Baumeister 04 2012

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Bau me ister

1O 9 . J a h r g a n g

April

12

Das ArchitekturMagazin

+ Kazuyo Sejima + Max Dudler + Iwan Baan +

Schöner lernen! ab seite 56

Bedeutung schaffen! seite 82

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D A,L C H

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Landbau

Eine konstruktive Annäherung Ab s e i t e 38


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Ideen

1

Heilsamer Eingriff Als „Versteck in den Bergen“ wirbt der Prospekt für das „Naturhotel und Gesundheitsresort Tannerhof“ in Bayrischzell. Dass man hierhin vor dem Burnout flüchtet oder einen Kurschatten sucht, mag auch mitspielen. Die Architektur jedenfalls braucht sich nicht zu verstecken. A r c hitekt

k r itik

Florian Nagler

Wolfgang Bachmann Fotos

Stefan Müller-Naumann

Private Dorfsanierung: Neue Turmhäuser (linke Seite) und sorgfältige Instandsetzungen wie beim ehemaligen Empfangs­ gebäude Neue Tann bestimmen das Konzept der Hotelanlage.


Ideen

Ideen

3

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1

Eine neue Orangerie als Wandelhalle. Hinter den Bogenfenstern liegt etwas höher das Schwimmbad.

Ein breiter Flur – hier noch ohne Schränke und Truhen und wegen des Schnees ohne Tageslicht durch die Dachverglasung – erschließt die neuen Zimmer in der Alten Tann. Seitlich schließt ein Kaminzimmer an.

Bank und Tisch in einem Zimmer der Alten Tann


Ideen

Ideen

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1

Lageplan

6 6

6 6

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Alte Tann

2

Neue Tann

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Hallenbad mit Orangerie

4 Bäderabteilung 5 Sauna 6 Turmhäuser Die Gäste, die zum Heilfasten kommen, dürfen im schönsten alten Speiseraum Platz nehmen.

M 1 : 3OOO

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Ideen

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1

und ausgebaut. Nun ist ein tief in den Berghang reichen­ des Haus mit durchgehendem First entstanden. Alle Neu­ bauteile sind durch helles Holz ablesbar, hier und da er­

entstanden separat vier komfortable Turmhäuser mit je

A

drei aussichtsreichen Zimmern.

uf die Frage, wie man Neubauten mit einem alten Dorf­

entspannt, fühlt man sich auch wohler.

kern verschmelzen kann, antwortete Peter Märkli un­

Im Erdgeschoss liegen jetzt der Empfang und verschiede­

längst, man dürfe eben nicht alleine bauen. Vielleicht ist

ne, miteinander verbundene Speisezimmer. Hier knistern

auch diese Auslegung zulässig: Man muss an verschiede­

im Winter wieder die alten Kachelöfen, die Decken blei­

nen Orten gleichzeitig und mehr als ein Haus bauen. Hier,

ben selbst für kleinwüchsige Menschen in Griffhöhe, und

beim Projekt Tannerhof in Bayrischzell, hat Florian Nagler

spätestens die umlaufenden Eckbänke holen die Gemüt­

Nach dem Vorbild der historischen Lufthütten

kennt man eine gerettete schwarze Pfette, als wollte man die alte Substanz zur konstruktiven Mitwirkung ermuntern. Die Balkone mit ihren schrägen Brettverschlägen erinnern an Heustadl, aber die sägerauen Bohlen sind keine gefäl­ lige Dekoration. Sie mildern die großflächigen Glastüren in der Ansicht, und wenn man drinnen in der Badewanne

als Allein-Architekt, nachdem er in einer Studie die Erwei­

lichkeit herein. Hübsch ist, wie die Räume zur neuen Berg­

terung des weiträumigen Sanatoriums geklärt hatte, die

seite schlichter und moderner werden, gleichwohl es mit

„kritische Rekonstruktion“ übernommen. Dazu war das

Beleuchtung und handwerklich gefertigtem Mobiliar eine

L andh o tels , die

gesamte Repertoire gefragt: Abriss, Aufstockung, Sanie­

verbindliche Ordnung gibt.

I hnen au c h gefallen

rung, Rekonstruktion, Neubau. Gebaut wurde an allen

Welche Wohnkultur eingezogen ist, zeigt vor allem das

k ö nnten :

Ecken und Enden.

zweite Obergeschoss. Man erreicht es über ein neu ge­ mauertes Treppenhaus. Die ganz mit (zum Teil altem) Holz Planspiel

Hotel Therme Vals

ausgeschlagenen Zimmer sind wie in bayrischen Bauern­ häusern beidseitig eines stattlichen Mittelflurs aufgereiht.

Schloss Elmau,

Die Bauherren waren durch den gemeinsamen Freund Pe­

Licht kommt von einem talseitigen Balkon und über einen

Luxury Spa & Cultural

ter Lang auf den Architekten aufmerksam geworden. Für

Glasausschnitt im Dach, unter dem sich die Sparren wie

Hideaway

ihn hatte Florian Nagler zehn Jahre zuvor ein mittlerweile

Fischgräten reihen. Die Zimmer haben einen hohen, mit

legendäres Atelierhaus mit Stegplattenfassade gebaut.

Rollo versehenen Oberlichtstreifen zum Flur, so dass sie

Seehotel Ambach,

Man wusste also, worauf man sich einließ.

zusätzlich belichtet werden. Sie sind entweder mit einem

Kaltern

Der Tannerhof wurde schon im 15. Jahrhundert erwähnt.

Badezimmer ausgestattet oder bieten eine Holzladenrei­

Das älteste erhaltene Haus, die Alte Tann, stammt aus

he, hinter der jeweils Toilette, Waschbecken und Wanne

Hofgut Hafnerleiten,

dem 18. Jahrhundert. 19O5 wurde in der Nachbarschaft

verborgen sind. Ein ausgesägtes Herz dient als Grifföff­

Bad Birnbach

die Neue Tann errichtet. Damit begann vor vier Generati­

nung – wohl eine ironische Anspielung auf die Folklore:

onen der ärztliche Kurbetrieb der Familie v. Mengershau­

Bauer sucht Klo.

Pension Briol,

sen, die nach dem zweiten Weltkrieg in jedem Jahrzehnt

Jedes Zimmer lädt zum Bleiben ein. Es gibt eine Bank am

Barbian-Dreikirchen

ihr Anwesen erweitert hat. Diese Eingriffe und Ergänzun­

Fenster, die spiegelbildlich auf dem Balkon wiederkehrt.

gen sind nach dem jüngsten Umbau noch abzulesen, und

Der zurückgesetzte Vorhang erlaubt zugleich eine Ab­

Gasthof Bad Dreikirchen,

man fragt sich, ob erst in der Gegenwart mit Naglers sen­

trennung zum Bett. Einige Möbel sind neu, andere alt,

Barbian

sibler, aber keinesfalls heimattümelnder Sprache im Tan­

schwarze Pendel- (mit Textilkabel!) und weiße Kugel­

nerhof eine akzeptable Balance aus Alt und Neu gefun­

leuchten geben mildes Licht. Dass die Baldachine exakt

Hotel Drei Zinnen,

den wurde, sich also ein genereller Fortschritt in der Archi­

an die Decke anschließen und die Zuleitungen über Por­

Sexten

tekturauffassung feststellen lässt. Oder ob Nagler seinen

zellanstöpsel verdrillt wurden, ist ein Beispiel für die ge­

alten Kollegen einfach überlegen ist.

pflegte Detailliebe. Fernsehgerät, Hosenbügler oder Mini­

Seehotel am Neuklostersee,

Den Anstoß zu den Bauplänen gab die Tatsache, dass das

bar sind natürlich verpönt.

Nakenstorf

in die Jahre gekommene Gehöft nicht mehr heutigen Brandschutzbestimmungen entsprach. Umfangreiche Sa­

Melange

nierungen wären notwendig gewesen, für die Baukosten

Seehaus Forelle Haeckenhaus bei Ramsen

von einer halben Million Euro veranschlagt wurden. Die

Auch in den anderen Häusern ist die Sorgfalt des Archi­

Alternative wäre ein großartiger Neubau gewesen. Was

tekten zu spüren. Hier galt es, bisweilen weniger vorbild­

Das Kranzbach,

Florian Nagler schließlich leistete, war ein Mittelweg, wo­

liche Räume auszustatten. Ein Zimmer im Zeitkolorit der

Klais

bei man – etwa bei der Fassade des Badehauses – auf das

siebziger Jahre mit bäuerlichem Mobiliar, einigen restau­

Provisorische verweist. Hier fand einfach das Budget, zu

rierten Trouvaillen und modernen Stücken zu ergänzen,

dem auch Gäste mit einer Art „Genussschein“ beigetra­

verlangte eine sichere Hand. Harmonierende Farben ver­

gen haben, seine Grenzen.

binden die Ausstattung, die dadurch etwas Häusliches zeigt, fern der legendären Architektenästhetik.

Hausfrieden

Eine größere Ergänzung bedeutet die sogenannte Oran­ gerie vor dem alten Schwimmbad, von der ein größeres

Das Haupthaus, die Alte Tann, die von einem in den fünf­

Kaminzimmer (mit einer kissenschwangeren Polsterbank)

ziger Jahren errichteten bergseitigen Anbau überragt

abzweigt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass

wurde, erhielt die meiste Zuwendung. Die Erweiterung wurde abgetragen, dafür der zweite Stock angehoben

weite r


5O

Ideen

1 man durch die Fenster der – zumal höher liegenden – Halle die Badegäste wie in Vi­

Turmhaus – Querschnitt

Fassadenschnitt

M 1 : 75

trinen beobachten kann. Eine diskretere Lösung wäre sicher angemessener. Die weiteren Behandlungsräume harren ihrer Aufarbeitung, aber selbst das Neben­ einander unterschiedlicher Zutaten (wie in der Sauna von 1936) hat seinen Reiz. Die verschlungenen Passagen durch endlose Flure und Türen sind sogar unterhaltsam, wenn man sich wie bei einem Spiel verliert und wieder findet. Zugaben Schon zur Gründerzeit des Sanatoriums gab es „Lufthütten“, in denen man abseits der Haupthäuser individuell und höher am

2. OG

Berg wohnen konnte. An diese Tradition knüpfen die vier Turmhäuser an, die der Architekt als dreigeschossige Dependan­ cen auf das Gelände gestellt hat. Die bei­ den unteren Zimmer erreicht man direkt über den Berghang, zum oberen führt eine in die Außenwand eingeschnittene Trep­ pe. Durch Loggia und Bad wird von der Bettstatt eine Sitzgruppe ein wenig abge­

1. OG

teilt, hinter ihrer Bank gähnt ein Riesen­ fenster mit einem großartigen Ausblick ins Tal. Die Eckloggia kann man als unüber­ troffenen Hochsitz genießen. In den An­ sichten führt das bisweilen zu ungeschick­ ten Bildern, weil dann die schindelverklei­ deten Häuser irgendwie angeknabbert wirken. Tektonik lässt sich zwar konstruktiv lösen, aber der altmodische Mensch sehnt sich doch nach vertrauter Vermittlung.

EG

Als Architekturprojekt kann man den Tan­ nerhof dennoch ohne jeden Vorbehalt lo­ ben. Er zeigt, wie man auf dem Land, in einer

barocken

Bilderbuchumgebung

bauen kann, ohne die Gegenwart zu ver­ leugnen – mit der „zeitlosen Sprache der Architektur“, wie es Peter Märkli nannte.

M 1 : 3OO

Florian Nagler hat zauberhafte Räume er­ funden, in denen man sich sofort wohlfüh­ len kann, die weder sperrig mit der Umge­ B auhe r r :

elekt r o :

bung hadern, noch mit seniler Behaglich­

Tannerhof GmbH & Co KG, Bayrischzell

Ingenieurbüro Schneider, Germering

keit ersticken. Man kommt an, wird bes­

A r c hitekten :

HLS:

wie viele Tage man sich in der medizinisch

Florian Nagler Architekten,

Ingenieurbüro Vogt & Partner, Freising

betreuten Umgebung leisten kann. Kein

tens versorgt – und fragt sich höchstens,

Wunder, dass beim Abendbrot nur Archi­

München www.nagler-architekten.de

L ands c haftsa r c hitekten : ver.de Landschaftsarchitektur, Freising

M ita r beite r : Florian Becker, Martin Bücking, Sebastian

F e r tigstellung :

Streck, Yvonne Toepfer, Stephan Büsch

Dezember 2O11

T r agwe r ksplane r :

S tand o r t :

Merz Kley Partner ZT GmbH, Dornbirn

Tannerhof, Tannerhofstraße 32, Bayrischzell

tekten an unserem Tisch saßen.


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