Die besten Wohnbauten Deutschlands 2020
Ulrich Maly Cornelia Dรถrries
Callwey
A U S G E Z E I C H N E T E R
W O H N U N G S B A U
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Vorwort Ulrich Maly
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Einleitung Cornelia Dörries
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Die Jury
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Die Partner
Ausgezeichnete Projekte Außenraum/ Landschaftsarchitektur 74
Grüne Aorta Hartenecker Höhe, Ludwigsburg
1. Preis 14
Stadtmacher
Sonderauszeichnung 24
Modularer Wohnungsbau
Metropolenhaus Am Jüdischen Museum Berlin
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Aus Holz LiWooD-Punkthaus, München
Herzstück Altes Garmisch neu gelebt, Garmisch-Partenkirchen
Anerkennungen 34
Lückenschluss
44
Fünf gewinnt
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Pas de deux
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Gegenüber vom Bauhaus
Eisberg, Berlin
Nachhaltiges Energiekonzept 88
Großstadtbiotop
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Wohnkraftwerk
P#01 Das Nest, München
Erstes energieautarkes Mehrfamilienhaus Deutschlands, Wilhelmshaven
Stadtvillen Freiburg
Nachverdichtung
Liebighöfe Aschaffenburg
Gropiusallee, Dessau-Roßlau
104
Kiezgröße
112
Neue Nachbarn
120
Surplus
AHOJ! Zu Hause im Richardkiez, Berlin
Wohnhaus Buchauerstraße, München-Solln
Platensiedlung, Frankfurt am Main
Partizipative Planung 126
Festkörperphysik
134
Im Karree
142
In the Woods
Der kleine Prinz, München
Prinz-Eugen-Park, München
Holzhaus am Waldpark, Potsdam
Sozialer Wohnungsbau
Premiumwohnen 150
New Kid On The Block
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Waterkant Berlin
166
Über der Schwebebahn
Wohn- und Geschäftshaus Feilitzschstraße, München
WAVE Waterside Living, Berlin
Stadthaus G82, Wuppertal
Quartiersentwicklung 174
Stadt am Wasser
182
Wenn wenig wirklich mehr ist
190
Alt und Neu
198
Suburbia
206
Von wegen stillgestanden
214
Um die Ecke gedacht
222
Main-Perspektiven
230
Grün und stadtnah
Quartier 52° Nord, Berlin
252
Blickfang
260
Willkommene Abwechslung
268
An der schönen blauen Donau
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Ein Haus von Bestand
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Farbkästen
Wohnanlage Deininger Weg, Neumarkt in der Oberpfalz
Paul-Zobel-Straße, Berlin
Familiengerechtes Bauen in den Donauauen, Ingolstadt
Brüxer Straße, Erlangen
Wohnanlage Peisserstraße, Ingolstadt
Am Bramfelder Dorfgraben, Hamburg
Gebäudeensemble im Kringsgat, Essen-Kettwig
Wohnhochhaus 292
Primus inter pares
300
Verzeichnis Bauherrschaft und Architekten
304
Impressum
Strandhaus by Richard Meier, Hamburg
Fasanenhöfe, Vaterstetten
Le Quartier 1 im Wohnpark am Ebenberg, Landau
Wohnen im Eichenpark, Langenhagen
Hafengold, Offenbach am Main
Parklogen Schwabing, München
Revitalisierung/ Umbau 238
Über sich hinausgewachsen
246
Ganz oben mit Seeblick
SonnenTurm im Finkenpark, Fürth
Gründerviertel, Eutin
I N H A L T
4 Vorwort Ulrich Maly
Architektur ist, so hat es Ernst Bloch einmal formuliert, der „Produktionsversuch von Heimat“. Ein starker Begriff, wie ich finde, der die Architektur weit über die technische Disziplin, ein ordentliches Haus abzuliefern, hinaushebt. Zu Recht. „Heimat“ – was ist das eigentlich? Ein Wort, das es in dieser Konnotation nur in der deutschen Sprache gibt, ein Begriff, der missbräuchlich nationalisiert und vorsätzlich verkitscht worden ist. Genau deshalb meiden ihn viele Menschen, insgeheim treibt die Menschen aber genau diese Sehnsucht nach Heimat an, wie die Suche nach einem unbekannten Ort. Heimat ist sicher keine Postadresse eines Wohngebäudes, auch nichts, was in vier Wänden stattfindet. Heimat ist, soziologisch gesprochen, die Projektionsfläche für die Sehnsucht nach bleibenden Werten. Es war wiederum Ernst Bloch, der mit seiner Definition von Heimat eine heute noch gültige Interpretation des Begriffs geliefert hat. Danach ist Heimat das, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ Der Begriff wird dadurch ent-örtlicht, auf das uns sozial und kulturell Prägende gelenkt und gleichzeitig noch weniger greifbar. Die Stadt ist nach Georg Simmel eben doch keine Ansammlung von Häusern, in denen Menschen wohnen, sondern eine Ansammlung von Menschen, die auch Häuser bauen. Ähnlich Albert Schweitzer, der formulierte: „Erst bauen Menschen Häuser, dann bauen Häuser Menschen.“ Eine Ansicht, die in ihrer positiven Wirkung schwer belegbar ist – oder macht ein hübsches Einfamilienhaus automatisch glücklich? –, in ihrer negativen Wirkung aber evident. Als vor einigen Jahren in den Banlieues von Paris die Barrikaden brannten, waren neben den sozialen und migrationspolitischen Ursachen schnell auch die städtebaulichen gefunden. Die Trabantenstadt in ihrer Seelenlosigkeit als Zuchtanstalt für das Böse im Menschen. Dieser Zusammenhang zwischen Architektur, Städtebau und sozialen Unruhen wurde in fast allen überregionalen Medien thematisiert. Die Architektenschaft hört es nicht gerne, aber wenn man ehrlich ist, haben
auch die deutschen Trabantenstädte der 60er- und 70er-Jahre bei vielen Menschen eine posttraumatische Belastungsstörung hinterlassen. Wenn heute in Zeiten extremer Flächenknappheit in deutschen Großstädten bei Bürgerversammlungen über Verdichtung und Hochhäuser gesprochen wird, löst das mehrheitlich Entsetzen aus. Gleichzeitig fotografieren wir die engen Altstadtgassen unserer unzerstörten oder wiederaufgebauten Altstädte mit
Die Stadt ist eben doch keine Ansammlung von Häusern, in denen Menschen wohnen, sondern eine Ansammlung von Menschen, die auch Häuser bauen. ebenso großem Entzücken wie die engen Gassen Venedigs, die Silhouette von Orvieto oder die pittoresken Dörfer der Cinque Terre. Wenn die GFZ oder die GRZ dieser Siedlungen bekannt wären, würde man das abstrakt für menschenfeindliche Architektur halten. Das macht klar: Dichte allein ist kein Problem, wenn die städtebauliche Qualität stimmt. Ein Haus steht nicht für sich allein, sondern korrespondiert mit der Umgebung. Seine Qualität resultiert gleichermaßen aus dem privaten „Inneren“ wie aus seiner Interaktion mit dem Draußen, also mit den halböffentlichen Räumen und dem öffentlichen Raum. Diese Schichtungen zwischen dem privaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum sind der Wesensgehalt der europäischen Stadt seit ihrer Entstehung. Das Private in der europäischen Stadt gab (und gibt uns heute) Schutz, Sicherheit und die Autonomie, unsere eigene Individualität im Stadtorganismus zu entwickeln. Dem gegenüber liegt der öffentliche Raum mit der Agora, dem Ort der gemeinsamen Willensbildung, wenn man so will, dem Sitz des kollektiven Bewusstseins, der Keimzelle der Demokratie im Diskurs über gute und
schlechte Stadtregierung, über der Stadt Bestes, das gemeinsam zu suchen ist. Gute Architektur produziert aber nicht nur Heimat, sondern auch Ästhetik, Maßstäblichkeit, Interaktion zwischen Alt und Neu, technischen Fortschritt z. B. in ökologischen Fragen. Gute Architektur ist Wellness für unsere Augen. Es gibt kaum ein langlebigeres Produkt in unserer Volkswirtschaft als Gebäude. Deshalb soll man auf dem Stand des jeweils noch nicht widerlegten Irrtums ökologisch bauen, deswegen muss Architektur das Umfeld aktiv berücksichtigen und dort, wo Bestandsgebäude umgenutzt oder reaktiviert werden, die Historie respektieren, ohne sie für unantastbar zu erklären. Schlechte Baukultur ist eine Sünde, die jahrzehntelange Reue nach sich ziehen kann, so lange eben, wie man das anschauen muss, was nicht hätte gebaut werden dürfen. Das, was unbedingt hat gebaut werden müssen und woran wir uns erfreuen, findet sich in diesem Jahresband zu ausgezeichnetem Wohnungsbau im doppelten Wortsinn. Schwierige Grundstückszuschnitte, Lagen an städtebaulich tektonischen Gräben, Altbausubstanz, die man zu anderer Zeit vielleicht abgerissen hätte, für all das finden sich im 2020er-Jahrgang gute und beste Beispiele: Architektur, die gefällt, ohne gefällig zu sein, Raumkonzepte, die auf unterschiedliche Lebensformen reagieren, Orte zum Leben mit Lebensqualität, Bauten, die das Kriterium, Wellness für die Augen zu sein, erfüllen. Der Respekt gebührt sowohl den jeweiligen Baumeistern wie auch den dahinterstehenden Investoren (erfreulicherweise nicht selten öffentliche Bauherren), es nicht so gemacht zu haben, wie es alle gemacht hätten. Das ist eben der kleine Unterschied. Aufgepasst, in diesem Buch wird Heimat produziert!
Dr. Ulrich Maly, langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg und zuletzt Vizepräsident des Deutschen Städtetags, setzte sich in seiner Amtszeit engagiert für mehr bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten ein.
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V O R W O R T
Metropolenhaus Am Jüdischen Museum
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Links Ansicht des Metropolenhauses von Süden Oben Blick auf das Jüdische Museum
it dem Quartier am ehemaligen Blumengroßmarkt in Berlin ist ein Lückenschluss im historischen Gewebe der barocken Friedrichstadt gelungen – und zugleich viel mehr. Denn das Areal gegenüber dem Jüdischen Museum steht für einen neuen, vielleicht zukunftsweisenden Umgang mit städtischem Bauland, das in diesem Fall nicht für den Höchstpreis, sondern für ein überzeugendes Nutzungskonzept an die Entwickler vergeben wurde. Die Idee des Metropolenhauses lässt sich auf eine eingängige Formel bringen: Eigentum verpflichtet. Denn die Käufer der insgesamt 40 Einheiten finanzieren nicht nur ihr Dach über dem Kopf, sondern auch eine hauseigene Non-Profit-Kulturplattform im Erdgeschoss. Der Mehrwert des Projekts, so könnte man sagen, besteht vor allem in der sozialen Rendite, von der die Nachbarschaft und damit auch die Stadt profitieren. Denn schon während der Bauzeit luden die Initiatoren die Nachbarn aus einer migrantisch geprägten Nachkriegswohnsiedlung immer wieder zu Veranstaltungen ein und kooperieren seither auch mit den Schulen vor Ort. Nicht zuletzt beweist das Metropolenhaus, dass sich soziales Gewissen und ein hoher architektonischer Anspruch nicht ausschließen. Seine Gestalt entwickelt das zweiflügelige Gebäude aus der besonderen städtebaulichen Lage an der Einmündung der Markgrafenstraße in die Lindenstraße so-
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wie als nördlicher Abschluss des neuen Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platzes, der den Mittelpunkt des neuen Quartiers bildet. Diese Mehrfrontenherausforderung parieren die beiden Gebäudeteile mit unterschiedlichen Fassaden: Zur Straße hin präsentiert es sich als metallisch kühle, nüchtern gerasterte Front und öffnet sich nach Süden zum Platz hin über großzügig verglaste Loggien. Die abgekehrte Hofseite mit ihren luftigen, begrünten Laubengängen bleibt hingegen das Privileg der Bewohner. Über die Binnenstruktur der einzelnen Ebenen ergibt sich eine feinkörnige funktionale Mischung: Während das Erdgeschoss neben den 400 Quadratmetern für offene gemeinschaftliche Nutzungen und kreative Projekte noch 600 Quadratmeter für Gastronomie und Einzelhandel bereithält, stehen im ersten Obergeschoss 7 Gewerbeeinheiten und Kreativstudios zur Verfügung. Zu den insgesamt 40 Wohnungen gehören auch 3 großzügige Atelier-Maisonettes, in denen gewohnt und gearbeitet wird. Das Quartier am ehemaligen Blumengroßmarkt hat die vormals unbelebte Gegend zwischen dem südlichen Ende der Friedrichstraße und dem Jüdischen Museum erfolgreich in einen Teil der Stadt verwandelt und lässt zu Recht die Frage aufkommen, ob Konzeptverfahren mit sozialem Anspruch ein weithin praktikabler Baustein für Stadtentwicklung unter verschärften Marktbedingungen sein könnten. Stell Dir vor, es wird gentrifziert und keiner hat Angst!
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1. P R E I S
Altes Garmisch neu gelebt
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ass mitten in Garmisch-Partenkirchen ein neues Wohnviertel entstehen konnte, ist beherztem Protest zu verdanken. Denn eigentlich sollte auf dem zentral gelegenen Areal in einem der bekanntesten Wintersportorte Deutschlands eine Hotelanlage errichtet werden. Doch dann kam alles anders. Anstelle einer ausschließlich touristischen Nutzung zogen in die neu errichteten Häuser ortsansässige Familien, kleine Werkstätten, ein Café – und Platz für Skitouristen gibt es außerdem. Das Unterpfand dieser gelungenen Mischung bildet ein städtebauliches Konzept, das 29 Einfamilien- und Doppelhäuser sowie Geschosswohnungsbauten, 4 Bestandsgebäude und 1 Apartment-Hotel integriert und für die verschiedenen Nutzeransprüche entsprechende räumliche Ressourcen vorhält. Die Wohnhäuser gruppieren sich um eine Allmende, der dank einer perfekt inszenierten Sichtachse mit Kirchturm und der zackig aufragenden Alpenformation der Rang einer Sehenswürdigkeit zuwächst. Der mäandernde Kiesweg und
die üppige Bepflanzung mit einheimischen Gewächsen machen geschickt vergessen, dass es sich bei diesem grünen Anger um einen absichtsvoll geplanten Freiraum handelt: Wer hier unterwegs ist, wandert schon. Doch nicht nur die Außenbereiche des neuen Viertels reagieren auf die berückende Umgebung. Auch die Architektur des Ensembles erweist dem vorzüglichen Standort ihren Respekt. Die giebelständigen Häuser gruppieren sich zu einer kleinteiligen Formation und orientieren sich typologisch an der ortsbildprägenden historischen Bebauung. Ihre bewegte Firstlinie erscheint wie ein architektonisches Echo des im Hintergrund aufragenden Hochgebirgszugs. Welche inneren Qualitäten dieser alpine Wohnhaustypus zu entfalten vermag, zeigt sich in der Vielfalt der Grundriss- und Nutzungsmöglichkeiten. Mithilfe eines eigens entwickelten Holzbausystems konnten die Häuser in Tafelbauweise errichtet werden. Trotz des relativ hohen Vorfertigungsgrads mussten die Bewohner, eine bunt ge-
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mischte Baugemeinschaft, keine Einbußen an Individualität und besonderen Nutzungsansprüchen hinnehmen. Dank flexibler Raumschotten ließen sich sowohl offene Lofts als auch separierte Einzelräume strukturieren. Die differenzierten Raumprogramme und Ausbauszenarien spiegeln die Wünsche einer bunten Einwohnerschaft wider: Mehrgenerationenhaushalte, junge Familien und ältere Paare, aber auch verschiedene Formen des Wohnens und Arbeitens unter einem Dach. Dass auch sämtliche Oberflächen und Einbauten aus heimischem Holz den höchsten zeitgemäßen Ansprüchen genügen, versteht sich fast von selbst.
Links Zimmer mit Aussicht Oben Firstlinie vor Alpenmassiv
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Oben Traditionelle Form, moderne Interpretation Unten Ansicht des neuen Quartiers mit Freianlagen Rechts Helles Holz als Material der Wahl
Eisberg
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Ü
ber viele Jahrzehnte gähnte in der für den Berliner Bezirk Moabit typischen Blockrandbebauung an der Ecke Wilhelmshavener und Bugenhagenstraße eine Lücke. Doch nun gleißt inmitten eher schlichter Nachkriegsbauten ein kantiger Neuzugang mit geradezu arktischer Präsenz: der „Eisberg“. Sein kühler Auftritt täuscht darüber hinweg, dass für seine Errichtung vor allem Holz Verwendung fand, das wärmste und schmeichelndste Baumaterial schlechthin. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Die behaglichen Seiten der Holz-Hybrid-Konstruktion bleiben das Privileg der Bewohner der barrierefreien Mietwohnungen. Den Passanten des bunt gemischten Innenstadtquartiers präsentiert sich der Neubau als glazialer Lückenschluss, der sich mit seiner hellen Aluminiumfassade fast abweisend gäbe – wären da nicht die sonnengelben Fensterrahmen, die sich bei aufgeklappten Läden freundlich der Straße zuwenden. Die kristalline Anmutung des Gebäudes wird von einer über fünf Geschosse laufenden plastisch-abstrakten Auskragung verstärkt, die sich als Neuinterpretation des klassischen Erkers verstehen lässt. Ganz anders hingegen zeigt sich die nach Süden ausgerichtete Hofseite: Hinter einem Mikado-zarten Stützenraster öffnen sich die Wohnungen über raumhohe Fenster und durchlaufende Balkone zu einem baumbestandenen, begrünten Garten mit Spielplatz. An der Hofseite befindet sich auch das Treppenhaus, das als außenliegende Struktur konzipiert wurde und um einen Aufzug ergänzt wird. Das Haus ist ein Holzskelettbau mit tragenden Vollholzdecken, größtenteils vorgefertigten Fassadenelementen in Holztafelbauweise, Kalksandstein- und Stahlbetonwänden sowie Stahl- und Holzstützen. Für die Errichtung des Gebäudes kamen in erster Linie wiederverwertbare Materialien zum Einsatz. Dazu passt auch die energetische Konzeption als Niedrigenergiehaus entsprechend dem KfW55-Standard. Dass Sparsamkeit eine Tugend ist, beweist nicht zuletzt die Grundrissökonomie im Großen wie im Kleinen. So wurden dem Grundstück nicht nur 11 Wohnungen abgetrotzt; auch die Wohnungen selbst profitieren vom intelligenten planerischen Zugriff auf die verfügbare Fläche. Die insgesamt 9 2-Zimmer-Einheiten mit jeweils gut 55 Quadratmetern Nutzfläche mit einem loftartigen Koch-, Ess- und Wohnbereich sind von Norden nach Süden ausgerichtet. Das fünfte und sechste Obergeschoss ist zwei nicht barrierefreien Maisonette-Einheiten vorbehalten, die jeweils 96 Quadratmeter umfassen und über einen Koch-, Ess- und Wohnbereich mit doppelter Raumhöhe verfügen.
Links Dachgeschoss Oben Hoffassade
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Pas de deux
A N E R K E N N U N G
Bauherrschaft Stadtbau Aschaffenburg GmbH
Standort Aschaffenburg
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GrĂźne Aorta
Bauherrschaft Stadt Ludwigsburg
Standort Ludwigsburg
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P#01 Das Nest
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auland in München ist ein kostbares Gut. Es ist daher nur folgerichtig, wenn die Stadt die wirtschaftliche Verwertung von Boden an bestimmte Bedingungen knüpft. So soll dafür Sorge getragen werden, dass dringend benötigte Mietwohnungen in guter Qualität und auf möglichst nachhaltige Weise entstehen. Wie sich solche Strategien in der Praxis bewähren, zeigt sich am neu entstehenden Stadtquartier Prinz-Eugen-Park im Bezirk Bogenhausen, nordöstlich vom Stadtzentrum. Auf dem etwa 30 Hektar großen Areal, früher Standort einer Kaserne, kamen im Rahmen des kommunalen Programms „Konzeptioneller Mietwohnungsbau“ (KMB) neben konventionellen Investoren auch Baugenossenschaften und Baugruppen zum Zuge, sodass hier ein vielgestaltiges, sozial gemischtes Viertel entstehen kann. Die Wohnanlage P#01 besetzt zwei Grundstücke im östlichen Teil und entspricht mit ihrer Gruppierung aus gereihtem Stadthaus und mehrgeschossigen Solitärbauten der ortsüblichen typologischen Mischung. Die insgesamt 55 Wohnungen ver-
teilen sich auf 2 viergeschossige Punkthäuser und 4 Atriumbauten mit zwei bzw. drei Geschossen. Mit ihrem Angebot aus 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen öffnet sich die Anlage einer heterogenen, bunten Nutzerschaft. Alle Wohnungen verfügen über Terrasse oder Balkon und sind über das intelligente Wegesystem im begrünten Außenbereich gewissermaßen miteinander vernetzt. Die dort angelegten Sitzgelegenheiten und Erholungsflächen verstehen sich als kommunikative Erweiterung der Wohnung in die geschützte Öffentlichkeit der Nachbarschaft. Dass Gemeinschaft großgeschrieben wird, zeigt sich auch im Erdgeschoss des mehrgeschossigen sogenannten Punkthauses West, das einen Gemeinschaftsraum nebst Duschbad beherbergt. Er steht allen Mietern je nach Wunsch als Gästewohnung oder Veranstaltungsbereich zur Verfügung. Dem essentiellen Gedanken der Nachhaltigkeit, von dem das gesamte Vorhaben inspiriert ist, tragen Bauweise und energetischer Standard der Gebäude auf vorbildliche Weise Rechnung. Die Atriumhäuser sind
sortenreine Holzbauten; die viergeschossigen Solitäre entstanden in Hybrid-Bauweise. Dank des hohen Vorfertigungsgrades vieler Bauteile und des dadurch reduzierten Transportaufkommens konnte sich die CO2-Bilanz des Projekts schon während der Errichtung sehen lassen; der zertifizierte Passivhausstandard beglaubigt das konsequent nachhaltige Konzept auch im Betrieb. Dazu gehören auch die Regenwassergewinnung für Toilettenspülung und Gartenbewässerung und der geringe Heizenergiebedarf: So kann die Stadt auf grüne Art wachsen.
Links Innere Qualitäten Oben Filigrane Schlichtheit bestimmt das Äußere der Gebäude
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Bauherrschaft Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft eG
Standort Wilhelmshaven
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AHOJ! Zu Hause im Richardkiez
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Links Hoffassade mit Durchgang Oben Innenansichten
tädtische Lücken haben mitunter ihre Tücken. So auch das von Nachbarhäusern komplett eingefasste Grundstück in der Böhmischen Straße in Berlin-Neukölln, das sich mehr als 100 Meter in die Tiefe des kompakt bebauten Blocks erstreckt. Angesichts der begehrten Lage im Richardkiez, einem historisch gewachsenen Viertel mit vielgestaltiger Bebauung und bunt gemischter Bevölkerung, bot sich die Liegenschaft für eine Nachverdichtung förmlich an. Doch anstelle der für die örtliche Gründerzeitbebauung üblichen Struktur aus dicht gesteckten, lichtarmen Hinterhofhäusern mit Quer- und Seitenflügeln wurde für das neu errichtete Wohnensemble ein locker gruppiertes Gebäudetrio gewählt. Das sechsgeschossige Vorderhaus schließt die Blockkante und zeichnet mit sanftem Knick den unregelmäßigen Verlauf des Grundstücks nach. Eine schlichte Passage führt in den Hof, den sich ein freistehender, dreigeschossiger Riegel und ein angewinkelter Kubus mit ebenfalls sechs Geschossen teilen. Die überlegte Differenzierung der Bauvolumina, aber auch die Anordnung der Baukörper selbst sorgt für eine überraschende Großzügigkeit: So sonnig, grün und luftig präsentiert sich ein Berliner Hinterhof nur selten. Auch die Bepflanzung in den gepflegten Privat- und Gemeinschaftsgartenflächen lässt rasch vergessen, dass es sich hier um eine Adresse in einem der am dichtesten besiedelten, wirtschaftlich nicht unbedingt gesegneten Bezirke der Hauptstadt handelt. Doch letztlich ist es auch dem Aufstieg des vormals grauen und abgehängten Bezirks Neukölln zu einem begehrten Szeneviertel zu verdanken, dass die große Nachfrage nach ansprechenden, guten Wohnungen solche innovativen Projekte zeitigt. Die insgesamt 66 Wohneinheiten – vom kleinen Studio-Apartment über die klassische Familienwohnung bis hin zum großzügigen Penthouse – entsprechen der Nachfrage nach zeitgemäßem Wohnraum in der Innenstadt und reflektieren die unterschiedlichen Ansprüche einer naturgemäß heterogenen Nutzerschaft unter einem gemeinsamen Dach. Was Letztere hingegen eint, ist ein ausgeprägtes Bewusstsein für ökologisch unbedenkliche Materialien und eine klimafreundliche Gebäudetechnik. Dem kommt das neue Ensemble zum einen durch die massive Bauweise nach, die angesichts ihrer vorbildlichen Energiebilanz auf eine Dämmung mit Wärmedämmverbundsystem verzichten kann, zum anderen durch das Prinzip der Wärmerückgewinnung den Energieverlust beträchtlich reduziert. Dass sämtliche Wohnungen barrierefrei sind, versteht sich fast von selbst.
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Festkรถrperphysik
Bauherrschaft Baugemeinschaft Der kleine Prinz
Standort MĂźnchen
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Bauherrschaft BUWOG Bauträger GmbH
Standort Berlin-Treptow-Köpenick
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1 Bauherrschaft 8 städtebaulichen, sozialen und 6 Welche wirtschaftlichen Faktoren waren für die Konzeption Ihres Vorhabens ausschlaggebend? Heinz-Michael Bertram, Wohnungsverein Hamburg von 1902: Die Basis für kostengünstiges Bauen wird sehr früh in der Stadtplanung gelegt. Der Bebauungsplan ist für heutige Verhältnisse aufgelockert und großzügig gestaltet. Die Nachfrage war erwartungsgemäß sehr hoch. Ein Neubau in dieser Qualität zu diesem Preis ohne Zugangsbeschränkung durch eine öffentliche Förderung ist auf dem Hamburger Wohnungsmarkt kaum zu finden. Das günstige Zinsniveau kam dem Vorhaben entgegen; dennoch ist die Eigenkapitalrendite in den Anfangsjahren praktisch null. Das wird nicht jeder Investor mitmachen können. Daher ist die Verlässlichkeit der Politik unabdingbar.
„Kostengünstiges Bauen im Interesse unserer Mitglieder ist auch aktuell in Hamburg möglich, wenn alle Projektbeteiligten kooperativ miteinander arbeiten.“
Wie lässt sich eine möglichst hohe Nutzungsflexibilität bei einem relativ hohen Standardisierungsgrad realisieren? Nutzungsflexibilität ist in dem Projekt mit insgesamt 154 Wohnungen gegeben. Zunächst werden Wohnungen in üblichen Größen (2 bis 4 Zimmer) angeboten. Die Projektgröße bietet die Möglichkeit, im Rahmen der normalen Fluktuation durch Umzug das Wohnumfeld nach Wunsch zu vergrößern oder zu verkleinern. Erfahrungsgemäß wird gerade innerhalb einer Genossenschaft dieses Angebot gerne genutzt. Was ist Ihrer Meinung nach nötig, damit mehr bezahlbare, gleichwohl gute und nachhaltige Wohnungen errichtet werden können? Wünsche wie „bezahlbar“ und „hohe Qualität“ wirken zunächst wie Zielkonflikte. In der Praxis ist es häufig so. Die Erwartungshaltungen an die Wohnungswirtschaft sind in vielen Bereichen massiv gestiegen. Gleichzeitig scheint es für Grundstückspreise vor allem in Ballungsräumen keine Grenze nach oben zu geben. Das alles soll dann auch noch für eine möglichst geringe Miete mit wenig oder ohne Förderung realisiert werden. Der Zielkonflikt kann nur aufgelöst werden, wenn jeder Stakeholder bereit ist, seine eigenen Forderungen zu hinterfragen. Das Modellprojekt war nur möglich, weil die Stadt Hamburg ihre Erwartungshaltung an den Grundstückspreis reduziert hat.
Wohnungsverein Hamburg von 1902 eG und C.E. Danger GmbH & Co. KG Landwehr 58 22087 Hamburg bertram@wv1902.de wv1902.de
Holger Fehrmann und Claus-Dieter Scholze (Vorstände des Wohnungsvereins Hamburg von 1902 eG), Cristian Carl Danger (Geschäftsführer der Karl Danger Grundstücksverwaltung GmbH & Co. KG)
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Oben Alle Wohnungen verfügen über Balkon oder Außenterrasse Unten Blick in das neue Quartier
Architekturbüro Das 1973 von Uwe Hohaus gegründete Büro wird seit 1999 von Riek Delf Hinz und Thomas Seifert geführt und bietet das gesamte Leistungsspektrum im Bereich Hochbau. Neben Entwurf, Genehmigungs-, Ausführungsplanung und Bauleitung übernimmt das erfahrene Team auch Sachverständigengutachten für die Bewertung von Grundstücken und Gebäuden sowie zur Ermittlung von Bauschäden und betreut sowohl eigene als auch Fremdbaustellen. Hohaus Hinz & Seifert Architekturgesellschaft Wellingsbüttler Weg 116 22391 Hamburg hohaus-hinz-seifert.de
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Paul-Zobel-Straße
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er Neubau eines Wohnhauses, eine versetzte, kubisch strenge Doppelstruktur, ergänzt eine Wohnanlage mit zehngeschossigen Plattenbauten im Berliner Bezirk Lichtenberg. Diese Lage erklärt zum einen die körperliche Fassung des Neuzugangs, zum anderen auch seine architektonische Gestalt: Das Gebäude muss sich als Nachverdichtung in einen bestehenden Kontext einfügen und diesen zugleich mit zeitgemäßen Mitteln, aber auch Eigensinn weiterentwickeln. Die beiden achtgeschossigen Baukörper sind über eine gemeinsame Sockelzone miteinander verknüpft und bilden einen kleinen, nach Süden ausgerichteten Innenhof. Dieser geschützte Bereich dient der im flachen Verbindungstrakt angesiedelten Kindertagesstätte als Garten und stellt über eine vorhandene Wegebeziehung auf der westlichen Seite eine Verbindung zu seiner Umgebung her. Äußerlich setzt sich das Wohnhaus durch seinen dunklen Fassadenanstrich ab, der die Speicherung von Sonnenwärme in den massiven Außenwänden begünstigt. Doch seine markante Präsenz gewinnt das Gebäude über die eigenwillige Gestaltung der unregelmäßig platzierten Balkone, die wie plastisch-kubische Profile weit aus dem Haus zu ragen scheinen. Die Adressbildung erfolgt über einen Weg, der unter einem weitspannenden Stahlbetonträgerelement verläuft und zu den beiden Hauseingängen führt. Recht nüchtern und zweckmäßig präsentieren sich die Eingangsbereiche mit den dunklen Estrichböden und den Treppenaufgängen mit Brüstungsflächen aus verzinktem Blech. Lediglich die zitronengelben Wandanstriche sorgen für etwas Heiterkeit. Die Hochparterreebenen in beiden Gebäudeteilen sind alternativen Haushalts- und Lebensformen vorbehalten; einzelne Bereiche in diesem Stockwerk sind zusätzlich über eigene Außentreppen zugänglich. Die Obergeschosse mit insgesamt 70 Wohnungen sind als Vier- oder Fünfspänner angelegt; strukturell identisch sind tragende Außenwände sowie die innenliegenden Gebäudekerne mit jeweils einläufiger Treppenanlage und Aufzug. Bei der Grundrissplanung wurde Wert auf möglichst hohe Nutzungsneutralität gelegt. Die Wohnräume lassen sich zum Teil koppeln und bieten reichlich Spielraum für ganz unterschiedliche Einrichtungs- und Gestaltungsansprüche.
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Links Innenansichten Wohnbereich Oben Hausflur mit Treppenaufgang
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2 Architekturbüro 6 städtebaulichen, sozialen und 4 Welche wirtschaftlichen Faktoren waren für die Konzeption Ihres Vorhabens ausschlaggebend? Mit dem Neubau wurde der Innenbereich der Blockstruktur mehrerer Wohnscheiben in Plattenbauweise in Berlin-Lichtenberg nachverdichtet und auf zeitgemäße Weise weiterentwickelt. Als Projekt einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft war es in erster Linie das Ziel, bezahlbaren und anteilig geförderten Wohnraum zu schaffen. Dabei ist es gelungen, offene Grundrisse und experimentelle Wohnformen mit individuellen wie auch gemeinschaftlichen Wohnqualitäten umzusetzen. Über welche architektonischen Mittel findet das Gebäude Anschluss an seine Nachbarschaft? Die beiden achtgeschossigen Wohntürme mit dem verbindenden Sockelgeschoss treten vor allem über ihre stadträumliche Setzung in Dialog mit dem Bestand. Es entsteht ein halböffentlicher Platzraum im Süden, eine Raumfolge in Richtung Osten sowie ein geschützter Garten für die Kindertagesstätte im Norden. Das robuste Sockelgeschoss wird zum Relief für den Freiraum und dessen Nutzungen. Die Kita ist in das Sockelgeschoss integriert und sowohl mit den Gebäuden als auch mit den Freiflächen verzahnt. Eine Analogie zur Nachbarbebauung besteht im bewussten Einsatz vorfabrizierter Bauteile. Welche Entwicklungspotenziale bieten die bestehenden Wohnquartiere in Plattenbauweise im Hinblick auf Nachverdichtung und mehr Urbanität? Nach der Wende ging die ursprüngliche Bedeutung und die kollektive Nutzung der weitläufigen Freiräume der Großwohnsiedlungen der ehemaligen DDR teilweise verloren. Die Nachverdichtung unter Würdigung der vorhandenen Qualitäten füllt die Räume mit neuem Inhalt. Es gilt, ein Geflecht aus Gebäuden und Freiräumen mit erhöhter Dichte und neuen Nutzungen zu schaffen. Dichte darf dabei nicht nur rein baulich betrachtet werden, sondern sollte als soziale Kategorie verstanden werden. Die Bedeutungsdichte des öffentlichen Raums kann zu neuen urbanen Qualitäten führen.
„Dichte darf nicht nur rein baulich betrachtet werden, sondern sollte als soziale Kategorie verstanden werden. Die Bedeutungsdichte des öffentlichen Raums kann zu neuen urbanen Qualitäten führen.“
Heide & von Beckerath, gegründet 1996, ist ein Berliner Büro, das sich in seinen Entwürfen intensiv mit dem Raum als Herausforderung beschäftigt. In den Projekten spiegelt sich die interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den sozialen, technischen und kulturellen Produktionsbedingungen von Architektur wider. Heide & von Beckerath Kantstraße 152 10623 Berlin jj@heidevonbeckerath.com heidevonbeckerath.com
Verena von Beckerath, Tim Heide