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Bau me i s t e r
1O 9 . J ah r g a n g
Januar
Das ArchitekturMagazin
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+ Francisco Mangado + Graft + Peter Sloterdijk +
Rem Koolhaas bändigt eine Bank
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D A,L C H
15 E u r o 17 E u r o 23 SFR
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Retten Architekten die Welt?
Bauen mit Holz in Paris und der Schweiz
se i t e 74
ab se i t e 38
Ideen
Die Rothschild-Bank inszeniert Offenheit
Seltene Durchblicke
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OMA, eine Privatbank und die City of London Seite
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Bauen und Therapie: Eine Klinik gibt sich calvinistisch
Foto: OM A/Charlie Koolhaas
Edle Produkte, hölzerne Hülle – Hermès in Paris Seite
Seite
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Möbelmesse Köln: Kommt das Cocooning zurück? Seite
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Ideen
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Kulturwandel in Londons City A rc h i t ek t en
K ri t ik
OMA
Klaus Englert
Zurückhaltend, sogar bescheiden wirkt die neue Firmenzentrale für die Privatbank Rothschild von Rem Koolhaas. Neben all den auftrumpfenden Stadt-Ikonen der City fällt das Gebäude kaum auf – und damit auch wieder gerade. Geht die Ära der Architekturspektakel zu Ende?
Auffällig unauffällig: der neue Bankenturm für Rothschild (Bildmitte) hinter Christopher Wrens kleiner Stadtkirche. Rechts: Wie aus einer anderen Zeit – Walbrook Building von Foster and Partners (2O1O)
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Ideen
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Obwohl die Bank auf den ersten Blick transparent und offen wirkt, werden Schaulustige schnell verscheucht. Publikationspläne gab es aus Sicherheitsgründen nicht.
Rund um das neue Bankgebäude geht es so eng zu, dass Fußgänger es kaum wahrnehmen.
Konferenzräume im zehnten Geschoss
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Die eigentliche Attraktion des Bankgeb채udes: Der Blick auf den Kuppelbau von St Stephen Walbrook ist wieder frei (oben der Kirchenraum).
fo t os
Philippe Ruault
In der Seitengasse nimmt man von dem Bankhaus nur zwei gl채serne Foyers und St체tzenreihen wahr.
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1 R o t h sc h ild - B ank
D as internationale Finanzviertel „City of London“ zeichnet sich durch einige historisch bedingte Besonderheiten aus. Anders als in Frankfurt am Main fehlt hier die klar erkennbare Hierarchie der Bankentürme, die Konkurrenz um die entscheidenden Höhenmeter. Die City war niemals ein homogenes Stadtquartier, niemals Ausdruck eines umfassenden Modernisierungswillens, stattdessen ein Konglomerat von architektonischen Sünden und Errungenschaften, von baulichen Tragödien und Kostbarkeiten. Um die Bank of England ist an vielen Stellen der mittelalterliche Stadtgrundriss noch erhalten, da sich London selbst nach dem verheerenden Brand von 1666 nicht dazu durchringen konnte, die verbliebenen labyrinthischen Straßenzüge abzureißen und neu zu planen. Dieser Ausgangslage waren sich Rem Koolhaas und Ellen van Loon sehr wohl bewusst, als sie 2OO5 den begrenzten Wettbewerb für die Rothschild-Bank in der verwinkelten, engen St Swithin’s Lane gewannen: Welch eine Herausforderung, am Standort von New Court, wo seit 18O9 bereits drei Vorgängerbauten der RothschildBank standen, eine Zentrale zu errichten, die sensibel auf den städtischen Kontext eingeht und gleichzeitig als unverwechselbares architektonisches Statement verstanden wird. Dieser Hiatus zwischen Rücksicht auf die historische Stadt und einem unverkennbar zeitgemäßen Entwurf ist OMA mustergültig gelungen. Selbstverständlich ging es dabei keineswegs um ein Wetteifern um den möglichst spektakulärsten Entwurf, was die räumliche Nähe von Norman Fosters Swiss Re-Gurke und Renzo Pianos – noch unvollendetem – „Shard“-Hochhaus zumindest nahe gelegt hatte. Nein, der schmale Turm fällt mit seinen 75 Metern erst beim zweiten Hinsehen auf. Betrachtet man die Londoner Skyline, dann erstaunt das Maß an Diskretion, mit dem es OMA fertigbrachte, den Bankenturm nicht zum städtebaulichen Ausrufezeichen ausarten zu lassen. Selbst von den großen Straßenachsen aus wird man Mühe haben, einen freien Blick auf die neue Rothschild-Hauptverwaltung zu erhaschen. Lediglich die kleine Querstraße von St Swithin’s macht das unverhofft der chaotischen City entwachsene Turmgebäude sichtbar. Rem Koolhaas und Ellen van Loon machten es sich zur Aufgabe, das äußerst begrenzte Grundstück im Gewirr der hoch verdichteten City „so effizient wie möglich“ zu besetzen und den Widrigkeiten der jüngeren Londoner Baugeschichte zu trotzen. Es gelang ihnen zudem vor-
bildlich, ein seit dem 18. Jahrhundert versteckt gebliebenes architektonisches Juwel von Christopher Wren wieder ins Rampenlicht zu rücken – St Stephen Walbrook, eine wunderbare Barockkirche mit Kuppel und Campanile. Die Architekten schnitten einfach im Kerngebäude, das rechts von der Rothschild-Bibliothek und links von einem großzügigen Foyer eingefasst wird, eine Passage ein, die nun überraschend den Blick auf Wrens Kirche von 168O freigibt. Leider ist die Passage, die sich an der Gasse zu einem bühnenartigen Vorplatz weitet, nicht zu einem wirklich öffentlichen Raum geworden, da das Wachpersonal mit Argusaugen aufpasst, dass sich kein Unbefugter zu sehr dem Durchgang nähert. Die Beschränkung auf den Durchblick ist offensichtlich der Kompromiss, den Koolhaas und Loon eingehen mussten. Dennoch bleibt es bemerkenswert, dass sich die stählernen Stützen, die die Glasfassade des Kerngebäudes einfassen und sich zu einer neogotisch anmutenden Tragstruktur verzweigen, als Kolonnaden in die Straßenflucht einfügen, ohne dabei die Fußgängerzone zu beeinträchtigen. Dieser Kunstgriff belässt die visuelle Achse zwischen St Swithin’s Lane und St Stephen Walbrook, grenzt aber deutlich den öffentlichen vom privaten Raum ab. Deswegen wird ein Normalsterblicher leider schwerlich in den Genuss kommen, das von der Innenarchitektin Petra Blaisse mit einem zauberhaft transparenten Vorhang unterteilbare Foyer von innen zu bewundern. Dagegen kann jeder die von OMA gewählte Komposition nachvollziehen: Dem Kerngebäude, einem zehngeschossigen Kubus, wurden vier Annexe beigesellt – ein Flachbau für die Bibliothek, zwei Büroturmbauten und ein aufgeständerter, dreigeschossiger „Sky Pavilion“. Dieser luftige Aufbau, dessen Inspirationsquelle im florentinischen Palazzo Vecchio zu suchen ist, erhebt sich über einer weitläufigen, mit Lusitanischem Kirschlorbeer eingefassten Dachterrasse. Wie die zwei oberen Geschosse des Kerngebäudes sind die Ebenen des markanten Himmel-Pavillons ausschließlich dem Management vorbehalten. Im 15. Geschoss, dem PanoramaSaal, werden sich internationale VIPs ein Stelldichein geben und die fantastische Aussicht über halb London genießen. Plötzlich wird dem Journalisten, der sich auch einmal auf der Bellevue-Empore umschauen durfte, deutlich, von welch stilistisch-opulentem Chaos Londons Panorama regiert wird – von Fosters Gurke, Rogers maschinenhafter Lloyds Bank, Stirlings postmodernem „Number One Poultry“, Pianos Gipfelstürmer „Shard“, Wrens majestätischer St Paul’s Cathedral und – last but not least – der monumentalen Tower Bridge. Man kann sich einfach nicht satt sehen unter dem Himmel von London.
B au h err : NM Rothschild & Sons A rc h i t ek t en : OMA, Rotterdam www.oma.com Rem Koolhaas, Ellen van Loon P ar t ner B ü ro V or O r t : Allies and Morrison, London Tragwerksplanung , Haus t ec h nik , B randsc h u t z : A rup, London F er t igs t ellung : November 2 O 1 1 S t andor t : St Swithin‘s Lane, City of London
Der Charme des Finanzviertels liegt im Detail: Direkt neben Rothschild findet man diesen Herrenschneider. Die Treppe links führt hinab zu einem Frisör.
Hauchzart: Das Foyer schirmt ein eleganter Vorhang von Petra Blaisse ab.