Abschied Wowereit

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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014 – Seite 11

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Wowereits Abschied Vom Scheitel bis zur Sohle misst Klaus Wowereit 1,86 Meter. Der Name Wowereit kommt aus dem Litauischen und bedeutet übersetzt „junges Eichhörnchen“. Nun ja, eher wohl eine erfahrene Version. Wowereit ist seit 61 Jahren Berliner, seit 33 Jahren Jurist, seit 31 Jahren Berufspolitiker, seit 13,5 Jahren Regierender Bürgermeister. Und fortan: ein freier Mann.

Linkshänder ist er, wie Michelangelo, Albert Einstein, Barack Obama oder Jogi Löw. Er war in der zweiten Klasse, als man versuchte, ihn umzuerziehen beim Schreiben, mit mäßigem Erfolg. Mikrofone – hält er links, Spaten beim Bäume einpflanzen oder Grundsteinlegen – immer links. Wahlzettel an der Urne – immer links. Politische Heimat – SPD seit 1972.

Ein akribischer Aktenfresser ist Klaus Wowereit immer gewesen, aber auch ein emsiger Händeschüttler. Und zwar einer mit Stil. Hoffnungsvoll blaue Anzüge trug der scheidende Regierende bei öffentlichen Auftritten zuletzt besonders gern, passen halbwegs gut zu grünen Augen und auch sonst meistens.

Sein Bauchumfang sei nicht eben geringer geworden, das merkte Wowereit an, als er am 26. August 2014 seinen Rückzugsplan verkündete. Da sei also Platz für Bauchentscheidungen. Obwohl er andererseits natürlich Kopfmensch sei. Wie auch immer: Fortan ist Zeit für ein paar Golfrunden oder Skiabfahrten mehr.

Er liebt: Berlin, die raue, wilde, schöne Stadt, eh klar. Männer, und das ist auch gut so, vor allem Jörn Kubicki. Das Theater, die Oper, vor allem Puccini. TV-Serien, vor allen die „Lindenstraße“. Golf, Handicap 29 („Ich liebe die Sportart, weil sie so durch und durch sozialistisch ist“). Essen, aber auch Selberkochen, vor allem Nachspeisen.

Von Kopf bis Fuß auf Berlin eingestellt

Ja, das sieht fast nach einem Wiegeschritt aus. Und fast könnte man denken, dass hier der Regierende Partymeister unterwegs sei. Stimmt aber natürlich nicht. Zwei Bälle im Jahr, mehr habe er nie besucht, sagt Wowereit. Wer anderes verbreite, der diffamiere. Aber man darf vielleicht sagen, dass er ein charmanter und witziger und lebensfroher Bürgermeister war, oder?

Klaus Wowereit geht. Wir haben ihn in den letzten Wochen auf seiner Abschiedstour begleitet, noch einmal all seine Senatorinnen und Senatoren versammelt, im Fach mit den Karikaturen aus seiner Amtszeit gekramt und eine Bilanz seiner Arbeit gezogen. Dazu 13 Tops und 13 Flops. Und dann ab in die Rathausgalerie

Und wie geht es weiter? Am ersten Tag in Freiheit steht schon um sieben Uhr ein Telefoninterview mit einem Radiosender in seinem Terminkalender. Alles so wie immer also? Nein, nein. Er selbst sagt, er werde erleichtert sein. Und dass die erste Zeit ihm nicht leicht fallen werde: „Man muss sich neu sortieren. Andererseits entfaltet auch Langeweile neue Kräfte.“

IMAGO

Barrie Kosky

Jürgen Flimm

Dietmar Schwarz

Nacho Duato

FOTO: MATTHIAS BAUS

Vielen Dank, Klaus Wowereit!


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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014

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Wowereits Abschied

sal jedes guten Slogans: „Berlin ist arm, aber sexy“, sagte Wowereit

2003 – das ist das „Schaut auf diese Stadt“ des 21. Jahrhunderts.

FLOP Leider ätzte er 2010: „Wir sind hier nicht in Haiti“, als Glatteis zu katastrophalen Verhältnissen führte. In Haiti waren 300 000 beim Erdbeben umgekommen.

Top Wowereit outete sich 2001

als erster prominenter Politiker: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“ Das befreite viele und vieles.

FLOP Leider war nicht nur Ou-

ten sein Spezialgebiet – auch Dissen. Davon berichten viele, Senatoren, Journalisten, Pressesprecher.

Top Klingt vielleicht fad,

ist aber groß: Wowereit hat den kaputten Berliner Haushalt saniert. So gut es ging.

FLOP Leider war kein Geld da – etwa für Wohnungen.

Top Der Mann war sogar

öfter mal als Kanzlerkandidat im Gespräch, so berühmt war dieser Wowereit.

FLOP Leider (?) wurde daraus nichts. Ob man ihn als

Entschädigung in jede zweite Talkshow einlud? Unklar.

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Top Wiederholung ist das Schick-

Der letzte Walzer

Klaus Wowereit hat seinen Abschied als Regierender Bürgermeister klug inszeniert. Am Ende wird noch mal getanzt

N

V ON A NJA R EICH

ach dreizehn Jahren und einhunderteinundvierzig Tagen im Amt gibt es doch noch etwas, das Klaus Wowereit zum ersten Mal tut. Es ist ein Dienstagnachmittag im November. In der ersten Etage des Roten Rathauses wartet die Schauspielerin Judy Winter darauf, dass ihr Klaus Wowereit das Bundesverdienstkreuz überreicht. Kurz vor 15 Uhr öffnet sich die Tür zu seinem Amtszimmer. Wowereit erscheint und ruft: „Hereinspaziert“, aber alle bleiben stehen. Ein Gast fehle noch, sagt Judy Winter. Wowereit sieht auf die Uhr, murmelt: „Na, wir sind ja auch noch zu früh“, lässt sich auf einen Dreisitzer in der Lobby fallen, schlägt die Beine übereinander. Dann sagt er: „Ich habe noch nie vor meinem Büro gesessen.“ Der Regierende Bürgermeister rutscht ein bisschen tiefer in die Polster, als wolle er feststellen, wie es sich anfühlt, als Gast im eigenen Haus. Nicht schlecht offenbar, denn nun sagt er: „Das ist die neue Rolle. Ich komme als Lobbyist wieder und sitze dann vor meinem Büro.“ Er sagt es mehr zu sich selbst, aber so, dass es alle hören können. Judy Winter und ihre Gäste lachen, am lautesten lacht er selbst. Es soll ein Witz sein, vielleicht.

DPA

2011 auf der Parade zum Christopher Street Day in Berlin

Ein Geschenk an sich selbst Am Vormittag des 26. August 2014 hat Klaus Wowereit eine Pressekonferenz einberufen und gesagt, dass er sein Amt niederlegen wird, allerdings nicht sofort, sondern erst in dreieinhalb Monaten, am 11. Dezember. Die Nachricht war fast überraschender als die vom Rücktritt selbst. Klaus Wowereit hatte beschlossen, sich nicht von heute auf morgen zurückzuziehen, sondern sich erst noch in aller Ruhe zu verabschieden, von seiner Stadt, von seinen Bürgern, von seinem Amt. Es war ein Geschenk, vor allem an sich selbst, so was wie eine Reise durch die eigene Amtszeit: noch ein paar Abgeordnetenhaussitzungen, Bundesverdienstkreuzverleihungen, Senatssitzungen, Opernpremieren, noch mal Mauerfalljubiläum, noch mal Kulturausschuss. Und immer wieder Abschied, jedes Mal ein bisschen anders und ein bisschen mehr. Ein Countdown in den Ruhestand. Eine Chance, die Geschichte noch einmal ins rechte Licht zu rücken. Seine Geschichte. Jetzt, Anfang November, sind es noch knapp fünf Wochen, und Wowereit befindet sich bereits mitten in seiner Abschiedstournee. Er trägt einen marineblauen Anzug, ein weißes Hemd, eine rote Krawatte, sein Haar leuchtet silbern. Er sieht gut aus, entspannt, als sei alleine mit dem Entschluss, den Platz zu räumen, eine Last von ihm gefallen. Aber nun reicht es ihm doch. Es ist kurz nach 15 Uhr, Judy Winters letzter Gast ist immer noch nicht da. Er hasst das. Er sitzt nicht gerne rum. Man sieht es ihm an. Wie sein Blick abschweift. Wie sich seine Mundwinkel senken, wie seine Augen schmaler werden. Er sieht aus, als ob er gleich explodiert, da geht endlich die Tür auf, und eine Frau im Mantel weht herein. „Die Baustellen“, ruft sie. „Die anderen hatten auch Baustellen“, entgegnet Wowereit kalt. Er geht in sein Amtszimmer, hält seine Rede, lobt Judy Winters Engagement für die Aids-Hilfe, am Ende sagt er: „Ich glaube, das ist auch meine letzte Ordensverleihung.“ Fragend sieht er zu seiner Mitarbeiterin, die für das Protokoll zuständig ist. „Aushändigung“, sagt sie. „Es heißt Aushändigung.“

DPA/MARIUS BECKER

Heiß: bei der Feuerwache Schöneberg 2010.

Wort vom Großflughafen. KlausWowereit ist der Star des Abends. „Ich lasse mich nicht vertreiben“, hat er gesagt auf jener Pressekonferenz im August, und wenn man diesen Satz hört, denkt man, man hätte es eigentlich wissen müssen. Klaus Wowereit, der Sohn einer Kohlenhändlerin aus Lichtenrade, nimmt die Dinge selber in die Hand, statt sich von anderen unter Druck setzen zu lassen. So war es 2001, als er sich mitten im Wahlkampf outete, und so ist es auch heute, dreizehn Jahre später. In den Monaten, als alle wegen des Flughafens auf ihm herumtrampelten und seine Umfragewerte ins Bodenlose sanken, hielt er sich stoisch im Amt, aber dann, mitten im Sommerloch, als gerade niemand damit rechnete, trat er vor die Kameras, sagte: „Ich gehe freiwillig“, und wählte sich für seinen Abgang den 11. Dezember, genau den Tag, bevor der Flughafenchef den neuen Eröffnungstermin für Schönefeld verkünden würde. Die neue Hiobsbotschaft. Das ist so clever, dass es fast schon unheimlich ist. Und man weiß nicht, ob man ihn dafür bewundern oder verachten soll. Wenn man ihn danach fragt, weicht er aus. Sagt, es habe kein bestimmtes Datum gegeben, das Ganze sei eher ein Prozess gewesen. Sein Sternbild sei Waage, er habe ständig hin- und hergeschwankt. Hat er nicht Angst, dass er in ein Loch fällt, wenn er auf einmal zu Hause sitzt? „Natürlich werde ich in ein Loch fallen. Wichtig ist nur, dass ich da wieder rauskomme.“ Was wird er am meisten vermissen? „Das weiß ich ja noch nicht. Fragen Sie mich mal lieber, was ich nicht vermissen werde.“ Was wird er denn nicht vermissen? „Ach, ich habe ja eigentlich alles ganz gerne gemacht.“ Sprüche werden bleiben

DPA/ANDREAS ALTWEIN

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER

Heißer: beim Presseball 2003.

Angezählt: er beim BER 2012.

„Dann ist das also meine letzte Aushändigung“, verbessert sich Wowereit und überreicht das Bundesverdienstkreuz. Es gibt Küsschen links und Küsschen rechts, Häppchen und Sekt. Es ist schön und auch ein bisschen traurig. Der letzte Orden! Auf Wowereits Schreibtisch befinden sich sein Computer, seine Akten, sein Telefon, sein Duden, in der Glasvitrine stehen seine Gastgeschenke, davor ein altes Karusselpferd. Er wird das alles zurücklassen, wenn er geht. Noch kann man sich das nicht vorstellen. Noch sind es mehr als vier Wochen. Und das hier war auch nicht seine letzte Bundesverdienstkreuzverleihung. Wie ein Mensch von seinem Amt zurücktritt, sagt viel über seine Persönlichkeit aus. Horst Köhler ist aus dem Schloss Bellevue nach Afrika geflohen, Christian Wulff kann bis heute nicht loslassen, Gregor Gysi ist still gegangen und still zurückgekommen, Matthias Platzeck krank geworden. Und Klaus Wowereit? Geht, wie er gekommen ist. Mit großem Auftritt. Es gibt keine offizielle Veranstaltung, keinen Empfang, keine Feier. Aber das ist auch nicht nötig, denn für Klaus Wowereit wird jetzt ohnehin jeder Termin zur Abschieds-

vorstellung. Als er Udo Lindenberg den Verdienstorden des Landes Berlin überreicht, singt Lindenberg: „Danke Klaus, hochgeschätzter Wowi-Man, du locker easy Vogel“. Als Joachim Gauck zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wird, spricht der Bundespräsident in seiner Dankesrede lange über die offene Stadt Berlin und dann fast genauso lange über ihren Bürgermeister: „Herr Wowereit, Sie haben den Wandel vorangetrieben und aus Berlin eine Stadt gemacht, die heute Heimat für viele ist.“ Die Entertainerin Gayle Tufts widmet ihm gleich eine ganze Samstagabendshow. „Performance for the Queen“ nennt sie es und tanzt mit ihm auf der Bühne vom Tipi am Kanzleramt, so leicht, als hätten sie diese Nummer lange einstudiert. Das Publikum tobt. Jemand ruft: „Wie geil ist das denn!“ Später, beim Empfang im kleinen Kreis, fragt Gayle Tufts, was er denn nun eigentlich vorhabe. Sie habe gehört, Hillary Clinton suche noch einen Vizepräsidenten. Wowereit antwortet, als er Hillary das letzte Mal getroffen habe, habe sie zu ihm gesagt, er sehe aus wie Bill. Wieder Lachen und Jubel im Tipi-Zelt. Der amerikanische Präsident und der deutsche Bürgermeister.Washington und Berlin. Kein

Wowereit antwortet, aber er sagt nichts. Auch das gehört zu seiner Art, Abschied zu nehmen. Er gibt jetzt seitenlange Interviews, jede große Zeitung, jedes Magazin hofft auf einen letzten lockeren Satz, vor allem aber auf eine Antwort auf die Frage, wie der Bau des Flughafens Schönefeld in einer Milliarden-Pleite enden konnte. Er aber redet lieber darüber, wie Berlin vorangekommen ist. Und der Flughafen? Tja. „Schön sieht er aus, aber er fliegt eben nicht.“ Es gibt Politiker, die gehen mit Kniefällen in die Geschichte ein, mit Affären oder mit großen Reden. Von Klaus Wowereit werden seine Sprüche bleiben. Ende November schaltet er die Weihnachtsbaumbeleuchtung am Kurfürstendamm an. Anschließend fährt er mit einem Doppeldeckerbus den Boulevard hoch und runter, an leuchtenden Nussknackern, Rentieren, einer Eisenbahn und einem Flugzeug vorbei. Das Flugzeug steht am GeorgGrosz-Platz, groß und hell. Ein Kunstwerk aus Lichtern. Wowereit sieht durchs Fenster von oben herab. Dann sagt er: „Das müsste doch eigentlich in Schönefeld stehen.“ Fünf Tage später, am Welt-Aids-Tag, tauft er eine S-Bahn auf den Namen„Mitte“. Es ist einer dieser Termine, deren Sinn sich einem nicht gleich erschließt. Aids, Mitte und die Berliner S-Bahn. Wowereit steht auf dem Potsdamer Platz, Gleis 13, neben ihm der Bahn-Chef und Mitglieder der Berliner Aids-Hilfe. Alle tragen rote Schleifen.Wowereit und der Bahn-Chef schütten Sekt gegen den Bahnwaggon, schneiden einen Kuchen in Form eines Zugs an, und dann, als Höhe-


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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014

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Wowereits Abschied

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER

Gipfeltreffen: mit Barack Obama und Angela Merkel 2013 am Brandenburger Tor.

DPA/WOLFGANG KUMM

Auftritt: Wowereit gepudert, 2008.

CHRISTIAN SCHULZ

Röhre: mit Nina Hagen 2001 im BKA-Zelt.

Noch 5 1 0 2 z r ä M s i b ld an der O2 Wor s: Tickets & Info palazzo.org

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER

Möhre: Panda-Fütterung 2001 im Zoo.

bisschen wie in dem Film„Und täglich grüßt das Murmeltier“, in dem der Schauspieler Bill Murray jeden Tag von Neuem auf die Ankunft des Siebenschläfers wartet. Wowereit übergibt immer wieder das Bundesverdienstkreuz. Und immer das letzte Mal. Er scheint das zu brauchen. Die netten Worte. Die Liebe. Die Dankbarkeit. Sein spöttisches Lächeln löst sich auf. Seine Augen werden feucht. Er ist erst 61, aber manchmal hat man das Gefühl, er höre bereits seiner eigenen Trauerrede zu. In Bettina Rusts Interviewsendung auf Radio Eins wünscht er sich als letzten Titel Franks Sinatras „I did it may way“, das Lied, das derzeit in Deutschland am häufigsten auf Beerdigungen gespielt wird. In seinen Reden wird er jetzt oft staatsmännisch. Proteste gegen die Flüchtlingsheime und Drogendealer am Görlitzer Platz kommen selten vor. Der 25. Jahrestag des Mauerfalls dafür umso öfter. Gerne erwähnt er auch den Zweiten Weltkrieg und was ohne diesen Krieg aus Berlin geworden wäre. Es scheint, als wolle er noch etwas hinterlassen, bevor es vorbei ist. Am ersten Dezembertag weiht Klaus Wowereit eine Gedenktafel für Klaus Schütz ein. Schütz war von 1967 bis 1977 Bürgermeister von Berlin. Vor zwei Jahren ist er gestorben. Nun versammeln sich Familie und Freunde vor seinem Wohnhaus in Wilmersdorf, auch die ehemaligen Bürgermeister Walter Momper und Eberhard Diepgen sind gekommen, sowie der neue: Michael Müller. Momper, mit Mantel und rotem Schal, schüttelt Wowereit die Hand. Diepgen, in Jack-Wolfskin-Jacke, sagt: „Sie kenne ich irgendwoher, ich sehe Sie jetzt pausenlos in den Zeitungen.“ Michael Müller kommt als Letzter und hält sich im Hintergrund. Es ist eine denkwürdige Veranstaltung. Fünf Bürgermeister auf einen Schlag! Ein toter, zwei ehemalige, ein Noch-Amtierender, ein zukünftiger. Wowereit steht vor der Ehrentafel, stiller als sonst. Vielleicht denkt er daran, dass jeder seiner Vorgänger einmal seine große Zeit hatte, dass keiner von ihnen in Frieden gegangen ist und dass alle danach irgendwie weitergemacht haben. Schütz ist Botschafter in Israel geworden, Momper Immobilienberater, Diepgen Anwalt. Manchmal ist es tröstlich, einer von vielen zu sein.

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punkt, darf der scheidende Bürgermeister ins Fahrerhaus steigen und die Bahn vom Potsdamer Platz bis Gesundbrunnen lenken. Eine richtige S-Bahn im richtigen Linienverkehr. Der Zug rollt an. Die S-Bahner klatschen. Klaus Wowereit sagt ausdruckslos: „Mein neuer Beruf“. Er ist jetzt bereits Lobbyist, amerikanischer Vize-Präsident und nun auch noch SBahn-Fahrer. Drei Berufe in drei Wochen. Was er wirklich machen wird, wenn er nicht mehr Bürgermeister ist, sagt er nicht. Im Abgeordnetenhaus liest er Interviews, die er selbst gegeben hat. Das Parlament diskutiert über Wissenschaft in Berlin und Demos gegen Flüchtlingsheime. Klaus Wowereit interessiert sich vor allem für den Aktenkoffer, den ihm ein Bediensteter neben seinen Stuhl gestellt hat. Er zieht die Bunte heraus und blättert so lange darin, bis er gefunden hat, was er sucht. Drei Seiten Wowereit-Gespräch, dazu Fotos mit Benedict XVI., Albert von Monaco und Angela Merkel. Der Papst, der Fürst, die Kanzlerin. Das gefällt ihm. Das muss er seinem Innensenator zeigen. Er lehnt sich zu Klaus Henkel, der neben ihm sitzt. Später kommt noch Michael Müller dazu, Wowereits Nachfolger. Die Männer lachen. Noch drei Wochen. Mit den Abschieden geht es jetzt Schlag auf Schlag. Alles, was Wowereit macht, macht er zum letzten Mal in seiner Funktion als Stadtoberhaupt Das letzte Mal Landesministerkonferenz, das letzte Mal Stiftungstag, das letzte Mal Patenkindertreffen, das letzte Mal Premiere in der Komischen Oper. Nur beim Bundesverdienstkreuz kommt er etwas durcheinander. Eine Woche, nachdem er Judy Winter den Orden überreicht hat, stehen auf einmal auch noch der Präsident der American Academy sowie der Chef des Berliner Einzelhandelverbandes auf der Liste. Der Bürgermeister hat einen neuen Haarschnitt, und vor den Rathausfenstern dreht sich inzwischen das Riesenrad vom Weihnachtsmarkt, sonst ist alles das Gleiche.Wowereit ruft:„Hereinspaziert“, verteilt Orden und gute Worte, am Ende sagt er: „Das ist jetzt meine letzte Bundesverdienstkreuzverleihung“. „Aushändigung“, sagt die Frau vom Protokoll. „Bundesverdienstkreuzaushändigung“, verbessert sich Wowereit. Es ist ein

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Top Unter Wowereit

kam die direkte Demokratie in Berlin in Schwung. Volksbegehren wurden initiiert, gewonnen und verloren, es war eine plebiszitäre Lust.

FLOP Leider verstand es auch keiner besser als Wowereit, das

Volk auszutricksen: mit Terminverlegungen, ungleichen Kampagnen und

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demonstrativer Ignoranz.

Top Klaus Wowereit

konnte reden wie kein anderer in der Stadt: laut, mitreißend, dominant, dynamisch, seinen Gegnern weit voraus.

FLOP Leider war es

mit den Inhalten nicht weit her. Nichts gesprochen außer Sprüchen. Gar nicht gut so.


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Wowereits

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Michael Müller, SPD, geboren 1964, Bausenator 2011 bis 2014. In mindestens zehn von 13 Wowereit-Jahren verfolgte Michael Müller, lange Partei- und Fraktionschef, konsequent drei politische Ziele: 1. Wowereit. 2. Wowereit. 3. Wowereit. Er war sein Vertrauter, Berater, Wahlkämpfer, Fraktionsbefrieder, Parteidompteur. Wowereit hatte ihm die Nachfolge versprochen. Er hat letztlich Wort gehalten.

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Christiane Krajewski, SPD, geboren 1949, war lange Jahre als Chefin verschiedener Ressorts im Saarland tätig. Bis Oskar Lafontaine zurücktrat. Von Juni bis Oktober 2001 gehörte sie als Finanzsenatorin der rotgrünen Übergangsregierung von Wowereit an. Sie befasste sich damals mit der Aufarbeitung der Bankenkrise und forderte einen harten Sparkurs. Nach den Wahlen übernahm diesen Job aber Thilo Sarrazin.

Gisela von der Aue, SPD, geboren 1949, Justizsenatorin 2006 bis 2011. Ein klassisches Beispiel dafür, dass Frauen, die auf den ersten Blick klein und mütterlich wirken, nicht zu unterschätzen sind. So warf sie im Zuge eines Medikamentenskandals im Knast ihren Staatssekretär raus, und führte ihre Verwaltung auch sonst mit Strenge. Das bewahrte sie nicht vor Kritik wegen Suiziden in und Fluchten aus Gefängnissen.

Thilo Sarrazin, SPD, geboren 1945, Finanzsenator 2002 bis 2009. Sarrazin kam als eisenharter Sparer und sanierte mit Wowereit den kaputten Berliner Etat, und zwar auf Kosten des öffentlichen Dienstes, der Infrastrukur – und unter hämischen Sprüchen gegenüber Armen. Spannend wurde es danach: Sarrazin lebte seine Islamverachtung publizistisch voll aus. Und die SPD versuchte vergeblich, ihn aus der Partei zu werfen.

Klaus Wowereit, m

Wer insgesamt vier Landesregierungen angef schon aus politischen Gründen kaum vermeiden. In 13 Jahren verschliss Wo sein Nachfolger Michael Müller (SPD). Manch einer w Wir haben die Damen und Herren mit dem exklusiven Arbeitgeber hier an e beträgt (jeweils zum Ende der Amtszeit unter Wowereit) des scheidenden Senatschefs, Hoffnungsträger und Enttäuschte, Reforme

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Karin Schubert, SPD, geboren 1944, Justizsenatorin 2002 bis 2006. Die Dame hatte bestechende Vorteile, die Klaus Wowereit zu nutzen wusste. Erstens war Schubert resolut im Auftritt (und liberal in ihren Ansichten). Zweitens verfügte sie, im Gegensatz zum Senatschef, über Regierungserfahrung – sogar mit Rot-Rot: Schubert hatte in Sachsen-Anhalt bereits das Kabinett Höppner verstärkt.

DPA (22), GETTY (1), BERLINER ZEITUNG/MIKE FRÖHLING (2), PAULUS PONIZAK (3), MARKUS WÄCHTER (2)

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Peter Strieder, SPD, geboren 1952, Bausenator 1996 bis 2004. Strieder wäre gern selbst Regierender geworden, doch der einstige Parteichef war weder populär noch gab er sich Mühe, es zu werden. So blieb nur die Rolle des Hintergrundstrategen: Strieder nutzte den Bankenskandal 2001, um die CDU loszuwerden. Das gelang. Drei Jahre später trat er im Zuge der Tempodrom-Affäre zurück. Seitdem arbeitet er als Allround-Lobbyist. Im Hintergrund.

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Heidi KnakeWerner, Linke, geboren 1943, Sozialsenatorin 2002 bis 2009. Heidi KnakeWerner war Wowereits Lieblingssozialistin. Die stets geschmackvoll gekleidete Dame, einst DKP-Mitglied, litt fast körperlich unter dem Spardruck der ersten Jahre. Sie kämpfte, oft vergeblich, um jeden Euro für die Armen und Schwachen. Wowereit sah’s mit Sympathie. Und kürzte weiter.

Thomas Heilmann, CDU, geboren 1964, Justizsenator seit Dezember 2011. Heilmann musste für Michael Braun (siehe Nr. 23) einspringen, als dieser unfreiwillig ging. Der multiple Unternehmer (Medien, Energie, Immobilien, Start-ups), der eine moderne CDU repräsentieren möchte, startete einen „Bello-Dialog“ (sic!) mit Hundehaltern und stritt sich bis zur Klageandrohung mit dem scheidenden Finanzsenator Nußbaum (Nr. 19). Wowereit schlichtete gern.

Thomas Flierl, Linkspartei, geboren 1957, Kultursenator 2002 bis 2006. Wenn Knake-Werner (siehe Nr. 12) Wowereits Lieblingssozialistin war, dann war Flierl das Gegenteil. Der studierte Philosoph nervte ihn mit fremdwortgespickten Schachtelsätzen und wenig ausgeprägter Entscheidungsfreude. Wowereit ließ ihn 2006 fallen, Flierl widmete sich hernach erfolgreich und intensiv seiner Leidenschaft, der Architektur und Stadtentwicklung im Osten Deutschlands.

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Juliane Freifrau von Friesen, parteilos, 1950 geboren, von Juni 2001 bis Januar 2002 im Namen der Grünen Senatorin für Wirtschaft und Technologie. Die wenigen Monate im rot-grünen Übergangssenat ließen kaum Zeit für Profilierung. Was sie mit mehr Zeit vielleicht im Senat hätte leisten können, zeigte sich später. Sie bekam 2011 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für ihre Arbeit zur Verbesserung der Situation von Frauen in der Wirtschaft.

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Harald Wolf, Linke, geboren 1956, Wirtschaftssenator 2002 bis 2011. Ein Sozialist als Wirtschaftssenator! Nach anfänglicher Schnappatmung beruhigten sich die Berliner Wirtschaftsvertreter wieder, als Wolf, ex-grüner West-Import der Linkspartei, sein Amt mit paraphlegmatischer Gründlichkeit ausfüllte. Wolf sorgte für Ordnung im Beteiligungsdschungel und schuf die Basis für Wachstum. Als die Ernte anstand, verlor er die Wahl.

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Carola Bluhm, Linke, geboren 1962, Sozialsenatorin 2009 bis 2011. Bluhm hatte schon in den 90ern mit Harald Wolf (siehe Nr. 16) eine rotrote Landesregierung ins Auge gefasst. Jetzt musste sie auch mitmachen, obwohl das Senatorindasein spürbar nicht ihr Lieblingsjob war. Bluhm kämpfte für öffentlich geförderte Beschäftigung und gegen Sanktionen bei Hartz IV. Ersteres wurde später abgeschafft, Letzteres blieb.

Gregor Gysi, Linke, geboren 1948, Wirtschaftssenator vom 17. Januar bis 31. Juli 2002. Galt als einer der Architekten von Rot-Rot. Eigentlich wollte er Kultursenator werden, daraus wurde nichts. Wowereit überredete ihn, das Ressort Wirtschaft, Arbeit und Frauen zu übernehmen. Wirklich wohl fühlte er sich auf dem Posten nicht. Gysi sah sich eher in der Bundespolitik. Im Zuge einer Bonusmeilen-Affäre trat er flugs zurück.

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Ulrich Nußbaum, parteilos, geboren 1957, Finanzsenator von 2009 bis 2014. Wowereit lockte ihn persönlich von Bremen nach Berlin. Nußbaum, ein erfolgreicher Unternehmer, demonstrierte stets seine Unabhängigkeit. Er sah sich nur seinem Regierenden verpflichtet, Respekt vor anderen Führungskräften war ihm fremd. Dass er mit Wowereit gemeinsam zurücktrat, gilt als konsequent. Als oberster Kassenwart war er erfolgreich.

Sand res, ren 1970, S Bildung und schaft seit E Dass Wower noch recht u Abgeordnete nat aufrücke überraschte allem die Wi schaftsszen te, sie glaub dass Schee Aufgabe gew sei. Doch sie petente Sta re an ihre Se zeigt sich he strebig und zungsfähig.


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Donnerstag, 11. Dezember 2014

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s Abschied

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mein Arbeitgeber

führt hat, kann eine hohe Personalfluktuation owereit 29 Senatsmitglieder – immerhin sechs der acht aktuellen übernimmt war nur ein paar Tage im Amt, andere zehn Jahre lang. einen Tisch geholt. Fast genau die Hälfte sind Frauen, das Durchschnittsalter 54 Jahre. Unter ihnen sind Freunde und Lieblingsfeinde er und Zauderer, Aufschneider und Langweiler, Empörte und Empörende.

Klaus Böger, SPD, geboren 1945, Bildungssenator 1999 bis 2006. Bögers Beginn trägt leicht tragische Züge: Er hielt in den für die SPD schweren 90ern stets die Nelke hoch, scheiterte aber mit dem Plan, Spitzenkandidat zu werden. Als Bildungssenator bastelte er die erste größere Schulreform nach Pisa und stoppte die Lehrer-Verbeamtung. Heute kämpft er als Chef des Landesportbunds pro Olympia in Berlin.

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Ehrhart Körting, SPD, geboren 1942, erst Senator für Justiz von 1997 bis 1999, dann Innensenator 2001 bis 2011. „Zwerg Allwissend“ nannten sie ihn im Senat: Der geschätzte ExVerfassungsrichter bot gern überall ungefragt sein umfangreiches Wissen an, brillierte aber auch mit souveräner Amtsführung. Gelegentlich geriet ihm diese Kunst außer Kontrolle, etwa, als er dazu riet, Arabisch sprechende Menschen den Behörden zu melden.

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Sybille von Obernitz, parteilos, geboren 1962, Senatorin für Wirtschaft und Forschung von Ende 2011 bis September 2012. Man kann diese kurze Episode so zusammenfassen: Die Industrieund Handelskammer (IHK) wollte die Senatorin schnell wieder loswerden, und CDU-Chef Frank Henkel tat nichts dagegen. Sie stürzte über eine formal unsaubere Stellenbesetzung bei der Messe Berlin.

Katrin Lompscher, Linkspartei, geboren 1962, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz von 2006 bis 2011. Eine berlinernde Stoikerin, die das von ihr für richtig Erkannte gegen massive Proteste durchzog: Umweltzone, Rauchverbot (obwohl selbst Raucherin). Bei ihrem scharfen Klimaschutzgesetz klappte das mangels Diplomatie aber nicht. Lompschers Entwurf zerschellte an der SPD.

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Gabriele Schöttler, SPD, geboren 1953, war ab 1999, also in der letzten Phase der großen Koalition unter CDUSenatschef Eberhard Diepgen, für Arbeit und Frauen zuständig. Sie blieb auf diesem Posten, als die SPD 2001 Diepgen stürzte und mit den Grünen eine Übergangsregierung bildete. Nach den Neuwahlen am 21. Oktober 2001 schied sie aus dem Senat aus.

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Mario Czaja, CDU, geboren 1975, Senator für Gesundheit und Soziales seit Ende 2011. Er gilt als größtes Talent in der CDU, sein smartes Auftreten bescherte ihm den Beinamen Sunnyboy. Eigentlich wollte er sich vor allem um Gesundheitsthemen kümmern, doch die Flüchtlingszahlen bescherten ihm eine andere Hauptaufgabe: Unterkünfte suchen. Mit Wowereits Nachfolger Michael Müller kann er gut, heißt es.

Adrienne Göhler, parteilos, 1955 geboren, war von Juni 2001 bis Januar 2002 Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur - damals alles Bereiche mit höchstem Spardruck. Die von den Grünen aufgestellte, in Hamburger Universitätskämpfen gestählte Senatorin arrangierte mit wütenden Berliner Uni-Chefs Hochschulverträge und berief viele Frauen auf Professuren. Später leitete sie den Hauptstadtkulturfonds.

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Michael Braun, CDU, geboren 1956, hält den Rekord im Kurzzeitregieren. Ganze zwölf Tage, vom 1. bis 12. Dezember 2011, war er im Senat für Justiz und Verbraucherschutz zuständig, dann trat er zurück. Praktisch zeitgleich mit seiner Vereidigung brandete Kritik auf, wonach er als Notar an dubiosen Geschäften mit sogenannten Schrottimmobilien beteiligt gewesen sei, was er zurückwies. Zwei Verfahren gegen ihn wurden später eingestellt.

Dilek Kolat, SPD, geboren 1967, Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration seit Ende 2011. Wowereit wollte lieber, dass sie Fraktionschefin wird, doch Kolat wollte in den Senat. Gerne als Ressortchefin für Finanzen, doch da saß ja Nußbaum. Nach Wowereits Rücktritt unternahm sie einen neuen Versuch. Es klappte wieder nicht. Dafür wird sie jetzt Bürgermeisterin, also eine der Stellvertreter von Michael Müller.

Ingeborg Junge-Reyer, SPD, geboren 1946, Senatorin für Stadtentwicklung von 2006–2011. Die stets akkurat formulierende gelernte Kameralistin trägt erheblichen Anteil an der Berliner Wohnungsmisere. Als Mieter sich längst in langen Schlangen vor den Maklern balgten, verkündete die Senatorin unverdrossen, es gebe genug Wohnraum. Aber eben kein Grundrecht auf eine Altbauwohnung im S-Bahnring.

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Wolfgang Wieland, Grüne, geboren 1948, im kurzen Übergangssenat (zweites Halbjahr 2001) zuständig für Justiz. Wieland war der einzige Grüne, der je direkt unter Wowereit gearbeitet hat. Die beiden anderen Senatsposten, die die Grünen besetzten, gingen an Parteilose: Adrienne Goehler und Juliane von Friesen. Von 2005 bis 2013 machte Wieland, ein hervorragender Redner, sich im Bundestag als Innenpolitiker einen Namen.

Jürgen Zöllner, SPD, geboren 1945, Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung von 2006 bis 2011. Der Fliegenträger war einer dieser typischen Wowereit-Importe, in Rheinland-Pfalz hatte sich der frühere Professor für Physiologische Chemie als Reformer profiliert. Prägend für seine Berliner Zeit waren sein Einsatz für Unis und Spitzenforschung sowie eine große Strukturreform: die Abschaffung der Hauptschule.

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Cornelia Yzer, CDU, geboren 1961, Senatorin für Wirtschaft, Forschung und Technologie seit 2012. Als frühere Pharma-Lobbyistin ging ihr kein guter Ruf voraus, als sie ad hoc die zurückgetretene Sybille von Obernitz im Amt ablöste. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht mindestens ein Start-up besucht. Yzer ist ein CDU-Bollwerk gegen Rekommunalisierung. Der Staat habe nicht die Aufgabe, Unternehmer zu sein.

Frank Henkel, CDU, geboren 1963, Senator für Inneres und Sport seit Ende 2011. Der CDU-Chef hatte nicht damit gerechnet, dass seine Partei wieder in den Senat kommt. Doch die Gespräche zwischen SPD und Grünen platzten, plötzlich war Henkel gefordert. Wowereit und er galten anfangs als Zwillingspärchen, als Fundament für RotSchwarz. Am Ende war das Klima abgekühlt, als engagierter Macher gilt Henkel nicht.

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BERLINER-ZEITUNG.DE Der Abschied von Klaus Wowereit und die Wahl seines Nachfolgers - Donnerstag ab 9 Uhr bei uns im Liveticker unter www.berliner-zeitung.de/wowereit


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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014

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Wowereits Abschied

war ein Arbeitstier – was immer noch nicht alle wissen. Er las alle Zeitungen, alle Akten, alle Vorlagen. Er brauchte kaum Schlaf und brachte andere um den ihren.

FLOP Leider gelang

es ihm nicht, das Party-Image loszuwerden. Ein paar unvorsichtige Fotos zu viel, und das Etikett klebte an ihm und Berlin.

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Top Flughäfen eröffnen war nicht so seins, aber

Flughäfen schließen konnte Wowereit. Und schenkte Berlin die Tempelhofer Freiheit.

FLOP Leider kommt

das BER-Desaster die Hauptstadt deutlich teurer zu stehen als das Tempelhofer Feld Spaß macht. Aber wird schon.

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Top Ach, der Jörn.

Was für ein wohlerzogener, sympathischer

First Husband. Wowereit nahm seinen Partner manchmal mit. Es waren meist die besseren Abende.

FLOP Leider blieb Jörn

noch öfter zu Hause. Und Wowereits Zunge dann in Desirée Nicks Gesicht stecken.

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Top Klaus Wowereit

Der selbst ernannte Kultursenator

Warum musste Klaus Wowereit auch noch zeitraubend diesen Job machen? Weil er es wollte V ON B IRGIT W ALTER

N

ach dreißig Minuten werden die Lider schwer, die Konzentration kippt in den Dös-Modus, die beiden Stunden schleichen wie sechs. Die Abgeordneten halten sich mit Schwatzen, Lesen, Surfen und Kaffeetrinken wach. Im Kulturausschuss wird selten leidenschaftlich gestritten, meist stoisch angehört. Subventionsempfänger erklären, warum ihr Geld nicht reicht. Unvergessen, wie jüngst die Vertreterin des Literaturhauses LesArt mit Grabesstimme klagt, dass sie ihre Lesungen für Kinder nicht von einem Konzerthaus-Cellisten begleiten lassen kann: zu teuer. Nein nein, Musik von CD sei kein Ersatz, Kinder sollten hören, wie es ist, wenn durch die offene Tür im Nebenraum ein Cello klingt. Sie erklärt, dass ihr Haus für einen winzigen Kreis von Kindern nicht „einfache Lesungen“ biete, sondern „dem Dazwischen und Dahinter nachspüre“, will 460 000 statt 360 000 Euro im Jahr vom Staat. Sie redet und redet. Presseleute schweigen, wenn Parlamentarier tagen. Sie dürfen nicht dazwischenrufen: Nehmt diesem verstiegenen elitären Haufen sofort das Geld weg und gebt es einem der lebendigen Literaturhäuser! Klaus Wowereit erlebte zahllose Kulturausschüsse dieser Art, seit er ab 2006 nicht nur Regierender Bürgermeister war, sondern auch Kultursenator. Ertrug klaglos Anhörungen, betrachtete häufige Anwesenheit als Pflicht. Hatte er nicht eine Riesenstadt zu regieren? Kontrolleure von Entrauchungsanlagen zu überwachen? Warum überhaupt dieses Doppelamt? Klaus Wowereit versteht mehr von Kulturpolitik als jeder andere Berliner Politiker. Lange bevor er 2001 Regierungschef wurde, brachte er als Parlamentarier harsch den

Theater-Ausschuss in Schwung. Drohte mit noch diesen Senator, dem er nie vertraute. Haushaltssperren, sollte der Kultursenator Gleich nach seiner ersten Amtszeit 2006 weiter leichtfertig den Schuldenstand der schaffte Wowereit ihn ab. Änderte dazu die Stadt erhöhen. Bezeichnete Operninten- Ressortzuschnitte im Senat und übernahm danten als Fehlbesetzung, solange sie Ma- die Kultur selbst. André Schmitz, als Kulturnager-Aufgaben ablehnten. Setzte sich staatssekretär bald mit dem zugehörigen durch. Das war eine Zeit, in der Intendanten Tagesgeschäft betraut, hielt die Idee zuihre Etats locker um mittlere Millionenbe- nächst für absurd; später fand er die Konträge überzogen und stillschweigend Aus- struktion sehr geglückt. gleich vom Steuerzahler erwarTatsächlich änderte Woteten. Nicht bei Wowereit. Er wereit als Senator seine Straforderte Kostenbewusstsein, tegie, hob sein eigenes SparGayle Tufts glänzte mit Kompetenz in allen diktat in der Kultur auf, erwarf sich Haushaltsfragen und behielt klärte sie zum Wachstumsnieder und bis zum heutigen Tag jede vermotor und erhöhte nun alle sang dammte Zahl im Kopf. Er blieb Jahre den Etat. So ein Status schluchzend: viel mehr ein aktenfressender Quo lässt sich gar nicht hoch preußischer Arbeiter als er je genug schätzen in Zeiten von We love you, Partymeister sein konnte. Orchester- und TheaterKlaus, Wowereit begann seine schließungen anderswo. Aber can’t live erste Regierungszeit mit einem mit weitsichtiger, zukunftsfäwithout you. Sparprogramm und verhiger oder gar gerechter Kulschonte auch den Kulturetat turpolitik hat das nichts zu nicht. Erinnerte daran, dass tun. In der Bilanz darf man nicht nur etablierte Kulturinstitutionen, Wowereit eine kluge, gut beratene Personalsondern auch die freie Szene zum Ruhm der politik attestieren. Aber sonst? Über die ZuStadt beitragen. Er und seine Partei waren kunft von Kulturforum und Humboldt-Fobereit, die Deutsche Oper zu opfern. Dass es rum versucht Berlin nicht mitzureden, anders kam, verdankt die größte Berliner überlässt das ganz dem Bund. Und alles, Oper allein Thomas Flierl, Linke, erster Kul- was die Kulturpolitik an Neuem anpackte, tursenator unter Wowereit. Er stellte die drei lief schief, aber richtig. Opern unter ein Stiftungsdach, legte die Die Idee einer Kunsthalle verbaten sich Tanzcompagnien zu einem Staatsballett zu- die Künstler, so ein Geschenk wollten sie sammen und die verzweigten Werkstätten nicht. Die neue Landesbibliothek auf dem zu einem hochmodernen Bühnenservice. Tempelhofer Feld wählten die Bürger ab. Die Opern ächzten, es gab Widerstände und Die Sanierung der Staatsoper erweist sich Kräche, aber ohne neue Struktur wären alle als Planungsdesaster und dauert bei galopKosten explodiert. Die Opernreform blieb pierenden Kosten doppelt so lange. Das bis heute die einzige in die Zukunft wei- neue Gebäude der staatlichen Schauspielsende Reform in der Berliner Kultur seit schule würde nach einem Jahrzehnt heute dem Mauerfall. noch in Entwurfsstadien dümpeln, hätten War Wowereit dankbar? Keine Sekunde. die Studenten den Bau nicht auf der Straße Er konnte weder die rettende Stiftung leiden erzwungen. Selbst die Bettensteuer, der Kul-

tur und dem Tourismus zur Hälfte fest versprochen, erwies sich als brutale Täuschung der ganzen Branche. Von neuer Verteilungsgerechtigkeit nicht zu reden – die knapp 400 Millionen Euro Kulturetat fließen noch immer fast nur in die großen Institutionen. Spitzenverdiener in hochsubventionierten Häusern streiken bisweilen für noch mehr Geld, freie Künstler mit ihren Hungergagen sehen es fassungslos. Aber warum sollte es in der regionalen Kulturpolitik anders zugehen als in der Bundespolitik? In Berlin laufen die Dinge einfach weiter wie immer. Davon geht die Welt nicht unter, aber sie verändert sich still. Die Gentrifizierung zerstört alte Kunstorte, Klubs, Ateliers. Die Politik unternimmt keine Anstrengungen, die Szenen von Künstlern in der Stadt zu halten, dem Mangel an Räumen und steigenden Mieten zu begegnen. Ab einem bestimmten Level ist Armut nicht mehr sexy. Seine wahnsinnige Anziehungskraft aber holt Berlin aus dieser Mischung, prekärem Charme und kulturellem Reichtum. Das Tipi am Kanzleramt veranstaltete vor ein paar Tagen eine Abschiedsparty für Wowereit, bei der ihn Künstler, insbesondere die queere Szene, pries wie einen Popstar. Gayle Tufts warf sich nieder und sang schluchzend: We love you, Klaus, can’t live without you. Nie würde sie als „Kleinkünstlerin“ mit dem New Yorker Mayor befreundet sein und ihn auf die Bühne zum Tanz bitten können, aber mit dem Berliner, da ginge das. Tipi-Chef Holger Klotzbach: „Du hast geackert für diese Stadt. Hast Liebe, Toleranz, Offenheit und die ganze Welt hierher gebracht. Das hat sie verändert.“ Und genau das macht den Abschied von diesem Regierenden so schwer, nicht der Verlust eines Kultursenators. Für die Zukunft übrigens empfiehlt Klaus Wowereit, das Amt gefälligst wieder eigenständig zu führen.

Und das war auch gut so Wowereits Coming-out markierte eine Zeitenwende. Und es machte ihn nicht nur bei Schwulen und Lesben beliebt V ON E LMAR K RAUSHAAR

S

onnabend, 16. Juni 2001, Tausende drängen sich durch Schönebergs Motzstraße, es ist wieder einmal lesbisch-schwules Stadtfest. Und alle haben an diesem Tag nur ein Thema: Klaus Wowereit. Es ist gerade mal fünf Tage her, dass der SPD-Politiker auf einem Landesparteitag verkündete: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Genossen.“ Und es sind gerade mal ein paar Stunden vergangen an diesem Sonnabend, dass Klaus Wowereit zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt wurde. Ein Schwuler wird neuer Regierungschef! Einer von uns, quasi! Die Stadtfestbesucher können es immer noch nicht ganz glauben. Niemand hatte sie darauf vorbereitet. Denn wer ist Klaus Wowereit? Schwulenpolitisch hatte man noch nie von ihm gehört. Und ob er sich in der Szene bewegte? Nichts Genaues weiß man nicht. Aber eines wünschen sich jetzt alle: Unser neuer Bürgermeister muss sich am Sonnabend drauf auf unserer Parade zeigen, dem CSD. Erstmals wehte dann über dem Roten Rathaus die Regenbogenflagge. Und zum Abschluss des Umzugs darf Wowereit der jubelnden Menge zurufen: „Berlin ist kein Ort der Intoleranz“. Später wird er – noch ganz

ungelenk in der neuen Rolle – abgelichtet ten Geist, der sie begleitet beim nächsten mit Fräulein Kaiserin, der Miss CSD 2001. historischen Ereignis in diesem Jahr 2001, Der Durchbruch ist geschafft, schnell und dem 1. August. An diesem Tag wird das einmit medialer Begleitmusik, die lesbisch- geführt, was sich so sperrig „eingetragene schwule Gemeinde hat einen Lebenspartnerschaft“ nennt. All neuen Helden, ein Vorbild, ein jene lesbischen Frauen und role model. Und diesmal ein seschwulen Männer, die sich endriöser Politiker und kein Fernlich auf legalem Weg vom Rande sehkoch, Comedian oder Schlader Gesellschaft wegbewegen gersänger. Der Erste, der selbstwollen hin zur Mitte, haben jetzt bewusst in die Kameras schaute eine Identifikationsfigur an ihrer bei seinem Coming-out, der was Seite, die zu der neuen Umgeriskierte dabei, der einem üblen bung passt. Homosexuelle müsOuting zuvorkam, der sich musen fortan nicht mehr schrill tig zeigte wie vor ihm kein zweisein, nein, sie können auch ihDPA/WOLFGANG KUMM ter prominenter Schwuler in ren gesellschaftlich anerkanndiesem Land. Klaus Wowereit am Mitt- ten Platz finden ohne ihre gänzWowereits „Und das ist auch woch mit Lebenspartner lich unspektakuläre Homosegut so“ macht schnell die Runde, xualität zu verstecken. Jörn Kubicki landesweit, ja weltweit, und Unlängst auf einer Geburtsmarkiert eine Zeitenwende, in vielerlei Hin- tagsparty, ein Berliner Kulturmanager wird sicht. Homosexuelle Politiker können sich 50. Mit dabei die schwule Hauptstadt-Soseitdem auf sein Beispiel beziehen und ciety. Kultur trifft hier auf Politik, im ganz müssen sich nicht mehr verstecken mit Ver- privaten Rahmen. Wowereit ist hier nur weis auf ihre Karriere. Öffentlichkeit und Klaus, und die Gespräche changieren zwiMedien dürfen ihre Schwulenklischees neu schen Tratsch und Debatte, zwischen Small sortieren und eine Variante hinzufügen. Die Talk und alten Erinnerungen. Wieder einEinwohner Berlins stehen zu ihrer viel ge- mal die berüchtigte Homo-Lobby unter priesenen Toleranz, „Wowi“ wird über Jahre sich, mögen die Homohasser argwöhnen hinaus ihr Lieblingspolitiker. Und die Les- und noch einmal all jene auf den Plan rufen, ben und Schwulen haben einen neuen gu- die dem schwulen Bürgermeister bereits

von Beginn an einseitige Klientelpolitik vorgeworfen haben. Wowereit hat nie verlauten lassen, er werde keine „Schwulenpolitik“ machen. Nein, er war immer dabei, wenn es auch um die Belange von homosexuellen Frauen und Männern ging, und hat seine Kenntnis eingebracht, wo und wann es notwendig war. In der Aids-Politik, bei Projekten der lesbisch-schwulen Gemeinde, bei Fällen von Diskriminierung und Homophobie, bei Gleichstellungsinitiativen im Bundesrat. Er hat das äußerst vielfältige homosexuelle Leben der Hauptstadt aus der Subkultur heraus ins Licht gerückt und als ernst zu nehmenden Faktor etabliert, nicht nur für den Tourismus. Das sind Erfolge, die ihm niemand nehmen kann. Und doch fällt Wowereits schwule Bilanz dann eher nüchtern aus: „Wir sind nicht so tolerant, wie wir immer alle bekunden“, sagt er dem Schwulenmagazin„Männer“:„Es gibt Diskriminierung in Berlin und anderswo. Dagegen müssen wir immer noch ankämpfen.“ Der Dank der lesbisch-schwulen Gemeinde ist ihm gewiss, die „Männer“-Leser wählten Wowereit gerade zum „Mann des Jahres 2014“. Das Schwule Museum zeigt die Ausstellung „Und das war auch gut so – 13 Jahre Klaus Wowereit“. Vertreter des Lesbenund Schwulenverbandes verabschiedeten ihn am Mittwoch im Roten Rathaus.


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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014

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Wowereits Abschied

Hartes Sparen und richtige Schwerpunkte – Tourismus, Informationstechnologien, Gesundheitswirtschaft, Hochschulen. Eine Bilanz mer stur, vor allem gilt er als verlässlich. Das Tarifpaket wurde rund 400 Millionen Euro teurer als geplant. Und nie infrage gestellt. Nach fünf Jahren bestätigten die Wähler Rot-Rot. Sie konnten offenbar damit leben, dass Wowereit der Stadt einen harten Tritt verpasst. Die Botschaft dahinter, nämlich dass die Berliner sich selbst aus dem Sumpf ziehen sollten, kam an. Ohne sein Outing, ohne seine Popularität wäre das vermutlich nicht gelungen. Es war wohl die Mischung, die den Erfolg ausmachte: Ein Schwuler, der mit der PDS ins Bett geht – und nach außen den harten Hund gibt. Schon damals deutete sich an, wie sehr Wowereit die Sparpolitik im Blut steckt. Seine gesamte Regierungszeit über sollte er vor allem aufs Geld schauen, selbst dann noch, als es aufwärtsging und wieder mehr zum Verteilen da war. Kurz nach dem Tarifkonflikt redete Wowereit auf dem VerdiBundeskongress. Er dankte Frank Bsirske, doch anstatt es dabei zu belassen, provozierte er erneut. Wowereit lobte Schröders Agenda 2010 als alternativlos. Die Gewerkschafter pfiffen ihn aus. So pointiert stritt Wowereit nie wieder für die Agenda, aber seine Haltung behielt er. Die zunehmende Armutsgefährdung in Berlin, die wachsende soziale Spaltung der Stadt hat er sicher gesehen. Doch keiner seiner Weggefährten würde je behaupten, er habe das Problem so ernst genommen wie die Etatsanierung. Die ist ja auch leichter steuerbar als das Sozialsystem, man muss nur unnachgiebig bleiben. Einzig die Bildung war Wowereit Milliarden wert.

V ON R EGINE Z YLKA

A

uf den Abschiedsfeiern für Klaus Wowereit lag Wehmut in der Luft. Die Partygäste knuddelten ihren Wowi-Bär, als wollten sie ihn nie mehr loslassen. Es wird seine Zeit brauchen, bis der Kater verflogen ist. Natürlich sind solche Events nicht dazu da, nachzutreten, aber die Regungen waren echt. Bestimmt. Die Leute schenkten ihm Streicheleinheiten, auch aus dem Gefühl heraus, man könnte ihn wegen des elenden Flughafens allzu heftig gescholten haben. Egal, wer Bilanz zog – der Tenor ähnelte sich. Wowereits Charisma, seine Liberalität und sein Instinkt seien prägend gewesen. Er habe die Stadt hervorragend repräsentiert. Der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er gehöre in die Reihe der großen Bürgermeister, die Berlin hervorgebracht habe. Die Elogen waren schmeichelhaft, auch für die Berliner. Sie hörten sicher gerne, in was für einer wundervollen Stadt sie leben. Wie großartig Berlin sich entwickelt hat in den dreizehneinhalb Jahren, in denen Wowereit im Roten Rathaus saß. Es stimmt ja auch. Die Stadt boomt. Sie ist attraktiv, spannend und wirtschaftlich auf einem vernünftigen Weg. Berlin kommt schon seit ein paar Jahren ohne neue Kredite aus, baut sogar Schulden ab. Wer hätte das gedacht! Nur lieferten die Laudatoren wenig inhaltliche Begründungen. Die reale Politik der Wowereit-Jahre klammerten sie weitgehend aus. Das irritiert. Sollen ihn etwa nur seine Persönlichkeit, sein Stil und sein Outing auf diesen Podest gehoben haben? Wowereit als Mythos? Gut möglich, dass da einige Gläser Sekt zu viel im Spiel waren. Nüchtern betrachtet stellt sich die Frage, ob wirklich so viel Wowereit in dieser Erfolgsstory steckt. Hätte Berlin sich nicht auch ohne ihn positiv entwickelt? Sind Landespolitiker überhaupt in der Lage, diese Stadt zu steuern, zumal auch die Bezirke viel zu sagen haben? Und der Bundestag oder die Bundesregierung Einfluss auf die Entwicklung nehmen? Und Privatinvestoren? Ein Zehntel des großen Puzzles Frank Bsirske kennt sich aus mit solchen Steuerungsproblemen. Vor seiner Zeit als Verdi-Vorsitzender war er mal Dezernent in Hannover. Der Gewerkschaftschef, ein Grüner, fasst die Realität so zusammen: Stellen Sie sich Städte als ein großes Puzzle vor. Von allen Teilen hat die Verwaltung höchstens ein Zehntel in der Hand. Bsirske will damit sagen: Der Handlungsspielraum für Lokalpolitiker ist ernüchternd klein. Dafür wurde viel erreicht in den letzten 13 Jahren. Wowereit verbindet übrigens eine harte Zeit mit Bsirkse, aber dazu später. Für eine politische Bilanz muss man zunächst an das Jahr 2001 erinnern, als er sich ins Rathaus putschte. Ein von der PDS toleriertes rotgrünes Bündnis stürzte den langjährigen Senatschef Eberhard Diepgen. Bei der Neuwahl wenige Monate später sackte die CDU, gefesselt in der Bankenkrise, von 41 auf 24 Prozent ab. SPD und Linke koalierten. Der Aufschrei war gewaltig. Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) weiß es noch genau. Er ist fast so lange im Amt wie Wowereit es war. Die Wirtschaftsleute im Westteil der Stadt lehnten Rot-Rot ab, Wowereit verachteten sie regelrecht. Nicht wegen seiner Homosexualität, das war den meisten egal, glaubt Eder. Aber ein Schwuler, der mit der PDS ins Bett geht? So viel Toleranz brachten die Konservativen dann doch nicht auf. Gero Neugebauer muss kichern, wenn er an die Zeit zurückdenkt. Diesen Hass gab es

Türen öffneten sich im Ausland

BERLINER ZEITUNG/MIKE FRÖHLING

Gemeinsame Sache. Wowereit und Gregor Gysi , der kurzzeitig sein Wirtschaftssenator war.

auch in Westdeutschland, sagt der Politologe. Neugebauer kam in den 1960er Jahren zum Studieren nach Berlin, er ist ein gefragter SPD- und Linken-Experte. Ihn freut es bis heute, wie Wowereit hier durchlüftete, wie er es nennt. Seiner Überzeugung nach wurde die Ost-Berliner Gesellschaft mit Hilfe von Rot-Rot besser in die Stadt integriert. „Die alte Haltung, man sei Bürger zweiter Klasse, gibt es heute kaum noch“, sagt Neugebauer. Wowereit selber stellt das Zusammengehen mit der PDS immer als Befreiungsschlag dar, als einzigen Weg, um die SPD aus der lähmenden Koalition mit der CDU zu lösen. Außerdem sei es darum gegangen, den Bürgerwillen im Osten nicht mehr einfach auszublenden. In manchen Berliner Wahlkreisen kam die PDS damals auf 70 Prozent. Zehn Jahre Rot-Rot, behauptet Wowereit, hätten Berlin zusammenwachsen lassen. Neugebauer lässt das Eigenlob gelten, „zusammenwachsen“ klingt ihm aber zu niedlich. Als hätten die Familien eines OstWest-Pärchens sich einfach daran gewöhnt, gemeinsam Weihnachten zu verbringen. Der Parteienforscher hält den Schritt von damals für kühle Strategie. „Wowereit hat der Linken die Legitimation geraubt, reine Ost-Interessen zu vertreten“, sagt Neugebauer. Von da musste die Partei gesamtstädtisch denken. Sie musste mitmachen und Verantwortung tragen. Es war ja auch klar, was Rot-Rot vor sich hatte: unbequeme Sanierungsarbeit. Oder wie Frank Bsirske sagt: Wowereit trat 2001 die Flucht nach vorne an. Die Stadt war handlungsunfähig. Berlins Steuereinnahmen flossen komplett in den

öffentlichen Dienst. Die Subventionen, mit denen die Frontstadt während der Teilung am Leben erhalten wurde, hatte der Bund Anfang der 1990er Jahre gestrichen. Der Senat war auf der Doppelstruktur aus zwei Systemen sitzen geblieben, gegen die Finanzprobleme taten CDU und SPD wenig. Sie privatisierten die Gasag und die Bewag, aber den Öffentlichen Dienst tasteten sie nicht an. Und mit der Bankenkrise kündigte sich ein neues Milliardenproblem an. In seiner ersten Rede als Senatschef forderte Wowereit einen Kurswechsel. Bund und Länder erwarteten, „dass wir uns von der Versorgungsmentalität der Vergangenheit verabschieden“, sagte er. SPD und Linke sanierten die Landesbank. Sie konstruierten die bundesweit erste, viel beachtete „badbank“, um die Risiken loszuwerden. Sie operierten rund zwei Milliarden Euro aus dem Landesetat heraus. Sie verschlankten Strukturen, kürzten Sozialleistungen, strichen die Förderung für den sozialen Wohnungsbau, verkauften die GSW. Verdi lief Sturm gegen Einsparungen Vor allem aber wollten sie drastisch Personalkosten einsparen. Die Landes-Beschäftigten sollten auf zwölf Prozent ihres Gehalts verzichten. Bsirske spricht noch heute von einer sehr zugespitzten Situation. Berlin trat aus den Arbeitgeberverbänden aus, Verdi lief Sturm. Noch nie habe man ein solches Diktat erlebt. Wowereit traf sich dann mehrfach mit Bsirkse, unter vier Augen. Der Gewerkschafter weiß noch genau, wie gut sein Gegenüber eingearbeitet war. Und wie verhandlungsbereit.Wowereit war nicht im-

Schröders Politik belastete Rot-Rot enorm, bis weit in die zweite Wahlperiode hinein. Die strategische Gemeinsamkeit von SPD und Linkspartei half jedoch darüber hinweg: „Wir wollten in der Stadt aufräumen und das Primat der Politik zurückgewinnen“, sagt Linken-Fraktionschef Udo Wolf. Dass das gelungen ist, darauf sei er megastolz. Er kenne niemanden in seiner Partei, der sich überWowereits Rücktritt freue.„Wir sind bis heute dankbar, dass er das mit uns gemacht hat“, sagt Wolf. Die Betonung liegt auf „mit UNS“. Für einen, der trotz der Erfolge 2011 abgewählt wurde und jetzt in der Opposition sitzt, ist ein solches Lob keine Selbstverständlichkeit. IHK-Geschäftsführer Eder hätte ebenfalls noch ein paar Jahre mit Wowereit leben können. Er habe die Stadt vorangebracht, auch dank Wirtschaftssenator Harald Wolf. Der Aufschwung seit 2007 sei nicht von alleine passiert oder nur auf Außeneinflüsse zurückzuführen. Rot-Rot habe die Struktur der Wirtschaftsförderung reformiert und die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Tourismus, Informationstechnologien, Gesundheitswirtschaft, Hochschulen. Vielleicht lobt Eder Rot-Rot ja auch deshalb, weil er von der CDU, die Wowereit vor drei Jahren in den Senat holte, so enttäuscht ist. Oder weil er mit Wowereit öfter ins Ausland reisen durfte, als Mitglied von Wirtschaftsdelegationen. „Wowereit ist tatsächlich berühmt“, sagt Eder. „Egal, wo wir hinkamen – für ihn öffneten sich Türen, die sonst nur Kanzlern geöffnet werden.“ Geschäftlich habe das der Stadt genutzt. Und das Flughafendesaster? „Das interessiert im Ausland niemanden.“ In Berlin interessiert das schon eher, aber es ist längst nicht geklärt, welchen Anteil Wowereit an dem Desaster faktisch trägt. Martin Delius von den Piraten hat ja recht, wenn er sagt: „Klaus Wowereit, wir sehen uns im Untersuchungsausschuss wieder.“

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Die Roten haben die Stadt aufgeräumt

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TOP Wenn einer was fürs Image der Hauptstadt tat, dann Wowereit.

Lässig, schnoddrig, knorke. Danke!

FLOP Leider hat dieselbe

Hauptstadt die schlimmste Imagekampagne der Erde: „Be Berlin“,

Sprachpanscher des Jahres 2008. Disgusting!

Top „Men’s Health“

wählte Wowereit mehrfach

auf die vordersten Plätze als bestangezogener Mann, Kategorie Business.

FLOP Leider hielten seine Tischmanieren nicht mit der Qualität der Anzüge stand.

Ellenbogen, Ellenbogen, sei doch nicht so ungezogen!

Top Der Bankenskandal brachte Wowereit 2001 an

die Macht. Er wickelte die Bad Bank dann erfolgreich ab.

FLOP Leider wurde

dabei die Mitverantwortung der SPD komplett unterschlagen.

Top Wowereit war 2002

der Star der besten Show ever

im Bundesrat – als Roland Koch beim Zuwanderungsgesetz Theater spielte.

FLOP Leider fand das

Verfassungsgericht das Stück öde.


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Berliner Zeitung · Nummer 289 · Donnerstag, 11. Dezember 2014

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Wowereits Abschied

Einblick: In einer Abschiedsrede vor Genossen zitiert Klaus Wowereit Sinatras „I did it my way“ und Edith Piafs „Ich bereue nichts“. Dann sagt er „Tschüss“. Es folgen fünf Minuten Standing Ovation.

Zwischen Kiez und Welt

Berliner Bürgermeister hatten zu allen Zeiten eine besondere Herausforderung zu meistern V ON T HOMAS R OGALLA

R

eichen gut 13 Jahre im Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, um von einer Ära Wowereit sprechen zu können? Und wird man in zehn oder zwanzig Jahren Klaus Wowereit in einem Atemzug nennen mit seinen sozialdemokratischen Amtsvorgängern Ernst Reuter oder Willy Brandt? Die Geschichte wird es weisen, wahrscheinlich ist es nicht. Was unbedingt mit den Zeiten, nicht unbedingt mit den Absichten des Amtsinhabers zu tun hat. Heute streben die Besucher aus allen Völkern der Welt nach Berlin, woran Klaus Wowereit, der das Image des weltoffenen Berlin entscheidend prägte, seinen Anteil hat. Dass er Berlin in seiner Amtszeit als „arm, aber sexy“ einstufte, wiegt im Zitatebestand der Stadt jedoch deutlich leichter als etwa der eindringliche Appell von Ernst Reuter, den er 1948 während der von den Sowjets verhängten Blockade West-Berlins an „die Völker der Welt“ richtete: „Dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt“. Es war die Ära des Kalten Kriegs nach 1945. Niemand wusste, ob aus dem kalten ein heißer Krieg würde. Berlin war auch nach 1945 Teil der Weltgeschichte, und das stellte besondere Anforderungen an die Bürgermeister. Wegen der alliierten Oberaufsicht über die Stadt waren die politischen Spielräume begrenzt, besonders im Ostteil. Die Oberbürgermeister dort standen, wie der letzte OB Erhard Krack nach dem Ende der DDR berichtete, unter scharfer Kontrolle des ZK der SED, eigenmächtige Kontakte zum Senat im Westtteil waren strikt untersagt. Für West-Berlin charakterisierte Klaus Schütz (SPD), von 1967–1977 Regierender Bürgermeister, die Rolle des Regierenden als schwieriges Amt, weil es so viele Sachen gleichzeitig forderte. „Er war ebenso mit der ,großen Politik‘ befasst wie, sagen wir, mit einem Streit um die Müllabfuhr“. Die Regierenden in Berlin, schrieb Schütz, mussten „Persönlichkeiten von nationalem Rang sein“ die sich „in Berlin über das Normalniveau hinausheben“. So wie Ernst Reuter. Und Willy Brandt. Seit 1957 Chef im Rathaus Schöneberg, musste er ohnmächtig erleben, dass USPräsident Kennedy keine Hand gegen den

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Louise Schroeder, SPD, 1887–1957. In der Zeit der Spaltung der Stadt von 1947–1948 zunächst amtierende Oberbürgermeisterin von Groß-Berlin, bis 1951 Bürgermeisterin in West-Berlin. Bisher einzige Frau im Amt.

Ernst Reuter, SPD, 1889–1953. Mitte 1947 zum OB gewählt, von den Sowjets abgelehnt.Ermutigte die West-Berliner während der Blockade 1948–1949. Ab 1951 Regierender Bürgermeister von West-Berlin.

Friedrich Ebert, 1894–1979. Sohn des Ex-Reichspräsidenten, wurde unter der Ägide der SED Ende 1948 zum Oberbürgermeister von „GroßBerlin“, faktisch von Ost-Berlin gewählt. Das ZK-Mitglied war im Amt bis 1967.

Willy Brandt, SPD, 1913–1992. Regierender Bürgermeister von Berlin von 1957–1966. Nach der Teilung der Stadt durch die Mauer entwickelte er sein Konzept einer neuen Ostpolitik, die er als Bundeskanzler ab 1969 umsetzte.

Klaus Schütz , SPD, 1926–2012. Eigentlich Außenpolitiker, schickte ihn Willy Brandt nach West-Berlin, wo er von 1967–1977 Regierender Bürgermeister war. Später ging er als deutscher Botschafter nach Israel.

Eberhard Diepgen, CDU, geb. 1941. Der gebürtige Weddinger schaffte es zwei Mal zum Regierenden: von 1984–1989 in WestBerlin und nach einem rot-grünen Intermezzo als Senatschef der vereinigten Stadt von 1991–2001.

Walter Momper, SPD. geb. 1945. Er regierte mit den Grünen nur kurz von 1989–1991, aber es war die aufregende Zeit des Mauerfalls, die Momper als Mann mit dem rotem Schal bekannt machte. Erneute Kandidaturen schlugen fehl.

Erhard Krack, SED, 1931–2000. Der Ökonom war von 1974–1990 Oberbürgermeister von Ost-Berlin, setzte die Maueröffnung mit um. 1990 trat er zurück, weil er mit zur Fälschung der DDRWahl 1989 angestiftet hatte.

Tino Schwierzina, SPD, 1927–2004. Ost-SPD-Mitbegründer und 1990–1991 frei gewählter Oberbürgermeister von Ost-Berlin, der im „Magisenat“ aus Senat und Magistrat die Vereinigung Berlins vorantrieb.

Mauerbau rührte. Die bittere Einsicht am 13. August 1961, dass gegen die Atommacht UdSSR keine Verbesserungen zu erzielen seien, führte, wie er später schrieb, dazu, „dass die politischen Überlegungen, die man meine Ostpolitik genannt hat, durch

die Erfahrungen dieses Tages wesentlich mitbestimmt worden sind“. Ende 1963 handelte der spätere Bundeskanzler Brandt das erste Passierscheinabkommen mit der DDR-Seite aus. Es folgten die Grundlagenverträge, das Transitabkommen, die Verein-

barung der vier Mächte über Berlin – und damit relative Ruhe für beide Stadtteile, die sich getrennt entwickelten. Auch dazu fand sich das passende Personal, das in Ost-Berlin kaum, in West-Berlin wahl- und skandalbedingt, häufiger wech-

selte. Denn imWestteil entwickelte sich eine unheilige Gemengelage aus Staatsgeld in Milliardenhöhe (die Bonn wegen der politischen Bedeutung Berlins großzügig spendierte) und einem nach außen abgeschlossenen, aus Privat-, Partei-, und Gewerkschaftsinteressen bestehenden Klüngel. Oft angeführt durch mediokres, mitunter korruptes Personal, das sich im Zweifel für Höheres geeignet hielt, es aber nicht war. Das bewahrte Schütz nicht davor, selbst wegen des Bauskandals um den Steglitzer Kreisel und letztlich wegen nicht bezahlter Abgaben seines Innensenators 1977 zurücktreten zu müssen. Sein Nachfolger Dietrich Stobbe erlitt 1981 das gleiche Schicksal wegen des Garski-Skandals und einer zutiefst zerstrittenen SPD. Versuche der Bundesparteien, besseres Personal einzufliegen scheiterten oder währten nur kurz (Richard von Weizsäcker, CDU, Regierender von 1981–84, später Bundespräsident.) Ihm folgte Eberhard Diepgen, unter dem der SPD-Filz durch gleichwertigen CDU-Filz ersetzt wurde: Die Partei hatte Affären um korrupte Baustadträte (Antes-Skandal) aufzuweisen, es ging um windige Parteispenden aus der Baubranche und Verbindungen in die Halbwelt, sogar ein Bordellbesitzer, der wirklich Otto Schwanz hieß, spielte in der christdemokratischen Phase eine Rolle. Daß 1989 Rot-Grün mit Walter Momper (SPD) an die Macht kam, hat auch darin seine Ursache. Die Ära der Vereinigung Berlins stoppte nicht die Auffassung, dass man in Berlin zu Größerem berufen sei. Das führte in der zweiten Amtszeit Diepgens geradewegs in den milliardenschweren Bankenskandal und 2001 Klaus Wowereit ins Rote Rathaus. Dort sparte er („bis es quietscht“) das Geld ein, das er zuvor in der großen Koalition mit ausgegeben hatte. Und er musste am Beispiel des Flughafens BER feststellen, dass er doch nicht die Persönlichkeit ist, „die sich in Berlin über das Normalniveau hinaushebt“. Aber vielleicht wird Wowereit, wenn man in ein Geschichtsbuch des Jahres 2024 blickt, als der Mann beschrieben, der in seiner Ära Berlin verändert hat. Von der gefürchteten deutschen Hauptstadt, wo zwei Kriege, der Holocaust und eine kommunistische Diktatur erdacht und exekutiert wurden, zu einer Stadt von Welt, wo jeder nach seiner Facon selig werden kann.

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