Baumeister Zeitschrift für Architektur 108. Jahrgang Januar 2011
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D 15 EUR A, L 17 EUR CH 23 SFR
Holz hält Konstruktive Lösungen mit Stäben und Scheiben, Tafeln und Bindern von Hascher Jehle, Jürgen Mayer H., ACME, Maaars und Miroslav Volf
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Gordischer Knoten Messehalle 11 und Portalhaus West in Frankfurt am Main Hascher Jehle Architektur Die Frankfurter Messe begrüßt ihre Besucher neuerdings mit offenen Armen in einem transparenten Kubus. An dessen Seite steht eine zweigeschossige Messehalle, deren wahre Größe sich erst auf den zweiten Blick zeigt. Nicht minder gewaltig ist das hölzerne Dachtragwerk, dessen intelligente Knoten zusätzliche Halleninnenstützen überflüssig machen. von Klaus Siegele
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Messehalle 11 und Portalhaus West in Frankfurt am Main
Das Portalhaus ist der von weitem sichtbare Auftakt zur Messe und bildet zusammen mit der Halle ein harmonisches Ensemble in direkter Nachbarschaft zur Innenstadt.
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ahtstellen sind das Salz in der Suppe der Architektur – im Kleinen wie im Großen. Im baukonstruktiven Detail wie im übergeordneten Städtebau. Sie richtig einzuschätzen, sie zu beherrschen, erfordert ein großes Maß an Aufmerksamkeit, Geschick und Gespür. Zu viel der Würze schadet der Ästhetik ebenso wie ein allzu zaghafter Umgang mit Konfliktsituationen, beides hinterlässt einen unangenehmen Geschmack. Ein positives Beispiel für den virtuosen Umgang mit dem Salzstreuer ist die neue Messehalle 11 mit dem daneben platzierten Portalhaus an der Westseite des Frankfurter Messegeländes. Besagte Nahtstelle ergibt sich durch ein Aufeinandertreffen von großformatigen Messebauten mit kleinteiliger Wohnbebauung, quasi ein überdimensionaler Quantensprung an Baumasse von der einen zur anderen Straßenseite. Ganz anders als an der Nordflanke des Messegeländes, wo sich die Hallen 5 bis 9 unauffällig entlang der breiten Einfallstraße ins Stadtzentrum aufreihen, droht das allmähliche Aufrücken neuer Bauwerke in Richtung Westgrenze die Wohnbauten in der benachbarten Siedlung zu erdrücken. Viel Feingefühl war daher von den Architekten Hascher Jehle gefragt, denen die Aufgabe zukam, mit einer weiteren, zweigeschossigen Halle die Ausstellungsfläche zu vergrößern und ein bislang fehlendes Entree zur Messe am Westtor zu schaffen. ►
Nicht nur die Fassadengestaltung des Portalhauses symbolisiert Dynamik, auch im Innenraum überwiegen Aktion und Bewegung. Unter dem hohen Dach befinden sich verschiedenste Nutzungen.
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Messehalle 11 und Portalhaus West in Frankfurt am Main
Mit dem Ensemble ist es den Planern gelungen, einen repräsentativen und klar erkennbaren Zugang vom Besucherparkplatz auf dem Rebstockgelände zur Messe zu schaen.
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Mit einer Spannweite von 78 Metern zählt die Dachkonstruktion zu den bislang grĂśĂ&#x;ten freitragenden Holztragwerken.
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Klare Kante, eindeutige Wegeführung Mit dem Ensemble aus vertikal aufragendem Portalhaus und daran angekoppelter, horizontal gegliederter Messehalle ist es den Planern gelungen, einen repräsentativen und klar erkennbaren Zugang vom Besucherparkplatz auf dem Rebstockgelände zur Messe zu schaffen. Während die beidseitig spitz auslaufenden Gebäudeflanken des transparenten Portalhauses den Besucher mit offenen Armen empfangen, zeigt sich der daneben stehende Baukörper aus zwei aufeinander gestapelten Hallen zurückhaltend und differenziert. Das durch Materialwechsel betonte Aufeinanderschichten von massivem Sockel, zurückgesetztem Obergeschoss und darüber schwebender Dachplatte lässt den Bau niedriger erscheinen als er mit seinen knapp 30 Metern tatsächlich misst. Das Verhältnis von Länge (156 m) zu Höhe trägt ebenfalls dazu bei. Versierter Griff in den Baukasten Eine so elegante wie anspruchsvolle Baumasse von 875 000 Kubikmetern binnen 26 Monaten zu realisieren, erfordert ein Höchstmaß an Disziplin bei der Baulogistik und eine effiziente Bauweise. Vorgefertigte Elemente aus Stahl oder aus Stahl-/Spannbeton verkürzten gegenüber Ortbetonlösungen spürbar die Rohbauphase. Die überaus schlanken und bis zu 13 Meter hohen Stahlkernstützen im Portalhaus kamen wie die Trogbrücken aus Stahlbeton als Fertigteil zur Baustelle. Die gesamte zweigeschossige Messehallenkonstruktion besteht, bis auf das Dachtragwerk, aus Stahlbeton, was nicht zuletzt auch dem Brandschutz geschuldet war. Aufgrund der hohen Lasten des Obergeschosses und wegen Einschränkungen bei Transport und Montage (das schwerste Bauteil wog 110 Tonnen) reduzierte sich die maximal mögliche Spannweite der Decke auf 25,6 Meter, was zu einer dreischiffigen Halle mit zwei Stützenreihen führte. Die technische Versorgung der Messestände erfolgt über sogenannte „Spartenkanäle“ im Boden, die Leitungen für Licht- und Klimatechnik verlaufen unter der Decke quer zur Halle in der Ebene der Hauptträger, um die lichte Raumhöhe nicht zu beeinträchtigen. ►
Ihre Leichtigkeit bezieht die Dachkonstruktion aus dem spitz auslaufenden Dachüberstand. Über der Glassfassade wirkt sie fast schwerelos.
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Auf den Knoten kommt es an Hinter der glatten Bekleidung der auskragenden Dachscheibe versteckt sich eine filigrane Konstruktion aus knapp sieben Meter hohen Holzfachwerkbindern, die im Innenraum sichtbar und erlebbar wird. Mit einer Spannweite von 78 Metern zählt die Dachkonstruktion zu den bislang größten freitragenden Holztragwerken. Ursprünglich als Stahlkonstruktion geplant, schwenkte man in einer späteren Planungsphase wegen der immens gestiegenen Stahlpreise auf die Holzvariante um. Mit 1250 Tonnen Eigengewicht fiel sie etwas leichter aus, und die Ökobilanz des Materials ist aufgrund des geringeren CO2-Ausstoßes vorteilhafter. Die Hauptträger des Daches aus bis zu 6,6 Meter hohen Holzfachwerkbindern kamen jeweils segmentiert per LKW zur Baustelle und wurden vor Ort mit zwei Montagestößen mittels Stahllaschen und Vollgewindeschrauben verbunden. Die in 10,4 Metern Abstand verlegten Fachwerkbinder sind über Holznebenträger im Obergurtbereich miteinander verbunden. Der sich nach außen verjüngende Dachrand kragt umlaufend 18,4 Meter über das Auflager aus. Im Kragarm befindet sich pro Fachwerkfeld nur eine Diagonale, die sowohl Druck- als auch Zugkräfte aufnimmt, um die bestehenden Windlasten abzuleiten. Im Feld entschied man sich bei den Diagonalen für ein Stahl-Zugstabsystem, dessen Systemlinien sich mit denen der Pfosten am Rand des Obergurts des Fachwerks kreuzen. Verteil- und Vorbildfunktion Das neue Portalhaus und die angrenzende Messehalle 11 bilden den Auftakt für die weitere Ausdehnung des Geländes zur südlichen Grundstücksgrenze. Jeder zusätzliche Quadratmeter an Ausstellungsfläche wertet das neue Ensemble zusätzlich auf und verleiht besonders dem Portalhaus eine wichtige Verteilaufgabe. Hingegen kommt der Messehalle 11 eine bedeutsame Vorbildfunktion zu, da der homogene und in der Höhe gestaffelte Baukörper zeigt, dass selbst übereinander gestapelte Ausstellungsflächen nicht zwingend als monolithische Monumentalgebäude enden müssen. ●
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Messehalle 11 und Portalhaus West in Frankfurt am Main
W채hrend das Holztragwerk 2160 Tonnen CO2 bindet, w채ren f체r den Herstellungsprozess einer Stahlkonstruktion rund 1740 Tonnen CO2 freigesetzt worden.
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Die Detailausbildungen der Knotenpunkte spielen eine maßgebliche Rolle; man kam mit nur zwei unterschiedlichen Knotenverbindungen aus. An den Knotenpunkten der spitz zulaufenden Fachwerkauskragungen garantieren Schlitzbleche und Stabdübel die geforderte Stabilität. Sie verbinden drei bis fünf Holzbalken miteinander, deren statische Achsen sich in einem Punkt schneiden. Um die Tragsicherheit der Stabdübelverbindung dauerhaft zu sichern und das Aufreißen der Hölzer zu verhindern, wurden zusätzlich zu den Schlitzblechen Vollgewindeschrauben quer zur Faserrichtung beidseitig des Stahlschwerts in das Holz eingedreht. Für die Knotenpunkte im Feldbereich lagen andere Bedingungen vor: Da die Stabachsen keinen gemeinsamen Schnittpunkt haben, wurde das Stabwerkmodell und die daraus resultierende Detailbemessung unter Berücksichtigung des Versatzes modelliert und die Anschlüsse mit Vollgewindeschrauben ausgeführt. Ein statischer Nachweis mit zwei Versuchskörpern ergab eine Bruchlast von 13 000 kN, was in Bildern ausgedrückt etwa 34 Sattelschleppern mit jeweils 38 Tonnen Gesamtgewicht entspricht. Die Sicherheitsreserven des Knotens liegen gegenüber der Gebrauchslast bei 300 Prozent, wozu unter anderem die Reibung zwischen Holz und Stahl maßgeblich beiträgt. Versagensursache war schließlich der Zugbruch der Schrägschrauben, deren Sicherheit hinsichtlich Zugfestigkeit gegenüber der Gebrauchslast bei etwa 200 bis 230 Prozent liegt. K.S.
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Bauherr: Messe Frankfurt Venue, Frankfurt am Main Architekt: Hascher Jehle Architektur, Berlin www.hascherjehle.de Projektleitung: Friedrich Dröge, Günther Kaesbach Mitarbeiter: Carsten Burghardt, Fleur Keller, Michael Gerstner, Jenny Katholy, Franziska Kühner, Christian Lührs, Michael Meier, Tim Obermann, Stephanie Perscheid, Jonas Schmidt-Thomsen, Frank Walter Projektsteuerung: FAAG Technik GmbH, Frankfurt am Main Werkplanung (GU): ATP Achammer-Tritthart & Partner, München Tragwerksplanung: RSP Remmel + Sattler Ingenieurgesellschaft, Frankfurt am Main Haustechnik: Scholze Ingenieurgesellschaft, Leinfelden-Echterdingen Bauphysik: Priedemann Fassadenberatung, Berlin Akustik: Akustik-Ingenieurbüro Moll, Berlin Brandschutz: Hilla Sachverständigenbüro für vorbeugenden Brandschutz, Frankfurt am Main Lichtplanung: ag Licht, Bonn Landschaftsarchitekten: BWP Endreß, Frankfurt am Main Fertigstellung: Juli 2009 Standort: Messegelände, Frankfurt am Main Holzbaukonstruktion: www.wiehag.com Fotos: Svenja Bockhop, Berlin Matthias Könsgen, Berlin Roland Halbe, Stuttgart
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Querschnitt M 1 : 1000 Grundrisse M 1 : 2500 Ebene 1 Ebene 0 Lageplan M 1 : 5000
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