Baumeister Zeitschrift für Architektur 108. Jahrgang März 2011
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D 15 EUR A, L 17 EUR CH 23 SFR
...aber ist Bauen mit Thermohaut die Lösung — oder nur ein Trostpflaster? Winfried Nerdinger kritisiert Vittorio Magnago Lampugnani doziert Go Hasegawa liebt die Leere
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Wie ein weißes Etui Studentenwohnheim in Innsbruck Manzl Ritsch Sandner Architekten Ein Eckhaus, das mit seiner städtebaulichen Bedingung kokettiert. Weiß und kantig besetzt es den Straßenraum, als sei es aus einem Stück Marmor gemeißelt. Dabei ist seine Skulptur montiert und geputzt wie andernorts auch: Thermohaut, nur viel besser als gewöhnlich. von Wolfgang Bachmann
Das Luftfoto zeigt die fahrige städtebauliche Situation, der das Eckhaus Halt gibt. Die Fassaden (rechts) demonstrieren bildlich, wie sich laute Störungen geordnet beruhigen lassen.
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Nur die größeren Dachwohnungen verfügen über Terrassen, sonst handelt es sich überwiegend um kleine Apartments. Ein Schlitz im Hauskörper verkürzt den Weg um die Ecke – wenn man sich traut.
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s hätte leicht schief gehen können. Zu lange währte das Projekt, und architekturferne Konditionen waren zu bewältigen. Als die Architekten 2003 den Wettbewerb gewonnen haben, war noch ein Wohn- und Geschäftshaus vorgesehen, das über einer M-Preis-Filiale in die Höhe wachsen sollte. Für den Supermarkt war die günstige Erreichbarkeit mit dem Auto an einer hier geplanten Kreisverkehrsführung ausschlaggebend. Aber statt einer Neuorganisation der umtriebigen Straßenkreuzung fiel die Entscheidung zugunsten einer Regionalbahntrasse, da gab M-Preis auf (die Architekten hatten mittlerweile bereits die Einrichtung entworfen).
Glücksfall: schöner wohnen Nach einer zwischenzeitlich verfolgten Hotelnutzung mutierte das Konzept im Lauf der Jahre schließlich zu einem Studentenwohnheim. Da für so anspruchsvolle Bauaufgaben in Innsbruck Wettbewerbe obligatorisch sind, war das geplante Objekt trotz der sich fortbewegenden Funktionen das geistige Eigentum der Architekten und blieb ihr Auftrag. Wenn man jetzt das entstandene, geradezu elegante Hausgebilde sieht, muss man wissen, dass es sich um eine Art Anlegermodell handelt. Das heißt, solvente Eltern haben sich hier eine oder gleich mehrere Wohnungen für ihre Kinder oder zum Weitervermieten an Studenten gekauft. Es sind 50 m² große Zweizimmer-Apartments, in den Ecken wachsen sie auf drei Zimmer, die Penthäuser mit Dachterrassen haben Größen zwischen 80 und 90 m². Statt des Supermarkts parken nun Autos im EG (und auch im Keller darunter). Bis auf das 6. Geschoss gibt es keinen Freiraum, erst dort verfügen die Wohnungen über Dachterrassen oder in der Lochfassade verborgene Loggien. Stadtbildend, straßenräumlich Die Anlage basiert noch erkennbar auf der ursprünglichen Idee. Sie gefällt durch ihre städtebaulich kompromisslose Setzung. Eine begehbare Skulptur, die mit dem nebulösen Begriff „halböffentlich“ kokettiert: ein Schlitz führt durch den von Laubengängen gesäumten schiefwinkligen Innenhof. Man muss den Eintritt wagen, es braucht aber kein Hinweisschild, dass man hier Privatgelände betritt, die Architektur legt eine deutliche Schwelle. An der Straßenecke nimmt sich der Block dagegen drastisch mit einer im Erdgeschoss abgeschnittenen Kante vom Gehweg zurück (um den künftigen Tramgleisen auszuweichen). Auch die geometrisch verschobene Kontur des Baukörpers ist eine kunstvolle Antwort auf den disparaten Außenraum, zu dem auch die unruhig in die weiße Hülle gestanzten (Holz-)Fenster gehören. In jedem zweiten Geschoss wiederholt sich ihr Rhythmus, im Wohnraum reichen sie tiefer, im Schlafraum liegt die Brüstung höher. Zur lauten Straße gibt es zusätzlich eine kontrollierte Lüftung.
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Ein Hof, der verbindet Die Umkleidung des windschiefen Atriums ist keine Gemütlichkeitszugabe mit dünnen Brettchen. Hier sind hydrophobierte (dennoch etwas angegraute), massive Eichenkanthölzer montiert, ihre Ausrichtung erklärt sich erst auf den zweiten Blick. Da sich der trapezförmige Umriss nach oben erweitert, ließ man die Hölzer in den Innenecken auf beiden Seiten parallel zusammenstoßen und durch eine leichte fächerartige Spreizung zur nächsten Kante vermitteln. Dadurch ergibt sich ein irritierender Moiré-Effekt, der in dem hohen Raum keine Schachtatmosphäre entstehen lässt. Es heißt, die Akustik habe sich sogar schon bei Konzerten bewährt. Durch das dichte Stakkato der Eichenstäbe wirft die Sonne wunderbare Lichtspiele auf den dahinter liegenden Laubengang, horizontale Aussparungen nehmen den hermetischen Eindruck. Neben den meisten Wohnungseingängen gibt es eine breite, raumhohe Glasscheibe, um von Küche und Essbereich (sofern gewünscht) eine einladende Orientierung geben zu können. Der Laubengang zeigt Werkstattcharakter: rohe Betondecke, schwarzer Asphaltestrich, Leuchtstoffröhren.
Edelhaut, maßgeschneidert Erstaunlich gut ist die Wärmedämm-Verbundfassade gelungen. Ursprünglich sollte das Gewerbeprojekt eine GlasMetall-Hülle bekommen (Zeichnung oben), mit Schiebeelementen vor den Zimmern. Für die ausgeführte reine Wohnnutzung erschien diese Hybridlösung weder passend, noch bezahlbar – da lag Thermohaut nahe. Dazu vertreten die Architekten eine solide Haltung. Es darf nicht billig aussehen, so eine kratzige Kunstharzwand kam nicht in Frage. Also ließen sie auf dem Grundputz eine mineralische Schicht von Hand aufspachteln, was eine glatte, aber sanft unebene Oberfläche ergibt. Darauf folgt ein seidenglänzender Anstrich. Der Mehrpreis für den Handputz beträgt ca. 10 Euro pro Quadratmeter, der Lack kostet noch einmal 5 Euro pro Quadratmeter. Wichtig ist die dämmende Unterkonstruktion, die muss von einem systemerfahrenen Hersteller kommen. Im Sockelbereich verbergen sich druckfeste geschäumte Glasschrott-Tafeln, um die Fenster sind wegen des Brandschutzes Mineralwolle- statt PUR-Hartschaumplatten angebracht. Irgendwelche Bedenken? Einer der Bauherren kommt aus Vorarlberg, dem war so ein verputzter Vollwärmeschutz nicht so sympathisch. Aber den Architekten gefällt das: Wunderbare Lösung, keine Wärmebrücken, kein Detailgefummel, nur eine glatte Haut, die alles überzieht und scharfkantig endet. Es stört sie nur, dass die Fassade so hohl klingt. ●
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Als die Architekten 2003 den Wettbewerb gewonnen haben, war noch ein Wohn- und Geschäftshaus vorgesehen, das über einer M-Preis-Filiale in die Höhe wachsen sollte.
Oben: Die Tiefgarage verbirgt sich unauffällig hinter dem Rhythmus der verglasten Fassadenöffnungen. Unten: Die abgeschnittene Kante lässt dem Gehweg Platz, wenn die Tramlinie kommt. Hier könnte ein Café einziehen und nach draußen servieren.
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Unerwartet empfängt einen das Atrium des weißen Kubus mit einer massiven Holzverschalung. Die sonst immer billig wirkenden Laubengänge erhalten eine private, fast wertvolle Anmutung.
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Die Rückfront des Studentenwohnheims. Dank der manuell aufgetragenen und leicht glänzenden Putzschicht vermutet man kein Wärmedämm-Verbundsystem – erst beim Klopfen.
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Bauherr: ZIMA Tirol, Innsbruck Architekten: Manzl – Ritsch – Sandner Architekten, Innsbruck www. manzlritschsandner.com Projektteam: Gerhard Manzl, Manfred Sandner, Wolfgang Klabacher, Betina Hanel, Paul Pointecker, Claudia Dorner, Walter Bachler Tragwerksplaner: ZSZ Ingenieure, Innsbruck Haustechnik: z-plan Strass/Zillertal Bauphysik: DI. Fiby, Innsbruck Fassade: www.sto.de Wettbewerb: 2002 Fertigstellung: 2009 Standort: Fürstenweg 5, Innsbruck
Fassadenschnitt M 1 : 10 Wandaufbau von innen nach außen: Innenputz 1 cm Stahlbeton-Wand 18 cm Polystyrol-Hartschaumplatte 16 cm Feinputz: – Unterputz – Putzgrund natur – 1. Oberputz weiß – 2. Oberputz weiß – Lackbeschichtung auf Acrylbasis glänzend
Schnitt M 1 : 400 Grundrisse M 1 : 900 6. OG Regelgeschoss 1. OG Erdgeschoss
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