Ennundteh 3/2013

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ennundteh Magazin des BDKJ Erzdiözese Köln

Dezember | 3.2013 | 27. Jahrgang

(So viel) Zeit muss sein

Von unserem Umgang mit der Zeit

Leben ist anders

BDKJ fordert Freiräume für junge Menschen

Sternsingen 2014

Ein Segen für Kinder auf der Flucht


inhaltundimpressum

bdkjundmitgliedsverbände BDKJ-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6316, Fax: 0221 1642‑6613 info@bdkj-dv-koeln.de www.bdkj-dv-koeln.de BdSJ-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6562 info@bdsj-koeln.de www.bdsj-koeln.de CAJ-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6848 info@caj-koeln.de www.caj-koeln.de DJK Sportjugend Diözesanverband Köln Am Kielshof 2, 51105 Köln Fon: 0221 9980840, Fax: 0221 99808419 info@djkdvkoeln.de www.djkdvkoeln.de DPSG-Diözesanverband Köln Rolandstraße 61, 50677 Köln Fon: 0221 937020‑0, Fax: 0221 937020‑44 info@dpsg-koeln.de www.dpsg-koeln.de KjG-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6432, Fax: 0221 1642‑6841 info@kjg-koeln.de www.kjg-koeln.de KLJB-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6555, Fax: 0221 1642‑6288 buero@kljb-koeln.de www.kljb-koeln.de

landundleute Kolping Jugend: Diözesan­ konferenz bestimmt Ver­ trauenspersonen zur ­Prä­ventionsarbeit____________ CAJ: Gemeinsam lernen und wachsen________________ KLJB: „Wir sind kein 08/15-Verband“______________ DPSG: Tortuga – Die Suche nach dem Piratengold________ Namen und Nasen___________ KjG: „Da müssen Sie die Kinder fragen!“ _____________ Frischer Wind beim BDKJ______

mystikundpolitik

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Malteser Jugend Diözesanverband Köln Siegburger Straße 229c, 50679 Köln Fon: 0221 974545‑18, Fax: 0221 97454527 jugendreferat@malteserjugend-koeln.de www.malteserjugend-koeln.de PSG-Diözesanverband Köln Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln Fon: 0221 1642‑6560, Fax: 0221 1642‑6869 info@pfadfinderinnen-koeln.de www.pfadfinderinnen-koeln.de

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zumthema

Kolpingjugend Diözesanverband Köln Präses-Richter-Platz 1a, 51065 Köln Fon: 0221 2839520, Fax: 0221 2838529 dmimberg@kolping-koeln.de www.kolpingjugend-dv-koeln.de KSJ-Diözesanverband Köln Gabelsberger Straße 19, 50674 Köln Fon: 0221 410508, Fax: 0221 4200619 info@ksj-koeln.de www.ksj-koeln.de

Sternsingen 2014: Ein Segen für Kinder auf der Flucht______________ Die SternsingerInnen – Save the date______________ Zwei neue Teile_____________ Papst Franziskus: Es gibt Rückenwind..._______

kulturundgesellschaft

Gedanken zur Zeit__________ Interview: „Ich lasse Luft ­zwischen den Terminen“____ Umfrage: So ein Stress!?_____ Filmtipps zum Thema_______

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Wintergefühle_______________ 8 „Einfach“ Schokolade kaufen?_____________________ 9 „Freie Gestaltung der Zeit und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen“________ 10

impressum Die ennundteh (ehemals N&T, ehemals News & Trends) ist das Magazin des BDKJ Erzdiözese Köln. herausgeber Trägerwerk des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Erzdiözese Köln e. V., Steinfelder Gasse 20–22, 50670 Köln, Telefon: 0221 1642‑6316, Fax: 0221 1642‑6613, E-Mail: redaktion@bdkj-dv-koeln.de, Internet: www.bdkj-dv-koeln.de redaktion Jan Peter Gesterkamp (JPG), Johanna Lang (jl), Steffi Maier (sm), Susanne Schütte V. i. S. d. P. (sus) korrektur Markus Schnorrenberg, ­Johanna Lang, Susanne Schütte ­layout Thomas ­Jakobi druck schöttler druck, Ratingen titelbild goshina/photocase.com auflage 1 550 Exemplare erscheinungsweise 2 x jähr­ lich bezugspreis Der Bezugspreis für ennundteh ist für die Mitglieder in den Mitgliedsverbänden des BDKJ im Erzbistum Köln in dem jeweiligen Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1437‑9120 · N­ amentlich ­gekennzeichnete Beiträge entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Die nächste ennundteh kommt im Frühling 2014.

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inntroh

„Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir. Noch 148 Mails checken, wer weiß was mir dann noch passiert, denn es passiert so viel“ Tim Bendzko

Foto: cydonna/photocase.com

Für meinen ersten rich­ tigen Job habe ich mir vor zwei Jahren ein Smartphone zu­ gelegt. In meinem Umfeld war ich da­ mit eine der Letzten, die von einem guten alten Handy-Knochen auf eine tolle Multi­ funktionsmaschine um­ gestiegen ist. Lange habe ich vorher gezögert. Nicht aus Ablehnung gegen neue Technik und Smartphones, sondern weil ich total anfällig bin für alle Arten der Kommunikation. Es kam dann natür­ lich auch wie es kommen musste: Von 0 auf 100 in 2 Sekunden! Per WhatsApp mit Familie und Freun­ dInnen kostenlos simsen. Auf Facebook schnell ein Foto posten. Und dann – Klassiker – nach Feier­ abend noch Arbeitsmails checken. Puh! Die vielen Möglichkeiten unter Kontrolle zu bekommen, war am Anfang nicht einfach. „Mehr leben, weniger do­ kumentieren!“ so hat es dann mal eine Freundin zum Thema Social Media auf den Punkt gebracht. Und es stimmt: Es ist zwar super, dass ich diese technischen Möglichkeiten für mich nutzen kann. Beim Treffen mit Freund­Innen oder im Gespräch mit KollegInnen bleibt das Telefon aber jetzt in der Ta­ sche … meistens. In der aktuellen Ausgabe beschäftigt sich die e­ nnundteh mit der Frage, wie sich unser Verhältnis

zur Zeit im Kontext von Smartphone & Co verändert hat. Was bedeuten G8-Reform und Bologna-Prozess für Leben und Lernen junger Menschen? Schneller gelernt werden soll in den Schulen und Unis um möglichst rasch für den Arbeitsmarkt zu qualifizie­ ren. Hobbies und ehrenamtliches Engagement blei­ ben da oft auf der Strecke. Haben wir überhaupt noch genug Zeit, um alles unter einen Hut zu be­ kommen? Im „Bündnis für Freiräume“ engagiert sich der BDKJ deswegen gegen diese Missstände. Außerdem steht uns Zeitforscher Karlheinz Geißler im Interview Rede und Antwort. Zeit genug soll in diesem Heft auch sein, damit sich drei ReferentInnen des BDKJ vorstellen: Jan Peter, Rebekka und ich sind die Neuen im Team. Welche Themen und Projekte wir beim BDKJ be­ treuen, erfährst du auf Seite 7. Eine gute Zeit beim Lesen wünscht

Johanna Lang Referentin für Presse und Medien

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Diözesankonferenz bestimmt Vertrauenspersonen zur Präventionsarbeit

Foto: Alexander Volberg

Auf der Herbstdiözesan­ konferenz 2013 des Kol­ pingjugend Diözesanverbands Köln in Niederkassel-Rheidt ging es dem Diö­ zesanarbeitskreis um neue Module der

So könnte das Cover der „Fairytale“ in Zukunft aussehen.

Präventionsarbeit. Zum Thema „Schutz Zusammenfassung des Jahresthemas vor Kindeswohlgefährdung“ stellte der „Kolpingjugend – der FAIRBAND“ die­ nen. Als Vorschläge sammelten die Diözesanarbeitskreis die neuen Ver­ Delegierten unter anderem Interviews, trauenspersonen vor, die den Mitglie­ Reportagen, Foto-Stories oder einen dern der Kolpingjugend als BeraterIn­ nen zu diesem Thema zur Seite stehen Produkt-Check. Diese Ideen nimmt nun die Arbeitsgruppe „Kritischer Kon­ werden. Damit die Jugendlichen die­ se auch einfach erreichen können, rich­ sum“ zur Ausgestaltung mit in einen Kreativ-Workshop. tet der Diözesanverband eine Kinder­ Zur Herbstkonferenz 2013 kamen ca. schutz-Hotline ein, um Gruppenleitern Hilfestellung bei diesem wichtigen The­ 30 Teilnehmer aus verschieden Orts­ gruppen des Erzbistums. Vor Beginn ma zu geben. „Mit der Einführung der der Konferenz feierten die Delegier­ Vertrauenspersonen, sind wir einer ten einen Gottesdienst mit Diözesan­ der ersten Diözesanverbände, der das präses Winfried Motter zum Thema Thema ,Prävention‘ auf so breite Bei­ ne stellt.“, sagte Diözesanleiterin Sarah „Wer’s glaubt?!“ im Pfarrheim der Ge­ meinde St. Dionysius. Forst. „Wir haben zwar schon etliche Die Kolpingjugend im Erzbistum Angebote zu diesem Thema, sind aber Köln ist der Jugendverband des Kol­ immer bemüht diese noch weiter aus­ pingwerks im Erzbistum Köln mit rund zubauen.“ 1 000 Mitgliedern. Die Diözesankonfe­ Im Rahmen des Studienteils ge­ renz der Kolpingjugend findet zwei­ stalteten die Delegierten Inhalte der mal jährlich statt und ist das höchs­ Zeitschrift „fairytale“, die sich mit te beschlussfassende Gremium der dem Thema „kritischer Konsum“ be­ Kolpingjugend Diözesanverband Köln. schäftigen soll. Das Magazin soll im ­ lexander Volberg, Kolpingjugend DV Köln Stil bekannter Jugendzeitschriften als A

Gemeinsam lernen und wachsen Mittwochmorgens, 5:00 Uhr … Häää? Eine von Mü­ digkeit und Enge geplag­ te, später dann doch motivierte Grup­ pe trat gemeinsam die Reise an. Nach „etlichen“ gefühlten Stunden, kamen wir endlich am heiß ersehnten Ort an: Hallo Prag! Wir gingen gemeinsam auf die Suche nach Daten, Fakten und Informatio­ nen und sind dabei an unsere Grenzen gestoßen. Uns reichte keine normale Stadtführung – nein – wir brauchten ei­ ne besondere Herausforderung: „Wie­ so können die Menschen auch einfach kein deutsch sprechen?!“ ;)

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Zusammenarbeit war ein wich­ tiger Punkt, der uns all die Tage begleitet hat. Sei es beim „Per­ fekten Dinner“, bei der „BravoLove-Story“ oder bei der Aktion „Wenn ich König von Deutsch­ land wär“. Egal, welches politi­ sche oder gesellschaftliche The­ ma – nicht nur trockene Theorie, sondern auch jede Menge Spaß CAJ Gruppe in Prag. wurde durch „praxisnahe“ Bei­ spiele gefordert. Doch die Herausforderung „Aktion Stra­ „Wo liegen meine Grenzen?“ fragten ßenkünstlerIn“ hat sich gelohnt. sich die ein oder anderen als es hieß Gemeinsam lernen und wachsen, „In Prag, auf der (Teufel–) Karlsbrücke das haben wir erfahren auf der Bil­ gibt es viele StraßenkünstlerInnen“. dungsfahrt 2013. Julia Schuhbauer, CAJ

Foto: CAJ DV Köln

Die CAJ-Bildungsfahrt nach Prag


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Namen und Nasen

Zu diesem Motto traf sich die ment“, „die inhaltlichen Themen der KLJB zu ihrer Herbst-Diöze­ KLJB“ und „die KLJB-Zugehörigkeit als sanversammlung in Köln. Ne­ Gefühl“. Viele Diskussionen und Spiel­ ben allen organisatorischen Punkten ideen luden die TeilnehmerInnen dazu gab es ein Qualifizierungsprogramm ein, das Thema auch in den eigenen für die Delegierten. Es ging um die Ortsgruppen zu behandeln. Christin Frage, wie in den verschiedenen Ebe­ Lechten­böhmer, KLJB DV Köln nen der KLJB vermittelt werden kann, dass es sich um einen profilstarken Verband handelt, in dem sich viele Ehrenamtli­ che gerne engagieren. Entschei­ dend waren dabei die Punkte „Verantwortung tragen“, „Enga­ Die KLJB im Erzbistum Köln. gement ist nicht gleich Engage­

Die BDKJ-Landesversammlung hat S­ arah Primus als Landesvorsitzende gewählt. Beim BDKJ Leverkusen fan­ den Stephanie Boll als Stadtvorsit­ zende und Pfr. Michael Ottersbach als Stadt­ präses er­ neut Zustim­ mung, Denise Kraft und Sebastian Neukirchen wurden neu gewählt. Außerdem wurden in Le­ verkusen Jörn Hilgendorf, Alexandra Gierlich und Sven Geßner aus dem Stadtvorstand verabschiedet. In Bonn wurde Mike Schirpenbach als Präses des BDKJ wiedergewählt. ­L aura Geißen wurde beim BDKJ Brühl aus ihrem Amt als Stadtvorsitzende verabschiedet. Im Rahmen der Diöze­ sanversammlung wurde sie mit dem Silbernen Ehrenkreuz ausgezeich­ net. Die BDKJ Bundesvorsitzende Lisi ­Maier bleibt weiterhin Vorsitzende an der Doppelspitze des DBJR. Wir gratu­ lieren zur Wahl!

Tortuga – Die Suche nach dem Piratengold Eine neue Herausforderung: Wochenenden vorbereiten für 300 Leute, darin ist der Juf­ fi-AK ja mittlerweile geübt. Ein einwö­ chiges Sommerlager zu planen war da schon schwieriger. Die Frage der Kos­ ten, die Auswahl des Busunterneh­ mens sowie Zeltplatzprobleme kostete die ein oder andere schlaflose Nacht. ,, Die Piratenstory Die Juffis heuerten auf einem Schiff Richtung Tortuga an. Auf dem Weg dorthin kenterten sie und strande­

ten durch Zufall an ihrem Bestim­ mungsort – auf Tortuga. Die Juffis integrierten sich im Inselleben, wer­ kelten an Schatzkisten, Entermes­ sern, Schmuck und Flößen herum. Nebenbei befreiten sie noch die ent­ führte Bardame aus den Händen der Piraten, reparierten die Schildkrö­ tengottheit und feierten ein großes Gelage. Der ein oder andere Schatz wurde natürlich auch noch entdeckt. Ein gelungenes Lager! ,, Das war außerdem

Foto: DPSG DV Köln

Lager ohne Lagerfeuer! Während des Lagers herrschte zeitweise höchs­ te Waldbrandgefahr und das Feuer musste durch Kerzen im Glas ersetzt werden. Doch auch diese erzeugten eine gemütliche Atmosphäre. Abends keine Cola im Café! Kin­ der und LeiterInnen hatten im La­ gerrat die Möglichkeit sich ins Ta­ gesgeschäft einzumischen und so wurden dort neben vielen anderen Dingen, wie der Nachtruhe im Leiter­ café, auch über den Colaausschank zu später Stunde abgestimmt. Katrin Die Juffis an Bord in Richtung Tortuga.

Hermwille, DPSG DV Köln

Foto: KLJB/Michael Krämer

„Wir sind kein 08/15-Verband“

Als KLJB Diözesanvorsitzende wurde Camilla Rödder neu gewählt sowie Christa Laux in ihrem Amt bestätigt. Uli Hermwille ist neu im Vorstand der Jugendstiftung Morgensterne. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit! Gratulation an Nadja Schnabel zur Neuwahl und an Lisa Schulz zur Wie­ derwahl als Diö­zesanleitung des KSJ. In den BDKJ-Regionen wurden außer­ dem drei neue Stellen eingerichtet: Im Rheinisch-Bergischen Kreis begrü­ ßen wir Anne Larroque als neue Vor­ standsreferentin. Weiterhin heißen wir zwei neue Referentinnen für Ju­ gend‑ und Gesellschaftspolitik herz­ lich willkommen: Melina Schütz ar­ beitet für den Stadtverband Bonn und Simone Zorn unterstützt den BDKJ im Oberbergischen Kreis.

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„Da müssen Sie die Kinder fragen!“ Kindermitbestimmung in der KjG-Kinderstadt in Bergisch Gladbach (Köln/Bergisch Gladbach) Mit einem Planspiel der besonderen Art wandte sich der Diözesanverband der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) an seine Mitglieder zwischen acht und zwölf Jahren. Während der ersten Herbstferienwoche durften sie in der KjGKinderstadt in Betrieben arbeiten, Geld verdienen und ausgeben, ein Bürgermeisterteam wählen und das Stadtleben gestalten.

bezahlen müssen? Es wurde umdis­ poniert: Wo können wir die erste Fol­ ge unserer TV-Soap Kinderstadt 51469 zeigen, wenn das Kino sie partout nicht ausstrahlen möchte? Es wurde geplant: Wie laden wir die Kinder zum ersten Kinderkirchen-Gottesdienst ein? Es wurden Dinge auf den Kopf gestellt: Wieso sollten wir nicht den WDR-Jour­ nalisten, der hier unterwegs ist und uns filmt, für die Kinderstadt-OnlineRedaktion interviewen?

Foto: Sebastian Sehr

Mehrheit der Kinder für eine Steuerer­ höhung stimmen zu lassen – indem sie geduldig erklärten, wie die leere Stadt­ kasse mit den Arbeitsplätzen bei den städtischen Betrieben zusammenhängt. Wundersam, wie beherzt Kinder Wer­ bestrategien aus dem Hut zauberten: „Was Angebot und Nachfrage, Marke­ ting und Absatzförderung sind, wissen die Kinder nicht. Sie machen einfach“, staunte der Kölner Stadt-Anzeiger. Si­ cher wunderte sich auch Lutz Urbach, Bürgermeister von Bergisch Gladbach und Schirmherr des Projekts: Er wurde bei einem seiner Besuche von seinem Sohn als Kinderstadt-TV-Reporter inter­ viewt. Es staunte sogar die KjG-Projekt­ leitung, Katharina Schwellenbach und Christoph Sonntag: Unglaublich, dass die 80 HelferInnen nicht müde wurden, obwohl sie tagsüber einen Betrieb be­ treuten, abends Kinder in den Schlaf brachten und nachts Leitungsrunden absolvierten. Bereits am zweiten Tag lief die KjGKinderstadt rund und Kinder wie Hel­ fende lebten in ihrem Universum – die Welt draußen existierte nur für die 80 Tageskinder, die nicht in der IGP über­ nachteten. Ab und zu kam aber die Außenwelt zu Besuch: Eltern wurden In der KjG Kinderstadt haben die Kinder das Kommando. in Filzpantoffeln von Kindern durch die Stadt geleitet und begegneten ih­ „Lasst das mal uns Kinder machen“, Vor den Augen des WDR-Reporters, ren Sprösslingen im Pub, in der Holz­ sangen die neuen BürgerInnen der der pünktlich zur ersten Eröffnung der werkstatt oder in einem vorbeisausen­ KjG-Kinderstadt bereits zur feierlichen Job­agentur in der KjG-Kinderstadt eintraf, den Taxi. Zur Stadtführung sammelten Eröffnung der KjG-Kinderstadt am entfaltete sich in nur 90 Minuten das, sich Mütter und Väter im Elterngarten, Montag. Sie hatten gerade die Integ­ was in den Folgetagen perfektioniert wo sie bei einem fairen Wechselkurs rierte Gesamtschule Paffrath bezogen, wurde: Erstaunt konnte er filmen, wie in Euro in Tacken für Milchcafé und Ku­ ihre Bezugsgruppen und die Stadtre­ kürzester Zeit Vernetzungen zwischen chen tauschen konnten. Immer wie­ geln kennengelernt. Was es jedoch den Betrieben entstanden, Führerschei­ der suchten sie hier den Blickkontakt bedeutet, das Ruder in die Hand zu ne abgelegt wurden, um die Taxizent­ des erwachsenen Betriebsbetreuers: nehmen, erfuhren sie erst nach ihrem rale eröffnen zu können, das Edelres­ „Wann geht die Führung los? Was kos­ unglaublichen Run auf die Arbeits­ taurant Speisekarten in der Druckerei in tet der Milchcafé? In welchem Betrieb agentur mit Jobs in 48 Betrieben. Auftrag gab und vieles mehr. arbeitet mein Kind heute?“ Doch von Danach wurde kalkuliert: Wie viel Dieses Erstaunen war übrigens al­ ihm bekamen sie nur einen Satz zu darf die Pizza kosten, wenn wir die nö­ len Erwachsenen anzumerken. Wirklich hören: „Da müssen Sie die Kinder tigen Lebensmittel in der Kinderstadtsonderbar, wie es Bürgermeisterin L­ uisa fragen!“ Birgit Elsner, Bildungsreferentin Metro, aber auch die Mitarbeitenden und Bürgermeister Rene schafften, eine Presse‑ und Öffentlichkeitsarbeit, KjG Köln

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landundleute

Frischer Wind beim BDKJ

Kontakt

Im BDKJ Team hat sich 2013 einiges getan: Drei neue ReferentInnen verstärken die BDKJ Diözesanstelle.

Jan Peter ist immer dienstags, mittwochs und freitags im Büro und unter 0221 1642‑ 6212 sowie unter politik@bdkj-dv-koeln.de zu erreichen.

Jan Peter Gesterkamp (32) ist seit Ju­ li als Referent für Jugend‑ und Ge­ sellschaftspolitik in der Diözesan­ stelle. Als Volljurist ist Jan Peter unter anderem zuständig für die po­ litische Interessenvertretung des BDKJ und berät die Mitglieder der Ju­ gendhilfeausschüsse in Sachen Kom­ munalpolitik. Für alle Fragen rund um Kirche und Glauben ist seit September Reb­ bekka Biesenbach (31) als neue Re­ ferentin für Theologie und Pastoral verantwortlich. Außerdem kümmert sich die Theologin beim BDKJ aktuell schwerpunkt­

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Rebekkas Bürozeiten sind montags, diens­ tags und mittwochs. Telefonisch ist sie unter 0221 1642‑6836 und per Email via theologie@bdkj-dv-koeln.de erreichbar.

mäßig um die „Aktion Dreikönigs­ singen“. Seit November ist Johanna Lang (29) als Referentin für Presse und Medien an Bord des BDKJ. Nach ei­ nem Studium der Romanistik und ei­ nem Volontariat zur PR-Redakteurin ist sie ab sofort für die Webseiten des BDKJ zuständig, macht die Pres­ se‑ und Öffentlichkeitsarbeit und betreut die Entstehung der ennundteh.

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Johanna könnt Ihr jeweils dienstags, mittwochs und donnerstags unter 0221 1642‑6835 oder per Email unter ­redaktion@bdkj-dv-koeln.de erreichen.

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Foto: mathias the dread/photocase.com

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kulturundgesellschaft

Wintergefühle Macht Euch warme Gedanken: Unsere Buchtipps für die kalte Jahreszeit Taumeln in Russland Der nicht mehr ganz junge Brite Nick arbeitet als Anwalt in Moskau und scheint dahinzutreiben wie die Moskwa, die sich durch Russlands Hauptstadt schiebt. Doch nicht zu wissen, wo man hinwill hat seine Tücken, wenn andere einen führen – denn man kann sich nicht sicher sein, ob man dorthin wollte, wo man rauskommt oder doch der sein will, der man unterwegs war. Protagonist Nick und der Autor A. D. Miller nehmen uns mit in „Die eiskalte Jahreszeit der Liebe“: Eine Suche nach sich selbst, eine Geschichte von Liebe auf Speed, ein Gangsterroman der russischen Seele. So etwas kann nicht gut ausgehen und doch lässt es uns, wenn wir den Buchdeckel zuklap­ pen und gemeinsam mit Nick aus dem Strudel wieder an die Oberflä­ che kommen, auch sehnsüchtig zurück, nach all diesen Momenten und Gefühlen, die vielleicht doch nur Business gewesen sein könnten. Ansgar Kesting

Spannend wie ein Abenteuerroman, jedoch auch erschreckend, berichtet der Journalist Fabrizio Gatti über die berüchtigte Transitroute vom Sene­ gal über Libyen mit dem Ziel Europa. Verkleidet als Migrant nahm Gatti den Weg, den viele afrikanischen Flücht­ linge in der Hoffnung auf ein besse­ res Leben in Europa bestreiten. Er hat die Strapazen, die Erniedrigungen und die Ängste erlebt, wie sie täglich Hunderte Menschen auf dem Schre­ ckensweg durch die Sahara erfahren müssen. Dem Journalist ist es sogar gelungen, in das Auffanglager in Lam­ pedusa aufgenommen zu werden und über die dortigen Bedingungen zu berichten. Bis dato war dies keinem Journalisten gelungen, da das Lager gegenüber jegliche Berichterstattun­ gen komplett abgeschottet wird. Nicht nur die derzeitige öffentli­ che Debatte über die sogenannten illegalen Flüchtlinge aus afrikani­ schen Ländern macht das Buch so lesenswert. Absolut passend hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszei­ tung geschrieben: „Sein beeindru­ ckender Bericht gibt jeglicher Debat­ te über illegale Einwanderung ihre menschliche Dimension zurück.“ Susi Waidmann, BDKJ Diözesanvorsitzende aus dem DV Essen

A.D. Miller „Die eiskalte Jahreszeit der Liebe“. S. Fischer

le sie vergiften. Daraufhin wird eine unglaubliche Geschichte entdeckt: Die Ausbilderin der jungen Nonnen, Ma­ ria Luisa hat ein Netz von Abhängigkei­ ten gewebt, bestehend aus sexuellen Übergriffen und Gewalt, die religiös le­ gitimiert werden. Denn sie gründet ih­ re Herrschaft auf ihre Heiligkeit. Die­ se lässt sie sich, als dreizehnjährige selbst von der Äbtissin missbraucht, durch Briefe bestätigen, die angeb­ lich die Jungfrau Maria (in schlechtem Französisch) persönlich verfasst haben soll. Eine wichtige Rolle spielt auch ein deutscher Jesuit, der unter falschem Namen bei den Nonnen die Beich­ te hört und seine Position in sexuel­ ler Hinsicht weidlich ausnutzt. Was die Verantwortlichen im Vatikan aber nicht daran hindert, ihn zu einer der wich­ tigsten Figuren beim 1. Vatikanischen Konzil 1870 zu machen. Was sich zunächst nach einer Räuberpistole anhört ist die atem­ beraubende Recherche des Münste­ raner Kirchenhistorikers Hubert Wolf. Er legt in diesem wichtigen und umfangreichen, aber gut zu lesen­ den Buch schonungslos offen, dass Machtmissbrauch und sexuelle Ge­ walt in der Kirche nicht nur ein The­ ma unserer Tage ist, ebenso nie nur das Vergehen einzelner Personen. Wolf zeigt, wie Religion und Macht sehr schnell einen Nährboden bilden können, in deren Struktur das Böse gedeiht. Peter Otten, KjG DV Köln

Ein Reisebericht aus der Hölle

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Fabrizio Gatti „BILAL. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa“, rororo

Das Böse hinter Klostermauern 1859 ruft eine adlige deutsche Nonne im römischen Franziskanerinnenklos­ ter Sant‘Ambrogio um Hilfe, man wol­

Hubert Wolf „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“, C. H. Beck Foto: MPower./photocase.com

Als ich die Anfrage einer Buchrezen­ sion bekam, dachte ich sofort an das Buch von Fabrizio Gatti: „BILAL. Als ­Illegaler auf dem Weg nach Europa“. Dieses Buch hat mich so gefesselt, dass ich absichtlich spätere Züge ge­ nommen habe, um am Bahnsteig wei­ ter lesen zu können.


kulturundgesellschaft

„Einfach“ Schokolade kaufen? S

chokolade ist ein kompliziertes Pro­ dukt. Nicht nur die Entscheidung, ob Vollmilch, Zartbitter oder Trauben-Nuss, sondern auch die Wahl der weiteren Inhaltsstoffe ist schwierig. Viele den­ ken bei Schokolade zuerst an Kakao, aber es gibt immer mehr minderwerti­ ge Schokolade, in der überhaupt kein Kakao mehr drin ist. Und an Stelle der Kakaobutter werden Ersatzfette wie Illi­ pe-, Shea‑ oder Palmfett verwendet. Hinzu kommt die Entscheidung, ob man zur bekannten Marke greift oder

Schokolade Im Durchschnitt kaufen die Deutschen etwa 12 Kilo Schokolade pro Kopf und Jahr. Weihnachten ist aber nicht die Hauptsai­ son – an Ostern ist der Verbrauch noch höher.

Fotos: farfalla/photocase.com & Carolinchen./photocase.com

Die handelsübliche Schokolade besteht aus mehreren Inhaltsstoffen. Je nach Sorte und vor allem je nach Qualität, gibt es große Unterschiede beim Anteil von Kakao, Zucker, Palmöl und Milch. In manchen westafrikanischen Ländern wie der Elfenbeinküste und Ghana sind 90 % der Kleinbauern vom Kakaoanbau als Haupteinnahmequelle abhängig. Viele Kakaobauern und ‑bäuerinnen müssen mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen. Nur 0,17 % des in Deutschland insgesamt eingekauften Kakaos stammen aus fairem Handel.

fair gehandelte Schokolade kauft. Wann ist eine Schokolade fair? Für fast alle Bestandteile der Schokolade gibt es detaillierte Regeln, die eingehalten werden müssen, damit das Produkt das Fairtrade-Siegel bekommen kann. Und es gilt: Alles was „fair“ geliefert werden kann, muss auch aus fairem Handel sein. Das gehört zu den Grund­ regeln von Fairtrade. Das Prädikat „fair“ lässt sich na­ türlich bis ins Detail steigern. Produk­ te der GEPA sind fast immer „fair+“, denn die Milch in der Schokolade wird von Naturland-Bauern­ höfen zu fairen Preisen gekauft. Seit langer Zeit ver­ spricht die kakaover­ arbeitende Industrie, dass sie beispiels­ weise gegen Kin­ derarbeit vorgehen möchte, aber bis auf Selbstverpflichtungser­ klärungen hat sich kaum etwas verändert. Daher lohnt es sich, hier aktiv zu werden, beispielsweise bei dieser Unterschriftenkampag­ ne: de.makechocolatefair.org Für Gruppenstunden und Freizeiten lohnt sich die „Scho­ kobox“. Für 15,– € zzgl. 4,95 € Versandkosten bekommt man beim Fair Trade e. V. (GEPA) ein Brettspiel,

eine Arbeitshilfe und den „Bruno und Alberto“-Comic. Geeignet sind diese Materialen zum Fairen Handel für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren. Bestellung unter der Telefonnummer 0202 26683‑14/561 oder per Mail fairtrade@gepa.org. ­Wilfried Wunden, Referent für Entwicklungs‑ politik beim BDKJ Diözesanverband Aachen

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kulturundgesellschaft

„Freie Gestaltung der Zeit und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen“ Katholische Jugendverbände fordern auf ihrer Jahresversammlung einen neuen Umgang mit der Zeit. Rund neunzig Delegierte der katholischen Jugendverbände haben am ersten Adventswochenende auf der Diözesanversammlung des BDKJ im Erzbistum Köln getagt. Die Jugendverbandlerinnen und Jugendverbandler diskutierten unter anderem über den zunehmenden Zeit‑ und Leistungsdruck, dem Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind. „Junge Menschen haben immer we­ Die Delegationen im Sitzungsaal. niger unverzweckte Zeit. Der Druck, sondern auch auf ihre eigene Orga­ Leistung zu erbringen und die eige­ ne Zeit in Lernen oder Arbeit zu inves­ nisation und Anforderungen blicken: „Wir wollen mit gutem Beispiel voran tieren, ist so hoch wie nie“, erläutert gehen und ausprobieren, welche Aus­ BDKJ-Diözesanvorsitzende Susanne wirkungen es hat, wenn wir unsere Schütte „Leben ist anders“, den Leit­ beschluss der Versammlung. „Als jun­ Gremienkultur verändern, um gegen­ seitigem Leistungsdruck entgegen zu ge Christinnen und Christen fordern wirken“, erklärt BDKJ-Diözesanvorsit­ wir von der Politik, Kindern, Jugend­ lichen und jungen Erwachsenen Rah­ zender Tobias Agreiter. „Damit setzen die katholischen Jugendverbände ei­ menbedingungen zu bieten, die eine freie Gestaltung der Zeit und selbstbe­ nen Gegentrend zur immer weiter vor­ anschreitenden Verdichtung der Zeit.“ stimmtes Lernen ermöglichen.“ In einem Beschluss Die katholischen Jugendverbände zur Präventionsarbeit wollen aber nicht nur gesellschaftli­ im Erzbistum Köln be­ che Rahmenbedingungen verändern,

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Die VertreterInnen der DPSG.

Auch Bastian Besserwisser ist bei der DV dabei.


kulturundgesellschaft

Jugendstiftung Morgensterne Schützenjugend investiert in die Zukunft

grüßen die Delegierten die Verpflich­ tung zu regelmäßigen Schulungen als effektives Mittel, um den Kin­ desschutz in der kirchlichen Jugend­ arbeit sicherzustellen. Sie fordern jedoch die Erweiterung der Schu­ lungskonzepte sowie die Sicherung der Finanzierung der Schulungen durch das Erzbistum. Aus aktuellem Anlass beauftrag­ te die Versammlung den BDKJ-Diö­ zesanausschuss sich verstärkt mit Asylpolitik und Flucht auseinander­ zusetzen und aktiv zu werden. Ein erster Schritt wurde bereits gemacht:

Im Rahmen der jährlichen Diözesanver­ sammlung der Katholischen Jugendverbän­ de im Erzbistum Köln hat der Bund der St. Sebastianus Schützenjugend (BdSJ) einen Scheck über 2 500 Euro an die Jugend­ stiftung Morgensterne im Erzbistum Köln gespendet.

heißt zurück zu blicken und ebenso nach vorne zu schauen. Wir möchten gerne in zukünftige Generationen investieren.“ so Tobias Kötting, Diözesanjungschützenmeister im Erzbistum Köln.

Anlass der Spende ist das 50 jährige Jubilä­ um der Schützenjugend. Bundesweit finden hierzu Veranstaltungen und Feiern statt. Die Schützenjugend im Erzbistum Köln hat das für die Feier vorgesehene Geld nun einem guten Zweck zugeführt. „Jubiläum feiern

Der traditionelle Gottesdienst der Ver­ sammlung stand unter dem Thema „Flucht“ und die Kollekte wird dem Verein „Ausbildung statt Abschiebung e. V.“ zugutekommen.

Weitere Beschlüsse in Kürze Termin: Die BDKJ-Diözesanversammlung des Jahres 2015 findet vom 27. bis 29. November 2015 statt. Vergewisserung: Der BDKJ DV hält die Aus­ stattung der katholischen Jugendverbände mit hauptamtlichen Präsides bzw. Geistli­ chen Verbandsleitungen für unverzichtbar und fordert die zukünftige Sicherstellung dieser Ämter vom Erzbistum Köln ein. Änderung der Geschäftsordnung: Die von der Diözesanversammlung gewählten Mit­ glieder des Wahlausschusses müssen zu gleichen Teilen weiblich und männlich sein.

Stephanie Müller (hier für den Walausschuss) unterstützt die Aktion „Mitreden ist cool“.

Michael Heider (KLJB) während der Diskussion.

Alle Beschlüsse gibt es online auf bdkj-dvkoeln.de > Diözesanverband > Beschlüsse

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Sternsingen 2014: Ein Segen für Kinder auf der Flucht Über die Nachrichten erreichen uns traurige Bilder und Erlebnisse von Flüchtlingen aus aller Welt. Zu dieser Aktualität passend lautet das Sternsingermotto in diesem Jahr „Segen bringen Segen sein. Hoffnung für Flüchtlingskinder in Malawi und weltweit“. ls Flüchtling gilt jede Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religi­ on, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei­ ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie be­ sitzt […]“ (­Genfer Flüchtlingsabkom­ men 1951). Die aktuellen Zahlen sind erschre­ ckend: 45,2 Millionen Flüchtlinge gibt es weltweit, 81 % von ihnen leben in Entwicklungsländern, 60 % werden in­ nerhalb des eigenen Landes vertrieben (sie werden von der Genfer Flüchtlings­ konvention nicht als Flüchtlinge aner­ kannt) und fast 50 % sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Fernsehreporter Willi Weitzel (be­ kannt aus „­Willi wills wissen“) war für die SternsingerInnen unterwegs in Ma­ lawi. In seinem Film zur aktuellen Stern­ singeraktion zeigt er, was es bedeutet Flüchtling zu sein und in einem Flücht­ lingslager zu woh­ nen. Keiner der ca. 17 000 Menschen im Flüchtlingslager Dzaleka ist wirk­ lich freiwillig an diesem Ort. Krieg, Naturkatastrophen, Verfolgung und Hungersnöte sind der Grund dafür, dass sie alle ihre Heimat verlassen haben, die Gefahren der Flucht auf sich genom­ men und dort Schutz gesucht haben. Die Meisten haben vor und auf ihrer Flucht schreckliche Dinge erlebt: Verlust, Gewalt, Krankheiten, Hunger und Durst. Oft mussten sich die Flüchtlinge über­ stürzt auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machen. Sie haben ihren Besitz, Familienmitglieder und alles ihnen bis­ her Vertraute verloren.

Foto: Ralf Adloff

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SternsingerInnen bei der Aussendungsfeier 2013 in Würzburg.

Das Lager sichert ihr Überleben: es bietet Schutz vor Feinden bis sie in ih­ re Heimat zurückkehren können oder Obdach in einem anderen Land erhal­ ten. Zudem ist für die notwendigsten Alltagsgegenstän­ de gesorgt. Aber das Leben ist nicht leicht: das Essen ist knapp und es gibt kaum Arbeit. Zwar gibt es kleine Hüt­ ten in denen die Familien leben und auf Strohmatten schlafen, aber Kälte, Wind und Regen machen den Alltag oft hart. Darüber hinaus kümmert man sich im Lager um eine sichere Wasserversorgung durch Brunnen sowie um die Versor­ gung mit Kleidung und Schuhen oder Hygieneartikeln wie Seife, Zahnbürste und Zahnpasta. Es gibt auch eine me­ dizinische Grundversorgung und eine Schule, denn Bildung ist der einzige Ausweg für die Zukunft der Flüchtlin­

„Der Alltag im Lager ist oft hart für die Flüchtlinge.“

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ge. Außerdem werden im Lager The­ rapien für die traumatisierten Kinder und Jugendlichen angeboten. Der Glaube an Gott und das gemein­ same Feiern der Messe schenkt vielen Flüchtlingen wieder neue Kraft. Aber auch das Wissen darum, dass Kinder sich als SternsingerInnen für sie ein­ setzen und so ihr Leid lindern wollen, ist ein großer Trost. Papst Franziskus besuchte auf sei­ ner ersten Amtsreise die von vielen Flüchtlingen als Ziel bestimmte Insel Lampedusa. Er bat die Aufnahmeländer wiederholt um Verständnis und Gast­ freundschaft für die Ankömmlinge. „Wir dürfen nicht gefühllos gegenüber die­ sen Familien bleiben“, sagte er. Zudem dankte Franziskus allen Menschen und Institutionen, die sich auf der Welt um Flüchtlinge kümmern. In ihren Gesich­ tern sei „das Gesicht Christi zu erken­ nen“. Also schaut den SternsingerInnen, wenn sie Anfang Januar bei Euch an der Tür klingeln, mal genau ins Gesicht. Rebekka Biesenbach


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Die SternsingerInnen – Save the date Zwei neue Teile Bundesweite Eröffnungsfeier und 850. Jahrestag der Gebeine der Heiligen Drei Könige im Dom zu Köln

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evor die Gebeine der drei Stern­ deuter, die der Legende nach dem Jesuskind an der Krippe ihre Geschen­ ke überreichten, nach Köln kamen, verehrte man die Reliquien in Mai­ land. Als Kaiser Friedrich I. Barbarossa die Stadt im Jahr 1162 erobert, lässt er die Gebeine konfiszieren und schenkt sie seinem Reichskanzler, dem Köl­ ner Erzbischof Reinald von Dassel. 1164 zieht dieser, die Knochen im Ge­ päck, unter Jubel und Glockengeläut in Köln ein. Ab 1248 bauen die Köl­ ner an die Stelle des Alten Doms die beeindruckende gotische Kathedrale. Dort bewahrt die katholische Kirche die Gebeine der Heiligen Drei Köni­ ge bis heute im kostbaren Dreikönigs­ schrein auf. Genau dieses Jubiläum wollen wir gemeinsam mit SternsingerInnen aus ganz Deutschland bei der bun­

desweiten Aussendungsfeier am 30.12.2013 in Köln begehen. Programm: bis 10:00 10:00

Ankunft am Dom Vorprogramm im Dom 11:00 Gottesdienst im Anschluss SternsingerInnenzug zum Staatenhaus ab 12:30 Mittagessen im Staatenhaus im Anschluss Buntes Programm im Staatenhaus 15:00 gemeinsamer ­Abschluss ca. 15:30 Abreise Infos und Anmeldung unter: www.sternsinger.org – Stichwort: Sternsingen 2014/Eröffnung in Köln

Gleich zwei Ausgaben von „das teil“ sind in letzter Zeit erschienen In der ers­ ten Ausga­ be geht es um (par­ tei-) politi­ sches En­ gagement. Ein Heft, das Mut machen will, sich auch nach der Zeit in der Jugendverbandsarbeit zu engagieren. „Zu guter Letzt machen al­ le Jugendverbände immer die gleiche Er­ fahrung: Dort wo JugendverbandlerIn­ nen in Parlamenten und Parteien aktiv sind, wird eine nachhaltige, transparen­ te und menschenorientierte Politik ge­ macht. Wichtige Meilensteine für eine zu­ kunftsfähige Demokratie“, schreibt Tobias Agreiter in seinem Aufruf. Und Jochen Ott bringt auf den Punkt: „Eine Gesellschaft lebt von MitmacherInnen und GestalterIn­ nen, denn Motzen kann jeder.“

Foto: Rolf Bauerdick/Kindermissionswerk

Die zwei­ te Ausgabe beschäftigt sich mit dem En­ gagement gegen Rechtsex­ tremismus und fordert dazu auf, tätig zu werden und die Stimme gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und rechte Tenden­ zen zu erheben. Annika Triller beleuchtet die Phasen der Entwicklung des Rechtsex­ tremismus in Deutschland bis hin zur NSU. Zwei Interviews bieten Einblick in die Ar­ beit gegen Rechts am Beispiel der Solinger Bürgerinitiative und dem NS-Dokumentati­ onszentrum. Eine Liste mit Initiativen, An­ sprechpartnerInnen und Gedenkstätten in der Region leistet „Starthilfe“ für euer En­ gagement. (JPG)

Winterlandschaft am Schliersee: Eine SternsingerInnengruppe bringt den Segen in die Häuser.

Alle Ausgaben von „das teil“ gibt es auf bdkj-dv-koeln.de > Angebote > das teil

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Papst Franziskus: Es gibt Rückenwind … den entgegen. Und er geht die Rolle der Frau in der Kirche an. Er sagt ganz klar: ‚Es braucht mehr Frauen in ent­ scheidenden Positionen‘.“ ,, Über Veränderungen

s ist ein aufregendes und aufrei­ bendes Jahr für die katholische Kirche. Pfr. Dirk Bingener, Präses des BDKJ im Erzbistum Köln und Pfarrer im Kölner Stadtteil Höhenberg-Vingst über Papst Franziskus, kirchliche Strukturen und Luftballons. ,, Über Authentizität „Mit Papst Franziskus begegnet uns kein Dogma, sondern ein bescheidener und herzlicher Mensch. Ich habe den Eindruck, dass er tut, was er sagt. Und zwar als allererstes für sich und sein persönliches Handeln. Er wirkt authen­ tisch und so können wir ihm wirklich begegnen, nichts steht mehr im Wege: Keine gelehrte Sprache, kein Prunk, kei­ ne unnötige Distanz. Er ist eine authen­ tische Persönlichkeit. Und das ist wich­ tig, denn das einzige, was ein Papst hat, ist seine Glaubwürdigkeit – damit er die Herzen der Menschen erreichen kann.“ ,, Über Papst Franziskus und die ­Jugendverbände „Der Papst spricht viele Themen an, die auch jugendverbandliche Themen sind. Er wendet sich den Armen zu, wir wen­ den uns Kindern und Jugendlichen zu – also Menschen, die in der Gefahr ste­ hen, übersehen oder übergangen zu werden. Er wendet sich gegen den Krieg – wie wir auch. Zur Diskriminie­ rung von Homosexuellen sagt er: ,Soll ich denn über solche Menschen rich­ ten?‘. Überhaupt ist er in Fragen der Sexualmoral angenehm zurückhaltend – ich glaube, auch das kommt den jun­ gen Menschen und den Jugendverbän­

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,, Über Geduld „Was es jetzt braucht, ist Zeit. Der Papst nimmt sich Zeit, weil er sich be­ raten lässt – und Beratung oder gu­ te Entscheidungen brauchen einfach Zeit. Das Problem ist, dass vielen Ju­ gendverbandlerInnen seit Jahren ge­ sagt wird, es brauche Geduld, Geduld, Geduld. Und die Geduld war immer im Verdacht, dass sie nur Vertröstung ist. Dass sich nicht wirklich etwas tut. Des­ halb sind die Menschen zu Recht un­ geduldig. Ich glaube aber, jetzt braucht es wirklich noch etwas Geduld, um Veränderungen herbeizuführen, die ‚den ganzen Laden‘ mitnehmen. Denn es geht ja nicht nur um die deutsche Kirche, sondern um die Weltkirche.“

,, Über die „Freiburger Hand­ reichung“ und Luftballons „Die Handreichung hat einer breiten Öf­ fentlichkeit gezeigt: Es gibt einen Weg, der einer­ seits die Unauflöslich­ keit des Ehesakraments beachtet und andererseits ermöglicht, dass man Men­ schen pastoral begegnet, die in ihrer Ehe gescheitert sind und die eine neue Partner­ schaft eingehen wollen. Durch die Ankündigung des P­ apstes, dass er die Frage der wieder­ verheirateten Geschiedenen in der Kirche angehen wird, mögen sich die Freiburger er­ mutigt gefühlt haben, mal ei­ nen Luftballon steigen zu lassen. Ich kann gut verstehen, dass das kritisch beäugt und wieder zurückgezogen wur­ de. Denn klar ist, für ChristInnen in Freiburg kann nicht etwas anderes gel­ ten als für ChristInnen in Köln. Aber es hat sicher nicht geschadet. Jemand hat einen Aufschlag gemacht im Hinblick auf das, was ge­ samtkirchlich miteinander besprochen werden muss.“ Interview: sm

,, Über kirchliche Strukturen und ­Gemeinschaft „Der Papst schätzt die synodalen Gremi­ en sehr. Er sagt: ‚Ich brauche die Ge­ meinschaft und den Rat der Gemein­ schaft‘. Und wenn der Papst in Rom das für sich sagt, dann kann kein Pfarrer seine Pfarrei mehr autoritär füh­

Foto: willma.../photocase.com

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„Ich gehe fest davon aus, dass es Ver­ änderungen in der katholischen Kirche geben wird. Ob diese Veränderungen so aussehen werden, wie wir uns das vorstellen, ist – glaube ich – noch offen. Papst Franziskus hat bereits begon­ nen, die Kirche strukturell zu verändern. So hat er beispielsweise ein Gremium von acht Kardinälen eingesetzt, um die Verwaltung und den Vatikan zu über­ prüfen. Neu ist dabei die Perspektive: Diese Institutionen sollen dienenden Charakter haben und bestehen nicht als Selbstzweck. Auch in all den ande­ ren Fragen erwarte ich Veränderung.“

ren. Auch er muss nun die synodalen Strukturen achten. Unsere Pfarrgemein­ deratswahl im November war eine an­ dere, weil der Papst sagt: ‚Ich will die­ se Strukturen ausdrücklich‘. Das gibt all jenen Menschen Rückenwind, die sich schon lange eine größere Wertschät­ zung ihrer Mitarbeit wünschen.“


zumthema

Gedanken zur Zeit E

s ist absurd: Zeit vergeht subjek­ hat? Status-Update: tiv schneller, wenn wir viele Ereig­ „Wichtige Bespre­ nisse wahrnehmen. Ein ruhiger Ki­ chung – bin viel zu nofilm kommt uns länger vor als ein früh“ @Bürogebäu­ rasanter Action-Thriller. Man wun­ de. Fünf Freunden dert sich in stillen Szenen, warum gefällt das. denn da nichts passiert. Plötzlich ist Langeweile lassen die Schwelle zur Langeweile über­ wir gar nicht erst auf­ schritten. kommen. Das Gehirn Die vielen Ereignisse müssen aber hat keine Pause. Zeit auch abgearbeitet werden. Oft genug ist in unserer Gesell­ wird bei persönlichen Nachrichten schaft eine Ressource. eine umgehende Antwort erwartet. Ressourcenschonung Nicht etwa, weil es immer dringend im Zeitmanagement ist, sondern weil es technisch mög­ heißt, effektiv mit der Zeit lich ist. Man geht stillschweigend umzugehen. Effektiv ist es, keine davon aus, dass zwischen 8 und Zeit zu verschwenden, oder? ODER? 22 Uhr E-Mails und Textnachrichten Der Ansatz muss ein anderer jedenfalls wahrgenommen werden. sein. Die Schonung der Ressour­ Und dann könnte ce muss bei der man ja auch „mal individuellen Zeit eben schnell“ ant­ ansetzen, der ge­ worten. fühlten, eigenen Die Beantwor­ Zeit. Zeit sparen tung dieser E-Mail, heißt, nicht alle das mentale An­ Zeit restlos zu ver­ legen von to-dos planen, sondern und das Abspei­ Zeit zurücklegen. chern von den Nicht unbedingt wahrgenommenen für schlechte Zei­ Daten sind für das ten, sondern für Gehirn aber bereits neue Ereignisse; einen selbst, ganz persönlich. die Ereignisse werden immer dichter. Und dann heißt es, Zeit mit we­ Die Pause zwischen den Impulsen nigen Ereignissen auszuhalten, oh­ ist verschwindend gering – das Be­ ne Langeweile zu verspüren. Das zu wusstsein fährt Vollbeschäftigung. üben ist eine Herausforderung. Die Wir haben uns daran gewöhnt. Tricks sind nicht überraschend: Han­ Wenn dann mal wenige Impulse dy aus, wegfahren, abschalten, um kommen, haben wir vielleicht schon danach wieder in den gleichen Tritt verlernt, damit umzugehen. War­ zu geraten und zu jammern „was tezeit vor einem Termin? Auf dem ein Stress“. Smartphone Mails, Messenger und Wir müssen aufhören, uns über Netzwerke kontrollieren. Ach ja, da Stress zu beschweren, sondern an­ hat schon wieder jemand geschrie­ fangen, etwas zu ändern. Soviel Zeit ben. Und falls niemand geschrieben muss sein. (JPG)

Fotos: suze/photocase.com

Zeit sparen heißt, nicht alle Zeit restlos zu ver­ planen, sondern Zeit zurücklegen.

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„Ich lasse Luft zwischen den Terminen“ Ein Leben ohne Uhr und Handy: Der Münchner Zeitforscher Karlheinz Geißler schreibt Bücher über zu viel Tempo und organisiert für sich selbst „möglichst viele Zeitlöcher“. ennundteh 3 Herr Geißler, viele Menschen haben das Gefühl, dass die Zeit rast und rast. Haben Sie als Zeitforscher empirische Belege, dass die Zeit wirklich schneller rennt? Karlheinz Geißler 3 Erst einmal rast ja nicht die Zeit, sondern die Men­ schen rasen. Das ist eine Verobjek­ tivierung eines Phänomens, das gar nicht objektivierbar ist. Man hat ja nicht die Zeit, man ist die Zeit. So tut man alles, was man der Zeit an­ tut, sich selbst an. ennundteh 3 Viele Menschen haben ein unbestimmtes Gefühl, dass sie zu nichts mehr kommen – weder im Handeln noch im Denken.

Karlheinz Geißler 3 Das ist schon eine ge­ sellschaftliche Entwicklung: Nicht nur der einzelne Mensch rast, die gesamte Umwelt rast mit. Alles hat sich beschleunigt. Nehmen Sie mal all die technischen Geräte: Sie la­ den permanent zur Aktivität ein. Die kennen keine Pause oder wartende Zeit. Das sind Non-Stopp-Geräte – und das setzt uns unter Druck. ennundteh 3 Also ist die „Verdichtung der Zeit“ ein historisch neues Gefühl? Karlheinz Geißler 3 Ja, aus heutiger Sicht ging es früher wirklich ruhiger und gemütlicher zu. Was damals schnell war, ist heute langsam. Denn auch die Relationen verändern sich mit der Geschichte. Bis vor 600 Jahren gab es noch keine Beschleunigung. Es gab nur Zeiten, die mit der Natur in Ein­ klang standen. Die Natur setzt den Menschen zwar auch unter Zeitdruck, aber es ist ein natürlicher Zeitdruck, welcher nicht als Belästigung empfun­ den wird und auch nicht änderbar ist. Wenn beispielsweise der Bauer sein Heu rein bringen muss, weil ein Ge­ witter kommt, dann muss er schnell machen. Das musste er vor 600 Jah­ ren ja auch schon so machen. Also Zeitdruck, wenn Sie so wollen, gab es immer schon. Aber erst mit der Uhr ist ein abstrakter Zeitdruck entstan­ den.

ennundteh 3 Dann ist die Uhr die Ursache für unser gehetztes Gefühl? Karlheinz Geißler 3 Die Uhr hat eine ab­ strakte Zeit möglich gemacht. Mit der Uhr entsteht eine Zeit, die kei­ ne Qualität mehr hat. Man könnte sagen: Die Qualität „Natur“ ist aus der Zeit raus und die Qualität „Geld“ ist in die Zeit rein. Das heißt, Sie können immer noch mehr Zeit mit noch mehr Geld verrechnen, es gibt keinen Endpunkt mehr. Die Verrech­ nung in unserer Gesellschaft von Zeit in Geld ist der größte Antreiber. ennundteh 3 Dennoch gibt es eine Entwicklung der Beschleunigung, die nicht mit der Erfindung der Uhr, sondern erst in den letzten Jahren zugenommen hat. Karlheinz Geißler 3 So ist es. Wir leben in einer auf Wachstum programmier­ ten Ökonomie und das heißt, dass wir immer mehr wollen sollen. Die Verrechnung von Zeit in Geld, die wir praktizieren kennt kein „genug“, fordert und verführt zu „immer mehr“ und zu „immer schneller.“ ennundteh 3 Christian Geyer spricht in seinem Buch „Das entgrenzte Leben – zwischen Deadline und Borderline“ von einem „Ansturm der Möglichkeiten“. Er sagt, wir seien in Gedanken und Gefühlen immer schon woanders. Hat unser getriebenes Gefühl vielleicht mit zu viel Freiheit zu tun? Karlheinz Geißler 3 Es hat mit zu viel Wahl­ freiheit zu tun. Freiheit ist ja etwas anderes als Wahlfreiheit. Smartphones bieten 125 verschiedene Möglichkeiten der Nutzung an und Sie stehen unter Druck, diese 125 Möglichkeiten irgend­ wann mal zu nutzen. Durch diese Frei­

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Buchtipp „Enthetzt Euch! – Weniger Tempo, mehr Zeit“ Das aktuelle Buch von Karl­ heinz Geissler ist 2012 im S. Hirzel Verlag erschienen.

heit der Möglichkeiten entsteht gleich­ zeitig der Druck, sie auch auszuüben. Das ist keine Freiheit, das ist der gro­ ße Zwang zur kleinen Wahlfreiheit. ennundteh 3 Inwiefern sind junge Menschen von diesem Phänomen besonders betroffen? Karlheinz Geißler 3 Die Lebensthemen junger Menschen sind Freiheit und Selbstständigkeit. Insofern sind sie für diese Wahlfreiheiten besonders empfänglich. Aber auch ihre Selbst­ ständigkeit ist begrenzt: Sie können sich nicht von ihrer Zeitnatur verab­ schieden. Auch sie müssen schla­ fen, ihr Körper zwingt sie dazu. Das merkt jeder Jugendliche spätestens nach zwei durchgemachten Nächten. ennundteh 3 Gleichzeitig hat „chillen“ bei jungen Menschen einen hohen Stellenwert. Können wir von Jugendlichen zweckfreie Zeitgestaltung lernen? Karlheinz Geißler 3 Ich sehe das als eine Art stillen Protest gegen eine Gesell­ schaft, die einen permanent zu Ak­ tivität auffordert oder dazu zwingt. Chillen ist eine Anerkennung der Tat­ sache, dass das Nichtstun, die Passi­ vität auch eine Lebensqualität hat. ennundteh 3 Was sind Ihre persönlichen Strategien gegen das temporeiche Leben? Karlheinz Geißler 3 Ich bin sehr vorsichtig beim Kauf von Geräten, weil sie mich eben unter Zeitdruck setzen. Wenn ich sage, das neue Gerät brauche ich, weil es neu und toll ist, dann bin ich Op­ fer der Beschleunigungseuphorie. Das versuche ich mir vom Leib zu halten, indem ich beispielsweise keine Uhr trage. So kann ich die Zeit – und nicht

die Uhr – leben. So lebt es sich weni­ ger gestresst. Ich habe auch kein Han­ dy. Nur wenn ich verreise, nehme ich das Familienhandy mit, denn dann bin ich nicht souverän, sondern der Fahr­ plan entscheidet, ob der Zug zu spät kommt oder nicht und ich muss even­ tuell Leute, die auf mich warten über meine Verspätung informieren. ennundteh 3 Sie haben das Buch „Enthetzt Euch! – Weniger Tempo, mehr Zeit“ geschrieben. Raten Sie darin zu einem Verzicht auf technische Geräte? Karlheinz Geißler 3 Nein. Man muss nur genau hinschauen, was für einen persönlich passt und welches Leben man leben möchte. Ich bin kein Ent­ schleuniger; es ist großartig, dass der Notarzt nicht mehr mit den Pferden kommt. Ich habe ein gro­ ßes Interesse an Schnelligkeit, ich schätze die Schnelligkeit. Ich überle­ ge nur, welche Schnelligkeit mir gut tut und wann ich auch mal sagen muss: da mache ich nicht mit. Ich nehme Verzicht und Opfer auf mich, um mich nicht selbst zu stressen. Ich rate also nur von überflüssiger, schädlicher Beschleunigung ab. ennundteh 3 Aber kann man sich denn der Beschleunigung entziehen, ohne aus der Gesellschaft auszusteigen? Karlheinz Geißler 3 Enthetzen schon, ent­ schleunigen nicht. Wenn Sie alles langsamer machen wollen, steigen Sie aus der Gesellschaft aus. Aber Sie können auch in der Gesellschaft Ihren persönlichen Umgang mit dem Zeitdruck finden, der Ihnen und Ih­ rer Familie gut tut. ennundteh 3 Das ist aber nicht immer möglich. Wenn man morgens zu spät

aufsteht, wird das Frühstück schnell heruntergeschlungen, wo­möglich weint das Kind, der Partner ist genervt und alle sind noch müde. Zu Terminen muss man aber trotzdem und es gibt keine Alternative. Karlheinz Geißler 3 Ja, so ist der Alltag. Die Frage ist nicht, ob man in der Situation etwas ändern kann, son­ dern ob generell etwas zu ändern ist. Ein Beispiel: Ich fahre morgen nach Italien und am Sonntag zurück. Am Montagmorgen habe ich einen Zahnarzttermin. Den habe ich heu­ te abgesagt, da mir das zu stressig wird. Ich plane, wenn es möglich ist, viele Zeitlöcher ein und ich lasse viel Luft zwischen Terminen. ennundteh 3 Aber wie können wir dann Familie, Freundinnen und Freunde, Arbeit und Hobbies noch unter einen Hut bekommen? Karlheinz Geißler 3 Sie brauchen feste Termi­ ne. In unserer Familie gab es eine fes­ te Verabredung: Um 19 Uhr essen wir gemeinsam zu Abend. Ganz egal, was sonst noch anliegt. Es gibt heute eine Tendenz, alles kurzfristig zu entschei­ den – weil wir immerzu erreichbar sind. Ich halte es für sehr wichtig, die telefonische Erreichbarkeit zu dosieren, sie zeitlich zu begrenzen. Es hat et­ was Entwürdigendes, etwas Würdelo­ ses, sich permanent durch Klingeltöne unterbrechen zu lassen. Man ist doch kein Hund, der auf die Pfiffe reagiert. ennundteh 3 Vielen Dank für das Interview und die vielen Anregungen. Interview: sus und sm

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So ein Stress!? Einige JugendverbandlerInnen stehen uns Rede und Antwort und geben Tipps gegen einen hektischen Alltag.

Was stresst dich? Ich stresse mich vor allem selbst: Steigere mich in Situati­ onen rein, versuche zu viel auf einmal zu machen oder denke zu viel über die Folgen meines Handelns nach. Hast du zu wenig Zeit? Warum? Ich habe an Wochenenden zu wenig Zeit, weil da immer viele tolle Sachen anstehen und ich am liebsten alles machen würde, außer für die Uni zu lernen… Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Mein Tipp kommt nicht von mir, sondern von Beppo, dem Straßenfeger aus dem Roman „Momo“ von Michael Ende: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“

Was stresst dich? Wenn Leute alles auf einmal haben wollen und viel zu spät damit ankommen. Wenn Dinge nicht abgesprochen werden und alles droht in Chaos aus­ zubrechen. Hast du zu wenig Zeit? Warum? Nein, habe ich nicht. Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Viel Gelassenheit, nicht den Überblick verlieren, sich einen Plan machen, was man alles zu erledigen hat und den Plan einfach abarbeiten. Und viel Tee und gute Laune. Laura Appold, KjG

Camilla Rödder, KLJB

Was stresst dich? Ziellosigkeit, Unverbindlichkeit und Unzu­ verlässigkeit Hast du zu wenig Zeit? Warum? Ich engagiere mich in vielen Bereichen, da kommen die Termine von ganz alleine. Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Nehmt Euch Zeit (für Euch) und macht Euch einen (Zeit–) Plan! Simon Magnin, BdSJ

Was stresst dich? Viele Termine, wenig Zeit für mich und das Gefühl, dass ich dem nicht gewachsen bin. Hast du zu wenig Zeit? Warum? Ehrlich gesagt ja. Vor allem neben einer 40 Stunden Woche ist es manchmal schwierig die Aufgaben als Diözesanleiter zu bewältigen. Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Einfach eine Auszeit nehmen, gerade wenn es stressiger wird. Das ist mir sehr wichtig und hilft Motivation und Kraft zu tanken. Alexander Volberg, Kolpingjugend Köln

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Was stresst dich? Die fehlende Zeit für meine Freunde, das ständige „Per­ fektsein“ auf der Arbeit und es gibt auch einige Menschen, die mich oft stressen. Hast du zu wenig Zeit? Warum? Ich habe wenig Zeit, da ich 40 Stunden die Woche arbeite und dazu Diözesanleitung bin. DL zu sein ist vor allen Dingen deshalb anstrengend, weil wir personell keine guten Kapazitäten haben. Das führt dazu, dass sehr viel Arbeit an mir hängen bleibt. Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Einen wirklichen Tipp für den Alltag ohne Stress kann ich nicht geben. Aber gegen Hektik hilft es, sich einfach mal zwischendurch Zeit zu gönnen, in der man einfach nur für sich sein kann, um kurz durchzuatmen und neue Kraft zu schöpfen. Manchmal habe ich abends noch so viel im Kopf, dass ich mich nicht entspannen kann und daher nicht schla­ fen kann. Dann mache ich autogenes Training und meis­ tens klappt das dann auch. Nadia Schnabel, KSJ


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Filmtipps zum Thema Was stresst dich? Mich stresst es, wenn ich in meinen Terminkalen­ der gucke und merke, wie voll dieser ist. Dabei stresst mich nicht die Anzahl der Termine, sondern vielmehr der Gedanke daran, was ich noch alles für die einzelnen Termine vorbereiten muss. Hast du zu wenig Zeit? Warum? Hier stellt sich mir eher die Frage: Wofür brauche ich Zeit? Wenn hiermit „Freizeit“ gemeint ist, habe ich natür­ lich wenig Zeit. Dies begründet sich daher, dass ich in meinem Stamm, der Bezirksleitung und beim BDKJ Köln ak­ tiv bin. Und Sport und Studium „muss“ man ja auch noch machen. Allerdings sind das auch die Aktivitä­ ten, die ich in meiner Freizeit gerne mache. Also benötige ich nur noch Zeit, um mit meinen Freunden etwas zu unternehmen. Und dafür habe ich mehr als genug „Zeit“. Dein Tipp für einen Alltag ohne Hektik? Lasst Euch bei allem, was Ihr tut, genügend Zeit. Es ist nicht schlimm, wenn man dadurch zu spät kommt. Wenn jeder so denkt, gibt es eine Welt ohne Stress und Hektik.

Fotos: cw-design/photocase.com

Jörg Kierspel, DPSG Köln

„alphabet“ – ein Film von Erwin Wagenhofer

„Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“

Stell Dir vor, Du müsstest nur das lernen, was Dir Spaß macht. Stell Dir vor, es gäbe keine Prüfungen, Noten oder Wettbewerbe. Im neuen Dokumentationsfilm „alphabet“ lässt Filmemacher Erwin Wagenhofer Menschen erzählen, die genau das erlebt haben. Er stellt in mehreren kurzen Portraits und Sze­ nen verschiedene Welten vor. Ein von Leistungsdruck geprägtes Bil­ dungssystem am Beispiel Chinas wird dem Autodidakten André Stern gegenübergestellt, der nie eine Schu­ le besuchte und dennoch eine ganz besondere Karriere machte. Zum einen zeigt Wagenhofer den Wettbewerb einer Unternehmensbe­ ratung, der absolut leistungsorien­ tiert ist, zum anderen den „Malort“, an dem Kinder ohne Bewertung malen und die Malerei als Spiel be­ trachten dürfen. Verschiedene ExpertInnen zeigen, wie sich durch unser Bildungssystem die Verhaltensmuster von Kindern geändert haben und wie kreatives, unabhängiges Denken immer weniger Förderung erfährt. „alphabet“ macht deutlich, was der Gesellschaft ver­ loren geht, wenn sich am Umgang mit den Talenten, mit denen jeder Mensch auf die Welt kommt, nichts ändert. Es ist dennoch kein depressi­ ver Film. Viele berührende oder hei­ tere Szenen setzen einen Gegenpol und machen den Film umso sehens­ werter. (JPG)

Florian Opitz geht auf eine Reise. Der Berliner Filmemacher ist in seinem Dokumentarfilm auf der Suche nach der Zeit. Für ihn fühlt es sich nämlich so an, als hätte er keine. Sie ist immer zu knapp. Auf seiner Reise trifft er sehr unterschiedliche Menschen. Zuerst erkennt er unterschiedli­ che Gründe, die zu seinem Mangel an Zeit geführt haben. Nach und nach begegnen ihm auf seinem Weg jedoch Menschen, die diese Argu­ mente widerlegen. Er trifft Menschen, die entschleu­ nigt leben oder einen Ausstieg aus der rasenden Zeit gefunden haben. Auf einer Alm besucht er eine Bau­ ernfamilie, die in einem Mehrgene­ rationenhaus lebt und deren Lebens­ rhythmus von der Natur bestimmt wird. Er trifft einen Zeitforscher oh­ ne Uhr, der verstanden hat, dass es den Menschen nicht an Zeit mangelt, sondern an aktiver Gestaltung der­ selben. Und schließlich reist er nach Bhutan. In dem kleinen Südasiati­ schen Königreich steht das Glück der Menschen über den wirtschaftlichen Interessen. Opitz’ Film verdeutlicht, wie schwierig es ist, die Gesellschaft zu verändern. JedeR einzelne hat es jedoch in der Hand durch die persönliche Suche nach alternati­ ven Lebensformen sein Leben und seinen Umgang mit der Zeit selbst gestalten und so die Gesellschaft zu beeinflussen. Auf geht’s! (sus)

Erwin Wagenhofer „Alphabet“, alphabet-film.com, seit 31.10. im Kino, Pandora Filmverleih

Florian Opitz „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, speed-derfilm.de, Camino Filmverleih

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Foto: freie-kreation/istockphoto.com

Postvertriebsstück G6635 Entgelt bezahlt Heft 3/Dezember 2013 Bund der Deutschen Katholischen Jugend Erzdiözese Köln Steinfelder Gasse 20–22 50670 Köln

Hallo, Sankt Martin!

Von Christian Linker und Peter Otten

Lieber Konrad Adenauer! Neulich hast du in einer Zeitung folgende Frage gestellt: „Wem soll es dienen, in KölnMarienburg sozialen Wohnungsbau umzusetzen?“ Wir hätten da schon ein paar Antworten parat gehabt. Aber du hast sofort weitergeredet: Die BewohnerInnen von geförderten Wohnungen würden sich dort ohnehin deklassiert fühlen und die InvestorInnen ein teures Grundstück nicht nutzen können. Stattdessen hast du der Stadt Köln empfohlen, für sozialen Wohnungsbau günstig Grundstücke entlang der Bahntrasse zu kaufen. Schließlich gebe es heutzutage großartige Lärmschutzvorrichtungen. Wir haben da mal eine Gegenfrage: „Wem soll es dienen, wenn der Enkel des ersten Bundeskanzlers und Vorsitzende des Haus‑ und Grundbesitzervereins eine derartige Unverschämtheit vom Stapel lässt?“ Und jetzt reden wir auch einfach mal weiter und sagen: Niemandem! Selbst dein Opa würde sich angesichts deiner Worte deklassiert fühlen. Also immer dran denken – schließlich gibt es heutzutage großartige Lärmschutzvorrichtungen: Einfach mal die Klappe halten rät deine ennundteh

Netter Versuch, lieber Postillion c/o www.der-postillon.com, mit deinem Artikel „Studie: Vier von fünf Killerspiele-Spielern zu fett für Amoklauf“. Fast noch lustiger finden wir, dass unsere ennundteh in der Sommerausgabe 2007 und exakt an dieser Stelle hier titelte: „Zu fett zum Amok-Laufen? Jugend zwischen Gewalt und Übergewicht.“ Gerne schicken wir dir weiteres Material aus unserem Archiv zusammen mit unserer Konto­ nummer. Auf die Tantiemen freuen sich deine KollegInnen von der ennundteh

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Liebe Grüße! Deine ennundteh

Sie hingegen, Alexander Kissler, sind nach langem Marsch durch den deutschen Publizismus endlich da angekommen, wo Sie hingehören, nämlich beim Cicero. Als dessen Kulturchef offenbar für sachkundig geltend, durften Sie im Interview mit dem Deutschlandfunk den KritikerInnen des Limburger (Ex-?) Bischofs TvE nicht nur Kirchenhass vorwerfen, sondern gar einen Kampf gegen alles Wahre, Schöne und Gute. Denn unsere nivellierte Mittelstandsgesellschaft, so vertrauten Sie dem Sender an, lasse leider nur noch Mittelmäßiges zu und könne etwas wirklich Schönes (wie eben eine prunkvolle Bischofsresidenz) nicht mehr ertragen. Das Wahre, Schöne und Gute werde seit 1945 (sic!) nicht mehr geschätzt. Hm. So wahr und schön und gut, wie es doch vor 45 zugegangen ist, fragen wir uns nun ernsthaft, warum eigentlich Albert Speer keine Kirchen gebaut hat. Ihre Antwort darauf lesen wir vielleicht demnächst im Cicero oder in der Tagespost, aber ganz sicher nicht in Ihrer kulturbolschewistischen ennundteh

Foto: jameek/photocase.com – Idee und Konzept geklaut bei „Titanic – Das endgültige Satiremagazin“

Briefe an die LeserInnen

In unserem schönen Land gibt es tatsächlich Menschen, die nicht mehr wollten, dass man deinen Feiertag beim Namen nennt. Sie wollten stattdessen ein „Sonne, Mond und Sternefest“ feiern! Okay: genau genommen war es ein Mensch: Rüdiger Sagel von der Linkspartei. Und nicht mal seine Genossinnen und Genossen wollten auf Laterne und Weckmann verzichten, wenn’s noch nicht mal die Muslime tun, die dich – hey! – auch voll okay finden. Und sie sagten: „Wenn Martin heute leben würde, dann wäre er ein Muslim.“ Und die Linken sagten: „Wenn Martin heute leben würde, dann wäre er ein Linker.“ Jedenfalls hatte eine KiTa in Bad Homburg unverschämter Weise das Fest schon umbenannt, weil in der Martins-Suppe vom letzten Jahr Sonne, Mond und Sterne waren.…Stimmt, war eine Falschmeldung von der Jungen Freiheit. Aber da hättest du mal sehen sollen, was da schon für ein Shitstorm losgegangen war! „Lasst uns die Muslime abschaffen und dann die Linken“, riefen die aus dem – Moment – christlichen Abendland. Und die ChristdemokratInnen im mondänen Hamburg-Rothenbaum hatten schon am 17. Oktober zu einem Laternenumzug geladen. Sie sagten: „Wenn Martin heute leben würde…Moment, wer zur Hölle ist Martin?“ Du siehst, es gibt vor allem in unserem – Moment, ach ja: christlichen Abendland noch viele arme Menschen. Komm also schnell wieder.


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