NR. 15
NOV EMBER 2017
POST-STREET WEAR
Rebellion auf dem L aufsteg
TEMPOR ARY SHOWROOM
High Fashion x Street
BE R L IN
NEX T G+U.R+U NOW
E xkursion in die 90er
V UE NO.15
INHALT 15
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PARTY ON PLASTIC
TEAM JUMPER
Feiern in Lack, Vinyl und PVC
It-Piece der Saison
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DOWN ON THE STREET
NEXT G+U.R+U NOW
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Martin Wuttke über die wahren 90er
NEWS & TIPPS Neuigkeiten aus Berlin
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PINK
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Das neue Schwarz knallt
TEMPORARY SHOWROOM
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Kultiger Shop in der Kastanienallee
FETTE STYLES 90s Streetwear ist wieder da
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POST STREET WEAR Revolte auf dem Laufsteg
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GO GREEN
RED WING HERITAGE
News von der Eco-Front
Allison Gettings über ihren neuen Schuh-Store
Foto: ASOS
IMPRESSUM VUE/Berlin ist ein Produkt der Berliner Verlag GmbH, www.vueberlin.de GENERAL MANAGERS Michael Braun, Jens Kauerauf ADVERTISING DIRECTOR Andree Fritsche ADDRESS BVZ BM Vermarktung GmbH, Alte Jakobstraße 105, 10969 Berlin ADVERTISEMENT Tel. +49 30 23 27–74 69, vueberlin@dumont.de PRODUCTION Raufeld Medien GmbH Tel. +49 30 69 56 65–0, info@raufeld.de, www.raufeld.de EDITOR-IN-CHIEF Wolfgang Altmann OBJECT MANAGER Christine Kulzer EDITORS Elisa Gianna Gerlach, Mirjam Smend ART DIRECTION Lotte Rosa Buchholz LAYOUT Daniella Heil, Carolin Kastner PRINT Eversfrank Berlin GmbH, Ballinstraße 15, 12359 Berlin
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EDITORI A L
SEITE 5
BERLIN X STREET Ein neuer Underground-Chic erobert den Berliner Laufsteg. Statt Abendroben zeigen junge Designer Outdoor-Jacken, Hoodies und Logoshirts und lassen so die Looks etablierter Marken ziemlich alt aussehen. Der Hype atmet durch und durch den Geist der 90er – mit Reminiszenzen an HipHop, Techno oder Skate. Alle, die damals jung waren, erkennen Elemente aus den verschiedenen Jugendkulturen. Auch Trendexperte Martin Wuttke fühlt sich beim Anblick dieser Mode in die 90er zurückversetzt. Einige Looks erinnern verdächtig an Next G+U.R+U Now – so hieß sein StreetwearLabel, mit dem er in den 90ern international erfolgreich war. Im Interview zeigt er die Parallelen auf. Auf heutige Teens und Twens wirkt dieser rebellische Look dagegen erfrischend neu. Endlich gibt es wieder einen Style, mit dem sie sich von den Erwachsenen abgrenzen können. In Berlin ist dies allerdings schwer. Denn hier rennen
irgendwie alle casual herum – fast so, als hätten die 90er nie geendet. Dies beobachtet auch Temporary-Showroom-Inhaber Martin Premužić, der seit Ende der 90er in seinem Shop in der Kastanienallee internationale Streetwear verkauft. Berlin ist eben nicht Fashion, sondern Street. Genau diese Attitude finden Berlin-Besucher cool – wie Red-Wing-Designerin Allison Gettings. Kürzlich eröffnete sie in Mitte einen Store für authentische Frauen-Boots. Eine gute Idee: Im matschigen Berliner Winter machen High Heels ohnehin keinen Sinn.
IHR WOLFGANG ALTMANN Chefredakteur
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Marina Hoermanseder macht jetzt auch Sweater
Viel Spaß beim Lesen unserer neuen VUE/Berlin wünscht Ihnen
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nicht im Elfenbeinturm der Mode verstecken, sondern muss mit dem Kommerz auf Schmusekurs gehen. So kooperierte sie bereits mit Hello Kitty, der Kosmetikmarke Catrice oder mit dem Lippenpflegehersteller Eos. Ihr neuester Coup sind bezahlbare Unisex-Sweater, gebrandet mit ihrem unverkennbaren Herzschlag-Logo. Passend zum aktuellen StreetwearTrend gibt es sie in poppigem Fuchsia, Hellblau und Mint. Die Pullis sind aus kuscheligem Baumwollgemisch und auch in Männergrößen erhältlich.
Lederkorsetts, Teilprothesen und ihre unverwechselbare Schnalle – so kennt man Marina Hoermanseders Mode, die in Museen ausgestellt oder von Lady Gaga bei Auftritten getragen wird. Dass man damit keine Gehälter bezahlen kann, weiß die Wahlberlinerin nur zu gut. Und so nimmt sie auch gerne mal Auftragsarbeiten an: Vor zweieinhalb Jahren entwarf sie die Uniformen für Austrian Airlines. Kürzlich hat sie auch welche für die Österreichische Post designt. Die gebürtige Wienerin weiß eben: Wer heute erfolgreich sein will, darf sich 5
NE W S & TIPP S
PLANSCH Das Stadtbad Oderberger Straße war lange Zeit Kulisse für Mode-Events und Fotoshootings. Jetzt kann man darin wieder das tun, wofür es Architekt Ludwig Hoffmann, als er es 1912 erbauen ließ, vorgesehen hat: schwimmen. 2011 begann der denkmalgerechte Umbau des Gebäudes im Stil der Neorenaissance. Heute beherbergt es das Hotel Oderberger inklusive Bad mit einem 20 Meter langen Becken, das für jedermann geöffnet ist. Das stilvolle Ambiente ist beim Bahnenziehen ein besonderer Genuss.
Rasierhobel, 50 € Rasierpinsel, 100 €
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STADTBAD ODERBERGER Oderberger Straße 57, Prenzlauer Berg Mo–So 7–22 Uhr, Eintritt: 6 € www.hotel-oderberger.berlin/bad/ oeffnungszeiten
ArtShow von Johanna Keimeyer im StadtbadBecken
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Die Ära der Hipster ist vorbei – und damit ihr Erkennungszeichen: der Vollbart. Wer heute hip ist, ist glatt wie ein Babypopo. Für die stilvolle Nassrasur empfehlen wir den vergoldeten Rasierhobel von Mühle. Er liegt gut in der Hand, und die scharfen Klingen gleiten fast wie von alleine über die Haut. Der passende Pinsel ist gefertigt aus Dachshaar oder Kunstfasern, die heute ebenso hochwertig sind.
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MÜHLE STORE BERLIN Hackesche Höfe/Hof IV, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte Mo–Sa 11–19 Uhr www.muehle-shaving.com
Die Designerin Silke Debler hat sich auf Handschuhe made in Italy spezialisiert. Ein Accessoire, das man zwar dringend im Winter braucht, von Modemachern aber oft stiefmütterlich behandelt wird. Nicht so Deblers Modelle aus europäischem Lammleder, gefüttert mit Seide oder Kaschmir. Inspirationen holt sich die Berlinerin, die nach ihrem Studium am London College of Fashion unter anderem für Vivienne Westwood tätig war, von alten Filmen. Vorbild für das Oversize-Modell mit Reißverschluss war Romy Schneider in „Das Mädchen und der Kommissar“.
Neue Anlaufstelle für Cineasten in Neukölln
LOVELY VINTAGE
ABGEDREHT Was hat diese Eck-Location nicht schon alles miterlebt: Ein Buchbinder war drin, ein Waschsalon, eine Bäckerei, sogar ein Puff. Jetzt beherbergt es ein Kino mit zwei Sälen, wie man sie von früher kennt. Das Westberliner AdriaFilmtheater stellte dafür seine alten Kinosessel zur Verfügung. Im Wolf-Kino laufen Neuerscheinungen, Dokumentarfilme, Independent-Klassiker und Retrospektiven. Seine Café-Bar ist ein beliebter Treffpunkt für Cineasten – mit regelmäßigen Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen. Man kann dort aber auch nur einen Kaffee trinken.
Handschuhe, 655 € www.silkedebler.com
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WOLF-KINO Weserstraße 59, Neukölln Mo–Fr 10 Uhr bis open end, Sa–So ab 12 Uhr www.wolfberlin.org
Seitdem sich die Potsdamer Straße zur Galeriemeile gemausert hat, eröffnen dort immer mehr Shops. Letzter Neuzugang in einer Seitenstraße ist die Boutique Lena’s Lovely Vintage. Lena Hoffmann verkauft dort hand verlesene Stücke aus den 50erbis 90er-Jahren: angefangen mit Designklassikern für Männer und Frauen von Gucci, Yves Saint Laurent und Dior über Modeperlen von Thierry Mugler und Claude Montana bis hin zu Street wear von Fila und Champion. Die studierte Modedesignerin und Stylistin weiß, was angesagt ist, und setzt aufkommende Trends gekonnt in ihrem Laden in Szene. Auch Brautkleider sind im Programm sowie eine feine Auswahl an Accessoires, Taschen und Schuhen.
Foto: Lena’s Lovely Vintage Boutique
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Foto: Uli Kohl
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LENA’S LOVELY VINTAGE Lützowstraße 92, Tiergarten Di–Sa 12–20 Uhr, Montag nach Vereinbarung www.lenaslovelyvintage.com
Ebenfalls im Sortiment: Street Fashion aus den 90ern
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FA SHION
Foto: Dehoff Studio
NE W S & TIPP S
DAS IST FETT
Messing, Acryl, Holz – der Shop ist im Stil des italienischen Radical Design eingerichtet
Ohne Hoodie, Sweater und Daunenjacke geht in diesem Winter nichts. 90s Streetwear f eiert ein Comeback – mit Marken, um die es lange ruhig war
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Trainingsjacke Asos
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HOLIDAY DEHOFF-STUDIO Auguststraße 26a, Mitte Mo–Sa 12–19 Uhr www.dehoffstudio.com
Wattierte Jacke Helly Hansen
Daunenjacke Henrik Vibskov
Dass die Berliner Schmuckdesignerin Sabrina Dehoff auch ein Händchen für Mode hat, beweist sie in ihrem neuen Shop. Neben ihrer Schmuckkollektion findet man dort auch Kleider aus Seidenkrepp, deren Pastelltöne und leuchtende Farben ein Sommer-Feeling vermitteln. Die Kleider basieren alle auf einem Schnitt und sind Unikate, die Dehoff in unterschiedlichen Variationen anbietet: Länge, Farbkombination und Details, etwa Knopfleiste oder Applikationen, können nach individuellen Wünschen zusammengestellt werden.
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Pullover Soulland
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Sweater MM6 Maison Margiela
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Sweater Fila
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SAFTSCHUBSE
Anorak Herschel
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Steppweste Hunter 7
Bordbar-Cooler, ab 998 € www.bordbar.de
Seit über zehn Jahren gestaltet die Kölner Designschmiede Bordbar ausrangierte Flugzeugtrolleys für den häuslichen Gebrauch um. Die Trolleys, die vorher bei Pan Am oder Lufthansa im Einsatz waren, stehen heute generalüberholt in Küchen, Büros oder in Partykellern. Ob Champagner, Sekt oder Selters – mit einem Fassungsvermögen von 18 Litern lassen sich darin auch große Flaschen kühlen. Die integrierten LED-Leuchten mit programmierbarem Farbverlauf sind zudem ein Highlight auf jeder Feier. Die Innovation wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet – etwa mit dem Red Dot Award, dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland und mit dem Interior Innovation Award.
Hoodie Ellesse
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Fotos: PR
Steppmantel Y-3
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1 Plakativ Ein Jumper, mit dem man niemals alt aussieht – esehen bei Urban Outfitters, 240 € 2 High Fashion Der over g sized Baumwoll-Sweater setzt mit Knallorange ein Statement, 325 € 3 Nachhaltig Der wattierte Mantel aus recyceltem Polyester ist eine Wohltat für Mensch und Natur, 825 € 4 Gestreift Diese Trainingsjacke im angesagten Colour-Blocking steht modisch auf dem Siegertreppchen, 47 € 5 Zeitlos Dieses Modell aus 100 Prozent Nylon kann man auch in zehn Jahren noch tragen, 533 € 6 Camouflage Der kanadische Taschen
spezialist stellt jetzt auch stylishe Regenjacken her, 80 € 7 Fame Die Initialen des italienischen Firmengründers Leonardo Servadio standen Pate für „L. S.“, 75 € 8 Boo-yaa Das Kultlabel aus den 90ern hat eine erstaunliche Frischzellenkur hinter sich – gesehen bei Urban Outfitters, 240 € 9 Oldschool Die italienische Sportswear-Marke ist bei Hipstern jetzt wieder angesagt – gesehen bei Urban Outfitters, 80 € 10 Waterproof Die Outerwear der englischen Traditionsmarke ist so dicht wie ihre Gummistiefel, 255 € 9
NEGO W SGREEN & TIPP S
NE WTREND S & TIPP S
THINK PINK Ob als modischer Akzent oder im Total Look – Pink ist das neue Schwarz. Die Farbe strotzt vor Energie. Mit ihr hat die Winterdepression keine Chance
COOLE MASCHE Geringelt, gerippt oder mit kunstvollen Zöpfen – beim Hamburger Stricklabel Sminfinity werden luxuriöse Materialien wie KlimaCotton und Kaschmir herrlich slow per Hand zu puristisch-coolen Kuschelpartnern verstrickt. Laut ist bei Sminfinity nichts. Hier regiert die leise Eleganz des Nordens. Die reduzierte Farbpalette lässt den perfekten Schnitten und den kunstvollen Stricktechniken ganz nonchalant den Vortritt. Und der Name des Labels? Der setzt sich aus den Initialen von Inhaberin Sabine Moschüring und dem Wort „Infinity“ zusammen. Denn um luxuriöse Lieblingsteile für die Ewigkeit geht es hier ja schließlich.
LET’S DANCE TONIGHT Dass nachhaltige Mode alles andere als langweilig ist, beweist spätestens der discotaugliche Star-Bootie, der in der Hamburger er Designer-Kooperation von Nine to Five und Black Velvet Circus entstanden ist. Drei Extrazentimeter Absatz sorgen für das gewisse Plus an Größe. Das silberne Lachsleder wurde chromfrei gegerbt, der Schuh fair in Portugal produziert. Geht’s noch besser? Nein! Und deshalb gilt: Shut up and dance!
M IR J A M SMEND A RBEIT ET ALS F R E IE AUTOR IN U N D SCHRE A U F IH R IB T EM BLO G Z IN E M Y- G R E ENST YL E .C O M ÜBER N ACHH A L T IG E H IG H F A S H IO N & C O.
High Bootie, 250 € www.ninetofive.biz
Foto: Loveco selected
#IKNOWWHOMADE YOURCLOTHES
LOVECO SELECTED Manteuffelstraße 77, Kreuzberg Mo–Sa 11–18 Uhr www.loveco-shop.de
Erst der Laden in Friedrichshain. Zwei Jahre später der Onlineshop. Und im Juni hat auch Kreuzberg seinen eigenen Loveco-Store bekommen. Christina Willes Konzept von ökologischer, fairer und veganer Mode scheint aufzugehen. High Fashion von Lanius, Schmuck von Fremdformat, lässige Schuhe von Bahatika oder die Bambus-Zahnbürste – jedes der handverlesenen Labels unterliegt den strengen nachhaltigen Kriterien der Inhaberin. Gut zu wissen: Auch Vegetarier und Fleischesser dürfen die veganen Lieblingsstücke tragen!
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Fotos: adidas (2), GETTY IMAGES für DER BERLINER MODE SALON (4), Mercedes-Benz Fashion Week Berlin AW 2017/18 (5)
Fotos: Sminfinity
Coole Looks in cleaner Optik by Sabine Moschüring
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1 Marina Hoermanseder 2 Malaikaraiss 3 Marina Hoermanseder 4 Michael Sontag 5 Adidas x Gosha Rubchinskiy 6 Riani 7 Malaikaraiss 8 Julia Seemann 9 Michael Sontag 9
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TREND REP ORT
Ein rebellischer UndergroundChic erobert den Berliner Laufsteg und zeigt dem modischen Establishment den Stinkefinger. Der neue STREETWEAR-LOOK zelebriert den Stil der hedonistischen 90er. Mit echter Street Culture hat diese Mode allerdings nichts zu tun V ON WOLFGA NG A LTM A NN
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JULIA SEEMANN
Alle, die das Glück hatten, Berlin in den 90ern zu erleben, dürfen sich freuen: Streetwear ist wieder da – mit BaggyHosen im Armee und WorkerStil, SkaterHoodies und trashigen LogoShirts. Bei den WinterSchauen im Kaufhaus Jandorf schickte Sadak seine Models in Trainingsanzügen über den Laufsteg. Das schwedische Label Odeur präsentierte über große Bomberjacken. Mit Munitionswesten, die am Flughafen bestimmt für Furore sorgen, provozierte das italienische Modeduo Atelier About. Im Berliner Mode Salon überraschte die Schweizer Gast designerin Julia Seemann mit kastigen Statement Shirts, kombiniert mit sexy Overknees. Dieser StreetStyle atmet durch und durch den Geist der 90er, die letzte Dekade relevanter Jugendkul turen. Ob HipHop, Techno oder Skate – die Designer werfen alles in einen Topf und fertigen einen neuen Retrolook daraus. Auch Martin Wuttke fühlt sich beim Anblick dieser Mode in die 90er zurückversetzt. Eine Zeit, in der auch er mit Street Fashion erfolgreich war. Sein Label Next G+U.R+U Now genoss im Berlin der 90er Kultstatus und wurde in angesagten Club wearStores wie Ambulanz, Wicked Garden und später Mientus verkauft. Wuttke, heute Mitinhaber eines ConsultingBüros, weiß genau, was man von diesem Trend zu halten hat: „Street Fashion war eigentlich nie weg", sagt er. „Klassische Marken wie Stüssy, A Bathing Ape oder Supreme waren in Eng land, Japan und in den USA immer gefragt.“ Nur in Deutschland, Frankreich und Italien sei Streetwear lange kein großes Thema gewesen. Dies änderte sich, als die niederländische Trendforscherin Lidewij
SADAK
LAST HEIRS Fotos: GETTY IMAGES für DER BERLINER MODE SALON (1), Mercedes-Benz Fashion Week Berlin AW 2017/18 2017/18 (3), Mercedes-Benz Fashion Week Berlin SS 2018 (1)
POST STREET WEAR
ATELIER ABOUT
DEPRESSION
TREND REP ORT
Edelkoort vor gut zweieinhalb Jahren die Mode für tot erklärte. Offenbar entging ihr, dass 2014 eine neue DesignGeneration die FashionBühne betrat. Allen voran das französische Modekollektiv Vetements. Auf seiner Debütshow in Paris schickte es Models in Hoodies, Bomberjacken und LogoShirts über den Catwalk. Das Neue daran? Diese Mode ist „real“. Sie hat nicht den Anspruch, elegant zu sein, sondern ist alltagstauglich und tragbar. „Eine Realness, die gut in unsere Zeit passt“, findet Wuttke. In Zeiten des Terrors machen Stöckelschuhe ohnehin keinen Sinn. Dass Vetements eine StilRevolution losgetreten hat, begriff die Modewelt spätestens dann, als Gründer Demna Gvasalia im Oktober 2015 zum Kreativchef von Balenciaga berufen wurde. In seiner Debütkollektion zeigte er übergroße OutdoorJacken und erhob so
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TREND REP ORT
FA SHION
PARTY ON PLASTIC Lack, Vinyl, PVC – in den Berliner Clubs ist Plastik angesagt. Ein Material, mit dem man auf dem Dancefloor glänzen kann
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Gürteltasche Eastpak
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Kappe Monki
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LackBomber Marina Hoermanseder
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ODEUR
LAST HEIRS
MetallicParka Cheap Monday 2
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Regenjacke Stutterheim
Fischerhut Stutterheim
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Klamotten von der Straße in den Adelsstand der Prêtàporter. Demna Gvasalia gilt seitdem als der große Erneuerer. Alle, die eine ähnliche Ästhetik fahren, profitieren vom Hype: wie das Mailänder Label OffWhite, Hood by Air aus New York oder Gosha Rubchinskiy mit seinem Moskauer Vorstadtproleten Style. In Berlin schwimmen GmbH oder Atelier About im Fahrwasser von Vetements. Sowie das NewcomerLabel Last Heirs. Vergangenen Juli feierte es mit seinen Plastikhosen im WorkerStil den Einstand auf der Berliner Fashion Week.
Das Paradoxe: Mit „street “oder „culture“ hat diese Mode nichts zu tun. Der Ort, an dem man sich heute trifft, ist nicht etwa die Straße oder der Club, sondern man begegnet sich auf Instagram. Dort zeigt man stolz seine Limited Edition, für die man stundenlang vorm Laden angestanden hat. Ganz wichtig dabei ist das Logo, das perfekt in Szene gesetzt werden will. Auch wenn es manchen noch so absurd erscheint: Für limitierte Sneaker oder die neueste DesignKo operation gibt die junge FashionElite auch gerne mal ihr ganzes Praktikantengehalt aus. So einen Markenkult gab es lange nicht mehr. Und trotzdem ist es ein positives Signal: In Zeiten von Primark und H & M ist Mode wieder begehrlich.
Die Designer dieser hippen Streetwear haben eines gemeinsam: Sie alle erlebten die 90er in ihrer Jugend oder haben zumindest eine nostalgische Vorstellung davon. Im Sog der Subkultur, so denken viele, war
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Backpack Eastpak
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Minirock Calvin Klein 6
Rucksack Brekka
Fotos: PR
jeder gleich. Wer man ist oder woher man kommt, spielte keine Rolle. Eine Tugend, um die es heute wieder zu kämpfen gilt. Diese Attitude spiegelt sich auch in der aktuellen Mode wider, die – oft Unisex – starre Geschlechtergrenzen sprengt. „Der neue Street Style vermittelt das Gefühl, als gehöre man einer Clique an, einer Bewegung, die einen neuen Zeitgeist propagiert“, erklärt Trendexperte Martin Wuttke. Wir stehen zusammen – fast so wie in den 90ern auf der Loveparade.
Fotos: Mercedes-Benz Fashion Week Berlin AW 2017/18 (2), Mercedes-Benz Fashion Week Berlin SS 2018
ATELIER ABOUT
LackStiefel Cheap Monday
1 Universell Diese Kappe schützt vor Regen. Sie eignet sich aber auch für den Fetischclub, 15 € 2 Pretty in Pink Mit dieser Jacke aus gummierter Baumwolle kann man sich auf das nächste Un wetter freuen, 295 € 3 Stylish Von Eastpak gibt es jetzt auch eine TransparentKollektion – für Leute, die nichts zu verbergen haben, 90 € 4 Gelackt Mit diesem PolyesterModell hört man die Trägerin schon von Weitem rascheln, 349 € 5 Silber Diese Jacke ist wie gemacht für die Warteschlange vorm Club: Sie schützt vor Kälte – und man beeindruckt
den Türsteher, 120 € 6 Knautschzone Das IndieEckePfeffern macht dem Rucksack in Signalgelb gar nichts aus, 50 € 7 Durchblick Bei diesem Kunststoffmodell sieht man von außen, was man sucht, 45 € 8 Behütet Sieht stylish aus und schützt dank der gummierten Baum wolle auch vor Regen, 90 € 9 Glänzend Diese Boots haben bei schmutzi gem Winterwetter einen klaren Vorteil – man wischt sie einfach ab, 70 € 10 Gewagt Mit den richtigen Overknees funktioniert selbst dieser Rock – gesehen bei Urban Outfitters, 119 € 15
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Foto: Tom Wagner / Jolly Hunters
Wusste der damalige Kreativchef Michael Michalsky davon? Natürlich fand er es gut, was wir machten. Er hat uns auch unterstützt. Für unsere erste CatwalkShow in Paris stellte er uns Sneaker zur Verfügung. Wir riefen ihn an. Da meinte er nur: Ich bin gerade in Tokio. Aber ich schick euch was. Ihr habt es verdient. Recycelten Sie ausschließlich Klamotten? Nein, später verwendeten wir auch richtige Stoffe: Loden, Mohair und HightechMaterialien, aus denen wir Blazer und Jacken fertigten – mit Windfängern, Stoppern und Gummilitzen. Alles OutdoorElemente, die in der Fashion eigentlich nichts verloren haben. Das, was man heute auf dem Laufsteg sieht, machten wir vor 20 Jahren.
Martin Wuttke, seit 1987 in Berlin, wusste bereits während des Modestudiums am LetteVerein, dass er einmal ein Label gründen würde. 1990 war es so weit: Zusammen mit Uta Riechers startete er Next G+U.R+U Now. Nicht nur in der Berliner Clubszene war ihre Mode Kult, auch in Japan und Amerika. Patricia Field brachte das Label nach New York. 2000 legten sie ihr Baby auf Eis und eröff neten ein ConsultingBüro. Heute entwerfen sie für TaschenLabels, beraten Modefirmen und erstellen Trendprognosen für Messen und die Lederwarenbranche. 16
Welche Parallelen gibt es noch? Vor allem ist es dieser NormcoreAspekt, der gerade angesagt ist. Das ist alles nicht neu. Schon in den 90ern haben wir für unsere Kampagnen meinen Vater fotografiert, den Bäcker von nebenan, unseren Lieb lingsitaliener oder die Schnittdirektrice. Wenn heute Vetements in Zürich normale Menschen für sein Lookbook shootet, wird gleich daraus ein großes Ding gemacht. Und auch dieser Kollektivgedanke ist ein alter Hut. Anscheinend ist es heute besonders cool, in Kollektiven zu arbeiten oder zumindest diesen Geist
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Herr Wuttke, welche Mode war Next G+U.R+U Now? Wir nähten Röcke, Oberteile und Kleider aus alten Fallschirmen und Planen aus Restbeständen der DDR Armee und recycelten Trainingshosen und jacken – von Puma und Kappa, aber hauptsächlich von Adidas, was damals so uncool wie Breitcord war. Unser Cul de Paris aus 100 recycelten AdidasTeilen steht sicher heute noch im Archiv der Firmenzentrale in Herzogenaurach.
Martin Wuttke und Uta Riechers (beide Ende 40) sind Next G+U.R+U Now
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Die Kollektion „Jelly Mutations“ für Frühjahr/Sommer 1996 wurde im WMFClub fotografiert
Wieso haben Sie Ihr Label 2000 eingestellt? Das war – wie so oft, wenn man an der Spitze des Erfolges steht – eine strategische Entscheidung. Wir hatten vier Mitarbeiter plus Praktikanten. Allein in Japan belieferten wir 16 Shops. Nach unserer ersten FashionShow in Paris, die unsere PRAgentur noch umsonst organisierte, fragten wir uns, wie es weiter gehen soll. Die zweite hätte nämlich gekostet – doch ohne Investor wäre das unmöglich gewesen. Letzt lich wurde uns diese Entscheidung abgenommen: Ein ehemaliger Kunde fragte uns, ob wir eine Mens wearLinie für Karstadt designen wollen. Das war der Abschied von unserem Label und gleichzeitig der Beginn unserer ConsultingAgentur.
Wie hat sich Berlin seit den 90ern entwickelt? Da hat sich einiges getan: Mode in Berlin ist mittler weile ein großer Wirtschaftsfaktor geworden. Von The Corner über die ganzen Messen bis hin zu Zalando – die Stadt deckt die ganze Bandbreite ab. Für mich ist Berlin der einzige Ort in Deutschland, wo Mode wirklich gelebt wird. Berlin ist das einzige Fashion Statement, das wir haben.
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Trendexperte MARTIN WUTTKE über den aktuellen StreetwearHype und wie die 90er wirklich waren
Was bedeutet Next G+U.R+U Now? „G+U“ steht für „get ugly“ – so hieß mein erstes Label, bevor ich mich mit Uta zusammentat. „R+U“ sind die Initialen von Uta Riechers. Hinter dieser Schreib weise steckte aber auch eine Marketingstrategie. Wenn zum Beispiel die Elle über uns berichtete, knall te unser Markenname deutlich heraus.
Hätten Sie nicht Lust, die Marke Next G+U.R+U Now wiederzubeleben? Das hatten wir sogar schon einmal mit einer Taschen firma überlegt – der Plan liegt noch immer in der Schublade. Aber eher nicht für Textil. Es hat Gründe, wenn ich das sage: Der Markt ist überschwemmt.
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„DAS IST ALLES NICHT NEU“
heraufzubeschwören. Dazu gehören kryptische, verschlüsselte Namen wie Ader Error, GmbH oder UFU (Used Future).
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Jetzt die neue Wintermode entdecken!
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ADIDAS X ГОША РУБЧИНСКИЙ
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Fotos: ASOS, Mercedes-Benz Fashion Week Berlin AW 2017/18
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Fotos: PR
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Jacke DICKIES Hose & Sneaker ADIDAS
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ADIDAS X ГОША РУБЧИНСКИЙ
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Fotos: adidas, MercedesBenz Fashion Week Berlin AW2017/18
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26 Fotos: ASOS, Mercedes-Benz Fashion Week Berlin AW 2017/18
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Der TEMPORARY SHOWROOM in der Kastaniena llee führt avantgardistische Streetwear-Labels wie 132.5 by Issey M iyake, Yohji Yamamoto x Adidas und Cottweiler feat. Reebok. Inhaber MARTIN PREMUŽIĆ hat nicht nur den richtigen Riecher für aktuelle Modet rends. Gespür bewies er auch, als er sein L adenlokal 1999 entdeckte. Im Inter view spricht er über sein Konzept, seinen Kiez und wie er sich im Laufe der Jahre verändert hat
Als Martin Premužić vor knapp 20 Jahren von Süddeutschland nach Berlin zog, wehte hier noch ein anderer Wind. Der Prenzlauer Berg galt als Eldorado für Künstler und Kreative. Geld war knapp, dafür hatte man jede Menge Raum, um sich auszuprobieren. Gepackt von der Aufbruchstimmung jener Zeit, bezog der studierte Betriebswirt 1999 zusammen mit ein paar Künstler freunden ein leer stehendes Ladenlokal in der Kastanienallee. Heute beherbergt es den Temporary Showroom, der sich hinter angesagten Trend-Stores in London oder New York nicht zu verstecken braucht.
DIE KASTANIENALLEE IST EINE DER BELIEBTESTEN FLANIERMEILEN BERLINS
Martin Premužić hat die Gentrifizierung der Kastanienallee hautnah miterlebt
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Fotos: Temporary Showroom, Stephane Gruber
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nutzten das, um Ateliers zu eröffnen. Viele zahlten kaum oder keine Miete, denn die Besitzverhältnisse waren oft nicht geklärt. So mischte sich eine neue Boheme unter das Kleinbürgertum, das es hier schon zu Ostzeiten gab. Das, was heute in Wedding oder Neu kölln passiert, geschah damals in Prenzlauer Berg. Wie haben Sie Ihre Räumlichkeiten entdeckt? Mit einem Freund, der damals Kunst studierte, stand ich vor dem mit Brettern vernagelten Shop und dachte: Eigentlich wäre das eine coole Location. Irgendwann trauten wir uns hinein und nutzten den Raum als Treffpunkt. Als wir irgendwann Miete zahlen mussten, organisierten wir Ausstellungen. Wir hatten auch einen Barbetrieb – immer donners tags. Hier war die berühmte Donnerstagsbar.
Herr Premužić, was ist das Besondere an der Kastanienallee? Sie ist eine der beliebtesten Flaniermeilen Berlins. Viele kommen zum Schlendern hierher, gehen in Cafés und kaufen sich danach noch irgendwo ein T-Shirt oder etwas anderes. Manche kommen aber auch gezielt, um nach Mode zu gucken.
Was ist aus den Leuten geworden? Die meisten hat es in alle Welt verstreut. Und ich saß da und hatte den Mietvertrag. Fast wollte ich ihn schon kündigen. Dann aber sah ich, wie sich die Ecke entwickelte. Blauäugig, wie ich damals war, eröff nete ich ohne Einzelhandelserfahrung den Shop.
Wie war es hier vor 20 Jahren? Die vielen Mode-Stores gab es damals noch nicht. Die ganze Gegend war relativ heruntergekommen. Viele Ladenlokale standen leer. Künstler und Kreative
Den Temporary Showroom? Nein, damals hieß er schlicht „Raum“, in dem ich alles Mögliche verkaufte: Kleinkunst, Produktdesign, ein bisschen Mode. Hauptsächlich von Freunden.
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Im Keller geht’s weiter – Luxus-Shopping auf zwei Etagen
ICH VERSUCHE, HIER IM STADTTEIL EINZIGARTIG ZU SEIN
In einem Showroom wird normalerweise nichts verkauft. Warum dieser irreführende Name? (lacht) Noch heute kommen Leute herein und fragen, ob sie mal gucken dürften. Der Name hat seine Vorund Nachteile: Ein Vorteil ist, dass es nach etwas Speziellem klingt. Besonders bei modeaffinen Kunden generiert der Name Aufmerksamkeit. Der Nachteil ist, dass Leute, die in der Mode arbeiten, hier einen Showroom vermuten.
Studio sind quasi mit uns erwachsen ge worden. Ansonsten hat sich mein Stil kaum verändert. Er war schon immer relativ street wear-l astig, aber trotzdem mit High-Fashion- Anspruch, so wie das derzeit Vetements oder Gosha Rubchinskiy machen.
Wie ich jahrelang. Tatsächlich machten wir von hier aus immer zur Berlin Fashion Week für e inige Labels die Salesund Pressearbeit. Vor anderthalb Jahren haben wir dies aber erst mal eingestellt. Momentan konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die Pro duktion von Modenschauen, organisieren Castings, betreuen das Sponsoring und machen die Pressearbeit.
Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Mode aus? Als ich anfing, verkauften wir noch überwiegend schlichte Basics: Chinos, karierte Hemden etc. Heute ordere ich oft gewagtere Sachen, die andere Shops nicht führen, weil sie lieber auf Nummer sicher gehen. Natürlich biete ich auch Basics an. Dennoch stelle ich immer wieder fest, dass die außergewöhnlichen Teile oft schneller weg sind als die schlichten.
Wissen Sie eigentlich, was in den Räumen vorher war? Eine ältere Dame ist hier irgendwann mit einem Foto album unterm Arm aufgeschlagen. Sie erzählte, dass hier wohl vor dem Krieg ein Café untergebracht war. Die letzte Person, von der ich weiß, dass sie hier zu Ostzeiten ein Atelier hatte, ist eine Künstlerin. Mehr konnte ich leider auch nicht in E rfahrung bringen.
Führen Sie auch Marken exklusiv? Ja. Mit KTZ aus London sind wir zum Glück die Einzigen in Berlin. Und auch die Cottweiler/ReebokKollaboration haben wir neben The Store im Soho House exklusiv. Die Schuhe sind richtige Sammler stücke. Die Kids sind ganz wild danach. In Berlin ist es allerdings fast unmöglich, exklusiv zu sein. Denn in einer so großen Stadt möchten Labels natürlich öfter als nur einmal vertreten sein. Wenn also Läden, etwa in Schöneberg oder Kreuzberg, auch unsere Marken führen, ist das schon okay. Trotzdem versuche ich, dass ich zumindest hier im Stadtteil einzigartig bin.
Wie hat sich die Kastanienallee über all die Jahre entwickelt? Die Gentrifizierung hat natürlich ihre Spuren hinter lassen. Fast jedes Haus wurde saniert, die Mietpreise haben entsprechend angezogen. Viele Geschäfte mussten schließen, weil sie sich die hohen Mieten nicht mehr leisten konnten. Und neue Läden, die an deren Stelle rückten, bieten ein weitaus main streamigeres Sortiment. Trotzdem gibt es immer noch Shops, die sich seit 20 Jahren nicht verändert haben.
Konnten Sie davon leben? Das schon, alle Kosten waren gedeckt. Aber richtig Geld habe ich damit nicht verdient. Irgendwann stellte sich heraus, dass Mode gut läuft, und ich spe zialisierte mich auf Fashion. Dann fing ich an, weil ich anfänglich kein großes Budget hatte, die L abels von befreundeten Designern auf K ommission zu verkaufen. Welche waren das? Boessert/Schorn, A. D. Deertz, Reality Studio ... Ziemlich schnell verkaufte ich auch Henrik Vibskov. Wir waren die Ersten in Berlin! Als ich merkte, dass wir damit erfolgreich sind, setzte ich mehr und mehr auf skandinavische Labels.
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Welche Folgen hatte die Gentrifizierung für Sie? Ich profitiere davon. Denn die Studenten und K reativen von einst sind heute Eltern mit mittlerem bis hohem Einkommen, die ihren Nachwuchs im Bugaboo-Kinderwagen durch die Gegend schieben. Neulich zum Beispiel war eine Mutter da, die in einem der Luxus-Apartment-Häuser Richtung Mauerpark wohnt. Fast beiläufig hatte sie mit ihrer schwarzen American Express Card für einen vier stelligen Betrag eingekauft. Passten Sie Ihr Sortiment an Ihre neue Klientel an? Das Schöne ist, dass sich auch die Marken, die wir schon seit Jahren führen, weiterentwickelt haben. Marken wie Henrik Vibskov, Odeur oder Reality
Und die restlichen 40 Prozent? Das sind Modeinteressierte aus Europa und der ganzen Welt, die immer wieder kommen. Sie kennen unser Sortiment über den Newsletter und unsere Social-Media-Kanäle und wissen genau, was sie wollen. Da ist alles dabei: vom 20-jährigen Sneaker- freak bis zur 60-Jährigen, die sich für Outdoor- Sandalen von Suicoke interessiert. Unsere Kunden erreichen wir aber auch über unseren Onlineshop und über das Fashion-Portal Farfetch, über das wir sehr erfolgreich verkaufen. Was liegt derzeit bei Ihnen im Trend? Die Looks sind alle ein bisschen futuristisch, was an den neuen Tech-Materialien liegt – bei Oberteilen und Hosen, aber auch bei unseren Bomberjacken, mit denen wir ja immer am Start sind. Auch Neopren ist wieder ein Thema. Und Mesh, das verstärkt w iederkommt. Die Schnitte sind häufig oversized. Oft sind die Ärmel extrem lang, weil sie gerafft getragen werden sollen. Und auch ein No-Go aus den 90ern feiert ein Comeback: die Gürteltasche.
Führen Sie auch Berliner Labels? Reality Studio und Mies Nobis haben wir beispiels weise im Shop. Online verkaufen wir Penelope’s Sphere und A. D. Deertz. Warum nicht mehr? Gute Frage. Wir hatten anfangs weitaus mehr Berliner Labels (überlegt). Ich finde, vielen fehlt das Potenzial, um mit dem Niveau, auf dem wir uns mittlerweile befinden, mitzuhalten.
Fotos: Temporary Showroom
WIR PROFITIEREN VON DEN FOLGEN DER GENTRIFIZIERUNG
Wer sind Ihre Kunden? Circa 60 Prozent sind Touristen. Darunter viele Skandinavier, vor allem Dänen und Schweden, die hier Ferienwohnungen haben und Berlin regel mäßig besuchen. Das merkt man daran, dass sie sich besonders für Marken wie Henrik Vibskov und Stine Goya interessieren. Auch wenn sie nichts davon kaufen, es ist zumindest ein guter Teaser.
Wie beurteilen Sie die Arbeit des Fashion Council Germany? Natürlich finde ich gut, dass es so was jetzt auch in Deutschland gibt. Doch ich vermisse den objekti ven Blick. Man merkt, dass die Labels, die man im Berliner Mode Salon zu sehen bekommt, von einem kleinen Kreis um Christiane Arp ausgesucht werden – und dessen Geschmack passt meist leider nicht zu meinem Sortiment. Der British Fashion Council etwa geht da in meinen Augen objektiver an die Auswahl heran.
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Showroom oder Shop? Dieses Verwirrspiel kommt bei Modefreaks an
INTERV IE W
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STANDFEST ALLISON GETTINGS (35) über ihren neuen Berliner Store für Frauen-Boots und warum RED WING HERITAGE gerade jetzt wieder angesagt ist
Allison Gettings verantwortet als Teil der amerikanischen Schuhdynastie Red Wing Heritage
Im neuen Red-WingHeritage-Store gibt es auch Vintage-Modelle zu bestaunen
Mrs. Gettings, warum heißen Red-W ingSchuhe eigentlich Red Wing? Die Marke ist benannt nach der Stadt, in der die Schuhe hergestellt werden: in Red Wing, Minnesota, einem kleinen Ort im Nirgendwo – zwar wunderschön an einem Fluss gelegen, aber alles andere als ein „fashion place“. (lacht) Das Produzieren von Leder hat dort eine lange Tradition.
Noch bevor es u nsere Manufaktur gab, wurde dort schon L eder gegerbt. Seit wann gibt es Ihre Manufaktur? Gegründet wurde sie 1905 von Charles H. Beckman, einem Schuhhändler aus Deutschland, der nach Amerika aus gewandert war. 1921 übernahm sie mein Urgroßvater. Bis in die 80er-Jahre s tellten wir alle Arten von Schuhen her – auch klassische Herrenmodelle. Danach spezialisierten wir uns auf A rbeiterschuhe. Sie machen heute 80 Prozent unseres Business aus. In unseren Läden in Amerika kaufen Handwerker, Zimmermänner und Bauarbeiter Schuhe für ihre Jobs. Mit normalen Arbeiterschuhen hat Ihre Heritage-Linie aber nichts zu tun, oder? Red Wing Heritage ist unsere Premium- Kollektion, deren Modelle auf alten 32
Styles basieren. Dabei durchforsten wir unser Archiv und interpretieren klassische Schuhmodelle neu. Dass es dafür einen Markt gibt, stellten wir in den 80ern in Japan fest. Dort war damals amerikanische Workerwear total angesagt. Irgend wann schwappte dieser Trend auch nach Europa über und so bauten wir vor etwa zehn Jahren die Heritage-Abteilung sukzessive auf. Seit letztem Jahr gibt es Heritage- Modelle auch für Frauen. Wie kamen Sie auf die Idee? Wir stellten fest, dass sich auch Frauen für authentische Schuhe interessieren. Das liegt zum einen am Nachhaltigkeits aspekt: Immer mehr Frauen wollen wissen, woher ein Produkt kommt und wie es gemacht wird. Zum anderen spielt auch die Mode eine Rolle, die immer masku linere Züge bekommt. Um sich stärker zu
fühlen, integrieren Frauen heute auch gerne Elemente aus der Männermode in ihre Outfits.
Fotos: Red Wing Heritage (2), Max Schwarzmann
Ihre Liebe für Boots sog Allison Gettings schon mit der Muttermilch auf. Kein Wunder. Schließlich ist sie Teil der RedWing-Eigentümerdynastie. 1921 übernahm ihr Urgroßvater J. R. Sweasy die amerikanische Schuhmanufaktur. Ihr Vater Bill, bis vor zwei Jahren noch im operativen Geschäft tätig, bekleidet heute die Funktion als Chairman. Auch T ochter Allison ist mit an Bord – als Director of Product verantwortet sie sämtliche Schuhlinien von Red Wing Heritage.
Plakat von 1926 – solche Modelle interpretiert die amerikanische Schuhmarke heute neu
Und wie? Man sieht das an vielen Einflüssen in der Mode, die mit Labels wie Carhartt immer mehr in eine workwear-inspi rierte Richtung geht. Auch Jeans aus Selvedge Denim werden bei Frauen immer populärer. Dies gab uns den Impuls, unsere maskuline Red-Wing-DNA auf Frauenschuhe zu übertragen. Das P roblem war nämlich bisher immer, dass unsere M ännerschuhe für Frauen zu schwer sind. Jetzt gibt es sie aus leichterem Leder mit einer Passform, die schmaler und geschmeidiger ist. Unsere Frauenschuhe sind genauso tough und unzerstörbar wie die Männermodelle, dafür aber viel bequemer und weniger schwer.
Orientieren Sie sich stilistisch auch an den Männerschuhen? Zum großen Teil ja. Aber nicht nur. Es gibt auch Styles, die auf alten Frauenmodellen basieren (zeigt am Tablet hohe Schnürstiefel). 1921, als mein Urgroßv ater die Firma übernahm, brachte er die ersten Frauenschuhe auf den Markt: eine Abwandlung von Wanderstiefeln für Männer. Zu einer Zeit, in der Frauen das erste Mal Hosen in der Öffentlichkeit trugen, war dies ein absolutes Novum. Vergangenen Oktober eröffneten Sie in Berlin Ihren ersten Footwear-Store für Frauen. Warum hier? Das hatte zunächst praktische Gründe. Denn unser Männer-Store war einfach zu klein, um auch Frauenmodelle zu verkaufen. Als uns zufällig in der Nähe das Ladenlokal angeboten wurde, nahmen wir die Gelegenheit wahr und eröffneten 33
den neuen Shop. Für dieses Pilotprojekt ist Berlin besser geeignet als alle anderen Städte in Europa. Denn für mich ist Berlin „die“ alternative Modemetropole. Sie passt perfekt zu unserem funktionalen, schnörkellosen Design. Außerdem ist hier das Wetter sehr wechselhaft. Ideal für Frauen, die mit festem Schuhwerk gut aussehen wollen. Was halten Sie persönlich von Berlin? Ich war schon oft in Berlin und ich liebe es. Die Stadt hat einen coolen Vibe und ist so gar nicht prätentiös. Sobald man hier ankommt, fühlt man sich sofort wohl. Einer meiner Lieblingsplätze ist das K aterschmaus. Letzten Sommer war ich mit meiner zweijährigen Tochter dort: Überall tobten Kinder herum. Es gibt Rutschen und Sandkästen. Es ist wirklich ein cooler Ort mit einem tollen Ausblick auf die Spree.
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TABLET
DIE NÄCHSTE VUE/BERLIN ERSCHEINT AM 13. JANUAR 2018
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