Leben mit Behinderung

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EINE VERLAGSBEILAGE DER BERLINER ZEITUNG

Die Karriere behinderter Kinder: ein Dokumentarfilm.

Hilfe für den Alltag: was Vereine leisten.

Arbeiten mit Handicap: auch für Chefs von Vorteil.


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MONTAG, 2. NOVEMBER 2015 I VERLAGSBEILAGE

Faschingsbunt und wunderbar

Gunther Scholz filmte 1981 in einer Berliner Kita behinderte Kinder. Was aus ihnen geworden ist, zeigt sein neuer Dokumentarfilm

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lka büffelt für ihre Prüfungen, sie möchte Psychotherapeutin werden. Alexander spielt trotz Problemen mit der Schulter Basketball in der ersten Bundesliga. Katrin möchte von Peer ein Kind. Was Menschen eben so tun und sich wünschen mit Mitte, Ende 30. Sie gehen zur Arbeit oder zur Kosmetik. Sie schwimmen, flirten, haben Träume, Ängste, Schmerzen. Ihr Leben ist nichts Besonderes könnte man meinen. Und doch ist jeder von ihnen etwas Besonderes. Dass sie ihre Leben meistern, dass einige von ihnen überhaupt noch am Leben sind, das ist nicht selbstverständlich. Das wird im Laufe des Films „Faschingskinder“ auf ganz subtile und erschütternd schöne Weise klar. Ilka, Alexander und die anderen Porträtierten sind von Geburt an behindert. Manche mehr, manche weniger. Als der Berliner Filmemacher Gunther Scholz seine Protagonisten 1981 das erste Mal traf, waren sie Kinder, zwischen vier und sechs Jahre alt, und feierten Fasching im Kindergarten. Als Käfer, Maler oder Rotkäppchen sind sie da verkleidet. Dass sie körperlich eingeschränkt sind, sieht man in dem sieben Minuten langen Defa-Dokumentarfilm erst spät. „An einem Februarvormittag“ lief damals als Vorfilm einer amerikanischen Kinopremiere und rief beim Publikum starke Reaktionen hervor. Behinderte zeigen, darf man das? Damals, in der DDR, war Inklusion noch ein Fremdwort. Heute, mehr als 30 Jahre später,

GUNTHER SCHOLZ

Ilka und Thomas – sie waren gemeinsam im Kindergarten, nun sind sie verheiratet.

gehört sie zur Political Correctness. Sicher, es hat sich viel verändert, als Gunther Scholz 2013/14 acht der erwachsenen Faschingskinder für ein Wochenende auf dem Land wieder zusammenbringt: Katrin mit den gelähmten Unterschen-

keln arbeitet Vollzeit bei einer Versicherung, der gehbehinderte Daniel bearbeitet Akten in der Arbeitsagentur und wird als Kollege hoch geschätzt. Maryla ist Geschäftsführerin eines Reiseunternehmens. Ilka und Thomas le-

ben zusammen und sind verheiratet. Beim Wiedersehen wird gelacht und auch geweint angesichts der Erlebnisse, die hinter ihnen liegen. In „Faschingskinder“ wird deutlich, wie schwer sich einige Menschen

H A N D I C A P

Mitten im Leben Wohnen

Aktiv

Arbeiten

Wohnheime, Wohngemeinschaften, Betreutes Einzelwohnen oder Wohnverbünde

Kontakt- und Beratungsstellen, Beschäftigungstagesstätten und Zuverdienstwerkstatt

Berufliche Bildung von Handwerk & Medien über Dienstleistungen bis zu Gastronomie & Tourismus

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ich bin dabei

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mit ihren behinderten Mitmenschen tun. Nicht zuletzt die Eltern der Porträtierten. „Ich muss ihn eben so akzeptieren wie er ist“, sagt eine Mutter über ihren Sohn, dessen Behinderung durch Sauerstoffmangel bei der Geburt verursacht wurde. Auch der Vater von Maryla scheint Jahrzehnte gebraucht zu haben, um Stolz auf die Lebensleistung seiner erfolgreichen Tochter empfinden zu können. Dabei glaubten die Ärzte nach ihrer Geburt, sie würde nur sieben Jahre alt werden. Dieses Hadern zu sehen, tut weh. „Faschingskinder“ ist dennoch kein Betroffenheitsfilm. Er bietet viele Gelegenheiten zu schmunzeln. Etwa wenn sich die spastisch gelähmte Andrea beschwert: „Ich bin so klein, ich sehe immer nur Ärsche!“ oder wenn sie mit Blick auf ihren 40. Geburtstag ausruft: „Galgenhumor, den habe ich auch!“ Wunderbar auch die Szene, die sich zwischen Ilka, Thomas und ihrer jungen Betreuerin abspielt: Weil Ilka es zeitlich nicht schafft, bittet sie ihren mehrfach behinderten Mann in die Apotheke zu gehen, um das Rezept für die Antibabypille einzulösen. Der kommt strahlend im Rollstuhl zurück in die gemeinsame Wohnung gerollt. Ilka freut sich: „Den schicke ich jetzt öfter.“ (ass.) Die DVD gibt es beim Kulturverein Weißensee für zehn Euro plus Porto. Tel: 0170/5822381 oder foerderverein@kwei.de www.faschingskinder-film.de

I M

F I L M

Ziemlich beste Freunde: Der vorbestrafte Driss (Omar Sy) wird als Pfleger für den querschnittsgelähmten Millionär Philippe (François Cluzet) eingestellt. Zwischen den völlig verschiedenen Männern entsteht eine Freundschaft. (Frankreich, 2011)

Gottes vergessene Kinder: Der Lehrer James (William Hurt) kommt an eine Taubstummenschule und verliebt sich dort in die gehörlose Putzfrau Sarah (Marlee Matlin). Doch nicht alle sind von diesem Liebesverhältnis begeistert. (USA, 1986)

Verrückt nach Paris: Drei geistig behinderte Menschen wollen unbedingt nach Paris. Sie ziehen los und erleben die unglaublichsten Dinge. Ihr Betreuer reist hinterher um sie zu suchen. (Dtl., 2002)

Erbsen auf halb sechs: Nach einem Unfall erblindet Jakob (Hilmir Snær Guðnason). Lilly, von Geburt blind, (Fritzi Haberlandt) will ihm Mut machen. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise und verlieben sich dabei. (Deutschland, 2003)

Me too: Daniel hat das DownSyndrom. Als er einen Job in Sevilla beginnt, trifft er auf seine unkonventionelle Kollegin Laura. Beide werden Freunde und ziehen dadurch Aufmerksamkeit auf sich. (Spanien, 2009)

The King's Speech: Thronfolger Albert (Colin Firth), ist Stotterer. Mit Hilfe eines Sprachtherapeuten überwindet er sein Handycap. (Australien, 2010)


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Endlich barrierefrei bewegen

Mit der Wheelmap lassen sich deutschlandweit rollstuhlgerechte Orte finden. Das weltweite Mitmach-Projekt nutzt allen

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tellen Sie sich vor, Sie könnten ohne die Hilfe Dritter weder Geschäfte betreten, noch Restaurants, Ämter oder Kinos. Für etwa 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer in Deutschland ist das leider der Alltag. Stufen und andere Hindernisse sind für sie nicht einfach nur lästig, es sind permanente Mahnmale der Ausgrenzung. Wer sich als Rollstuhlfahrer durchs Land bewegt, kann nie sicher sein, ob er die letzen Meter bis zu seinem Ziel auch schafft. Manche Orte verfügen über eine Rampe oder einen Aufzug, viele aber nicht. Raul Krauthausen wollte das nicht länger hinnehmen. Der Berliner Aktivist sitzt selbst im Rollstuhl und kennt die alltäglichen Hindernisfahrten nur zu gut. Bei einem Treffen mit einem Freund beschwerte sich dieser, warum sie sich immer im selben Café treffen müssen. Eine Alternative fiel ihnen adhoc jedoch nicht ein. „In dieser Situation dachte ich, dass doch eine Karte hilfreich wäre, auf der die Rollstuhltauglichkeit von Orten in der Umgebung vermerkt ist“, er-

A P P S

F Ü R

Handicap-Apps: App ist die Kurzform des Wortes Applikation. Gemeint sind Anwendungen für mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets. Sie können über einen in das Betriebssystem integrierten Onlineshop bezogen und direkt installiert werden. Es gibt bereits zahlreiche gute Beispiele für Apps, die für Menschen mit Behinderung im Alltag hilfreich sein können. Hier einige Beispiele: Ariadne GPS: Mit Ariadne GPS kommen sehbehinderte und blinde Menschen besser zurecht. Die App bietet die Möglichkeit, Karten zu nutzen, um damit eine Gegend neu kennenzulernen. Sie kann den aktuellen Standort über den eingebauten GPS-Empfänger ermitteln und sagt bei Berührung an, welche Straßen vor oder hinter der Person liegen. www.ariadnegps.eu VerbaVoice ist ein mobiler TextDolmetschdienst. Gehörlose oder Schwerhörige können den Dienst zuschalten, um sich das vom Gesprächspartner Gesagte in angezeigten und gespeicherten Text übersetzen zu lassen, auch erstellt die App Zusammenfassungen des Gesagten. ww.verbavoiceserver.de

ANDI WEILAND | SOZIALHELDEN E.V.

Komme ich da problemlos rein? Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte und Eltern mit Kinderwagen mögen es stufenlos.

innert sich Raul Krauthausen. Das war die Geburtsstunde von www.wheelmap.org und der dazugehörigen App. Sie macht es möglich, dass die Karte unterwegs bequem über das Smartphone

genutzt werden kann. Kostenlos. Seit fünf Jahren gibt es sie jetzt, die Internet-Karte für rollstuhlgerechte Orte. Anhand der Kennzeichnung per Ampelsystem lässt sich erkennen, ob der Supermarkt oder das

Schwimmbad barrierefrei ist oder nicht. Mehr als 500 000 Cafés, Bibliotheken und viele weitere öffentlich zugängliche Orte sind bereits erfasst. Rollstuhlfahrer können mit Hilfe der Wheelmap ihren Tag bes-

ser planen, Verzögerungen und Enttäuschungen vermeiden. Davon profitieren auch Menschen mit anderen Mobilitätseinschränkungen: Eltern mit Kinderwagen oder alle, die mit Rollatoren, anderen Gehhilfen oder großem Gepäck unterwegs sind. Die Wheelmap wächst. Pro Woche kommen mehr als tausend neue Einträge hinzu. Erzeugt werden sie ehrenamtlich von Frauen, Männern und engagierten Jugendlichen weltweit, denen eines wichtig ist: Jeder soll am öffentlichen Leben teilhaben können. Und zwar immer und überall. Die Wheelmap ist ein Projekt des Sozialhelden e.V., dessen Projekte auf soziale Probleme aufmerksam machen. Angesichts des demographischen Wandels dürfte die Zahl der Menschen, die sich barrierefrei bewegen wollen, zukünftig merklich steigen. Gut, dass es Apps wie Wheelmap gibt. Besser wäre es, diese digitalen Helfer wären gar nicht nötig – wenn Barrierefreiheit der Standard und nicht die Ausnahme wäre. (ass.)

B E H I N D E R T E Grace-App: Die Entwicklung der Grace-App wurde von der Mutter eines Kindes mit Autismus angestoßen. Das Kind erhielt dadurch die Möglichkeit, über angezeigte Bilder zu kommunizieren und seinen Gefühlszustand auszudrücken. Zugleich dient die App zur Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten. Der Benutzer kann dazu angehalten werden, auch auszusprechen, was er mitteilen möchte, wenn er auf ein bestimmtes Bild zeigt. www.autismus-kultur.de Wheelmap möglicht es Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, barrierefreie Orte zu finden. Die Orte auf WheelMap werden von vielen Freiwilligen eingetragen und auf ihre Barrierefreiheit bewertet. Die App bewertet rund 500 000 öffentliche Orte weltweit und ist in 22 Sprachen verfügbar www.wheelmap.org HandicapX: Ähnlich wie bei Wheelmap findet sich in der App HandicapX eine Karte, auf der behindertengerechte Orte eingezeichnet sind. Hierbei handelt es sich jedoch nur um Toiletten – und zwar nur in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz. www.handicapx.com

Erfahren Sie mehr: www.stephanus.org

Wohnangebote für Menschen mit geistiger Behinderung

Markelstraße 24a 12163 Berlin Tel.: (030) 700 96 23-0 Fax: (030) 700 96 23-16

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MONTAG, 2. NOVEMBER 2015 I VERLAGSBEILAGE

S P O R T

BEHINDERTENVERBAND

Der Behindertenverband setzt sich – auch bei Demos – für die Rechte von Menschen mit Behinderung ein.

B E H I N D E R T E N V E R B A N D Der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland steht seit 25 Jahren Menschen mit Behinderung zur Seite. Der Berliner Landesverband BBV ist – ebenso wie die Dachorganisation – unabhängig von politischen oder kirchlichen Einrichtungen. Er versteht sich zudem als behinderungsübergreifende Interessenvertretung: Nach dem Motto „Betroffene beraten Betroffene“ richtet er sich sowohl an Menschen mit körperlicher Behinderung als auch an Menschen mit kognitiven oder anderen Einschränkungen. Der BBV hat zwei Schwerpunkte: Erstens vertritt er die Interessen von Menschen mit Behinderung auf politischer Ebene, in Gremien des Landes Berlin. Dabei will er auf Missstände aufmerksam machen und dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilhaben können. Zweitens bietet der BBV viele Freizeitaktivitäten an. Beim regelmäßig stattfinden Kaffeeklatsch können Interessierte Vereinsmitglieder kennenlernen. Jeder ist eingeladen, unabhängig davon, ob er Mitglied im Verband ist oder nicht. Die Räume, in denen man sich zum Kaffeetrinken trifft, sind barrierefrei erreichbar. Alle zwei Monate lädt der BBV zudem zum Kegeln ins Bürgerzentrum Neukölln. Im kommenden Frühjahr organisiert er eine Reise nach Griechenland: Die Teil-

nehmer werden in barrierefreien Zimmern untergebracht und können unter anderem an einer Klosterbesichtigung und einer Weinprobe teilnehmen. Die Mitgliedschaft im Verband bietet nicht nur die Chance, neue Kontakte zu knüpfen, sondern geht auch mit finanziellen Vorteilen einher. Weil der BBV mit einer Versicherung zusammenarbeitet, können Mitglieder mehrere Versicherungen günstig abschließen. Gegen einen Unkostenbeitrag von 24 Euro besorgt der BBV seinen Mitgliedern zudem den Euro-WC-Schlüssel, mit dem öffentliche Behinderten-Toiletten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zugänglich sind. Ein weiterer Service: Rechtsberatung – exklusiv für BBV-Mitglieder. Seit 1990 gibt der Verband zehnmal jährlich die Berliner Behindertenzeitung (BBZ) heraus. Die Zeitung erscheint in einer Auflage von 10 000 Exemplaren. Neben News aus dem Verband findet man darin Neuigkeiten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, die für Menschen mit Behinderung von besonderem Interesse sind. Aktuell berichtet die BBZ unter anderem über ein Berliner Modellprojekt, das Mädchen und Jungen mit Behinderung besser vor sexueller Gewalt schützen soll. www.bbv-ev.de

Neu in Berlin urg und Brandenb

16 Start März 20

Qualifizierung als Moderator/Moderatorin · Unabhängige Beratung · Befähigung zur Peer-Beratung · 6 Module über 15 Monate Infotag 13.11.2015, 14:00 – 17:00 Uhr Anmeldung: Ursula Hansen info@lebenswert-und-sternstunden.de Telefon: (030) 36 46 08 55 oder (030) 682 81-488 Veranstalter: VfJ Berlin e.V. und Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung e. V.

BEHINDERTEN-SPORTVERBAND BERLIN

Gemei kann man stark

Selbsthilfegruppen Menschen mit Beh

W

er eine Behinderung hat, stützung angewiesen. M mit Behinderung müssen Herausforderungen bewältigen als nungs- und Arbeitsplatzsuche wird muss sorgfältig geplant werden, w taurants in Deutschland noch imm sen sind nur mit großem Aufwand z geistiger Behinderung ist der Allta als für Menschen mit körperlicher behinderte schwertun, sie als gleic Selbsthilfegruppen und Vereine oder geistiger Behinderung dabei, i nisieren und Kontakte zu anderen rung zu knüpfen. „Hilfe zur Selbsthi ordnete Ziel ist immer Inklusion – allgemeinen gesellschaftlichen Leb Vor allem für Menschen, die übe derung konfrontiert werden, sind S erste Anlaufstelle. Wer etwa in F lähmt ist, weiß zunächst meist nich che Einrichtungen und Sozialversic die reinen Fakten, zum Beispiel, wi Verfügung steht oder welches Rolls zahlt. Initiativen wie der Berliner B fenen dagegen bei jenen Fragen zu Wo kann ich barrierefrei einkaufen? Wie finde ich einen rollstuhlgerech Auch Angehörige von Menschen ven Unterstützung. Viele Vereine ric derter Kinder. Vater und Mutter zu derung – noch schwieriger wird es Behinderung zur Welt kommt. Grup sammenfinden, bieten Austausch Vereine leisten wichtige Arbeit für M ren Angehörige. Wir stellen fünf Init

M I G R A

Weiterbildung: Persönliche Zukunftsplanung Ein Lehrgang für Menschen mit und ohne Behinderung

Sport ist Mord? Von wegen. Fragt man den BehindertenSportverband Berlin (BS Berlin), gibt es kaum ein besseres Mittel als Sport, um mit Behinderung ein aktives Leben zu führen. Der Verein fördert seit 1952 den Behindertensport auf allen Ebenen: Er bietet mit seinen Mitgliedsvereinen Gymnastik und Schwimmen zur Rehabilitation an, unterstützt den Breitensport wie Nordic Walking und Rollstuhlbasketball, fördert Leistungssportler und richtet Sportveranstaltungen wie die Internationale Deutsche Meisterschaft im Schwimmen aus. Beim BS Berlin können Menschen mit und ohne Behinderung das Deutsche Sportabzeichen ablegen. Es wird vom Deutschen Olympischen Sportbund verliehen, Aspiranten müssen in mehreren Disziplinen ihre sportlichen Leistungen unter Beweis stellen. Koordination, Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer werden geprüft. Menschen mit Behinderung werden dabei in Gruppen eingeteilt – nach Alter und Beeinträchtigung. www.bsberlin.de

Grenzallee 53 · 12057 Berlin www.vfj-berlin.de

Menschen mit Migrationshintergrund machen in vielen Lebenslagen andere Erfahrungen als Menschen, deren Familien seit Generationen in Deutschland leben. MiNA – Leben in Vielfalt widmet sich speziell der Förderung von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund. Der Verein richtet sich vor allem an Familien, die Kinder mit Behinderungen haben. Er bietet Beratung und Unterstützung – sowohl seelisch als auch konkret, etwa bei Antragsverfahren. MiNA bietet eine Selbsthilfegruppe für Mutter von Kindern mit Behinderung an, lässt aber auch Väter nicht allein: Der Verein unterhält sowohl eine türkisch- als auch eine arabischsprachige Vätergruppe, die sich je zweimal pro Monat treffen. Väter behinderter Kinder sollen sich in den Gruppen austauschen, sie sollen für das Thema Behinderung sensibili-

siert werden, und sie werden dazu ermutigt, eine aktive Rolle bei der Erziehung zu spielen. Damit Väter und Kinder mehr gemeinsam unternehmen, gibt es Exkursionen. Gemeinsam verbrachte Freizeit schweißt zusammen. Der Verein unterhält deshalb einen Garten in Neukölln, in dem sich Familien vom Alltagsstress erholen können. Der Garten verfügt über eine Laube mit Küche. Unter der Leitung einer Theaterpädagogin können Menschen mit und ohne Behinderung zudem einmal pro Woche in den Vereinsräumen Theater spielen. Die Mütter, die im Verein organisiert sind, haben darüber hinaus eine Chorgruppe ins Leben gerufen. Jeden Donnerstag stehen dort türkische Volkslieder und klassische Musik auf dem Plan. www.mina-berlin.eu


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insam n leichter k sein

und Vereine stehen hinderung zur Seite

, ist keineswegs immer auf UnterManchmal aber schon. Menschen n in ihrem Alltag ungleich größere s Nichtbehinderte. Schon die Wohd oft zum Problem. Das Ausgehen weil die meisten Kneipen und Resmer nicht barrierefrei sind. Fernreizu organisieren. Für Menschen mit ag oft noch schwerer zu bewältigen Behinderung, weil sich viele Nichtchberechtigt zu betrachten. e helfen Menschen mit körperlicher ihr Berufs- und Privatleben zu orgaMenschen mit und ohne Behindeilfe“ lautet die Devise. Das übergedie gleichberechtigte Teilhabe am ben. erraschend mit dem Thema BehinSelbsthilfeorganisationen eine gute Folge eines Unfalls querschnittgeht, wie es weitergehen soll. Staatlicherungen informieren oft nur über ie viel Geld für Pflegeleistungen zur stuhlmodell die Krankenkasse beBehindertenverband stehen Betrofur Seite, die im Alltag wichtig sind: ? Welchen Sport kann ich treiben? hten Arbeitsplatz? n mit Behinderung finden in Initiatichten sich speziell an Eltern behinwerden, ist immer eine Herausfors, wenn der Nachwuchs mit einer ppen, in denen sich Betroffene zuund Hilfe. Selbsthilfegruppen und Menschen mit Behinderung und detiativen vor. Julia Groth

E L T E R N Viele Eltern sind verunsichert und überfordert, wenn ihr Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt oder beim Aufwachsen Zeichen einer verlangsamten kognitiven oder motorischen Entwicklung zeigt. „Eltern beraten Eltern“ (EbE) versteht sich als Netzwerk, das Betroffene auffängt und jungen Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtert. EbE vermittelt Kontakte zu anderen Betroffenen und bietet Beratungsgespräche für Eltern behinderter Kinder an. Wer unvermittelt mit dem Thema Behinderung konfrontiert wird, weiß oft nicht, welche Hilfeleistungen ihm zustehen. Auch hier steht das Netzwerk Betroffenen zur Seite: Es informiert über Unterstützungen und hilft bei rechtlichen Fragen. Für junge Menschen mit Behinderung bietet es Informationsund Diskussionsveranstaltungen zum Thema „Alleine Wohnen“ an. Die Jugendgruppe, in der Themen wie Ausbildung und Sexualität diskutiert wurden, ist zurzeit nicht aktiv – es fehlt ein Leiter. www.eltern-beraten-eltern.de

ELTERN BERATEN ELTERN

LEBENSHILFE

Die Lebenshilfe Berlin fördert Menschen mit geistiger Behinderung.

L E B E N S H I L F E Die Lebenshilfe Berlin richtet sich an Menschen mit geistiger Behinderung und deren Angehörige. Ihr Ziel: geistig behinderten Menschen ein möglichst selbständiges Leben zu ermöglichen. Der Verein bietet Fördergruppen und Fortbildungen für mehr Teilhabe am Berufsleben an, organisiert Freizeitangebote und Reisen, unterhält eine integrative Kindertagesstätte und bietet Wohnungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf. In Gruppentreffen können sich Eltern geistig behinderter Kinder austauschen. Die Kinder – und auch ihre nichtbehinderten Geschwister – haben bei Spielenachmittagen, Ausflügen oder Festen die Möglichkeit, Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen. Für Schüler mit Behinderung bietet der Verein eine Ferienbetreuung an. Ein weiteres Angebot für Eltern: Eine gebührenfreie Hotline, unter der sie einen erfahrenen Vater oder eine erfahrene Mutter erreichen, die Fragen zum Alltag mit einem behinderten Kind beantworten. Mit einem Anruf bei der Hotline können sich überforderte Eltern auch einfach ihre Sorgen von der Seele reden. Das Angebot richtet sich vor allem, aber nicht ausschließlich an Eltern von Kindern mit Down-Syndrom. Die Freizeitangebote der Lebenshilfe sind breit gefächert: Im Leseclub können Menschen jeden Alters, mit oder ohne Behin-

derung, gemeinsam Bücher lesen und darüber diskutieren. Lesen zu können, ist dabei keine Voraussetzung. In Freizeitclubs, die unter anderem in Steglitz, Spandau und Wedding stattfinden, wird gemeinsam gebastelt, gekocht, gekegelt, getanzt und ins Kino gegangen. Für Sport-Fans gibt es mehrere Gruppen, in denen man unter anderem schwimmen, Leichtathletik treiben oder Fußball spielen kann. Der Verein richtet zudem mehrmals im Monat Disco-Abende für junge Menschen mit und ohne Behinderung aus. Wer urlaubsreif ist, kann über die Lebenshilfe eine Reise mit Assistenz buchen. An der Nordsee unterhält der Verein sogar ein eigenes Ferienhaus. Die Einrichtungen der Lebenshilfe bekommen Unterstützung von Pflege-Profis. Sie helfen, einen eventuellen Pflegebedarf zu ermitteln, Krankenhausaufenthalte vorzubereiten und den Kontakt zu Ärzten zu halten. Menschen, die wegen einer Behinderung rechtliche Betreuung benötigen, werden bei der Lebenshilfe ebenfalls fündig. Die Organisation hat Betreuer, die sich um all das kümmern, wozu manch einer nicht in der Lage ist: Anträge bei Behörden stellen, Finanzen in Ordnung halten, Wohnungsangelegenheiten regeln, ärztliche Behandlungen organisieren. www.lebenshilfe-berlin.de

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H I L F E

F Ü R

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P F L E G E N D E

Ein Mensch benötigt Pflege, weil er seinen Alltag nicht mehr alleine bewältigen kann – zum Beispiel nach einem Unfall. Auch Krankheit und Alter können einen Menschen stark in seiner Bewegungsfähigkeit einschränken und ihn hilflos machen. Gut, wenn es dann jemanden gibt, der sich kümmert. Und gut, dass der Gesetzgeber auch diese Pflege steuerlich berücksichtigt. Bis zu 924 Euro kann es jährlich als steuerlichen Freibetrag geben Die Voraussetzungen: Bei dem zu Pflegenden muss es sich um einen Angehörigen oder einen nahestehenden Menschen handeln – um Ehepartner, Eltern, auch

Stiefeltern, Kinder oder Geschwister zum Beispiel. Zudem muss die zu pflegende Person hilflos sein, das heißt, im Behindertenausweis muss ein „H“ vermerkt sein. Man muss selbst pflegen, auch wenn man sich helfen lassen kann, in der eigenen oder der Wohnung des zu Pflegenden. Man darf für die Pflegeleistung keine Bezahlung erhalten. Reicht der Pflege-Pauschbetrag nicht aus, kann man die Kosten als außergewöhnliche Belastung beim Finanzamt geltend machen. Das lohnt sich nur, wenn die außergewöhnlichen Belastungen den Pflege-Pauschbetrag auch nach Abzug der zumutbaren Belastungen übersteigen.

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Das Finanzamt hilft

Behinderte Menschen können auf Antrag Steuern sparen

E

in Rollstuhl kostet mitunter so viel wie ein gebrauchtes Auto. Griffe und Einstiegshilfen im Badezimmer, etwa zum Duschen oder für den Toilettengang, sind ebenfalls nicht billig. Und wer zwar laufen kann, aber dafür beispielsweise nicht sehen, der ist auch auf teure Hilfsmittel angewiesen. Nicht immer übernimmt die Krankenkasse die Kosten für solche Dinge. Das Leben mit einer Behinderung ist also nicht nur beschwerlicher, sondern auch teuer. Um zu verhindern, dass Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen in die Armut abrutschen, gewährt der Staat steuerliche Vergünstigungen für außergewöhnliche Belastungen: Zum Beispiel für die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens wie etwa für Rollstühle oder besondere Einrichtungen, für die benötigte Pflege und für einen erhöhten Wäschebedarf. Der Paragraph 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG) regelt die entsprechenden Pauschalbeträge, die vom Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden. Man kann sie aber auch im Jahresausgleich rückwirkend geltend machen. Je nach Grad der Behinderung beträgt der Pauschbetrag zwischen 310 und 1 420 Euro jährlich. Für hilflose oder blinde Menschen liegt die Grenze bei 3 700 Euro im Jahr. Für Behinderte mit einem Grad der Behinderung unter 50 aber von mindestens 25

DPA

Die Anschaffung spezieller Rollstühle kann auch teuer sein.

Prozent gilt der Pauschbetrag nur, wenn sie gleichzeitig gesetzlichen Anspruch auf Rente haben, die Behinderung dazu führt, dass die körperliche Beweglichkeit dauerhaft eingeschränkt ist oder diese von einer Berufskrankheit herrührt. Auch für Kinder gilt der Pauschbetrag. Diesen Freibetrag können Eltern auf Antrag auf sich übertragen lassen, sofern das Kind ihn nicht selbst in Anspruch nimmt. Wenn die typischen Kosten für Hilfsmittel den Pauschbetrag übersteigen, können Steuerpflichtige diese als außergewöhnliche Belastung auch einzeln absetzen. Dafür muss man allerdings sämtliche Belege aufbewahren und beim Finanzamt einreichen. Abgesehen davon gelten bestimmte Belastungen bis zu einer gewissen Grenze als zumutbar.

Was als zumutbar gilt, ermittelt die Finanzverwaltung, in dem sie Personen gleichen Familienstands und das Jahreseinkommen vergleicht, auch die Anzahl der Kinder spielt eine Rolle. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Vorstandsvorsitzender teure Rollstühle zum Beispiel für sein behindertes Kind leichter anschaffen kann als ein Pförtner. Auch wer den Pauschbetrag in Anspruch nimmt, kann zudem weitere, einmalige Belastungen von der Steuer absetzen. Dazu zählen zum Beispiel außerordentliche Krankheitskosten – etwa bei einem Krankenhausaufenthalt. Behinderungsbedingte Fahrten, etwa zum Arzt, lassen sich von der Steuer absetzen – laut Berliner Finanzverwaltung bis zu 3 000 Kilometer im Jahr für geh- und stehbehinderte Menschen. Außergewöhnlich gehbehinderte Menschen, Blinde und hilflose Menschen dürfen sogar Freizeit-, Erholungs- oder Besuchsfahrten absetzen, sofern diese „angemessen“ sind. Hier gilt eine Grenze von 15 000 Kilometern im Jahr. Voraussetzung ist, dass man die Fahrten nachweisen kann. Auch für die KfZ-Steuer gilt: Schwerbehinderte können davon befreit werden, wenn die Merkmale „aG“, „H“ oder „Bl“ im Behindertenausweis vermerkt sind. Immerhin 50 Prozent weniger KfZ-Steuer zahlen Personen mit dem Vermerk „G“ für gehbehindert im Behindertenausweis. Klara Walk


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Nicht nur eine Belastung

Beschäftigte mit Behinderung können manchmal Dinge, die Nichtbehinderten schwerfallen. Das hat Vorteile für ihre Arbeitgeber

A

rbeit ist wichtig, gerade wenn man körperlich und geistig beeinträchtigt ist. Denn es gehört zu einem selbstbestimmten Leben, dass man für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen kann. Arbeit bringt Struktur in den Tag und hebt das Selbstbewusstsein. Auch wenn in einer Metropole wie Berlin das Angebot an Behindertenwerkstätten besser ist als in der Provinz: Menschen mit Behinderung haben auch auf dem ersten Arbeitsmarkt durchaus Chancen. Die SAP-Autisten beispielsweise sind mittlerweile eine kleine Berühmtheit. Der Software-Riese aus Walldorf will bis zum Jahr 2020 ein Prozent seiner Arbeitsplätze weltweit mit Autisten besetzen. Autismus geht mit Charaktereigenschaften einher, die für Software-Entwickler wichtig sind: Autisten denken häufig strikt logisch, sie haben kein Problem mit endlosen Zahlen und Tabellen, und können sich gut konzentrieren. Im normalen Alltag hingegen sind Autisten leicht überfordert. Für die

DPA

Der blinde Programmierer Jan Blüher entwickelt spezielle Apps für Blinde.

Software-Entwicklung sind sie genau die Richtigen. Nur weil ein Mensch geistig oder körperlich behindert ist, heißt das nicht, dass er nicht Talente haben kann, die für Arbeitgeber wertvoll sind. Die Autismus-Offen-

Die Vermittler

F

Taktilum hilft behinderten Arbeitskräften, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen

ür PC-Arbeiter spielt es keine Rolle, ob sie auf einem Drehstuhl oder in einem Rollstuhl sitzen. Mit dieser einfachen, aber einleuchtenden Formel wirbt Taktilum bei Arbeitgebern dafür, Menschen mit Behinderung einzustellen. Taktilum ist eine Berliner Jobvermittlung für körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen. Das Ziel: Behinderte Arbeitnehmer und die Wirtschaft zusammenbringen, um so für beide Seiten eine Win-Win-Situation zu schaffen. Taktilum-Firmengründer Stephan Großgerge sagt von sich selbst, er sei „vom Kopf her Kaufmann und im Herzen Rehabilitationspädagoge“. Mit diesem Ansatz versuchen er und sein Team, arbeitssuchenden Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung weiterzuhelfen. Potenziellen Arbeitgebern bietet Taktilum an, sämtlichen Papierkram mit dem Amt zu erledigen: Wer einen Menschen mit nachgewiesener Behinderung einstellt, erhält schließlich staatliche Förderung. Aber nicht nur dank dieser finanziellen Unterstützung sei es sinnvoll, einen Menschen mit Behinderung einzustellen, sagen die Taktilum-Macher. Schließlich sind

Behinderte häufig überdurchschnittlich hoch motiviert: Ihnen ist es sehr wichtig zu zeigen, dass sie etwas drauf haben – selbst wenn sie nicht so gut laufen, hören oder sehen können wie andere. Nur Dienst nach Vorschrift machen sie eher nicht. Nicht zuletzt weisen die Jobvermittler auf den Imagegewinn für Arbeitgeber hin: Wer einen Menschen mit Behinderung einstellt beweist, dass Vielfalt für ihn nicht nur die Überschrift einer Sonntagsrede ist. Im Mittelpunkt stehen aber die Jobsuchenden. Sie kommen auf Taktilum zu und besprechen mit den Beratern, was sie arbeiten können und wollen. Der Vermittlungsservice ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber kostenlos. Menschen mit Behinderung können vom Jobcenter oder von der Agentur für Arbeit Vermittlungsgutscheine bekommen. IMPRESSUM Berliner Verlag GmbH Anzeigen: BVZ BM Vermarktung GmbH, (Berlin Medien) Andree Fritsche Redaktion: Peter Brock (verantw.), Angelika Giorgis Anzeigenverkauf: Renate Werk, Tel. 030 23 27 70 05 sonderprojekte@berlinmedien.com Art Direction: Jane Dulfaqar, Annette Tiedge

sive von SAP dürfte viel dazu beigetragen haben, diese Erkenntnis in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn Autisten sind in ihren speziellen Bereichen üblicherweise sehr intelligent, haben nicht selten eine exzellente formale Ausbildung. Sie

sind aber auch überdurchschnittlich häufig arbeitslos, weil ihre emotionale Intelligenz mit der kognitiven nicht mithalten kann. In Situationen, bei denen es auf emotionale Zwischentöne ankommt, sind sie schnell überfordert.

Menschen mit Behinderung können manche Dinge viel besser, die andere Mitarbeiter nicht können. Weil sie es müssen. „Menschen mit Behinderung können kompensieren“, sagte Joachim Schoss, Gründer und Stiftungsratsvorsitzender des Internet-Portals MyHandicap.de. Wer blind ist, hat ein viel feineres Gehör als ein Mitarbeiter, der sieht. Wenn es also darauf ankommt, Zwischentöne zu hören, dann können Blinde mehr leisten als Sehende: Bei Bewerbungsgesprächen erkennen sie das Zittern in der Stimme des Kandidaten als erste. Manchmal auch als einzige. Ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl sind Arbeitgeber laut Sozialgesetzbuch dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung einzustellen. Eine Firma mit mehr als 20 Arbeitsplätzen muss mindestens fünf Prozent der Stellen mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzen. Tut sie das nicht, dann hat sie eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Diese liegt zwischen 115 und 290 Euro monatlich pro nicht besetztem Pflichtplatz. KlaraWalk

Auch Angehörige brauchen mal Urlaub …

Die Herberge – ein vorübergehendes Zuhause. Die Herberge befindet sich im Haus der Generationen im Lichtenberger Fennpfuhlkiez. Es können Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer geistigen, körperlichen und/oder mehrfachen Behinderung, deren häusliche Betreuung zeitweilig nicht gewährleistet ist oder deren Wechsel in eine neue Wohnform vorbereitet werden soll, rund um die Uhr betreut werden. Die Herberge ist eine Einrichtung der

Wir bearbeiten Holz, Metall und Vorurteile. Kontakt • Werkstatt Ulmenhof Grenzbergeweg 38 • 12589 Berlin • Tel. 030 64 84 71 50 • Werkstatt Weißensee Nachtalbenweg 50 • 13088 Berlin • Tel. 030 96 27 66 10 • Werkstatt Johannesstift Wilhelmstraße 26-30, Haus 20 • 13593 Berlin • Tel. 030 36 99 68 Stephanus-Werkstätten Berlin gemeinnützige GmbH Anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen Albertinenstraße 20 • 13086 Berlin • Tel. 030 96 24 99 80 www.stephanus-werkstaetten.de

RBO – Rehabilitationszentrum Berlin-Ost gGmbH

Die Herberge Paul-Junius-Str. 64A 10367 Berlin Tel: 030 986 01 999 35 /-36 Leitung: Ute Richter richter@rbo.berlin www.rbo.berlin

Vielfalt, Erfahrung, Veränderung

Kontakt: WIB – Weißenseer Integrationsbetriebe GmbH Geschäftsstelle Tassostr. 17 • 13086 Berlin Tel. 030/4799110 Fax 030/47991132 info@wib-verbund.de www.wib-verbund.de

Wir fördern die soziale und berufliche Integration behinderter und sozial benachteiligter Menschen durch Beratung, Betreuung, Beschäftigung und Arbeit im Verbund von Projekten und Firmen. Jeder Mensch ist der Experte für seine Lebensgeschichte.


8 I LEBEN MIT BEHINDERUNG

MONTAG, 2. NOVEMBER 2015 I VERLAGSBEILAGE

Wichtige Orientierung Das Projekt „Lotse Berlin“ hilft Wohnungssuchenden mit Behinderung, eine geeignete Wohnform zu finden

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ohnungssuche ist für Menschen mit Behinderung zeitaufwändig und frustrierend, weil körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen spezielle Bedürfnisse haben. Ob sie wollen oder nicht: Sie müssen höhere Anforderungen an eine Wohnung stellen. Wer sich für eine betreute Wohnform interessiert, findet Hilfe beim Projekt „Lotse Berlin“. Dort werden Menschen mit Behinderung unterstützt, ein passendes Angebot zu finden. Seit Oktober 1997 kooperieren in diesem Projekt alle Berliner Anbieter im betreuten Wohnen, um möglichst vielen Behinderten ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen zu ermöglichen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat die Anbieter bei der Gründung des Projekts unterstützt. Nicht nur die Wohnungssuchenden selbst, sondern auch deren Angehörige, Betreuer und Freunde finden Rat in den vier Büros von Lotse Berlin. Ihre Fragen sind vielfältig: Wie findet man einen den eigenen Bedürfnissen entsprechen-

den, betreuten Wohnplatz? Wie bereitet man sich auf den neuen Lebensabschnitt vor? Wer berät einen zum Wohnungsangebot? Die Berater bei Lotse Berlin helfen den Wohnungssuchenden vom ersten Kontakt bis zum erfolgreichen Einzug ins neue Heim – egal ob es um Wohnstätten und Wohngemeinschaften, um betreutes Einzel- oder Paarwohnen geht. Das Ziel ist eine individuelle Begleitung durch den „Dschungel“ an Hilfsmöglichkeiten. Die Mitarbeiter beraten ihre Kunden auf deren persönliche Situation abgestimmt. Die Lotse-Helfer besprechen mit ihren Kunden deren individuelle Situation. Gemeinsam mit den Ratsuchenden erarbeiten sie einen Plan, wie die Ziele sich verwirklichen lassen – damit jeder so selbstbestimmt wie möglich leben kann. Mit jährlichen Berichten informiert Lotse Berlin über die Vermittlungsarbeit und stellt Daten zur aktuellen Versorgungssituation auf dem Markt für Betreutes Wohnen zur Verfügung. www.lotse-berlin.de

DPA

Nicht jeder kann sich einen neuen, barrierefreien Bungalow leisten.

Nicht allein zu Haus

Selbstbestimmtes Wohnen bringt mehr Lebensqualität, aber oft ist Hilfe nötig

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Lebensnähe gGmbH Psychosoziale Integration

Wir arbeiten für und mit seelisch behinderten und psychisch kranken Menschen! Dafür bieten wir vielfältige Tätigkeitsfelder der sozialen Arbeit, u. a. im Bereich Wohnverbund, Tagesstätten und KBS, für engagierte Fachkräfte, Berufserfahrene, Praktikanten und Ehrenamtler. Nähere Informationen unter:

www.lebensnaehe.de, Tel.: 030 543 69 82 Wir freuen uns über Ihr Interesse.

Große Herausforderung

Berufliche Bildung und Arbeit für Menschen mit Behinderung (WfbM) Es sind noch Plätze frei: - Malerei - Bonbonmanufaktur - Verpackung - Kaffeerösterei

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ine eigene Wohnung ist Freiheit und Sicherheit zugleich. Im eigenen Reich kann man tun und lassen, was man will. Man kann die Wände bunt streichen oder auch nicht. In der Küche kann man einen ganzen Kräutergarten anpflanzen oder auch nicht. Im Wohnzimmer darf ein riesiger Fernseher stehen, alle vier Wände voller Bücher oder beides – es ist ganz egal, immer ganz nach eigenem Gusto. Man kann kommen und gehen, wann man möchte: Jeder ist Herr seiner eigenen vier Wände. Wer zum ersten Mal in eine eigene Wohnung zieht, genießt das Gefühl – da geht es Behinderten genauso wie Nichtbehinderten. Eine Wohnung spiegelt etwas von der Persönlichkeit des Bewohners wieder. Deshalb ist es so wichtig für die eigene Lebensqualität, dass ein Mensch selbstbestimmt wohnen kann: Alleine, zu zweit oder gemeinsam mit anderen. Mit Behinderung oder ohne.

faktura gGmbH Rungestr.17 10179 Berlin Mitte Tel.: (030) 280 42 77-0 www.faktura-berlin.de

Aber für Menschen mit Behinderung ist selbstbestimmtes Wohnen oft eine viel größere Herausforderung. Man stelle sich nur die Wohnungsbesichtigung vor. Die Wohnung liegt im dritten Stock. Aufzug? Fehlanzeige. Für Menschen mit Gehbehinderung könnte die Wohnungsbesichtigung damit schon erledigt sein, bevor sie angefangen hat. Oder das Badezimmer. Eine Dusche ist drin – aber sie

ist nicht ebenerdig. Wer körperlich beeinträchtigt ist, hat keine Chance. Nicht umsonst gilt eine Wohnung erst dann als barrierefrei, wenn sie der DIN-Norm180402 entspricht. Diese regelt beispielsweise, dass Türen breit genug für Rollstühle sind und dass man mit dem Rollstuhl gut unters Waschbecken fahren kann. Selbst wenn ein Mensch körperlich dazu in der Lage ist, die Treppenstufen bis in die Wohnung zu gehen und selbst wenn eine Badewanne kein Hindernis darstellen würde: Manche Menschen können nicht für sich selbst sorgen. Sie sind damit überfordert, einen Mietvertrag zu lesen, zu verstehen und zu unterschreiben. Immerhin 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland sind funktionale Analphabeten. Sie können am Alltagsleben nicht allumfassend teilnehmen. Das muss nicht immer mit einer geistigen Behinderung zu tun haben, geht aber oft mit ihr einher. Der Wohnungsmarkt für Menschen mit speziellen Bedürfnissen ist eng. Nicht jeder Vermieter möchte, dass der neue Mieter seine Wohnung erst einmal barrierefrei umbaut. Und wenn man doch eine Wohnung gefunden hat, die man umbauen darf, dann ist sie meist teuer. Auch die Umbaumaßnahmen selbst gehen ins Geld. Um mehr bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Behinderung zu schaffen, führt der Verein Lebenshilfe Berlin eigene Baupro-

jekte durch. „Unser Ziel ist es, zeitgemäße Wohnstrukturen für Menschen mit Beeinträchtigungen auch in attraktiven Wohnlagen zu schaffen und damit gleichzeitig einen nachhaltigen Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten“, sagt Dietmar Meng, Geschäftsführer der Lebenshilfe gGmbH. Das Prinzip des inklusiven Bauprojekts: Menschen mit Behinderung leben in eigens für ihre Bedürfnisse ausgestatteten Wohngemeinschaften mit nichtbehinderten Studenten zusammen. Die Studenten finden günstigen Wohnraum in Lichterfelde, hilfsbedürftige Menschen finden ein eigenes Zuhause und Unterstützung. Eigener Rückzugsort „In unserem inklusiven Wohnhaus entstehen insgesamt vier barrierefreie Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung und für Studenten der nahen Freien Universität“, sagt der für das Projekt verantwortliche Regionalleiter Stephan Vogel: „Die Wohnstätte wird das neue Zuhause für 24 Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf.“ In kleinen Gruppen von je sechs Personen wohnen die Menschen zusammen – jeder hat ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bad. Und damit das, was selbstbestimmtes Wohnen ausmacht: Einen Raum für sich selbst und einen Rückzugsort – trotzdem ist immer jemand da, wenn man Hilfe benötigt. Klara Walk


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