlerin Renate Kreile. Talat Harb entstammte einer ländlichen und den Anweisungen anderer männlicher Familie, die in der beginnenden IndustrialiVerwandter unterworfen. Auch Ehemänner sierung sozialen Abstieg hinnehmen musste. können sich der Familie nicht entziehen: Wer Nach Kreiles Analyse orientieren sich »die Gewinner der abhängigen kapitalistischen Entwicklung, wie in anderen ideologischen und politischen Fragen, auch bezüglich der Stellung der Frau eher an westlichen Konzepten, während die Verlierer der Weltmarktintegration ihren Kampf gegen den sozialen Abstieg durch Rückgriff auf eine tatsächliche oder erfundene Tradition und die »kulturelle Authentizität« zu legitimieren suchten, symbolisiert durch die »althergebrachte« Stellung der Frau.« Die Ablehnung der Modernisierung rechtfertigt das eigene Scheitern. Über die Psychologie hinaus gibt es allerdings auch einen materiellen Grund, der den Gegensatz zwischen Orient und Okzident, manifestiert in der Stellung der Frau, zum Hauptwiderspruch im arabiArgumentationshilfen II schen politischen Diskurs werden lässt. Er liegt in der Bedeutung und Verfasstheit der Familie. seiner Frau ein freizügiges Verhalten erlaubt, muss mit Sanktionen rechnen. Denn die EheFamilie und Sicherheit frau ist zugleich Nichte, Cousine etc. der direk­ tt In der arabischen Welt werden Ehen traten Verwandten des Mannes, die daraus ein Mitbestimmungsrecht ableiten. ditionell bevorzugt zwischen Cousins und Cousinen geschlossen, davon allein 35 Prozent Diese Familienstruktur verhindert laut Todd ersten Grades, schreibt Emanuel Todd. Das »das Auftauchen des Bürgers im öffentlichen Raum« und damit das Entstehen breiter polibewirkt eine weitgehende Abschottung der Großfamilien gegenüber der Gesellschaft. tischer Opposition. Mit Ausnahme der islaDiese eng gewebten Familien bedeuteten ein mistischen Bewegungen war Opposition bis hohes Maß an Sicherheit, gerade in wirtschaftzum Arabischen Frühling Sache von Min­ lich unsicheren Zeiten. Es gibt immer einen derheiten, und meist von Eliten getragen. Der Onkel, der gescheiterte Verwandte finanziell einzige öffentliche Raum nach Schule und auffängt. Für die ModernisierungsverliererInUniversität war die Moschee. Insofern konnten nen ist es somit naheliegend, diesen Anker in die Islamisten direkt von dem Bestehen eneiner sich veränderndogamer Familienbande den Welt zu vertei­ profitieren. Wo sich die Sippe auflöst, digen. In einer über Inzwischen jedoch ist die Sippen organisierten endogame Familie in gewinnen Frauen an Freiraum Gesellschaft erscheint Auflösung begriffen, in zudem der WiderÄgypten etwa machen spruch zwischen Kapital und Arbeit als wenidie Eheschließungen zwischen Cousin und ger bedeutsam. Klassengegensätze finden sich Cousine nur noch 15 Prozent aus. Zunehmeninnerhalb derselben Sippe und werden durch de Mobilität und Migration, insbesondere aber finanzielle Transfers direkt ausgeglichen. ein drastischer Rückgang der Geburtenrate in Die Bewahrung dieser Form der Familie ist den vergangenen zwei Jahrzehnten machen die Vetternehe zunehmend unpraktikabel. abhängig von der Rolle der Frau. Dabei lehnen Traditionalisten und Islamisten nicht unbeWo sich die Sippe auflöst, gewinnen F­ rauen dingt Bildung und Erwerbsarbeit von Frauen an Freiraum; es entsteht Gesellschaft außerhalb ab, wohl aber jegliche Freizügigkeit. Sie darf der Familie. Zugleich schwindet die Sicherheit, arbeiten gehen, aber nicht auf die Straße. In die die Sippe geboten hat. Das löst Ängste stark islamisch geprägten Ländern wie Libyen aus, und so wird abermals die Frau als Bewahoder den Golfstaaten fahren männliche Verrerin der Kultur beschworen. Die haushohen wandte Frauen zur Arbeit und holen sie wieGewinne der Islamisten bei den jüngsten der ab. ­Wahlen von Ägypten bis Marokko können als

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Ausdruck dieser Angst gewertet werden. Auch, dass gerade in Libyen, wo Stammesstrukturen noch dominant sind, die Islamisten nicht gewinnen konnten, deutet auf diesen Zusammenhang.

wi und lange davor Qasim Amin: Sie diene sich orientalistischen Klischees des Westens an. Wie früher bei Sadawi waren viele der KritikerInnen Frauen. Aber insbesondere jüngere Aktivistinnen bis Mitte dreißig äußerten

Akribisch hat sie Koran und Bibel durchforstet, um nachzuweisen, dass es sehr wohl die ­Religion ist, die Frauen unterdrückt. Wo Al Tahawy nur einen statistischen Zusammenhang zwischen Kultur und Frauenunter­drückung feststellt, geht Haddad an die Wurzel. Religion ist für sie der Grund des Übels. Als libanesische Christin geißelt sie die Textbasis des Christentums ähnlich hart wie die des Islam. In Joumana Haddads Texten lassen sich deutlich die Veränderungen aufzeigen, die sich in der feministischen Diskussion vollzogen haben. In ihrem 2010 erschienenen Buch »Wie ich Scheherazade tötete« widmet sie noch weite Strecken der Auseinandersetzung mit dem »Westen«. Stefan Weidner schrieb damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das Buch sei politisch naiv: »Einerseits empört Haddad sich zu Recht über die westArgumentationshilfen III Fotos: G. Ibrahim lichen Klischees, andererseits muss sie zugleich feststellen: Vieles davon stimmt, sich differenziert. Diala Haidar von der Interund alle Frauen in der arabischen Welt leiden Zugleich wird die Beschwörung von Moral, net-Bewegung »Der Aufstand der Frauen in Ehre und Familie obsolet, wo sie ökonomisch darunter.« der arabischen Welt« äußert in einem InterNaiv war das nicht. Die logischen Widernichts mehr bringt. Klassengegensätze treten sprüche resultierten aus dem damaligen podeutlicher hervor. Orient und Okzident als view mit Open Democracy eine wertschätHauptwiderspruch zu diskutieren, wirkt zuzende Kritik: »Erst einmal möchte ich meinen litischen Diskurs, der erst mit dem Arabischen nehmend absurd. Respekt und meine Bewunderung für Mona Frühling angreifbar wurde. Diese WidersprüAl Tahawys Herangehensweise und Aktivismus che verhinderten jedoch eine echte Analyse zum Ausdruck bringen, obwohl ich nicht mit und damit einen zielgerichteten Kampf gegen Gewaltförmiger Islam allem übereinstimme (...) Es ist wahr, dass die Verhältnisse. Erst mit der Erkenntnis, dass tt Und so entsteht mit dem Arabischen Frühviele Männer Frauen hassen, aber Misogynie nicht der Imperialismus, also äußere Mächte, ist ein weitverbreitetes Phänomen, das nicht ling ein völlig neuer feministischer Diskurs. schuld an allem Übel der arabischen Welt auf die arabische Welt begrenzt ist. Aber wir Im Juni 2012 schreibt Mona Al Tahawy in dem seien, konnte der Gedanke reifen, dass man selber die Verhältnisse ändern kann. amerikanischen Magazin Foreign Policy unter müssen zugeben, dass Frauenhass in unseren dem Titel »Warum hassen sie uns?« (und meint Gesellschaften weitverbreitet ist, wo er gedamit: Warum hassen arabische Männer Frauknüpft ist an das Gefühl von Scham und Anmerkungen en?): »Ja, Frauen überall auf der Welt haben Schande gegenüber Frauen.« 1 Qasim Amin: The New Woman, S. 7, 1995 (ÜberProbleme, ja, die USA müssen noch ein weibDiala Haidar argumentiert ähnlich wie setzung H.W. aus dem Englischen) liches Staatsoberhaupt wählen (…). Aber lass Nawal Al Sadawi: Erst stellt sie klar, dass Frau 2 Frantz Fanon: A Dying Colonialism, zitiert nach uns die USA mal bei Seite lassen. Nenn mir enhass nicht an Kultur und Religion gebunden Renate Kreile: Politische Herrschaft, Geschlechterein arabisches Land und ich werde eine Litasei, um dann aber sehr wohl einen Zusampolitik und Frauenmacht im Vorderen Orient, 1997, nei von Misshandlungen menhang festzustellen. S. 226 f. aufzählen, die angeheizt Heute ist diese Mei 3 Grammatikalische Kenntnisse sind die Vorbedingung, werden durch eine Mischung nung nicht mehr die »Religiöse Fundamen­ um den Koran lesen zu können. aus Kultur und Religion.« einer einzelnen radika 4 Fatema Mernissi: Die Angst vor der Moderne. ­Frauen talisten denken mit ihren Al Tahawy benennt nicht len Feministin, von der und Männer zwischen Islam und Demokratie, HamSchwänzen« burg 1992, S. 209 f. einfach die Formen von Gesich alle distanzieren. walt gegen Frauen, von Sie ist feministischer Zwangsheirat über GenitalKonsens geworden. verstümmelung bis zu Ehrenmorden, wie es Die libanesische Autorin Joumana Haddad etliche arabische Feministinnen vor ihr getan geht sogar noch einen Schritt weiter als Mona tt Hannah Wettig schreibt als Journalistin haben. Sie belegt und hämmert geradezu in Al Tahawy. Scharfzüngig und humorvoll seit 15 Jahren über die arabische Welt, u.a. den Leser ein, dass diese Formen der Gewalt arbeitete sie drei Jahre in Beirut für die liba­analysiert sie für das Online-Magazin Now nesische Tageszeitung Daily Star und veröfgegen Frauen islamischen Kulturen eigen sind. Lebanon die Sexbesessenheit islamischer fentlichte das Buch »Aufbruch in Libanon – Mona Al Tahawy zieht ganz ähnlich gear­Gelehrter und behauptet: »Religiöse Fundatete Kritik auf sich wie vor ihr Nawal Al Sadamentalisten denken mit ihren Schwänzen.« Auf dem Weg zur Zedernrevolution« (2005). iz3w • Juli / August 2013 q 337

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ISSN 1614-0095

t iz3w – informationszentrum 3. welt www.iz3w.org

Streif züge

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Franz Nahrada: Demonetarisierung Elfriede Jelinek: Der bewegte Beweger (zu Johan Simons) Emmerich Nyikos: Borniertheit und Weitsicht Julian Bierwirth: Rastlose Moderne Meinhard Creydt: Individuum, Subjektform und Neurose Franz Schandl: Die Verlockungen des Terrains oder: Streifzüge der Streifzüge Lukas Hengl: Bewegungsmelder Petra Ziegler: Vorgeburtlich verdrahtet Erscheint 3 x jährlich. PROBEHEFT GRATIS! Margaretenstraße 71-73/23, 1050 Wien E-Mail: bestellung@streifzuege.org www.streifzuege.org

Weiterbildungskurse in Entwicklung und Zusammenarbeit Herbstsemester 2013

Berufsbildung zwischen Armutsbekämpfung und wirtschaftlicher Entwicklung 17. – 20. September

Dezentralisierung und lokale Gouvernanz im Entwicklungsprozess 30. Oktober – 1. November

Planung und Monitoring von Projekten

Mikro- und Makroperspektiven in der Armutsbekämpfung 5. – 8. November

23. – 27. September

Erhebung und Auswertung qualitativer Daten

Landesprogramme gestalten und steuern

Evaluation von Projekten

2. – 4. Oktober

Wirkungsanalysen: Methoden und Anwendungen 12. – 15. November

7. – 11. Oktober

Management von Kooperationsystemen und Netzwerken 19. – 22. November

22. – 25. Oktober

Aktuelle strategische Fragen der Entwicklungszusammenarbeit 3. – 6. Dezember

Auskunft über Zulassung und Anmeldung: www.nadel.ethz.ch


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