Leben im Osten E i n e S o n d e r b e i l a g e I h r e r o s t d e u t s c h e n Ta g e s z e i t u n g e n
Nummer 230 · 70. Jahrgang
2./3. Oktober 2014
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E D I T O R I A L
Liebe Leserinnen, liebe Leser, 25 Jahre ist es nun her, dass am 9. November die Mauer fiel. 25 Jahre, das umspannt eine ganze Generation. Eine ganze Generation, für die der Mauerstaat DDR nur noch Geschichte ist. Die jungen Frauen und Männer kennen keine Reisebeschränkungen, die Stasi ist ihnen fremd, freie Wahlen sind selbstverständlich. Eine Generation, die in einem gesamtdeutschen demokratischen Staat aufwuchs – man könnte meinen, die Einheit müsse selbstverständlich und nicht mehr der Rede wert sein. Dass das leider nicht stimmt, wissen viele von Ihnen. Und vielleicht erleben Sie es auch täglich. Vor einigen Tagen erst hat der jüngste Bericht der Bundesregierung zur Lage der deutschen Einheit erneut bestätigt, dass die Wirtschaftsleistung der ostdeutschen Länder ein Drittel unter der der westdeutschen Länder liegt. Es gibt viele soziale und ökonomische Unterschiede.
AKU D/ LA RS REI MANN
Der Mauerpark in Prenzlauer Berg ist ein Ort des Vergnügens für alle Berliner. Seit dem historischen Tag am 9. November 1989 haben sich Ost- und Westdeutsche stetig aufeinander zu bewegt.
25 Jahre nach Fall der Mauer sind sich Ost und West nah wie nie Ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution geht eine Allensbach-Studie der Frage nach: Wie haben sich die Menschen verändert? Bei den privaten Wünschen und Sorgen ist die Mauer gefallen. Andere Teile stehen noch.
WOLFGANG BORRS
Brigitte Fehrle, Chefredakteurin
Aber ist es das, was uns trennt? Wir wollten es genauer wissen. Wir, das ist die Berliner Zeitung, die sich mit 14 weiteren Zeitungen aus allen Regionen Ostdeutschlands und dem Leipziger Institut Zebra zusammengetan hat, um zu fragen, besser: fragen zu lassen. Das renommierte Institut Allensbach sammelt seit 25 Jahren Daten zum Lebensgefühl der Ostdeutschen und hat diese jetzt mit einer neuen, repräsentativen Studie unterlegt. Liebe Leserinnen, liebe Leser, Sie halten ein bislang einmaliges, außergewöhnliches Produkt in den Händen. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir Ihnen die wichtigsten Daten der Studie. Dazu stellen wir Ihnen exemplarisch Frauen und Männer ganz unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft vor, die im Osten leben und ihre persönliche Bilanz ziehen. Engagierte Journalistinnen und Journalisten der beteiligten Zeitungen, die oftmals seit Jahren die politischen Zeitläufte beobachten, erzählen Geschichten aus den Gegenden, die einst die DDR waren. Ich wünsche Ihnen eine spannende, lehrreiche und unterhaltsame Lektüre Ihre Brigitte Fehrle, Chefredakteurin
V ON T ORSTEN K LEDITZSCH
O
st- und Westdeutsche unterscheiden sich in ihren Lebenszielen und privaten Wertvorstellungen kaum voneinander, halten aber an ihren gegenseitigen Vorurteilen fest. Große Unterschiede bestehen weiterhin in der Beurteilung des politischen und wirtschaftlichen Systems. Das hat eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach ergeben, die im Auftrag der Berliner Zeitung in Zusammenarbeit mit 14 weiteren ostdeutschen Tageszeitungen erstellt wurde. Die Studie aus Anlass des 25. Jahrestags der friedlichen Revolution und des Mauerfalls ist eine der umfassendsten der vergangen Jahre. Große Übereinstimmung legen die Menschen in den alten und neuen Ländern an denTag, wenn es um die nötige Stabilität in ihrem Leben geht. Bei den vier wichtigsten Fakten gibt es keine nennenswerten Unterschiede mehr: Ausreichend Geld (80 Prozent Ost/81 Prozent West), die eigene Familie (79/79), gute Freunde (63/66) und der eigene Partner (62/63) sind die vier Punkte, die für alle Deutschen ausschlaggebend sind bei der Frage, wie sicher sie sich in ihrem Leben fühlen. Der Ostdeutsche setzt bei der Absicherung darüber hinaus weiterhin stärker auf den Staat, während der Westdeutsche auf das Ei-
gentum sowie Recht und Gesetz baut. Nur 41 Prozent der Ostdeutschen ist das Rechtssystem für ihre Sicherheit wichtig, aber 58 Prozent der Westdeutschen. Ähnlich sieht es bei den Sorgen aus. Die eigene Pflegebedürftigkeit treibt 61 Prozent der Ost- wie Westdeutschen um und wird im Osten nur noch von der Angst vor zunehmender Gewalt und Kriminalität um einen Prozentpunkt übertroffen. Der Westen ist in dieser Frage etwas entspannter (52 Prozent). Insgesamt werden die ersten acht Sorgen-Plätze in nahezu gleicher Ausprägung in Ost wie West vor allem von der Rentensicherheit sowie steigenden Preisen und Abgaben dominiert. Große Unterschiede gibt es dagegen nach wie vor bei der Beurteilung des wirtschaftlichen und politischen Systems. Während 74 Prozent der Westdeutschen die Demokratie als die beste Staatsform betrachten, teilen in Ostdeutschland nur 40 Prozent diese Auffassung. Beide Werte haben sich seit 1990 allerdings nur geringfügig verändert. Michael Sommer, Projektleiter bei Allensbach, spricht von einem „unbedingten Vertrauen“ in das politische System, das im Westen nach wie vor viel stärker sei. Die Ostdeutschen legten in diesem Punkt eine große Reserviertheit an den Tag. Auch das Freiheitsverständnis unterscheidet sich erheblich.
Freiheiten, die den Ostdeutschen am wichtigsten sind Bevölkerung: Ost
West 70%
Meinungsfreiheit
88% 65% 72%
Reisefreiheit Soziales Sicherheitsnetz des Staates
61% 63%
Freie Wohnwahl
55% 68%
Wahlfreiheit
51% 63%
Konsumfreiheit
50% 55%
Keine staatliche Überwachung
49% 63% 49%
Rechtsstaatlichkeit Religionsfreiheit
Den Westdeutschen sind die Meinungsfreiheit, der Rechtsstaat, die freie Berufswahl und das Recht auf Eigentum deutlich wichtiger als den Ostdeutschen. Der Abstand beträgt jeweils zwischen 14 und 18 Prozentpunkten. Gehalten haben sich auch die Vorurteile. Der Ostdeutsche hält den Wessi nach wie vor für arrogant, geldgierig und egoistisch. Der Westdeutsche den Ossi vor allem für unzufrieden und misstrauisch. In ihrem Gesamturteil über die zurückliegenden 25 Jahre zeigt sich im Osten die sogenannte Wendegeneration der 35- bis 59-Jährigen am zufriedensten. Für 65 Prozent der Befragten dieser Altersgruppe ist die Entwicklung Deutschlands seit dem Mauerfall eine Erfolgsgeschichte. Die älteren und jüngeren Ostdeutschen sind lediglich zu 56 Prozent dieser Meinung. Generell sieht sich jeder zweite Ostdeutsche als Gewinner der Wende, und ein knappes Viertel sehen sich als Verlierer. Ein weiteres Viertel legte sich nicht fest. Die Einstellungen und Wertvorstellungen unterscheiden sich stark zwischen den Generationen. Der Nachwendegeneration (16 bis 34 Jahre) im Osten sind ein hohes Einkommen und ein sozialer Aufstieg deutlich wichtiger als den Älteren. 62 Prozent der Jüngeren halten ein hohes Einkommen für erstrebenswert im Leben, in der Wendegeneration sehen das nur 48 Prozent so.
64% 19%
Größte
45% Diskrepanz
Lebensziele
Wichtig und erstrebenswert im Leben 84% 85%
Soziale Beziehungen
82%
Familie
78%
Glückliche Partnerschaften Hohes Einkommen Glaube, Religion
76% 76% 42% 34% 13% 26%
Ost West
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Gleichzeitig soll das Leben Spaß machen. 72 Prozent der Nachwendegeneration erwarten das, in der Wendegeneration nur 48 Prozent. „Diese Unterschiede sind jedoch zu einem wesentlichen Teil mit der Lebensphase zu erklären“, sagt Allensbach-Projektleiter Sommer. Der Vergleich mit vorangegangenen Studien zeige, dass die Unterschiede zwischen den Generationen nicht zugenommen haben. Der jungen Generation bescheinigt Sommer insgesamt eine große Ernsthaftigkeit in ihrer beruflichen Entwicklung. Sie arbeite sehr zielgenau daran, achte aber auf ausreichend Ausgleich im Privatleben. Während sich die über 60-Jährigen noch vielfach in erster Linie als Ostdeutsche bezeichnen (37 Prozent), nimmt der Anteil unter den Jüngeren zu, die sich als Deutsche oder Europäer sehen (60 bzw. 9 Prozent der unter 29-Jährigen). Ein Umzug in die westdeutschen Bundesländer ist für die Jüngeren heute naheliegend. Vier von zehn haben sich bereits mit diesem Gedanken getragen. Für sie stehen dabei die höheren Löhne, die besseren beruflichen Perspektiven und der höhere Lebensstandard im Vordergrund. Die Angst, im Osten keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu erhalten, spielt nur noch für 6 Prozent eine Rolle. Details zur Studie lesen Sie auf Seite 2.
IM HEFT
SACHSEN-ANHALT: Dem Fußball im Osten ging es schon besser, doch die Vereine wollen wieder nach oben. Seite 10
THÜRINGEN: Zwei bekannte Söhne des Landes berichten, wie der Mauerfall ihr Leben veränderte. Seite11 BRANDENBURG: Angepasst war die Band Keimzeit nie, doch anzuecken stört die Belziger nicht. Seite 12
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THÜRINGEN: Beliebt war sie nicht, aber ohne sie ging es auch nicht. Rückblick auf die Treuhand. Seite 8
SACHSEN: Früher wurde hier der Trabant gefertigt, jetzt der Porsche. Eine Traumkarriere auf vier Rädern. Seite 9
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MECKLENBURG-VORPOMMERN: Ein Landrat erzählt, wie er die Karriere der Kanzlerin anstieß. Seite 6
SACHSEN-ANHALT: Abwanderung war gestern. In Zahn-Elster wird heftig dagegen angekämpft. Seite 7
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SACHSEN: Keine Stadt in den neuen Ländern ist so beliebt wie Leipzig – und der Boom geht weiter. Seite 5
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THÜRINGEN/BAYERN: Wo früher geschossen wurde, treffen sich ehemalige Grenzer zum Stammtisch. Seite 4
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BERLIN Axel Klausmeier über das Erinnern an der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße. Seite 2
SACHSEN-ANHALT: LeopoldinaPräsident Jörg Hacker über die gesamtdeutsche Wissenschaft. Seite 14 THÜRINGEN/BAYERN: Das Meininger Theater verbindet die Menschen aus den beiden Bundesländern. Seite 15
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Prof. Dr. Axel Klausmeier wurde 1965 in Essen im Ruhrgebiet geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Neuere und Mittelalterliche Geschichte in Bochum, München und Berlin. Als wissenschaftlicher Assistent befasste er sich von 2001 bis 2006 am Lehrstuhl Denkmalpflege der BTU Cottbus mit „Unbequemen Baudenkmalen“ sowie mit dem Umgang mit politisch belastetem baulichen Erbe. Mit Leo Schmidt erarbeitete er zwischen 2001 und 2003 im Auftrag des Berliner Senats die Dokumentation der Reste der innerstädtischen Berliner Mauer. Seit Januar 2009 ist er Direktor der Stiftung Berliner Mauer. BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER
„Schrecken lässt sich nicht rekonstruieren“
Der Leiter der Gedenkstätte Berliner Mauer über die Schwierigkeiten der Erinnerungsarbeit. Von Thomas Rogalla Wer Schokolade mag, liebt Zetti. Damals wie heute.
Beste Zutaten und ein Herz für die Region – das hat Tradition bei Zetti. Seit über 180 Jahren kommt aus Zeitz in Sachsen-Anhalt Leckeres zum Naschen. Und ständig gesellen sich zu den momentan 30 verschiedenen Genüssen neue hinzu. Denn die rund 100 Mitarbeiter und sechs Auszubildende ruhen sich nicht auf ihren Kakaobohnen aus. Es wird mit Leidenschaft und Raffinesse gearbeitet, ausgebildet und investiert – zum Wohle der Region und des guten Geschmacks. Zetti beweist, wie lebendig Geschichte sein kann. Und wie gut sie schmeckt – mit jedem Öffnen einer Tüte Zetti Knusperflocken.
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rofessor Axel Klausmeier gehört nach 1989 zu den wohl besten Kennern der Berliner Mauer. Mehrfach hat der Historiker das, was von der 1990 weitgehend abgerissenen DDR-Grenze in der einst geteilten Stadt übrig ist, wissenschaftlich erfasst und dokumentiert. Seit 2009 leitet Klausmeier die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße in Berlin – Ort vieler geglückter und gescheiterter Fluchtversuche. Mit rund 700 000 Besuchern im Jahr gehört die Bernauer Straße zu den meistbesuchten zeitgeschichtlichen Einrichtungen in Berlin. Das Interview wird kurz unterbrochen, weil der Direktor eine Delegation aus Südkorea begrüßen muss, die sich für die Aufarbeitung der deutschen Teilung interessiert. Herr Professor Klausmeier, wem haben wir es zu verdanken, dass entgegen dem 1990 verbreiteten Verlangen in Ost und West, die grässliche Mauer endlich loszuwerden, doch noch einige Stücke in Berlin erhalten blieben? Da spielte bürgerschaftliches Engagement eine große Rolle, vor allem der mittlerweile verstorbene Pfarrer der Versöhnungsgemeinde an der Bernauer Straße, Manfred Fischer, aber auch Denkmalschützer vom Deutschen Historischen Museum oder der Technischen Universität Berlin … Bemerkenswerterweise handelte es sich bei ihnen allesamt um Westdeutsche – wie bei Ihnen. Sie stammen aus dem Ruhrgebiet. Interessanterweise in der Tat meistens „Wessis“. Die Rettung der Mauerreste als bauliches Zeugnis lag vielfach in den Händen von Westdeutschen, das Gedenken an
die Mauertoten ging meistens von Ostdeutschen aus. Warum? Die Westdeutschen waren nicht durch die Mauer eingesperrt, sodass die emotionale Betroffenheit – auch in Bezug auf die Opfer der Mauer – bei den Ostdeutschen oft größer als bei den meisten Westdeutschen war. Der Zeugniswert der baulichen Überreste der Mauer musste nach 1989 in einer Art „Bewertungsphase“ erst erkannt werden. Heute ist den Berlinern und den vielen Berlinbesuchern die Mauer als zeitgeschichtliches Zeugnis offenbar wieder wichtiger geworden. Geht man inzwischen entsprechend schonender mit den noch vorhandenen Resten um? Leider nicht. Ich habe 2001 und 2006 für den Lehrstuhl für Denkmalpflege in Cottbus dokumentiert, was von der Berliner Mauer noch vorhanden war. In den wenigen Jahren zwischen den Erhebungen war etwa ein Drittel des Bestandes an Mauerresten verloren gegangen. Beispielsweise wurde der frühere Grenzstreifen im Süden Berlins als Trasse für einen Autobahnzubringer genutzt. Aber es gingen auch viele kleinere Bestandteile verloren, beispielsweise Teile der Grenzbeleuchtung. Und am Grenzübergang Bornholmer Straße, weltberühmt als erster Ort der Maueröffnung, steht jetzt ein Supermarkt. Nützt der Denkmalschutz nichts? Denkmalschutz ist letztlich ein Verwaltungsakt, und bei Baumaßnahmen ist er nur ein Träger öffentlicher Belange. Gleichzeitig ist er durch Stellenabbau geschwächt, etwa in Brandenburg, wo der größte Teil der Mauer
Ü B E R
W O D E R G R E N Z E R D E N S T A C H E L D R A H T
Die Bernauer Straße in Berlin kennt nicht jeder Berlinbesucher – obwohl sie nur drei S-Bahnstationen vom Bahnhof Friedrichstraße entfernt im Zentrum Berlins liegt. Aber eine Fotografie aus der Bernauer Straße, wo nach 1961 die Mauer Berlin-Mitte (Ost) von Wedding (West) trennte, ist weltbekannt: Das Schwarz-Weiß-Bild des DDR-Grenzsoldaten Conrad Schumann, der am 15. August 1961, seine Kalaschnikow wegwerfend, an der Bernauer/Ecke Ruppiner Straße über die Stacheldrahtrollen sprang und in den Westteil Berlins flüchtete. Heute ist das Foto, mehrere Meter hoch am authentischen Ort der Flucht auf eine Hauswand gemalt, Teil der Freiland-Ausstellung der Gedenkstätte Berliner Mauer.
S P R A N G
dem 112 Kilometer langen Beton- und StacheldrahtRing um West-Berlin. Immerhin ist dort der Postenweg weitgehend erhalten. Dort verläuft heute der Berliner Mauerradweg. Nach 1990 wurde aus dem Todesstreifen an der Bernauer Straße Bauland, die Bagger rollten an. Bis im Jahr 2005 die Berliner, die Besucher und der Senat merkten, dass bis auf eine kleine Gedenkstätte kaum noch etwas an die Teilung erinnerte. Eilends wurde ein Mauerkonzept zum Erhalt der historischen Zeugnisse der Teilung beschlossen.
Die Ausstellung erstreckt sich auf 1,4 km Länge über den ehemaligen Grenzstreifen. Auf dem Areal der Gedenkstätte befindet sich das letzte Stück der Berliner Mauer, das in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und einen Eindruck vom Aufbau der Grenzanlagen bis zum Ende der 1980er-Jahre vermittelt. Weitere Reste und Spuren der Grenzsperren werden mittels multimedialer Informationsstelen erläutert. In den Boden eingelassene Tafeln aus Cortenstahl markieren Orte dramatischer Fluchtversuche über die Mauer oder durch mühsam gegrabene Tunnel. Etliche Fluchtversuche endeten tödlich. Von der Vorderlandmauer mit der charakteristischen Krone aus Kanalrohr sind nur noch etwa 200 Meter erhalten, das Gros der Grenzanlage wurde 1990 im Freudentaumel der Wiedervereinigung abgerissen.
Heute verfügt die Gedenkstätte Bernauer Straße neben der Open-Air-Ausstellung über ein Besuchersowie über ein Dokumentationszentrum, in dem Bundeskanzlerin Angela Merkel am 9. November eine neue Dauerausstellung über die Geschichte der Teilung eröffnen wird. Zur Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer gehört auch die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Rund vier Millionen Menschen verließen zwischen 1949 und 1990 die DDR in Richtung Bundesrepublik; 1,35 Millionen von ihnen passierten das 1953 gegründete Notaufnahmelager in Marienfelde. Diskutiert wird derzeit, der Gedenkstätte auch die Zuständigkeit für die weltbekannte East Side Gallery zu übertragen, das 1,4 Kilometer lange Mauerstück, das Friedrichshain (Ost) und Kreuzberg (West) bis 1989 trennte und von Künstlern aus aller Welt 1990 bunt mit Freiheitsmotiven bemalt wurde.
Von der Berliner Mauer, die 43 Kilometer lang war, ist in der Stadt nur noch wenig zu sehen, ebenso wenig von
Weiteres unter: www.gedenkstaette-berliner-mauer.de
stand, die West-Berlin vom Umland trennte. Die Bearbeitungszeiten wurden auf wenige Wochen verkürzt. Wenn das Denkmalamt bis dahin einem Bauherren keine Antwort gibt, gilt ein Abrissantrag als genehmigt. Da muss nur ein Bearbeiter in Urlaub sein und zack, ist das Denkmal weg.
Wer kommt in die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße? Zu rund 60 Prozent handelt es sich um internationales Publikum aus den USA, Südamerika, Japan undWesteuropa, nach unseren Erhebungen überwiegend um junge Leute unter 30 Jahren, die keine Erfahrung mit der deutschen Teilung haben. Regelmä-
ßig haben wir Delegationen aus Südkorea hier, die wegen derTeilung ihres Landes großes Interesse an unserer Arbeit haben, zuletzt war der Bürgermeister von Seoul hier, und ich habe auf dem Freigelände auch schon Besucher aus Nordkorea gesehen, die aber keinen Kontakt zu uns aufnehmen dürfen.
Design der Studie Die Studie „Wertewandel Ost“ ist eine umfassende und repräsentative Befragung zu den gesellschaftlichen Veränderungen seit der Wiedervereinigung. Sie wurde von den großen ostdeutschen Zeitungsverlagen und der Zebra-Group beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben. Für die Studie hat das Institut 1 573 Ostdeutsche persönlich befragt. Die Befragten stellen einen repräsentativen Querschnitt der hiesigen Bevölkerung ab 16 Jahren dar. Die Fragen waren so formuliert, dass – wenn vorhanden – die Ergebnisse vorangegangener Allensbach-Studien zur Auswertung mit hinzugezogen werden konnten. Damit war es möglich, Trendaussagen zu treffen. Hinzukommen 30 Tiefeninterviews mit Ostdeutschen aus der Generation der heute 40- bis 55-Jährigen und der Nachwende-Generation der heute 16- bis 29-Jährigen. Zum Vergleich wurden 1 520 Interviews mit einem ebenfalls repräsentativen Querschnitt der westdeutschen Bevölkerung ab 16 Jahren herangezogen. Allensbach führte die Interviews zwischen dem 13. Juni und dem 11. Juli 2014. Die Studie geht auf drei verschiedene Altersgruppen ein. Zum einen die Vorwendegeneration der 60-Jährigen und Älteren, die 1989 in der DDR gelebt haben. Zum zweiten die Wendegeneration der 35- bis 59-Jährigen, die 1989 in der DDR gelebt haben. Schließlich die Nachwendegeneration der 16- bis 34-Jährigen, die in Ostdeutschland geboren sind.
Die in Text und Grafiken genannten Daten beziehen sich in der Regel auf alle Befragten. Sofern eine Frage nur an eine Teilgruppe gerichtet war oder nur für eine bestimmte Teilgruppe ausgewertet wurde, wird diese Teilgruppe genannt. Es kann vorkommen, dass die Summe der Prozentzahlen in Text und Grafik mehr als 100 Prozent ergibt. Das ist dann der Fall, wenn auf eine Frage mehrere Antworten nebeneinander gegeben werden konnten. Darüber hinaus kann es zu Rundungsdifferenzen kommen. Am 5. November veranstalten die Deutsche Gesellschaft e. V. und das Bundesinnenministerium in der Berliner Vertretung des Freistaates Thüringen ein Symposium, auf dem die Studie diskutiert wird.
Die Sonderbeilage „Leben im Osten“ entstand in Zusammenarbeit mit 14 weiteren Regionalzeitungen sowie der SUPERillu. Umfrage „Wertewandel Ost“: Institut für Demoskopie Allensbach Konzept und Auftraggeber Studie: Zebra Group Unterstützer: Deutsche Gesellschaft e.V.
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Leben im Osten
Spielort der Kunstverliebten Berlins Auguststraße: Fremde suchen in ihr den Mythos. Von Anwohnern verlangt sie vor allem Beharrlichkeit. V ON I NGEBORG R UTHE
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Der Chef der Stasigefängnis-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, kritisiert, dass die Besucher dort überwiegend aus dem Westen kommen, die Ostler mieden die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit. Wie ist das bei der Gedenkstätte? Unsere Zahlen zeigen eine ähnliche Tendenz. Man muss jedoch auch die Proportionen berücksichtigen, dass die ehemalige DDR 16 Millionen Einwohner hatte, die Bundesrepublik aber 65 Millionen. Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen nieder. Die Gedenkstätte Berliner Mauer kostet viele Millionen Euro. Lohnt sich das?Was ist der Sinn Ihrer Arbeit? Wir ermöglichen ein würdiges Gedenken an die Opfer von Mauer und Teilung und zeigen den Wert von Freiheit und Demokratie, indem wir die unglaubliche Botschaft von 1989, dass Freiheit und Demokratie möglich sind, vermitteln. Das ist eine internationale Botschaft. Aber vielen jungen Menschen ist das heute nicht bewusst, weil es für sie selbstverständlich ist, in einer Demokratie zu leben. Mir geht es, und da bin ich ganz bei Hannah Ahrendt, um die Förderung kritischer Urteilsfähigkeit, um die Fähigkeit, historische Entwicklungen aus eigener Anschauung bewerten und einordnen zu können. Und es geht darum, deutlich zu machen, wie fragil Demokratie sein kann, und welchen Wert sie gegenüber diktatorischen Staatsformen wie in der DDR hat. Wenn wir das deutlich machen können, haben wir viel erreicht. Grauer Beton, rostige Mauerstreben sind für Jugendliche erst mal nicht sonderlich attraktiv. Wie wecken Sie deren Interesse? Indem wir sie sehr gezielt ansprechen, etwa durch die Personifizierung von Schicksalen der Maueropfer am Fenster des Gedenkens. Dort sind Fotos der 138 Toten an der Berliner Mauer zu sehen. Gleichzeitig sprechen wir die jungen Besucher mit zielgruppengemäßen Medien wie zum Beispiel der mobilen Website (www.berlinermauer.mobi) und mit speziellen Seminarangeboten wie der fotografischen Spurensuche, mit Theaterstücken oder Poetry Slams an. Zudem binden wir Schüler gezielt in Veranstaltungen ein, etwa bei einem Zeitzeugenpodium zum Thema „4. November 1989 in Berlin“, das von Schülern moderiert wird. Kritiker, insbesondere aus der früheren DDR, werfen Einrichtungen wie Ihrer vor, es gebe sie nur, um die DDR zu delegitimieren. Das ist nicht unsere Aufgabe und das ergibt sich auch nicht aus unserem Ausstellungskonzept. Das ist multiperspektivisch: Wir lassen beispielsweise an unseren Infostellen beide Seiten zuWort kommen. Einer Rede Willy Brandts, damals Regierender Bürgermeister von WestBerlin, steht eine Rede des SED-Ideologen Albert Norden gegenüber.
Wenn der Besucher dabei seinen Blick über den früheren Todesstreifen schweifen lässt, wird er im „Fenster des Gedenkens“ die Fotos der 138 Toten an der Berliner Mauer sehen und erfahren, warum sie aus der DDR fliehen wollten und an der Grenze starben, oder auf andere Weise, mitunter ohne jede Fluchtabsicht, an der Grenze ums Leben kamen. Es muss dann jeder, der sich mit den Schicksalen der getöteten Flüchtlinge konfrontiert und die historischen Fakten zur Kenntnis nimmt, selbst entscheiden, ob er die Mauer für eine „Friedensgrenze“ hält. Aus der eher konservativen Ecke wird kritisiert, die Gedenkstätte sei zu nüchtern, die Schrecken des DDRGrenzregimes seien nicht nachvollziehbar. Man vermisst Stacheldraht, Minenfelder, Hundelaufanlagen. Schrecken lässt sich nicht rekonstruieren. Man würde denen, die ihn bei einer Flucht erlebt haben, nicht gerecht. Was wir tun können, ist, das DDR-Grenzsystem mit verschiedenen Mitteln zu dokumentieren und zu erläutern. Wer unseren Einführungsfilm und die neue Ausstellung im Dokumentationszentrum, die am 9. November 2014 durch die Bundeskanzlerin eröffnet wird, sieht und seine Eindrücke anhand der authentischen Mauerstücke draußen auf dem Freigelände abgleicht, erhält ein umfassendes Bild davon, wie die DDR ihre Bürger am Verlassen des Landes hinderte. Uns ist wichtig, dass unsere Besucher sicher unterscheiden können zwischen den Original-Mauerresten an der Bernauer Straße und dem, was wir in Cortenstahl nachträglich hinzugefügt haben, um Mauerverlauf, Fluchttunnel oder Ähnliches nachzuzeichnen. Rekonstruktion ist auch deshalb schwierig, weil sich die Grenze über die Jahrzehnte gewandelt hat. Stacheldraht und Panzersperren verschwanden zugunsten der glatten Grenzmauer aus Betonsegmenten, die DDR-Armeegeneral Hoffmann als „kulturvoll“ bezeichnete. Welche Phase sollte man da nachbauen? Sind Sie manchmal neidisch auf Gedenkstätten wie den früheren Grenzübergang Marienborn oder auf Hötensleben in Thüringen, wo mehr Originalbauten erhalten sind? Nein, wir haben in Berlin genug historische Substanz, um die Teilung anschaulich zu machen. Wir können halt die Uhr nicht zurückdrehen und den Abriss 1990 ungeschehen machen. Unsere Besucherzahlen und die von 30 Minuten auf anderthalb Stunden gestiegene durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei uns zeigen, dass unser Informationsangebot von den Menschen angenommen wird. Sie lernen beim Gang über den Mauerstreifen zum Beispiel, dass „die Mauer“ nicht nur eine Mauer, sondern ein tiefgestaffeltes System war, das Flucht verhindern sollte und einzig von der SED errichtet worden war, um die eigene Bevölkerung einzusperren.
Was ich war, was ich bin SONIA FLÖCKEMEIER, 49, Businesscoach, Berlin. In meinem Bewusstsein spielt die Mauer heute eigentlich eine größere Rolle als damals, als sie noch stand. Da war sie Teil des Alltags, genau wie die stundenlangen Staus an den Grenzübergangsstellen. Ende der 80er-Jahre habe ich Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin studiert. Wir haben mit Spannung die Fluchtbewegung über die Prager Botschaft verfolgt, aber nie daran gedacht, dass Deutschland wieder ein Land werden könnte. Erst, als die Mauer weg war, haben wir bemerkt, wie befreiend das war, sind immer wieder für Tagesausflüge an die Ostsee gefahren. Beruflich habe ich damals verschiedene Aufgaben im Gastronomie-Management übernommen, war viel in Ost-Berlin unterwegs, weil hier die neuen Hotspots entstanden. 2003 habe ich mich selbstständig gemacht. Seitdem berate ich Unternehmensgründer in Mode, Gastronomie und Einzelhandel. Erst im Rückblick ist mir bewusst geworden, wie spießig das alte West-Berlin eigentlich war. Die Stadt ist offener, spannender und vielseitiger geworden.
erlin. Es stimmt, hier wohnt ein Stück altes, mythisches Berlin. Es mischt sich sehr speziell mit dem neuen Berlin. Längst steht sie in jedem Hauptstadt-Reiseführer: die Auguststraße. Bis Mitte der 1930er-Jahre pulsierte hier, in der Spandauer Vorstadt, jüdisches Leben. Heute erinnern daran nur Stolpersteine mit den Namen der Deportierten. In den Neunzigern wurde die Straße unübersehbar Kult: für Kunst und Party. Sie verhieß Abenteuer. Nichts in der maroden Meile war, wie man es am Abend zuvor verlassen hatte. Immer eröffnete irgendetwas Neues in dem umtriebigen Soziotop: Zuerst die Kunst-Werke, einst Margarinefabrik mit einer imposanten 18.-Jahrhundert-Fassade. Von der Stadt wurde der Ort zum Institut für zeitgenössische Kunst etabliert. Seit 1998 hat man hier schon acht internationale Berlin-Biennalen ausgetragen. Die Häuserzüge der Auguststraße sind eine Mischung aus luxussanierten Stuck-Fassaden, roten Klinkern und grauer DDR-Platte. Aber das hat Charme, diese „Bonjour Tristesse“ und das quirlige Flair der Kunstorte, der Straßencafés mit Hinterstübchen, Edel-Suppenbars neben Nobelfriseuren und Markenklamottenboutiquen. Und zwischendrin Buch- und Fahrradladen und eine Bäckerei wie zu Omas Zeiten. Die Kunst-Werke mit ihrem grünen Innenhof und dem gläsernen Bistropavillon sind längt international vernetzt. Das liegt vor allem an Gründer Klaus Biesenbach, den vor Jahren das New Yorker MoMa abgeworben hat. Man kommt hierher, um Kunst aus aller Welt zu gucken, auch außerhalb der Biennalen. Schräg gegenüber, links vom legendären, Nacht für Nacht übervollen altberlinischen Partyort Clärchens Ballhaus, gibt sich die globale Kunstkarawane beim Eigen+ArtGaleristen Judy Lybke die Klinke in die Hand. Lybke, der Stars wie den Maler Neo Rauch vertritt, zählt zu den Pionieren der Straße. Er mietete nach dem Mauerfall eine alte Wäscherei – und zeigte neue Leipziger Kunst. Damals, sagt er, hätten viele in Mitte Räume gesucht. Die Straße lag sozusagen im Epizentrum der Nachwende-Gründerzeit. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte erlaubte Um- und Zwischennutzungen, oft nur zum Betriebskostenpreis.Welch paradiesischer Zustand! Galeristen der ersten Stunde sprachen liebevoll von „Westentaschen-Galerien“, weil die Räume so klein waren. Alsbald waren es vierzig, dann sechzig dieser Art. Das war das Besondere: In Prenzlauer Berg saß die Ost-Szene, in Kreuzberg die West-Szene, noch immer getrennt.
Vermittlung der DDR-Geschichte: was wichtig zu wissen ist Ost „Sehr wichtig“ und „wichtig“ 80%
79%
78%
Das Leben und die Lebensumstände in der DDR
West 80%
Das politische System in der DDR
81% ... der Ostdeutschen glauben, DDR-Geschichte lässt sich nicht vermitteln. 75% ... der Ostdeutschen sagen: „DDR-Symbole tolerieren.“
Geländewagen statt Möbel
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Die große Mehrheit der Bundesbürger ist der Ansicht, dass junge Menschen mehr über die Geschichte der DDR vermittelt bekommen sollten; 80 Prozent der ostdeutschen und 78 Prozent der westdeutschen Bevölkerung halten es für (sehr) wichtig, dass junge Menschen mehr über das Leben und die Lebensumstände in der DDR erfahren. Allerdings schätzen dies 81 Prozent für ausgesprochen schwierig ein. Gehören DDR-Symbole zum Geschichtsverständnis dazu? Drei Viertel aller Ostdeutschen sprechen sich für den entspannten öffentlichen Umgang mit den Hinterlassenschaften des „real existierenden Sozialismus“ aus. Gehört Berlin … eher zu Westdeutschland
9%
42%
21% eher zu Ostdeutschland 65% 7% 49%
lässt sich nicht sagen keine Angabe
Kunstboom zweifelten. Seit 2000 etwa wurde gerade in der Auguststraße rastlos aus- und eingezogen. Willkommen und Abschied. Die Räume wurden zu klein, die Mieten wegen der Luxussanierungen zu hoch. Etlichen Galeristen wurde die Straße zu touristisch, zu partygen. Es ging, klagte Arndt, nicht mehr um Kunst, sondern um Lifestyle. Judy Lybke, der auch in Leipzig eine Galerie im alten Spinnerei-Gelände betreibt, blieb beharrlich Auguststraßen-Bewohner. Statt wegzuziehen, kaufte er das historische Haus Nr 26, holte die Maurer, ließ das Souterrain zu einer hohen Halle umbauen, ideal für Skulpturen. Und die oberen Stockwerke wurden zu Bilder-Räumen, Bibliothek, Büro.
5% Ost
2% West
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
In Mitte gab es dieses fremdelnde Beharren nicht. Sie kamen von überall her. Nichts war klar, außer der Vision. Alles schien möglich zu sein. Das glaubte auch der Hesse Matthias Arndt. Das neue Berlin war ein Versprechen; es folgte die Erkenntnis, dass alle Euphorie irgendwann von der Realität ernüchtert wird. Bald wurde es Arndt zu eng in der Auguststraße. Er zog um, in größere Räume. Heute ist er als Kunstvermittler meist nur noch in Australien unterwegs. Er war somit einer der Ersten, die am bejubelten Berliner
Lybke ist zum Glück nicht der Einzige in der Straße, der das angeblich Nomadische des Kunstbetriebs nicht in seinen Genen spürt. Auch Marcus Deschler, Malerei-Galerist von gegenüber, hat das Haus seiner Galerie krisensicher gekauft. Natürlich spürt auch er, dass sich die Zahl der Auguststraßen-Galerien mittlerweile auf etwa 30 reduziert hat. Dafür aber hat sich alles konsolidiert. Statt Möbelwagen sieht man schwarze Geländewagen, die Sammler-Klientel reist prätentiös. Alles wirkt solider, unaufgeregter, selbst die Kunst. Ging es bis vor zehn Jahren noch in der innovationsgierigen Szene ums Laborhafte, um Avantgarde, so finden sich inzwischen alle Spielarten wieder, von neu zu traditionell. Gleich mehrere Galerien haben sich auf Kunst aus der DDR konzentriert. Auf einmal ist sie wieder gefragt, sie steht bei Sammlern im Ruf hoher Qualität. Die Alfred-Erhard-Stiftung hat sich hier niedergelassen, sie zeigt Kunst aus ganz Deutschland. Dicht neben den Kunst-Werken baute sich der Essener Sammler Thomas Olbricht seinen Collector’s Room, stellt berühmte Künstler aus und zeigt nebenbei seine Mitbringsel aus aller Welt, eine obskure Wunderkammer-Sammlung voller Exotika. Den vorläufigen Höhepunkt der Straße bildet die einstige Jüdische Mädchenschule. Galerist Michael Fuchs und Partner – das mondäne Szene-Restaurant Grill Royal – pachteten das Haus von der Jüdischen Gemeinde. Ausstellungen auf allen Etagen. Aber selten ist es da voll. Aber unten, vor dem Restaurant, stehen sie Schlange. Die Kellner mit den langen, weißen Schürzen sind im Stress. Die Auguststraße war mal ein Labor für neue Lebensformen. Und deren Motor war die Kunst. Jetzt ist der absolute Gipfel der 900 Meter Asphalt mit dem großen Mythos ein Platz im Gourmet-Restaurant Pauly-Saal. Dort gilt das Gesetz: Sehen und gesehen werden.
B ERLINER Z EI TU NG /MAT HIA S G Ü NTHE R
Mal avantgardistisch, mal vordergründig schrill. Die Auguststraße hat viele Gesichter.
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin KERSTIN RUPP, 37, Grafikerin, Leipzig. Als die Mauer fiel, wurde ich gerade 13. Es war mir etwas peinlich, dass meine Mutter heulte, als wir das erste Mal mit dem Trabbi über die ehemalige Grenze zuckelten. In der Schule hieß Staatsbürgerkunde plötzlich Ethik, der Lehrer war der gleiche. Unsere Familie hatte sich immer unpolitisch verhalten, wie es die DDR wollte. Ein Freund war aber schon 1988 über West-Berlin im Kofferraum geflüchtet und hatte mir eine Postkarte aus Seoul von den Olympischen Spielen geschickt. Und mein Opa war 1962 enteignet und als Kapitalist hingestellt worden, weil er nach dem Krieg eine eigene Firma gegründet hatte, in der der halbe Ort beschäftigt war. Eigentlich war nichts unpolitisch in dieser DDR. Ich sehe sie sehr kritisch, obwohl ich damals noch ein Kind war. Inzwischen lebe ich mit meiner Familie in Leipzig und arbeite selbstständig als Grafikerin. Obwohl auch heute nicht alles gut ist, glaube ich, dass es die großartige Möglichkeit zu Veränderung gibt. Das ist ein entscheidender Unterschied zur DDR.
Spaziergänge im Niemandsland Seit vier Jahren treffen sich allmonatlich Thüringer und Bayern beim Grenzer-Stammtisch im Frankenwald. Sie reden über die Vergangenheit und wollen dabei durchaus nicht unter sich bleiben. V ON J ENS V OIGT
E
rfurt. Eine Wiese am Kulmberg im äußersten Südosten Thüringens, hüfthoch wuchert Gras um einen Vogelbeerbaum, daran ein verwittertes Kreuz. Kein Name, nur „Oktober 1966“ gibt die geritzte Inschrift preis, umrankt von einer Girlande aus Kunstblumen. „Wir wissen’s a net“, sagt Ralf Oelschlegel in weichem Fränkisch auf die Frage, wessen hier gedacht wird. Drüben, am Bach, ragte der Streckmetallzaun auf, davor war das Minenfeld. „Wir stehen genau drauf“, bestätigt Günther Heinze. „Und wir haben g’schaut, wenn’s wieder geknallt hat“, ergänzt Franz Hagen. Sie kennen sich aus, wo von der einstigen Bruchlinie zwischen Ost und West nur noch der Beton des vormaligen Kolonnenweges kündet, der Streifen ungezähmter Jungbäume und manchmal ein namenloses Kreuz. Heinze ging hier als Soldat der DDR-Grenztruppen Streife, Hagen für die bundesdeutsche Grenzpolizei auf der anderen Seite. „Und ich vielleicht manchmal dazwischen“, sagt Oelschlegel. Schließlich hätten sie als Kinder aus Carlsgrün in Bayern oft genug ihre Laubhütten auf dem vermeintlichen Niemandsland gebaut.
Gab es in der DDR Dinge, die besser waren als in der BRD? „Ja, gab es.“ 39%
„Würde das nicht sagen.“ 34% keine Angabe 27%
Basis: Westdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Das war in der DDR besser: Arbeitsplatzsicherheit Kinderbetreuung Mietpreise Weniger Arbeitslosigkeit Kinderbetreuung Zusammengehörigkeitsgefühl
Ost West 88%
22%
Platz 1 84%
11%
Platz 2 82%
8%
Platz 3
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Das ist jetzt besser als in der DDR: 94%
93%
Warenangebot
Reisefreiheit
80%
Meinungsfreiheit
Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
So nahe sie sich zuweilen kamen, so fern blieben sie sich damals. „Die durften ja nicht mit uns reden“, erinnert sich Egon Herrmann, der für den Zoll auf der bayerischen Seite unterwegs war. Inzwischen aber sprechen sie miteinander. Sieben Männer bildeten die Urzelle des Grenzer-Stammtisches von Bad Steben, gegründet am 3. Oktober vor vier Jahren. 18 Mitglieder hat er insgesamt und nicht selten mehr als das Doppelte bei seinen Treffen, jeden dritten Montag im Monat, mal in Thüringen, mal in Franken. Grenzer Ost und West an einem Tisch, sogar miteinander lachend, das wirkt aus der Ferne noch immer ungewöhnlich, es klingt nach Schwelgen in soldatisch-polizeilicher Erinnerung über die Feindbilder von ehedem hinweg. Aber so ist es nicht. Denn es sind nicht nur ehemalige Grenzschützer versammelt. „Das hat sich so ergeben“, erklärt Oelschlegel, der nicht an der Grenze gedient hat, aber mit ihr aufgewachsen ist. Zu einem Fest des Frankenwaldvereins in Schlegel war er mit dem Carlsgrüner Chor „Adelberg-Boum“ geladen, kam mit Vereinschef Heinze ins Gespräch und schnell auf einen Draht. „Jahrzehntelang lag unsere Region praktisch im Visier der Weltpolitik, litten Familien und Freundschaften unter der Tren-
O TZ
Wo einst patrouilliert wurde, wandern die Ex-Grenzer heute gemeinsam.
nung, kamen Menschen zu Tode an der Grenze. Und nun, nach der Euphorie der Wiedervereinigung, drohte das ganz schnell ins Vergessen zu geraten“, resümiert Oelschlegel.„Aber all das war Teil unseres Lebens gewesen, hüben wie drüben – und das wollten wir bewahren.“ Geschichte aufarbeiten, zu den großen Linien des offiziellen Erinnerns die dünnen Striche des Alltäglichen, des Privaten fügen. Sich selbst befragen und die anderen, neugierig, auf einer Augenhöhe, vorurteilsfrei. „Bei uns wird keiner umerzogen, jeder erzählt so, wie er es für richtig hält“, betont Ex-DDRGrenzer Heinze. Freilich, nicht immer kommen sie überein. „Dann bleibt das halt so stehen.“ Und wird gern mit Gesang geglättet, mit dem Rennsteiglied, das beidseits der inzwischen grünen Grenze der Favorit ist. Oder mit dem „Grenzerlied“, umgedichtet aus einer uralten Wandervogel-Vorlage. Bei allen Differenzen und dem offenkundigen Spaß an alten Schnurren: Wer das Menschenver-
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achtende des DDR-Grenzregimes auf „Dienst ist Dienst“ zu nivellieren sucht, gar den Schießbefehl in Abrede stellt, hat am Stammtisch nicht lange Freude. „Die tägliche Vergatterung vor dem Dienst hieß ganz klar: Grenzverletzungen verhindern, auch mit der Schusswaffe“, betont Heinze. Ehemals höhere Dienstgrade aus dem Osten würden zwar auch manchmal die Veranstaltungen besuchen. „Aber die sitzen meistens nur da und sagen nichts“, so Ex-West-Grenzer Hagen, „und kommen nie wieder.“ Aber andere, zuweilen sehr viele. Denn der Stammtisch geht auch nach draußen, an Schulen, zu Festen, bestückt Ausstellungen. Man kann geführte Wanderungen buchen, zum Beispiel den „Kontrollgang zum Kulmberg“. Oder einfach dazukommen, wenn es am 3. Oktober um 10 Uhr wieder losgeht zur Wanderung von Carlsgrün nach Schlegel, über das und auf dem Grünen Band, das jetzt so voller Leben steckt. Und voller Geschichten, die noch zu erzählen sind.
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Leben im Osten
Feinkost und Party bei Karl Liebknecht
Was ich war, was ich bin CHRISTOPH OTTE, 72, Rentner, Buckow: „Ich war 45 Jahre lang Maurer. Geboren wurde ich 1941 in Darkow in Pommern. Zu Kriegsende bin ich mit meiner Familie über die Oder geflüchtet. Meine Ausbildung als Maurer habe ich 1956 bis 59 bei Max Tödter und Söhne in Beeskow erhalten. Gearbeitet habe ich als Betriebsmaurer im Meliorationskombinat Beeskow und in der Milchproduktionsanlage Birkholz. Nach der Wende habe ich im Baubetrieb Pfaffendorf GmbH und im Malerbetrieb Bukowski in Fürstenwalde gearbeitet. Wir haben nach der Wende viele Wohnblöcke saniert. Zu DDR-Zeiten gab es nach der offiziellen Arbeit immer viel zu tun. So haben wir einen kleinen Handwerker-Trupp von vier bis fünf Mann gebildet und privat in der „Freizeit“ weiter gearbeitet. Außerdem habe ich Mastfersen, Schweine und Hühner gehalten, um sie zu verkaufen. So kam immer ein kleines Nebeneinkommen zustande. 1969 habe ich geheiratet und bis 1975 zwei Töchter erhalten. Heute habe ich vier Enkelkinder, von jeder Tochter zwei. Ich habe zu DDR-Zeiten gut gelebt. Es gab immer Arbeit und Einkommen.“
Leipzig zieht vor allem junge Menschen an. Studenten und Kreative erobern neue Viertel und füllen sie mit Leben. Doch der Hype birgt auch Gefahren. V ON C LEMENS H AUG
L
eipzig. Gerade wandelt sich das dreckige Ende der Eisenbahnstraße in der Leipziger Neustadt zu einem Szenekiez. Vor Kurzem hat in einem leerstehenden Haus ein alternatives Café eröffnet. Ein paar Meter weiter sind junge Menschen in einen verfallenen Altbau eingezogen, um ihn gemeinsam zu renovieren. „Für mich ist das hier die spannendste Gegend der Stadt“, sagt die 25-jährige Studentin Corinna Hansen. Wenn sie die Ausfallstraße im Leipziger Osten entlanggeht, trifft sie ständig Freunde. Noch vor einem Jahr war der Kiez wegen seiner Drogenszene und zahlreichen Einbrüchen als kriminelles Pflaster verschrien. Nun wird er von jungen Kreativen besiedelt. Der Leipziger Osten ist der jüngste Schauplatz eines Phänomens, das Stadtplaner kaum erklären können. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre hat sich Leipzig bei jungen Menschen zu einer der beliebtesten Städte Deutschlands entwickelt. Noch in den 90er-Jahren verlor die Messestadt jedes Jahr Tausende Bewohner. Seit 2000 hat sich dieser Trend umgekehrt. In den vergangenen drei Jahren zogen jeweils 10 000 Menschen mehr in die Stadt als aus ihr fort. Die übergroße Mehrheit der Zuwanderer ist zwischen 21 bis 35 Jahre alt. Den Trend spürt auch die Universität. Gingen im Wintersemester 2011 noch 31 700 Bewerbungen ein, waren es in diesem Jahr, einen Monat vor Studienbeginn, bereits 47 000. Und anders als in der Vergangenheit kommt mehr als jede zweite Bewerbung aus den alten Bundesländern. Den meisten geht es wie Hansen. „Als ich zum ersten Mal nach Leipzig kam, habe ich mich sofort wohlgefühlt. Ich hab die schönen Fassaden, den Leerstand und die vielen jungen Menschen gesehen und gedacht: Hier können noch Dinge entstehen.“ Das sei in Tübingen, wo Hansen zuvor studierte, anders gewesen. „Selbst wenn es dort denWillen gäbe, neue Spielflächen für Kreative einzurichten, es wäre gar kein Platz da.“ Hinzu kommt die Universität: Die meisten Hörsäle und Seminarräume in Leipzig sind neu. Viele Ausbildungsstätten im Westen dagegen sind in die Jahre gekommen. Der Ruf der Stadt breitet sich aus wie ein Lauffeuer. Blogger André Herrmann stellt bei Lesungen außerhalb der Stadt fest: „Wenn ich erwähne, dass ich aus Leipzig komme, sagen die Leute: ‚Wow, stimmt es, dass es dort so schön ist?‘“ Freunde von ihm hätten sich vor Jahren nie vorstellen können, dass es außer Berlin noch andere spannende Städte in Deutschland gibt. Nun lebten sie glücklich in Leipzig. Herrmann freut sich über die Aufbruchseuphorie, gleichzeitig macht ihm die Entwicklung Sorgen. „Wenn jemand merkt, wie beliebt er ist und damit zu prahlen beginnt, wird er un-
Berufliche Perspektiven junger Leute in Ostdeutschland sehr gut, gut
weniger gut, gar nicht gut
Osten (gesamt)
32%
Ost-Berlin Thüringen Sachsen
57% 30% 38%
61% 28% 63% 55%
Meckl.-Vorp.
26%
69%
Brandenburg
28%
67%
Sachsen-Anhalt
20%
75%
Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
sympathisch. Ich habe Angst, dass das mit Leipzig passiert.“ Er erfand den Begriff Hypezig. Auf einer Internetseite sammelte er Artikel über die Stadt. Mit dem Projekt wollte er vor dem möglichen Ausverkauf der Leipziger Schönheit warnen. Nachdem aber seine Wortschöpfung in den Werbeanzeigen von Immobilienfirmen auftauchte, stellte er die Seite ein. „Einige Leute wollten meine Idee offenbar falsch verstehen und haben unter Hypezig statt Kritik nur Lob verstanden.“ Freiräume und Hochschulen sind allerdings nicht alleiniger Grund für den Boom. Der Wissenschaftler Dieter Rink vom Leipziger Umweltforschungszentrum hat im Auftrag der Stadt vor Kurzem die Zuwanderer befragt. Überraschendes Ergebnis: „Immer mehr junge Menschen kommen für ihren ersten Arbeitsplatz.“ Seit 2004 seien rund 5 000 Jobs entstanden und die Arbeitslosigkeit habe sich nahezu halbiert. Nirgendwo wird die Veränderung durch den Boom so deutlich, wie in den Vierteln Plagwitz und Lindenau. Sie hatten sich in den Neunzigern beinahe zu Geisterquartieren entwickelt. Dann kamen Künstler und gründeten Leipzigs inzwischen überregional bekanntesten Atelierund Galerieort. Die Häuser wurden saniert, füllten sich wieder mit Leben. Doch nun drohen die ersten Projekte Opfer der Aufwertung zu werden: Ein urbaner Garten wird geopfert, weil das Grundstück bebaut werden soll. Eine Hausgemeinschaft muss aus einer Fabrik ausziehen, weil ein Investor Luxus-Lofts daraus machen möchte. Aber nicht jedes Viertel wird durch Aufwertung langweilig, wie sich an einem Freitagabend auf der Karl-Liebknecht-Straße zeigt. Die Kneipenmeile ist schon viele Jahre angesagt. Auf dem Feinkost-Gelände, einer früheren Fabrik, steigt eine Party. Jemand hat eine Schaukel aus Autoreifen an das alte Hallendach gehängt. Ein Mann schwingt sich gefährlich über die Köpfe der Besucher hinweg. Die Menge johlt. Hansen, Herrmann und viele andere junge Leipziger hoffen: Möge die Stadt noch eine Weile so bleiben: schön, wild, jung und frei.
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Straßenszene in Leipzig. Viele Künstler und Studenten wollen hier wohnen.
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin LYDIA THOMAS, 26, Künstlerin, München/Chemnitz. Ich war zwei Jahre alt, als meine Eltern mit mir die DDR – wir wohnten in Karl-Marx-Stadt – verlassen haben und über die Botschaft in Prag in die Bundesrepublik ausgereist sind. Wir hatten Verwandte im Westen, und besonders mein Vater wollte immer „rübermachen“. Aber es war nicht einfach, meine Eltern mussten lernen, in dem neuen System klarzukommen. Als Kind sollte ich nicht negativ auffallen. Das war nicht einfach, weil ich konfessionslos war, und es in Bayern eine Sprachbarriere gab. Letztlich haben sich meine Eltern getrennt. Kurioserweise ist mein Vater nach der Wende zurück nach Chemnitz gezogen, meine Mutter lebt noch in Bayern. Unsere meisten Freunde haben wir im Osten, ich finde, die Menschen im Osten sind tiefgründiger und kommen mit Schwierigkeiten besser zurecht als die Menschen im Westen. Ich studiere an der Akademie der Bildenden Künste in München und wohne als Künstlerin in Chemnitz. Ich bin froh, dass ich heute in Ost und West lebe. Ich suche immer noch Antworten, wie Ost und West genau ticken. Diese Suche spiegelt sich auch in meiner Malerei wider.
Die Kandidaten-Kür der Kanzlerin Dank Wolfhard Molkentins Strategie erhielt
Angela Merkel 1991 in Vorpommern einen Wahlkreis für den Bundestag. Damit begann ihre Karriere. V ON M AX -S TEFAN K OSLIK
S
chwerin. Das erste Mal taucht Wolfhard Molkentins Name im August 1990 auf. Der ruppig erscheinende, ja geradezu grantige Vorpommer habe mit einem schlitzohrigen Schachzug dafür gesorgt, dass die Stellvertretende Regierungssprecherin im Kabinett von Lothar de Maizière die Bundestagskandidatur der CDU in Nordvorpommern, Stralsund, Rügen bekomme. So heißt es damals im vier Autostunden und himmelweit entfernt liegenden Schwerin. Eine vom Demokratischen Aufbruch! Eine aus Berlin! Dass Angela Merkel eigentlich aus Templin und damit aus der Uckermark stammt, weiß damals in Mecklenburg noch keiner. Aber der politische Coup des schroffen Landrats aus Grimmen, der versprach interessant zu sein. Woher kannte dieser Landrat in Vorpommern die damals 36-jährige Merkel? Molkentin, heute danach gefragt, schmunzelt. Es ist sein typisches Schmunzeln irgendwo zwischen verschmitzt und bauernschlau – falls man das über einen 73-Jährigen sagen darf. Er zieht die buschigen Augenbrauen zusam-
men, sodass die Augen Schlitze werden. Und dann holt er weit aus. Dezember 1989 ist es, als sich der CDU-Mann aus Grammendorf für das Amt des neuen CDU-Kreisvorsitzenden bewirbt. Die Mauer ist gerade gefallen. „Wenn ihr mich zum Kreisvorsitzenden wählt, werde ich dafür sorgen, dass Deutschland wieder ein einig Vaterland wird. So wurde ich Kreisvorsitzender.“ Große Worte in Vorpommern. Doch als sich im Sommer darauf ein Banker aus Oldenburg, ein Kämmerer aus Solingen und ein CDU-Kämpe aus Kaiserslautern um die Bundestagsmandate in Grimmen, Stralsund und auf Rügen bewerben wollen, da ist ihm das einig Vaterland doch ein wenig zu dicht vor die eigene Haustür gerückt. Molkentin ist inzwischen Landrat. Der Kreistag ist aufgestellt. Alle Landtagskandidaten sind benannt. „Da war niemand mehr. Es fehlten die Eliten in der CDU. Da habe ich Günther Krause in Berlin angerufen.“ „Kennst du die Angela Merkel?“, hat Krause gefragt. „Wer ist die Merkel?“, will Molkentin wissen. „Nimm die“, lautet Krauses Rat. „Schick sie mir mal her.“ So klingt kein Versprechen, und ein Befehlsempfang schon gar nicht.
SVZ
Bodenständig und klug: der ehemalige Landrat in Vorpommern, Wolfhard Molkentin.
Am nächsten Tag ist eine schüchterne Stimme am Telefon. Die Stellvertretende Regierungssprecherin von Lothar de Maizière. Schließlich wird ein Treffen in Grimmen verabredet. Doch die Merkel kommt nicht. „Ja, so sind sie, die Berliner“, brummelt Molkentin in der kleinen Runde aus dem Kreisvorstand, „können nicht mal die Entfernung nach Vorpommern einschätzen.“ Doch dann ist sie da, atemlos, gehaspelte Entschuldigungen. „Ich wurde einem relativ strengen Verhör unterzogen“, erinnert sich Merkel später, „das gipfelte darin, dass ich sagen sollte, bei welcher Bodenwertzahl man Zuckerrüben anbaut.“ Ja, so kann man sich den Landwirt Molkentin vorstellen. Der will sich heute nicht mehr an die Strenge erinnern. Aber er weiß noch:„Ich habe sie leicht in den Arm genommen, und habe gesagt: Frau Merkel, wenn Sie vor den Bauern stehen und etwas gefragt werden, sagen Sie lieber ehrlich: Davon habe ich keine Ahnung, als dass Sie den Menschen etwas vorgaukeln. Das merken sich die Leute.“ So kommt der 27. August 1990, der Tag der Nominierungswahl. Um 18 Uhr treffen
Wiedervereinigung – eine Erfolgsgeschichte? Ja, war eine Erfolgsgeschichte. 61%
Nein, war keine Erfolgsgeschichte. 17%
unentschieden, keine Angabe 22% Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Haben sich die Hoffnungen, die man in Bezug auf die Wiedervereinigung hatte, erfüllt? 40% 25%
„erfüllt“
„nicht erfüllt“
Basis: Ostdeutschland, 40-Jährige und Ältere, die ihren Wohnsitz im Herbst 1989 in Ostdeutschland hatten
die Kandidaten im Haus der Armee in Prora aufeinander. Die CDU in Stralsund kommt mit einem Kandidaten aus Kaiserslautern. Die CDU Rügen kommt mit dem aus Oldenburg. Molkentin und die Grimme-
ner schicken Merkel ins Rennen. Rügen hat Heimvorteil. Doch da haben die Parteifreunde Molkentin unterschätzt. Der hat zwei Busse besorgt. „Aktive Demokratie“, nennt er das. Im ersten Wahlgang liegt der Heimkandidat der Insel noch vorn. Ihm fehlen nur sieben Stimmen zur absoluten Mehrheit. Als es spät in der Nacht zur zweiten, entscheidenden Wahl kommt, liegt Merkel mit 13 Stimmen vorn. 13 Stimmen. Ein Uhr dreißig. Die Rüganer verlassen umgehend den Saal. Die 36-Jährige ist CDU-Kandidatin auf der Insel Rügen, in Stralsund und im Kreis Grimmen für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Ein kleiner Schritt. Merkel gewinnt die Wahl. Jeder weiß, dass Molkentin manchmal bei der Kanzlerin anruft. „Aber nur, wenn es wichtig ist.“ Merkel holt bei ihm Jahr für Jahr ihre Weihnachtsgans. Als sie kürzlich ihren 60. Geburtstag im Familienkreis feierte, geschah das in Trinwillershagen in Vorpommern. Dort, wo Molkentin schon ein Schwein für George W. Bush grillen ließ, als Merkel ihn fragte, was man dem Texaner anbieten könne.
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Wunder aus Stahl kommen seit 160 Jahren aus Zwickau K
reativer Stahlbau aus Zwickau hat eine 160-jährige Tradition und in ganz Europa seine Spuren hinterlassen. Die bekannteste Referenz des traditionellen Zwickauer Stahlbaus steht in Dresden – das Blaue Wunder. Die Elbe von Loschwitz nach Blasewitz überspannend, zieht es seit 1893 die Menschen durch zeitlose Schönheit in seinen Bann. Das historische Bauwerk ist Zeugnis deutscher Ingenieurskunst und heute Wahrzeichen der Stadt Dresden. In 2 Jahren für 2,25 Millionen Goldmark gebaut, steht die Brücke mit 280 Metern Länge für Kreativität aus Stahl. Ein Anspruch, dem sich die ZSB aus Zwickau auch heute noch verpflichtet fühlt.
Foto: Gk/Shotshop.com
Der Zwickauer Unternehmer Thomas Baumann, Geschäftsführer der ZSB, im Interview über kreativen Stahlbau und die Fortschreibung sächsischer Ingenieurskunst über Generationen
„Blaues Wunder“ in Dresden – Zeugnis deutscher Ingenieurskunst in der Tradition des Zwickauer Stahlbaus
Welche Werte leben Sie als Unternehmer Ihren Mitarbeitern und Kunden vor? Ich sehe unsere ZSB in der Tradition der deutschen Stahlunternehmer wie ehemals Krupp: erfolgreich und verantwortungsbewusst Unternehmen in schwierigem Marktumfeld zu führen! Unternehmer wie Krupp haben mit hoher Verantwortung für Mitarbeiter und Region gehandelt, sie haben ihre Unternehmen durch alle Schwierigkeiten hindurch mit hohem Verantwortungsbewusstsein für Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Erfolg, aber ebenso sozial engagiert geführt. Nur so entstehen motivierte und leistungsstarke Belegschaften. Daher finden wir immer wieder solche Mitarbeiter, die sich selbst in diesen Werten erkennen und sich bei uns verwirklichen können, weil sie die Freiräume spüren.
In welchen Märkten sind Sie zurzeit unterwegs? Wir bauen aktuell Projekte im Straßen- und Eisenbahnbau in Deutschland und der EU und haben kürzlich ein Tunnel-Projekt in Australien realisiert. Worin besteht für Sie persönlich der Reiz, Unternehmer zu sein? Ich kann die Welt in Stahl gestalten.
Wenn Sie mit Ihren Kunden nach dem Geschäftlichen beim Bier zusammensitzen, was erzählen Sie denen über Ihren persönlichen Weg, über die friedliche Herr Baumann, wie genau kamen Sie Revolution und die Besonderheiten der wirtschaftlichen auf die Idee, Unternehmer zu werden? Entwicklung in Ostdeutschland? Entwicklu Ich war bereits Produktionschef im VorgänWas macht die ZSB als Stahlbauer heute besonders? Wer geschichtlich bewandert ist, kann die historische „Ich kann die Welt gerunternehmen. Als das Unternehmen 2004 Wir sind stark in Sonderlösungen, die wir im Sinne des Leistung der Ostdeutschen bestens einordnen, erst recht in Stahl gestalten.“ in eine Schieflage kam, entschloss ich mich, Kunden entwickeln und wir bauen transportable Sondergröunter dem heutigen Zeitgeschehen. Ich bekomme dafür Aufdie traditionsreiche Unternehmensgeschichte ßen, die sich effizient vor Ort zum Gesamtbauwerk kompletmerksamkeit und Respekt. unter neuem Namen und auf eigenes Risiko tieren lassen. Hier ist unsere enorme technologische Erfahrung von Vorteil und weiterzuführen. Ich übernahm den Betrieb unsere besonders hohe Organisations- und Fertigungseffizienz. Was sind für Sie persönlich die größten Errungenschaften der friedlichen 2004 im Management-Buy-Out. Meine Revolution von 1989? Motivation zum Unternehmertum entstand Worin besteht Ihr persönliches Erfolgsrezept? Ich schätze als Mensch und Unternehmer die Freiheit, all das tun zu können, was durch mein Herzblut zu dem Unternehmen Langfristiges, nachhaltiges Denken und Handeln bei der Unternehmensentich möchte. und dem Standort in der Region plus dem wicklung in Verbindung mit kreativen, sächsischem Ingenieurswissen. Wissen, dass das Unternehmen aufgrund Was erzählen Sie Azubis, die bei der ZSB ihre Ausbildung beginnen? seiner Produktion und dem Ingenieurs-Know-How wettbewerbsfähig und zuAuf welche Traditionen können Sie zurückgreifen? Die ZSB ist das richtige Unternehmen für junge Menschen, die etwas gestalten wollen kunftsfähig ist. Dieses Unternehmen musste einfach weiter bestehen. Die ZSB steht in der 160-jährigen Tradition von Stahlerzeugung und Brückenund Herausforderungen annehmen. Unser Kapital ist der Mensch und das spüren die bau in Zwickau. Das bekannteste Projekt ist das Blaue Wunder in Dresden, was Azubis, schon wenn sie kommen. Und so macht Arbeit großen Spaß, ein Leben lang. Auf welche Leistungen der ZSB sind Sie heute besonders stolz? damals wie heute eine technologische Meisterleistung darstellt und die Menschen Wir sind stolz auf den durchgehend positiven Geschäftsverimmer wieder durch ihr wunderbares Design bezaubert. Wer Herr Baumann, wir bedanken uns für das Gespräch. lauf, der sich besonders durch den enormen MitarbeiteraufStahlbau mag, liebt das Blaue Wunder in Dresden. Man kann „Dieses Unternehmen musste bau von über 100 Neueinstellungen in den letzten Jahren sagen, damit ist ein Wahrzeichen geschaffen, so etwas kann einfach weiter bestehen.“ ausdrückt. Auch über unsere ausgezeichnete Bekanntheit am kreativer Stahlbau leisten. In dieser Tradition stehen wir. Markt und exzellente Marktperformance. Wir verwirklichen für die Projekte unserer Kunden optimale Ideen und sind nicht nur ingenieurtechWas ist das typisch Ostdeutsche an der Unternehmensgeschichte der nisch stark, sondern auch im Projektsinne kreativ. So entstehen für den Kunden ZSB und Ihrer eigenen Unternehmergeschichte? Zwickauer Sonderstahlbau GmbH neue Nutzen und Lösungen, die meist Referenzcharakter bekommen. Wir haben Die Wende war ein großer Vorteil für alle unternehmerisch ambitionierten Menschen, so Äußere Dresdner Str. 12 | 08066 Zwickau seit 2005 die stolze Summe von 15 Mio. Euro investiert. Wir freuen uns darüber, auch für mich. Für den Zwickauer Stahlbau öffnete sich 1990 ein gewaltiger RessourcenTel.: 0375/6796-0 | Fax: 0375/6796-202 dass es uns in nur 10 Jahren gelungen ist, eine internationale Reputation für anund Absatzmarkt, den wir heute optimal nutzen können in Verbindung mit regionaler E-Mail: info@zsb-sonderstahlbau.de spruchsvolle ingenieurtechnische Lösungen in Stahl zu erwerben. Spitzenforschung wie Fraunhofer Gesellschaft und den regionalen Hochschulen. www.zsb-sonderstahlbau.de
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Leben im Osten
In Zahna-Elster lautet das Motto wieder: „Wir bleiben hier“ Bürgermeister Peter Müller organisiert Praktika, Arbeitsplätze und Bauland, um junge Menschen im Ort zu halten. setzen, müssen wir uns schon richtig bemühen.“ alle. Peter Müller ist OptiDiese Situation kann Müller nur mist. Der Bürgermeister der dadurch beeinflussen, dass er verEinheitsgemeinde Stadt sucht, den Ort für Jugendliche atZahna-Elster im Landkreis Witten- traktiv zu machen. In Elster gibt es berg will nicht glauben, dass die Pro- 16 Vereine, in die die Jugendlichen gnosen des Statistischen Landesam- stark integriert sind, berichtet er. tes eintreffen. Diese sagen voraus, Der besondere Stolz ist der Judass 2025 in seiner Stadt fast einVier- gendklub, den die jungen Leute tel weniger Einwohner leben als nach ihren eigenen Vorstellungen heute. Besonders der Anteil junger gestaltet haben. 2006 wurde er beMenschen geht demnach zurück. zogen. Seifert gehört zu denen, die Worauf gründet sich der Opti- mitgeholfen haben. Niemand habe mismus von Peter Müller? Räumt er ihnen reingeredet, erzählt sie. Und doch selbst ein, dass mehr als die bis auf das Fliesenlegen sei alles Hälfte „seiner“ jungen Leute ein Ab- selbst gemacht worden. itur anstreben und sich danach in Die Selbstverwaltung des Klubs allen Himmelsrichtungen nach Stu- durch die älteren Jugendlichen dienplätzen umsehen, funktioniert noch immer dass es in der Umgebung gut. Aber auch Jüngere von Zahna-Elster nicht gekönnen hier nach dem nügend qualifizierte ArSchulunterricht ihre Zeit beitsplätze gibt, die die sinnvoll gestalten. Einer jungen Leute nach dem Gemeindejugendpflegerin Studium besetzen könnobliegt dabei die pädagogiten. sche Betreuung – übrigens Nun, er gründet sich für alle sieben Jugendklubs auf Menschen wie Melabeziehungsweise Jugendnie Seifert. „Schon als treffs in Zahna-Elster. Sie ANDREAS STEDTLER Kind hat für mich festgeleitet die Klubbetreuer an, Bürgermeister standen: Hier möchte ich die täglich vor Ort sind. Peter Müller nicht weg“, sagt die heute Als der neue Jugendklub 26-Jährige. Sie ist jung verentstand, hatte Marc Rotte heiratet und arbeitet in der neuen die Stadt Elster längst verlassen. Kindertagesstätte im Ortsteil Elster. Nach dem Abitur, seinem GrundDass sie diese Stelle erhalten hat, wehrdienst und einer Zimmerdaran ist Müller nicht ganz unschul- mannslehre begann er 1998 in Potsdig. Er hat sich dafür eingesetzt, dam ein Studium, das er 2003 als dass die junge Frau schon während Bauingenieur abschloss. Arbeit fand ihrer Ausbildung in Dessau die not- er danach in einer Berliner Firma. wendigen Praktika vor Ort absolvie- Doch dort war 2006 Schluss. Der ren konnte. Chef ging in den Ruhestand. Genau „Wir bemühen uns, dass die zu dem Zeitpunkt, als Marc Rotte Jugendlichen, die nicht zum heiratete. Was also tun? Studium gehen, hier im Ort AusbilDer junge Mann kehrte nach Elsdungsplätze bekommen“, sagt der ter zurück. Nun, der Ehrlichkeit halBürgermeister, der zur Vereinigung ber muss gesagt werden, dass der der Freien Wähler gehört. Die Zu- Vater des heute 38-Jährigen in Elster sammenarbeit zwischen Schulen Inhaber einer Baufirma ist und seit und Betrieben sei gut. Langem geplant war, dass der Sohn Das bestätigt auch Carola Platz, dort eines Tages einsteigt. „Doch kaufmännische Leiterin und Perso- das war erst für einen späteren Zeitnalchefin des Empl-Fahrzeugwer- punkt geplant“, sagt Rotte. Und kes in Elster, das unter anderem ganz zurück kam er zunächst auch Feuerwehrfahrzeuge ausrüstet. „Es nicht. ist in unserem eigenen Interesse, Vielmehr pendelte er drei Jahre dass junge Leute in der Region blei- zwischen Potsdam und Elster. Denn ben“, sagt sie. Viele Mitarbeiter, da war noch die Ehefrau, die in Potsauch in Führungspositionen, stün- dam als Juristin arbeitete. Er wusste den kurz vor dem 60. Geburtstag. zunächst nicht, wo er hinwollte. Die Neun Lehrlinge hat das Werk der- berufliche Perspektive habe letztzeit. „Und alle haben bei entspre- lich den Ausschlag gegeben – auch chender Leistung die Chance zu für seine Frau, die heute in einer Anbleiben“, sagt Platz. waltskanzlei in Wittenberg arbeitet. Doch es sei zu merken, dass das 2009 wurde umgezogen. Die FamiAngebot an Lehrlingen kleiner lie, zu der inzwischen auch die Kinwerde, sagt Platz. Noch vor nicht der Rosalie und Ludwig gehören, allzu langer Zeit habe sie jährlich hat ein Haus in Elster. „Das hat es 30 bis 40 Bewerbungen auf dem endgültig gemacht – wir bleiben Tisch gehabt. Heute seien es maxi- hier“, unterstreicht Rotte. mal zehn. Außerdem werde die Ist er ein Einzelfall? „Nein. Bei Qualifikation der Bewerber schlech- mir klopfen viele junge Familien an, ter. „Um alle Lehrstellen gut zu be- die eine Wohnung oder Bauland suchen“, sagt der Bürgermeister. In den 90er-Jahren sei am Rand von Elster ein neues Wohngebiet entAllgemeine wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland standen, das fast vollständig bebaut sei. Danach sei auf einem ehemali18% 18% gen Betriebsgelände ein innerörtlisehr gut, gut ches Wohngebiet erschlossen worden, in dem fast ausschließlich 61% 56% junge Familien wohnten. „Um ihnen eine Perspektive vor Ort zu geben, haben wir auch die Preise entsprechend gestaltet“, betont Müller: 18 Euro pro Quadratmeter voll erschlossen – das sei bezahlbar. teils gut, teils schlecht Der 54-Jährige engagiert sich für die Jugend – nicht erst, seit er Bür15% 16% germeister ist. Er war 21 Jahre lang eher schlecht Jugendübungsleiter im Fußballver3% 1% schlecht ein. „Ich habe gern mit Kindern und Ost West Jugendlichen gearbeitet“, sagt er. Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre Und das habe sich fortgesetzt. Im Allgemeine wirtschaftliche Lage – Ortsteil Elster (Elbe), wo er vor der Beurteilung nach Regionen Bildung der neuen Stadt bereits acht Jahre ehrenamtlicher Bürgermeissehr gut, gut eher schlecht, schlecht ter war, hat er viel erreicht. Nicht in 39% 10% Ost-Berlin allen Ortsteilen der noch jungen Stadt Zahna-Elster, sehe es so gut 22% 37% Thüringen aus, räumt er ein. „Aber es ist jetzt Sachsen 33% 16% meine Aufgabe, da für annähernd Mecklenburg40% 26% gleiche Verhältnisse zu sorgen.“ Vorpommern Müller sieht sich auf einem guten Brandenburg 36% 24% Weg. Erst vor zwei Monaten wurde 40% Sachsen-Anhalt 9% im Ortsteil Zahna ein moderner KinBasis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre dergarten eingeweiht. „Der schafft V ON B ÄRBEL B ÖTTCHER
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gerade für junge Familien bessere Lebensbedingungen“, unterstreicht er. Auch dass nun ein anderer langgehegter Wunsch der Zahnaer in Erfüllung geht, macht ihn froh: Die Landesstraßen, die durch den Ort führen und in einem erbärmlichen Zustand sind, werden komplett saniert. „Vielleicht finden sich dann auch wieder Interessenten für die leer stehenden Häuser rechts und links dieser Straßen“, sagt er. Da ist wieder sein Optimismus herauszuhören. Den hat er übrigens auch nicht verloren, als der Ort 2013 schwer vom Hochwasser getroffen wurde. Es sei noch viel Arbeit nötig, um alle Schäden zu beseitigen. „Aber wir lassen uns nicht entmutigen“, betont er. Im Moment entstehen moderne Hochwasserschutzanlagen, die bis 2016 fertiggestellt werden sollen. Müller weiß, dass er die Abwanderung junger Leute nicht gänzlich stoppen kann. Für ihn steht aber auch fest: „Die jungen Leute sind unsere Zukunft. Wenn wir nichts für sie tun, wenn wir sie links liegen lassen und ihnen keine Perspektive bieten, dann gehen sie noch eher weg.“ Prognosen hin oder her – er glaubt fest daran, dass viele Jugendliche bleiben oder zurückkommen. Er ist Optimist.
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Ihr Spezialist für kälte- und klimatechnische Anlagen Der Dresdner Kühlanlagenbau (DKA) ist der größte herstellerunabhängige Kälteanlagenbauer Deutschlands mit 61-jähriger Tradition. Als Top Anlagenbauer und zuverlässiger Servicepartner sind wir rund um die Uhr mit insgesamt 400 Kälteanlagenbauern deutschlandweit für Sie im Einsatz. Seit 2013 sind wir als 100%iges Tochterunternehmen des Multidienstleisters Dussmann weiterhin auf Wachstumskurs und suchen deshalb stets ambitionierte Mitarbeiter, sowohl für unsere bestehenden, als auch für unsere neuen Standorte. Seit der Wende hat der DKA bereits 416 Jugendliche zum Mechatroniker für Kältetechnik (w/m) ausgebildet und will auch im Jahr 2015 wieder 33 Lehrlinge deutschlandweit in diesem Berufsbild ausbilden.
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Leben im Osten
AIMÉ TÄNZEL, 38, Metallarbeiter aus Eisenhüttenstadt. Ich erinnere mich vor allem an meine Schulzeit in der DDR, im Jahr 1983 bin ich eingeschult worden. Wir haben viel Schabernack gemacht, uns aber nie etwas Böses dabei gedacht, wenn wir zum Beispiel die Büsten mit Toilettenpapier eingewickelt haben. Die Schule war für mich wichtig, es herrschten Disziplin und Ordnung. Logischerweise haben wir uns weitestgehend daran gehalten. Der Alltag in der DDR war gegenüber der Politik grau gestaltet. Die Kaufhallen waren leer, die Häuser farblos. Meine Güte, wir durften kein Westfernsehen schauen oder zumindest nicht darüber reden. Ich bin froh, dass es die DDR heute nicht mehr gibt. Man hat viel mehr Möglichkeiten in der heutigen Zeit. Früher war alles langsam und mühselig, heute ist es schnelllebiger. Ich erinnere mich noch genau an den Tag des Mauerfalls. Ich dachte, das kann gar nicht sein, jetzt steht der Feind vor uns. Genauso haben wir es ja in der Schule eingetrichtert bekommen.
In Ostdeutschland wurden nach der Wende rund 13 000 Betriebe privatisiert oder geschlossen. In Thüringen waren es knapp 600 Unternehmen. In der vierjährigen Tätigkeit der Treuhand gab es viel Schatten, aber auch Momente der Hoffnung. V ON H ANNO M ÜLLER
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rfurt. 1993 machte eine Meldung Schlagzeilen: „Thüringer Tüftler haben ein Fieberthermometer ohne Quecksilber erfunden.“ Eine Weltneuheit. Und eine Chance für das von der Treuhand verwaltete Geraberger Thermometerwerk, das Anfang der 90er-Jahre noch immer vergeblich einen Käufer suchte. Der Sans-Mercure-Fiebermesser wurde eine der seltenen Erfolgsgeschichten bei der Privatisierung ehemaliger DDR-Betriebe in Thüringen. Es brachte den ostdeutschen Erfinder Heribert Schmitt und den westdeutschen Unternehmer und Investor Gerd Frank zusammen. Frank stieg in Geraberg ein. „Ich muss verrückt gewesen sein“, wird er in der Rückschau sagen. Schmitt und seine Leute seien
bodenständig, zuversichtlich und ein bisschen verrückt gewesen wie er selbst, das habe ihm imponiert. Diese Sympathie trug weit. Gemeinsam schrieben sie die lange Tradition des Thermometerbaus in Südthüringen fort. Als Geratherm Medical AG konnte sich das Thermometerwerk Anfang des Jahrtausends am Aktienmarkt etablieren. Quecksilberfreie Thermometer sind mit 40 Prozent der Gesamtproduktion bis heute ein Zugpferd. Auf die Treuhand ist man im Südthüringischen dennoch bis heute nicht gut zu sprechen. Viele Bedingungen hätten marktwirtschaftlicher Logik widersprochen, erinnert sich Unternehmer Frank. Er weigerte sich damals erfolgreich, die maroden Werksimmobilien in Geraberg mit zu übernehmen und baute stattdessen im drei Kilometer entfernten Geschwenda neu.
T REUHA ND/ S AS C HA FROM M
Eine Demonstration der ÖTV gegen die Treuhand in Erfurt im September 1991
Vermutlich aber war man bei der Privatisierungsbehörde froh über die Perspektiven für einen Teil der ehemaligen Thermometerwerker. Die Aufgabe der noch von der Modrow-Regierung auf den Weg
ZEIT FÜR EINE NEUE WENDE – WIR HABEN DIE ENERGIE DAZU.
enviaM und MITGAS gestalten gemeinsam die EnergieZukunft für Ostdeutschland.
gebrachten Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums, kurz Treuhand, war gewaltig. 8 000 DDR-Betriebe sollten wettbewerbs- und zukunftsfähig gemacht werden. Durch Entflechtung und Aufspaltung erhöhte sich die Zahl der Firmen auf über 13 000. Als größte Holding der Welt hatte sie Verantwortung für mehr als vier Millionen Beschäftigte. Erfahrungen damit, wie man die Volkswirtschaft eines ganzen Landes privatisiert, hatte niemand. Ohnehin blieb der Treuhand wenig Zeit. Der später ermordete Treuhandchef Detlev Rohwedder sprach im Herbst 1990 von einer „Aufgabe von furchterregender Dimension“. Allein in der Thüringer Außenstelle verwalteten zu diesem Zeitpunkt 34 Mitarbeiter knapp 600 Unternehmen, darunter 288 Industriebetriebe, 87 Baufirmen, 22 Verkehrsbetriebe, 44 Handelseinrichtungen sowie 75 Landwirtschaftsbetriebe. Was dem einen sein Freud, wurde des anderen Leid. Bei Carl Zeiss und Schott in Jena sorgen Landesregierungen und – mit Ex-Ministerpräsident und „Cleverle“ Lothar Späth – zudem ein großer Name dafür, dass Millionen in die Rettung der optischen und der Glasindustrie flossen. Im Glaswerkverbund Ilmenau blieben indes trotz erbitterten Widerstands der Glaswerker nur wenige kleinere Standorte erhalten. Nicht selten waren von der Treuhand präsentierte Investoren entweder mit ihrer Aufgabe überfordert, oder sie erwiesen sich als Betrüger. Die Thüringische Faser AG wurde von Indern ausgeplündert und um neun Millionen Mark geprellt. Bei der Kofferfabrik in Kindelbrück gelang es windigen US-amerikanischen Investoren sogar, neben der Treuhand auch die mit Millionenbeträgen bürgende Thüringer Landesregierung zu linken. Das Engagement von York Luggage galt als erste amerikanische Direktinvestition in den neuen Ländern. Bis Ende 1994 wollte York angeblich für 1,6 Millionen Mark Gebäude und Ausrüstung modernisieren. Weitere Millionen sollten folgen. Die Treuhand glaubte es und verkaufte an York. Von da an ging es bergab. „Ich musste mit ansehen, wie die Produktion immer mehr in Billiglohnländer verlagert wurde“, erinnert sich der damalige Geschäftsführer Rolf Grabarits. Nach nur zwei Jahren war die in York Reisegepäck umbenannte Kofferfabrik endgültig pleite und musste schließen. Die Strohmänner der Amerikaner ließen sie fallen wie eine heiße Kartoffel – und mit ihr die letzten Arbeitsplätze. Es war nicht der einzige Reinfall. Bei Auflösung der Treuhand 1994 räumte die letzte Behördenchefin Birgit Breuel einen durch Wirtschaftskriminalität entstandenen Gesamtschaden von 300 Millionen Mark ein. Nach vier Jahren war die
Bilanz der Treuhand in Thüringen durchwachsen. Der erhoffte Aufbruch in die Marktwirtschaft endete im Freistaat in der Abwicklung von mindestens zwei Dritteln aller Arbeitsplätze. Die Liste der Proteste gegen Entscheidungen der Treuhand war lang. Betriebe wie der BügelgeräteHersteller Presatex Apolda, das Fahrzeugwerk Gotha und viele andere standen darauf. Arbeiter besetzten ihre Betriebe, sperrten Autobahnen oder traten in den Hungerstreik. Oftmals vergeblich. Große Marken wie Lingel für die Erfurter Schuhproduktion oder Greika für die Textilindustrie in Greiz verschwanden für immer vom Markt. Andere starteten neu durch. Strickchic Apolda oder Greußener Salami gibt es heute noch. Beharrlichkeit und Kompetenz der Thüringer trugen letztlich dazu bei, dass ein Großinvestor wie Opel nach Eisenach kam und dort die Automobilbau-Geschichte der Region fortschreibt. Die Geschichte der Treuhand ist nicht schwarz-weiß. Mal war sie Totengräber, mal Geburtshelfer. „Die Treuhandanstalt hat keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern die verdeckte Arbeitslosigkeit der verfehlten DDR-Wirtschaft sichtbar gemacht und versucht, gesunde Strukturen zu schaffen“, sagt der einstige Erfurter Außenstellenleiter Volker Großmann im Nachhinein. Viele Entscheidungen der Behörde bleiben allerdings bis heute ein Rätsel. Genaueres wird man erst wissen, wenn endlich alle bislang gesperrten Treuhand-Akten frei zugänglich sein werden. Übrigens: Dem Geraberger Thermometererfinder Heribert Schmitt brachte Sans-Mercure höchste Ehrungen ein. Bei der Erfindermesse Eureka in Brüssel gab es 1993 eine Goldmedaille. Außerdem wurden die Erfinder von der belgischspanischen Erfinderkammer zu Chevaliers – Rittern – ernannt.
Sorgen in Ost- und Westdeutschland
Ost West 62% 52%
Hohe Kriminalität Angst vor Pflegebedürftigkeit
61% 61%
Schere zwischen Arm und Reich
59% 55%
Unsichere Renten
56% 59%
Drohender Ärztemangel Wegzug junger Menschen Immer weniger Arbeitsplätze
39% 19% 39% 9% 38%
Strukturelle Probleme
Was ich war, was ich bin
Aufspalten, abwickeln investieren
20%
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin
UWE MA NN
Glänzende Aussichten: Zwei Arbeiter bei der Endkontrolle eines Golfs, der im VW-Werk in Zwickau fertiggestellt wurde. Die Fabrik beschäftigt rund 7 200 Mitarbeiter.
Vom Trabant zu den großen Marken der Motorwelt Sachsen gehört zu den führenden Fertigungsstandorten der Automobilindustrie in Europa. Der ehemalige VW-Chef Carl H. Hahn trug dazu wesentlich bei. V ON C HRISTOPH U LRICH
C
hemnitz. Zwei Tage nach der letzten Montage des Trabants bei Sachsenring in Zwickau lud der damalige Vorstandschef der Volkswagen AG, Carl H. Hahn (heute 88 Jahre alt), zum Richtfest für eine neue Produktionshalle in Mosel bei Zwickau ein. „Das ist eine Demonstration für einen attraktiven Standort“, sagte Hahn, der zusammen mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) und dem ebenfalls bereits verstorbenen sächsischenWirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) symbolisch das letzte Hallenelement verschraubte, bevor der Richtkranz aufgezogen wurde. Der Ex-VW-Chef sollte recht behalten. Heute gehört Sachsen mit den Autoherstellern Volkswagen, Porsche und BMW zu den wichtigen Standorten der europäischen Automobilindustrie. Mit einem Anteil am gesamten Industrieumsatz von mehr als 25 Prozent ist die Automobilindustrie die umsatzstärkste Branche im Freistaat Sachsen. Mit dem Bau von Kraftfahrzeugen sind rund 70 000 Menschen beschäftigt. Rund 750 Zulieferer, Dienstleister und Ausrüster prägen zudem das Autoland Sachsen, zu dem VW-Chef Hahn mit den Investitionen in Zwickau und Chemnitz bereits kurz nach dem Mauerfall die Initialzündung gab. Begonnen hatten die Kontakte von Volkswagen nach Sachsen schon Anfang der 80er-Jahre. Damals verhandelten hochrangige Vertreter des IFA-Kombinats mit VW-Managern geheim in Berlin. Ziel war eine gemeinsame Motorenfertigung in der DDR. Am 31. August 1988 begann schließlich die Serienfertigung von VW-Viertaktmotoren im Barkas-Motorenwerk Karl-MarxStadt. Die neuen Motoren sollten aus Wartburg und Trabant neue Autos machen. Doch dieser Plan kam zu spät. Mit dem Engagement im damaligen Karl-Marx-Stadt nach der Wende kehrte Hahn zu seinen Wurzeln zurück, die eng mit der deutschen Automobiltradition verbunden sind. Der gebürtige Chemnit-
Demokratie – beste Staatsform?
40%
... und damit weniger als jeder zweite Ostdeutsche hält die Demokratie für die beste Staatsform.
74%
... und damit 3 von 4 Westdeutschen halten die Demokratie für die beste Staatsform. Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Gibt es ein besseres Wirtschaftssystem als die Marktwirtschaft? Gibt besseres Witschaftssystem.
13% 8%
Ost West 33%
Gibt es nicht. unentschieden, keine Angabe
50%
42%
54%
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Glauben Sie, dass Marktwirtschaft Egoismus fördert? 71%
Glaube ich. Glaube es nicht. keine Angabe
52% 11% 19% 18% 29%
Ost West
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
zer gehört zu den Menschen mit Benzin im Blut. Schon seit Vater, Carl Hahn, einst Verkaufsleiter der Zschopauer Motorradwerke und später Mitbegründer der Auto-Union aus dem Zusammenschluss von Audi, Wanderer, Horch und DKW, hatte Automobilgeschichte geschrieben. Das Fundament für seine Karriere legte Carl H. Hahn mit einem Wirtschaftsstudium samt Promotion in Bern. Nach einem Volontariat bei Fiat und einem Jahr bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris landete Hahn 1954 in Wolfsburg und wurde Assistent des VW-Vorstandschefs Heinrich Nordhoff. Fünf Jahre später übernahm er das Amerika-Geschäft des Automobilkonzerns. Aufgrund des großen Exporterfolgs in den USA wurde Hahn 1964 in den VW-Vorstand berufen, wo er von 1965 bis
1972 für den Vertrieb verantwortlich war, jedoch nach Differenzen im Vorstand ausschied. Von 1973 bis 1981 sanierte er die ContinentalGummi-Werke AG in Hannover. Der Reifenhersteller steckte damals in existenziellen Schwierigkeiten. 1982 kehrte Hahn zu VW zurück und wurde Vorstandschef der Volkswagen AG. Unter Hahns Regie wurde Volkswagen ein europäischer Großkonzern. Er kaufte den maroden spanischen Hersteller Seat und den tschechischen Autobauer Skoda. Er baute das Geschäft in China auf und gründete die Volkswagenbank. Auch die Automobilproduktion in seiner Heimatregion Chemnitz behielt der Wahl-Wolfsburger immer im Blick. Wenige Monate nach dem Mauerfall, am 26. September 1990, legte er zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) den Grundstein für das Volkswagenwerk in Zwickau-Mosel und gab damit den Startschuss für den Aufbau Sachsens als leistungsfähigen Automobilstandort. Heute beschäftigt Volkswagen Sachsen rund 9 300 Mitarbeiter an drei Standorten. 7 150 Mitarbeiter bauen in Zwickau den VW Golf, Golf Variant und die Passat-Limousine. Insgesamt liefen im vergangenen Jahr 221 000 Fahrzeuge in Zwickau vom Band. Das Motorenwerk in Chemnitz beschäftigt 1 150 Mitarbeiter. 2013 wurden rund 700 000 Motoren gefertigt. In der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden arbeiten weitere 500 Mitarbeiter. Hinzu kommen noch 100 Mitarbeiter beim VolkswagenBildungsinstitut. Die Erfolge von Volkswagen und das große Potenzial gut ausgebildeter Fachkräfte lenkten auch den Blick anderer Automobilhersteller nach Sachsen. Seit dem Jahr 2000 produziert der Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche in Leipzig. Nach mittlerweile drei Werkserweiterungen hat sich die Produktionsstätte zu einer vollwertigen Automobilfabrik mit Karosseriebau und Lackiererei entwickelt. In der Messestadt werden der Geländewagen Cayenne, die familientaugliche Sportlimousine Panamera und neu-
erdings auch der kompakte Geländewagen Macan gebaut. Porsche beschäftigt an seinem sächsischen Standort mehr als 2 500 Mitarbeiter. Über zwei Milliarden Euro hat der bayerische Autohersteller BMW im vergangenen Jahrzehnt in Sachsen investiert. 2005 eröffnete BMW sein Werk in Leipzig, in dem heute täglich bis zu 740 Fahrzeuge vom Band laufen. Produziert wird in Leipzig der BMW X1, der BMW 1er als Fünftürer, das BMW-2er-Coupe und seit Neuestem der 2er-Active-Tourer, das erste Fahrzeug aus der BMW-Produktion mit klassischem Frontan-
trieb. Besonderes Aushängeschild des bayerischen Herstellers ist aber die Produktion der Elektroautos von BMW in Leipzig. Seit September 2013 werden der BMW i3 und seit Mai dieses Jahres der BMW i8 in der Messestadt montiert. Die Karosserien der Elektroautos werden in einem neuen, innovativen Leichtbauverfahren aus Carbonfasern hergestellt. Allein für den neuen Elektrobereich investierte BMW rund 400 Millionen Euro in den Werksausbau und schuf 800 Arbeitsplätze. Insgesamt beschäftigen die Bayern in Leipzig rund 4 000 Mitarbeiter.
ROLAND GEIPEL, 75, Pfarrer im Ruhestand, Gera. Als Junge hatte ich nur einen Traum: Autos bauen. Als ich in Werdau an dem uralten Montageband stand, dachte ich: So wird das nichts. Also ging ich in den Westen zu VW, wurde dort 1. Monteur und jüngster Kundenberater. Die Karriere schien vorgezeichnet. Ein Skiunfall brachte mich ins Krankenhaus. Dort fasste ich einen neuen Plan: Pfarrer werden. Auch, weil ich gehört hatte, die dürften in die DDR. Dort hatte ich 1963 meine Liebe gefunden: Susanne, die Tochter meines Patenonkels. Sie durfte nicht in den Westen, ich aber umgekehrt in den Osten. 1969 war es soweit. Sechs Wochen im Aufnahmelager, dann das Theologie-Studium in Jena. Die ganze Zeit versuchte mich die Stasi anzuwerben. Erst als ich erklärte, das könne ich ja meiner Frau nicht verschweigen, ließ man ab. Beobachten würden sie mich bis zum Ende der DDR. Das erlebte ich als Pfarrer in Gera-Lusan, wo ich meine Gemeinde hatte, einen Friedens- und Umweltkreis. Ich begleitete Ausreisewillige, denn für mich riss jeder Antrag einen Stein aus der Mauer. Bei den Demos im Herbst 1989 liefen Christen voran, auch ich. Das Bürgerkomitee, dem ich vorsaß, verhinderte die Erstürmung der hiesigen Stasi-Zentrale. Ich weiß, dass viele Menschen in Gera geweint haben, als die Mauer fiel – weil etwas zu Ende ging, dem sie verbunden waren in Freude und Leid. Zuhören und Vermitteln, das bleiben meine Themen. Als Oberpfarrer nach der Wende, in Vereinen, Gedenkstätten. Pfarrer zu werden im Osten statt Autos zu verkaufen im Westen – ja, es hat sich gelohnt.
Wie köstlich.
Wie östlich.
Wikana.
ORIGINAL W I T TENBERGER SEIT 1906
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin SANDRA YVONNE STIEGER, 36, Diplom-Kauffrau und Projektmanagerin, Magdeburg. Beim Mauerfall war ich elf Jahre alt. Ich weiß nicht, welchen Weg ich eingeschlagen hätte, wenn die Wiedervereinigung ausgeblieben wäre. Vielleicht wäre ich wie meine Mutter im pädagogischen Bereich gelandet. Für mich brachte die Einheit mit dem Wechsel aufs Gymnasium 1991 direkt eine Veränderung mit sich. Nach dem Abitur habe ich erst eine Ausbildung bei der Volksbank gemacht, dann in Magdeburg Betriebswirtschaft studiert. Später war ich eine Zeit in London, habe für mehrere Medien gearbeitet und bin letztlich wieder an die Uni zurückgekehrt. Es macht mir Spaß, in vielen Bereichen zu arbeiten. In der DDR wäre das so sicher nicht möglich gewesen. Auch das System der Sozialen Marktwirtschaft, in dem ich nun agiere, hat zu dieser Zeit gar keine Rolle gespielt. Heute bin ich sehr froh und dankbar, dass mir viele Wege offenstehen.
König Fußball nur drittklassig Keiner der einstigen DDR-Traditionsvereine spielt in der 1. Bundesliga. Doch die Clubs arbeiten beharrlich am Ziel aufzusteigen. Leipzig hat in Red Bull einen potenten Sponsor gefunden, andere Vereine setzen auf regionale Firmen. V ON T HOMAS J USCHUS UND C HRISTOPHER K ISSMANN
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agdeburg. Ein Wiedersehen feiern in diesem Jahr einige DDR-Oberligaclubs in der 3. Liga. Neben den ZweitligaAbsteigern Dynamo Dresden und Energie Cottbus spielen dort mit Rot-Weiß Erfurt, Hansa Rostock, dem Halleschen FC und dem Chemnitzer FC vier weitere Traditionsmannschaften aus den neuen Bundesländern. Aus früheren Zeiten fehlen eigentlich nur noch der BFC Dynamo, der FC Carl Zeiss Jena und der 1. FC Magdeburg (FCM). Der FCM, 1974 einziger Europapokalsieger der DDR und derzeit Meisterschaftsanwärter in der viertklassigen Regionalliga Nordost, steht fast exemplarisch für den OstFußball. 1991 verpasste der Club den Sprung in die Profi-Ligen. Von
diesem Schock konnte sich der Verein bis heute nicht richtig erholen. „Es ist bedauerlich und schmerzlich, dass es keinem der ehemaligen 14 Oberliga-Klubs aus der DDR gelungen ist, sich dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren“, sagt Hans-Georg Moldenhauer, EhrenVizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Kenner des Ost-Fußballs. Von der 1. und 2. Bundesliga konnte der FCM nur träumen. Tradition und Anspruch waren stets größer als die Realität. Mehrfach drohte der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. 2002 musste der Verein in die Insolvenz, zehn Jahre später folgte der sportliche Offenbarungseid. Nur wegen der Regionalliga-Strukturreform blieb der Klub zumindest viertklassig. „Damals waren wir sportlich insolvent“, sagt Vorstandsmitglied
BERLINER Z EI TU NG/ G ERD ENG ELS MANN
Die Fans vom Zweitligisten 1. FC Union Berlin, einem der erfolgreicheren Vereine
Mario Kallnik. Der 39-Jährige hat die sportliche Verantwortung übernommen – ehrenamtlich. Kallnik verordnete dem FCM 2012 einen klaren Weg: Konsolidierung und Professionalisierung – sportlich und finanziell. Die Tradition ist in den Hintergrund gerückt. „Die hilft uns im Wettbewerb heute nicht weiter“, sagt er. Der Großteil der Altlasten ist inzwischen abgearbeitet.
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Energie Cottbus spielte 17 Jahre im Profi-Fußball, davon sechs Jahre in der 1. Bundesliga. Das Triumvirat Eduard Geyer (Trainer), Klaus Stabach (Manager) und Dieter Krein (Präsident) stand damals für Kontinuität und Erfolg. Nach dem Absturz in die 3. Liga folgt jetzt der Neuaufbau mit alten Tugenden, aber ohne Nostalgie. „Es hilft nicht, über eine schlechte Infrastruktur im Osten zu jammern. Man muss sich auf eigene Füße stellen und arbeiten“, sagt Wolfgang Neubert, Präsident von Energie Cottbus, „in der Professionalisierung sind wir sehr weit, in manchen Dingen sogar besser aufgestellt als Vereine im Westen.“ Die 3. Liga ist inzwischen angekommen und angenommen in Cottbus. „Trotzdem wollen wir irgendwann in die 2. Liga zurück“, betont Neubert. Mitentscheidend für den sportlichen Erfolg ist vor allem die wirtschaftliche Potenz, wie das Beispiel RB Leipzig eindrucksvoll zeigt. In Leipzig standen sich Lok und Chemie bei der Sponsorensuche lange gegenseitig im Weg. Dann kam Großsponsor Red Bull und ebnete den Weg in den Profifußball. Bei Union Berlin und Erzgebirge Aue, in Cottbus oder in Magdeburg setzen die Verantwortlichen dagegen weiter auf ihre regionale Verankerung. Bei Energie blieben nach dem Abstieg fast alle Partner an Bord. In Magdeburg wurde vor allem an den Ausgaben gearbeitet: Gehaltsgefüge in der Mannschaft runter, Trainingslager gestrichen, die Zahl der Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle halbiert.
Den Einstieg von Red Bull in Leipzig oder des belgischen Investors Roland Duchatelet beim FC Carl Zeiss Jena sehen Neubert und Kallnik kritisch.„Da fängt man sich auch Probleme ein. Wer so viel Geld ausgibt, will mitbestimmen. Als Verein sollte man immer eigene Entscheidungen treffen“, sagt Kallnik. Neben solidem wirtschaftlichen Handeln heißt die neue Lieblingsstrategie der Ostvereine Kontinuität. Vorbei zu sein scheint die Zeit der Hau-ruck-Aktionen, in denen der sportliche Erfolg erzwungen werden sollte. „Ich möchte nachhaltig arbeiten und setze aufVertrauen, Loyalität und Zusammenhalt“, sagt Neubert, der nach dem Cottbuser Abstieg im Sommer Präsident wurde. Mit seinem Weg ist Energie Cottbus in guter Gesellschaft. Bei RotWeiß Erfurt läuft die „Mission 2016“, die im Zweitliga-Aufstieg ihren Höhepunkt finden soll. Der Hallesche FC ist mit einem ähnlichen Konzept und dank geduldiger Weiterentwicklung im Jahr 2012 überhaupt erst in die 3. Liga aufgestiegen. Von Europapokalsiegen, Meisterschaften oder 2. Bundesliga träumt in der Magdeburger Vereinsspitze vorerst keiner mehr. Das Erreichen der zweiten Runde im DFBPokal gegen Bayer Leverkusen Ende Oktober ist deshalb ein seltener Festtag und wird neben einem ausverkauften Stadion die Fußball-Euphorie unter den vielen Fans in der Stadt befeuern. Das Ziel heißt aber klar bis spätestens 2017 3. Liga. Endstation soll es aber nicht sein. Manager Kallnik: „Die Vision geht noch weiter. “
Zufriedenheit mit eigener wirtschaftlicher Situation
Vom „Jammer-Ossi“ keine Spur. Die ostdeutsche Bevölkerung proklamiert, dass es ihr heute wirtschaftlich so gut wie noch nie seit der Wiedervereinigung geht. Mehr als jeder Zweite bezeichnet die eigene wirtschaftliche Lage als (sehr) gut. Damit schätzt die ostdeutsche Bevölkerung die persönliche wirtschaftliche Situation genauso positiv ein wie die westdeutsche Bevölkerung. Der Trendverlauf zeigt auch, dass die Einschätzung der persönlichen Situation eng im Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung steht: In den Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise sank die positive Bewertung der eigenen wirtschaftlichen Lage. Dann setzte die schnelle wirtschaftliche Erholung mit einer robusten konjunkturellen Entwicklung ein, die bis heute anhält. Noch deutlicher fällt die Wohlstandsentwicklung im Vergleich zu der Zeit vor der Wiedervereinigung aus. Fragt man die heute 40-Jährigen und Älteren, sind 41 Prozent von ihnen der Ansicht, dass es ihnen heute wirtschaftlich besser geht. Die positive Einschätzung wirkt sich auch auf die Beurteilung der beruflichen Perspektiven aus und zwar so, dass diese von der überwiegenden Mehrheit der Ostdeutschen ebenfalls als positiv bewertet werden: 10 Prozent der Ostdeutschen unter 55 Jahre schätzen ihre beruflichen Aussichten als sehr gut ein, 51 Prozent als gut. Auch die Sorgen um die Sicherheit des Arbeitsplatzes sind seit 2005 rückläufig, bis auf einen leichten Anstieg während der Wirtschafts- und Finanzkrise.
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West: 54%
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Abbildung zeigt Sonderausstattung.
25 Jahre Mauerfall. 25 Jahre Erfolgsgeschichte.
Ost: 52%
0 1990 ’91 ’92 ’96 2000 ’02 ’09 ’11 ’14 Aufwärtstrend seit 2009: Seit dem Jahr 2009 ist der Zufriedenheitsgrad in Ostdeutschland um mehr als 25% gewachsen. Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Einschätzung der beruflichen Perspektiven sehr gut
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Am 9. November 1989 wurde mit dem Fall der Berliner Mauer Geschichte geschrieben. Seitdem hat sich in Deutschland sehr viel getan. Und bei ŠKODA wurde damit der Grundstein für eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten im deutschen Automobilmarkt gelegt. In den letzten 25 Jahren konnte ŠKODA immer mehr Menschen für sich begeistern. Unsere Modelle überzeugen unter anderem mit großem Raumangebot, hoher Wirtschaftlichkeit und vielen cleveren Details. Feiern Sie mit ŠKODA dieses historische Jubiläum und sichern Sie sich eines von vielen attraktiven Angeboten, z.B. den Rapid Spaceback mit einem Jubiläumsvorteil von bis zu 3.089,– €. Weitere Informationen bei allen teilnehmenden ŠKODA Partnern, unter 0800/99 88 999 oder skoda25.de Kraftstoffverbrauch in l/100 km, innerorts: 7,4–4,5; außerorts: 4,8–3,4; kombiniert: 5,8–3,8. CO2-Emission kombiniert: 134–99 g/km (gemäß VO (EG) Nr. 715/2007). 1)
Jubiläumsvorteil gegenüber der unverbindlichen Preisempfehlung der ŠKODA AUTO Deutschland GmbH für vergleichbar ausgestattete Serienmodelle.
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Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung unter 55 Jahre
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Leben im Osten
Als die Mauer fiel, öffnete Scherzer eine Flasche Wodka Zwei bekannte Thüringer wählten verschiedene Wege: Wie Schauspieler Thomas Thieme und Schriftsteller Landolf Scherzer den Mauerfall verarbeiteten. V ON F RANK Q UILITZSCH
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eimar. Am 9. November 1989 kommt Thomas Thieme, der gerade sein Engagement am Wiener Burgtheater angetreten hat, erst nach Mitternacht von der Probe. Als der Schauspieler die TV-Nachrichten einschaltet, wähnt er sich im falschen Film: „Mein erster Gedanke war: Orson Welles. Der hatte mal ein Hörspiel über die Invasion von Marsbewohnern in einer amerikanischen Kleinstadt gemacht, nach dessen Ausstrahlung die Menschen panikartig geflohen sind. ‚Krieg der Welten‘ hieß das.“ Zur selben Stunde sitzt der Schriftsteller Landolf Scherzer einige Tausend Kilometer östlich im russischen Kamyschin an der Wolga in einer Bauarbeiterbaracke vor dem einzigen Fernsehgerät. Über den Bildschirm flimmern Streifen, und es gibt keinen Ton. „Als die Nachrichtensendung ‚Wremja‘ begann, traute ich meinen Augen nicht. War das die Berliner Mauer? Da saßen junge Leute drauf, tranken Sekt und schwenkten Fahnen. Ich begriff nicht, was passiert war und konnte auch niemanden fragen. Da öffnete ich erst mal eine Flasche Wodka.“ Auch Thomas Thieme braucht einen Schluck, um seine Überraschung hinunterzuspülen, in die sich leises Unbehagen mischt. 1984 hatte er die DDR verlassen, um im Westen Karriere zu machen. Plötzlich drohten die „Betonköpfe“, die ihm im Osten den Aufstieg verleidet hatten, nachzukommen. Für Thieme geht in Österreich der Theateralltag zunächst weiter. Doch Scherzer fragt sich, als er am Morgen in der Prawda von der Grenzöffnung liest, ob seine Recherche an der Wolga noch Sinn hat. Der Reporter mit Parteibuch hatte die Nase voll von den erstarrten DDR-Verhältnissen. „Ich bin in die Sowjetunion abgehauen, um Gorbatschows Glasnost und Perestroika zu studieren“, erklärt er rückblickend. Auch der in einem DDR-kritischen Elternhaus aufgewachsene Thieme hatte sich anfangs mit dem Arbeiter-und-Bauern-Staat arrangiert. Zwei Mal durfte der Jungschauspieler in die Bundesrepublik reisen – 1963 mit dem Ensemble des Deutschen Nationaltheaters Weimar und zehn Jahre später bei den Dreharbeiten zum DEFA-Film „Lotte in Weimar“ –, und kehrte beide Male brav zurück. Die Ausweisung Wolf Biermanns öffnete ihm die Augen.„Ich habe andere Leute kennengelernt, habe beruflich andere Perspektiven gesehen und begann sozialismuskritische Bücher zu lesen. Und irgend-
Was man mit Ostdeutschland verbindet Vorwendegeneration Wendegeneration Nachwendegeneration
ehemalige DDR
friedliche Revolution Wiederaufbau
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64% 62% 49%
36%
... der Nachwende-Generation verbinden mit Ostdeutschland blühende Landschaften.
Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
wann merkte ich, ich komme aus der Provinz, wo ich meine Engagements hatte, nicht mehr nach Berlin. Berlin war DDR-weit die einzige wirkliche Theaterstadt. Dann bin ich eben weg.“ Der wegen kritischer Berichterstattung von der Leipziger Journalistenschule geschasste und „zur Bewährung“ nach Suhl versetzte Scherzer blieb im Lande. Schilderte ungeschminkt das Leben der DDRHochseefischer. 1987 begleitete er den 1. SED-Kreissekretär im thüringischen Bad Salzungen, um den Alltag eines Funktionärs zu erkunden. „Der Erste“ bekam Schwierigkeiten mit der Zensur, erschien dann aber in einer Auflage von 100 000 Exemplaren und sorgte auch im Westen für Aufsehen. Später las Günter Wallraff seinem Freund Scherzer die Leviten: „Du hast darin den Sozialismus so beschrieben, dass klar war, dass er nicht funktionieren kann. In Mathematik warst du schon immer schwach. Wenn du alle Details richtig zusammengezählt hättest, hättest du es selber gemerkt.“ Thieme verleugnete im Westen seine DDR-Prägung nicht. In Frankfurt am Main, erzählt er, habe mal ein Regisseur zu ihm gesagt: „Das ist doch alles Ost-Mist, was du da machst, das ist alles Heiner Müller! Ich habe erwidert: Was soll es denn sonst sein? Ich komme aus dem Osten, und ich komme von Heiner Müller. Wir können doch auch nicht von einem Afrikaner verlangen, dass er nicht schwarz ist.“ Die Erfahrung zweier Gesellschaftssysteme prädestiniert ihn zu eindrucksvollen Charakterstudien. Nach der Wiedervereinigung verkörperte Thieme den DDR-Kulturminister ebenso überzeugend wie den Bundeskanzler Helmut Kohl. Bei den Dreharbeiten zu dem Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“ habe er eine Art Déjàvu erlebt, erinnert er sich: „Da haben Ulrich Mühe und ich frei von der Leber weg gespielt, was wir
wussten, was wir kannten und was wir gefürchtet hatten.“ Ende November 1989 kehrt Scherzer von seiner Recherche zurück und erlebt, wie sich Gorbatschows Prophezeiung „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ erfüllt. Was er in Kamyschin erkundet hat und als Modell in die DDR holen will – freie Berichterstattung, ein demokratisches Wahlsystem und Arbeiterselbstverwaltung nach jugoslawischem Vorbild –, ist längst im Schwange oder bereits wieder von der Tagesordnung gestrichen. Symptomatisch erscheint ihm, was er auf dem Hallenser Hauptbahnhof beobachtet. „Zwei junge Männer mit Trage hievten einen Alten in einen total überfüllten Zug und stellten ihn hochkant in den Gang. Ich fragte den Schaffner, ob in meiner Abwesenheit eine Hungersnot ausgebrochen sei. Nein, erwiderte der lachend, die fahren nach Kassel und holen ihr Begrüßungsgeld ab. Auch für den fußlahmen Opa, dachte ich erschüttert, wenn der lebend dort ankommt, kriegen sie 100 D-Mark mehr.“ Scherzers Reportage „Auf Hoffnungssuche an der Wolga“ erscheint 1991 in einem Kölner Verlag – als Abgesang auf eine Utopie, deren Verwirklichung der Autor heute mit Skepsis betrachtet. Thomas Thieme kehrt nach Weimar zurück, wo er von 2001 bis 2005 mit großem Erfolg Goethes „Faust“ verkörpert und lustvoll mit Ben Becker, Jimmy Hartwig und dem „roten“ Hans-Peter Minetti inszeniert. „Ich habe nie in einem Ost-WestSchema gedacht“, erklärt er. „Weimar ist für mich auch keine OstStadt. Seine Aura hat nichts DDRTypisches.“ Kopfschmerzen bereitet ihm die politische Entwicklung in der Welt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. „Wir haben jetzt in Deutschland eine stabile Demokratie, die auf der Einhaltung der Menschenrechte fußt. Die fordern wir überall ein. Doch wer sagt denn, dass das westliche Modell das globale Allheilmittel ist?“ Landolf Scherzers Fazit 25 Jahre nach der Wende: „Befreit von der Doktrin der Ideologien können die Menschen so sein, wie sie wirklich sind.“ Auf seinen Streifzügen durch die neuen Länder konstatiert er Verbesserungen in vielen Lebensbereichen, stößt aber zugleich auf neue soziale Verwerfungen. Die Herrschaft des Finanzkapitals mit ihren verheerenden Auswirkungen ist für ihn keine Alternative. So reist der Reporter wieder in Richtung Osten – an Brennpunkte in der Ukraine, in Ungarn, Rumänien und Griechenland, sogar bis China, in der Hoffnung, dass sich dort gesellschaftlich doch noch etwas Neues entwickelt.
Was ich war, was ich bin
PE T ER M ICHA ELIS
Schauspieler Thomas Thieme stand beim Mauerfall in Wien auf der Bühne.
VIA DA TA /HO LG ER JOHN
Der Autor Landolf Scherzer war an diesem Abend in Russland.
NEUES DEUTSCHLAND WAS? DAS GIBT’S NOCH? OCH? NA KLAR. ABER ANDERS. Werte ändern sich mit der Zeit. Gesellschaftliche Veränderung braucht kluge, streitbare Köpfe und eine Plattform für die Suche nach Alternativen:
FRANK RICHTER, 54, Leiter der Sächsischen Zentrale für politische Bildung, Dresden. Der 8. Oktober 1989 gehört zu den wichtigsten Tagen meines Lebens. Aus einer Demonstration in Dresden heraus gelang es mir, einen Gesprächspartner zu finden: Detlef Pappermann, einen Vopo in Zivil. Er sorgte dafür, dass seine Vorgesetzten begriffen: Das Prügeln muss ein Ende haben. Ich sorgte mit Andreas Leuschner dafür, dass die Gruppe der 20 entstand. Es war die erste oppositionelle Gruppe, mit der sich der Staat in Person des OB Berghofer zu regelmäßigen Gesprächen traf. Ob ich stolz darauf bin? Nein. Oder sagen wir: Ein wenig. Richtig stolz sein können die Menschen, die auf die Straßen gingen. Ihr Schreien, Klatschen und Singen verhalf der Revolution zum Erfolg. Sie sorgten dafür, dass die Diktatur abdankte, die Ideologie der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Ideologien gibt es immer. Sie sind Produkt unserer Denkfaulheit und Feigheit. Allumfassende Globalisierung? Marktkonforme Demokratie? PISA als Inbegriff unserer Bildung? Dresden war ein Ort der Revolution wie fast jedes Dorf und jede Stadt in der DDR. Demokratie wächst von unten. Oder gar nicht.
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin CORNELIA RADEKE-ENGST, 58, Pfarrerin, Brandenburg/Havel. Die aufregendste Zeit war unmittelbar vor der Wende. Besonders der 21. Oktober 1989 ist mir in Erinnerung geblieben. An dem Tag kamen etwa 5 000 Menschen zu einer Info-Veranstaltung über das neu gegründete Bürgerforum in den Brandenburger Dom. Damit begann die Wende in Brandenburg eigentlich. Die Lage war sehr gefährlich, weil draußen auf der Dominsel bewaffnete Sicherheitskräfte in zwei Häusern stationiert waren. Ich hatte wirklich Angst, dass es nicht friedlich bleiben würde. Insgesamt bin ich sehr froh über die Wende, vor allem über die Freiheit des Gewissens und des Geistes, aber auch des Reisens. Auch wenn die Solidarität unter den Menschen in den vergangenen 25 Jahren ein Stück weit verloren gegangen ist. Die evangelische Kirche ist heute ebenfalls nicht mehr in dem Maße wie früher ein Zufluchtsort für Christen und Nichtchristen. Sie hat nicht mehr die Bedeutung von damals. Das hat sicher damit zu tun, dass sie vielstimmiger geworden ist, dadurch aber auch manchmal weniger klar und pointiert. Es ist eben einfacher, gegen ein klares Feindbild zu kämpfen als in einer komplexen Welt den richtigen Standpunkt zu finden.
BMG ARI O LA
Die Musiker von Keimzeit um die Zeit des Mauerfalls, v. l. n. r.: Matthias Opitz, Ralf Benschu, Roland Leisegang, Hartmut Leisegang (sitzend), Ulle Sende, Norbert Leisegang.
Im elektromagnetischen Feld Die Belziger Band Keimzeit hat die Wende als Befreiung erlebt, weiß
aber auch, dass Feindbilder helfen. Die Band eckt auch heute noch an. V ON L ARS G ROTE
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otsdam. Ein Freund hat zu ihm gesagt: „Norbert, als du noch nicht von der Musik leben konntest, hast du die besseren Songs geschrieben.“ Norbert Leisegang nimmt einen Schluck von seinem Kaffee, dann räumt er ein: „Ja, das könnte stimmen. Künstler sind immer dann am besten, wenn sie am Existenzminimum kratzen.“ So gesehen lebten Keimzeit während der letzten DDR-Jahre in einem künstlerischen Idealzustand. Die Band aus Bad Belzig im Landkreis Potsdam-Mittelmark spielte auf „Indianer-Hochzeiten“, wo sich Hippies vermählten, die Männer Bart trugen, die Frauen Batikkleider und eine Gesinnung herrschte, die nicht links, nicht rechts vom Sozialismus stand, sondern zwei Promille darüber. Hartmut Leisegang, Bruder von Norbert und Bassist der Band, holt ein braunes Fotoalbum heraus. In Handschrift steht auf dem Umschlag „Band 1989/90“, magische Jahre, in Großbuchstaben in den Umschlag graviert. „Wir spielten in der Belziger Gegend auf Partys, fünf Stunden lang, Pausen, Auftritte, Alkohol, wir ertranken fast in diesen Stimmungen. Es waren Exzesse und Fluchten. Nächte der Selbstfindung.“ War das von Rio Reiser aus dem Westen befeuert, der „Keine Macht für niemand“ sang und mit der Gitarre für Anarchie geworben hat?
„Ich wünschte, ich könnte das behaupten“, sagt Norbert, und lacht ein breites Kalifornienlachen. „So politisch habe ich mich damals nicht gesehen. Wir wollten auf Partys spielen, ich habe in den Texten alles aufgesaugt, was ich um mich herum gesehen habe.“ Die Partei war damit überfordert. Norbert wurde zur Armee gerufen, stellte sich vor, er müsse auf laufende Pappscheiben schießen. „Unmöglich“, dachte er und wetterte in seinen Liedern gegen Eltern, die ihren Kindern kleine Panzer schenken. Gegen ein Leben, das nur mit Waffen, nicht mit Argumenten verteidigt wird. Es waren Lieder wie „Hofnarr“, die der Partei die Ruhe nahmen, weil es irgendwie um Lust, irgendwie um Klugheit, irgendwie auch um Proteste ging. Zu viel „irgendwie“ für eine Staatsführung, die es schätzte, wenn Gesinnung präzise ausgezirkelt wurde. „Das Kreiskulturkabinett hat uns ein Spielverbot erteilt“, sagt Hartmut, „doch wir kannten einen im Bezirkskulturkabinett, der saß noch eine Stufe höher und hat das Spielverbot kassiert. Gleich nach fünf Tagen.“ So hatten Keimzeit die DDR der letzten Tage wahrgenommen. Hü und Hott. Ein Funktionär grätscht einem anderen in die Parade. Fünf Tage war man Depp, dann wieder Held. Willkür. „Ich hatte spätestens 1989 den Kanal voll“, sagt Norbert, „ich wollte reisen, ich wollte dieWelt
sehen, warum enthielten mir diese Leute das westliche Ausland vor?“ Am Abend des Mauerfalls drehten sie in Berlin das Video zu „Flugzeug ohne Räder“, Norbert dachte, „das ist ’ne Ente, die können viel erzählen.“ Doch die Grenze war tatsächlich offen, dennoch hat der Regisseur entschieden: „Wir bringen die Arbeit jetzt zu Ende, wir drehen weiter.“ So begann das Leben im vereinten Land: Erst mal den kleinen Film zu Ende bringen, dann der großen Zeitenwende in ihr Antlitz schauen. Die Grenze war offen, die Mauer gefallen. Ist das gut für eine Rockband? „Du bist als Band am stärksten, wenn du ein klares Feindbild hast, den Staat, die Eltern. Dann weißt du, von wem du verarscht wirst“, sagt Norbert Leisegang. Der Staat war weg. Und mit den Eltern lief es ohnehin ganz gut. Keine Feindbilder mehr, dafür gab es endlich Instrumente. „Gitarre, Bass, kleiner Lkw, alles unseres“, Norbert strahlt, wenn er davon erzählt. Vorbei die Zeit, in der die Importeure für obszöne Preise ihre Ware aus dem Westen ausgestellt hatten. Keimzeit kaufte sich noch Ende der 80er-Jahre für 6 000 Ost-Mark einen Basslautsprecher, Norbert holte sich eine Halbresonanzgitarre von Ibanez für 7 000 Ost-Mark – „Wir hatten einen Kredit bei unseren Eltern aufgenommen.“ Mondpreise. Die DDR lebte am Ende in ihrer eigenen Umlaufbahn.
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„Kling Klang“ brachte den Durchbruch im vereinten Deutschland, 1993 waren sie Helden, wurden in die Hitparaden gespült. Ein Lied, das Norbert noch in der DDR geschrieben hatte, eine Fantasiereise nach Patagonien. Der Song wurde nach der Wende vom Produzenten für den Markt geglättet und präpariert. Jahrelang lebte das Lied als akustische Version, jetzt war es ein Radio-Hit. „Der Produzent hat richtig eingegriffen, das Schlagzeug geradegeschnitten, alles Mögliche“, erinnert sich Hartmut. „Wir waren überrumpelt und wussten nicht, was so ein Produzent für Aufgaben hat.“ Es war eine Lektion in westlicher Lebenskunde. Damals war Günter Baaske noch Manager der Band, heute ist er Arbeitsminister in Brandenburg. Die Ernüchterung kam 1998 mit dem Album „Im elektromagnetischen Feld“. Stilistische Neuausrichtung, endgültig kein „MüsliChanson-Rock-’n’-Roll“ mehr, wie Norbert es nennt. Einbruch bei den Ticketverkäufen, die Überweisungen der Gema gingen zurück. Norbert sagt heute: „Die Band musste wieder bei jedem Konzert um ihren Arsch spielen.“ Es war das alte Gefühl der DDR, der man nur mit Biss begegnen konnte. Die Delle ist nun ausgewetzt, doch die Frage bleibt: Warum hat Norbert Leisegang so einen stilistischen Bruch gewagt, der die Fans verschreckte? „Der künstlerische Glaube an eine Entwicklung“, sagt er. Aber auch: „Ich ecke im vereinten Deutschland ähnlich an wie damals im Osten. Der Unterschied ist nur, dass mich dafür jetzt keine staatliche Instanz belangt.“
Ossis vs. Wessis: Unterschiede und Gemeinsamkeiten Ost West 45%
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Unterschiede überwiegen Gemeinsamkeiten überwiegen Ost West Westdeutsche über Westdeutsche Westdeutsche über Ostdeutsche
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selbstbewusst
religiös
unzufrieden
misstrauisch
51% 71% Ostdeutsche über Ostbescheideutsche den Ostdeutsche arrogant, religiös über Westdeutsche 67%
44% 60% Sinn für Gemeinschaft geldgierig 57%
33% ehrgeizig, arrogant, bürokratisch Sinn für Gemeinschaft 37%
59% erfinderisch selbstbewusst 55%
Basis: Westdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Vorurteile und Stereotype: Vor allem die Ostdeutschen sind der Ansicht, dass die Unterschiede überwiegen. So denken 45 Prozent der Ostdeutschen, dass es mehr Unterschiede gibt und nur 18 Prozent sehen mehr Gemeinsamkeiten. In Westdeutschland hält sich diese Einschätzung fast die Waage. 67 Prozent der Ostdeutschen halten Westdeutsche für arrogant, 57 Prozent für geldgierig, 53 Prozent bezeichnen sie als egoistisch. 51 Prozent der Westdeutschen halten Ostdeutsche für unzufrieden und 27 Prozent für ängstlich. In den Vorstellungen der Ost- über die Westdeutschen finden sich weit mehr negative Eigenschaften als umgekehrt. 37 Prozent der Westdeutschen verbinden mit Ostdeutschen Gemeinschaftssinn, 30 Prozent halten sie für erfinderisch und 27 Prozent für sparsam. In der jüngeren Generation im Osten sind die Vorurteile deutlich schwächer ausgeprägt.
Autostadt Eisenach macht Deutschland mobil
Bereits 1990 begann Opel sein Engagement in Eisenach. 24 Jahre später kann die Belegschaft des Opel-Werkes stolz auf über drei Millionen gefertigte Fahrzeuge sein. Als Dreimillionster rollte natürlich der derzeit besonders gefragte ADAM vom Band.
Es war ein Opel ADAM in weiß mit ardenblauem Dach, der kürzlich unter großem Applaus vom Band gefahren wurde: Das dreimillionste Auto aus Eisenach! Dieses Jubiläum des Thüringer Werks der Adam Opel AG war natürlich ein Grund zu feiern. Gekommen waren zahlreiche prominente Gäste, darunter auch Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Die Erfolgsgeschichte des Standortes Eisenach begann gleich nach der Wende: Auto Nummer eins war ein Opel Vectra, der im Jahr 1990 das Licht der Autowelt erblickte. Insgesamt 1,2 Milliarden Euro wurden hier seitdem investiert – zuletzt noch einmal knapp 200 Millionen Euro für den ADAM. Schon mehr als 80.000 Exemplare des Lifestyle-Flitzers (Verbrauch Der dreimillionste Opel aus Eisenach ist ein ADAM – hier mit der Eisenacher Belegschaft und Ehrengästen bei der Jubiläumsfeier. kombiniert: 7,0–5,0 l/100 km; CO2Emissionen kombiniert: 130–112 g/ km) wurden seit Marktstart im vergangenen Jahr von Kunden in ganz Europa bestellt – Erfolgsgarant und Vorzeigeobjekt für das Werk. „Opel ist der einzige Hersteller, der einen Kleinwagen nicht nur in Deutschland entwickelt hat, sondern ihn auch in Deutschland baut“, sagt Opel-Vorstandsvorsitzender Dr. Karl-Thomas Neumann. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hob die wichtige Rolle hervor, die Opel seit Produktionsstart als Arbeitgeber und Zugpferd für weitere Industrieansiedlungen in der Region spielt: „Opel Eise- Als echter Eisenacher macht der Opel ADAM auch vor der Wartburg eine gute Figur. Das Werk Eisenach ist heute eines der modernsten Automobilwerke der Welt.
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nach ist ein Teil Thüringens! Wir wollen, dass die Erfolgsgeschichte des Werks Eisenach fortgeschrieben wird! Zuverlässigkeit und Qualität haben die Produkte von Opel seit Generationen geprägt, ja haben sie mitunter zu richtigen Kultobjekten werden lassen.“ Eisenach hat von Anfang an von sich reden gemacht. Hier wurde zum Beispiel ein neues Produktionssystem für höchste Qualität und Effizienz verwirklicht. Das Werk hat auch bei der Einbeziehung der Mitarbeiter, kontinuierlichen Verbesserungen und dem Logistiksystem Maßstäbe gesetzt. Schon 1993 hat GM das Opel-Werk Eisenach daneben zur Weiterbildungsstätte innerhalb des Konzerns ausgebaut. Mehr als 16.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der ganzen Welt kamen bisher nach Thüringen. Auch prominente Gäste zog es nach Eisenach – von Bundeskanzler Helmut Kohl (1990 und 1992) bis hin zu US-Präsident Bill Clinton (1998). Dass Eisenach auch weiterhin eine wichtige Rolle für Opel und GM spielen wird, davon ist Werksleiterin Elvira Tölkes überzeugt: „Wir werden die Qualität, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickeln und den Standort Eisenach für die Zukunft ausrichten.“
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Was ich war, was ich bin ECKARD UHLIG, 60, Computerexperte, Birkenwerder/Brandenburg. 1990 war ein aufregendes Jahr. Es gab die Demonstrationen für eine friedliche Revolution in der DDR. Ich saß am Runden Tisch als Vertreter der evangelischen Kirche. Im März fand die erste freie Wahl zur Volkskammer statt. Ich war als Ingenieur im Kabelwerk in Berlin tätig und habe im Mai gekündigt. Im Juni gründete ich meine eigene Firma, die ICA Dr. Uhlig, einen Computerfachhandel. Im Juli fand die Währungsunion statt. Wir mussten mitten im Jahr den Jahresabschluss machen und die Firma von Ostauf Westgeld umstellen. Im Oktober desselben Jahres erlebten wir die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Meinen Doktor zum Thema „Veränderung von Arbeitsinhalten mit der neuen digitalen Technik“ legte ich danach ab. Wenn ich zurückschaue, bin ich zufrieden. Wir haben so viele Möglichkeiten und sind ideologisch an nichts gebunden. Meine Firma gibt es immer noch. Wir haben noch eine Service GmbH gegründet, mein Sohn ist Geschäftsführer. Wir haben uns in der neuen Gesellschaft etabliert.
„Wissenschaft wächst weiter zusammen“ Leopoldina-Präsident Jörg Hacker sieht Ost- und Westdeutschland gleichauf im Forschen. Das größte Problem der Universitäten ist die Unterfinanzierung. V ON H ARTMUT A UGUSTIN UND K AI G AUSELMANN
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alle. Andere Leute schmücken ihr Büro mit Kunstdrucken oder Familienfotos. Bei Jörg Hacker hängen MikroskopAufnahmen von Darmbakterien wie Ehec und Campylobacter im Großformat an der Wand. Der 62-Jährige ist ein renommierter Mikrobiologe – und er ist die Stimme der deutschen Wissenschaft: Seit 2010 ist Hacker Präsident der in Halle beheimateten Leopoldina, der nationalen Akademie der Wissenschaften. Über den Zustand der deutschen Wissenschaft und die Bedeutung der Nationalakademie für den Osten sprachen Hartmut Augustin und Kai Gauselmann mit ihm. Professor Hacker, wie steht es 25 Jahre nach dem Mauerfall um die gesamtdeutsche Wissenschaft – forscht mittlerweile zusammen, was zusammengehört? Schon vor der friedlichen Revolution haben Kontakte zwischen Wissenschaftlern aus Ost und West
bestanden. Wissenschaft ist universell und überschreitet Grenzen. Es haben sich aber viele neue Forschungsverbünde gebildet. Ich würde sagen, der Wissenschaftsund Bildungsbereich ist sehr gut zusammengewachsen – und wächst noch immer weiter zusammen. Und es gibt hervorragende Forschungseinrichtungen im Osten. Aber bei den Exzellenzinitiativen zum Beispiel hat der Osten nicht so gut abgeschnitten. Das sehe ich nicht ganz so. Dresden ist immerhin Exzellenzuniversität geworden. Es gibt viele sehr gute außeruniversitäre Institute in Ostdeutschland. Zum Beispiel hat die Max-Planck-Gesellschaft ihre Institute in Ostdeutschland neu gegründet. Sorgen mache ich mir allerdings um die Landesebene und die Universitäten. Die Universitäten sind unterfinanziert, wobei das letztlich ein bundesweites Problem ist. Da ist es aus meiner Sicht wichtig, dass das Kooperationsverbot aufgehoben wird, und der Bund längerfristig die Universi-
BE RLI NER Z EIT UN G/ PA ULU S PO NI ZAK
Professor Jörg Hacker, Mikrobiologe und Leiter der Akademie der Wissenschaften
täten mitfinanzieren kann. Die Grundausstattung ist das Problem, sie stagniert. Haben die Länder ihre Universitäten vernachlässigt?
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Das ist ein Strukturproblem, die Länder können nur die Mittel ausgeben, die sie haben. Die Situation wurde aber durch das Kooperationsverbot verschärft. Ich bin dennoch optimistisch, dass es da jetzt eine Lösung geben wird. Sie haben persönlich Erfahrungen mit beiden Wissenschaftssystemen gemacht, in der DDR und der BRD: Was waren die Unterschiede? Die Wissenschaft der DDR war zentral gesteuert. Und die Universitäten waren im wesentlichen für die Ausbildung und die großen Akademie-Institute für die Forschung zuständig, wobei sie mehr und mehr angewandte Forschung machen mussten. Grundlagenforschung wurde zurückgedrängt. Die Wissenschaft musste sich in der DDR auch der herrschenden Ideologie unterordnen. Wobei die Naturwissenschaften und die Medizin gewisse Freiräume hatten. Aber auch da haben die einzelnen Wissenschaftler den Druck gespürt; es gab Reiseverbote und nur begrenzten Zugang zu internationaler Literatur. Nachträglich betrachtet, ist der Prozess der Anpassung nach der friedlichen Revolution zwar gut verlaufen. Es wäre allerdings schön gewesen, wenn auch im Westen das eine oder andere schneller hinterfragt worden wäre. Etwa die Unterfinanzierung der Hochschulen, die war im Westen schon in den 80er-Jahren ein Problem. Die liegt auch im föderalen System begründet, Bildung ist Ländersache. Das hat Westdeutschland in das gemeinsame Wissenschaftssystem quasi mit eingebracht. Sie haben in Halle studiert und sind Anfang der 80er-Jahre nach Würzburg gegangen. Wieso konnten Sie eigentlich ausreisen? Ich konnte aus gesundheitlichen Gründen ausreisen. Im Westen gab es bessere Möglichkeiten zur Rehabilitation. Es fiel mir auch nicht schwer, im Westen Fuß zu fassen weil Wissenschaft eben etwas Universelles ist. Wobei, als ich in Würzburg angefangen habe, hat mich eine Kollegin gefragt, wo ich denn herkomme. Aus der DDR, habe ich ihr gesagt – und sie hat scherzhaft geantwortet: Das macht nichts, wir haben sowieso schon viele Ausländer hier. Ich bin da grundsätzlich gut zurechtgekommen. Die fachliche Ausbildung in der DDR war ja gut, das war nicht das Problem, sondern die Begleiterscheinungen. In der DDR hat die Leopoldina relativ viel Freiheit genossen. Wie war das möglich? Die Leopoldina hat es geschafft, relativ unbeeinflusst von der DDRIdeologie die 40 Jahre zu überstehen. Die Wissenschaft stand immer im Mittelpunkt. Das hatte sicher mit den Verbindungen in den Westen zu tun. Der Vize-Präsident saß auch immer im Westen, meist in München. Zum Beispiel wurden in den
80er-Jahren, von der Krupp-Stiftung finanziert, ein Hörsaal und Büros saniert. Berthold Beitz hatte das direkt bei Erich Honecker durchgesetzt. Das DDR-Establishment hat bestimmt auch beeindruckt, dass durch die Leopoldina relativ viele Nobelpreisträger nach Halle gekommen sind. Die Leopoldina war letztlich etwas Besonderes. Exzellenz schützt auch. Die damaligen Präsidenten konnten bei den Jahresversammlungen sogar maßvoll das Wissenschaftssystem kritisieren, vor allem die Abschottung und mangelnde Internationalisierung. Ex oriente lux - aus dem Osten kommt das Licht: Erfüllt es Sie als gebürtigen Ostdeutschen mit Stolz, dass die Nationalakademie in Halle sitzt? Ich sehe mit Interesse und Stolz, was sich seit der friedlichen Revolution entwickelt hat. Und es ist wichtig, Institutionen in Ostdeutschland zu haben, die über die Region hinaus strahlen und eine internationale Leuchtkraft haben. Ich mache das ganz bewusst, Gäste nach Halle zu holen. Ich will zeigen, was sich in Ostdeutschland entwickelt hat. Natürlich gibt es noch Bereiche, die sich noch nicht so entwickelt haben. Insgesamt geht es aber aufwärts. Halle etwa ist eine Stadt, die ein intellektuelles Flair hat, mit der Universität, den Franckeschen Stiftungen, der Moritzburg, der Bundeskulturstiftung … Unsere Gäste sind an Wissenschaft und Kultur interessiert, da hat Halle viel zu bieten. Wir sind die einzige größere Nationalakademie, die nicht in einer Hauptstadt angesiedelt ist. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Halle ist auch der passende Sitz, weil das Wissenschaftssystem in Deutschland föderal angelegt ist. Erwartungen an die Politik
Ost West
von Rente leben können
86% 87%
gute Gesundheitsversorgung
86% 87% 81% 86%
sichere Rente Angleichung Löhne & Gehälter im Osten
80% 36%
gute Schulen/ Universitäten
73% 80%
kein Anstieg von Steuern/ Abgaben
72% 80%
gleiche Bildungschancen
71% 79%
Anstieg der Energiepreise verhindern keine großen sozialen Unterschiede
69% 75%
Unterstützung junger Familien
67% 68%
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Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
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Berliner Zeitung · Nummer 230 · 2./3. Oktober 2014
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Leben im Osten
Bühne der Einheit
Was ich war, was ich bin OLIVIA EHLING, 33, Krankenschwester, RibnitzDamgarten, Am 10. November 1989 sind wir morgens zur Grenze gefahren. Damals war ich acht Jahre alt. Wir standen im Stau, die Zeit kam mir unendlich vor. An der Grenze fuhren meine Eltern, meine Schwester und ich durch eine menschengefüllte Straße. Die Leute klopften aufs Autodach und warfen Süßigkeiten in den Wagen. In Lübeck gab es für jeden 100 Mark Begrüßungsgeld, dazu wurden alle Gäste von Lübeckern eingeladen. An dem Tag sah mein Papa seine Schwester wieder, die dort seit Jahren lebte. Schon damals wusste ich, dass ich viele Tiere halten werde. Heute finden fast alle Arten Hilfe und ein Zuhause auf meinem Hof. Ein eigenes Leben habe ich kaum noch. Aber ich bekomme so viel von den Tieren zurück, wenn wir sie vermitteln können. Darum bin ich so froh, dass es immer mehr Leute gibt, die das verstehen. Besonders viele dieser Menschen leben in Hamburg. Seit 25 Jahren gibt es keine Grenze mehr zwischen ihnen und uns, darüber freue ich mich sehr.
Das Theater in Meiningen zieht Gäste aus Franken und Thüringen an. Nach Jahren der Euphorie wirbt die Leitung inzwischen mit strategischen Spielplänen ums Publikum. V ON P ETER L AUTERBACH
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einingen. Schon der alte Theaterherzog soll gelegentlich über den künstlerischen Horizont seiner Landsleute gebrummelt haben. Er erschien ihm wohl etwas niedrig. Die Franken, meinte Georg, seien „musischer“, als die „Kloßköpfe“ im Meiningischen. Ob der Landesvater damit recht hatte, lag schon damals im Auge des Betrachters und scheint noch heute Ansichtssache zu sein. Fakt ist jedoch, dass schon bald nach Fertigstellung der KöniglichBayerischen Eisenbahnlinie von Meiningen nach Schweinfurt Theaterzüge mit illustrem Publikum an die Werra rollten. Das ist jetzt bald 150 Jahre her. Noch immer kommen die Schweinfurter, Kissinger, Neustädter, Mellrichstädter und sonstigen Unterfranken, um an „ihrem“ klassizistischem Theater Oper, Operette, Ballett und Schauspiel zu genießen. Eine Liebe, die noch nie Grenzen kannte – selbst dann nicht, als der Grenzzaun viele Jahre lang Nachbarn trennte und Eisenbahngleise unterbrach. Manche, berichtet Intendant Ansgar Haag, seien sogar trotz der Sperranlagen gerne und oft gekommen. Das Meininger Theater gewährte ihnen wie jedem anderen Besucher Abonnements. Sie reisten über Henneberg, den einstigen Grenzübergang, tauschten brav ihre 25 Westmark „Eintrittsgeld“ um, für das sie seinerzeit locker gleich mehrere Theater-Tickets hätten erwerben können. Meiningen war für das Publikum aus dem Land hinter dem Zaun ein günstiges Vergnügen. Aber auch ein künstlerisch attraktives. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es die Unbestechlichkeit der reinen Kunst ist, die trotz allem Menschen verbindet – in Meiningen wurde er erbracht. Als die Zäune fielen, war der Jubel zunächst grenzenlos. „Dass es das Meininger Theater wieder gibt, ist das Beste an der Wiedervereinigung“, ließen manche ihren Gefühlsregungen spontanen Lauf. Die alte Liebe entbrannte neu – auch bei jenen, die sich in all den Jahren freiwillig dem trennenden Diktat der Grenzanlagen fügten. Der Meininger Theaterförderverein, dem heute Hunderte Theaterfreunde aus Thüringen und Bayern angehören, wurde einst in Schweinfurt gegründet. Unternehmer mit Kunstsinn engagierten sich mit Spenden für das Haus des berühmten Theaterherzogs. Meininger Künstler fuhren nach Wiederherstellung der Bahnverbindung zwischen Rentwertshausen und Mellrichstadt in den Zügen nach Bayern, starteten spielend und singend eine Charme-Offensive. Ulrich Burkhardt, der Meininger Nachwende-Intendant, hatte klug die meisten künstlerischen Leitungspositionen nicht neu besetzt. Wo will ich hin, wo kann ich bleiben? Gedanken über einen Umzug nach Westdeutschland 40%
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über 60 Jahre
Trendwende in 2004 33
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Basis: Ostdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Und Schauspieler und Sänger erst einmal ans Haus gebunden. So geriet das Meininger Theater in den euphorischen, aber eben auch wilden Wendezeiten nicht in personelle Strudel. Kontinuität hieß für den Intendanten das Gebot der Zeit. Wohl auch deshalb, weil Der Spiegel dem Theater – wie anderen kleineren Häusern im Osten – den Untergang prophezeit hatte. Meiningen aber blieb, auch weil das Publikum aus dem alten Westen kam. Burkhardt öffnete die Türen unter dem charakteristischen Portikus weit in Richtung Franken, holte Regisseure und Theaterintendanten wie August Everding, holte Künstler wie Vicco von Bülow ans Haus. Das Theater spielte in diesen Nachwende-Jahren auf einer Woge der Sympathie. Hier fanden Tradition und Zukunft, fanden die gute alte Zeit des Theaterherzogs und Neugierde auf Neues zusammen. Und es erwies sich, dass sich das Publikum aus Ost und West so fremd gar nicht war. Gemeinsam erfreute man sich am Kulturerlebnis. Gemeinsam hegte man das Gefühl, an diesem Theater zu Hause zu sein – auch wenn der eine am Rennsteig wohnt und der andere am Main. Auch wenn sich die Geschmäcker noch immer unterscheiden. Für den Theatermacher ist das Segen und Fluch zugleich. Burkhardt erreichte in den 90er-Jahren zwar die Gründung einer Theaterstiftung, zu der das Land Thüringen Jahr für Jahr 80 Prozent eines üppigen Etats beisteuert – davon können andere Theater nur träumen. Dennoch hat sich das Publikum in den letzten Jahren sehr verändert. Der neue, selbstbewusste Titel eines Staatstheaters, die 25 Millionen Euro teure Grundsanierung vor drei Jahren – all das hat nicht mehr Besucher angelockt. Bustouristen, viele Jahre lang eine sichere Bank, bleiben zunehmend aus. Auch Meiningen spürt, dass das Stammpublikum älter wird, manche Zuschauer schließlich ganz wegbleiben, die Jüngeren nicht in gleichem Maße die Welt des Theaters für sich entdecken. Und dennoch: Ohne die nach wie vor vielen Kultursinnigen aus dem Nachbarland Bayern würde es dieses Theater heute so nicht mehr geben. Ansgar Haag, der nun seit zehn Jahren, das Meininger Theater leitet, versucht den Spagat: „Ein Drittel Strauß, Wagner, Goethe und Schiller, ein Drittel Musical und Operette, ein Drittel fürs junge Publikum“, erklärt er seine Mischung. Im ersten Drittel, dem klassischen Kanon, finden sich viele fränkische Besucher wieder. Im zweiten Drittel viele Thüringer. Und es gibt nach wie vor Inszenierungen, die polarisieren. Leoš Janáceks Oper „Katja Kabanowa“ etwa. Im Oktober wird sie in Meiningen Premiere haben. Der Intendant lässt sie in tschechischer Sprache singen – und weiß, dass er damit den fränkischen Teil seines Publikums nicht wirklich ansprechen kann. Und andersherum. Aber: Man ist tolerant, hüben wie drüben. Wenn der Intendant auch in der Politik regieren könnte – er würde wohl als Allererstes Züge und Busse fahren lassen, die das Theatervolk zur Vorstellung und nach Hause bringen. Dass die Wiedervereinigung Straßen und Schienen wieder miteinander verband und nun die Politik dafür sorgt, dass niemand mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Theater kommt, ist in Haags Augen nichts nur skandalös, sondern auch Ausdruck einer kulturfeindlichen Politik. Wer seiner alten Liebe frönen will, muss also selbst fahren. Aber was macht man nicht alles, für diese.
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