Bau me ister
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11 0 . J a h r g a n g
April
Modernität des Temporären von München
Neue Räume für Kreative seite 42 und seite 56
Macht die IBA Hamburg sozialer? seite 72
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zur Sahara
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D A,L C H
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Das ArchitekturMagazin
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Inhalt
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Köpfe
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Ideen
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Fragen
G ast-ar b e it e r
Lösungen Juliane Schneegans
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Selva Gürdoğan und Gregers Tang Thomsen
Neues Teehaus in China
Stadt nicht, Urbanität ja
An dieser Leuchte war ein Architekt beteiligt.
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T it e l b il d Gut gefiel uns die kühle Atmosphäre des Fotos von Rainer Viertlböck. Ob allerdings noch Schnee liegt, wenn Sie unser Heft lesen, wissen wir natürlich nicht.
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Superpool
Klettergerüst auf Zeit
Flüchtlingslager als urbaner Testfall?
Licht
In München wird das Museumsquartier temporär ergänzt.
Interview: Manuel Herz über seine Forschungen in Afrika
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Max Bill-Design und andere Neuigkeiten
arbeiten an der lebenswerteren Stadt – nicht nur in Istanbul.
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Die Frage muss erlaubt sein: Ist der Name Programm?
Und ewig lockt der Container
Susanne Hofmann von den Berliner Baupiloten über ihren Arbeitsplatz
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Mateo Kries spricht im Interview über Louis Kahn und die Kraft der Architektur.
T it e lth e ma
Immer wieder entwickeln Studenten Ideen mit Containern. Realisiert wird selten was.
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T it e lth e ma
90 Einblicke in eine kurzlebige Branche
Wie sozial ist die Hamburger IBA? Ein Report aus Wilhelmsburg
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R u b rik e n
2 2 S o n d e rf ü hru n g
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Ortsbesuch bei einer Fast-Modellstadt
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Wohnwerkstatt
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Wie baut man ein Architekturbüro mit Teehaus?
Darf‘s auch etwas anderes sein? Der Arbeitsmarkt für Architekten ist eng – doch es gibt Alternativen.
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Newsticker
Curitiba – Südamerikas deut scheste Stadt?
Gefrorene Seide
Ein Schmuckstück in Schöneweide Unter der Headline „Metro polis“ befassten wir uns bisher In jeder Ausgabe mit Architek tur in Filmen. Das Thema interessiert uns auch weiterhin. Um aber noch aktueller zu sein, wandert es in unseren Blog.
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Peter Reischer
AllesWirdGut 20
w w w. b au m e ist e r . de
T it e lth e ma
Die studierte Landschaftsarchi tektin lernte ihr journalistisches Handwerk bei den Zeitschriften „Garten + Landschaft“ und „Topos“ (jeweils aus dem Call wey-Verlag). Seit 2011 arbeitet Juliane Schneegans als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Landschafts architektur und öffentlichen Raum der TU München.
6 E I N Bil d 2 0 Wo S it z t d e r c h e f ? 4 1 kl e i n e w e rk e 6 4 u n t e r w e gs I m p r e ssum + vors c hau
1 1 4 Was L ä uft . . . ?
Der Journalist hat Architektur an der Universität für ange wandte Kunst in Wien studiert. Er arbeitet als Architektur kritiker und ist seit 2010 leiten der Redakteur von „Architek tur“, Österreichs auflagen stärkstem Fachmagazin für Architektur. Er schreibt für verschiedene internationale Magazine und Tageszeitungen. S e it e 1 6
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Ideen
Klettergerüst auf Zeit Die „Schaustelle“ dient ab Mitte April für sechs Monate als eine Art Probebühne für die Münchner Pinakothek der Moderne. Fast alles an dem temporären Ausstellungsbau ist recycelbar oder recycelt – selbst der Entwurf.
Über simplen Baucontainern türmt sich eine hoch aufragende Gerüststruktur: Der E rsatzbau für die Zeit, während die Pina kothek der Moderne repariert wird, will nur „Hintergrundrauschen“ für die kommenden Kunstspektakel sein.
Architekt
Jürgen Mayer H. k r i t ik
Sabine Schneider Fotos
Rainer Viertlböck/ Pinakothek der Moderne
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chuld ist ein Riss. Seit bekannt ist, dass die Rotunde der Münchner Pinakothek der Moderne ein schadhaftes Backsteinmauerwerk hat und das Museum für die Reparatur deshalb einige Zeit schließen muss, ist für hiesige Verhältnisse überraschend spontan und zügig nebenan ein Ersatzbau entstanden. Ein Gitterwerk ist gewachsen: Passanten wunderten sich lange, wann man denn endlich mit dem Bauen anfangen würde, denn zu sehen waren immer nur Baucontainer und ein turmhohes Gerüst. Nun stellt sich heraus: Behälter und Gerüste sind das Gebäude. Die Idee ist wunderbar simpel: Es gibt einen 265 Quadratmeter großen Quader als geschlossene Ausstellungsbox und mehrere kleine Anhängsel – diese Fertigcontainer dienen als Toiletten, Lager, für die Technik und das Catering. Die Boxen sind allesamt von einem hochaufragenden Gerüst umgeben, das sich über ihnen zu einer Art Luftarchitektur auftürmt; außenliegende Treppen führen „in den ersten Stock“ auf eine Terrasse, und von hier klettert man weiter auf eine Aussichtsplattform, einen Ausguck auf 17 Metern Höhe. Das Budget für den Ersatzbau lag bei 750.000 Euro – je zu einem Drittel vom Freistaat, Audi und der Stiftung Pinakothek der Moderne finanziert – und war nicht gerade üppig. Und weil auch alles ganz schnell gehen musste, wurde der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. beauftragt, der den Audi Urban Future-Award gewonnen und daher eine enge Verbindung zu einem der Förderer hat. Zudem konnte Jürgen Mayer H. kurzerhand auf einen Entwurf zurückgreifen, den er schon einmal für eine temporäre Kunsthalle in Berlin entwickelt, aber nicht ausgeführt hatte. Die ursprünglich quadratische Grundfläche für das Berliner Gelände hat er für München in eine lange, schmale Form gebracht, verkleinert und in die Ecksituation zwischen der Gabelsberger Straße und Türkenstraße eingepasst. Verwendet wurden größtenteils Baustellenmaterialien, die alle wiederverwertbar sind. Das Gerüst spielt die Hauptrolle der „Schaustelle“, es gibt das Raster und den Takt vor und bildet den luftigen Freiraum für die Kunst. Dagegen wirkt die Ausstellungsbox im Inneren ziemlich banal: ein roher Betonboden, weiß gestrichene Gipskartonwände, ein paar Stahltüren und zwei Feuerlöscher; zwei Lüftungskanäle und ein paar Leuchten an der Decke. Jürgen Mayer H. meint, er hätte es gerne noch ein wenig roher und ruppiger im Inneren gehabt, doch schließlich sollten hier Veranstaltungen
Ideen stattfinden, Vorträge, Workshops, Performances und so fort, „und so mussten wir die Versammlungsstättenrichtlinien einhalten“ – mit allen Konsequenzen etwa für Klimatisierung und Brandschutz. Wertvolle Gemälde oder Zeichnungen sollen in diesem Raum ohnehin nicht gezeigt werden. „Die Idee für das Gitterwerk ist mir in Sevilla gekommen“, sagt er. Als er dort in der Bauphase für die hölzernen Schirme des Metropol-Parasol regelmäßig die Gerüste erklommen hatte, dachte er sich, dass man so etwas einmal bauen sollte – „eine schöne räumliche Erfahrung“ (siehe auch Baumeister 1/2011).
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as Provisorium bildet ab Mitte April die Plattform für die vier Sammlungen der Pinakothek der Moderne: Architektur, moderne Kunst, Grafik und Design. Fragt man die vier Direktoren, was sie vom Ersatzbau halten, wirken sie fast erleichtert, ja begeistert: Offenbar freuen sie sich darauf, einmal den starren Rahmen des Museums zu verlassen, und sehen die Chance für ein lebendiges, unkompliziertes, publikumsnahes Spektakel. Während sie sonst zwei Jahre zur Vorbereitung ihrer Ausstellungen benötigen, wird für die Schaustelle zwei Monate im Voraus geplant. Zusammen mit der Projektleiterin der Schaustelle, Corinne Rose, stellen sie zum ersten Mal alle gemeinsam ein abwechslungsreiches Programm auf, bei dem sich vor allem die Besucher beteiligen sollen. Der Eintritt ist frei. Sicherlich, Architekt und Direktoren sehen das Provisorium selbst eher als eine Art „Hintergrundrauschen“ für das, was da stattfinden soll. Dennoch wird es wohl nach einem ereignisreichen Sommer schwer fallen, zu beobachten, wie die Schaustelle wieder abgebaut wird – wie ein Zirkuszelt – und sich in ihre Bestandteile auflöst. Man wird sich fragen, ob nach all dieser Leichtigkeit ein strenger, formal-monumentaler Riegel die richtige Antwort für den zweiten Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne ist. Aber vielleicht ist ja das letzte Wort noch nicht gesprochen.
„Die Schaustelle ist ein Angebot für vielfältiges Bespielen, idealerweise rund um die Uhr.“ Jürgen Mayer H. (oben im Bild links neben Andres Lepik, dem neuen Direktor des Architekturmuseums der TU München)
Die Attraktionen des Ersatzbaus sind das bespielbare, teilweise überhängende Gitter, die Terrassenebene oberhalb der Container und schließlich der Ausguck auf 17 Meter
Pläne und ein Kommentar
Höhe zum weiten
von Stephan Braunfels auf den
Rundblick über das
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Münchner Kunstareal.
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Fragen
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1 Herr Herz, in den vergangenen Jahren haben Sie intensiv die Flüchtlingscamps in der Westsahara untersucht. Was reizt Sie daran? M a n u el he r z : Der Begriff des Lagers ist im momentanen Raumdiskurs sehr aktuell. Das Werk des Philosophen Giorgio Agamben ist in diesem Kontext wichtig. Es wird viel über Slums, Gated Communities oder Guantanamo diskutiert. Häufig verwischen die Kategorien, und das Lager gilt als Musterbeispiel der „Orte des Ausnahmezustands“. Grundannahme ist immer, dass ein Lager einen total kontrollierten Raum darstellt, in dem kein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Diese Vorstellungen greifen aber zu kurz. Das wollte ich mit den Werkzeugen des Architekten demonstrieren – und dabei auch die Rolle des Architekten in einem solch brisanten Kontext neu betrachten. B a u me i ste r :
Was passiert denn mit der Rolle? Der Architekt wird zum politischen Akteur. Das galt für mich als architektonisch denkendem Betrachter, aber auch für jede architektonische Intervention im Lager selbst. Hier kommt die andere Seite der Architektur zum Vorschein.
B:
M H:
Was haben Ihre Besuche gezeigt? Das Spezifische an den Lagern der Sahrawis ist, dass Flüchtlinge ihre Lager als politische Projekte auffassen. Die eigene Präsenz im Lager ist ein politisches Statement. Sie nutzen ihre Zeit im Lager, um einen eigenen Staat im Exil aufzubauen und üben gewissermaßen „Governance“.
B:
M H:
Was für eine Art Raum ist denn so ein Lager? Auf jeden Fall ein auf seltsame Weise urbaner. Lager sind Orte, an denen sich Menschen urbanisieren. Hier kommen sie erstmals mit Urbanität in Kontakt – auch wenn Lager keine Städte darstellen, sondern eine Art fragmentierter Urbanität. In diesen Lagern leben schlicht 200.000 bis 300.000 Menschen an einem Fleck – von denen die meisten aus ländlichen Gegenden kommen oder Nomaden waren. Wenn sie das Lager verlassen, kehren sie meist auch nicht aufs Land zurück, sondern gehen direkt in die Städte. Das heißt: Im Lager wird eine breite Gesellschaftsschicht urban.
B:
M H:
Flüchtlingslager der Sahrawis
Die Flüchtlinge in den (auf algerischem Boden befindlichen) Lagern der Westsahara sehen sich als Bürger der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ (DARS). Die DARS beansprucht das gesamte Gebiet der Westsahara, das seit dem
Die Sahrawis haben damals mehrere Lager gegründet. Entwickeln die sich alle gleich? M H : Nein. Sie können hier wie unter dem Mikroskop die Geburt von Städten anschauen – und zwar von sehr unterschiedlichen Städten. 1976 kamen 100.000 Flüchtlinge, alle aus dem gleichen Herkunftsland (Westsahara). Sie verteilten sich auf fünf Lager. Nach 35 Jahren haben sich die Lager komplett unterschiedlich entwickelt. B:
Abzug von Spanien im Jahr 1975 größtenteils von Marokko kontrolliert wird. Marokko betrachtet
Flüchtlingslager als urbaner Testfall? Der Architekt Manuel Herz hat die Flüchtlingslager der Sahrawis untersucht, die vor 35 Jahren aus der Westsahara nach Algerien geflohen sind. Sie sind für ihn ein Paradebeispiel temporären Lebens – und ein Ort, an dem man das Entstehen von städtischen Strukturen studieren kann. Bild oben: Im Lager wird reger Handel getrieben. Das Bild zeigt einen der ersten Läden – inzwischen eine Ruine.
ganz Westsahara als Teil seines Territoriums.
Was treibt die Unterschiedlichkeiten? Natürlich die Lage – wer liegt näher zum Wasser, wo können Flüchtlinge nach Spanien reisen und mit europäischen Erfahrungen zurückkehren. Aber es entstehen auch architektonische Moden, etwa der unterschiedliche Bau von Fenstern. Es entsteht eine lokale Technik. B:
M H:
Sie suchen das Urbane im Lager, also das Normale im Nichtnormalen. Dieser Ansatz könnte als zynisch kritisiert werden... M H : Mir schwebte kein „Learning from Las Vegas“ vor. Ich will meine Erfahrungen aus den Lagern nicht auf meine Arbeit als praktizierender Architekt übertragen. Im Gegenteil, ich wollte Fragen stellen, die wir sonst in Städten unserer westlichen Welt fragen: Wie leben die Leute dort, wie erholen sie sich? Wie bewegt man sich durch das Lager, wie kauft man ein? Ich wollte verstehen, wie Lager sich räumlich entwickeln und strukturieren. Beispielsweise entstehen aus einzelnen Lehmhütten schrittweise ganze Compounds aus fünf bis sechs Hütten. Auch bleibt das Zelt im Lager immer ein wichtiger räumlicher Bestandteil – und zwar aus klimatischen Gründen. Ein Zelt kühlt schlicht schneller aus als ein Haus. Aber das Zelt als BauB:
Foto: Jonas Wirth
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i n te r v i ew
Alexander Gutzmer
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Fragen
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1 Sie haben vorhin die Rolle des Architekten als Beobachter erläutert. Wie haben denn Ihre Interviewpartner reagiert? Hat man verstanden, warum Sie mit Lagerbewohnern sprechen wollten? M H : Meine Gesprächspartner waren extrem offen. Aber auch deshalb, weil das Lager insgesamt seine eigene Besucherpolitik betreiben kann. Man lässt nicht jeden rein – vertraut aber denen, die reingelassen wurden. Übrigens gibt es auch ein eigenes Verteidigungsministerium (siehe Bild links unten) – und eine eigene Armee. B:
B uch
Wer baut denn so ein Ministerium? Das haben die Bewohner selber gebaut und entworfen. Überhaupt stoßen Sie im Lager auf ein bemerkenswertes Ausmaß an grafischem Talent.
„From Camp to City.
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B:
M H:
Refugee Camps of the Western Sahara“, bei Lars Müller Publishers erschienen, ist eine städtebauliche Analyse der Sahrawischen Flüchtlingslager, die auf Grundlage eines universitären Forschungs-
Sie verknüpfen in Ihrem Buch das Lager mit der Postmoderne. Hat das eine theoretische Implikation? Ist die Kultur der Postmoderne lager-like? Leben wir durch die sich ausbreitende Temporalität aller Lebensbereiche zunehmend alle im Camp? M H : Das wäre eine zu weitgehende Interpretation. Natürlich werden wir nicht alle zu Flüchtlingen. Wir sprechen zwar von „Job-Nomaden“ – aber die leben nicht jahrelang bei 55 Grad in der Wüste. Aber: Sicher sind die Lager Produkte einer globalisierten Welt. Auch weil sie Orte mit extrem hoher Vernetzung darstellen und ein hohes Maß an Austausch mit der Außenwelt pflegen.
projekts von Manuel Herz mit einer Gruppe von Studenten der ETH Zürich entstanden ist.
Und sie pflegen ein hohes Maß an Mobilität – inklusive einem Car Sharing-System... M H : Stimmt. Auf seltsame Weise sind das sehr moderne Gesellschaften. Die Menschen lernen im Lager die Moderne kennen. Dort hält bei ihnen das Modell der Kleinfamilie Einzug. Die Frauen haben eine sehr starke Rolle. Und: In den Lagern gibt es die beste Schulausbildung Nordafrikas – ebenso wie die höchste Lebenserwartung. B:
Interessant an Ihren Untersuchungen: Sie studieren das Freizeitverhalten. Freizeit – im Lager? M H : Die Lager sind nicht nur Elend. Man sieht dort: Orte des Vergnügens entstehen überall. Dort gibt es gebaute Fußball- und Basketballfelder ebenso wie Kinos und Filmfestivals. Das informelle Fußballspielen stellt übrigens auch einen Prozess des Raum-Lesens dar. Das Lager wird gelesen, Kinder agieren als urbane Pioniere. Auch hier kommt eine eminent politische Dimension hinein. Es gibt nämlich Lagermeisterschaften und ein Nationalteam – das aber naturgemäß noch nie gegen ein anderes Team gespielt hat. B:
typus ist natürlich auch eine politische Demonstration. Es dokumentiert die temporäre Situation – und zeigt damit: Man akzeptiert die Lage nicht, man will zurück in die Heimat. Die Architektur drückt also eine politische Forderung aus. Oder vielmehr die Nichtarchitektur... Natürlich. Aber in der symbolischen Systematik des Lagers ist ein Zelt nicht weniger wert als eine Lehmhütte. Es findet ein symbolisches Spiel zwischen dem Temporären und dem Permanenten statt. Zugleich liegt hier auch ein Dilemma, indem die Flüchtlinge sich entscheiden müssen. Ziehen sie in eine Lehmhütte, ist das der erste Schritt hin zum Sesshaften – womit die Symbolik des Ausnahmezustands geschwächt wäre, als ob sie sich damit abgefunden hätten, auf die Rückkehr in ihre von Marokko besetzte Heimat zu verzichten. Das heißt: Im Lager ist nichts unschuldig, jedes Baudetail transportiert politische Forderungen.
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M H:
Fotos: Diana Zenklusen (links unten); M anuel Herz (links oben)
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Bild oben: Provisorische Gänseställe. Unten: Das (tatsächlich existierende) Ministerium für „Public Culture“
Gibt es so etwas wie Normalität? Interessanterweise ja. In der komplett unnormalen Situation baut sich ein alltägliches Leben auf. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass den Flüchtlingen hier, anders als in fast allen übrigen Flüchtlingslagern, ein Stück Souveränität zugebilligt wird. Die Westsahara-Lager haben eigene Gesetze, eine eigene Gesellschaftsordnung. Sie geben sogar eigene Führerscheine aus. Und das ist politisch relevant – auch für die Situation jenseits des Lagers. Die Flüchtlinge üben so nämlich Staatsführung. Das Lager ist ein Testfall für den eigenen Staat.
Sportarenen als politischer Raum sind auch in anderen Kontexten relevant. Etwa, wenn das Büro „Urban-Think Tank“ in Favelas mehrstöckige Sportzentren baut... M H : Ja. Aber im Lager bauen die Leute ihre Sportstätten selber. Wir sind als Helfer nicht mehr gefragt. Der Export von Kindergärten in Slums hilft ja oft den deutschen Architekturstudenten mehr als den Slumbewohnern. B:
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M anuel H erz ist ein Baseler Architekt. Sein Büro verwirklicht Projekte in Europa und
Offenbar gibt es sogar eine eigene Fahrschule... M H : Ja, und die ist sehr wichtig. Im Lager herrschen eigene Fahrregeln – und ein eigenes System für die Registrierung von Fahrzeugen. Es ist ein Zeichen von Souveränität. B:
Asien. Zu seinen bekanntesten Projekten gehört die Mainzer Synagoge.