BundeskunstHALL OF FAME – Preview

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INHALTSVERZEICHNIS

B U N D E S K U N

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RAUMPLAN

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REIN WOLFS: Vorwort ALLAN GRETZKI: Graffiti & Street Art im Museum

S T H A L L O F F A M E

B O U L E VA R D 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 60

DELTA/BORIS TELLEGEN MOSES & TAPS™ JEANSPEZIAL IL-JIN ATEM CHOI ANOMY INF HYURO FELIPE PANTONE TIKA/MAJA HÜRST HONET JEROEN EROSIE FUZI UVTPK LUCY MCLAUCHLAN MUDWIG/DANIEL K. SPARKES ARIS JUST/BORIS NIEHAUS AÏDA GÓMEZ KLANGFIGUREN

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JOHANNES STAHL: Wallhalla

PROGRAMM 70 72

Friday_Late_Art Lecture Performance CALYBA

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STEFAN WARTENBERG & JOACHIM SPURLOSER: Vulkanische Bibliothek

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Siebdruck Lights on Graffiti Workshops GIGO PROPAGANDA Contest Fanzine


INHALTSVERZEICHNIS

B U N D

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DR. PATRICK GAU: Das Geld bestimmt, was Kunst ist und was Vandalismus

E S K U

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Film Screening Tattoo Session

N

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HARALD HINZ: Interessiert Ihr Euch für’s Bonner Loch oder einfach nur Bonner Loch?

H

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Lesen lernen

S T A L L O

JOHANNES STAHL, LENE TER HAAR, ALLAN GRETZKI, ROBERT KALTENHÄUSER: (Halb-fiktionaler) Rundgang durch die BundeskunstHALL OF FAME Walk & Talk Skate Session

SHOWROOM 120

ROBERT KALTENHÄUSER: Dialektik der Verunklärung

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LUCY MCLAUCHLAN TIKA/MAJA HÜRST DELTA/BORIS TELLEGEN FELIPE PANTONE GIGO PROPAGANDA MOSES & TAPS™ ANOMY INF JEANSPEZIAL MUDWIG/DANIEL K. SPARKES IL-JIN ATEM CHOI HONET ARIS HYURO JEROEN EROSIE FUZI UVTPK JUST/BORIS NIEHAUS OZ/WALTER JOSEF FISCHER

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KATJA GLASER: „Alles kann, nix muss"

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AUTOREN GLOSSAR IMPRESSUM

F F A M E


WOLFS 12

REIN

Vorwort


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Das Graffiti- und Street-Art-Festival BundeskunstHALL OF FAME hat als Experiment begonnen. In den Räumen einer bereits abgebauten Ausstellung, deren Architektur und Gestaltung aber noch vollständig erhalten waren, sollte etwas passieren, das wir bisher noch nicht versucht hatten: Statt einer neuen Gestaltung für ein neues Projekt wurde das vorhandene Setting erneut genutzt und im Laufe eines künstlerischen Prozesses vollständig transformiert. Die Grundlage dafür lieferte eine Straßenszenerie, die für die Ausstellung Karl Lagerfeld. Modemethode entworfen worden war. Täuschend echte Betonfassaden auf Foto-Tapete, nachgebaute Bürgersteige und Verkehrsinseln sowie asphaltähnlicher Vinyl-Boden lieferten das gewünschte Ambiente für eine Überblicksschau zu Karl Lagerfelds Entwürfen, mit denen er seit über 50 Jahren die Modewelt prägt. „Mode ist erst Mode, wenn sie auf die Straße geht“, war bereits das Credo von Coco Chanel, der Karl Lagerfeld als Chefdesigner ihres Labels nachfolgte. Er skizzierte seine eigene Haltung zur Mode ähnlich: „I like fashion to be part of daily life.“ Die Straße als Basis für die Ideen von Mode — dies war der Auslöser für ein erweitertes Nachsinnen darüber, was unsere visuelle Alltagskultur ausmacht. Mode, Design, Sub- und Populärkultur — all dies sind Gestaltungselemente unserer gelebten Wirklichkeit, wie wir sie bewusst errichten und mit der wir uns tagtäglich und unweigerlich konfrontiert sehen. Begegnen wir diesen Phänomenen im musealen Kontext, ist die Rede von angewandter Kunst oder visueller Kommunikation. Die Idee zu einem Graffiti- und Street-Art-Festivals in der Bundeskunsthalle schließt genau an diesen gedanklichen Punkt an und öffnet ein weites Feld, das neben künstlerischen und gestalterischen Aspekten vor allem auch gesellschaftliche Fragen berührt. Das Konzept der BundeskunstHALL OF FAME beruhte daher einerseits auf „echten“ Graffiti, für die die täuschend echte Straßenszenerie die ideale Kulisse bot, zum anderen auf einem zusätzlichen „Showroom“, in dem Dokumentarisches sowie originale Skizzen und Werke der teilnehmenden Künstler ausgestellt waren. Darüber hinaus aber — und dies war ein elementarer Aspekt — war es das Programm des Festivals, das den notwen-

digen vermittelnden Kontext für ein Projekt dieser Art bot. Talks und Workshops, Filme und ein geführter Rundgang im öffentlichen Raum, vor allem aber die Möglichkeit, während der gesamten Laufzeit mit den vor Ort arbeitenden Künstlern ins Gespräch zu kommen, ermöglichten nicht nur den szene-affinen „Fans“ von Graffiti, sondern insbesondere den routinierteren Museumsbesuchern neue Perspektiven und Einblicke in bisher wenig reflektierte Zusammenhänge künstlerischer Subkultur. Das Festival bot die seltene Gelegenheit, namhafte Protagonisten der Graffiti- und Street-Art-Szene bei der Arbeit an ihren Werken live zu beobachten, Einblick in ihre Praxis und Techniken zu bekommen und auf diese Weise den Entstehungsprozess von der kahlen grauen Wand bis zur finalen „Hall of Fame“ mit zu verfolgen. Graffiti polarisiert. Schmiererei oder Protestmittel, Kunst, moderne Folklore oder einfach nur Sachbeschädigung — diese Kategorien finden je nach Perspektive, natürlich auch je nach Erscheinungsform und Kontext von Graffiti Verwendung. Das Phänomen Graffiti und Street Art in den musealen Raum zu überführen, sorgt allein vor diesem Hintergrund für Spannungspotential. Darüber hinaus stellen die charakteristischen Axiome des Genres wie etwa Illegalität, Anonymität, Flüchtigkeit und Prozesshaftigkeit weitere Ambivalenzen, wenn nicht gar Widersprüche zu einer Institutionalisierung der Kunstform dar, von der großen Heterogenität der künstlerischen und konzeptuellen Ansätze innerhalb der Szene ganz zu schweigen. Hier sei nur kurz auf den Disput über Authentizität verwiesen, der sich zwischen einer weithin akzeptierten, öffentlich geförderten Urban Art im Sinne freigegebener Flächen zur Bemalung des Stadtraums und der parallel existierenden illegalen Bewegung, die jedoch als konstituierend für die gesamte Kunstform gelten muss, entspannt. Diesen Diskurs aufzugreifen und innerhalb einer Ausstellung samt diskursivem und partizipativem Programm aufzugreifen, oblag den dafür engagierten Kuratoren Allan Gretzki und Robert Kaltenhäuser. Ihnen danke ich für die gelungene Gratwanderung zwischen künstlerischen und vermittelnden Aspekten innerhalb eines Feldes, das ebenso museumsfern wie kunstaffin ist. Den Künstle-

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rinnen und Künstlern, die der Einladung der beiden Kuratoren an die Bundeskunsthalle gefolgt sind, danke ich für ihr Engagement, das mit der Bereitschaft, sich kommunikativ in den Austausch mit den Besuchern des Festivals zu begeben, weit über die Werkproduktion hinausging. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeskunsthalle danke ich für die spontane Bereitschaft, diese Idee in der Umsetzung so bereitwillig zu unterstützen. Stellvertretend für das gesamte Team bedanke ich mich deswegen bei Friederike Siebert für die Projektleitung sowie bei Michael Haacke, Ulrike Klein, Jan Karczewski, Ute Bruns-Vohs und Petra Zimmermann für die tatkräftige Unterstützung bei der Umsetzung, bei Britta Biergans für die Idee zum Festival sowie Ulrich Best für die Vermittlung der Kuratoren. Meinem Kollegen und kaufmännischem Geschäftsführer Bernhard Spies danke ich ganz besonders für die Unterstützung und Rückendeckung bei diesem Projekt. Über die nun vorliegende Publikation bin ich sehr glücklich. Mein Dank dafür gilt allen Autoren sowie Allan Gretzki für die Katalogkonzeption, Johanna Adam für die Redaktion und Jutta Frings und Helga Willinghöfer für Produktion und Lektorat.

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GRETZKI

Graffiti & Street Art im Museum

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ALLAN

Recycling, Gatekeeper und Streetcredibility"—"die Zutaten eines Erfolgsrezeptes (?)


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Ohne Zweifel ist die Kunstbewegung Graffiti mit ihrem zeitgenössischen Weggefährten, der Street Art, so populär wie nie. Der Gipfel der medialen Aufmerksamkeit wurde bereits vor einigen Jahren durch die konsequente Aufrechterhaltung der Anonymität und ‚Nicht-Präsenz‘ des Großmeisters Banksy erreicht 1. Spätestens durch die Medienpräsenz zur Eröffnung von Dismaland 2 wurden die Relevanz und Ernsthaftigkeit dieser Kunstform auch bei den professionellen Vertretern der Kunstwelt mit großer Mehrheit stillschweigend konstatiert. Renommierte Künstlerinnen und Künstler wie Jenny Holzer, Damien Hirst und David Shrigley erarbeiteten exklusive Werke für den Themenpark, der neben einer Galerie-Show auch mit Jahrmarktspielen und einem Musikprogramm mit zahlreichen Künstlern, wie der legendären Trip-Hop-Band Massive Attack aus Bristol oder der feministischen Protest-Punkband Pussy Riot aus Moskau aufwartete.3 Dismaland war trotz der Kritik bezüglich der abgenutzten und bis hin zur Trivialität allgegenwärtigen Auseinandersetzung mit Antikapitalismus und Nonkonformismus ein voller Erfolg. Ein Teil dieses Erfolges ist dem Szenario, einem ehemaligen Vergnügungsbad, welches bereits 1937 erbaut wurde 4, zuzuschreiben. Die Umnutzung und Neugestaltung der (temporär) ungenutzten Räumlichkeit bot die gewünschte authentische Atmosphäre mit der entsprechenden eingeschriebenen Geschichte. Kann die Umnutzung und Umwidmung von Orten oder sogar die Revitalisierung von Leerstand und nicht genutzten Räumen also ein Erfolgsfaktor für die Konzeption einer Kunstveranstaltung sein? Für die Szenografie und das Ausstellungsdesign der Wanderausstellung Cities On The Move 5 übernahmen Ole Scheeren und Rem Koolhaas bestehende Elemente der Vorgängerausstellung, die von Zaha Hadid gestaltet wurde 6. „Wir haben alle früheren Ausstellungen aufgegriffen und die vorliegenden Designs in einem beschleunigten asiatischen Merzbau neu arrangiert. Wir haben also die Ruinen alter Ausstellungen besiedelt, und das klappte ganz vorzüglich“ (Rem Koolhaas)7.

Dem gleichen Prinzip folgend, wurde auch für die BundeskunstHALL OF FAME die Grundstruktur der Ausstellung Karl Lagerfeld. Modemethode 8, die vom 28. März bis 13. September 2015 in der Bundeskunsthalle gezeigt wurde, übernommen. Das Basismuster des dort verwendeten Ausstellungsdesigns 9 sowie die generelle Ausstellungsdramaturgie wurden inklusive der Laufrichtung beibehalten. Der grundlegende Anstoß für das Konzept war die Fototapete im Sichtbeton-Look, die fast die gesamte Wandfläche der Lagerfeld-Ausstellung bekleidete. Die Imitation der Sichtbetonstruktur auf der speziell hergestellten Folie war täuschend echt, teilweise erkannten Besucher den ‚Fake‘ nicht einmal, wenn sie unmittelbar vor der Wand standen, erst nach einer prüfenden Berührung mit der Hand wurde das Material identifiziert. Diese visuelle Illusion war der Clou der BundeskunstHALL OF FAME — die ideale Projektionsfläche und ein optisch hervorragend geeigneter Malgrund für Graffiti und Street Art. Dieses Potenzial wurde bereits früh bei hausinternen Gesprächen erkannt — von der konkreten Idee bis zur Umsetzung blieben dann jedoch nur wenige Monate, die mit einer ersten Begehung der laufenden Lagerfeld-Ausstellung im Mai 2015 begannen 10. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir die Dimension der zu bespielenden Ausstellungsfläche erstmals bewusst. Die Atmosphä-

re in den Räumen mit einem offensichtlichen béton brut-Charme erinnerte mich auf Anhieb an einen Tunnel oder ein Parkdeck und damit an die Location einer der ersten Graffiti-Jams im Köln-Bonner Umland 1995. Im Rahmen des Break da Rulez Jams wurden die Wandflächen

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des Parkhauses am Siegburger Bahnhof für eingeladene internationale und lokale Graffiti-Künstler11 freigegeben. Der Andrang überstieg die Kapazitäten der Lokalität bei Weitem, sodass sich ein Großteil der Veranstaltung auf der Straße abspielte. Dieser Umstand war zugleich Sinn der Sache, denn bei den Graffitiund Hip-Hop-Jams 12 ging es in erster Linie darum, sich auszutauschen, bekannte Stars der Szene mal in echt zu sehen und ihnen bei der Arbeit zuzuschauen, Blackbooks 13 zu zeigen, in Blackbooks zu sketchen, Fotos zu tauschen, die damals noch so seltenen Graffiti-Magazine zu kaufen, ein Autogramm in Form eines Tags 14 von bekannten Writern 15 zu erbetteln oder einfach nur Connections zu knüpfen. Alles in allem ein großes Meet and Greet. So waren Jams eine wichtige Plattform für den Informationsaustausch untereinander, denn eine Online-Community mit Internet-Foren, File-Sharing-Plattformen oder Facebook, Instagram und Co. gab es für die breite Masse zu dieser Zeit noch nicht. Das größte und wichtigste Treffen dieser Art in Europa war das von 1997 bis 2001 jährlich stattfindende Wall-Street-Meeting auf dem Gelände des Alten Schlachthofs in Wiesbaden, welches mit 3000 m2 Wandfläche und mehr als 25 000 Besuchern eine der größten Halls of Fame weltweit war 16. Da Bebauungspläne die Umsetzung eines Freizeit- und Kulturparks in naher Zukunft vorsahen und der Zulauf des Festivals stetig anstieg, wurde das Wall-Street-Meeting 2002 abgeschafft und gastiert seitdem als Meeting Of Styles in verschiedenen europäischen Städten. Der Spirit, der durch die Wiederverwertung der maroden Hallen des Schlachthofs in Wiesbaden entstand, konnte jedoch nicht mitgenommen werden, ist dieser bei einer Hall of Fame doch unmittelbar an die Architektur des Ortes gebunden. Berühmtestes Beispiel hierfür ist die Hall of Fame auf einem Schulgelände an der Ecke 106th Street und Park Avenue in East Harlem, New York, in der sich seit Beginn der 70er-Jahre alle bekannten New Yorker Graffiti-Style-Writer 17 verewigt und damit praktisch in das Gedächtnis des Ortes eingeschrieben haben — sie sind somit

für die Konstitution dieses Raumes mitverantwortlich. Bei einer Sanierung der Schule 2008 blieben die Wände unversehrt, dürfen aber seitdem nur noch mit Genehmigung und in Absprache mit der verantwortlichen Schulbehörde gestaltet werden. Die Hall of Fame in East Harlem wird also praktisch von der ansässigen Schule verwaltet. Eine ähnliche Strategie verfolgt, bedingt durch die Lage in einem Hinterhof, auch die Hall of Fame des Dedicated Store in Köln, die der Obhut des Inhabers Babak Soltani unterliegt und häufig von bekannten und internationalen Graffiti-Künstlern genutzt wird. Durch die Selektion kann eine Hall of Fame so kultiviert und zugleich ein Qualitätsstandard bewahrt und garantiert werden. Denn allzu oft werden aufwendige Pieces 18 von Szenegrößen in den offiziell freigegebenen Halls of Fame von unwissenden Sprühern mit qualitativ minderwertigen und stilistisch anspruchslosen Bildern übermalt. Ein weiterer Vorteil einer verwalteten Hall of Fame ist, dass die Entsorgung von leeren Farbeimern und Sprühdosen sowie benutzten Caps 19 und Farbrollen gewährleistet ist, was bei den meisten frei zugänglichen Halls nicht der Fall ist und zu einer Vermüllung des Platzes führt. Es birgt also durchaus Vorteile, wenn eine Hall of Fame nicht für jeden uneingeschränkt zur Gestaltung zugänglich ist. Dies ähnelt dem Privileg, das sich einige Graffiti-Künstler nach jahrelangem Engagement leisten können, nämlich ihre ‚private‘ Hall of Fame zu verwalten. Ein prominentes Beispiel ist Loomit, der

Graffiti-Künstler aus der ganzen Welt an den Wänden der Kunstfabrik in München wirken ließ. Seine Position kann im weitesten Sinne

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&

STREET

der sogenannten Streetcredibility. Diese wird als allgemeines Charakteristikum vielfach der gesamten Szene zugeschrieben. Der leichtfertige und unreflektierte Umgang mit ihr — häufig in Form einer dekorativen Darstellung von Graffiti- und Street-Art-Elementen in der Popkultur, der Mode und den Medien, um ein junges, hippes und urbanes Image zu suggerieren — wird als Sell-Out bezeichnet 24. Dieses Phänomen findet sich von der wissenschaftlichen Publikation über Fotobücher bis hin zu renommierten Ausstellungen mit Szenegrößen in vielen Projekten wieder und erzeugt innerhalb der Szene ein kollektives Misstrauen. Wie kann man solchen Bedenken und der Furcht vor einem kulturellen Ausverkauf bei der Konzeption einer Ausstellung oder eines Festivals entgegenwirken? Der Anspruch an glaubwürdige Graffiti- und Street-Art-Projekte liegt darin, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Künstlern mit unterschiedlichen Auffassungen und Beweggründen für die eine oder andere Weise mit Graffiti und Street Art umzugehen, um tatsächlich die so oft beschworene Authentizität, die Streetcredibility, zu erreichen. Hier kommen die Kuratoren ins Spiel, die die Funktion von Gatekeepern übernehmen müssen. Neben der Öffnung eines Zugangs zur Szene und der Auswahl der Künstler kommt in diesem Fall szenebedingt der Faktor der Diskretion hinzu, um im Sinne der Loyalität die Identität Einzelner nicht preiszugeben. Dies wurde für die BundeskunstHALL OF FAME glaubhaft umgesetzt, gab es doch bereits am Eröffnungstag szene-intern viel Lob — der befürchtete Sell-Out wurde durch die Kuratoren als Gatekeeper verhindert. In der praktischen Umsetzung bedeutete dies unter anderem, die Wände der Ausstellungsfläche schon vor der Eröffnung von ausgewählten Künstlern 25 gestalten zu lassen. Sie waren somit die ersten ausschließlich illegal aktiven Graffiti-Künstler in Deutschland, die ihre Pieces in einer Museumsinstitution des Bundes malten — allerdings unter Wahrung ihrer Anonymität, auch dem Veranstalter gegenüber. Die meist zweifarbig gestalteten, auf das Wesentliche reduzierten Schriftzüge, die sogenannten Streetbombings, wurden im Verlauf der BundeskunstHALL OF FAME mit aufwendig ausgestalteten mehrfarbigen Bildern übermalt. Dies ist auch in der Szene als Teil der ungeschriebenen Gesetze allgemein üb-

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ART

IM

GRETZKI MUSEUM ALLAN GRAFFITI

als eine kuratorische verstanden werden 20. Dieses Verfahren im Umgang mit Künstlern ist szenetypisch und wird unter anderem auch beim Trainwriting, dem illegalen Sprühen auf Zügen, angewandt, indem sich ‚locals‘— ortskundige Graffiti-Künstler — als ‚hosts‘ 21 zur Verfügung stellen und Gästen die besten Plätze zum Besprühen von Zügen zeigen. Das Spektrum der realisierten Bilder basiert dann entsprechend auf dem Freundes- und Bekanntenkreis des besuchten ‚locals‘ und prägt wiederum die Graffiti-Vielfalt vor Ort. Um in der BundeskunstHALL OF FAME eine Vielfalt an Street-Art- und Graffiti-Varianten und ein breites Spektrum an Künstlerpositionen zeigen zu können, erschien es mir daher sinnvoll, die bisherige Künstlerauswahl durch die Unterstützung eines weiteren Experten zu erweitern. In der Planungs- und Umsetzungsphase stand ich für einen Beitrag im ZUGRIFF!-Magazin 22 in engem Kontakt mit dem Herausgeber, Autor und Kurator Robert Kaltenhäuser und konnte ihn für die Zusammenarbeit gewinnen. Kaltenhäuser hat unter anderem die Graffiti-Expo Beyond-Streetart 2007 in Düsseldorf, eine der ersten StreetArt- und Graffiti-Ausstellungen mit Os Gemeos, Honet, Nug und vielen weiteren internationalen Künstlern, mitkuratiert. Er ist eine treibende Kraft und Schnittstelle für die deutsche Graffiti-Kultur. Die Subkultur Graffiti ist auf solche Kontaktpersonen, die als Netzwerker fungieren, angewiesen — im Grunde übernehmen viele Akteure der Szene diese Funktion von Zeit zu Zeit mehr oder weniger engagiert. Dieser Mechanismus wird vor allem getragen durch den Zusammenhalt innerhalb einer Crew 23 sowie durch das gemeinsame Ziel der Umgestaltung von Oberflächen. Insbesondere in der illegal tätigen Szene tragen die Risiken der Gesetzwidrigkeit und die Gefahr, bei waghalsigen Aktionen seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, zu einer Loyalität und einem Gemeinschaftsgefühl bei, welche die Netzwerkstrukturen stärken. Künstler, die ausschließlich für Galerien und den Verkauf produzieren oder sich auf kommerzielle Auftragsarbeiten spezialisieren, sind deutlich geringer in diese Netzwerke eingebunden, können aber als Personen in der Öffentlichkeit auftreten und profitieren häufig von dem Charisma der illegal tätigen Protagonisten und deren Glaubwürdigkeit,


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lich. Diese Aktion fungierte nebenbei als Testlauf vor Beginn des Festivals mit Publikumsverkehr, um eine Gefährdung der Besucher und der Kunstwerke in der parallel laufenden Ausstellung Japans Liebe zum Impressionismus"—"Von Monet bis Renoir durch die Ausbreitung von Farbpartikeln und Treibgasen auszuschließen. Die Ausstellungsräume sind über Durchbrüche in den charakteristischen Lichtschächten miteinander verbunden, sodass die Luft im Gebäude frei zirkulieren kann. Um das Sprühen dennoch zu ermöglichen, wurde in den oberen Räumlichkeiten ein leichter Überdruck erzeugt, sodass die Luft der BundeskunstHALL OF FAME nicht aufsteigen konnte. Bedingt durch diese architektonische Gegebenheit, konnte der Lichtschacht im vorderen Ausstellungsbereich nicht unmittelbar als Sprühfläche genutzt werden, bot so jedoch Platz für den Graffiti-Schrein 26 und die partizipative Arbeit JOY IS HERE der Künstlerin Aïda Gómez. Der Graffiti-Schrein, eine Gedenkstätte als Ort der Erinnerung an verstorbene Graffiti- und Street-Art-Künstler mit dem Titel R.I.P., war mit Reliquien bestückt und sollte den Besuchern vermitteln, dass hinter den Künstlerpseudonymen Personen mit echten Schicksalen stehen, und so den Zugang zu der Kunstform auf einer emotionalen Ebene eröffnen. Eine andere Möglichkeit der (An-) Teilnahme bot die Arbeit JOY IS HERE. Innerhalb eines riesigen Wort-Suchspiels konnten die Besucher gefundene Wörter markieren und damit kreativ an der BundeskunstHALL OF FAME partizipieren. Die Bereitschaft dazu war immens, zudem haben viele Besucher neben den vorgegebenen Wörtern ihre Namen oder Botschaften hinterlassen. Bis zum Ende des Festivals wurden so sukzessive viele Schichten Farbe aufgetragen, bis die Wände tatsächlich keinen Platz mehr boten. Dieses Phänomen verdeutlicht, dass auch Personen ohne Graffiti- oder Street-Art-Hintergrund offenbar ein Bedürfnis danach haben, schriftliche Botschaften oder Zeichen als Form eines Anwesenheitsbelegs oder zum Austausch untereinander zu hinterlassen. Beide genannten Aspekte — das Bedürfnis nach Mitwirkung und die Anteilnahme — vermitteln einen emotionalen Zugang und sollten so den Besuchenden den Einstieg in die Ausstellung erleichtern. Daneben fungierten die vielen weiteren unterschiedlichen Angebote der Bundeskunst-

HALL OF FAME gewissermaßen als Ausstellungs-Hybrid, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Graffiti und Street Art zu ermöglichen und auf die Vielfältigkeit dieser Kunstformen hinzuweisen. So beinhaltete die Ausstellung unter anderem eine Werkschau (Showroom), Workshops, Kuratorenführungen, Live-Paintings, interaktive und multimediale Installationen, einen Artist Talk, eine Gedenkstätte, ein partizipatives Gästebuch, eine Lecture Performance, einen Sketch-Battle und eine Siebdruckwerkstatt. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Komponenten erweist sich somit als potenzielles Erfolgsrezept für ein Projekt wie die BundeskunstHALL OF FAME: Zum einen kann die Orientierung an den wesentlichen Eigenschaften und Zeremonien einer Subkultur, hier insbesondere an Jams und Halls of Fame, einen authentischen Kontext schaffen, der durch die Weiter- und Umnutzung einer bestehenden Architektur zusätzlich an Atmosphäre gewinnen kann. Auch der Einsatz der Kuratoren als Gatekeeper zu einer Szene, die durch ungeschriebene Gesetze und Eigenheiten wie die Anonymität geprägt ist, trägt zu einer glaubwürdigen Ausstellung bei. Unter der Vielzahl der Ausstellungen und Projekte zu Graffiti und Street Art ist die BundeskunstHALL OF FAME auch insofern herausragend, als sie weder als reine Werkschau antrat noch kommerziellen Interessen geschuldet war. Ein Projekt dieser Größe im Museum ist keine Selbstverständlichkeit und war nur durch den Vertrauensvorschuss der Bundeskunsthalle zu realisieren. Fest steht, dass eine solch vielfältige ‚hybride‘ Ausstellung zu Graffiti und Street Art im musealen Kontext eine Besonderheit ist und vermutlich auch bleiben wird. ANMERKUNGEN

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Insbesondere in seinem Film Exit through the Giftshop (2010). Die Realisierung eines Themenparks als Parodie auf Disneyland im Badeort Weston-super-Mare in Somerset in England im Jahr 2015 erzeugte große Aufmerksamkeit. Weitere Musik-Acts im Line-Up waren Run the Jewels, ein Supergroup Rap-Duo bestehend aus EL-P und Killer Mike aus New York, der kalifornische Hip-Hop-DJ und Musikproduzent Peanut Butter Wolf und die britischen Post-Punk Bands Sleaford Mods und Savages. Das ehemalige Freizeit- und Vergnügungsbad Tropicana musste im Jahr 2000 geschlossen werden (http:// www.tropicanawestonsupermare.co.uk/The-Tropicana).


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ALLAN GRAFFITI

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Die Schau für Südostasiatische Kunst und Architektur in der Londoner Hayward Gallery im Jahr 1999 wurde von Hans Ulrich Obrist und Hou Hanru kuratiert. http://buro-os.com/cities-on-the-move-london Phillip Johnson, Layout: Philip Johnson In Conversation With Rem Koolhaas And Hans Ulrich Obrist, Verlag Walther König, Köln 2003. Karl Lagerfeld. Modemethode wurde von Lady Amanda Harlech und Rein Wolfs kuratiert. Das Ausstellungsdesign wurde von Karl Lagerfelds Verleger Gerhard Steidl konzipiert. Bereits 2012 gab es für eine Street-Art- und GraffitiAusstellung in der Bundeskunsthalle erste Ideen und Impulse des Ausstellungsleiters Ulrich Best. Die Idee einer solchen Ausstellung wurde 2015 von Britta Biergans von der Bundeskunsthalle auf Grund des vorhandenen Ausstellungsdesigns der Karl Lagerfeld Ausstellung wieder ins Gespräch gebracht. An der Finalisierung, Weiterentwicklung und Umsetzung der Ausstellungsplanung waren Friederike Siebert und Johanna Adam maßgeblich beteiligt. Neben internationalen Künstlern, wie Mode2 aus Paris, Dee VIRUS aus den Niederlanden oder INKA und HERO (aka BISAZ) von den berüchtigten Ghettostars (GHS) aus Berlin kamen zahlreiche Writer aus dem Umland, wie PASTE, GOLEM, KOIN, SEIN, SEAK und ZERO von den Amigos aus Köln. ATOMone aus Dortmund trat nach dem Graffiti-Malen im Parkhaus unter seinem Künstlernamen Der Lange mit der legendären Deutsch-Rap Formation Too Strong auf, weitere MusikActs waren unter anderm Actual Proof, Rhymez “R“ Uz und Fast Forward von der Kölner Rapformation STF. Hip Hop Jams (je nach Schwerpunkt auch als Graffiti Jam bezeichnet) waren in den 80er-und 90er-Jahren der Dreh- und Angelpunkt der Hip-Hop-Kultur. Zu den üblichen Programmpunkten gehörten Musikauftritte von Rappern und DJs, Tanzeinlagen von B-Boys und ein Line-Up mit eingeladenen Graffiti-Künstlern, die während der gesamten Veranstaltungsdauer von mehreren Tagen vor Publikum malten. Jams wurden in der Regel oft von ehrenamtlichen Organisatoren ohne großes Budget veranstaltet. Die klassischen Jams gibt es mittlerweile nicht mehr, sie wurden seit Beginn der 2000er-Jahre von stark kommerziell geprägten HipHop-Festivals abgelöst. Das Skizzenbuch wird im Szenejargon als Blackbook bezeichnet. Ein Tag ist praktisch die Signatur mit dem Künstlernamen (o.a. Pseudonym) eines jeden Graffiti-Künstlers. Als Writer werden szene-intern die Graffiti-Künstler bezeichnet, die vorrangig ihren Künstlernamen aus Buchstabenkonstruktionen gestalten. http://www.sensor-wiesbaden.de/wiesbadener-exportschlager-graffiti-internationales-festival-bringt-bestesprayer-zum-bruckenkopf/ Der Begriff Style-Writer wird für Writer mit einem außergewöhnlichen, individuellen Stil angewendet. Als Piece werden großformatige Graffiti-Bilder mit ausgestalteten Buchstaben bezeichnet. Die farbig ausgefüllten Flächen werden als Fill-in und die Umrandungen als Outlines bezeichnet. Ein weiterer grundlegender Bestandteil ist der Hintergrund, welcher als Background bezeichnet wird. Es gibt weitere unzählige Effekte und Elemente mit Spezialbegriffen, die zur Ausgestaltung zu diesen Bestandteilen hinzukommen. Als Caps werden die Sprühdosenaufsätze mit verschiedenen Düsenstärken für eine Variation beim Farbauftrag bezeichnet. Mit den verschiedenen Caps können breite und dünne Striche sowie Farbverläufe gesprüht werden. Loomit (mit bürgerlichem Namen Mathias Köhler) betreibt auf dem Gelände der Kunstfabrik in München ein gefördertes Atelier und ist zudem für die Wandgestaltung und ,Vergabe‘ der Wände zuständig. Zuvor hat er bereits die Gestaltung der Flohmarkthallen

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an der Dachauer Straße, die von 1985 bis 1989 als größte Hall of Fame Europas galt, und die KonzeptWandarbeiten am alten Münchner Flughafen Riem, die in Zusammenarbeit mit internationalen GraffitiKünstlern entstanden, übernommen. Als Hosts werden die ortsansässigen Gastgeber bezeichnet. ZUGRIFF! Schriften zum visuellen Ungehorsam, hrsg. von Robert Kaltenhäuser, Nr. 2, November 2015. Zusammenschluss Gleichgesinnter mit einem Eigennamen oder einer Bezeichnung der Gruppe (meist in Form von Buchstabenkürzeln). Trends, die in Subkulturen entstehen, werden häufig von den entsprechenden Industrien zu kommerziellen Zwecken übernommen. Diese Ausnutzung der subversiven Kraft wird auch als Sell-Out bezeichnet. Viele Künstler können sich dieser verselbstständigten Dynamik in der absatzorientierten Konsumgesellschaft nur schwer entziehen. Ein Kompromiss zwischen Sell-Out und echter Streetcredibility ist ein kaum austarierbarer Balanceakt. Vgl. Allan Gretzki, Graffiti, Street Art und Culture Jamming. Zwischen urbanem Protest und Kommerzialisierung, in: Eva Youkhana/Larissa Förster (Hrsg.), Grafficity. Visual Practices and Contestations in Urban Space (Morphomata), Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015. Hier sind die I LOVE YOU Crew und der Writer SHIMO aus Köln, die INF Crew aus Bonn, sowie SLAYER aus Dortmund zu nennen. Neben der Auswahl an Writern aus der illegalen Szene hinterließ der Kölner Künstler Tobias Hahn im gesamten Ausstellungsbereich humorvolle Miniatur-Zeichnungen und akzentuierte somit die unscheinbaren Winkel der Räume. Der Graffiti-Schrein wurde erstmals 2010 zur Jahresausstellung der Kunsthochschule für Medien in der Trinitatiskirche in Köln vom Autor unter dem Titel Graffiti is Dead initiiert. Für die Umsetzung war der Autor auf eine Mitwirkung aus der Szene angewiesen. Die HACFCrew stellte Fotomaterial ihres 2014 verstorbenen Mitglieds SYRO, Gigo Propaganda Fotomaterial des 2011 verstorbenen LAY der DOS-, AC/DC- und EI Crew, sowie des 2010 verstorbenen EKS der EI Crew zur Verfügung. SMER stellte Fotomaterial des 2007 verstorbenen BÖSE der Netz Crew zur Verfügung.

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